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Piffaretti, Marco
from A&W 10/2022
Philippe Müller (l.), Leiter Energieforschung/Cleantech BFE, und Roland Lötscher, CEO Mobility.
Elektrofahrzeuge haben das Potenzial, Lücken in der Stromversorgung zu schliessen, indem sie Strom zurück ins Netz speisen. Erstmals wird die bidirektionale Technologie dahinter unter realen Bedingungen mit fünfzig «Honda e» getestet. Der Start für das Projekt «V2X Suisse» unter der Leitung von Mobility ist vor Kurzem in Bern erfolgt.
Im Bahnhofparking in Bern – am grössten Mobility-Standort der Stadt – ist Anfang September das Schweizer Pilotprojekt «V2X
Suisse» of ziell lanciert worden.
Während eines Jahres wird nun untersucht, wie Elektroautos künftig als
Speicher genutzt werden können, um Stromlücken zu schliessen und die Netzstabilität zu erhöhen.
Hinter dem Projekt stehen sieben
Unternehmen, wobei das Carsharing-Unternehmen Mobility die Leitung übernimmt und 50 «Honda e» an 40 Standorten in der ganzen
Schweiz zur Verfügung stellt. Diese
Elektrofahrzeuge speisen Strom aus ihren Batterien ins Netz zurück, wenn sie gerade nicht gefahren werden.
Es handelt sich um den ersten Marco Piffaretti leitet das Projekt V2X Suisse.

gross ächigen Test mit bidirektional ladenden Serien-Elektroautos. Dies ermöglicht Erkenntnisse aus unterschiedlichen Bedingungen – sowohl im ländlichen wie auch im urbanen Raum. «Unser schweizweites Flottennetz ist für dieses Pilotprojekt geradezu prädestiniert», sagt MobilityCEO Roland Lötscher und fügt hinzu: «Einmal mehr leisten wir Pionierarbeit, um Herausforderungen anzugehen, die über die Alltagsmobilität hinausgehen.» Auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga begrüsst die Initiative, die Wirtschaft und Forschung miteinander verbindet. Der «Energiespeicher auf vier Rädern» werde dazu beitragen, dass die Schweiz wegkomme von fossilen Energien. Das nütze nicht nur dem Klima, sondern mache unser Land auch unabhängiger.
Elektromobilität als Teil der Lösung
Die grundlegende Idee hinter V2X und dem bidirektionalen Laden ist, dass Elektroautos nicht nur Strom beziehen, sondern auch zurückgeben können. Insbesondere, da Autos im Durchschnitt 23 Stunden pro Tag nur rumstehen. Die sogenannten «Stehzeuge» werden also zu Powerbanks, die sich zu einem grossen Energiespeicher zusammenschliessen lassen, ähnlich einem Stausee. So können Verteilnetzbetreiber und Haushalte quasi den Strom in Spitzenzeiten von den Elektroautos beziehen, während diese sich über den Tag – wenn die Sonne scheint – zu einem günstigeren Tarif wieder komplett au aden. Honda bietet mit dem «Honda e» das erste serienmässige Elektrofahrzeug an, mit dem sich diese Technologie im Alltag einsetzen und testen lässt.
Der Anteil Elektrofahrzeuge auf Schweizer Strassen nimmt stetig zu. Einerseits verstärkt die Elektromobilität den Strombedarf, andererseits kann sie durch die V2X-Technologie Teil der Lösung sein. Diese fördert die allgemeine Netzstabilisierung sowohl für Verteilnetzbetreiber wie auch für Swissgrid (nationale Netzbetreiberin). Stromanbieter können Schwankungen zukünftig besser ausgleichen, Engpässe im Verteilnetz minimieren, teure Netzausbauten verringern und Strommangellagen verhindern. Die Potenziale sind riesig, müssen aber ef zienter genutzt werden.
Dauerbetrieb ist denkbar
Die Resultate aus dem einjährigen Testbetrieb mit den fünfzig «Honda e» werden der V2X-Technologie den nötigen Schub verleihen. Marco Piffaretti, Projektleiter von «V2X Suisse» und Elektromobilitätsexperte bei Mobility, ist überzeugt: «Wir erhalten die dringend nötigen Erfahrungen, um die technischen und regulatorischen Herausforderungen rund um das bidirektionale Laden meistern zu können.» Das Projekt ist so ausgerichtet, dass es bei einem Erfolg direkt in einen Dauerbetrieb überführt werden kann. (pd/ml)
www.mobility.ch/v2x



Isabelle Riederer,
ir@awverlag.ch
Im Dunkeln ist gut munkeln
Ich weiss ja nicht, wie es Ihnen so geht, aber ich gehöre nicht unbedingt zu dieser Sorte Menschen, die gerne an Tankstellen rumlungern. Reinfahren, tanken, bezahlen, weiterfahren – so läuft der Hase! Die meisten Tankstellen, die ich frequentiere, sind auch nicht unbedingt einladende Wohlfühloasen, aber im Gegensatz zu den von mir benutzten Ladesäulen sind Tankstellen der Himmel auf Erden.
Im Ernst, gut 80 Prozent aller Ladesäulen, die ich in den letzten drei
Jahren innerhalb der Schweiz genutzt habe, sind Orte der Verdammnis! Nicht einmal das Auge Saurons würde dort hinblicken – schön wäre es aber. Denn die Ladeparks entlang des Autobahnnetzes sind schlecht beleuchtet, selten wettergeschützt und so abgelegen, dass man sich kaum traut, aus dem Auto auszusteigen. Und an so einem Ort soll ich jetzt 30 Minuten warten, bis ein
Axtmörder aus dem Gebüsch springt!
NIEMALS! Im Ernst, warum kann man keine Ladestationen an Orten bauen, wo es Leben gibt? Kleine Einzeller würde mir schon reichen. Orte, die beleuchtet sind und vielleicht sogar eine saubere
Toilette haben?
Es sind aber nicht nur die Ladestationen entlang der Autobahnen, auch die
Ladesäulen in oder um grössere Städte herum laden selten zum Verweilen ein. Ich fühle mich an solchen Orten schlichtweg nicht wohl, besonders am
Abend oder in der Nacht. Oder liege ich da falsch? Stehen Sie etwa gerne 30 Minuten im Dunkeln an einem menschenleeren Ort und warten, bis Ihre
Batterie wieder Saft hat? Also ich nicht.

«DIE ANFORDERUNGEN SIND HOCH»
Nachhaltigkeit hat bei der BMW Group viele Facetten, denn unter diesem Begriff werden Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft in Einklang gebracht. Um diesen hohen Anspruch realisieren zu können, braucht es engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daniela Bohlinger ist Leiterin Nachhaltigkeit im BMW Group Design und erklärt, warum wir eine grundlegende und revolutionäre Veränderung brauchen. Eine Weiterentwicklung alleine reicht nicht mehr aus.
AUTO&Sie: Frau Bohlinger, Sie sind seit 2002 bei der BMW Group, waren immer im Design tätig. Was hat Sie bewegt, eine umwelt- und klimafreundliche Gestaltung zu Ihrem Schwerpunkt zu machen? Daniela Bohlinger: Ich habe im Bereich «Color and Trim» gearbeitet, also dort, wo es auch um die Lederausstattung der Fahrzeuge geht. Wir hatten immer sehr viel Verschnitt. Das war für mich irgendwann ethisch nicht mehr vertretbar. Also habe ich Vorschläge gemacht, wie wir das Material geschickter nutzen können. Und ich habe begonnen, mich intensiv mit Nachhaltigkeit im Design auseinanderzusetzen, vom Lieferanten bis zur Wiederverwertbarkeit des Produkts. Der BMW i3 und der i8 waren für mich daher wie Wunschkinder. Wir haben im Designteam erstmals alle Materialien hinterfragt und alles neu gedacht. Als dieses Projekt abgeschlossen war, stand ich vor der Frage: Wie schaffen wir es, alle Fahrzeuge nachhaltig zu designen? Also habe ich überlegt, wie wir die Anforderungen der Nachhaltigkeit in die Designsprache übersetzen können. Und natürlich auch, wie sich das messen lässt. Denn wir brauchen jetzt eine grundlegende, eine revolutionäre Veränderung. Weiterentwicklung allein reicht längst nicht mehr aus.
Sie denken sehr ganzheitlich über Nachhaltigkeit im Produktdesign nach. Leben Sie das auch privat? Mein Leben spiegelt den ständigen Versuch, mich zwischen Fortschritt, Innovationen und Annehmlichkeiten so zu bewegen, dass ich es mit meinem Gewissen, meiner Moral vertreten kann. Das beginnt beim bewussten Umgang mit Nahrungsmitteln und endet beim Verzicht auf Dinge, die ich hinterfrage. Meine Kindheit im Allgäu war auch immer geprägt von einer Klarheit und nicht von Über uss.
Was wollen Sie mit Ihrem Einsatz erreichen, was ist Ihr Ziel? Unsere Fahrzeuge sind Premiumprodukte – das ist mir sehr wichtig. Wenn wir etwas tun, ist das Ergebnis hochwertig, edel, eben premium. Das muss auch so bleiben, wenn wir mit nachhaltigen Materialien arbeiten. Ich habe das Thema im Designbereich vorausgedacht, das erfüllt mich mit Stolz. Jetzt aber müssen alle die Verantwortung übernehmen. Denn die neuen Anforderungen sind hoch. Damit wir aber nicht nur kurzfristig Brände löschen, setzen wir auch hier auf Strategie und verändern die Richtlinien. Es gibt so viele Möglichkeiten: Wir können Systeme neu denken, reduzieren, substituieren und mit den Lieferanten in ganz neue nachhaltige Richtungen schauen.
Jetzt arbeiten Sie schon seit einigen Jahren an diesen Themen, die sicher nicht immer nur leicht vorangehen. Jenseits der schwäbischen Sparsamkeit: Was lässt Sie weitermachen? Meine Motivation ist sehr intrinsisch, gleichzeitig lese, höre, sehe ich tagtäglich, wie wichtig aktiver Klimaschutz ist. Ausserdem kann ich etwas Zukunftsweisendes für das

Der BMW i3 war das erste Modell, das Daniela Bohlinger mit nachhaltigen Materialien ausgestattet hat. mehr alles selbst machen. Ich möchte den Menschen um mich herum das richtige Werkzeugset für mehr Nachhaltigkeit an die Hand geben. Deshalb bin ich als Lehrbeauftragte nach Umeå, Schweden an die dortige Design-Universität eingeladen worden, um Nachhaltigkeit im Curriculum einzubauen und die aktive Auseinandersetzung über dieses holistische Thema mit den Professoren zu führen. Wenn die jungen Designer schon mit dem Wissen über nachhaltiges Design aus der Uni zu uns und in andere Unternehmen kommen, dann funktioniert Nachhaltigkeit irgendwann im Schneeballsystem. Dann lässt sie sich nicht mehr aufhalten.

Unternehmen tun und gleichzeitig wirklich etwas verändern. Hier, mitten in der Automobilindustrie, habe ich doch einen deutlich stärkeren Hebel, als wenn ich mich in einer NGO engagieren würde.
Wenn Sie drei Minuten Zeit hätten, dem Vorstandsvorsitzenden der BMW AG, Oliver Zipse, von Ihrer Arbeit zu berichten, was würden Sie sagen? Ich würde ihm aufzeigen, wie viel Energie wir heute schon in diese Veränderung stecken, wie grundlegend wichtig sie ist und welche Bedeutung daher ausreichend Un terstützung und Budget haben. Ausserdem müssen wir uns selbst immer wieder hinterfragen: Machen wir das richtig, sind wir ehrlich und setzen wir unsere Prioritäten richtig? Klimawandel ist real.
Was könnte diesen Erfolg denn bremsen? Rentabilität versus messbare Nach haltigkeit ist die denkbar schwierigste Herausforderung, wenn man Themen wie diese neu etablieren will. Da müssen wir Lösungen nden.
Noch mal zurück zu Ihrer intrinsischen Motivation… Ich will mich vor meine Nichten und Neffen stellen und ehrlich sagen können: «Ja, ich arbeite in einem Automobilunternehmen und gebe dabei Vollgas für eine enkeltaugliche Welt.» Dort, wo ich einen Ein uss habe, gestalte ich die Welt nachhaltiger. Dafür muss ich aber nicht Und dann ist es gut? Besser, ja. Aber nicht abgeschlossen. Die Frage nach dem besten Weg zu mehr Nachhaltigkeit wird mich wohl mein Leben lang begleiten. Und irgendwann stehe ich an meinem Permakultur-Hochbeet und arbeite an der nächsten Entwicklungsstufe. (pd/ir)
www.bmwgroup.com
Dieses Interview ist ihm Rahmen der Nachhaltigkeits-Serie «WIRkung» der BMW Group erschienen. In ihrer Nachhaltigkeits-Serie «WIRkung» stellt die BMW Group regelmässig Mitarbeitende vor, die Tag für Tag einen Beitrag zur breitgefächerten und verantwortungsvollen Weiterentwicklung des Unternehmens leisten.


