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Hockneys großes Schaufenster: Der Lightroom in London

London ist immer eine Reise wert – keine Frage. Und doch bietet die Stadt mehr Kunststätten, als man im Rahmen eines noch so ambitionierten Besuchs besichtigen kann. Man muss eine Auswahl treffen, eine Liste der Orte anlegen, die man gesehen haben muss. Dass der Lightroom unbedingt in diese Liste gehört, beweist nicht nur der große Name David Hockney, dem als wohl populärstem britischen bildenden Künstler der Gegenwart die Ehre einer ersten, ganz ihm gewidmeten Ausstellung im Lightroom zuteil wurde, sondern vor allem die räumliche Inszenierung seiner Malerei mit ebenso immersiven Klanginstallationen in einer neuartigen Ausstellungsform. Als eine Art Retrospektive mit dem vielsagenden Titel „David Hockney: BIGGER & CLOSER (not smaller & further away)“ steht die Schau gerade im Zentrum der öffentlichen Diskussion. Diese dreht sich um den Wert der Inszenierung und die von einigen Feuilletonisten kritisierte Niedrigschwelligkeit und Zugänglichkeit, die das immersive Erlebnis mit sich bringt. Doch springen wir zunächst zurück zum Anfang, zum Lightroom als Ausstellungsort mit einer zukunftsweisenden technologischen Ausstattung.

In einem dunklen Bunkersystem unter dem neuen Einkaufszentrum King’s Cross taucht man in eine Welt ein, in der fast alles immersiv ist. Die Reise durch die am 22. Februar 2023 eröffnete Ausstellung BIGGER & CLOSER beginnt in einem riesigen, in sanftes grünes Licht getauchten Raum. Zunächst fällt auf: Der Sound ist unglaublich gut, lebensecht und wahnsinnig räumlich.

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Die für die Ausstellung genutzte Holoplot X1 Matrix ist tatsächlich ein revolutionäres Soundsystem und verwandelt den Kunstraum in eine nahezu perfekt inszenierte Klanglandschaft. Die Matrix ermöglicht eine präzise Steuerung von Schallwellen, was bedeutet, dass der Klang gezielt auf bestimmte Bereiche gerichtet werden kann und verschiedene Klänge gleichzeitig in unterschiedlichen Bereichen ertönen können. So entsteht ein sehr eindringliches und individuell anpassbares Klangerlebnis. Um es einfach auszudrücken: Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem Raum, in dem Sie in einer Ecke das Zwitschern eines Vogels, in einer anderen das Rauschen eines Flusses und direkt neben Ihnen eine sanfte Melodie hören können – alles zur gleichen Zeit und ohne sich gegenseitig zu stören. Das ist die Art von Audioerlebnis, von der wir hier sprechen. Zusammen mit Hockneys Werken ergeben sich schon beim ersten Betreten des Rundgangs eine harmonische Verbindung und eine Eindringlichkeit, die man wohl in keiner Galerie oder sonst einem Ausstellungshaus finden kann.

Auf den Wänden sind Hockneys Werke eindrucksvoll animiert. Malerische Szenen aus den Straßen von Yorkshire und typische Hockney-Landschaften vermitteln die Illusion, direkt in sein lebendiges Werk einzutauchen. Beim Betreten des Lightroom wird deutlich, dass Hockneys Persönlichkeit jeden Winkel des Raumes durchdringt. Der britische Künstler war schon immer ein Performer. Seine Exzentrik, sein farbenfroher Stil, seine Herkunft aus Yorkshire und die Klarheit, mit der er seine Ideen ausdrückt, haben seine Identität geprägt und ihn zu einem der am meisten bewunderten englischen Künstler aller Zeiten gemacht. So verwundert es auch nicht, dass über die X1-Matrix auch Hockneys Stimme täuschend lebensecht für die Besucher wiedergegeben wird.

Seine Bilder werden von 27 Beamern auf die 11 Meter hohen Wände projiziert und füllen den gesamten Raum. Die kuratierte Auswahl umfasst fast alle bekannten Gemälde und Installationen des Künstlers. Besonders hervorzuheben ist der Wagner Drive in den San Gabriel Mountains, eine Installation zu Hockneys Videoarbeit aus dem Jahr 2012, in der die Besucher die unterschiedlichen Perspektiven von Fahrer und Beifahrer einnehmen können. Sehenswert sind auch die Installationen zu seiner „Pools“-Serie und zu „Sunbather“, die ein ähnlich spannendes Kunsterlebnis bieten wie das Original, aber doch ganz anders und umfassender auf den Betrachter wirken. Erwähnenswert ist auch eine Reihe bislang weniger bekannter Arbeiten, vor allem Bühnenbilder für die Londoner Oper, die Hockney bereits vor Jahrzehnten schuf. Alles in allem ergibt sich eine medial äußerst eindrucksvolle und immer wieder neue Perspektiven eröffnende Werkschau, wie sie wohl kein anderer bildender Künstler vor ihm inszeniert hat.

Hockney, dessen Werke seit den frühen 1960er Jahren für Aufsehen sorgen, widersetzt sich gekonnt den Erwartungen. Er ist bekannt für seine Technikbegeisterung, die ihn von der Erstellung multiperspektivischer Fotomontagen in den 1980er Jahren bis zur Erforschung der iPad-Zeichnung Mitte der 2000er Jahre führte. Nun nutzt Hockney die Möglichkeiten des Lightroom, um ein immersives Kunsterlebnis zu schaffen, das die Beschränkung auf ein bestimmtes Medium sprengt und mit einem ästhetischen Zusammenspiel aus Malerei, Animation, Licht und Sound eine umfassende Raumerfahrung erzeugt.

Im Gegensatz zu anderen immersiven Ausstellungen, die beispielsweise Van Gogh, Klimt oder Dali gewidmet sind, handelt es sich hier nicht um eine posthume Hommage oder ein Spektakel zum Selbstzweck. BIGGER & CLOSER wird von Hockney selbst mitgestaltet und als eigenständiges Kunstwerk betrachtet – eine greifbare, inhaltlich motivierte Erweiterung seines künstlerischen Schaffens und eine innovative Form der Retrospektive mit einem einzigartigen Sounddesign.

Wer Hockneys Karriere verfolgt hat, mag zunächst skeptisch sein. Schließlich wird uns eine Reise durch 60 Jahre seiner Kunst versprochen, eine Chance, „die Welt durch Hockneys Augen zu sehen“. Man könnte fragen, ob es sich um eine weitere groß angelegte Dokumentation mit sentimentaler Musik handelt. Doch die Erfahrung, die sich in Lightroom vor dem Hintergrund von Hockneys Soundtrack und seinen dynamischen Bildern entfaltet, ist alles andere als überflüssig. Jede Installation ist eigen und bringt gänzlich neue Erfahrungen mit sich.

Sobald man Platz nimmt, wird man von einer zauberhaften Welt gefangen genommen, die Hockney mit großer Sorgfalt gemalt hat. Die Panoramalandschaften, die sich ständig verändernde Szenerie und Hockneys Stimme, die durch den Raum hallt, sind durchaus im positiven Sinne hypnotisch.

Durch die Verschmelzung der visuellen Technologie von Lightroom mit der X1-Soundmatrix von Holoplot nimmt uns Hockney mit auf eine Reise durch seine künstlerischen Obsessionen, von den vielen Facetten der Perspektive bis hin zu seiner Faszination für den Kubismus. Das Tempo der Ausstellung mag teilweise überhastet wirken, trägt aber zum Gefühl eines berauschenden audiovisuellen Spektakels bei, einer Erfahrung, die einen in Atem hält und dadurch in Teilen des Feuilletons Kritik hervorruft. So bezeichnete der Guardian die Ausstellung als „überwältigenden, leidenschaftslosen Kitsch“, der Evening Standard meint die Schau sei „weniger ein Kunsterlebnis als eine 360-Grad-Dokumentation“.

Natürlich gibt es auch viele begeisterte Gegenstimmen. Im Independent lesen wir von einem „atemberaubenden Triumph“ und das Magazin Weltkunst spricht von einem „furiosen Auftakt im Lightroom“. Gerade die Kritik an BIGGER & CLOSER lässt jedoch schnell den Verdacht aufkommen, dass die Kommentatoren entweder Hockneys Werk generell nicht mögen oder grundsätzlich alle immersiven, auf ein größeres Publikum zielenden Ausstellungen gerade wegen der angestrebten Popularität und der Nähe zu einem vermeintlichen Mainstream verdammen. Ein Schelm, wer dabei an elitäre Reflexe denkt. Am besten, jeder Besucher macht sich bei seiner nächsten London-Reise selbst ein Bild und hört vor allem genau hin.

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