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Wie aus Luzern heraus Europa wasserstofflich wird
tungsrat des Krienser DentalUnternehmens Curaden AG sitzt, ist Teilhaber und Mitgründer des Schweizer Unternehmens H2 Energy AG. Wasserstoff, dieses farb, geschmack und geruchlose Gas hat für ihn das Potenzial, die dringende Energiewende zu beschleunigen. Auf die Idee, in Wasserstoff zu investieren, kam er durch seinen langjährigen Geschäftspartner Rolf Huber, den er aus alten ETHZeiten kannte. Das 2014 von Rolf Huber gegründete Unternehmen nahm sich vor, im Rahmen eines Pilotprojekts die Möglichkeit eines mit Wasserstoff betriebenen LKW zu prüfen. Mit Hyundai fanden sie den richtigen Partner. Der südkoreanische LKWHersteller verfügte bereits damals über eine leistungsfähige Brennstoffzelle und half dem StartupUnternehmen mit dem Umbau eines LKWs auf Wasserstoffbetrieb. Das deutsche Unternehmen Daimler hatte zwar die Brennstoffzelle schon früher entwickelt, das Interesse an ihr aber im Laufe der Zeit verloren. Das Pilotprojekt schlug ein, es überzeugte technisch und logistisch. Clifford zur Nieden: «Etwa zur selben Zeit formierte sich der Förderverein H2 Mobilität Schweiz, initiiert von verschiedenen Unternehmen der Transportbranche sowie von den beiden grossen Schweizer Detailhändlern. Für uns war dies eine willkommene Plattform. H2 Energy und Hyundai Motor Company gründeten gemeinsam das Joint Venture Hyundai Hydrogen Mobility AG und setzten so den ersten Stein für unsere weitere Entwicklung in enger Zusammenarbeit mit dem Förderverein.» Die Entwicklung geht zügig voran: Derzeit sind 49 WasserstoffLKW auf Schweizer Strassen unterwegs und neun Tankstellen in Betrieb. Waren die Transportunternehmen zu Beginn eher skeptisch über die neuen LKW, mehren sich heute die positiven Eindrücke. Die Chauffeure seien regelrecht begeistert, weiss zur Nieden. «Wir haben bewusst einen PayperUseAnsatz gewählt, mittelfristig gehen wir davon aus, dass solche Fahrzeuge auch gekauft werden können.» Dies ist aber nur der Anfang, zumal die H2 Energy AG weit ambitiösere Ziele hat und sich nicht nur auf die Vermietung von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen limitieren will.
Konsequent entlang der Wertkette
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Allein für die kleine Schweiz sind bereits rund 1600 LKW bei Hyundai bestellt worden, die in den nächsten Jahren bis 2025 geliefert werden sollen. Parallel dazu wird das Unternehmen zusammen mit Partnern der Transportbranche nicht nur das Tankstellennetz erweitern, sondern sich auch aktiv an der Produktion von grünem Wasserstoff in der Schweiz beteiligen. Zusammen mit dem Energiedienstleister und produzenten Alpiq und Linde, dem grössten Gasproduzenten Europas, hat die H2 Energy die Hydrospider AG gegründet. Die 2MWElektrolyseanlage beim Alpiq Laufwasserkraftwerk Gösgen kann jährlich bis zu 300 Tonnen Wasserstoff produzieren. Dies reicht für ca. 40 bis 50 LKW oder 1700 Autos. Der Ausbau der Produktion in der Schweiz ist in der Pipeline. Ein weiteres Unternehmen in der strategischen Wertkette unter dem Holdingdach der H2 Energy konzentriert sich auf die Entwicklung von mobilen Wasserstoffspeichern und Betankungslösungen. Auch wasserstoffbetriebene Bahnen und Fähren liegen im Fokus des noch jungen Unternehmens, zumal hier laut zur Nieden auch ein grosses Potenzial vorhanden ist. Das wohl ambitiöseste Projekt aber liegt ausserhalb der Schweizer Grenzen im windgepeitschten Norden Europas.
Wasserstoffproduktion in Dänemark
Die Erklärung der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen im dänischen Parlament am 6. Oktober 2020 war deutlich: «Wir müssen bei der Entwicklung umweltfreundlicher Kraftstoffe für den Verkehr und die Industrie herausragen. Zum Beispiel bei der Umwandlung von Strom aus Windturbinen in Treibstoff für Flugzeuge, Schiffe und Autos. Es geht um PowertoX – also, wovon die ganze Welt derzeit spricht.»
Einen Weg zu finden, Strom aus Sonnen, Wasser oder Windkraft in einer Form zu speichern, die jederzeit einsetzbar ist, gilt als die grösste Herausforderung der Energiewende. In der Fachwelt
WASSERSTOFF VIELFÄLTIG EINSETZBAR
Als Rohstoff wird Wasserstoff u. a. in Raffinerien, in der Eisen- und Stahlerzeugung und in der chemischen Industrie eingesetzt. Darüber hinaus kommt Wasserstoff als Energieträger im Verkehrssektor sowie bei der Strom- und Wärmeversorgung zum Einsatz. Strom hat den Nachteil, dass er sich nur aufwendig speichern lässt, durch Wasserstoff aus Wasserkraft wird Strom speicherbar und lässt sich so transportieren. Mit Wasserstoff lässt sich der Strom speichern, der mit Windrädern oder Photovoltaikanlagen produziert, aber nicht gebraucht wird. Auch Laufwasserkraftwerke könnten dank der Speicherung des Überschussstroms besser ausgeschöpft und wirtschaftlicher betrieben werden. Aus überschüssiger Solarenergie oder Windenergie Wasserstoff produzieren und speichern, dann bei einem Stromengpass – etwa nachts oder wenn die Sonne nicht scheint – aus dem Wasserstoff wieder Strom erzeugen: Reversible Elektrolyse heisst dieser Prozess. Durch Elektrolyse lässt sich der Strom in Wasserstoff umwandeln und kann so gespeichert werden. Ein Teil kann in das Erdgasnetz eingespeist werden, wo es fossiles Erdgas ersetzt. Wasserstoff kann auch direkt in den Industriebetrieben das Erdgas als Brennstoff ersetzen. Wenn der Wasserstoff mit erneuerbarem Strom produziert wird, ist er CO2-neutral. Die Technologie gibt es seit Jahrzehnten. Auch der Verkehr, der für einen Drittel der CO2-Emissionen verantwortlich ist, lässt sich gut auf Wasserstoff umstellen. In der Schweiz sind Wasserstoff-Busse und -LKW unterwegs. Sie sind mit Brennstoffzellen ausgerüstet, in denen Wasserstoff und Sauerstoff reagieren und die entstehende Energie den Elektromotor antreibt.
Clifford zur Nieden setzt voll auf Wasserstoff.
werden die potenziellen Technologien dafür als PowertoX bezeichnet. Egal, ob PowertoLiquid, PowertoGas oder PowertoHeat: Noch befindet sich das gesamte Feld in der Entwicklung. Wirklich relevant werden diese Technologien erst dann, wenn erneuerbare Quellen einen höheren Anteil an der Stromerzeugung haben und es darum gehen wird, überschüssige Energie zu nutzen. Noch ist unklar, welcher Weg am effizientesten ist – viel hängt von der weiteren technischen Entwicklung ab. Dänemark ist in dieser Hinsicht ein agiles Land, zumindest auf politischer Ebene, zumal das Engagement für den grünen Wandel erfrischend konkret scheint. Das 2020 verabschiedete dänische Klimagesetz verpflichtet die Regierung, die CO2Emissionen bis 2030 um 70 Prozent zu senken. Ausländische Investitionen sind offenbar ein wesentlicher Bestandteil dieses ehrgeizigen Ziels, das Lösungen, Knowhow und Talente nach Dänemark bringen soll.
Mette Frederiksen dänische Premierministerin
Clifford zur Nieden H2 Energy AG
Clifford zur Nieden und seine Partner handelten rasch und gründeten die H2 Energy Europe, woran auch der Genfer Rohstoffhandelsriese Trafigura mit 50 Prozent beteiligt ist. Trafigura gehört mit einem Umsatz von rund 147 Milliarden Dollar (2020) Dollar zu den weltgrössten Händlern von fossilen Rohstoffen. Der Kauf eines 11 Hektaren grossen Grundstücks in der Nähe von Esbjerg im Norden Dänemarks legte die Basis für eine paneuropäische Expansion. Auf diesem Grundstück ist die grösste PowertoXAnlage Europas geplant. H2 Energy Europe ist Eigentümerin des Projekts, das bereits 2024 in Betrieb gehen könnte. Die Anlage wird Ökostrom in Wasserstoff umwandeln, der direkt in LKW und anderen schweren Landtransportmitteln verwendet werden kann. Das Investitionsvolumen beträgt satte 850 Millionen Schweizer Franken. Laut zur Nieden bietet der Standort Esbjerg optimale Bedingungen für die Produktion von grünem Wasserstoff: «In erster Linie gibt es einen geografischen Vorteil aufgrund der Lage in Bezug auf die OffshoreWindkraft in der Nordsee, ebenso wie eine gute Lage in Bezug auf die Exportmöglichkeiten in grosse Industriegebiete in Deutschland und Nordeuropa, wo in Zukunft ein grosser Teil der Produktion auf Wasserstoffbasis erfolgen soll.» Das Produktionsvolumen liegt in der Grössenordnung von einem GW. Ein paar Hürden sind aber dennoch zu überwinden, denn das eine ist die Produktion von Wasserstoff, das andere dessen Transport für den Übergang zum WasserstoffLKWVerkehr. Ein beschleunigter Bau von WasserstoffPipelines wäre hilfreich, hängt aber vom politischen Willen im jeweiligen Land ab. Clifford zur Nieden ist sich im Klaren: «Solange fossile Rohstoffe noch in grossen Mengen verfügbar sind, werden sie immer billiger sein als nachhaltig hergestellte. Am Ende ist es eine gesellschaftliche Entscheidung, einen Markt für erneuerbare Kraftstoffe zu schaffen.» Er glaubt fest daran, dass sich Wasserstoff am Ende durchsetzen wird, weil die Einsatzmöglichkeiten einfach enorm und vielfältig sind. H2 Energy hat im Zuge der geplanten Produktionsanlage in Dänemark bei Hyundai weitere 10000 LKW in Auftrag gegeben, weil das Unternehmen überzeugt ist, dass sich im Schwertransportwesen Wasserstoff durchsetzen wird. Das Unternehmen wird den in der Schweiz eingeschlagenen Weg weiterverfolgen. Will heissen: Das geplante Tankstellennetz weiter aufbauen, mehr Wasserstoffproduktionsanlagen schaffen und die Logistik effizienter machen. International verändert sich der Energiemarkt momentan stark, und wer mitspielen will, muss sich jetzt in Position bringen. Clifford zur Nieden dazu: «In nicht allzu ferner Zukunft wird der Energiemarkt nicht mehr von den ölproduzierenden Ländern abhängig sein. Dann wird Wasserstoff eine zentrale Rolle spielen – und dann wollen wir dabei sein.» Es geht offensichtlich in Richtung Multiplikation eines bewährten Schweizer Modells.
DAS UNTERNEHMEN
H2 Energy wurde 2014 in Zürich mit der Vision gegründet, eine aktive Rolle im Kampf gegen den Klimawandel zu spielen. Auf nachhaltige und wirtschaftliche Weise will das Unternehmen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zu einem Eckpfeiler des Energiesystems machen, indem es die gesamte Wertschöpfungskette von der Produktion über die Verteilung bis zum Verbrauch ausbaut. H2 Energy ist an der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette beteiligt und bietet Know-how und Engineering für jeden Schritt an. Das Unternehmen kann auf eine langjährige Erfahrung zurückgreifen, insbesondere bei der Errichtung von Wasserstoffproduktionsanlagen, der Einrichtung von Wasserstofftankstellen und der Entwicklung von Wasserstoff-Brennstoffzellenanwendungen.