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Blumen mit Migrationshintergrund

Blumen mit Migrationshintergrund Bern und die Geranien

Sie sind der Inbegriff von heiler Welt, Postkartenidyll par excellence. Meist leuchtend rot gehören sie zum vertrauten Bild von behäbigen Emmentaler Bauernhäusern – mit fachgerecht gestapelter Scheiterbeige sowie gezöpfeltem Miststock davor –, ebenso wie sie von Fenstersimsen der Berner Altstadthäuser grüssen. Welch Schweizers Herz erwärmt sich nicht ob solchen Heimatbildern? Doch wie so oft: Der Schein trügt – auch im Falle dieser Pflanze. Ihre Wurzeln finden sich nicht hierzulande.

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Das Gewächs stammt vom Kap des Schwarzen Kontinents. Die robuste, genügsame Wildpflanze diente den südafrikanischen Ureinwohnern als Medizinalpflanze. Still blühte sie vor sich hin, bis 1652 in einem von der niederländischen Ostindien-Kompanie zur Versorgung ihrer Schiffsmannschaften auf dem Weg nach Indien angelegten Garten ihr leuchtendes Rot erstmals Europäern in die Augen stach …

Geschichte

Es war der deutsche Schiffsarzt und Botaniker Paul Hermann in Diensten der holländischen Handelsgesellschaft, der die Pflanze 1680 nach Europa, genauer nach Amsterdam, brachte. Das robuste Gewächs überstand die Seefahrt problemlos. Und da sie leicht zu vermehren ist, pflanzte man im botanischen Garten der Stadt Leiden einige Stecklinge. Die leuchtend rote Blütenpracht gefiel auf Anhieb. Nur blieb sie vorerst, da sie exotischen Ursprungs war, aus Kostengründen dem Adel und ein paar botanisch Studierten vorbehalten.

Auch das Berner Universalgenie Albrecht von Haller soll zu seiner Göttinger Zeit im Garten der Universität siebzehn verschiedene Sorten aus Holland gezogen haben. Der Weg nach Bern war folglich vorbestimmt … Allerdings war es zuerst einmal in Zürich, dass die Pflanze vom Kap der Guten Hoffnung, via Holland kommend, in der Schweiz Fuss fasste. Nämlich im Lustgarten des illustren Zürcher Anatomen Johann von Muralt. Aber schliesslich landete schon seinerzeit bekanntlich alles früher oder später mal in Bern.

Zu Berner Turm- und Drangzeiten

Aufgrund anderer historischer Quellen lässt sich mutmassen, dass man in Bern schon sehr früh um die rote Blume vom Kap Bescheid wusste. Standen doch seinerzeit zahlreiche Berner Söldner in holländischen Diensten und waren verschiedentlich unterwegs auf der Ostindien-Route. Zwischendurch zu Hause traf man sich jeweils mit

«Es git nüt Schöners uf dr Loube als ds Granium, das chasch mer gloube.»

seinesgleichen im sogenannten «Holländerturm», einem Teil der ehemaligen Stadtbefestigung, um gemütlich ein Prischen Tabak zu schmauchen und Erinnerungen auszutauschen. Mag gut sein, dass dabei auch das eine oder andere Mal die schmucke Blume des Schwarzen Kontinents Erwähnung fand …

Unter falschem Namen eingebürgert

Die Botaniker verliehen der blühfreudigen Pflanze vom Kap den Namen Pelargonium. Dem Volksmund indessen erschien die Bezeichnung dubios, und er nannte die Blume kurzerhand «Geranium», obwohl die Fachwelt unter dieser Bezeichnung jene Pflanzenart versteht, die praktisch überall gedeiht und die wir in der Umgangssprache «Storchenschnabel» nennen. Und so blüht der Neophyt hierzulande weiterhin munter unter einem Pseudonym. Was ja weiter auch keinen Affront darstellt.

Eines sei indessen angesichts der ländlichen Postkartenidylle hier klargestellt: Die Pelargonie war hierzulande von allem Anfang eine städtische Pflanze. Sie schmückte zuerst Fenstersimse, Balkone und Gärtchen in der Berner Innenstadt, bevor irgendwelche Stecklinge, sei es geschenkt oder verkauft, in der Folge auch auf Bauernhöfe und Chalets im Emmental oder im Berner Oberland gelangten.

«Es git nüt Schöners uf dr Loube»

In Bern allerdings erwiesen sich die Neophyten bald als invasiv und begannen sich in der Altstadt im Laufe des 19. Jahrhunderts quasi flächendeckend zu verbreiten. Die Popularität der Geranien stieg und stieg. So sehr, dass der 1887 gegründete Verschönerungsverein der Stadt Bern noch vor der Jahrhundertwende eine Prämierung geraniengeschmückter Fenster in der Altstadt ausschrieb.

1913 publizierte der Verein zudem eine Broschüre «Der Blumenschmuck der Fenster und Balkone» mit illustrierten Anregungen und Anleitungen zum fachgerechten Umgang mit der eingeführten Blume.

25 Jahre später marschierten dann rund 2500 Berner Blumenmädchen, zum Teil verkleidet als Geranien, fröhlich im Umzug «Bern in Blumen» mit und sangen dabei: «Es git nüt Schöners uf dr Loube als ds Granium, das chasch mer gloube.» Die definitive Einbürgerung der einstigen Migrantin aus Südafrika war damit geschafft.

Bunter Blumenschmuck frei Haus

Am 22. Mai 1957, am Mittwoch nach den Eisheiligen, fand zum allerersten Mal der «Bärner Graniummärit» statt, eine Veranstaltung, die zu normalen Zeiten noch heute ihren fixen Platz im alljährlichen Veranstaltungskalender hat. Am 18. Mai 1983 stand dann in grossen Lettern im Stadtanzeiger: «Üser Fahrgescht sy nid dumm, / schleipfe kener Granium, / d Blueme nämlech, wo si wei / bringe mer ne gratis hei.» Inserent waren die Städtischen Verkehrsbetriebe Bern.

Ob wohl der Pelargonienschmuck mitverantwortlich war, dass Bern noch im selben Jahr zum Weltkulturerbe erhoben wurde? Jedenfalls wurde die Stadt 1984 unter dem Titel «Entente florale» zur «schönsten Blumenstadt Europas» gewählt. Und mittlerweile nennt sich Bern selbst stolz «Geranium City».

Man kann sie lieben oder hassen

Die Zeiten haben sich geändert. Zwar blühen die Geranien noch Jahr für Jahr en masse auf dem Bundesplatz. Und die Grossverteiler füllen ihre Verkaufsregale schon lange vor den Eisheiligen mit den Neophyten vom Kap der Guten Hoffnung.

In der Berner Altstadt selbst allerdings scheint die Tendenz eher rückläufig zu sein, bevorzugen heutzutage die Bewohner doch in vermehrtem Masse wieder andere Blumen und Pflanzen auf den Fenstersimsen und Balkonen. Denn Geranien polarisieren. Erwecken sie in den einen Gefühle trauter Heimat, so sind sie für andere wiederum schlichtweg der Inbegriff von Spiesserblumen. Im Zeitalter der postmodernen Ironie und des Urban Gardenings sind sie jedoch kaum wegzudenken.

Die Sorten tragen verkaufsfördernde Namen wie «Out of Africa», «Mrs. Pollock», «Pink Gay Baby», «Atomic Snowflake», «Shocking Violet» und andere mehr. Vielleicht ist auch mal eine «Vieille Ville de Berne» dabei. Ich wünschte mir das sehr …

Text von Hansruedi Matscher, Werber, Sprach- und Kulturtäter, gebürtiger Zürcher und seit 40 Jahren ein Berner Original

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