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Oceania – der Sound der Unterwasserwelt

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Boum-Percussion performte ein spektakuläres Filmkonzert im Panorama „Great Barrier Reef“

Das Panorama „Great Barrier Reef“, welches für einige Jahre im Gasometer Pforzheim zu sehen war, wurde von den Stuttgarter Künstlern „Boum-Percussion“, den Schlagzeugern Marc und Kai Strobel klanglich interpretiert und neu entdeckt: In einem 60-minütigen Live-Konzertfilm kreieren die Brüder ein Gesamtkunstwerk, in dem sich akustische und elektronische Musik, Performance und Theatralik, durch eine differenzierte Dramaturgie in nie da gewesener Art mit dem von Yadegar Asisi erschaffenen Panorama „Great Barrier Reef“ verbinden.

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Auf welche Art ist das Panorama „Great Barrier Reef“ im Film Oceania „neu entdeckt und interpretiert“ worden?

Alle musikalischen Werke im Film beruhen auf den Eindrücken unseres Besuchs des Panoramas im Gasometer Pforzheim. Als Schlagwerker und Komponisten sind wir von Natur aus neugierige Charaktere und stets auf der Suche nach neuen Formen der Inspiration. Im Falle des „Great Barrier Reef“ hinterließ der enorme Raum, mit seinem gekonnten Spiel aus Farben, Energie und unglaublicher Höhe einen großen Eindruck, welcher sich in der Grundstimmung der Kompositionen und insbesondere der Elektronik wiederfindet. Beim Besteigen des im Zentrums stehenden Stahlturms, eröffnen sich den Betrachtenden detailreiche Perspektiven, wie durch Fenster. Er rahmt durch seine Stahlkonstruktion gewissermaßen Ausschnitte des Panoramas ein. Ein wichtiger Ansatzpunkt für unser weiteres Schaffen.

Die Parallelen zur Musik sind hier offensichtlich: besteht das typische Musikstück doch ebenfalls aus einer großen Phrase, welche sich wiederum aus einer Vielzahl von kleinen Phrasen, Motiven, Noten und Pausen zusammensetzt.

Inhaltlich waren wir von der Mannigfaltigkeit und diffizilen Ornamentik des Korallenriffs und insbesondere den dunkleren Bereichen des Meeres bewegt.

Mit diesen vielschichtigen Eindrücken starteten wir unseren Arbeitsprozess, einen ganzheitlichen Ansatz verfolgend: unseren, beim Besuch der Installation erlebten Emotionen und Gefühlen, musikalisch Ausdruck zu verleihen. Sie in größerem Kontext zu reflektieren und letztlich Musik und Panorama in einer Symbiose zusammenzuführen.

Welche Herausforderungen bringt ein 360°-Panorama mit sich, im Hinblick auf ein Filmprojekt wie „Oceania“?

Sowohl filmisch als auch dramaturgisch stellt sich bei einem 360°-Bild unweigerlich die Frage nach der Perspektive. Man wendet sich bewusst einem bestimmten Ausschnitt zu, wohlwissend, dass man dabei gleichzeitig einen Teil des Panoramas im Rücken ausblendet. So arbeiteten wir ausgewählte Elemente des Rundbildes musikalisch heraus, und entschieden uns im nächsten Schritt für verschiedene Spielpositionen im Raum des Gasometers mit entsprechend wechselnden Kameraperspektiven. So gelang es uns, auf spezifische Elemente einzugehen und dabei klanglich mit dem Panorama zu korrespondieren.

Die Kompositionen setzen sich u. a. mit den Themen „Wasser, Riff und Weltmeere“ auseinander.

Den Großteil der Kompositionen im Film haben wir selbst geschrieben. Jedes Werk bezieht sich dabei auf eine der vielen Facetten des Panorama und des Raums. Das Boum-Percussion Programm Oceania besteht aus vier Neukompositionen und einem bereits existierenden Werk, welches sich klanglich wie thematisch perfekt einfügt.

Wir entschlossen uns bewusst, mit den Werken einen großen, dramaturgischen Kreis zu formen, ganz im Sinne des uns umschließenden Panoramas und des zylinderförmigen Raums. Ein wichtiger Bestandteil bildet dabei die Synthese aus Live-Akustik und elektroakustischer Musik. Diese Verbindung zieht sich wie ein roter Faden durch das Programm.

Insbesondere durch die elektronischen Elemente dringt die Gesamt-Performance in tiefgründigere Ebenen vor. Die Elektronik verstärkt die Größe und Tiefe des Raums und wird von Marc Strobel als Komponist kammermusikalisch eingesetzt, quasi wie eine zusätzliche dritte Person.

Welche Schwerpunkte habt ihr euch in Bezug auf das Panorama „Great Barrier Reef“ ausgesucht?

Nun, da ist natürlich die pure Schönheit der Unterwasserlandschaft im Panorama, die wahnsinnig detaillierten Verzierungen der Korallen und das Tiefblau des Meeres selbst, welches, je nach Art der Betrachtung und Beleuchtung, eine beruhigende Wirkung erzeugen, oder auch Unbehagen auslösen kann.

Der Beginn unseres Programms „Oceania“ bleibt in ambivalenter Ungewissheit und bezieht sich auf jenes Gefühl des Unbehagens: der Zuschauende wird ins kalte Wasser geworfen, in einen mystischen Sog und bis hinab in die Tiefen des Meeres gezogen. In Monolith II dominiert ein mystischer Charakter, der geprägt wird von zwei großen Rahmentrommeln im Zusammenspiel mit elektro-akustischen Klängen. Erwartbares, typisches Trommeln oder Schlagen mit Trommelstöcken findet hier nicht statt – die neuen Klänge sollen die Fantasie der Zuschauenden anregen. Beginnend mit dem ersten Ton des Stücks, der durch Reiben eines Gummiballs auf dem Trommelfell erzeugt wird. Was ein dumpfes Dröhnen, einen langgezogenen Ton hervorbringt. Vielleicht das Motorgeräusch eines Schiffs oder der Gesang eines Wals?

Klang und Bewegung werden im Film bewusst eingesetzt und verbunden.

Durch die Verfilmung erschließen sich den Betrachtenden weitere Ebenen: wischende Kreisbewegungen auf dem Fell der Trommel skizzieren das Spiel der Wellen, kratzende Hände bewegen sich wie Lebewesen auf dem Meeresgrund. Monolith II stellt bewusst Klang und Bewegung auf eine Ebene. Die Grenzen zwischen Musik, Choreographie und Performance verschwimmen.

Mit den Stücken Ecochain und Time & Money – letzteres beinhaltet sogar eine reine Schauspielsequenz – sind wir in einem neuen Kapitel des Films. Das Meer ganz reduziert betrachtet als Ressource und Handelsweg, Teil einer durchorganisierten „Just-in-Time“-Welt, welche Kollateralschaden quasi im Vornherein einkalkuliert, denn „Zeit ist Geld“. Ein enormer Druck lastet auf den Ökosystemen und bedroht existenziell die einzigartige Unterwasserwelt.

Diese extreme Form der Realität und Kehrseite zur Farbenpracht des Meeres und des Panoramas, kommt vor allem durch den Fokus im Film in Richtung des Stahlturms, in der Raummitte des Gasometer, zum Tragen. Neben schnellen, dramatischen Schnittfolgen, prägen kupferfarbene Ästhetik und extreme Dynamik die Szenerie. Sind wir Teil einer Maschinerie? Dringen wir musikalisch ins Innere eines Beinah-Verrücktgewordenen vor? Dies zu interpretieren ist am Ende aber Sache des Betrachters.

Das Hauptwerk von „Oceania“ für Marimba und Vibraphon beschließt schließlich den großen klanglichen Spannungsbogen, der vor allem von der räumlichen Komponente des Meeres bzw. des Panoramas inspiriert ist.

Wie läuft ein Filmdreh mit solch einem speziellen Rahmen ab?

Der Film ist wie ein Live-Konzert angelegt, das heisst alle Musikstücke werden ohne Unterbrechung gespielt und mit mobilen Kameras gleichzeitig aus verschiedenen Perspektiven gefilmt. Da das filmische Konzept von vornherein keine Zuschauer vorsah, konnten sich Künstler, Ton-, Film- & Lichtteam im Gasometer frei bewegen. Oceania selbst entstand im Rahmen des „WeLive-Musikfestival“, einer von Punchline Studio und Lahrer Rockwerkstatt e.V. initiierten Konzert-Serie, die während der Corona-Pandemie einen bewussten Gegenpol zu den überwiegend eindimensionalen und flachen Livestreams darstellt. Im Mittelpunkt steht dabei der Live-Aspekt: Bild, Ton, Licht, die gesamte Stimmung entsteht im Moment. Dramaturgische & technische Vorgaben werden bewusst variabel gehalten, da gerade die spontanen und intuiti - ven Reaktionen des aufmerksamen Kamera-Teams auf unser Spiel hin, dem Film und dem „Great Barrier Reef“ Panorama seine ganz eigene Dynamik verleiht. Zudem sind die Künstler auf der Konzertbühne plötzlich ganz nah, privat, fast intim. Der Zuschauende begleitet uns Musiker auf dem Weg durch den Raum, Kleidungswechsel werden Teil der Inszenierung.

Ist das Instrument Schlagzeug für so ein Großprojekt prädestiniert?

Gerade als Schlagzeuger können wir visuelle Eindrücke, Formen und Bilder durch endlose Möglichkeiten an Klängen, Materialien und Instrumente in Musik verarbeiten und ihnen individuell Ausdruck verleihen. Durch das musikalische Einbeziehen von Metallfässern und Eisenketten stellen wir, parallel zum dramaturgischen Gedanken, eine Verbindung zum Gasometer als industrielles Kulturerbe her: der metallene Sound und die pulsierend virtuosen Rhythmen verbinden sich im Bild mit der markant eisernen Skulptur der Besucher-Plattform. Ein weiteres Beispiel ist das Element Wasser, das wir auf subtile Art und Weise als Resonanzkörper eingearbeitet haben: im Waterphone ist es für die wunderbar schaurigen und gleichwohl schönen, langen Töne verantwortlich, der Gong variiert, durch Eintauchen in Wasser nach dem Schlagen, die Tonhöhe und die „Water-Drum“ – ein riesiger, im Wasser schwimmender halbierter Kürbis – kommt in Deep Current als Basston und kernige Fingertrommel zum Einsatz.

Boum-Percussion – als Ensemble – ist aus dem Bestreben entstanden, mit den gegebenen Möglichkeiten des Schlagwerks die Grenzen der Kunstformen zu überwinden. Durch Eigenkompositionen und der Verbindung von klassischem Schlagzeug, elektro-akustischer Musik, Alltags-Gegenständen und Elemente aus der Natur, entwickelte sich so über die gemeinsamen Jahre eine eigene Tonsprache.

„Oceania“ by „Boum-Percussion“, kreiert von Marc & Kai Strobel

Ein „weLive“-Film, produziert von „Punchline Studio“, organisiert von „Lahrer Rockwerkstatt e.V.“

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