Kammerer: Aber man kann es einfach tun.

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Am 13. Juni 1969 bittet der Leitungskreis der Aktion Sühnezeichen in der DDR den ARD-Vorsitzenden Klaus von Bismarck in Köln mit einem Brief, auf der Wetterkarte die Oder-NeißeGrenze zu zeigen: „Die von Ihnen während des Wetterberichts ausgestrahlte Landkarte bedeutet eine ständige Provokation des noch immer und zu Recht misstrauischen polnischen Volkes. Das Umdenken der Deutschen, das in hoffnungsvollen Ansätzen zu beobachten ist, wird behindert.“ Am 11. Juli lässt Klaus von Bismarck über Franz von Hammerstein, den Generalsekretär der westdeutschen Aktion Sühnezeichen, den „Kollegen in der DDR“ ausrichten, „dass ich ihnen rundheraus zugestimmt und in diesem Sinne bereits gehandelt habe“. Mit der „Einführung der Farbe in der Tagesschau voraussichtlich am 1. März 1970“ werde die Wetterkarte verändert – allerdings in eine „rein physikalische Karte ohne jede Grenzlinien“.

Umschlaggestaltung: BAR–M.de Fabian Hickethier, Simone Wanner


Gabriele Kammerer Aktion Sühnezeichen Friedensdienste



Gabriele Kammerer Aktion S hnezeichen Friedensdienste Aber man kann es einfach tun Mit einem Vorwort von Christian Staffa Bildredaktion Ulrich Tempel Lamuv


Bitte fordern Sie unser kostenloses Gesamtverzeichnis an: Lamuv Verlag, Postfach 26 05, D-37016 Göttingen Telefax (05 51) 4 13 92, info@lamuv.de, www.lamuv.de 1. Auflage Mai 2008, Originalausgabe © Copyright Aktion Sühnezeichen Friedensdienste / Gabriele Kammerer, Berlin 2008 Alle Rechte vorbehalten. Umschlaggestaltung: BAR–M.de / Fabian Hickethier, Simone Wanner Buchgestaltung: BAR–M.de / Fabian Hickethier, Caroline Menges Herstellung: Westkreuz-Druckerei Ahrens KG, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-88977-684-6


Inhaltsverzeichnis 5

inhalt

Vorwort

7

Zu den Bildern

9

1. Ein Vater, drei Paten – bis 1958

11

Lothar Kreyssig und sein Text 13 Eugen Rosenstock-Huessy: „Miteinander schuften“ 17 Martti Siirala: „Erkrankungen unseres Gemeinschaftsleibes“ 19 Fritz Bauer: „Gerichtstag halten über uns selbst” 23 2. VOM WORT ZUR TAT – die anfänge

Networking, Fundraising: Die Strippenzieher

31

33

Neugier, Opfer, Abenteuer: Die Pioniere 42 Stimmungen, Verstimmungen: Der Grundton

48

3. In die Welt – Die frühen sechziger Jahre

55

Nach innen: Mannschaftsdienste in der DDR 70 Nach oben: Zugänge nach Israel 75 Nach Westen: Die großen Bauprojekte 83 Nach Osten: Blicke und Schritte hinter den Eisernen Vorhang 89 Die politischen Koordinaten 98 4. Umbrüche – Das Jahr 1968

107

Welcher Anspruch? – Sühnezeichen und die Revolution 109 Welcher Frieden? – Sühnezeichen und die AGDF 115 Welcher Sozialismus? – Sühnezeichen und der Prager Frühling 124 5. Frieden macht Arbeit – Die siebziger Jahre

137

Von Alt-Karin bis Weißensee: ASZ als „Sühnezeichen kompakt“ 144 Von Friesenhausen zur Friedenswoche: ASF als Friedensbewegung 153 Der Anschlag von Nablus

159

Von Auschwitz in die USA: ASF und rebellierende Freiwillige

162


6

6. Vorletzte Gefechte – Die achtziger Jahre

Für ein Nein ohne jedes Ja: ASF und die Friedensbewegung

173

180

Geschichte wird besetzt: ASF und die Bewältigung der Vergangenheit 191 Opposition oder taktische Annäherung: ASZ und die DDR 202 7. DER ZUKUNFT AUF DER SPUR – SÜHNEZEICHEN AKTUELL

Sühnezeichen Ost und Sühnezeichen West: Wie weiter nach 1989? Aktion Sühnezeichen und der Golfkrieg: Wie weiter nach 1991?

Endnoten 255 Namensregister 268

221

234

Deutsch, europäisch, international: Wie weiter im 21. Jahrhundert? Anhang

215

243 255


Vorwort 7

Vorwort

Vor fünfzig Jahren wurde Aktion Sühnezeichen gegründet. Mit den Worten „Es ist so wenig Frieden, weil so wenig Versöhnung ist“ bat der ehemalige Amtsrichter Kreyssig die Völker, die unter dem Nationalsozialismus gelitten hatten, um die Erlaubnis, in ihren Ländern etwas Gutes zu tun. Von einigen Deutschen, die auf die zerstörten deutschen Städte und nicht auf die von Deutschen zerstörten guckten, als Vaterlandsverräter beschimpft, begann damit die Geschichte eines freiwilligen Friedensdienstes, der für die deutsche Nachkriegsgeschichte und die Beziehungsgeschichte unserer näheren und ferneren Nachbarn von Bedeutung ist. Seit dieser Zeit sind um die 10.000 Freiwillige in Sommerlagern oder Langzeitdiensten in Ost und West unterwegs gewesen und sind damit aus unterschiedlichen Motiven, aus sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten wie der Bundesrepublik und der DDR und in sehr verschiedene Länder dem Umkehrruf von Lothar Kreyssig gefolgt. Sie waren und sind dabei immer Kinder ihrer Zeit und gleichzeitig gegen den Strom unterwegs. Sie wollten und wollen etwas tun, das diese von der Geschichte geprägte Gegenwart verändert, etwas, was vor dem Abgrund dieser Gewaltgeschichte Gewalt einschränkt, unterbricht, Zuwendung und Empathie sowie Schritte zu einem gerechten Frieden ermöglicht. „Dass unbewältigte Gegenwart an unbewältigter Vergangenheit krankt, dass am Ende Friede nicht ohne Versöhnung werden kann, das ist weder rechtlich noch programmatisch darzustellen. Aber man kann es einfach tun. Quäker, Mennoniten und andere machen es uns schon lange vor.” Mit diesen Worten leitete Lothar Kreyssig die Verlesung der Gründungserklärung vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland am 30. April 1958 ein. Der Akzent liegt auf dem „tun“. Zum einen natürlich, weil eben in der Nazi-Zeit zu wenig vom Richtigen getan wurde, zum anderen, weil tatsächlich der komplizierte, aber lebendige Zusammenhang der eigenen Gegenwart mit der Geschichte im Tun, im Zugehen auf den oder die andere allein erfahrbar wird. Mit diesem Buch, das nun zum 50-jährigen Bestehen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste erscheint, hat Gabriele Kammerer eine


8

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste dankt für die materielle Unterstützung, ohne die dieses Buch nicht zustande gekommen wäre,

große und schmerzhafte Lücke geschlossen. So hat es bis auf „Brücken über Blut und Asche“ (1962 erschienen) keinen Versuch einer umfassenderen Darstellung der Arbeit von ASF gegeben. Diese Erfahrungen bzw. ihre Motive, Rahmenbedingungen, strukturellen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die Organisation, die Vergangenheitspolitiken der beiden deutschen Staaten, die kirchenpolitischen Akzente werden in diesem Buch aufeinander bezogen, was ein mehr als komplexes Unternehmen ist. Da jede Erfahrung und jedes Ereignis viele Perspektiven

der Evangelischen Kirche in Deutschland, Verena und Dr. Franz von Hammerstein, Rudolf Weckerling, Günter Todtenhöfer, Reiner Röhrborn, der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau, Ellen Wagner, Dr. Richard von Weizsäcker, Christa Chen Freyburg, der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayern, Ursula Goldschmidt, der Evangelischen Landeskirche Bremen und der Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland.

zulässt und auch viele Interpretationen erlebte, haben die Autorin und

Herzlicher Dank gilt auch der Druckerei

ich eine Struktur ausgedacht, die versucht, dem gerecht zu werden. So

Westkreuz, die uns auf Nachfrage unseres Öf-

gibt es einen Erzählfaden, der die Geschichte von Aktion Sühnezeichen, die dann seit dem Mauerbau 1961 schon zu zwei Geschichten wird, und Knüpfungen, also Texte, die zu bestimmten im Erzählfaden hervorgehobenen Stichworten Material beisteuern, das eben jene Multiperspektivität darzustellen vermag. Unsere Lieblingsvorstellung ist nun, dass dieser Prozess nach der Publikation des Buches weitergeht. Dass also

fentlichkeitsreferenten, Johannes Zerger, einen Teil der Druckkosten gespendet hat. Aufgrund der Tatsache, dass die Geschichte von Aktion Sühnezeichen so vieldimensional ist, haben wir der Autorin eine Begleitgruppe zur Seite gestellt. Sie sollte ihr – ohne ihre Unabhängigkeit einzuschränken – wichtige Ratschläge geben sowie andere Perspektiven

Menschen, auch solche, die nicht bei ASF mitgetan haben, uns zu be-

und Quellen einbringen. Dieser Gruppe gilt

stimmten Zeiten oder Ereignissen, die in dem Buch beschrieben wer-

unser herzlicher Dank: Ursel Agt, Andrea

den, weitere Beiträge zusenden, Geschichten oder Fotos. Denn auch die Bildergeschichten dieses Buches bilden eine eigene Perspektive ab. Aus der Anlage des Buches und der Komplexität seines Gegenstandes

Koch, Romi Romberg, Volkmar Deile, Jens Pohl, Ulrich Tempel. Sehr zu danken ist Ulrich Tempel, Vorstandsmitglied von ASF, für sein hohes Engagement

wird deutlich, dass es auch in einem so sorgsam und wunderbar zusam-

in Sachen „Bildergeschichte(n)“ dieses

mengestellten Buch nicht gelingen kann, alle Menschen zu nennen, die

Buches. Lisa Lutz kam als Praktikantin gerade

wegen ihres Beitrages zu der Geschichte von ASZ/DDR und ASF/BRD, zu ihrer Einigung bis heute, zu erwähnen gewesen wären. Wir hoffen auf Ihr und euer Verständnis und die Freude und das Interesse daran, dass es gelingen kann, die Geschichte von Aktion Sühnezeichen in einem Fluss zu erzählen und dabei so viele Details einzufangen, durch

richtig, um viele Bilder für das ASF-Bildarchiv einzuscannen. Zu danken ist auch Ursel Müller für die Korrektur des Textes und Karl-Klaus Rabe für das Lektorat und das Verlegen des Buches. Nicht zuletzt danken wir Fabian Hickethier, Caroline Menges und Simone Wanner für

die dieses Buch zu einem großen Erlebnis wird - ein gutes Stück nicht

ihr Mitdenken und die Umsetzung unseres

nur deutscher Nachkriegsgeschichte aus bisher selten beschriebenen

anspruchsvollen Satzkonzeptes.

Erfahrungskontexten. Christian Staffa

Berlin 2008

Gabriele Kammerer dankt Dr. Christa Stache und ihrem Team im Evangelischen Zentralarchiv Berlin, in Magdeburg Daniel Lorek vom Bistumsarchiv und Herrn Felgenträger vom Archiv der (evangelischen) Kirchenprovinz Sachsen, in Dresden Dr. Carlies Maria Raddatz vom Landeskirchenarchiv der EvangelischLutherischen Landeskirche Sachsens und Schwester Elisabeth Haufe vom Diakonissenkrankenhaus sowie Dr. Daniel Gerson vom


Zu den Bildern

9

Archiv für Zeitgeschichte der EidgenössischTechnischen Hochschule Zürich. Von benachbarten Organisationen bereicherten Walter Hättig beim Weltfriedensdienst,

Zu den Bildern

Dagmar Leibner bei der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden und Bertram Schröter vom Service Civil International die Recherche. Aus den Reihen der zu verschiedenen Zeiten bei Sühnezeichen Engagierten standen für

Wie bei vielen Publikationen stellte sich auch bei der vorliegenden die Frage, in welcher Weise der Text durch Abbildungen ergänzt werden

Gespräche zur Verfügung: Rudolf Weckerling,

sollte. In der die Arbeit an der Publikation begleitenden Gruppe bot

Dr. Franz von Hammerstein, Hans-Richard

mir die Autorin an, die Bildredaktion zu übernehmen. In einem län-

und Karin Nevermann, Konrad Weiß, Gabriele

geren Prozess entwickelte sich schließlich die Idee, Themen, zu denen

Weiß, Bernd Karl Vogel, Michael Standera und zahlreiche andere, deren Namen Verheißungen

interessantes Bildmaterial gefunden werden konnte, aus dem Text aus­

bleiben mussten. Neben ihnen steuerten Wolf-

zuwählen und durch zumeist mehrere Bilder zu vertiefen, ähnlich den

gang Brinkel, Volkmar Deile, Jürgen Pieplow,

„Knüpfungen“.

Adelheid Scholten, Hildegart Stellmacher sowie diverse aktuell bei Sühnezeichen tätige ReferentInnen schriftliche Unterlagen bei.

Einige Personen, die auf den Bildern zu sehen sind bzw. direkt mit den Bildinhalten in Beziehung stehen, habe ich gebeten, aus heutiger

Anschluss an die historische Forschung ge-

Sicht einige Sätze zu formulieren. Ich bin allen Kurz-Text-Autoren, die

währten Kontakte zu Dr. Hartmut Ludwig von

als solche namentlich vermerkt sind, ausgesprochen dankbar für ihre

der Humboldt-Universität Berlin, Dr. Claudia

Bereitschaft zur Mitwirkung.

Lepp von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte in

Andere Sühnezeichen-Verbundene präsentierten mir, zum Teil am

München, Dr. David Doellinger (Monmouth,

häuslichen Wohnzimmertisch, ihre Bildüberlieferung, versorgten

Oregon), Helene Grünecker (München), Dr. des.

mich mit den wichtigsten Informationen und überließen mir die For-

Anton Legerer (Wien/Florenz) und Dr. Marc-

mulierung der Bildunterschrift. Auch ihnen herzlichen Dank, ebenso

Dietrich Ohse (Hannover). Persönlicher Dank gebührt Jan und Olga Krebs für Unterstützung, Ablenkung und Freigabe.

den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der ASF-Geschäftsstelle, den Angehörigen der Begleitgruppe, die mir eine Vielzahl von Kontaktdaten zur Verfügung stellten, und den Archiven und anderen Institutionen. Fotografien, aber auch Cartoons und Plakate, besaßen in den gesamten 50 Jahren der Sühnezeichen-Geschichte die Aufgabe, die Anliegen der Organisation zugespitzt zu verdeutlichen. Dabei wurden teilweise ganze eigene Bildwelten geschaffen, die nicht unbedingt identisch sind mit der privaten Überlieferung der Aktiven. Diese beiden Traditionslinien in einen Dialog zu bringen war ein Anliegen der Bildauswahl. Ulrich Tempel

Berlin 2008



1. Ein Vater, drei Paten – bis 1958

1. ein vater, drei paten bis 1958

Lothar Kreyssig in einer Synodensitzung im Johannesstift Berlin-Spandau. Eine genaue Jahreszuordnung ist nicht möglich (Evangelisches Landeskirchliches Archiv Berlin, Bestand 7.03 / Personen A-Z).


12

Wir bitten um Frieden Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und schon damit mehr als andere

kapitel 1. Ein Vater, drei Paten – bis 1958

unmessbares Leiden der Menschheit verschuldet; Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen von Juden

Die Idee lag nicht im Trend. Seit mittlerweile dreizehn Jahren bemühten sich die Deutschen, die Folgen des Krieges zu vergessen oder wegzuschaffen. Sie bauten auf,

umgebracht. Wer von uns Überlebenden das nicht gewollt hat, der hat nicht genug getan, es zu verhindern. Wir haben vornehmlich darum noch keinen

richteten sich ein und waren in ihren beiden Staaten schon lange Be-

Frieden, weil zu wenig Versöhnung ist. Drei-

standteil der neuen weltpolitischen Polarität geworden. Die Nachkriegs-

zehn Jahre sind erst in dumpfer Betäubung,

zeit hatte die Herrschaft der Nazis an Dauer bereits übertroffen, als Lo-

dann in neuer angstvoller Selbstbehauptung vergangen. Es droht zu spät zu werden. Aber

thar Kreyssig im April 1958 in die erinnerungspolitische Offensive ging.

noch können wir, unbeschadet der Pflicht zu

Junge Deutsche, so schlug der Jurist und engagierte Christ den Syno-

gewissenhafter politischer Entscheidung, der

dalen der Evangelischen Kirche in Deutschland vor, sollten für ein Jahr ins Ausland gehen, um dort beim Bau gemeinnütziger Einrichtungen zu helfen. Diese Einsätze sollten Tat gewordene Bitten um Versöhnung sein; ihr Ausgangspunkt war ein klares Schuldbekenntnis: Deutsche tragen die Verantwortung für den Beginn des Zweiten Weltkriegs und den Mord an Millionen von Juden. Kreyssig selbst war äußerst nervös. Es war weniger die mögliche per-

Selbstrechtfertigung, der Bitterkeit und dem Hass eine Kraft entgegen setzen, wenn wir selbst wirklich vergeben, Vergebung erbitten und diese Gesinnung praktizieren. Des zum Zeichen bitten wir die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun, ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein Kranken-

sönliche Blamage, die ihn schreckte. Den Aufruf zur späteren „Aktion

haus oder was sie sonst Gemeinnütziges wollen,

Sühnezeichen“ empfand er als einen Auftrag, der auf solche Eitelkeiten

als Versöhnungszeichen zu errichten.

keine Rücksicht nahm. „Erst am Vorabend der Synode wurde ich, so wie man es nur selten erlebt, gewiss, dass es jetzt geschehen müsse“,

Lasst uns mit Polen, Russland und Israel beginnen, denen wir wohl am meisten wehgetan haben.

erklärte er später.1 Ihn trieb vielmehr die Sorge um, dass sich ange-

Wir bitten heute, Deutsche die Deutschen, dass

sichts seines konkreten Vorschlags die Geister scheiden würden, dass

sich um Gottes willen arbeitsfähige Männer

seine Landsleute jetzt explizit ablehnen könnten, was sie bislang einfach umgangen hatten: die konstruktive Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Auf die Umsetzung seiner Idee – mit der er seit Jahren schwanger ging – sollte Lothar Kreyssig noch etwas warten. Bis die ersten Freiwilligen das Licht der weiten Welt erblickten, verging noch ein ganzes Jahr. Es sei ein „überlanger Geburtsvorgang“2 gewesen, stöhnte Lothar Kreyssig, der sein Lebenstempo selbst einmal als „Allegro furioso“ 3 beschrieben hat.

aller Stände und Konfessionen bereit finden möchten, je auf ein Jahr nach Polen, Russland oder Israel zu gehen, um dort gemeinsam ein Friedenszeichen zu errichten. Auch Frauen werden zur Mitarbeit gebraucht. Wer es für seine Person nicht vermag, bekenne sich zur Versöhnungstat durch ein Geldopfer, welches zur Beschaffung des Materials, des Unterhalts für die Arbeitenden und zur Bestreitung der Unkosten dienen wird. Eine Zahlstelle wird nach Erlangung der Sammlungsgenehmigung durch Presse und Rundfunk bekannt gegeben.

Den Umständen dieser Geburt ist das folgende Kapitel gewidmet.

Als Entgelt soll jeder Teilnehmer erhalten,

Vorgestellt werden der Vater der Aktion Sühnezeichen und drei Figuren,

was er für seinen Unterhalt und die Reise benötigt. Wird das Werk in einem Jahr nicht fertig, so werden andere für ein weiteres Jahr aufgerufen. Mindestalter 17 Jahre. Der Meldung ist ein ärztliches Zeugnis über Gesundheit und Arbeitsfähigkeit beizufügen. Minderjährige bedürfen zur Meldung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters.


KApitel 1. Ein Vater, drei Paten 13

Der Dienst soll Deutsche aus der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik vereinen. Wir bitten die Regierungen Polens, der UdSSR und Israels, den Dienst, wie viele sich immer

die als ihre Paten gelten könnten. Was wollte Lothar Kreyssig? Welche

dazu bereit finden möchten, nicht als eine

Vorbilder gab es? Welcher Kontext bestimmte die Gründung? Neben

irgendwie beträchtliche Hilfe oder Wiedergut-

den Richter aus Brandenburg treten ein deutsch-amerikanischer Sozio-

machung, aber als Bitte um Vergebung und Frieden anzunehmen und zu helfen, dass der

loge, ein finnischer Psychiater und ein hessischer Staatsanwalt.

Dienst zustande kommt. Wir bitten die Regierungen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik, die Aktion zu gestatten und zu fördern. Meldungen und Anschreiben an „Aktion

Lothar Kreyssig und sein Text

Wenig länger als vier Minuten dürfte Lothar Kreyssig an jenem Nach-

Versöhnungszeichen“ für DDR und Ost-Berlin:

mittag des 30. April 1958 gebraucht haben, um die Skizze seines ver-

Berlin C 2, Friedrichsgracht 53, für Bundesre-

wegenen Projektes vorzutragen. Einige einleitende Sätze schickte er

publik und West-Berlin: Berlin-Charlottenburg,

dem Gründungsaufruf voraus – der dann folgende Urtext der christli-

Jebensstraße 3. Lothar Kreyssig, Gründungsaufruf der „Aktion

chen Friedensinitiative umfasst nur anderthalb Seiten. Eine Abstim-

Versöhnungszeichen“, verlesen vor der Synode der

mung der Synode als ganzer war von vornherein nicht vorgesehen,

EKD in Berlin-Spandau am 30.4.1958, Manuskript,

Lothar Kreyssig bat die versammelten Christenmenschen um ihre

EZA 97/1069.

Unterstützung. 79 von 120 kamen seiner Bitte nach und signierten den Aufruf.

„Wenn es zutrifft, was unsere Teilnehmerliste

Diese legendäre Unterschriftenaktion als Geburtsstunde der Aktion

besagt, dass Sie Seemann sind, so beglückwün-

Sühnezeichen ist allerdings eine Verdichtung der wirklichen Abläufe.

sche ich Sie mit besonderer Anteilnahme. Von

Nicht nur, dass es eine weithin unbekannte Nachgeschichte gab: Die

Kindesbeinen an war dies und nichts anderes mein erwählter Beruf. Bis heute habe ich eine

Unterschriften waren erst zwei Wochen nach der Synode komplett –

abgöttische Liebe zum Meer, das mir als die

Kreyssig hat allen den Aufruf in hektographierter Fassung noch einmal

Urflut, als Abbild der Unendlichkeit mehr

zugeschickt, 43 Angesprochene entschlossen sich erst jetzt.

besagt und bedeutet als das höchste Gebirge. Als die weiland kaiserliche Marine mich 1916 nicht nahm, weil die Offizierstradition in

Auch der Vorlauf war beträchtlich. Vielleicht war es dem 1898 Geborenen ja beschieden, seiner Zeit voranzueilen – so wie er dem Jahrhun-

meiner Familie nicht überzeugend genug war,

dert stets zwei Jahre voraus war. Den Gründungsaufruf jedenfalls (der

war ich mit aller Welt zerfallen. Gott hat dann

in seiner Knappheit und Gradlinigkeit unter den sonst eher barock-

eine eigene Weise, einen gelegentlich durchs

ausladenden Texten des Vielschreibers eine auffällige Sonderstellung

Schlüsselloch blicken zu lassen, inwiefern Er doch und allein Recht hat. Ein solcher Augenblick kam zum Leipziger Evangelischen

einnimmt) hatte Lothar Kreyssig schon lange zu Papier gebracht. Zunächst hatte er den Kirchentag im Blick. Als sich die protestanti-

Kirchentag, als ich als Kommandant der in

sche Laienbewegung 1954 in Leipzig versammelte, hatte Kreyssig den

dieser Lage mit Abstand schwierigen und pro-

Aufruf bereits in der Tasche; verlesen hat er ihn dann doch nicht: „Ich

blematischen Arbeitsgruppe III Politik auf dem Podium stand. Plötzlich war dieses Podium, um welches herum die Arbeitsgruppenleitung vor mehr als 7.000 Zuhörern saß, eine Kommandobrücke. Wie ein Stichwort Gottes fiel es in mich hinein: ‚Panzerkreuzer Arbeitsgruppe III‘. Ein Jugendtraum war erfüllt, wenn auch unvergleichlich anders, als ich selbst es immer verstanden hatte.“ Geburtstagsbrief Lothar Kreyssig an den Freiwilligen Jürgen Richert, 13.8.1964, EZA 97/407.

bekam damals die Brüder im Präsidium und in Arbeitsgruppe 3 (Recht und Politik), die ich selber leitete, nicht dazu, wiewohl jener Kirchentag in jeder Weise als geeigneter Start erschien.“4 Vier Jahre musste Kreys-


14

Die Riege der Gesinnungsgenossen, die Kreyssig vor 1958 konsultiert hat, ist nicht vollständig zu rekonstruieren. Einige Hinweise in späteren Briefen und Texten seien hier

sig sich noch gedulden – eine Zeit, die er allerdings genutzt hat: „Ich

wiedergegeben – auch weil sie zeigen, wie weit

habe die Sache danach mit vielen Gesinnungsgenossen, gerade wenn

gespannt das Netz seiner Beziehungen war.

sie kritischer denken als ich, fleißig besprochen. Sie hat mich als eine notwendige, noch immer aufgetragene Sache ununterbrochen weiterbegleitet.“

Hans Heinrich Harms, tätig in der Genfer Zentrale des Ökumenischen Rates der Kirchen, später Pastor von Hamburg und Bischof von Oldenburg, erhielt im November 1958 einen

Lothar Kreyssig hatte eine Mission. Sie lässt sich bis ins Jahr 1945 zu-

Brief, aus dem hervorgeht, dass er den Aufruf

rückverfolgen, dieses Datum taucht in seinen Texten immer wieder auf.

schon vor April gekannt und unterzeichnet

Schuldbekenntnisse der Deutschen hat es nach dem Ende des Zweiten

haben muss (EZA 97/1069). Im Heft Januar 1959 der Kommunität. Vierteljah-

Weltkriegs bald gegeben, aber Kreyssig vermisste praktische, mithin

reshefte der Evangelischen Akademie (Berlin), ist

sichtbare Konsequenzen einer Sinnesänderung. Anfang 1959 schreibt er:

auf S. 48 ein Statement des Herausgebers Erich

„Das Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 hat in der allgemeinen Betäubung jener Jahre keine durchgreifende Klärung ausgelöst. Viele zwar fühlen sich durch dieses Zeugnis, dessen erster Aufklang nur der Entfaltung

Müller-Gangloff zu lesen, das mit dem Absatz endet: „Wir glauben, dass wir hier einen ganzen Einsatz schuldig sind. Wir können es nicht besser als mit den Worten sagen, die der verstor-

bedurft hätte, noch heute befreit und untereinander verbunden. Weit mehr

bene katholische Bischof Weskamm von Berlin

Menschen aber haben es sich ausdrücklich verbeten. Die meisten haben es

vor zwei Jahren zu Präses Kreyssig sprach, als

ignoriert oder gar nicht aufgenommen, wiewohl keiner sich geweigert hat, den Strom von Hilfe anzunehmen, der aus der Weltchristenheit auf dieses

dieser ihm seine Pläne entwickelte. Er sah ihn mit dem, wie Kreyssig sagt, unbeschreiblichen Blick seiner gütigen und strahlenden Augen an

Bekenntnis antwortete. Zu den Völkern aber, die ganz unmittelbar unter

und sagte: ‚Das tut nur, wer es muss.‘“

uns gelitten haben, ist kaum etwas gedrungen, was sie als Zeichen wirkli-

Einen ähnlichen Kommentar hat der Berliner

cher Einsicht hätten ansehen können.“5

Pfarrer Heinrich Grüber, bekannt durch seine Hilfe für verfolgte Judenchristen, Kreyssigs

Zeichen wirklicher Einsicht – dass hier zuallererst die Christen gefragt

eigenem Bericht zufolge schon 1954 gemacht:

sind, ist für Lothar Kreyssig selbstverständlich. Sie wissen schließlich

„Das hat Ihnen der Heilige Geist eingegeben“

um die Möglichkeit der Vergebung von Sünden: „Uns ist in der Vergebung, die Christus ein für alle Mal für uns erworben hat, Versöhnung mit Gott, Heilung und Frieden als neues, ursprüngliches

(nach Konrad Weiß, a.a.O., S. 331). Am 15. Dezember 1963 schließlich erwähnt Lothar Kreyssig in einem Rundbrief die Protestantin Ilse Friedeberg vom Ökumenischen

Leben angeboten, und das wiederum mit heilender Wirkung für Menschen

Institut in Bossey bei Genf: „Eine Freundin

und Geschöpfe untereinander.“6

unseres Dienstes von kaum vergleichlicher

Von diesem göttlichen Angebot ist Kreyssig wie besessen. „Aktion Ver-

Weite der ökumenischen Beheimatung, hat sie Sühnezeichen aus vorgeschichtlichen

söhnungszeichen“ wollte er seine Initiative ursprünglich nennen. Erst

Anfängen fürbittend und ratend mit ins Leben

ein Gespräch mit Erich Müller-Gangloff, dem Direktor der Berliner

geleitet“ (EZA 97/407).

Evangelischen Akademie, macht ihm die Anmaßung einsichtig, die in diesem Titel liegt. Kreyssig notiert im Juli 1958: „Er schlägt vor, die Aktion allmählich als Sühnezeichen umzubenennen und begründet es einleuchtend damit, dass Sühne vom Schuldigen ausgeht, während


KApitel 1. Ein Vater, drei Paten 15

Albrecht Haushofer, als Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten im April 1945 ohne Verfahren hingerichtet, hat im Gefängnis Gedichte geschrieben, die nach seinem Tod als Moabiter Sonette veröffentlicht wurden. Franz von Hammerstein, der ebenfalls im Umfeld des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 verhaftet wurde und Gestapo-Haft und Konzentrationslager überlebte, zitiert daraus im Jahr 1994 das Gedicht Schuld: Ich trage leicht an dem, was das Gericht mir Schuld benennen wird: an Plan und

Versöhnung wesentlich zweiseitig und ohne Zustimmung des Verletzten als Zeichen nicht zu denken ist.“7 Versöhnung zwischen Menschen, das muss Kreyssig lernen, ist ein komplexes, ein störbares Unterfangen. Von der möglichen Versöhnung des Menschen mit Gott geht er unbeirrbar aus – auch nach den Erfahrungen von Krieg, Diktatur und Völkermord. Sein Glaube hatte ihn vor 1945 in den Widerstand geführt. Als Vor-

Sorgen.

mundschaftsrichter in Brandenburg an der Havel fiel ihm auf, dass im-

Verbrecher wär ich, hätt ich für das Morgen

mer mehr seiner behinderten Mündel in Anstalten starben. Kreyssig re-

des Volkes nicht geplant aus eigener Pflicht. Doch schuldig bin ich, anders als ihr denkt, ich musste früher meine Pflicht erkennen,

cherchierte, protestierte und erhob schließlich Anzeige wegen Mordes gegen den Leiter des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms.

ich musste schärfer Unheil Unheil nennen –

Dieser Einsatz gegen die Vernichtung des als „lebensunwert“ erachte-

mein Urteil hab ich viel zu lang gelenkt ...

ten Lebens war höchst riskant. Dass Kreyssig „nur“ seines Amtes ent-

Ich klage mich in meinem Herzen an:

hoben wurde, war der glimpflichst denkbare Ausgang. Fortan widmete

Ich habe mein Gewissen lang betrogen,

er sich seinem Bauernhof, den er zu einer christlichen Lebensgemein-

ich habe mich selbst und andere belogen – ich kannte früh des Jammers ganze Bahn – ich hab gewarnt – nicht hart genug und klar! Und heute weiß ich, was ich schuldig war ... Franz von Hammerstein erläutert: „Diese Verse

schaft ausbauen wollte, und der Bekennenden Kirche. Auch die Gründung der Aktion Sühnezeichen ist ein Glaubensakt. Im menschlichen Engagement soll sich Gottes Gnade spiegeln. Dieser Gnade, so ist Lothar Kreyssig überzeugt, bedürfen alle Menschen, auch

leiteten Harald Poelchau und mich, die wir bei-

die, die vermeintlich „auf der richtigen Seite“ standen. Im Gründungs-

de überlebt hatten, zur Aktion Sühnezeichen“

aufruf entzieht er jedem Versuch der Selbstrechtfertigung den Boden:

(Franz von Hammerstein, Vom Widerstand zum

„Wer von uns Überlebenden das nicht gewollt hat, der hat nicht genug

Sühnezeichen. Die Geburtswehen gemeinsamer Erneuerung, in: zeichen 3/1994, S. 4 f., hier S. 4).

getan, es zu verhindern.“ Die richtige Haltung reicht also nicht aus, auf die Handlung kommt es an – und letztlich sogar auf deren Erfolg. Der knappe Satz richtet einen harten Maßstab auf, an dem gemessen jeder schuldig wird, sogar wer im Widerstand sein Leben riskiert hat. Alle Überlebenden stehen vor einer unbedingten ethischen Verpflichtung: „Im heilsamen Staunen, dass man übrig geblieben sei, steckt die Frage: Wozu eigentlich? Was ist der Sinn der damit angebotenen, aber auch verlangten neuen Zukunft?“8 Lothar Kreyssig nimmt die „Gemeinde Gottes“ in die Pflicht. Noch vor der Aktion Sühnezeichen hat er eine „Aktionsgemeinschaft für die Hungernden“ gegründet und die reichen Christen auf die Armut des Südens hingewiesen. Die Kirche ist dem Juristen Kreyssig seit 1945


16

„Die unter uns bestehenden Gegensätze in der Beurteilung der atomaren Waffen sind tief. Sie reichen von der Überzeugung, dass schon die

auch beruflich zur Heimat geworden. Die Fülle seiner verschiedenen

Herstellung und Bereithaltung von Massenvernichtungsmitteln aller Art Sünde vor Gott

haupt- und ehrenamtlichen Funktionen – er war Präses der Synode

ist, bis zu der Überzeugung, dass Situationen

der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg, Präses der Generalsynode

denkbar sind, in denen in der Pflicht zur Ver-

der Evangelischen Kirche der Union (EKU), deren Kirchenkanzlei er außerdem einige Jahre vorstand, Vertreter der Kirchen der DDR beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, Mitglied von Rat und Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) – fassen nicht nur die Zeitgenossen gern in einem Wort zusammen, das ihm zu einer Art zweiten Vornamen geworden ist: „Präses“.

teidigung der Widerstand mit gleichwertigen Waffen vor Gott verantwortet werden kann. Wir bleiben unter dem Evangelium zusammen und mühen uns um die Überwindung dieser Gegensätze. Wir bitten Gott, er wolle uns durch sein Wort zu gemeinsamer Erkenntnis und Entscheidung führen.“ Schlusspassus der so genannten Ohnmachtsformel

Für seine Initiativen hat Lothar Kreyssig gerne auf kirchliche Infra-

der EKD-Synode vom April 1958, zitiert nach: Karl

struktur, also Büroräume, Schreibkräfte, Sachmittel, die ihm als Kir-

Herbert, Kirche zwischen Aufbruch und Tradition.

chenmann zur Verfügung standen, zurückgegriffen. Als kirchliche Initiativen im engeren Sinne hat er sie dennoch nicht verstanden – er versuchte als Christ seine Glaubensgeschwister anzustiften. Die Laienbewegung Kirchentag hätte er deshalb der Synode als Gründungsforum Sühnezeichen vorgezogen. Dabei passte der Aufruf zur EKD-Synode 1958 wie die Faust aufs Auge – in des Sprichworts bester Ambivalenz: Das beherrschende Thema des fünftägigen Treffens war das Ringen um eine christliche Haltung zu atomaren Waffen. Die in Berlin versammelten Kirchenvertreter mussten einsehen, dass sie der Blockbildung und der Aufrüstung nichts entgegenzusetzen vermochten. Ihr Versuch, zu einer gemeinsamen Erklärung gegen die gerade erst vom Bundestag beschlossene Atombewaffnung der Bundeswehr zu kommen, scheiterte. Die mühsame Diskussion darum ging dem Kreyssigschen Auftritt unmittelbar voraus. Es folgte das Abendessen – und dann die zweite realpolitische Entscheidung dieser Synode: die mehrheitliche Zustimmung zum Militärseelsorgevertrag der EKD mit der Bundesregierung. Wie naiv war vor diesem Hintergrund Lothar Kreyssigs Vorschlag? Setzte er auf entwaffnenden jugendlichen Tatendrang gegen den atomaren Wettlauf, auf „Massenverständigungsmittel gegen Massenvernichtungsmittel“9? Wer genau hinhörte, konnte erkennen, dass es ihm gerade nicht um ein Alibi ging. Der kleine Einschub

Entscheidungsjahre nach 1945, Stuttgart 1989, S. 283.


KApitel 1. Ein Vater, drei Paten 17

Den Verdacht einer Flucht hatte zunächst der Synodale Helmut Gollwitzer. Seine Bedenken beschreibt er im Rückblick folgendermaßen: „Da werden jetzt alle, die auf verschiedenen Fronten standen, gegeneinander standen,

im Gründungstext mutet heute eher rätselhaft an: „unbeschadet der

gerne zustimmen, denn da können wir uns

Pflicht zu gewissenhafter politischer Entscheidung“. Damals war die

doch einigen: Der vergangene Krieg war so

Pointe klar: Mit diesen Worten schnitt Kreyssig jedem potenziellen Un-

schrecklich, und wir Deutschen hatten so viel Schuld auf uns geladen – auch darüber war kein Zwiespalt in der Synode – , und da muss etwas geschehen, und das ist ein wunderbares Zeichen, wenn junge Deutsche das machen werden.“ Helmut Gollwitzer hat schließlich unterschrieben – offensichtlich eher trotz als

terzeichner die Flucht aus der politischen Verantwortung in die konsensfähige Graswurzel-Aktion ab. Politik machen wollte Kreyssig nicht, Politik vorbereiten und begleiten sehr wohl. Sein Vorhaben bewege sich „unterhalb und oberhalb der politischen und ideologischen Positionen“, erklärte er ein knappes Jahr

wegen des Atomstreits. Ausschlaggebend war

später.10 Damit beschrieb er treffend den doppelten Zugriff des Grün-

letztlich die Person Lothar Kreyssig und seine

dungsaufrufs: Neben ganz konkreten Passagen (ärztliche Atteste oder

unzweideutige politische Haltung: „Es ist

die elterliche Zustimmung bei minderjährigen Freiwilligen betreffend)

ganz klar, dass nur er mich dazu überzeugen konnte, von dem ich wusste, dass er in der

findet sich hier eine Zeitanalyse von fast eschatologischem Ernst: „Es

Atomwaffenfrage klar und deutlich auf unserer

droht zu spät zu werden“, mahnt der Text die Deutschen. Lothar Kreys-

Seite stand“ (Zitate aus einem Gespräch von

sig war ein Macher und ein Mahner. Zwischen Praxis und Deutung

Helmut Gollwitzer mit Volker von Törne im Juni

spannte er die Aktion Sühnezeichen.

1979, geglättete Abschrift, EZA 686/752 [Nachlass Gollwitzer]). Sühnezeichen als Gegenposition zur atomaren Aufrüstung – diese Deutung der komplexen Gründungsgeschichte gewann in den achtziger Jahren an Raum, nachdem Aktion Sühnezeichen zu einem wichtigen Akteur in der west-

Eugen Rosenstock-Huessy: „Miteinander Schuften“

„Das Nein zum Kriege kann höchstens Platz machen für ein anderes Ja“, schrieb Eugen Rosenstock-Huessy 1965.11 Da stand er am Ende ei-

deutschen Friedensbewegung geworden war.

nes langen Lebens, das er der Suche nach diesem anderen Ja gewidmet

Der betagte Gründer selbst stellte jetzt rückbli-

hatte. Wie können Grenzen zwischen Völkern und Weltanschauungen

ckend die Aufrüstung als direkte Motivation

friedlich überwunden werden?,  fragte der Rechtshistoriker und Sozio-

für seinen damaligen Vorstoß dar: „Wer anders sollte die Deutschen gegen das heraufziehende

loge. Mit seinen Antworten kam er dem Anliegen des Lothar Kreyssig

Verhängnis des Atomtodes zur Obhut eines der

sehr nahe. Wie für diesen, so stand auch für Rosenstock-Huessy außer

Bedrohung entsprechenden Friedens rufen?“

Zweifel, dass Friede eine Frage der Praxis ist:

(Brief Lothar Kreyssig an Helmut Gollwitzer am 7.10.1981, unmittelbar vor der großen Bonner Hofgarten-Demonstration gegen den NATO-Dop-

„Das alte ‚ora et labora‘ ist eine Tatsache der Menschheit. Es geht nicht, dass man mit jemand, wie es heute so billig heißt, ins Gespräch kommt; man hat

pelbeschluss, an der Kreyssig zwar nicht persönlich

sich nur etwas zu sagen, wenn man zueinander gehört oder miteinander ge-

teil-, aber regen Anteil nahm, EZA 686/752).

schuftet hat. [...] Nach getaner Arbeit kann man reden, weil man gemeinsam unter dieser Arbeit gelitten und bei dieser Arbeit sich zusammengerauft hat.“12 Dieser Primat der Praxis war keine reine Theorie. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte der junge Wissenschaftler die Idee von Arbeitslagern,


18

„Eugen Rosenstock-Huessy, der unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg die ersten Aufbaulager organisiert hatte, ließ nach dem Zweiten

in denen Freiwillige in der Gemeinschaft „leben üben und leben lernen“

Weltkrieg manchmal sein Katheder und seine Zuchtpferde in Vermont, kam nach Berlin und

sollten. Als Professor in Breslau konnte Rosenstock-Huessy diese Idee

beschimpfte uns ob unseres schwerfälligen

ab 1926 in die Tat umsetzen. Mehrwöchige Lager führten junge Arbeiter,

Verstandes im Blick darauf, was die Stunde ge-

Bauern und Studenten zu gemeinnütziger Arbeit und gemeinsamem Lernen zusammen. Das Modell machte Schule in anderen Gegenden Deutschlands: „Unser schlesisches Muster erwies sich als unwiderstehlich“, notiert Rosenstock-Huessy stolz.13 Nachdem der zum Protestantismus konvertierte Jude 1933 in die USA emigriert war, wirkte er dort am Aufbau eines zivilen Arbeitsdienstes mit. Als „Piraten“ hat er die Freiwilligen einmal bezeichnet – als Menschen, die etwas ausprobieren, denn griechisch „peira“ heißt „der Versuch“. Rosenstock-Huessy, der im Laufe seines Lebens in der Industrie, in der Wissenschaft, in der Erwachsenenbildung tätig gewesen war

schlagen habe. Erich Müller-Gangloff bot ihm die Evangelische Akademie als Plattform. Ihnen ebenbürtig im Durchschauen der Geschichte, manchmal aber etwas voraus im Begreifen der heute und hier fälligen praktischen Entscheidung war Präses Lothar Kreyssig. Selten wohl hat es in der neueren Kirchengeschichte ein so Funken sprühendes Inspirationsgemisch gegeben. Wie konnte man da nein sagen?“ Wilfried Warneck, Warum ich mich engagierte, in: WFD-Querbrief 3/1989 (Sonderausgabe der Vierteljahresschrift des Weltfriedensdienstes zu dessen 30-jährigem Bestehen, September 1989), S. 32.

und schließlich im amerikanischen Nordosten Soziallehre unterrich-

Warneck war lange Jahre Geschäftsführer des

tete und Pferde züchtete, provoziert genüsslich das Bürgertum: „Der

„Weltfriedensdienstes“ – einer Rosenstockschen

Pirat verliert ja womöglich seine Pensionsansprüche. Was für ein Scheusal!“14 Wer jetzt allerdings an Abenteuer und Romantik denkt,

Wortschöpfung, die, bevor sie eine deutsche Nichtregierungsorganisation mit Büro und Personal bezeichnete, der Arbeitstitel einer

liegt falsch. Der Friedensdienst als Piraterie – damit meint Rosenstock-

Unternehmung war, die Sühnezeichen mit

Huessy einen radikalen Einsatz, ein echtes Opfer an Lebenszeit.

dem Schweizer „Christlichen Friedensdienst“

„Wisst ihr wohl, was verloren geht, wenn der Krieg abgeschafft wird, und

und dem „Service Civil International“ verband. Ende 1959 planten die drei Organisationen bei

wenn die ernsten Werte nicht mehr danach eingestuft werden, wie viel an

einer Tagung der Evangelischen Akademie

Leben ein Mensch für sie zu opfern bereit ist? ‚Und setzet ihr nicht das Leben

Berlin einen gemeinsamen Arbeitseinsatz

ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein.‘ Bleibt das nicht wahr? [...] Jeder Akt, bei dem ich bereit bin, mein Leben einzusetzen, kommt dem Krieg nahe. Auch die Liebe sinkt zum Spiel herunter, wenn nicht das Leben einge-

in Griechenland (an dieser Tagung konnte Rosenstock-Huessy aus familiären Gründen allerdings nicht teilnehmen).

setzt wird.“15 In seiner Geschichte der freiwilligen Friedensdienste erzählt Rosenstock-Huessy auch von den „zertretenen Keimen“: von verhinderten Ansätzen oder Perversionen der Idee in sozialen Pflichtdiensten. Viele

„Bringen die Jungen und Mädchen zu Beginn eines jeden Lagers das große Opfer auf, dass sie ihre Stellung und berufliche Sicherheit im Stich lassen, so sollte die Aktion nach Beendi-

Keime allerdings gingen auf. In der Nachkriegszeit entwickelt sich eine

gung des Lagers das Opfer auf sich nehmen, in

internationale Szene freiwilliger Friedensdienste. In Deutschland ist

der Regel die Jungen oder Mädchen nicht wie-

nicht nur Rosenstock-Huessy mit Büchern und Vorträgen präsent. Von

der zu verwenden, obwohl sie sich gerne dazu bereit erklären und eventuell gerade Facharbei-

Genf aus koordiniert der Ökumenische Rat der Kirchen „Aufbaulager“

ter gesucht werden. Es liegt auf der Hand, dass

verschiedener Freiwilligenorganisationen, und die amerikanischen

ein Gruppenleben sehr viele Annehmlichkeiten mit sich bringt. So zum Beispiel keine Sorge um das tägliche Brot und den Stellungskampf am Arbeitsplatz. Die Wäsche wird fix und fertig gemacht, die Mahlzeiten stehen fertig auf dem Tisch, bei der Arbeit wird keiner übervorteilt. Das alles sind Dinge, die sehr zur Bequemlichkeit verführen und den jungen Menschen


KApitel 1. Ein Vater, drei Paten 19

schnell dem normalen Leben entwöhnen. Ich sehe die Gefahr, dass bei zu langer Dauer solch einer Verwöhnungssituation die Eingewöhnung in den Arbeitsprozess beachtliche Schwierigkeiten bereiten kann. Deshalb sollte

Friedenskirchen bieten ihre Hilfe an. Als ehemalige Feinde, mehr noch:

jeder vor einer Wiederverwendung mindestens

als Aggressoren erleben die Deutschen ökumenische Hilfe. Hier haben

ein halbes Jahr im Beruf arbeiten.“

sie eine Dankesschuld abzutragen.

Lutz Conradi (Gruppenleiter), Nachlese zu St. Cyr, 9.9.1962, EZA 97/692.

Die Wurzeln dieser Dankbarkeit reichen allerdings noch weiter zurück. Schon Menschen und Gruppen, die Widerstand gegen das deutsche Nazi-Regime geleistet haben, haben Visionen einer friedlichen

In den Briefen des Lothar Kreyssig fällt die oft kriegerische Wortwahl auf. Von „Aufmarsch“, „Truppen“ und „Kommandobrücke“ ist da die

Welt entworfen und zum Teil gelebt. Noch einmal lässt hier Eugen Rosenstock-Huessy grüßen. Seine schlesischen Arbeitslager der Zwi-

Rede, und wenn ein Werbe-Faltblatt besonders

schenkriegszeit haben die Widerstandsgruppe des 20. Juli 1944 um Hel-

gut gelungen ist, heißt es: „Nach dem Sieg

mut James von Moltke, deren räumliches Zentrum sein schlesisches

bindet den Helm fester!“

Gut Kreisau war, entscheidend geprägt.

Diese Bilder lassen sich mit Humor nehmen – wie Kreyssig selbst es einmal vorschlägt, wenn

Mit seiner Idee freiwilliger Friedensdienste traf Lothar Kreyssig also

er im Juni 1960 an Gruppen-Verantwortliche im

auf eine bestehende Szene internationaler Versöhnungsarbeit. Wie sehr

Ausland schreibt: „Meine Herren Kommandeu-

er allerdings bei aller Inspiration ein Einzelkämpfer gewesen ist, zeigt

re, liebe Brüder, gestatten Sie diese erste Zeile

der Brief, den er kurz nach der Synode an Martin Niemöller schrieb.

der Anrede, damit wir uns nicht übertrieben ernst nehmen. Wenn Sie sie nicht militaristisch

Vielleicht könne ja der Versöhnungsbund, wo er Niemöller in leitender

missverstehen wollen, denken Sie bitte an die

Funktion vermutete, helfen, den Gründungsimpuls umzusetzen, taste-

Heilsarmee. Sie hat ein biblisches Recht zu

te Kreyssig vor – um gleich einschränkend hinzuzufügen:

ihrem Habitus ja auch in den auffällig vielen

„Freilich muss ich gestehen, dass ich vom Versöhnungsbund im Übrigen

militärischen Bildern, welche die Schrift gebraucht“ (EZA 97/1836).

noch nicht viel weiß. Aber das gehört ja auch zum Wesen der Sache, dass

Im Zusammenklang mit Rosenstock scheint

mit dem Aufruf noch einmal alle gemeint sind und es insofern nicht nur eine

allerdings noch eine andere Ebene auf. Beide

Zusammenfassung der Organisationen und Bewegungen sein dürfte, die

gehören zu einer Generation, die den Ernst des

schon bisher in der Richtung des Anliegens einen Namen und ein Ansehen

Lebens im Krieg kennen gelernt hat. Für die Unbedingtheit des kompromisslosen Einsatzes scheint es ihnen schwerlich ein anderes Wort-

haben. Vielleicht habe ich auch deshalb den Auftrag wie ein ‚Außenseiter‘ erhalten.“16

feld zu geben. „Das Himmelreich gewinnen wirklich keine Halben“, erklärt Kreyssig lakonisch in seinem Wochenbrief vom 9.10.1964

Martti Siirala: „Erkrankungen

(EZA 97/407).

unseres Gemeinschaftsleibes“

Die Nationalsozialisten hatten sich angemaßt, menschliches Leben als „Das unserem Dienst vorausgehende Glied in der Kette hat jüngst Joop Siezen aufgewiesen, indem er uns in seiner Beigabe zum letzten

„lebensunwert“ zu definieren, und die grausame Konsequenz daraus gezogen, geistig Behinderte und psychisch Kranke umzubringen. Im

Faltblatt auf das Erbe der Toten des 20. Juli

Kampf gegen ihr „Euthanasie“-Programm hatte Lothar Kreyssig sein

verpflichtet hat. Von einem klugen, unbestech-

Leben riskiert.

lichen Holländer, den Gottes Freundlichkeit uns seit Jahren zum Geleitsmann bestellt hat, wollen wir es uns gefallen lassen. In Anbetracht der geringen Vollmacht unseres Wirkens und der halben Verdrossenheit, in der die Deutschen unseren Dienst empfangen, ist das ein tiefer Trost. Denn die Märtyrer sind der Samen


20

der Kirche. Dann wären wir vielleicht unter den ersten schwachen Keimlingen. Aber gemeint ist in erster Linie, dass wir die für die gemeinsame

Der Umgang der Gesellschaft mit „psychiatrisch Kranken“ blieb ihm

Vergangenheit erweckte Verantwortlichkeit immer mehr und besser als Aufgabe unserer

zeitlebens ein existenzielles Anliegen. 1948 gründete er mit anderen

deutschen und weltpolitischen Gegenwart

den „Hilfsring“, eine Laienbewegung, die es sich zum Ziel setzte, psy-

verstehen und ergreifen möchten.“

chisch Kranke zu unterstützen und, wo möglich, in die Gemeinschaft zu integrieren. „Wenn wir mit der Vergebung ernst machen, müssen

Lothar Kreyssig, Wochenbrief vom 14.11.1964, EZA 97/407.

wir wohl ganz anders auf sie aufmerksam und für sie da sein, als dass wir nur meinen könnten, sie dürften nicht wieder umgebracht werden“, erklärte Kreyssig Ende 1960 in einem Brief an die SühnezeichenTeilnehmer in der DDR. 17 Sein Engagement für die als „nicht normal“ Ausgegrenzten begründet er analog zum „Sühnezeichen“ der Deutschen: Es gilt, vergangenes Fehlverhalten beim Namen zu nennen und zu bereuen; aus der göttlichen Vergebung heraus, deren Christen sicher sein dürfen, ist anderes

Ende 1964 bittet Kreyssig eine HilfsringMitarbeiterin, sich um eine Teilnehmerin aus einem Sühnezeichen-Sommerlager zu kümmern, die an starken Depressionen leide. „Zweifellos liegt hier der Kardinalfall einer Ehe zwischen Hilfsring und Sühnezeichen vor. Wir wissen, dass uns Menschen wie [...] vor allem aufgetragen sind und dass sich in der Liebe für sie das Zusammenleben der ‚Normalen‘ vor

Verhalten möglich – und es ist nötig, als sichtbares Zeichen der Sin-

allem formen und bewähren muss“ (Brief vom

nesänderung. Tatsächlich hat Kreyssig den Hilfsring als eine Art „in-

18.12.1964, EZA 97/914).

nerdeutsches Sühnezeichen“ verstanden, und immer wieder kommt umgekehrt Sühnezeichen ins Gespräch, wenn es darum geht, den „Hilfsring“ zu unterstützen – etwa durch Bauten für ein Wohnprojekt: „Die gewissenlose Gewalt, die wir anderen Völkern auf kriegerischem Wege angetan haben, ist ja nur eine Äußerung desselben frevlerischen Ungeistes, der hier im eigenen Land an Juden, politischen Gegnern und Kranken gewütet hat. Würde nur im Verhältnis zu den beleidigten und verletzten Nachbarvölkern etwas durch Vergebung und Versöhnung heil, das andere aber übersehen und vernachlässigt, so könnte das Zeichenhafte, das wir draußen tun, wie eine bequeme Ausflucht scheinen. So können, ja müssen wir Deutsche der DDR die Not, dass wir draußen nicht mittun können, als Anleitung nehmen, umso entschiedener aufzugreifen, was im Inneren zu tun bleibt.“18 Als Kreyssig für Sühnezeichen diese Inlands-Aufgabe definierte, war die Berliner Mauer noch nicht gebaut. Dennoch war deutlich: Der Teilnahme von jungen DDR-Bürgern an Sühnezeichen-Einsätzen, wie der Gründer sie zunächst vorgesehen hatte, also an einjährigen Bauprojekten im Ausland, stand bis auf weiteres die ablehnende Haltung der OstBerliner Regierung im Wege. Die Wendung nach innen war aber nicht


KApitel 1. Ein Vater, drei Paten 21

„Eben weil in der zertrümmerten Person des Geisteskranken die Zertrümmerung seiner Familie, ja, der ganzen Gesellschaft (zu der ja auch der Psychiater gehört!) in Erscheinung tritt, bedeutet ein Heilungsversuch an den

nur eine Notlösung. Lothar Kreyssig verstand die Gemeindepsychiatrie

Erkrankten zu gleicher Zeit einen Heilungsver-

als politische Aufgabe.

such an den augenscheinlich Gesunden. Denn der Kranke ist ‚stellvertretend‘ krank. Nicht nur Geisteskrankheit, sondern Krankheit über-

Wegweisend dürfte hier ein internationaler, ein ökumenischer Kontakt gewesen sein. Mitte der fünfziger Jahre hat Lothar Kreyssig den

haupt ist sozusagen eine offenbar gewordene

finnischen Arzt Martti Siirala kennen gelernt. Dieser vertrat eine – mo-

‚Verdichtung‘ einer allgemeinen, verborgenen

dern formuliert – systemische Sicht auf psychische Krankheiten: Die-

Krankheit.

ser Sicht nach litt ein einzelner Mensch nicht einfach an einer individu-

Was bedeuten diese (im Grunde ur-reformatorischen!) Einsichten für unsere Arbeit in

ellen Erkrankung; vielmehr war er der Träger von Symptomen, die auf

der Aktion Sühnezeichen? Erstens, dass der

Probleme der ihn umgebenden Gemeinschaft hinwiesen. Eine Gesell-

Wahnsinn des Nationalsozialismus nicht nur

schaft, die psychisch Kranke in Kliniken abschiebt, wo sie hochspezia-

ein ‚Betriebsunfall‘ eines übrigens durchaus

lisierter Diagnostik und medikamentöser Therapie überlassen werden,

gesunden Volkes ist, sondern der Ausbruch einer schon längst existierenden latenten

verdrängt in den Augen der Sozialpathologie19 ihre eigenen Schäden.

allgemeinen Grundkrankheit. Zweitens, dass

Es „erhebt sich die Frage, ob wir nicht alle im Grunde unter gemeinsamen

dieser Wahnsinn nicht nur ein spezifisch

Bürden stehen. Unsere Nöte zeigen ja nicht nur gemeinsame grundmensch-

deutsches Phänomen ist, sondern ein Symptom

liche Züge, sondern sie sind, wenn wir auf sie eingehen, in ihrer Entstehung

der ganzen kranken Völkerfamilie. Dass der Heilungsversuch bisher ‚gänzlich misslungen‘

wie auch in ihrem Walten ein Schicksals- und Schuldgeflecht. Indem wir

ist (Wilhelm Kütemeyer), hängt meines

aber so grundsätzlich Angst davor haben, uns zu unserer gemeinsamen

Erachtens mit einer Verkennung dieser beiden

Schuld zu bekennen, indem wir das daraus sprechende Gericht immer wie-

Grundtatsachen zusammen. Sühnezeichen als

der fliehen und unser Engagiertsein leugnen, lassen wir unsere Mitmenschen

Heilungsversuch hat, wenn ich richtig sehe, mehr und mehr Verständnis gewonnen für diese beiden Grundtatsachen. Aber es bleibt noch unendlich viel zu tun. Deshalb möchte ich Sie sehr dringend bitten, mit Siirala und den anderen finnischen Freunden, die sich bei meinem Finnlandbesuch der Aktion Sühne-

desto mehr von der gemeinsamen Bürde tragen; ob es nun unsere Schwestern und Brüder, unsere Kinder, unsere Zeitgenossen oder die kommenden Generationen sind.“20 Wenn der Patient als stellvertretend Kranker gesehen wird, ist eine starre Aufteilung in Kranke und Gesunde, in Patienten und Behandelnde

zeichen gegenüber so aufgeschlossen gezeigt

schwer aufrecht zu erhalten. Es geht vielmehr darum, mit den Kranken

haben, mitzudenken zu versuchen. [...]

zu leben, sich auf ihr Erleben einzulassen – ein Anspruch, den Siirala

Meine Frage ist nun: Könnten wir da nicht

nicht nur an Berufskollegen, sondern ebenso an Familienangehörige,

auf irgendeine Weise mithelfen? Sicher, es handelt sich zunächst um Denkarbeit, die wir

Freunde und Nachbarn herantrug: „Unser Zusammenleben, die Ge-

investieren könnten, aber ist es nicht auch

meinde, braucht die verbindliche Begegnung mit dem Kranken, wie

möglich, soviel wie in unserem Vermögen liegt,

der Kranke uns braucht; seine Verstrickung soll nicht nur – etwa aus

materiell zu helfen? Ich denke dabei an den

karitativen Gründen – zu der unsrigen ‚gemacht werden‘ – nein, sie ist

Aufbau einer Fachbücherei. Ja, ich habe sogar den kühnen Gedanken, ob wir in Zukunft nicht

die unsrige.“21

ein Stipendium zur Verfügung stellen sollten,

In seinem Hauptwerk Die Schizophrenie des Einzelnen und der Allge-

um einen deutsch oder englisch sprechenden

meinheit wies Siirala 1961 explizit auf den ostdeutschen „Hilfsring“ als

Studenten in die Gelegenheit zu stellen, sich unter Leitung der oben genannten drei Psychotherapeuten in Helsinki die Einsichten einer neueren Sozialpathologie zu eigen zu machen.“ Joop Siezen, Anlage 7 zum Protokoll einer Sitzung der Exekutive am 16.3.1964 (Bericht einer Reise nach Finnland), 18.3.1964, EZA 97/948.


22

Beispiel einer veränderten Praxis hin. Der Finne kannte die deutsche Szene. Sein Buch erschien im Original auf Deutsch, verschiedentlich war er zu Vorträgen und Tagungen in Deutschland. 1963 bezuschusste Sühnezeichen eine solche Reise. „Die Maßnahme ist berechtigt, wir leben in unserer Arbeit von solchen Verbindungen“, erklärte Kreyssig seiner Sekretärin.22 Die Verbindung war wohl auch deshalb eng, weil Siirala und Kreyssig den spirituellen Ansatz teilten. Das Menschenbild, auf das Martti Siirala sich bezieht, ist ein gut lutherisches: Alle Menschen sind Sünder, sie bedürfen der Erlösung durch Gottes Gnade. Die allgemeine „Schicksals- und Schuldverstrickung“, die in individuellen Krankheiten zum Ausdruck kommt, ist nichts anderes als diese menschliche Grundkonstitution, theologisch: die Erbsünde. Da alle Menschen vor Gott gleich sind, bleibt ihnen nichts als Solidarität. Denn die individuelle Krankheit ist letztlich eine „Erkrankung am Gemeinschaftsleib“23. Lothar Kreyssig teilt dieses Menschenbild nicht nur – er konkretisiert es an seiner spezifischen Situation als Deutscher in der Nachkriegszeit. Die Sünde, das ist in dieser Lesart die innere Unterstützung der menschenverachtenden Politik des „Dritten Reiches“. Dass sich diese Krankheit bei den einen deutlicher gezeigt hat als bei den anderen, enthebt die Gemeinschaft als ganze nicht der Verantwortung. „Die schwere Infektion des sittlichen Bewusstseins, die auf einen dafür längst anfälligen Körper traf, ist nicht geheilt. Auch hier ist Sinnesänderung in der Tiefe erforderlich, indem aus der gemeinsamen Beugung unter das Verhängnis der seelischen Erkrankung ein Zugang zur tätigen, mitleidenden Anteilnahme eröffnet wird. [...] Was das deutsche Volk 1933 bis 1945 befallen hatte, stellt sich uns nach diesen Erfahrungen weithin wie eine seelische Massenerkrankung dar, bei welcher der Patient in dem Maße, in welchem er von den noch nicht befallenen Völkern oder Nachbarn oder Hausgenossen sich selbst überlassen und isoliert wird, als Herd der zerstörlichen Kräfte ausbrennt. Verödung echter Grenzbeziehungen, Verfall gesunder Nachbarlichkeit sind zwischen Einzelnen wie zwischen Völkern Alarmzeichen für ein solches manisches Stadium.“24


KApitel 1. Ein Vater, drei Paten 23

Nicht nur einzelne Christenmenschen und Pfarrer, auch die beiden großen Kirchen stellten sich nach 1945 schnell gegen die „Siegerjustiz“ der Alliierten auf die Seite der in ihrer Sicht schwer geprüften Deutschen. Der

Es lohnt sich, diese Ausführungen genauer zu lesen, denn sie enthal-

Rat der EKD etwa – dem seinerzeit auch Lothar

ten eine brisante Rollenverteilung. Die „Kranken” sind hier nicht die

Kreyssig angehörte – forderte 1949 mit einer

Opfer der Euthanasie-Pläne, sondern die Täter. Krankheit ist nicht

nicht veröffentlichten, nur auf Englisch und nummeriert abgegebenen Denkschrift die

etwa der Ausdruck einer allgemeinen Schuld, sondern umgekehrt:

Revision aller Nürnberger Urteile.

Schuld wird zum Symptom einer allgemeinen Krankheit. Das sittli-

Politisch wird diese Forderung untermauert

che Bewusstsein der Deutschen war angeschlagen. Als jene Glieder

durch eine reichhaltige Materialsammlung (zur

eines gesamten Leibes, an denen die Infektion ausbrach, haben sie ei-

Analyse der Erlebnisberichte und Beschwerden vgl. Ernst Klee, Persilscheine und falsche Pässe.

nen Anspruch auf die Zuwendung der andern. Kreyssigs ganze Solida-

Wie die Kirchen den Nazis halfen, Frankfurt/Main

rität gilt hier denen, die schuldig geworden sind. Sein Einsatz für die

1991, S. 83-93), theologisch durch die Betonung

Opfer der nationalsozialistischen Gewalt schließt die Hinwendung zu

allgemein menschlicher Sündhaftigkeit und

den Tätern nicht aus.

Erlösungsbedürftigkeit. Die Theologin Katharina von Kellenbach stellt

Dieser atemberaubende Spagat – und er ist gleichsam die Ausgangs-

nach der Lektüre kirchlicher Texte fest: „Die

stellung der Aktion Sühnezeichen! – ist nur theologisch zu erklären.

herrschende christliche Versöhnungstheologie

Zwei neutestamentliche Bibelstellen hat Lothar Kreyssig immer wie-

kam dem Interesse der TäterInnen, ihre Vergan-

der angeführt. Die Beschreibung der Sühnetat Christi, der „durch sein

genheit zu vergessen und ihre Verantwortung abzuschieben, entgegen. Christliche Versiche-

Kreuzesblut Frieden stiftete”, im ersten Kapitel des Kolosserbriefes,

rungen der Universalität der Sünde und der

und die Aufforderung des Paulus an die Korinther: „So sind wir nun

Gleichheit aller Sünder vor Gott verdeckten

Gesandte für Christus, indem Gott durch uns ermahnt; wir bitten für

individuelle Zuständigkeiten, verbreiteten

Christus: Lasset euch versöhnen mit Gott!” (2. Kor. 5, 20).

aber vage Schuldgefühle. Diese diffusen Schuldgefühle verstärkten sich insbesondere

Der Preis dieser umfassenden Versöhnungstheologie ist ein Verlust

in der zweiten und dritten Generation, die ein

an Differenzierung. Wenn vor Gott alle Menschen gleich sind – und

Vermächtnis ungesühnter Verbrechen antreten

zwar gleich schuldig – , wie ist dann der Einzelne für sein Handeln haft-

mussten.“ Von diesem Befund aus zieht die in

bar zu machen? Wie können Täter zur Verantwortung gezogen werden?

den USA lebende deutsche Theologin konkrete Linien: „Kinder und Enkel tragen an einer

Diese Fragen waren Lothar Kreyssig alles andere als gleichgültig. Ihre

unbestimmten und schwer fassbaren Schuld,

politischen Implikationen werden dort greifbar, wo es ganz irdisch um

die sie als Freiwillige von Aktion Sühnezeichen,

Gericht und Gnade geht.

in Kibbuzim in Israel, durch politisches und soziales Engagement und manchmal auch auf emotional gestörte, pathologische Art und

Fritz Bauer: „Gerichtstag halten über uns selbst”

Weise ‚sühnen‘“ (vgl. Katharina von Kellenbach, Theologische Rede von Schuld und Vergebung als

In derselben Woche, in der die Synode der EKD zum Gründungsort der

Täterschutz, in: Dies., Björn Krondorfer, Norbert

Aktion Sühnezeichen wurde, begann im süddeutschen Ulm der Pro-

Reck [Hg.], Von Gott reden im Land der Täter. Theologische Stimmen der dritten Generation seit der Shoah, Darmstadt 2001, S. 46-67).

zess gegen zehn Männer, denen Massenerschießungen von Juden im Baltikum zur Last gelegt wurden. Dieser kalendarische Zufall hat Symbolgehalt. Auf ganz verschiedene Weise setzten Lothar Kreyssigs Initi-


24

„Marion Dönhoff, Axel [von dem] Bussche und ich beschlossen in Göttingen, nach Nürnberg zu fahren, um uns ein eigenes Bild vom

ative und der NS-Verbrecher-Prozess nämlich denselben Impuls: Beide hielten den Deutschen den Spiegel vor und konfrontierten sie mit der Schuld der eigenen Leute. Der „Ulmer Einsatzgruppenprozess” von 1958 markiert einen Wendepunkt im gerichtlichen Umgang mit der Nazi-Zeit. Bis zu diesem

gerichtlichen Umgang mit der Nazi-Zeit zu machen. [...] Die kostbare mittelalterliche Stadt, die vor allem aus Fachwerkhäusern bestanden hatte, war weithin zerstört. In vollem Glanz aber prangte der wilhelminische Justizpalast, bereit, die Lebenden zu richten. An seinem Eingang standen zwei amerikanische Panzer mit

Datum mussten sich NS-Täter nur selten vor deutschen Gerichten

Besatzung. Marion Dönhoff erinnert sich, dass

verantworten, schon gar nicht wegen Taten, die außerhalb der jetzigen

Axel und ich im Auto laut aufbegehrten: ‚Die

deutschen Grenzen geschehen waren. In der DDR galt das Problem of-

raus, wir rein.‘ Marion blickte leicht entsetzt angesichts unserer offenbar noch ungestillten

fiziell als erledigt; in Westdeutschland neigte die öffentliche Meinung

soldatischen Triebe. Aber wir wollten natürlich

nach Abschluss der alliierten Verfahren, nach Entnazifizierung und

nicht den Krieg fortführen. Uns bedrückte eine

Rehabilitierung dazu, den berühmten „Schlussstrich” zu fordern. Der letztlich durch einen Zufall zustande gekommene Ulmer Prozess warf nun an einem Beispiel Licht auf die nationalsozialistischen Verbrechen

Entwicklung, in der die Entnazifizierung eine Sache der Siegermächte zu bleiben drohte. Wir empfanden es als eine Aufgabe der Deutschen, über Verbrechen zu Gericht zu sitzen, deren

und ließ damit die Dimensionen dessen erahnen, was bislang noch

Opfer Menschen vieler Nationen geworden

nicht juristisch verfolgt und geahndet war. Als Folge dieser Erkenntnis

waren, darunter nicht minder auch die eigenen

wurde von den Justizministern und ‑senatoren der Bundesländer noch

Landsleute. Es sollte am Ende doch nicht allein bei dem Stichwort ‚reeducation‘ als Ausdruck

im Dezember 1958 in Ludwigsburg die „Zentrale Stelle der Landesjus-

amerikanischer Besatzungspolitik gegenüber

tizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen“ eingerichtet. Ihre

den Deutschen bleiben! Der amerikanische

Aufgabe war es, durch systematische Erforschung der Verbrechen von Deutschen in den besetzten Gebieten den Staatsanwaltschaften zuzuarbeiten und so Prozesse möglich zu machen.

Hauptankläger Robert Jackson schrieb nach den Nürnberger Prozessen im Jahr 1950, eine Überantwortung der Verfahren an die Deutschen hätte alle frei ausgehen lassen. Wirklich?

Hunderte solcher Prozesse fanden in den folgenden Jahren statt. Zu

Hätte eine Aburteilung der wahren Verbrecher

verdanken ist das der Hartnäckigkeit einiger Überlebender und enga-

nach deutschem Strafrecht die Besinnung in

gierter Juristen, die sich vom Widerwillen der breiten Öffentlichkeit nicht beeindrucken ließen. Im Gegenteil: Volksbildung war ein zentrales Anliegen der Ankläger. Dass schonungslose Aufklärung über das Geschehene die Deutschen erziehen könne, war Credo und Antrieb etwa von Fritz Bauer, dem Initiator des 1963 beginnenden Frankfurter Auschwitz-Prozesses. „Bewältigung unserer Vergangenheit heißt Gerichtstag halten über uns selbst, Gerichtstag über die gefährlichen Faktoren in unserer Geschichte, nicht zuletzt alles, was hier inhuman war, woraus sich zugleich ein Bekenntnis zu wahrhaft menschlichen Werten in Vergangenheit und Gegenwart ergibt“, schrieb der hessische Staatsanwalt.25

Deutschland nicht weit mehr gefördert und das Rechtsbewusstsein weniger strapaziert – Siegerjustiz? – , auch wenn es schwer gewesen wäre, kurzfristig befähigte deutsche Richter zu finden? Die Entwicklung lief anders.“ Richard von Weizsäcker, Vier Zeiten. Erinnerungen, Berlin 2002, S. 112 f.


KApitel 1. Ein Vater, drei Paten 25

Fritz Bauer war es auch gewesen, der 1959 Adolf Eichmann in Argentinien aufgespürt und sich in Israel für dessen Verhaftung eingesetzt hatte. Vom Prozess in Jerusalem war Lothar Kreyssig wie elektrisiert. Der Brief, den er nach

Ein enger persönlicher Kontakt zwischen Lothar Kreyssig und Fritz

dem Ende dieses Prozesses an Hans-Richard

Bauer ist nicht nachzuweisen – die Einladung an den Staatsanwalt zum

Nevermann schrieb, wirft ein Schlaglicht auf

Beispiel, am Jahrestreffen der Aktion Sühnezeichen im Dezember 1962

sein eigenwilliges Verständnis von Gericht und Gnade – und von nationaler Verantwortung.

zum Thema „Besinnung im eigenen Volk“ teilzunehmen, hat sich of-

„Halb betäubt bin ich noch von der mir gänzlich

fensichtlich zerschlagen.26 Fritz Bauer hat aber durch einen (nicht nur)

unerwarteten Nachricht, dass die Israelis

symbolischen Akt seine Wertschätzung der Aktion Sühnezeichen zum

den Eichmann aufgehängt haben. Jetzt erst

Ausdruck gebracht: Nach seinem Tod im Jahre 1968 fiel die Hälfte seines

wird mir ganz klar, wie groß meine Hoffnung war, die älteren Brüder würden selbst eine

Erbes der Organisation für ihre Arbeit in Polen und Israel zu. Lothar

nächste Stufe der Vergebung und Versöhnung

Kreyssig wiederum kam in seinen Briefen und Texten immer wieder auf

gewinnen angesichts des massiven Eindrucks,

die Prozesse zu sprechen. Wie elektrisiert verfolgte er die Aufdeckung

dass der an sich nötige Rechtsweg für die hier

der NS-Verbrechen im Rahmen der Strafverfahren – und die Reaktio-

in Rede stehende Schuld und Verantwortung niemals angemessen, zur Sühne hinreichend sein könne.

nen der Deutschen darauf. Es lohnt den Versuch, die frühe Arbeit der Aktion Sühnezeichen als

Ich bin zum Zweiten unsagbar geschlagen,

flankierende Maßnahme, als eine Art Öffentlichkeitsarbeit für die Pro-

dass ich mich nicht zu einem eigenen Schritt

zesse zu beschreiben.

ermannt habe. Müller-Gangloff und Sie und alle hätten mir dabei sicher nicht beigestanden.

In einem Brief an einen geistig-geistlichen Begleiter und zwei Ver-

Aber auch Bergengruen und Hausmann haben

antwortliche der Aktion Sühnezeichen fasst Lothar Kreyssig im Ok-

mich ausdrücklich im Stich gelassen, als ich

tober 1962, in Erwartung einer ganzen Welle von Prozessen wegen

einen Schritt vorschlug, die Auslieferung

Verbrechen aus der NS-Zeit, seine juristisch-theologischen Überle-

Eichmanns an die Deutschen zu verlangen. Zuletzt habe ich mich dadurch beschwichtigen lassen, dass Frau Goldschmidt mir sagte, das

gungen zusammen. „Ein Volk, ein Staat, die sich dieser Aufgabe nicht unterziehen, geben sich selbst auf “, schreibt er an Helmut Gollwit-

Auslieferungsanerbieten stehe sicher bevor.

zer, Franz von Hammerstein und Hans-Richard Nevermann.27 Als

Die Nachricht hätte mich nicht beschwichtigen

Jurist und Staatsbürger begrüßt er deshalb die Verfahren – als Christ

dürfen, sondern zu einem spontanen Schritt, notfalls im Alleingang anspornen müssen.

relativiert er jedoch sofort deren Reichweite. Eine „Bewältigung“ des

Insgeheim fürchte ich, dass Bonn unter der

Geschehenen sei nicht möglich. Die Prozesse haben für Kreyssig eine

Decke alles daran gesetzt hat, ein solches

begrenzte Aufgabe: Sie sollen Schuld offenlegen – und auf Gott ver-

Anerbieten zu verhindern. Dann hätten sie sich

weisen, der allein davon freisprechen kann. Die Möglichkeit der Ver-

der Sache selber stellen müssen, was die Globke und Genossen gerade nicht wollen.

gebung komme in den aktuellen Diskussionen um die Bestrafung der

Das musste darauf hinauslaufen, dass die

NS-Verbrecher zu wenig vor, meint Lothar Kreyssig. Genau hier sieht

Mutter Deutschland ihren ungeratenen Sohn

er die Mission der Aktion Sühnezeichen, von der er konkrete Vorstel-

Eichmann preisgab, um sich selbst herauszu-

lungen hat: Seinen drei Mitstreitern schlägt er vor, im kleinsten Krei-

halten: Hängt ihr ihn auf. Das ist rechtsethisch gesehen ein Bankrott erster Ordnung. Nach

se die Vorlage eines „Gnadenwortes“ zu erarbeiten, die dann dem Rat

uralten Rechtsgrundsätzen gibt keine Mutter,

der EKD und der Katholischen Bischofskonferenz zugeleitet werden

auch ihren ungeratensten Sohn nicht, einem

soll.

anderen zur Bestrafung heraus. Das tut sie selbst. Wo mag die Gemeinde Gottes für Eichmann gebetet haben? Wieweit haben sich die Deutschen an seinem Prozess beteiligt gefühlt? Jetzt hätte auch die Regierung ihn preisgegeben. Ich glaube schon, dass der geistliche Begriff der Verstockung sich geschichtlich so darstellt.


26

Aber wir müssen ganz still sein. Denn uns, Sühnezeichen, hatte Gott für die Deutschen den Mund aufgetan. ‚Aber das Wort sagte ich nicht.‘

„Das lösende und bindende Wort müsste einfach und einfältig diese Gnade anbieten. Es müsste den Rechtsakt des Staates in seiner begrenzten Möglich-

Wehmütigen sehr herzlichen Gruß ... “ (Brief von Lothar Kreyssig an Hans-Richard Nevermann, 6. Juni 1962, EZA 97/905).

keit gutheißen. Es müsste alle, die sich schuldhaft beteiligt wissen, aufrufen, ihren Anteil an unserer gemeinsamen Schuld nicht zu verdecken und zu verleugnen, sondern vor Gott zu bekennen und aus der empfangenen Ver-

Mit seinem Wort zu den NS-Verbrecherprozessen fordert der Rat der EKD am 13. März 1963 die

gebung die Freiheit und Bereitwilligkeit nehmen, sich auch einem irdischen

Deutschen dazu auf, die Verfahren zu begrüßen

Rechtsverfahren zu stellen und, wo es nicht dazu kommt, Sinnesänderung

und mit ihrer Aufmerksamkeit zu begleiten.

auf die Weise zu finden, die Gott einem jeden zeigen wird.“ Mit diesem Anliegen ist Kreyssig gar nicht so weit von der offiziellen

„In den Grenzen, in denen Rechtsprechung möglich ist, muss in jeder Gemeinschaft um ihrer selbst willen das Unrecht als verwerflich

Haltung der Kirchen entfernt. Seit einigen Monaten arbeitet die EKD

gekennzeichnet und bestraft werden. An einen

an einer offiziellen Stellungnahme; im März 1963 veröffentlicht sie ihr

Akt der Begnadigung kann der Staat erst den-

„Wort zu den NS-Verbrecherprozessen“. Die Deutschen werden darin aufgerufen, die Prozesse als Arbeit für die „Wiederherstellung tragfähi-

ken, wenn zuvor dem Recht Genüge getan ist. ‚Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Völker Verderben (Sprüche 14, 35).

ger Fundamente“ zu begleiten und sie sich zur „bitteren Lehre“ dienen

Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, mit die-

zu lassen. Der Text endet mit der Zusage von Gottes Gnade. In der Ak-

sen Verfahren so etwas wie die Reinigung unse-

tion Sühnezeichen wird das mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Der Ost-Berliner Leiterkreis stellt fest: „Auch wer sich die Schlüssel-

res ganzen Volkes zu vollziehen; sie können nur einzelne Verbrecher zur Verantwortung ziehen und aburteilen. Aber es ist ihr hohes Amt, die

funktion der Vergebung und den Auftrag der Kirche hierbei an den An-

in der Vergangenheit zerstörte Gebundenheit

fang gewünscht hätte und wer die Mitverantwortung der Christenheit

an das Recht wiederherzustellen und damit

stärker bewertet, wird für den guten Anfang dankbar sein.“28 Das Reden von der Gnade ist für Lothar Kreyssig tatsächlich erst ein Anfang. Er plant mehr. Gnade soll erfahrbar werden – er will eine Instanz, die über Amnestien für geständige Verbrecher befindet. Wer, so rechnet der Gründer der Aktion Sühnezeichen, hätte für diesen weitrei-

einen wesentlichen Beitrag zur inneren Wiedergenesung unseres Volkes zu leisten.“ Der Rat ermutigt die Richter in ihrer Aufgabe, er ruft die Kirchen zu seelsorgerlicher Begleitung und die Gemeinden und die Einzelnen zur Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit auf. Der Text schließt mit folgenden Absätzen:

chenden Plan mehr Verständnis als die Partner der Versöhnungsarbeit

„Nur wer sich um solche Erkenntnis bemüht,

im Ausland? Und so formuliert er im Dezember 1962 einen Brief an die

wird mit anderen zusammen aller Menschen-

ökumenischen Freunde: „Nach ordentlicher und öffentlicher Aburteilung ist ein den Rechtsspruch ergänzender Akt der Gnade wegen des außerordentlichen Charakters der

verachtung und Vergewaltigung in Ost und West wehren und für echte Menschlichkeit sowie für ein geordnetes friedliches Zusammenleben der Menschen und Völker zu seinem

Schuldzusammenhänge besonders dringlich. Keine deutsche Regierung

Teil eintreten. Er wird in der Gemeinschaft mit

kann aber in dieser Sache das Amt der Gnade allein verwalten, weil es wie

der Gemeinde Jesu Christi in aller Welt über alle

eine Selbstrechtfertigung erscheinen muss. Wir, meine Freunde, die wir in

Grenzen und Mauern hinweg in erfinderischer Liebe immer neue Kontakte zu den Menschen

der Solidarität der Sünder und der Begnadigten zusammengeführt worden

und Völkern suchen, ganz besonders zu denen,

sind, sollten gemeinsam dazu aufrufen, dass beide deutsche Regierungen

mit denen wir Deutsche uns so schlimm verfeindet haben, und Unrecht wieder gutmachen, soweit es noch möglich ist. Sind wir dazu bereit und vertrauen wir uns in Gottes Gericht über unser Volk seiner Gnade an, dann wird er Fluch in Segen wandeln und uns freimachen für ein neues Leben und Wirken in unserem Volk in Gegenwart und Zukunft“


KApitel 1. Ein Vater, drei Paten 27

zitiert nach: Reinhard Henkys, Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Geschichte und Gericht, Stuttgart/Berlin 21965, S. 339 ff).

mit den Regierungen der Siegermächte zusammen eine Gnadeninstanz bilDer pfälzische Kirchenpräsident Hans

den. So würde das Element der Versöhnung in Gestalt der Gnade, die den

Stempel, ein Mann der Bekennenden Kirche,

Rechtsspruch ergänzt und kontrapunktiert, zu einem gemeinsamen Akt für

ist ab 1953 von der EKD mit der „Seelsorge an deutschen Kriegsverurteilten im ausländischen

den Rechtsfrieden werden.“29

Gewahrsam“ betraut. Im Oktober 1963 führt er

Leider sind keine Reaktionen aus dem Ausland auf diesen Vorstoß über-

ein Gespräch mit dem niederländischen Justiz-

liefert; selbst innerhalb von Sühnezeichen scheint das Echo nicht groß.

minister, den er zur Freilassung der letzten vier

Auf Vorbehalte trifft Kreyssig innerhalb der evangelischen Kirche. Dort

Deutschen im Gefängnis von Breda zu bewegen versucht.

befassen sich mit dem Thema vor allem die EKD-Kammer für öffentli-

In dieser kirchlich-politischen Geheimmission

che Verantwortung und die Arbeitsgemeinschaft „Juden und Christen“

wirft Stempel all das in die Waagschale, was

beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, die 1963 eine umfassende

für die Integrität der Deutschen zeugen könnte:

Dokumentation zur Unterrichtung der Öffentlichkeit plant. Von deren

die Bekennende Kirche, die Stuttgarter Schulderklärung von 1945 – und den bescheidenen Kredit der Aktion Sühnezeichen. Nach der

Jahrestagung aus schreibt Dietrich Goldschmidt an den Kammer-Vorsitzenden Ludwig Raiser:

Unterredung schreibt er an den Justizminister:

„Herr Präses Kreyssig ist über die Prozesswelle informiert, dagegen wohl

„Die Kirchen selbst und auch einzelne Mann-

nur begrenzt über die Art und Weise, wie die Verfahren laufen. Er ist ein

schaften junger Deutscher versuchen es gegenwärtig, wenigstens Zeichen der Versöhnung

besonderer Befürworter einer Gnadenaktion, für die er allerdings über die

aufzurichten. Ich habe Eurer Exzellenz von der

ökumenische Verbindung der Aktion Sühnezeichen eine internationale In-

Erbauung der Synagoge in Villeurbanne (Lyon)

stanz schaffen möchte. Auch er möchte nicht etwa, dass die Rechtsprechung

durch eine junge deutsche Christenmannschaft

verkürzt werde, aber die ganze Schwere der Problematik, die sich aus dem

berichtet, an deren Einweihung ich selbst teilgenommen habe.“

oben Dargelegten ergibt, ist ihm wohl nicht gegenwärtig. Es scheint uns

Der Gefangenen-Beauftragte steht der jungen

nicht angebracht zu sein, den bescheidenen Kredit der Aktion Sühnezeichen

Aktion Sühnezeichen sehr wohlwollend

im Ausland für diese Sache einzusetzen, wie wohl überhaupt im Ausland

gegenüber. Sein sieben Seiten umfassender

schwerlich auf Verständnis für Gnade gerechnet werden kann, solange nicht

Brief an den niederländischen Politiker wirft allerdings die Frage auf, vor welchen Karren

eindeutig und scharf Recht gesprochen worden ist.“30

Lothar Kreyssig seine Initiative spannen ließ.

Doch Lothar Kreyssig denkt nicht taktisch. Wenige Jahre nach der

Denn Hans Stempel vertritt weniger Besinnung

Gründung der Aktion Sühnezeichen ist für ihn die Stunde der Wahr-

und Demut als vielmehr eine Theologie von

heit gekommen. Die Existenzberechtigung der jungen Initiative ent-

Anklage, Aufrechnung und Nivellierung, die hinter die offizielle Denkschrift vom März 1963

scheidet sich an folgender Frage: Gelingt es, den Deutschen Gottes

zurückzufallen scheint:

Gnade so glaubhaft zu machen, dass sie sich ihrer verbrecherischen

„Was könnte ich sehnlicher wünschen, als dass

Vergangenheit stellen? Wenn die Deutschen sich der Aufklärung nicht

nicht nur politische Realitäten und nüchterne

öffneten, wäre alles vergebens. Verstockung oder Erlösung, so lautet

Überlegungen für das Verhältnis unserer Völker maßgebend wären, sondern dass wirkliche Versöhnung sich mehre und Vergebung wachse. Gerade deshalb glaube ich, dass die letzten Gefangenen nun so bald als möglich entlassen werden sollten. Solange dieses Problem nicht gelöst ist, muss sich notwendigerweise an ihm, wie an einem Ansteckungsherd, immer wieder feindliche Gesinnung, Erregung, ja alter Hass neu entzünden. Ist es nicht so, dass das weitere

die Alternative – für Kreyssig eine Frage von Leben und Tod: „Wenn wir das Zeugnis von dieser Gnade schuldig blieben, wäre es noch schrecklicher als der Schrecken des millionenfachen Mordes selbst.“31 Was gilt


28

Verbleiben der vier Männer in der Haft in Breda Vergebung erschweren könnte? Über uns allen steht in unantastbarer Majestät

das eigene Image gegen die Gefahr, die Deutschen könnten ihre Chance

die Vergebung Gottes in Jesus Christus. Nur durch sie leben wir Menschen, nur durch sie

verspielen? Lothar Kreyssig kennt die kirchlichen Bedenken gegen eine

leben unsere Völker noch angesichts einer so

Gnadenaktion – und er lässt sie nicht gelten. Er selbst schreibt an Lud-

ernstlichen und tödlichen Bedrohung, wie sie

wig Raiser: „Wenn [...] freundwilligerweise gesagt wird, der bescheidene Kredit der Sa-

die Geschichte bisher nicht gekannt hat. So darf ich, als Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland, auch schriftlich die

che Sühnezeichen im Ausland solle nicht verwirtschaftet werden, so wäre

vorgebrachte Bitte wiederholen, Eure Exzellenz

damit der Auftrag von Sühnezeichen selbst verleugnet. Noch weniger als

möchte alles tun, was in Ihren Kräften steht,

die Kirche selbst oder irgendeines ihrer Werke dürfte Sühnezeichen auf sich selbst und auf den Fundus sehen, den es etwa erworben hätte. Vielmehr war

um eine möglichst baldige Begnadigung und Heimkehr der letzten vier Deutschen in Breda zu bewirken“ (Brief Hans Stempel an den nieder-

von der ersten Stunde an damit zu rechnen, dass die eigentliche Aufgabe

ländischen Justizminister Scholten, 3.7.1964, EZA

sein würde, die kleine Schar und die öffentliche Geltung, welche gesammelt

87/1265 [Bestand Kunst als Bevollmächtigter der

sein würde, für die echte Scheidung der Geister ins Treffen zu führen, wenn

EKD bei der Bundesregierung]).

es an der Zeit sei.“32 Lothar Kreyssig weiß wohl, wie leicht ausländische Freunde ihn in die

„Für Kreyssig hat Gott eine Geschichte nicht nur

breite Front jener Deutschen einordnen können, die die Prozesse als

mit einzelnen Menschen, sondern mit Völkern.

„Nestbeschmutzung“ ablehnen, und wie leicht diese Landsleute ihn vor ihren Karren spannen könnten. Aber er bleibt beim „Primat der Gnade“. Billig ist diese Gnade freilich nicht zu haben. Voraussetzung ist echte Reue – und die Bereitschaft zu verändertem Verhalten. Damit sind nicht nur die wenigen jungen Menschen gemeint, denen Aktion Sühnezeichen die Gelegenheit bietet, uneigennützig im Ausland zu arbeiten. Ausschlaggebend ist vielmehr, wie ihr Zeichen von anderen getragen wird. Die ersten Adressaten des „Sühnezeichens“ sind die Deutschen selbst. 300 finanzielle Unterstützer für jeden Frei-

Und während wir Theologen da alarmiert werden und fürchten, wir kommen dadurch in Geschichtstheologie, in Geschichtsdeutung hinein, die doch auch schon so verhängnisvolle Früchte gehabt [hat] wie etwa 1933, wo der große Aufbruch des deutschen Volkes als ein christlicher Aufbruch gedeutet wurde, hat Kreyssig unbefangen immer durchgehalten die uns und vor allem der noch jüngeren Generation nahezu fremd gewordene Kategorie des Volkes als einer irdischen Realität, und darin hat er Recht gehabt. Die Hypertrophie des Nationalismus hat der nach mir kommenden

willigen stellte sich Lothar Kreyssig anfangs vor. Gewonnen werden

jungen Generation den Begriff des Volkes

sollten damit nicht nur je 1.500 Mark monatlich, sondern die konkrete

so ausgetrieben, dass die jungen Deutschen

Einbindung möglichst vieler in die Arbeit der wenigen. „Das Opfer, das wir von jedem Einzelnen erbitten, ist nicht nur eine Finanzierungsmaßnahme, sondern ein Anstoß zur einer Gewissensentscheidung. Hierbei multipliziert sich die Wirkung jedes einzelnen Sühnezeichens zu einem Moment der Willensbildung im eigenen Volke. Das möchte fast noch wichtiger sein als die befriedende Wirkung zwischen den Völkern. Jedenfalls würde die uns von den verletzten und beleidigten

ganz fremd ihren Altersgenossen in anderen Völker, den Polen und den Vietnamesen usw., begegnen, weil für die anderen ‚Volk‘ eine in der nationalen Freiheitsbewegung wichtige Realität ist. Wer weiß, ob es eines Tages eine Menschheitsgesellschaft gibt, in der Volk keine Realität mehr ist. Ich weiß nicht, ob ich sie wünschen soll. Für Kreyssig ist Volk eine lebendige Realität. Deshalb kann er sich auch nicht denken, dass Gott mit Volk nichts zu tun hat. Er hat nicht nur mit uns Einzelnen zu tun, sondern mit der Geschichte dieses deutschen Volkes, das durch Schuld und Gericht geht, in dessen Geschichte Gottes Fluch und Zorn und Gottes Segen geschichtswirkende Mächte sind, und


KApitel 1. Ein Vater, drei Paten 29

er kann darum – und das wirkte ja bei der Gründung von Sühnezeichen mit – sich nicht abfinden damit, dass die Deutschen über ihre Schuldgeschichte von 1933 und früher bis 1945 so leicht hinweggekommen sind. Er liebt dieses deutsche Volk und hat Angst, was es sich einbrockt, wenn es mit seiner Vergangenheit so fertig wird, dass es die einfach hinter sich lässt.“ Helmut Gollwitzer in einem Gespräch mit Volker

Nachbarvölkern eingeräumte Möglichkeit zu einem Ansatzpunkt für innere Gesundung.“33 Ganz Deutschland wird zum Hinterland der Freiwilligen. Und unversehens tritt der Zeichencharakter der Sache in den Hintergrund – zu-

von Törne im Juni 1979 (geglättete Abschrift), EZA

gunsten von Ansätzen konkreter Wiedergutmachung. Anders ist kaum

686/752, S. 9.

zu erklären, dass Lothar Kreyssig Spender für die Einsätze in Norwegen und Holland gerade unter früheren Wehrmachtsangehörigen, die im Krieg in diesen Ländern waren, gewinnen will.34 Ein noch kühnerer Gedanke findet sich in den Akten: „Ich hätte Sie gerne gefragt“, schreibt der rheinische Oberkirchenrat Hermann Schlingensiepen im März 1965 an Kreyssig, „ob man den von Ihnen Bonnevie-Svendsen weitergegebenen Gedanken über die Abbüßung der Strafen der NS-Verbrecher in Gestalt von Aktionen ‚Sühnezeichen‘ schon öffentlich in die Debatte werfen darf ?“35 Man durfte offensichtlich nicht – jedenfalls hat kein Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen mit seiner Arbeit jemals einen NS-Verbrecher ausgelöst. Der Begriff der „Sühne“ wurde freilich immer wieder ganz handfest verstanden. Im Dezember 1958 zum Beispiel wurden all diejenigen zu einer zweitägigen Beratung über die Anfänge der Aktion Sühnezeichen in die Evangelische Akademie Berlin eingeladen, „die mit uns meinen, man müsste aus dem vielen und oft so müßigen Reden über die unbewältigte Vergangenheit nun endlich einmal zu einem wirklichen Tun, zu einer aktiven Sühnung des in unserem Namen Geschehenen hindurchstoßen“36. Der Anspruch, zu einer wirklichen Heilung der Schäden der Gewaltherrschaft beizutragen, klingt vermessen. Ohne diesen Hang zur Selbstüberschätzung allerdings wäre die Aktion Sühnezeichen nicht in Gang gekommen.


Servia (Griechenland) 1960/61: Aktion Sühnezeichen tat sich für dieses Projekt mit dem Schweizer „Christlichen Friedensdienst“ und dem deutschen Zweig des „Service Civil International“ zum „Weltfriedensdienst“ zusammen. Eine der Hauptarbeiten der Gruppe bestand im Bau einer Zisterne für den Ort Servia. Vor der Baracke, in der sich die Schlafräume für die männlichen Teilnehmer, Aufenthaltsund Speiseraum, Küche und Waschküche befanden, entstanden die Gruppenbilder. Die Fotos haben die Teilnehmerinnen Hergart Asamoah-Schöne und Helga Born zur Verfügung gestellt.

2. VOM WORT ZUR TAT – die anfänge


2. vom wort zur tat Die Anfänge


Trastad bei Borkenes (Norwegen) 1959/60: Am 1. September 1959 wurde die erste Norwegen-Gruppe im Hamburger Rathaus verabschiedet. Die Baustelle des Wirtschaftsgebäudes für die Behinderteneinrichtung in Trastad lag direkt an einem Fjord, auf dem Bild oben ist das Erstellen der zweiten Etage mit Mauerwerk zu sehen. Hans-Richard Nevermann (rechts) war Leiter der Gruppe „Norwegen I“, hier mit Conrad Bonnevie-Svendsen (Mitte), (Fotos: ASF-Bildarchiv).


33

KAPITEL 2. Vom Wort zur Tat – Die Anfänge

Hochstapelei oder Kühnheit? Als Lothar Kreyssig seine großartige Idee vortrug, hatte er weder Einsatzorte noch -kräfte und schon gar keinen Finanzplan vorzuweisen. Unter denen, die ihn für dieses Vorpreschen kritisierten, war selbst ein Freund wie Hans Joachim Iwand. Der Mann der Bekennenden Kirche, dem die Verständigung mit den östlichen Nachbarn Deutschlands besonders am Herzen lag, teilte wohl das Anliegen Lothar Kreyssigs – nicht aber sein Vorgehen. Am 11. Mai 1958 begründet er dem „Bruder Kreyssig“ in einem Brief, warum er den Aufruf nicht unterzeichnen kann. Die Regierungen der angesprochenen Länder hätten vorher konsultiert werden sollen, meint der Bonner Theologe: „Wenn ich einem Menschen Unrecht tue, so kann ich nicht aus eigenem Ermessen eine Wiedergutmachung bestimmen, sondern ich muss ihn zuvor fragen, und dann kann ich mir überlegen, wieweit ich in der Lage bin, dies zu realisieren.“37 Diesen Weg hat Kreyssig freilich mit Bedacht nicht eingeschlagen. Erst will er mit Deutschen ein ernsthaftes, konkretes Angebot erstellen. Die Anfrage an die Andern steht erst an zweiter Stelle. Dass es zu einer schmerzlichen und peinlichen Absage kommen könnte, gehört zum Programm – einer Mischung aus Demut und Wagemut. So erhalten „die Verletzten“ erst einmal nicht mehr als Geburtsanzeigen der jungen Initiative. Konkret angefragt werden Polen, Russland und Israel im Mai 1958 noch nicht – schließlich kann Lothar Kreyssig auf keine Freiwilligen, keine Verwaltung und kein Geld zurückgreifen. Zunächst hat der Gründer nur zwei Ressourcen: den Charme seiner Idee und ein christliches Netzwerk aus den Zeiten des Widerstands.

Networking, Fundraising: Die Strippenzieher

Der 5. Mai 1958 war ein Montag. Präses Kreyssig war in seinem Berliner Büro – und nutzte den Schwung der neuen Woche. Ein ganzer Stapel von Briefen in Sachen Sühnezeichen trägt dieses Datum. Lothar Kreyssig verschickte seinen wenige Tage alten Aufruf an die 120 Synodalen,


34

An die Diplomatischen Vertretungen von Polen und der UdSSR in Ost-Berlin sowie an die Israel-Mission in Köln schreibt Lothar

an die Mitglieder von Rat und Kirchenkonferenz der EKD – zum Nachle-

Kreyssig am 5. Mai 1958. Im Folgenden ist der Brief an Minister Dr. Shinnar in der Israel-

sen und eventuellen Nachzeichnen. Er informierte die diplomatischen

Mission zitiert. Die anderen beiden Briefe sind

Vertretungen von Polen, der Sowjetunion und Israel, er wandte sich an

wortgleich – bis auf die Passage in Klammern,

den DDR-Innenminister, er schrieb dem persönlichen Referenten des katholischen Bischofs in Berlin sowie seinem Sohn Peter, der als Pfarrer

die in ihnen nicht auftaucht, sowie natürlich entsprechend andere Ländernamen: „Euer Exzellenz, beehre ich mich, in der Anlage

in Stuttgart den Evangelischen Studentengemeinden (ESG) vorstand,

einen Aufruf zu übersenden, den ich am

und seinem alten Freund Ernst Wilm, dem Präses der Westfälischen

30. April 1958 zugleich im Namen anderer

Kirche. Die Presse fehlt – absichtlich ging Lothar Kreyssig jetzt noch nicht an

Synodaler aus beiden Teilen Deutschlands in der Vollsitzung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland bei ihrer letzten Tagung

die Öffentlichkeit. Alle anderen Koordinaten, in denen sich die Initiati-

in Berlin vorgetragen habe. Wegen der großen

ve von nun an bewegen wird, sind aber schon an jenem ersten Bürotag

Zeitbedrängnis, in welcher die Synode arbeite-

sichtbar: die Kirchen, die deutschen Regierungen, die Adressatenstaaten und – dazwischen und darunter – das eigene Netzwerk. Wie wichtig persönliche Kontakte sind, war Lothar Kreyssig bewusst. So hat er sich noch bei der Synode kaum eine Verschnaufpause gegönnt, bevor er mit dem „Fundraising“ begann. Der hessische Pfarrer Adolf Freudenberg erinnert sich: „War es noch an diesem oder am vierten Tag [der Synode; G. K.], der danach ward? Ich weiß es nicht mehr, jedenfalls warf sich Freund Kreyssig aus großer Erfahrung mit der Problematik von Synodalerklärungen nun sofort auf die Nacharbeit; und ich durfte an einer munteren Verhandlung mit den Präsides

te, konnte der Aufruf vor der Bekanntgabe nur einigen Mitgliedern der Synode zur Mitverantwortung unterbreitet werden. Einstweilen ist der Aufruf von den in Anlage 2 ersichtlichen Synodalen unterzeichnet. Wir hoffen nun alsbald unter Billigung und Förderung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik den Aufruf verbreiten und für die Aktion werben zu können. Wir ersuchen Euer Exzellenz ergebenst, die Regierung des Staates Israel um Verständnis und Entschuldigung zu bitten, dass wir die Absicht, den Aufruf zu erlassen, nicht vorher

von Rheinland und Westfalen, Beckmann und Wilm, und noch einigen an-

mitgeteilt haben. Zur Ernsthaftigkeit der Bitte

deren Freunden der Sache teilnehmen. ‚Unverzagt und ohne Grauen‘ sprach

an das israelitische Volk, sich den Dienst eines

Kreyssig sanft und bestimmt die Herren Brüder mit den großen Kassen auf ihre ersten Beiträge an, die als verheißungsvolles Startzeichen entsprechend ausfallen sollten. Zahlenmäßige Ergebnisse hatte dieses Gespräch allerdings noch nicht, aber ein jeder verließ den Raum mit einem stark beschwerten Gewissen, das sich nur durch eine namhafte Zahlung erleichtern ließe.“38 Kreyssig hält die alten Freunde aus den Tagen des Kirchenkampfes bei

Friedenszeichens gefallen zu lassen, scheint uns erforderlich zu sein, dass wir die zu dem Dienst bereiten Teilnehmer und die dafür aufgebrachten Spenden mitteilen können. Wir beeilen uns aber, Euer Exzellenz von dem Vorhaben selbst mit der Bitte um Empfehlung und wohlwollende Beurteilung zu unterrichten. Wir werden uns erlauben, zur gegebenen Zeit über

der Stange. Davon zeugt auch die Zusammensetzung des „Führungs-

den Fortgang der Angelegenheit zu berichten.

kreises“, die das Protokoll einer Sitzung vom 13. Juni aufzählt: Neben

[Der Unterzeichnete hat in der Beratung mit

Lothar Kreyssig und seinem Stellvertreter Müller-Gangloff gehören aus Berlin der Propst und spätere Bischof Kurt Scharf, EKU-Präsident Hildebrandt, Propst Heinrich Grüber, Generalsuperintendent Führ,

jüdischen Freunden die Zuversicht gewonnen, dass es nicht oder nicht mehr verfehlt sein möchte, einen Dienst in Israel selbst anzubieten, wo das jüdische Volk um eine gemeinsame Heimat ringt. Wenn die israelische Regierung aber wünscht, dass eine zeichenhafte Tat, wie sie der Aufruf meint, besser in Deutschland geschehe, so sind die Unterzeichner des Aufrufs jedem Vorschlag offen.] Im Übrigen steht der Unterzeichnete – nach Wunsch auch mit anderen Mitunterzeichnern des Aufrufes zusammen –


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

35

zu jeglicher weiterer Auskunft zur Verfügung. Ich bin mit ausgezeichneter Hochachtung Euer Exzellenz sehr ergebener Dr. Kreyssig, Präses“ (Brief Lothar Kreyssig an die Botschaften, 5.5.1958, EZA 742/447).

Professor Helmut Gollwitzer und die Quäkerin Margarete Lachmund, aus Dresden der sächsische Synodalpräsident Reimer Mager und

In den Evangelischen Studentengemeinden (ESG) sah Lothar Kreyssig wichtige Multipli-

schließlich der Westfale Ernst Wilm dem Gremium an. Doch selbst bei den „Eigenen“ ist es bisweilen mühsam. In Düssel-

katoren – sogar über den evangelischen Raum

dorf etwa sagt Präses Joachim Beckmann zwar Anfang 1959 für den ers-

hinaus, wie der Brief an seinen Sohn Pfarrer

ten Einsatz in Holland 10.000 DM zu, doch der zuständige Oberkirchen-

Peter Kreyssig zeigt:

rat bittet streng um Material, „welches uns die Überzeugung verschafft,

„Meine Bitten und Fragen an dich und deine Mitarbeiter:

dass das zunächst geplante Unternehmen wohl gelingen könnte und

1.) Wann und wie könnt ihr die Sache im eige-

weder Nachforderungen an uns bringt noch eine etwaige öffentliche

nen Bereich aufnehmen?

Bloßstellung wegen ungenauer Vorbereitungen und eines daraus sich

2.) Könnten wir nicht die unserem lutherischen

ergebenden Zusammenbruchs befürchten lässt“39.

Flügel vergleichbare steifleinene katholische Bürokratie umfahren, indem ihr euch unmittel-

Lothar Kreyssigs Antwort ist pikiert – und ausführlich. Wenn er

bar mit dem Vorschlag gemeinsamen Aufmar-

selbst vielleicht solche Ängste „mit vollem Recht erwecken“ möge, so

sches an die katholischen Studentengemeinden

habe doch der Führungskreis „eine saubere Arbeit getan, deren sich ein

und Jugendorganisationen wendet? [...]“

eingefahrenes Ministerium nicht zu schämen hätte“40. Er selbst sieht

3.) Welche Jugendorganisationen wären im Westen noch um Beteiligung zu fragen, damit

den Rückgriff auf kirchliche Gelder anstelle persönlicher Opfer als

die Sache nicht in falscher Weise eine inner-

schlechteste aller Möglichkeiten an – sie ist aber die einzig gangbare,

christliche bleibt?“ (Brief Lothar Kreyssig an Peter

wenn der Holland-Einsatz pünktlich beginnen soll. Kreyssig fühlt sich

Kreyssig, 5.5.1958, EZA 97/167).

unverstanden: „Macht man sich wohl ungeachtet aller verehrungswürdigen Bereitwil-

Die Kirche als Institution ist zurückhaltend.

ligkeit der Herzen im Rheinland eine Vorstellung davon, was es heißt, ein

Das musste zum Beispiel jener pensionierte

solches Werk konsequent für beide Hälften des zerteilten Volkes, also am

Studienrat aus Karl-Marx-Stadt erfahren, der

Wundrand zweier Welthälften, mitten über dem ideologischen Abgrund zu

im März 1959 an seinen Superintendenten mit der Bitte herantrat, den „kühnen Schritt vorwärts“ der Aktion Sühnezeichen „tatkräftig

treiben? Wird man je verstehen, dass wir daran lieber unter sonst welcher Bloßstellung scheitern, als es unversucht lassen wollen?“

zu unterstützen“: „Es liegt mir nicht nur am

Ein gekränkter Kreyssig verbindet schließlich den Dank für die zuge-

Herzen, selber nach Kräften in den wohl nur

sagten Gelder mit der Bitte an Gott, „er möge mir Wege zeigen, dass ich

noch wenigen Jahren meines Lebens für dieses schöne Ziel einzutreten, sondern ich möchte

Ihnen die Zumutung ersparen kann, sie zu benötigen“.

auch andere dafür gewinnen. So bitte ich

Die Kirche als Institution ist zurückhaltend. Nun will Kreyssig zwar

Sie ebenso herzlich wie dringend, für diese

aus seiner Aktion kein kirchliches Werk machen. Er weiß aber, dass nur

notwendige Aufgabe unter den Pfarrern Ihres

mit Einzelspenden kein schneller Anfang zu schaffen ist. Was hätte Lo-

Sprengels um Verständnis und Opferbereitschaft zu werben. Es scheint mir im Blick auf

thar Kreyssig in diesen zähen Anfangszeiten wohl ohne Hermann Kunst

die gesamte Lage geboten, durch freudige

getan? Der Militärbischof, gleichzeitig Bevollmächtigter der EKD bei

und zahlreiche Beteiligung der Geistlichkeit

der Bundesregierung in Bonn, beruhigt nicht nur immer wieder den

einen Kristallisationspunkt für diese Aktion zu schaffen.“ Der Superintendent wendet sich weisungssuchend an das Landeskirchenamt und erhält von dort die Antwort: „Die Aktion Sühnezeichen wird nicht von Landeskirchen getragen, sondern wendet sich an einzelne Persönlichkeiten.


36

Es ist also nicht zweckmäßig, dass Pfarrämter oder Superintendenturen sich für die Aktion besonders einsetzen.“ (Korrespondenz zwischen

aufbrausenden Freund (im eben zitierten Falle etwa schreibt er: „Ich

Studienrat Morgenbesser, Superintendent Fehlberg und dem Landeskirchenamt, Landeskirchenarchiv

würde also als Pastor meinen, lieber Bruder Kreyssig, Sie möchten ein

der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sach-

aufrichtiges, rundes Ja zu dieser Verfassung des Finanzchefs von Düs-

sens, Bestand 2 [Landeskirchenamt] / 609).

seldorf sagen, und doch inwendig ungebeugt bleiben in dem Glauben

Zum regelrechten Streit zwischen der Evan-

an göttliche Notwendigkeiten im Vorantreiben“41). Die erste Großspen-

gelischen Kirche in Deutschland und Aktion

de über 5.000 DM stammt von Bischof Kunst – mit ihr kommt er der Anfrage Kreyssigs sogar knapp zuvor, kommentierend mit dem fröhlichen Motto: „Wer schnell hilft, hilft doppelt!“42 Der Bischof (mit guten Verbindungen in die Wirtschaft) ließ sich mitreißen, ein bisschen wider die Vernunft, wie er selbst in einem Brief an Kreyssig einräumt: „Ich habe in meinem Leben nie etwas anderes als Pionierarbeit tun müssen,

Sühnezeichen kam es im Bereich der Diakonie. Die diakonisch-kirchliche Aktion „Brot für die Welt“ übertrug die Konkurrenz, in der sie sich zu Kreyssigs früher Gründung „Für die Hungernden“ sah, auch auf dessen Aktion Sühnezeichen. Der Vorsitzende des Diakonischen Rates und der Leiter der Hauptgeschäftsstelle des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in

ich konnte mir also an fünf Fingern abzählen, vor welchen Schwierigkeiten

Deutschland sahen sich im April 1961 genötigt,

Sie beim Beginn der Aktion Sühnezeichen standen. Ich war so eine Art Pate

sich in einem Brief an die Leitungen der

in der Anlaufzeit, mehr nicht. Aber ich war es gerne. Hätte mir die Sache nicht eingeleuchtet, wäre ich trotzdem munter gewesen, nur schon um Ihren Glauben aufzurichten. Wir haben ja alle gegen die Geister der Ermüdung und Resignation zu kämpfen. Umso wichtiger ist es, dass wir uns fest an der Hand halten und noch etwas fester zufassen, wenn der Bruder straucheln und fallen will.“43

evangelischen Landes- und Freikirchen von den „ökumenischen Aktionen von Herrn Präses Dr. Kreyssig, Berlin“ abzugrenzen: „In der Arbeit des Reiches Gottes gibt es gewiss keine Monopole, vollends nicht in der diakonischen Arbeit. Aber Klarheit und Ordnung gehören zu den unerlässlichen Voraussetzungen gesegneter Arbeit.“ Die Kirchenmänner sahen vor

Und nicht nur Geld und Mut steuert Hermann Kunst bei; der Bonner

allem an zwei Punkten „Schwierigkeiten und

Verbindungsmann gibt der jungen Aktion auch diplomatische Hil-

Unterschiede“: in der engen Zusammenarbeit

festellung. Die besteht allerdings überwiegend in Ermahnungen, die Bundesregierung nicht zu übergehen. So fragt Kunst schon im Mai

Kreyssigs mit Katholiken und Juden und in seiner in den Augen der Briefschreiber missbräuchlichen Verwendung seines kirchlichen

1958, an wen Kreyssig sich denn in Bonn gewandt habe – um zu erfah-

Titels „Präses“, die den Anschein erwecke, „als

ren, dass die Bundesregierung, anders als die der DDR, noch keine Note

ob hinter seinen Bemühungen die evangelische

erhalten habe. Der Informationsfluss verdichtet sich aber nicht wesentlich – ein knappes Jahr später, die Holland-Gruppe ist gerade ausgereist,

Kirche als solche stehe“. (Brief von Oberkirchenrat Riedel und Präsident Münchmeyer von Innerer Mission und Hilfswerk der Evangelischen Kirche in

muss Kunst wieder tadeln: „Für unseren Botschafter in Den Haag ist

Deutschland an die evangelischen Kirchenleitungen,

es natürlich nicht sehr angenehm, wenn er von solcher Unternehmung

11.4.1961, EZA 97/704).

aus der Presse erfährt. Ich war immer glücklich, dass Sie zur Kenntnis genommen haben, dass ein gewisser Wechsel in der Obrigkeit seit 1945

Der CDU-Politiker Ernst Lemmer, ein Jahr-

stattgefunden hat.“44

gangsgenosse von Lothar Kreyssig, war diesem

Offensichtlich ist die westdeutsche Regierung für Kreyssig keine He-

aus der Zusammenarbeit beim Deutschen

rausforderung. Das Wohlwollen wird hier vorausgesetzt; ein Gespräch

Evangelischen Kirchentag bekannt. Nach einer Besprechung mit ihm am 10. Mai 1958 schreibt Kreyssig an Hermann Kunst: „Erfreulicherweise entsann er sich noch genau, dass wir das Vorhaben zum Leipziger Kirchentag mit ihm zusammen durchdiskutiert hatten. Er begrüßt den Schritt. Er hält ihn auf jeden Fall als ein echtes Friedenszeichen für stichhaltig, und zwar auch und gerade dann, wenn die von der


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

37

Weltfriedensbewegung praktisch bestimmten Ostmächte ihn ablehnen sollten. Russland freilich werde negativ reagieren. Bei Polen und Israel rechnet er mit Zustimmung. Wenn sich für jedes Land Tausend bereitfänden,

mit dem Minister für gesamtdeutsche Fragen, Ernst Lemmer, muss

hielte er die Sache für einen vollen Erfolg. Die

erst einmal genügen.

weltpolitische Lage sei im Augenblick so negativ gestimmt wie seit Jahren nicht. Gerade darum sei der Aufruf zu begrüßen. Er bittet, demnächst das Auswärtige Amt zu orientieren.

Umso intensiver sind die Bemühungen um die DDR-Regierung. Am 5. Mai unterrichtet Kreyssig den Innenminister Karl Maron von seinem Aufruf:

[Staatssekretär] Dr. Gefaeller hält auch eine

„In der Schuld gegenüber den Völkern, welche das nationalsozialistische

Unterrichtung des Innenministeriums sowie

Gewaltregiment lebensgefährlich verletzt hat, müssten die Deutschen aber

der ständigen Konferenz der Kulturminister der Länder für erforderlich. Unverzüglich soll

wirklich der gleichen Einsicht und Gesinnung sein. Solcher Gesinnung

jedenfalls eine Note, wie sie die Regierung der

gilt es durch gemeinsames Handeln den Boden zu bereiten. Es ist davon

DDR erhalten hat, auch an die Regierung der

auch eine heilsame Wirkung für die Zertrennung der Deutschen zu hoffen.

Bundesrepublik gehen“ (Brief Lothar Kreyssig an

Aber auch ohnedies ist tatkräftige Versöhnung eine sittliche Notwendigkeit.

Hermann Kunst vom 11.5.1958, EZA 742/447).

Die Unterzeichner des Aufrufes sind zuversichtlich, in diesem Grundanliegen die Zustimmung der Regierung der Deutschen Demokratischen Repub-

Die Regierung hält sich bedeckt. Hinter den Kulissen allerdings sorgen die Vorstöße der Aktion Sühnezeichen durchaus für Betriebsamkeit, wie in den Akten des Bundesarchivs Berlin

lik zu finden.“45 Die Regierung hält sich bedeckt. Im Oktober schließlich gelingt es dem Ost-Berliner Generalsuperintendenten Fritz Führ, bei Maron in Sachen

nachzulesen ist (vgl. zum Folgenden BArch

Sühnezeichen vorsprechen zu dürfen – allerdings nicht, wie erbeten, in

DO 4/2390). Schon Kreyssigs Mai-Brief war

Begleitung von Lothar Kreyssig und dem Theologieprofessor und Mit-

am 23. Mai 1958 vom DDR-Staatssekretär für

Erstunterzeichner Heinrich Vogel. Neben dem milden Rat, in zukünfti-

Kirchenfragen Werner Eggerath „zur gelegentlichen Information des Genossen Ministerpräsi-

gen Texten doch die Bezeichnung „Russland“ zugunsten von „UdSSR“

denten“ an dessen persönlichen Referenten

zu meiden, äußert der Minister Bedenken gegen die Aufnahme des

weitergeleitet worden – ohne rekonstruierbare

„NATO-Staates“ Israel in den Kreis der Adressaten. Insgesamt erklärt

Folgen. Einen weiteren Vorstoß macht am 24.

er sich in dem von Führ als „freundlich“ beschriebenen Gespräch für

Oktober Generalsuperintendent Führ, indem er sich über den Staatssekretär wieder an den Ministerpräsidenten wendet: „Ein solches Zeichen, in welchem die Deutschen die Einsicht für ihre gesamte Verantwortlichkeit gemeinsam spürbar und für die Dauer sichtbar machen, fehlt bisher. Es wird auch gerade dort vermisst, wo man uns freund-

nicht zuständig und empfiehlt, sich über den Staatssekretär für Kirchenfragen an den Ministerpräsidenten selbst zu wenden.46 Das freilich wird sich als alles andere als einfach erweisen. Mehrere schriftliche Anfragen gehen ins Leere, und auch ein Gespräch, das Führ Ende Januar 1959 mit dem Stellvertreter des Staatssekretärs führen kann, wird keinen Termin bei höheren Stellen bringen.

schaftlich gesonnen ist. Auf der anderen Seite

Krönender Abschluss der Maulwurf-Arbeit des Jahres 1958 ist ein

müssten wir Deutschen in den beiden Teilen

Wochenende im Tagungshaus der Evangelischen Akademie Berlin am

unseres Landes in dem Anliegen einig sein, gemeinsame Verantwortlichkeit für gemeinsame

Kleinen Wannsee. Kurz vor Weihnachten versammeln sich hier zum

Schuld wachzuhalten und erkennen zu lassen.

ersten Mal die jungen Leute, die sich Kreyssigs Idee zu eigen machen

Von den Deutschen, die sich in dieser Aufgabe

wollen. Studenten aus Polen, Israel und Jugoslawien sind ebenso zu

mit Überzeugung zusammenfinden, wäre wohl zu glauben, dass sie ohne Verleugnung der politischen und weltanschaulichen Gegensätze die gemeinsame Verantwortlichkeit ernst nehmen.“ Der Brief erreicht das Büro des Ministerpräsidenten, von wo aus er allerdings am 3. November an den Staatssekretär zurückgeschickt wird,


38

versehen mit der gereizt-ratlosen Notiz des Büroleiters: „Der Ministerpräsident vermisst Vorschläge darüber, was nun geschehen soll.

Gast wie Vertreter befreundeter Dienste. Es wird praktisch: Diskutiert

Ich nehme nicht an, dass Sie die Unterlagen dem Genossen Ministerpräsidenten unterbrei-

werden die „politischen, wirtschaftlichen und technischen Probleme

teten, damit er diese Angelegenheit selbst erle-

der Aktion“47.

digt.“ Postwendend verteidigt sich Eggerath:

Anfang 1959 kann Lothar Kreyssig auf 90 Bewerber und 800 Unterstützer-Adressen verweisen. Aktion Sühnezeichen richtet ein eigenes Büro ein: „Jebensstraße 1“, das Nachbarhaus des EKU-Konsistoriums, in dem sich auch Räume der Evangelischen Akademie befinden, soll über Jahrzehnte die Anschrift des Westzweiges der Organisation blei-

„Es dürfte Ihnen aus jahrelanger Praxis bekannt sein, dass Schreiben dieser Art stets mit einer Kopie für die entsprechende Dienststelle eingereicht werden. Weiterhin dürfte Ihnen auch bekannt sein, dass Entscheidungen auf diesem komplizierten Gebiet nicht von mir allein gefällt werden können und eine Beratung nicht von heute auf morgen in der gegenwärtigen Situation durchgeführt werden

ben. Der von der Magdeburger Kirchenverwaltung freigestellte Fritz

kann“ (4.11.1958).

Wilhelm Weber wird der erste hauptamtliche Sühnezeichen-Mitar-

Offensichtlich sieht sich der Staatssekretär

beiter. Immer noch gibt es keine Einladungen aus dem Ausland, aber jetzt

aber veranlasst, eine ausführliche Antwort auf das Schreiben von Generalsuperintendent Führ an den Ministerpräsidenten zu formulieren.

wird die Suche nach Anknüpfungspunkten verstärkt. Die Arbeit in

Der undatierte Entwurf ist überliefert. Er

Israel wird erst einmal delegiert: Gruppen der Evangelischen Studen-

würdigt das Anliegen grundsätzlich: „Ich

tengemeinde und des Schweizer Christlichen Friedensdienstes besuchen 1959 Israel und Palästinenserlager in Syrien und Libanon. Finan-

würde mich freuen, wenn diese Auffassungen in den von Ihnen vertretenen Kreisen weitere Verbreitung finden und die Schlussfolgerungen

zielle Zuschüsse der Aktion Sühnezeichen (ein Brief von Februar 1959

gezogen würden, dass die Politik der Revanche,

erwähnt immerhin 5.000 DM)48 werden verbunden mit der Hoffnung,

der erneuten Militarisierung und der damit

die befreundeten Gruppen würden Einsatzmöglichkeiten sondieren (inwieweit diese Hoffnung aufging, lässt sich im Nachhinein schwer rekonstruieren; direkte Ergebnisse in Gestalt von Einladungen für Aktion Sühnezeichen sind aus den frühen Nahostreisen nicht resultiert).

verbundenen Hetze gegen die friedliebenden Völker zurückgewiesen und verurteilt werden muss.“ Es folgt die Grundargumentation aller offiziellen Aussagen zu Aktion Sühnezeichen: In der Deutschen Demokratischen Republik seien diese Schlussfolgerungen mit aller Konsequenz gezogen. Noch allerdings hält die

Umso intensiver bemüht sich der Sühnezeichen-Gründer Anfang 1959

Antwort sich eine Hintertür offen, indem die

um die anderen beiden im Aufruf genannten Staaten: die Sowjetunion

Zurückhaltung nicht mit diesen grundsätz-

und Polen. Mündlich und schriftlich versucht Lothar Kreyssig, bei den Ost-Berliner Botschaftern Unterstützung für seine Idee zu finden. Mit seinem Anspruch, den Friedensdienst „oberhalb und unterhalb der Po-

lichen politischen Erwägungen begründet wird, sondern mit Verfahrensfragen: „Zur Sache selbst muss ich Ihnen mitteilen, dass die Regierung der Deutschen Demokratischen

litik“ anzusiedeln, geht er freilich baden. Vier Jahre nach dem NATO-

Republik die Souveränität anderer Staaten

Beitritt der Bundesrepublik und der Gründung des Warschauer Pakts,

streng achtet und deshalb Ihr Anliegen so lange

im Jahr der Genfer Außenministerkonferenz der vier Siegermächte, die sich definitiv nicht auf eine Wiedervereinigung Deutschlands einigen

nicht behandeln kann, wie die UdSSR und die Volksrepublik Polen nicht von sich aus Ihren Vorschlägen näher treten.“

können, landet er mitten in der Politik. Der polnische Botschafter etwa „Eine Studien- und Arbeitsfahrt nach Israel und Jordanien wollen die Evangelischen Studentengemeinden der Technischen und der Freien Universität im Frühjahr unternehmen. Eine Gruppe von 20 Studenten will im März für 50 Tage in einem arabischen Flüchtlingslager


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

39

an den Betreuungsarbeiten teilnehmen und in Israel in einem Kibbuz (israelische Gemeinschaftssiedlung) mitarbeiten. Dieser Plan wird vor allem von der diplomatischen Mission Israels in Bonn unterstützt, und

erklärt ihm bei einem persönlichen Gespräch im Mai 1959, er habe die

eine israelische Studentengruppe ist bereits da-

Anfrage der Aktion Sühnezeichen in Warschau vielen Ministerkollegen

bei, an Ort und Stelle die Mitarbeit der Berliner

und anderen vorgetragen:

Studenten vorzubereiten. Vor einigen Wochen ist in der Berliner

„Er müsse leider ablehnend antworten. Polen bemühe sich seit langem um-

Evangelischen Akademie die Vorbereitung

sonst um offizielle Beziehungen. Es dürfe angesichts der Beharrlichkeit die-

der Aktion Sühnezeichen diskutiert worden,

ser Bemühungen nicht der Eindruck erweckt werden, als ob trotzdem unbe-

die die deutsche Jugend aufgerufen hat, ein

fangene Beziehungen zwischen den Völkern bestünden. Nach Meinung der

Jahr in den Ländern, die besonders unter den Verwüstungen des Krieges gelitten haben,

Staatsmänner in Warschau sei angesichts des schweren Kampfes der Polen

Aufbauarbeit zu leisten. Die Unternehmung

um ihr wirtschaftliches Fortkommen es auch nicht geraten, deutsche Besu-

der Berliner Studenten steht in zwar keinem

cher an diesen Lebensumständen teilnehmen zu lassen, sowohl im Blick auf

organisatorischen Zusammenhang mit jener

die Einflüsse, welche durch diese Besucher auf die polnische Umgebung aus-

Aktion, ihr geistiger Impuls jedoch entstammt dem gleichen Bemühen.

gehen könnten, wie im Blick auf die Berichte, welche die Besucher daheim

Hinzu kommt ein anderer Beweggrund: Die

geben würden. [...] Der Botschafter äußerte sich bemerkenswert vertrau-

Evangelische Studentengemeinde hat ein

ensvoll und deutete an, dass ihnen mancherlei erwünschte Möglichkeiten

Laienseminar über die historischen, sozialen,

durch Rücksichten auf Russland einerseits, die DDR andererseits, unzu-

politischen und religiösen Probleme des Nahen Ostens veranstaltet. Man wollte sich

gänglich erschienen.“49

über diese Fragen orientieren, um mit den

Jeder offizielle Schritt führt zwischen die Fronten des Kalten Krie-

arabischen Kommilitonen an den Universitäten

ges. Der polnische Botschafter empfiehlt, Zugang über „evangeli-

sachgemäß diskutieren zu können. Unter den

sche Persönlichkeiten“ in Polen zu suchen. Eine ähnliche Strategie

ausländischen Studenten, die an den deutschen Hochschulen studieren, nimmt die Gruppe der arabischen zahlenmäßig den ersten Platz ein. Dieses Verhältnis gilt auch für Berlin, wo hinzu kommt, dass die arabischen Kommilitonen hier vor allem auch politisch interessiert sind und seit einiger Zeit eine recht lebhafte

hat schon sein sowjetischer Amtskollege vorgeschlagen, der Kreyssig „die Anregung, inoffiziell Wege zu suchen, eindeutig genug gegeben hat“50. Lothar Kreyssig zieht seine eigenen Schlüsse. Sind eben doch die Christen die Friedens-Experten? An den norwegischen Freund und Pas-

Diskussion der Nahost-Probleme ausgelöst

tor Conrad Bonnevie-Svendsen schreibt er, es seien wohl

haben. Dabei zeigte sich, dass die deutschen

„naturgemäß unsere Aussichten bei den Regierungen in Polen und Russland,

Gesprächsteilnehmer mit den Hintergründen

soweit sie überzeugte Atheisten sind, besonders gering. Für sie hat der Frie-

des Problemkreises nicht genügend vertraut waren. Auch dazu soll, anschließend an das

den keine Wurzel mehr in der Vergebung und Versöhnung. Sie verstehen ihn

Seminar, die Nahost-Arbeitsfahrt dienen.“

im besten Falle als ein Ergebnis vernünftiger Einsicht, im Übrigen aber als

Aktion Sühnezeichen gab Anregung. Berliner Stu-

ein Rechenexempel oder ein Ergebnis von Weltanschauung und diesseitiger

denten wollen in Israel Aufbauarbeit leisten, in: Der

Welterlösung.“51

Tag (Autorenkürzel C.F.),18.1.1959. Die Berliner Studentengruppe wurde von den

Tatsächlich sind es ökumenische Verbindungen, die der Aktion Süh-

Studentenpfarrern Rudolf Weckerling und

nezeichen die ersten Türen öffnen. Über die Niederländische Ökume-

Friedrich-Wilhelm Marquardt geleitet.

nische Gemeinde, seit 1949 in Berlin ansässig, vermittelt Hebe Kohl-

“Und dann kam der Tag, an dem die ostdeutsche Geheimpolizei dafür sorgte, dass ich Kontakte zur Sowjetunion nicht länger nur wünschenswert, sondern dringlich fand. Elisabeth Gürtler war Sekretärin im Ost-Berliner Kirchen-Büro der Aktion


40

Sühnezeichen Friedensdienste, die Dienste junger Deutscher in von den Nazis heimgesuchten Ländern organisierte [sic]. Bei Elisabeth gab ich immer die Medikamente und Nachrichten aus

brugge, Brückenbauerin zwischen Ost und West, einen ersten Einsatz

dem West-Berliner Büro von Bischof Scharf ab.

ab April im westfriesischen Ameland. Der nächste „Treffer“ folgt im

An jenem Tag nun musste sie zum Zug, um

Mai, als Kreyssig Hermann Kunst vermelden kann:

nach Hause nach Stahnsdorf, südlich von Berlin,

„Halali! Bonnevie-Svendsen brachte gestern früh die Erfüllung aller Wün-

zu fahren. Uns verfolgte ein Auto mit zwei Männern der Geheimpolizei, so weit nichts Un-

sche. Wir sind – seitens der Norweger mit herzlichem, tiefem Dank – ein-

gewöhnliches. Elisabeth stieg am Bahnhof aus,

geladen, schon im September in Norwegen in nächster Nähe des kleinen

und dann passierte etwas sehr Beunruhigendes:

Städtchens Harstad innerhalb einer Anstalt, welche der Unterbringung schwachsinniger Kinder dient, ein dringend benötigtes Wirtschaftsgebäude

Einer der Männer stieg aus und folgte ihr. Schon ich als Ausländer war irgendwie angreifbar, Elisabeth als DDR-Bürgerin umso mehr.

zu errichten. [...] Er hatte schon Zeichnungen und Pläne mit und hatte eine

Ich hatte schon daran gedacht, Kontakt mit

unwahrscheinliche Menge praktischer Einzelheiten vorbedacht. So werden

den Russen aufzunehmen. Würde ein solcher

unsere Abreden von neulich sehr rasch akut.“52

Kontakt mich in den Augen meiner Ost-Berliner

Klingt da etwa Panik mit? Die ersten beiden Projekte scheinen den Planungsstab in Berlin dann doch zu überrumpeln. Geld ist nötig – für

Schatten nicht zu einer komplizierteren Person machen – und dadurch auch Elisabeth ein Stück weit beschützen? ‚Ich brauche sofort Kontakt

Norwegen allein 130.000 bis 150.000 DM – und Freiwillige, die schnell

mit den Russen‘, dachte ich, und so fuhr ich di-

mitkommen können. Hier kommt das Evangelische Amt für Industrie-

rekt durch die Straße Unter den Linden bis zum

und Sozialarbeit in Berlin-Charlottenburg ins Spiel. Der Leiter Harald

Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft. Durcheinander wie ich war, fuhr ich allerdings

Poelchau ist Kreyssig aus der Bekennenden Kirche bekannt; dessen Mit-

auf der falschen Straßenseite – hinter mir her

arbeiter Franz von Hammerstein – auch er stammt aus der Dahlemer

der Schatten, auch er gegen die Verkehrsregeln.

Bekennenden Gemeinde und war wegen der Verbindung seiner Familie

Vor dem Gebäude hielt ich an, ging hinein und

zum Widerstand inhaftiert – ist sofort bereit, unter jungen Arbeitern und Berufsschülern zu werben. Die damit beginnende Partnerschaft

trug am Informationstresen mein Anliegen vor. Ob wir eine Kopie des Films ‚Ballade vom Soldaten‘ mieten könnten, um ihn jungen West-

mit der Evangelischen Industriejugend wird für Jahre eine tragende

berliner Arbeitern zu zeigen? Die Antwort war:

Säule der Sühnezeichen-Arbeit.

,Wir können Ihnen nicht helfen. Kommen Sie

Die schnelle Werbung ist umso dringender, als immer fraglicher wird,

am Donnerstag wieder.‘ Als ich ganz enttäuscht aus dem Haus trat, war weit und breit keine Geheimpolizei mehr

ob die Teilnehmer aus der DDR den Staat für die Zeit ihres geplanten

zu sehen. Hatte dieses simple Manöver mich

Einsatzes verlassen dürfen. Ab Februar 1959 versuchen prominente

undurchschaubar genug gemacht, um meinen

Kirchenleute – unter ihnen Martin Niemöller, der pommersche Bischof

Schatten zu irritieren?“ Paul Cates, ‚Peacemonger‘. Stories from the Cold

Krummacher und Ernst Wilm – bei den DDR-Behörden die Ausreise-

War in Berlin, in: Friends Journal. Quaker Thought

genehmigung für jene 14 der insgesamt 28 Holland-Freiwilligen zu

and Life Today, September 2003, S. 23-25.

erwirken, die aus Ostdeutschland kommen. Ab März wird das Außenministerium direkt angegangen – zunächst ohne jedes Echo. Ein Brief am 23. März – die Ausreise soll in einer Woche erfolgen – macht wenig Hoffnung: „Sobald die Angelegenheit geklärt ist, werden Sie von uns

Wahl-Berliner wie der holländische Pfarrer Joop Siezen und der US-Student und Quäker Paul Cates übernahmen Kurierdienste für kirchliche Einrichtungen zwischen Ost- und Westdeutschland. Das Abenteuer des Paul Cates hatte weit reichende Folgen: So begann eine sowjetische Filmreihe in West-Berlin; erste Gespräche über mögliche SühnezeichenEinsätze in der Sowjetunion wurden geführt; Elisabeth Gürtler wurde seine Frau.


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

41

Dieser erste Einsatz kam nicht zu Stande. Die Freiwilligen reisten nicht nach Ameland, sondern nach Friesland. Schon vor Ameland war ein Vorhaben in der Tschechoslowakei geplatzt. Im Sommer 1958 berichtet Kreyssig dem

Nachricht erhalten.“53 Einen Monat später erfährt der Sühnezeichen-

Schriftleiter der ESG-Zeitschrift ansätze, man

Abgesandte Weber im direkten Gespräch, es habe eine Beratung statt-

erwäge mit der Jüdischen Gemeinde und dem

gefunden. Sühnezeichen bedeute eine „Verzettelung der Kräfte“:

Gründer der „Prager Christlichen Friedenskonferenz“, Josef Hromadka, auf dem Marienbader

„Die Holländer würden unsere friedfertige Gesinnung daran am besten er-

Friedhof das verwüstete Grab von Professor

kennen können, dass wir gemeinsam gegen die Wiederaufrüstung in West-

Theodor Lessing wiederherzustellen, einem der

deutschland und die Atombewaffnung der Bundeswehr Stellung nehmen

ersten Mordopfer der Nazis jenseits der deut-

würden. [...] Außerdem fühle man sich nicht verantwortlich für das, was

schen Grenzen. „Wie ich angedeutet bekomme, ist der Antisemitismus dort im Lande schon

Hitler während des letzten Krieges getan habe. Es läge ihnen aber daran, die

wieder so bedrohlich, dass eingesessene Leute

offizielle Meinung der holländischen Regierung zu Sühnezeichen zu wissen.

sich der Sache kaum anzunehmen getrauen.“

Von einer Besprechung zwischen dem Minister und Präses D. Wilm und Prä-

Man könne dies „vorab tun“ und damit erstens

ses Dr. Kreyssig verspräche man sich keinen Nutzeffekt, da das Außenminis-

„Tatbereitschaft“ beweisen und zweitens zeigen, dass man sich nicht auf die drei im Aufruf genannten Länder beschränken wolle (Brief Lothar

terium nicht zuständig sei. Wörtlich: Die Aktion Sühnezeichen ist nicht die Sache, die uns großen Nutzen in unseren Zielen einbringt.“54

Kreyssig an Horst Bürkle, Stuttgart, 6.8.1958, EZA

Als eine „gläserne Wand“ beschreibt Kreyssig später diese unnachgie-

97/167).

bige Haltung der DDR-Regierung.55 Mit der für ihn charakteristischen

Doch so weit kommt es nicht. Ein knappes Jahr später zeigt sich Kreyssig von den „Brüdern

Mischung aus Zähigkeit und Beweglichkeit kämpft er zwar selbst dann

in Prag“ enttäuscht: „Ich sehe nun mit Trauer,

noch um Genehmigungen, als im Herbst 1959 auch die zweite Gruppe,

dass sie auf die politischen und ideologischen

diesmal in Norwegen, ohne die Ostdeutschen anfangen muss. Schon

Formeln völlig festgelegt sind. Sinnesänderung

im Juni allerdings ruft er die Teilnehmer aus der DDR dazu auf, sich

darf nur in den Kardinalforderungen des politischen Programms bewiesen werden, an das

an ökumenischen Aufbaulagern in Dresden, Berlin-Weißensee und

man sich gebunden hat“ (Brief Lothar Kreyssig

Herrnhut zu beteiligen. Das ist nicht nur eine Ausweichlösung – und

an Pfarrer Heinemann-Grüder, Potsdam, 8.5.1959,

schon gar nicht die Vorwegnahme dessen, was Außenminister Bolz ein

EZA 97/938).

Jahr später abschließend zu Sühnezeichen dekretieren wird: Man möge die Friedenswilligen zum Aufbau des Sozialismus bewegen, denn „hier können junge Menschen aller Berufe und Konfessionen große und von heißer Liebe zum Frieden durchdrungene Taten zur Stärkung und Festigung unseres Arbeiter- und Bauernstaates leisten und damit zu ihrem Teil der Verantwortung des deutschen Volkes am besten gerecht werden“56. Die Idee der „Auslese und Bewährung“ in innerdeutschen Lagerdiensten hat Kreyssig vielmehr schon Anfang 1959 den westdeutschen Weggefährten Beckmann und Wilm unterbreitet.57 Auch nach dem Beginn der Auslandsarbeit hält er an diesem Gedanken fest – und bittet beispielsweise (vergeblich) beim Magistrat von Berlin um die Zulas-


42

sung von West-Berliner und westdeutschen Teilnehmern an Aufbaulagern.58 Die Idee der vorbereitenden Dienste hat im Westen des geteilten Deutschlands nur in Gestalt kurzer Arbeitseinsätze im Rahmen von Vorbereitungsseminaren überlebt. Im Osten begann mit der Beteiligung Einzelner an Lagern der Gossner Mission 1959 und der selbstständigen Organisation von Sommerlagern ab 1962 eine eigene Form der Sühnezeichen-Arbeit.

Neugier, Opfer, Abenteuer: Die Pioniere

Ende August 1959 erhält eine Wuppertaler Aufzugsfirma einen Brief von Lothar Kreyssig. Er bittet um sechs Monate unbezahlten Urlaub für den Elektromechaniker G.: „Es ist uns klar, dass ein gewisses Opfer auch Ihnen zugemutet wird. Da sich unser Anliegen aber an die Deutschen schlechthin wendet, die es allesamt angeht, dürfen wir Sie um Verständnis und eine geneigte Gesinnung bitten.“59 Ganz so schnell kann der Betrieb selbst in Zeiten der Vollbeschäftigung nicht reagieren. Er stellt das Frühjahr 1960 in Aussicht. Auf diesem Antwortschreiben ist jedoch handschriftlich vermerkt: „G. hat gekündigt und nimmt am Norwegen-Lager teil.“ Sich an einem Einsatz der Aktion Sühnezeichen zu beteiligen, setzt Engagement voraus. 30 junge Westdeutsche haben sich, teils in letzter Minute, für „Norwegen I“ bereitgefunden. Woher nahmen sie ihre Motivation, was waren ihre Beweggründe? „Ungefähr die Hälfte der Gruppe war vor allen anderen Dingen von der Hoffnung auf einen versöhnenden Dienst der Aktion erfüllt und war deshalb mitgekommen“, so lautet das ehrliche Fazit der ersten Norwegen-Gruppe nach der Vorstellungsrunde, Ende August 1959 in einem CVJM-Heim nahe Hamburg. Im nordnorwegischen Trastad bei Borkenes wollen sie ein Wirtschaftsgebäude für ein „Schwachsinnigenheim“ bauen, komplett vom Fundament bis zum Dach. Da packt die meisten auch „Lust am Abenteuer, die Freude an der Gemeinschaft, jugendlicher Tatendrang“, vermerkt das Protokoll, allerdings nicht ohne ganz diplomatisch den


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

43

Die jungen Leute, das waren junge Männer und Frauen. In den ersten Gruppen stellten die Männer die große Mehrheit – sie waren für die Bauarbeiten zuständig –, einige wenige Frauen waren aber immer mit von der Partie und für Haus und Küche eingesetzt. Wäre es nicht einfacher, reine Männergruppen auszusenden? Die Gruppendynamik dürfte überschaubarer sein, es entfielen so manche

Wunsch zu erwähnen, „dieses alles nicht selbstsüchtig zu suchen, sondern es einem guten Zweck dienstbar zu machen“60. Noch heißen sie nicht „Freiwillige“ wie in späteren Jahren, sondern „Mannschaft“. Zu einer Mannschaft allerdings müssen sie erst zusam-

Disziplinprobleme. Solche Überlegungen

menwachsen in ihrer Lebens-, Wohn- und Arbeitsgemeinschaft im

beschäftigen die frühen Verantwortlichen, und

fremden Land. Die Vorbereitung in Deutschland ist kurz. Den „Norwe-

sie werden auch von außen an Sühnezeichen

gern“ bleiben in Hamburg fünf Tage – für Kennenlernen, Organisato-

herangetragen. Am 11. Januar 1961 berichtet Lothar Kreyssig drei weiblichen Gruppenmit-

ria, einen Abschiedsempfang beim Bürgermeister, für Interviews mit

gliedern in Servia von der entsprechenden

Zeitungs- und Rundfunkreportern. Die Reise nach Borkenes dann, mit

Anfrage eines katholischen Freundes:

einer Station in Oslo, wird länger dauern: Eine Woche ist die Gruppe im

„Er glaube, dass die zwischen Jungen und

Zug unterwegs.

Mädchen natürlicherweise auftretenden Empfindungen für echte Freundschaft und Bruderschaft abträglich seien. Ganz falsch ist das wohl

Die jungen Leute aus Köln, Wuppertal und Berlin, die da, gut aus-

nicht, aber doch würden wir gewiss meinen,

gerüstet für die langen Abende mit einer Schreibmaschine, einem

es uns zu leicht zu machen, wenn wir auf

Plattenspieler samt Jazz-Platten, einem Filmapparat, Tischtennisschlä-

Gefahren und Schwierigkeiten einerseits, auf die großen Möglichkeiten echter menschlicher

gern, Monopoly, einem Ravensburger Spielemagazin und 100 Büchern

Ergänzung und Vertiefung verzichten wollten.

aus der Bibliothek der Rheinischen Landeskirche, gen Norden zie-

Auch Luther hat ja gesagt, es werde wieder

hen, sind im kollektiven Gedächtnis der Aktion Sühnezeichen zu den

Orden geben, nur andere. [...] Ich freue mich

Pionieren geworden.

jedenfalls schon darauf, in der nächstfälligen Sühnezeichen-Synode zwischen Weihnachten

Die Ersten waren sie aber nicht. Das waren vielmehr jene zwölf, die

und Neujahr 1961 euch und wer sonst noch von

ab April 1959 in Ouddorp auf der südholländischen Insel Goere-Over-

Sühnezeichen-Mädchen zu erlangen ist, dem

flakkee Ferienunterkünfte bauen sollten. Von ihrem Einsatz ist wenig

verehrten katholischen Bruder zu einem lusti-

überliefert – vielleicht wegen der vielen Pannen: Das Projekt Ouddorp

gen Streitgespräch gegenüberzustellen“ (EZA 97/560). Die Verantwortlichen der ersten Stunde

endete früher als geplant. Drei aus der Gruppe reisten vorzeitig ab – von

empfinden die Mischung der Geschlechter als

„Vertrauensbruch“ ist die Rede –, die übrigen mussten Ende Juni der Ba-

ebenso kritisch wie inspirierend. Sie versuchen,

desaison weichen, ihre Unterkünfte wurden für Urlauber gebraucht.

die Dynamik beherrschbar zu halten. Auf dem

Sie hinterließen 5.000 Bäume und einen Doppelbungalow: das erste

Packzettel für die Griechenland-Freiwilligen werden kurze Hosen ausdrücklich nur für

„Sühnezeichen“.

Männer empfohlen, Badeanzüge sollen eintei-

Im Herbst dann geht es richtig los. Vor dem Norwegen-Einsatz ver-

lig sein. Als es um die Zusammenstellung der

anstaltet Aktion Sühnezeichen in Berlin die erste Pressekonferenz.

nächsten Gruppe geht, schreibt Hans-Richard

Die Öffentlichkeit nimmt wahr: „Evangelische Kirche lässt ‚Aktion

Nevermann vom ersten Norwegen-Einsatz: „Auf Enthaltsamkeit in geschlechtlicher Hinsicht ist nachdrücklich hinzuweisen“ (Brief an Lothar Kreyssig vom 1.2.1960, EZA 97/348). Die Rollen sind rigide verteilt. Nicht nur der offensichtlich männliche Schreiber des Tagebuchs der ersten Norweger schwärmt: „Auch die Mädchen haben ihre Arbeit. Irgendwelche Spannungen ergeben sich aus ihrem Dabeisein überhaupt nicht. Für uns ist es schön, morgens in aller Frühe an sauber gedeckten Tischen

Sühnezeichen‘ anlaufen“61. Lothar Kreyssig packt das Reisefieber: eine „ursprünglich männliche, abenteuerlustige, wikingerhafte Freude an Aufbruch, Abenteuer, Fahrt, Weite“62. An Hans-Richard Nevermann,


44

von ihnen mit ihren adretten weißen Kitteln bedient zu werden“ (zitiert nach Skriver, a.a.O., S. 44). Auch die Frauen der ersten Jahre stellen

Vikar und Leiter der Gruppe, schreibt er: „Eigentlich muss man ja, um

die klare Rollenverteilung nicht in Frage. Die Tagebuchschreiberin vom 20. August 1961

das ganz mitzukriegen, reiten, nicht fahren oder gar fliegen, womit an-

in der Holland-/Israel-Gruppe jedenfalls hält

gedeutet wird, dass jene tief eingestiftete Freude mehr mit dem Gesäß

wenig von männlicher Haushaltshilfe: „Es ist

als mit dem Kopf zu tun hat.“ Auch die jungen Leute sind kaum zu bremsen. Noch in Hamburg bau-

der erste Sonntag, an dem das Frühstück von drei Jungen bereitet werden soll [nota bene: die Gruppe ist seit gut vier Monaten im Einsatz;

en sie einen Kriegsbunker zum Kartoffelkeller um. Kaum in Norwegen

G.K]. Schon ab 7 Uhr hören die Mädchen das

angekommen, stürzen sie sich so auf die Arbeit, dass der Anstaltsleiter

geschäftige Hin- und Herlaufen eines Tischde-

Johannes Gilleberg sich vom „nach vorn drängenden Arbeitseifer fast ein wenig beunruhigt“ zeigt.63 Bald muss Hans-Richard Nevermann die

ckers. Nach der Vielzahl der Schritte zu urteilen, bringt er jeden Marmeladenteller einzeln auf den Tisch“ (EZA 97/705).

norwegische Baugewerkschaft beschwichtigen („mit dem Hinweis auf

Erste aktenkundige Bestrebungen von Frauen,

die Besonderheit unseres Dienstes“64), die befürchtet, die dem Wind

andere Aufgaben zu übernehmen, hat es im

und Regen trotzenden deutschen Bauarbeiter könnten die tariflichen Schlechtwetterregeln aufweichen.

griechischen Servia gegeben. Zugunsten der Arbeit mit ansässigen Familien und der Kinderbetreuung soll die Hausarbeit für die Gruppe

Die Deutschen erleben, dass ihre Geste kein Selbstläufer ist. Nur von

in den Hintergrund treten beziehungsweise

wenigen werden sie mit offenen Armen empfangen. Was ein Norwegen-

von griechischen Frauen gegen Bezahlung

Teilnehmer beobachtet, ist mehr als ein Unterschied der Temperamente: „Kühn sind wir ausgezogen und wollten Versöhnung praktizieren –

übernommen werden. Gruppenleiter Buczys schreibt aufgebracht an Lothar Kreyssig: „Wir alle sind eine Verpflichtung eingegangen,

und was finden wir hier? Die ruhige abwartende Haltung der Norweger,

deren Geist im Dienst besteht, im einfachen,

hinter der wir die Frage spüren: Meint ihr‘s auch ehrlich? Oder betreibt

demütigen Dienen, dem keine Arbeit zu gering

ihr genauso uniformierte Versöhnung, wie ihr Deutschen uns uniformiert überfallen habt?“65 Solchen Vergleichen und den damit verbundenen negativen Erinnerungen, den Verletzungen durch Deutsche, setzt sich Aktion Sühnezeichen bewusst aus. Die Projektwahl ist in höchstem Maße symbolisch: Die Gruppen sollen an Orten arbeiten, die vom Krieg gezeichnet sind.

ist. Wir sind nicht mehr Aktion Sühnezeichen, wenn unsere Frauen und Mädchen sich nicht mehr zur Hausfrauenarbeit bereitfinden“ (11.11.1960, EZA 97/560). Seine Begründung ist einleuchtend: Die Deutschen sollten weder als „Geldprotze“ noch wie „Besatzungstruppen“ auftreten. Gleichzeitig wird hier jedoch der zaghafte Versuch

Die holländische Insel Goere-Overflakkee etwa war von Deutschen be-

einer Neudefinition der Rolle von weiblichen

setzt, die im Herbst 1943 ihre Deiche sprengten und sie damit der Über-

Sühnezeichen-Mitgliedern im Keim erstickt.

schwemmung preisgaben. Auch Zeitpunkte nehmen bisweilen explizit Bezug auf den Zweiten Weltkrieg. Der Norwegen-Einsatz startet 20 Jahre nach Kriegsbeginn, und auch für einen Einsatz in Griechenland wurde ein bedeutungsvoller Termin gewählt. Ein Schweizer Pfarrer gibt hier Franz von Hammerstein zu bedenken: „Wenn eine so große Gruppe mit allerlei Wirtschaftswundergeld gerade am Tag des Einmarsches der deutschen Truppen in Griechenland anzukommen


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

45

Auch Lothar Kreyssigs eigene Gefolgsleute brachte sein Gottvertrauen bisweilen an ihre Grenzen. Das briefliche Ringen zwischen Lothar Kreyssig und Johannes Müller um „Solidität“ hat den Vor- und Nachteilen des Kreyssig-

plant, so macht das auf ihn und, wie er betonte, auch auf einige Griechen

schen Wagemuts einprägsame Formulierungen

einen merkwürdigen Eindruck. Damals hätten wir mit Panzertruppen er-

verliehen.

obert, heute eroberten wir mit Sühne und Geld. Er hat das nicht so scharf

Im Mai 1961 beklagt sich Johannes Müller, der Leiter der späteren ersten Israel-Gruppe, der

gesagt, aber in etwa gingen seine Bedenken in diese Richtung.“66

mit seinen Leuten seit April ersatzweise im

In vielem waren die deutschen Gruppen freilich geradezu ein Gegenbild

friesischen Joure ein Jugendzentrum errichtet,

zu den deutschen Truppen. Die ersten Einsätze der Aktion Sühnezei-

bei Lothar Kreyssig über das Ausbleiben

chen waren von einem Grad an Improvisation begleitet, der bisweilen

versprochener Gelder, das bei Holländern Misstrauen auslöse. Dieser antwortet ungerührt:

Chaos genannt werden muss. Der Charme des Unkoordinierten dürfte

„Es ist ja nur sachgemäß, wenn auch die Brüder,

hier und da akzeptanzfördernd gewirkt haben, Strategie war er nicht.

welche uns Vergebung gewähren, an den

Er entsprang dem Kreyssigschen Gottvertrauen – und verlangte Gästen

Realitäten sehen und miterleben, wie völlig die

wie Gastgebern einiges ab.

Möglichkeit aus Gottes Hand kommt und nirgends anders her. Nach weltlichen Maßstäben

So waren die Projekte kurz vor der Ausreise weder durchfinanziert

müssen wir uns ja selbst für Bankrotteure und

noch voll besetzt. Auch Hans-Richard Nevermann übernahm erst in

Hochstapler halten und wären es auch, würden

letzter Minute die Leitungsfunktion. Im Rückblick moniert er:

wir nicht angehalten, in allen freudigen und

„Die Ausrüstung des Gruppenleiters, der nur knapp eine Woche vorher für

fatalen Einzelheiten immer wieder die Wendung in den Glauben zu vollziehen. So dürfen

diese Aufgabe hatte gewonnen werden können, bestand aus heillos veral-

auch die Brüder, die Gott uns auf dem Weg

teten Plänen über Grundriss und Ansichten des zu errichtenden Gebäudes

entgegenschickt, Schritt vor Schritt merken,

und je einer Grußadresse des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Wil-

dass die von den Deutschen für Rüstung und

ly Brandt, und des Oberbürgermeisters von Köln, Theo Burauen, aus deren

Entwicklungshilfe aufgehäuften Milliarden ein anderes sind, als was uns immer wieder in die

Städten einige Teilnehmer stammten. Und – diesen einen ‚Trost‘ hatte die

ausgestreckte Bettlerhand hineingetan wird“

Leitung der Aktion Sühnezeichen verheißen: Man könnte am Zielort Trastad,

(16.5.1961; EZA 97/704).

nördlich des Polarkreises, das ganze Jahr über bauen. Wegen des Golfstroms

Wenn es ums eigene Risiko gehe, antwortet

gäbe es dort keine Frostgrade. Man bedenke: nichts über Land und Leute,

Johannes Müller, könne man losziehen wie das Volk Israel durch die Wüste, dem das Manna ja

nichts über Kriegsgeschehen und Besatzungspolitik, nichts darüber, was

auch Tag für Tag neu gegeben wurde:

uns im Lande wirklich erwarten würde. Nur dieser eine ominöse, zwar gut

„Aber an unserer ‚Aktion‘ sind ja viele andere

gemeinte, aber falsche Trost über das Klima auf der geographischen Breite

Menschen, Leichtgläubige, Kleingläubige, Un-

etwa von Narvik! Das hatte keinen anderen Wert, als dass es höhnisches

gläubige auch beteiligt, sowohl als Mitarbeiter wie als Adressaten unserer Botschaft, kurz Menschen, die an der praktizierten Vergebung noch keinen oder noch keinen bewussten Anteil haben. Ich kann sie nicht zwingen oder auch nur erwarten, dass sie meine Gratwanderung, um nicht zu sagen Seiltänzerei des

Gelächter bei den Norwegern hervorrief. So wurde bald offenbar, dass die Entsendung dieser Gruppe sich als höchst dilettantisch, ja, als gefährlich herausstellte.“67 Der Einsatz ist ein Abenteuer. Vier junge Frauen übernehmen den Haushalt der Gruppe, die 26 Männer machen sich an die Bauarbeit. Einige

Glaubens mitmachen. Mir stellen sich jeden-

unter ihnen haben keinerlei handwerkliche Erfahrung, aber auch die

falls die Dinge so dar: Wenn Gott will, dass wir

Profis sind höchstens Gesellen und gewohnt, Weisungen zu empfangen.

diese Aktion durchführen, wird er auch dann Geber willig machen, wenn wir noch nicht auf Anfangserfolge des bereits begonnenen Unternehmens und auf die Notwendigkeit, es zu Ende zu führen, hinweisen können. Er mutet uns zu, trotz unseres leidenschaftlichen Eifers


46

für die Sache mit dem Beginn zu warten, bis das notwendige Geld beisammen ist. [...] Ist in diesem Nichtwartenkönnen (oder Nichtwartenwollen?) nicht etwas drin von der

Bald muss Gruppenleiter Nevermann nach Berlin von Ungeduld, von

Ungeduld jener Männer, die den Hochzeitstag

mangelndem Verantwortungsgefühl, von Überforderung berichten. Er

nicht abwarten können und ihre Verlobte zu

selbst ist zum „Dompteur“ geworden – der sich allerdings sanfter Me-

vorehelicher Gemeinschaft drängen, ehe die

thoden bedient: „Täglich gibt es irgendetwas Neues, manchmal ganz Banales, wie zum Beispiel zu lange getragene Unterwäsche usw. Um auch alles richtig an den Mann zu bringen, sind oft lange Spaziergänge nötig, zu denen ich dann den einen oder anderen einlade, um ihm eine peinliche Situation zu ersparen.“68

Stunde sich unter dem Segen Gottes erfüllt? Oder – da ich nun bei dem im Alten Testament häufig verwendeten Gleichnismaterial des geschlechtlichen Lebens angelangt bin – üben wir nicht sowohl an Gott wie an unseren präsumtiven Geldgebern eine Art geistlicher Erpressung mit dem voreiligen Beginn, wie

Die Zusammensetzung der Gruppen ist eine Herausforderung. Min-

wenn ein Mädchen sich schwängern lässt, um

derjährig sind die einen, andere schon Mitte zwanzig; manche haben

dann unter Berufung auf ihre Schwangerschaft

im Krieg die Eltern verloren, einige die Heimat; der Bildungsstand ist

vom Erzeuger des kommenden Kindes oder

ebenso verschieden wie der Zugang zum christlichen Engagement eines Lothar Kreyssig. „Die Kölner“ und „die Berliner“ heißen in Norwe-

von den Eltern die Eheschließung ertrotzen zu können?“ (23.5.1961; EZA 97/734). Die Standpauke erreicht nicht ihr Ziel. Kreyssig

gen zwei Fraktionen – religiös motiviert die einen, pragmatische Hand-

ist vielmehr entzückt von den Bildern: „Am

werker die andern.

nächsten kommt der Sache der deftigste

Die Tage und Wochen sind gut durchgeplant. Zu den Andachten –

Vergleich von dem Mädchen, das sich, um die Ehe zu ertrotzen, ein Kind machen lässt.“ Nach

morgens eine „Tagesrüste“, am Freitagabend ein Wochenabschluss

„kameralistischen Grundsätzen“ und nach

und am Sonntag Gottesdienst – kommen eine ganze Reihe freiwilliger

„redlicher Weltlichkeit“, so erklärt er trotzig,

Aktivitäten: Am Montag ist Leseabend, dienstags lehrt Pastor Gilleberg Norwegisch, am Freitag wird vor der Andacht über Politik diskutiert. Dazwischen gibt es Bastelabende, gemeinsames Singen, theologische

wäre schließlich noch kein Anfang zustande gekommen: „Stattdessen waren wir auf die unsolide Weise schon mit vier Diensten zu Ende, mit zwei

Information, Filme oder Gespräche mit Journalisten-Gästen. Der „Kul-

weiteren auf dem Plan, als der Posaunenstoß

turwart“ erklärt den Sinn dieses gemeinsamen Wochenprogramms:

des Eichmann-Prozesses begann. [...] Das

„Es ist deutlich, dass Sühnezeichen hier nach innen, auf die Gruppe hin, einen Arbeitsauftrag hat, denn solidarisches Leben bedeutet auch gemeinsam und gemeinschaftlich verbrachtes Leben. In Borkenes hatten wir die Zeit, für Völkerverständigung zu sorgen und uns in ein norwegisches Mädchen zu verlieben. Aber das können wir auch in Deutschland besorgen, dafür muss man sich nicht das in seinen erwachsenen Schichten großenteils verbitterte

Gesetz, nach dem wir angetreten, ist der Primat der Tat. [...] Wenn ich erst einen Propagandafeldzug beenden muss, um genügend Leute zu überzeugen, dass mein Vorhaben richtig und wirksam sein werde, dann kommt wieder Gerede an den Anfang mit der Chance für den alten Adam, sich mit Gründen und Scheingründen zu drücken“ (28.5.1961, EZA 97/704).

Ausland vornehmen. Und wenn ihr bei euch selbst bleibt, von einer Arbeitsgemeinschaft zu einer lebendigen menschlichen Truppe werdet, wirkt ihr weit mehr als Magnet und kontaktfördernd, als wenn ihr durch die Dörfer wedelt, ‚in privat‘ macht und euch von Schürze zu Schürze schwingt. Ich habe beides gemacht, und ich weiß, womit ihr mehr ausrichtet.“69

„Wenn euch die Andacht so ärgert und langweilt, versucht doch mal, etwas Schwung hineinzubringen. Es hat ja doch keinen Sinn, einfach nicht hinzugehen. Jedenfalls fände ich es gut, wenn ihr dem Kollegen Nevermann erzählt, warum ihr nicht kommt, und möglichst einen Vorschlag macht, wie man eine Andacht interessanter gestaltet.“ Brief Franz von Hammerstein an die „Berliner Kollegen“ in Trastad, 9.11.1959, EZA 97/346.


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

47

Dieses Protokoll klingt fast wie eine Bekehrungsgeschichte. Es ist zu lesen, dass zwar die Gastfreundschaft der Norweger sowie Unlust und Müdigkeit manche den Gruppenabenden fern gehalten hätten. Ab Januar 1960 aber, also in der zweiten Hälfte des gemeinsamen Dienstes, habe sich gerade in weit in die Nacht dauernden Gesprächen viel getan: Die Gruppe habe gelernt, zu diskutieren und andere Meinungen gelten zu lassen. Für solche Entwicklungen braucht es einen langen Atem. Den hat eher der Gruppenleiter vor Ort als die Verantwortlichen im fernen Berlin. Von dort dringen nach einigen Monaten ungeduldige Töne an den Polarkreis. Wenn die Disziplinprobleme nicht zu lösen seien, solle er den Schwierigsten herausgreifen und ihn nach Hause schicken, liest HansRichard Nevermann im November.70 Doch er weigert sich: „Wo wir die Schwachen ausstoßen, sind wir weder Gott gehorsam, noch haben wir selbst etwas von Sühne und Vergebung untereinander verstanden.“ 71 Der Vikar vertraut auf den pädagogischen Effekt des Einsatzes. Kurz vor der Rückreise bilanziert er in einem Brief an den deutschen Auslandspfarrer in Oslo: „Man sollte dem alten Kreyssig allein schon im Hinblick darauf dankbar sein, dass er mit der Errichtung des Zeichens auch saure Arbeit, Opfer und Hingabe verlangt hat. Das bedeutet für die Erziehung der Jugend viel mehr als alle wirtschaftswunderlichen Einrichtungen. Das befriedigt auch und hilft beim Wachstum und der Reifung.“72 Es gibt eine Dynamik des Sühnezeichens, und sie greift nicht nur innerhalb der Gruppen. Die Briefe, Berichte, Tagebücher der ersten Jahre berichten von unerwartet herzlichen Begegnungen mit Norwegern, Holländern, Griechen. Der Mannschaft werde klar, dass „hier auf Trastad mit einer Gruppe unbekümmerter junger Leute etwas geschieht, was sie selbst nicht mehr in der Hand haben, wenn sie Ziegelsteine tragen“, so beschreibt ein Teilnehmer der Norwegen-Gruppe behutsam das Wunder.73 Eine Griechenland-Fahrerin formuliert überschwänglich: „Als wir in Servia einfuhren, war der Marktplatz schwarz von Menschen. Der Bus musste halten. Sie schwangen ihre Tücher, riefen, lachten und


48

Die Selbstgerechtigkeit der Israel-HollandGruppe macht Franz von Hammerstein nach einem Besuch im holländischen Joure solche

schrien: Germanska, Germanska! Als wir aus dem Bus stiegen, streckten

Sorgen, dass er der Gruppe am 10. Mai 1961 einen Brief schreibt, der dort als „Himmelfahrt-

sich einem Hunderte von Händen entgegen. Jeder wollte uns begrüßen. So

sepistel“ ankommt:

hatten wir uns das nicht vorgestellt. Man merkte, die Leute meinten es ehr-

„Es erschreckte mich, dass, als die Fertigteile

lich. Ich stand da, mir liefen die Tränen immer so runter. So ein Empfang! Wir waren sprachlos. Wenn man bedenkt, dass Servia von den Deutschen vollständig zerstört worden ist und viele Männer getötet wurden. Es war einfach wunderbar. Es folgten ein paar Ansprachen und wir sangen ihnen das Lied: Der Mond ist aufgegangen. – Ich werde das nie vergessen. Es war Vollmond, und der Mond stand genau über dem Olymp.“74

am Montag von der Baustelle ankamen, einige gleich herummäkelten, das Holz sei schlecht verarbeitet. Solche Kritik muss unsere holländischen Freunde beleidigen. Ihr dürft nicht vergessen, dass wir einfach keine Monteure sind, die im Auftrag einer deutschen Firma deutsche Wertarbeit abliefern. (Oft ist es mit dem Wert dieser Arbeit auch nicht mehr so weit

Es ist nicht immer leicht für die jungen Deutschen, mit den Gefüh-

her.) Wir arbeiten im Auftrag einer niederlän-

len umzugehen, die sie in ihren Gastländern auslösen. Hans-Richard

dischen Firma, und das Beleidigendste, was wir

Nevermann fürchtet Selbstgerechtigkeit. Die Öffentlichkeitsarbeit

tun können, ist, das Material dieser Firma zu kritisieren und damit das Land zu beleidigen,

müsse noch warten, schreibt er einige Wochen nach der Ankunft in

das wir ja gerade um Vergebung für die Kriegs-

Borkenes nach Berlin, weil „wir noch an uns selber arbeiten müssen,

gräuel bitten wollen. Wir bringen aus Deutsch-

um große Töne ganz auszumerzen. Es ist wirklich schwer, kein Held zu sein, beziehungsweise den Anspruch darauf zu erheben.“75 Umso schwerer ist diese Aufgabe, als die Mannschaften großen

land nicht die Wertarbeit, sondern den Auftrag Sühnezeichen. Was in diesem Zusammenhang dann Bescheidenheit und Achtung vor dem Gastland, einschließlich seiner Arbeitsmetho-

Zuspruch durch die deutschen Botschaften vor Ort erleben. Der Ge-

den, bedeutet. Die Firma Sühnezeichen ist kein

sandte in Oslo, so berichtet Lothar Kreyssig dem Kölner Mitstreiter

Bauunternehmen, sondern zuallererst eine

Erwin te Reh, habe beim Empfang der Mannschaft bekundet, zum ers-

Frage der Gesinnung. Natürlich verpflichtet diese Gesinnung auch zu

ten Mal wieder stolz zu sein, ein Deutscher zu sein.76 Und ein Tagebuch

sorgfältiger Arbeit. Aber das darf nicht heißen:

aus Griechenland triumphiert: „Nach dem Essen sagt uns der Botschaf-

Wir müssen auf unseren Arbeitsmethoden

ter, wie glücklich er darüber ist, dass er uns besucht habe, und was für nette Menschen wir doch seien (wenn wir das noch oft gesagt bekommen, glauben wir es bald).“ Eine strenge Hand hat am Rand hinzugefügt: „gehört nicht in ein Tagebuch!“ 77

bestehen oder uns zur Verfügung gestelltes Material kritisieren. Ihr sagt: ‚Wir mauern besser.‘ Der Niederländer denkt: Ihr Deutschen habt auch besser gemordet“ (EZA 97/704).

Die Lebensregeln der ersten Jahre finden sich in

Stimmungen, Verstimmungen: Der Grundton

der Überlieferung in verschiedenen Fassungen

„Dr. von Hammerstein stellt die Frage, ob sich die Mädels und Burschen der

Umkehr in die Zukunft. Die Arbeit der Aktion

(vgl. Ansgar Skriver, a.a.O., S. 67; Karl-Klaus Rabe,

Gruppe zu den von ihnen unterzeichneten Lebensregeln bekennen wollen. Er lässt sich diese Zustimmung von jedem mit Handschlag bekräftigen. Anschließend reichen uns von Hammerstein und Nevermann das Abendmahl.“78

Sühnezeichen / Friedensdienste, Bornheim-Merten 1983, S. 27 f.), die allerdings nur geringfügig voneinander abweichen. Folgende Wiedergabe folgt der Fassung bei Ansgar Skriver, die einem Typoskript in EZA 97/947 entspricht: „Lebensordnung der Aktion ‚Sühnezeichen‘ Die Aktion ‚Sühnezeichen‘ will durch eine helfende Tat bei den durch die Deutschen beleidigten und verletzten Völkern Vergebung suchen und damit der Versöhnung unter den Völkern dienen. Als Teilnehmer der Aktion


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

49

weiß ich mich verpflichtet, mich dem Ernst dieses Versöhnungswillens entsprechend zu verhalten. Das heißt im Einzelnen: Im Geist der Kameradschaft und Nächstenliebe

So feierlich verlief die Aussendung der Griechenland-Mannschaft im

will ich mithelfen, die Lagergemeinschaft

April 1960. Die überwiegend aus Berliner Berufsschülern bestehende

aufzubauen und zu erhalten.

Gruppe konnte bereits auf Sühnezeichen-Erfahrungen zurückgreifen.

Ich will den Anderen ernst nehmen und zum Zusammenleben durch Ehrlichkeit, Sauberkeit,

Am Ende des ersten Norwegen-Projektes hatte Hans-Richard Never-

Rücksicht und Opferwilligkeit helfen.

mann nach entsprechenden Bitten aus Berlin auf einer DIN-A4-Seite

Wo es nötig wird, will ich Gemeinschaft und

Leitlinien für Haltung und Verhalten zusammengefasst. Teamgeist,

Ordnung vor Willkür und Gewalt schützen

Bescheidenheit und Loyalität gegenüber der Leitung, verbunden mit

helfen. Wem leitende Verantwortung übertragen ist, will ich durch Gehorsam, Vertrauen und Treue beistehen. Bei der Arbeit will ich vorbehaltlos und beharrlich geben, was ich kann und vermag. Ich will keine Arbeit für geringer als eine

einer explizit christlichen Begründung, bilden diese Visitenkarte der frühen Aktion Sühnezeichen. Der Einsatz im mazedonischen Servia wird ihr Profil weiter schärfen. Denn Aktion Sühnezeichen ist hier nicht alleine verantwortlich. Bei den Aufbauarbeiten in einem vom Partisanenkrieg stark zerstörten

andere halten, vielmehr alles, was mir geheißen

Dorf kooperiert sie mit dem Schweizer „Christlichen Friedensdienst“

wird oder ich zur Vollendung des Ganzen als

(cfd) und dem deutschen Zweig des „Service Civil International“ (SCI):

erforderlich erkenne, ohne Murren, ordentlich

„Weltfriedensdienst“ hatten die Partner dieses Unternehmen bei einer

und unter pünktlicher Einhaltung der festgesetzten Arbeitszeit verrichten. Meine Arbeits-

Tagung der Berliner Evangelischen Akademie im Dezember 1959 ge-

kameraden und -kameradinnen will ich überall

nannt. Doch diese Zusammenarbeit ist schwierig. Als Lothar Kreyssigs

als meine Freunde halten und achten. Ich will,

Sohn Peter, Studentenpfarrer in Stuttgart, im Herbst 1960 das Projekt

wo es nötig ist, den Schwachen stützen und

Servia besucht, stellt er pessimistisch fest:

dem Übermütigen wehren. Den Menschen des besuchten Volkes will ich

„Mir persönlich ist [...] völlig klar geworden, dass vom Kern der Sache her

allenthalben bescheiden, liebevoll und mit

die Kombination Sühnezeichen und Entwicklungshilfe unvereinbar sind.

Achtung begegnen. Freundlich und bescheiden

Die Gründe sind nicht theoretischer, sondern höchst praktischer Natur: Für

will ich auch dann bleiben, wenn der Dienst

Sühne kann man tatsächlich zeichenhaft arbeiten, d.h. an ganz begrenzten

der Versöhnung oder mein redlicher Wille dazu nicht angenommen oder verkannt zu werden

Projekten, nach den Wünschen der Gastgeber gerichtet und in der Haltung

scheinen.

mehr des Empfangenden als des Gebenden. Man kann gemeinnützige Projek-

Wo immer für mich erreichbar ein Unglück

te wählen und insgesamt eine runde Sache daraus machen. Entwicklungs-

geschieht oder jemand in Not gerät, will ich

hilfe steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier werden Gelder investiert, un-

mich ohne Rücksicht auf Vorteil und Sicherheit zur Hilfe einsetzen.

ter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und auch von der Seite des Gebers, der

Durch meine Unterschrift will ich mich an

hier nicht mehr als Empfangender auftreten kann, unter bestimmten Bedin-

diese Verpflichtung binden und sie gelten

gungen der sinnvollen langfristigen Wirkung unter Kontrolle zu behalten

lassen, bis ich aus dem Dienst der Aktion ‚Süh-

[sic]. Mit Zeichen oder auch Beispielen ist da nichts getan. Hier muss unter

nezeichen‘ ausscheide. Gottes Ruf, Liebe und Geduld ist stärker als mein Wille. Darum will ich im Hören auf sein Wort und im Gebet vertrauen, dass er meinen Willen und guten Vorsatz hineinnehme in seine Gnade.“

sorgfältigster Berücksichtigung der sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Verhältnisse u.U. ein langwieriger, tief greifender, evtl. schmerzhafter Eingriff in die bestehenden Verhältnisse vorgenommen werden.“79


50

Entwicklungssong, getextet in Servia, nachdem Erich Müller-Gangloff aus dem Führungskreis der Aktion Sühnezeichen, Hans-Ulrich Smolczyk vom Vorstand des SCI und Siegfried

So nüchtern kann die Analyse nur klingen, weil Kreyssig junior seinen

Krause als neu eingesetzter Geschäftsführer

Eindruck als Durchreisender schildert und auswertet. Vor Ort ist ein

zu Ostern 1961 der Gruppe, die erst kurz zuvor

handfester Streit um Haltung und Angebot der Deutschen entbrannt.

angekommen war, einen Besuch abstattete, der

Deren Ansatz, Entwicklungspotenzial zu stärken, bringt die Dorfbewohner in Konkurrenz und Unfrieden untereinander. „Wenn wir hier fertig sind, brauchen wir eine neue Aktion Sühnezeichen in Servia, um das zerschlagene Porzellan wieder zu kitten“, zitiert Peter Kreyssig eine Stimme aus der Sühnezeichen-Gruppe.

mit Planungsgesprächen mit den griechischen Kontaktleuten verbunden war Refrain: Ich bin Gangloff Ich bin Smolzik [sic] Ich bin der große Krause Und wir wollen ohne Pause

Was ist passiert? Es ist nicht ganz einfach, aus Briefen, Protokollen und Tagebüchern die Konfliktlinie zu rekonstruieren und wenigstens im Nachhinein zwei Ebenen zu trennen: Ganz offensichtlich nämlich gab es in Servia fundamentale Differenzen in der Motivation der beteiligten Dienste. Genauso offensichtlich ging es aber auch um mangelnde Abstimmung im Vorfeld wie vor Ort, um Machtfragen und um Eitelkeiten.

Ohne Pause Servia entwickeln. Ein Bauernhaus, ein Bauernhaus Das bauen wir den Bauern aus Mit einem Dach und einer Kuh Und einem Keller noch dazu. Das Haus, das soll ein Muster sein Mit Musterschaft und Musterschwein

Die gut dreißig jungen Deutschen, die ab Mitte April 1960 in Servia

Mit Musterstall und Mustermist

arbeiten, sind in der überwiegenden Mehrheit von Aktion Sühnezei-

Damit es auch was Rechtes ist.

chen entstandt. Zwei sind über den SCI dazugestoßen, zwei Schweizer

Und dieses Prachtentwicklungshaus

hat der cfd angeworben. Das Leitungsteam bilden der Lehrer Ernst Buczys, der Vikar Konrad Lübbert und das Schweizer Ehepaar Max und Trudi Roth, über die der Kontakt zum Dorf überhaupt zustande gekommen ist. Die einzige unstrittige Aufgabe ist der Bau einer Zisterne. Über

Das wird bestaunt landein und -aus „Was ist das für ein Musterbau.“ Ein Wasserloch, ein Wasserloch Denn um die Felder zu entwickeln

es ein Badehaus geben – ausdrücklicher Wunsch der Griechen? Sol-

Wir drei, wir warn in Servia

len Geflügel- und Viehzucht angelegt werden – ein deutscher Vor-

Doch waren wir nicht lange da

schlag? Wem sollen die geplanten Häuser zugute kommen – den

Doch in den kurzen Feiertagen

Familien mit Landbesitz (so die Vorstellung der WeltfriedensdienstVerantwortlichen)?80 Die Griechen sind enttäuscht von den Deutschen, die ihre Hilfe zunehmend an Bedingungen und Perspektiven knüpfen. Ihr Ton wird schnippisch.

Refrain

Das lochen wir, man braucht es noch Muss man erst Wasserlöcher pickeln.

Chance einer wirtschaftlichen Entwicklung nützen könnten“, also

Refrain

Und alle Griechen sagen „au“

alle weiteren Schritte bestehen unterschiedliche Auffassungen. Soll

Bedürftigsten (so der griechische Wunsch) oder „Familien, die die

Refrain

Da lösten wir die vielen Fragen.

Refrain

Refrain

Entwickeln hin, entwickeln her Die Tätigkeit ist gar nicht schwer Wir haben eine Menge Geld Und sind berühmt in aller Welt. Ich bin Gangloff tIch bin Smolzik Ich bin der große Krause Und wir haben ohne Pause Servia entwickelt... Ohne Pause. Quelle: Archiv Weltfriedensdienst; Melodie dort nicht überliefert.


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

51

„Der Weltfriedensdienst e.V. ist eine entwicklungspolitische Organisation mit über 45jähriger Erfahrung. Der WFD wurde 1959 als Antwort auf die verheerende Erfahrung des Zweiten Weltkriegs

„Wir fragten die Servioten, was sie denn nun wollten. Wir wollen gar nichts,

und die schon zehn Jahre nach Kriegsbeendi-

sagten sie. Aber wenn ihr bauen wollt, dann bitte das, was wir gern sähen,

gung beschlossene Wiederbewaffnung gegrün-

nämlich: a) fünf Doppelhäuser auf Gemeindegrund; b) fünf Doppelhäuser

det. Die zu Grunde liegende Überzeugung war: Nicht immer mehr Waffen machen die Welt

auf dem neuerworbenen Grundstück mit von uns festzusetzender Grund-

sicher, sondern Versöhnung, Völkerverständi-

stücksgröße; c) die zugesagten öffentlichen Bedürfnisanstalten; d) Instand-

gung und Unterstützung beim Wiederaufbau

setzung des von deutschen Bombern beschädigten Gemeindehauses; e) Was-

in Gebieten, in denen deutsche Armeen ihr

serleitung von einer Quelle bei Lava zur neuen Zisterne; f ) Badehaus.“

Unwesen getrieben haben. Ähnliche Zielsetzungen leiteten den WFD dann

So berichtet Ernst Buczys im Dezember 1960 von einem langen

auch, als er sich verstärkt der Entwicklungszu-

Gespräch mit Gemeindevertretern. Seine Schlussfolgerung ist deutlich:

sammenarbeit zuwandte: Die Unterstützung

Mit Entwicklungshilfe sei „hier nicht viel zu machen [...]. Dazu sind die

von Partnerorganisationen im Süden hatte

Leute einfach zu stolz, um sich vom ehemaligen Besatzer Vorschläge

zwar die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen benachteiligter

machen zu lassen, wie man zweckmäßig wirtschaftet und lebt.“81

Bevölkerungsgruppen zum Ziel, wurde vom

Die Griechen sind auf eine vorsichtige Anfrage aus Deutschland

WFD aber auch immer als praktizierter Frie-

eingegangen, jetzt sind sie konfrontiert mit weit reichenden Entwick-

densdienst verstanden.

lungsplänen für ihr Dorf. „Ich bitte Sie, dass, wenn Sie anderer Mei-

Friedensdienst in dem Sinne, dass eine globalisierte Welt nur dann ein friedliches Zusammenleben sichern kann, wenn ein Mindestmaß an

nung sind als wir, haben Sie Vertrauen zu uns, denn nur wir kennen das Volk und die Verhältnisse in Servia“, schreibt Gemeinderat Alekos

sozialer Gerechtigkeit herrscht.

Tsioukardanis beschwörend nach Berlin.82 Der fließend Deutsch spre-

Das ‚Kerngeschäft‘ des Weltfriedensdienstes

chende Grieche ist mehr als nur ein Sprachmittler. Er hat das Projekt

besteht in der Unterstützung von Partnerorganisationen in Afrika, Lateinamerika und

„Weltfriedensdienst in Servia“ seit seinen Anfängen auf der Berliner

Palästina.

Akademietagung im Dezember 1959 begleitet. Ein knappes Jahr später

Mit entwicklungspolitischer Bildungs- und

vermisst er die Demut der Anfangszeit:

Öffentlichkeitsarbeit versucht der WFD, auch hierzulande Entwicklungsprozesse anzustoßen. Ein Schwerpunkt der Inlandsarbeit ist die

„Diese Freiwilligen kamen aus Deutschland mit hohen Ideen, mit Altruismus, mit Liebe und Versöhnungsgedanken, um ein Jahr zu arbeiten, nicht

Vermittlung und Betreuung von Projektpart-

für sich selbst, sondern für eine überdeutsche Größe. Diese seelische Erhe-

nerschaften.

bung (Anatasis) der Jungen sollten Sie, so meine ich, hochhalten, weil sonst

Schwerpunkte unserer Arbeit sind: Ausbil-

die Grundlagen der Ideologie in Gefahr kommen: Frieden, Versöhnung und

dung, Ressourcenschutz, Frauenförderung, Menschenrechte sowie Projekte des Zivilen

Dienst.“

Friedensdienstes. Unser Motto in der Projekt-

„Entwicklungshilfe“ versus „Sühnezeichen“ – nicht nur in Servia, auch

zusammenarbeit lautet: ‚Partnerschaft statt

in Berlin schlagen die Wellen hoch. Anlass für einen offenen Streit bie-

Dominanz‘.“

tet die Einladung zu einer weiteren Akademietagung über den Weltfrie-

Quelle: www.wfd.de

densdienst, die im Juni 1960 in Berlin stattfinden soll. Kaum hat Lothar Kreyssig die Einladung in Händen, macht er seinem Unmut darüber in einem sechs Seiten langen Brief an die Mannschaftsleiter in Norwegen


52

In den frühen Unterlagen der Aktion Sühnezeichen findet sich ein Papier, das Lothar Kreyssig am 16. September 1961, noch unter dem Ein­druck des Mauerbaus, formuliert und an die

und Griechenland sowie an den Kölner Vertrauten Erwin te Reh Luft:

„Brüder“ Müller-Gangloff, Nevermann, Ziesche

keine Erwähnung der Aktion Sühnezeichen! „Das Schiff im Festge-

und Johannes Müller „zum vertraulichen Ge-

wand ‚Weltfriedensdienst‘ [ist] über Topp beflaggt. In der großen Zahl der Fahnen und Fähnchen ist selbst ein kleiner Wimpel, der ‚Sühnezeichen‘ bedeutet, nicht zu erkennen.“83 Wird im gemeinsamen Unternehmen Servia die christliche Note der Aktion Sühnezeichen unterdrückt oder zumindest in der Außendarstellung verschwiegen? Diesen Vorwurf weist Erich Müller-Gangloff zurück:

brauch“ adressiert hat. „Gerüchte über brutalen Terror und gewisse Informationen lassen es möglich erscheinen, dass es morgen oder in den folgenden Tagen zu hemmungslosen revolutionären Gewaltakten kommt. Ich habe diesmal noch weniger als bisher die Freiheit, heuchlerischer und lügnerischer Weise etwas öffentlich zu bekennen, was ich gewissenhaftermaßen ablehnen muss. Ohne dass ich die Situation

„So, wie ich das Unternehmen in Servia von Anfang an gesehen habe, und

zu dramatisieren geneigt wäre, fühle ich mich

wie ich zudem den ganzen Weltfriedensdienst sehe, ist der Sühnegedanke

gedrungen, das Folgende niederzuschreiben.

einfach selbstverständlich einbegriffen, so dass sich für mich weder das

Wahrscheinlich greifen die Vorstellungen und Gedankengänge ein wenig über das hinaus,

ausdrückliche Herausstellen noch auch das Verschweigen als bewusste

was den in der Leitung mitbeteiligten Brüdern

Möglichkeit ergab. Insofern geht das, was Sie über ‚Verleugnung des Sühne-

gegenwärtig notwendig erscheint. Ich lebe aber

anliegens‘, über ‚Zurückstellung des Vergebungsmoments‘, über ‚Ängstlich-

seit langem unbeschadet der sich immer wieder

keit‘ im Blick auf Partnerschaft geschrieben haben, völlig ins Leere.“84 Die alten Freunde Kreyssig und Müller-Gangloff sind beide gekränkt.

verzögernden Verwirklichung in der Realität einer Sühnestätte, in der jüdische, katholische und evangelische Menschen zusammen leben.

Hans-Richard Nevermann versucht, den Aufgebrachten einen Spiegel

In dem Teil des Bauwerkes, in dem der evangeli-

vorzuhalten. Entwicklungshilfe mit ihrem „schönen Slogan ‚Hilfe, die

sche Gottesdienst stattfindet, sollte in Ansehung

Selbsthilfe in Gang setzen will‘“ findet er anmaßend. „Weit entfernt bin ich aber von einer Unterstützung der noch schlimmeren Anmaßung,

der unmessbaren Schuld, die sich unter der Einwirkung der Gnade immer stärker entschleiern wird, immer währendes Gebet sein“ (EZA 97/903).

nämlich mit Sühnezeichen andere auszustechen oder das ‚Sühneze-

Ein solches geistliches und räumliches Sühne-

ichen‘ wie eine Kreuzzugsfahne vor sich her zu tragen.“85

zeichen-Zentrum stellt Kreyssig sich in Berlin

Die persönlichen Zerwürfnisse und die institutionellen Querelen, die am Griechenland-Einsatz aufgebrochen sind, werden schließlich überwunden. Lothar Kreyssig und Erich Müller-Gangloff versöhnen sich nach einer Aussprache, der Weltfriedensdienst verselbstständigt sich und wird im Februar 1969 auch rechtlich ein unabhängiger Verein.

oder in Jerusalem vor. In zweistündlichem Wechsel sollen Einzelne dort die Zehn Gebote, Psalmen, Fürbitten und das Vaterunser beten. Dieser „Innendienst“ ist für Kreyssig keine Ergänzung, sondern Basis jedes Engagements. Seine vier Seiten umfassende Anleitung zur betenden Begleitung verfasst er just in einem

Nach einem Projekt in Kreta 1963 verabschiedet sich Aktion Sühnezei-

Moment, wo der Kalte Krieg zu einem heißen

chen aus Griechenland.

zu eskalieren droht.

Was der Organisation erhalten bleibt, ist die prinzipielle Frage nach der Begründung der Arbeit. Lothar Kreyssig ist hier unnachgiebig: „Ich widerstehe der humanitären Verdünnung des Anliegens aus Berufung

„Die Aktion Sühnezeichen in der DDR war nicht nur organisatorisch an die Kirche gebunden, sondern lebte und arbeitete auch ganz im Sinne Kreyssigs aus dem Glauben. In der Bundesrepublik hingegen entfernte man sich ab Mitte der sechziger Jahre unter dem Einfluss der Studentenunruhen sehr weit vom spirituellen Ursprung. Äußerlich kam das in der Veränderung des Namens zum Ausdruck: Man nannte sich fortan Aktion Sühnezeichen/


KApitel 2. Vom Wort zur Tat

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Friedensdienste, ASF, während es in der DDR bis zuletzt bei Aktion Sühnezeichen blieb. Im Westen schaffte man das christliche Symbol ab und verzichtete immer mehr auf die religiöse Grundordnung, auf Gebet und Gottesdienste in

und Erfahrung“, erklärt er kategorisch.86 Der christliche Glaube an

den Sühnezeichen-Lagern. Diese unterschiedli-

„Vergebung und Versöhnung“ ist für ihn Dreh- und Angelpunkt; nur aus

che Entwicklung hatte durchaus auch objektive

dieser „Tiefe“ kann die Aktion Sühnezeichen in die „Weite“ der Projekte

Ursachen: Da in der DDR über die Arbeit der Aktion Sühnezeichen nur innerkirchlich berichtet werden durfte, kamen die Freiwilligen fast ausschließlich aus dem kirchlichen Bereich. Die Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste hingegen konnte auch im säkularen Raum werben und berichten. Folglich engagierten

gehen. Zur Arbeit im Ausland gehört deshalb notwendig die betende Begleitung im Inland. Die Absage des frommen Gründers an „bloß“ pazifistische, politische oder humanitäre Begründungen zieht eine Linie, an der entlang in der Aktion Sühnezeichen über Jahrzehnte gefochten oder diskutiert

sich auch viele Jugendliche, die zwar das

werden wird. Häufig scheint es, als sei diese Linie entlang der inner-

Anliegen voll bejahten, aber den eigentlichen

deutschen Grenze verlaufen, als habe Aktion Sühnezeichen in der DDR

Ausgangspunkt, Vergebung und Versöhnung

den spirituellen Ursprung eher bewahrt als die westliche Schwester.

vom Evangelium her, nicht verstanden und womöglich unter Protest den Saal verließen,

Die frühe Geschichte lehrt allerdings, dass es so glatt nicht aufgeht.

wenn das Vaterunser gebetet wurde.“

Schon in Norwegen mussten Fromme und Pragmatiker einen Umgang

Konrad Weiß, Lothar Kreyssig – Prophet der Versöh-

miteinander finden, in Griechenland rangen „Christen“ und „Huma-

nung, Gerlingen 1998, S. 395 f.

nisten“ um die Richtlinienkompetenz. Und als im Herbst 1962 Lothar

„Das Verständnis von Sühne und Versöhnung bedarf durchaus der deutlichen Position in-

Kreyssig und Hans-Richard Nevermann, der inzwischen im Büro der

nerhalb der Probleme, die uns heute umgeben.

Aktion Sühnezeichen arbeitete, in langen handschriftlichen Briefen

Christen können also niemals ohne den Ver-

über die Ausrichtung der Organisation berieten, fand Lothar Kreyssig

such des Verständnisses der Nöte und Probleme

die unterschiedlichen Akzentuierungen auch im Westen vertreten. Er

der Gesellschaft und der Welt leben. Es gilt, parteilich für die Menschen zu sein.

seufzte über die „liberal-idealistisch-pazifistische Linie“ von Franz von

Hintergrund dieser Position ist für Aktion Süh-

Hammerstein, Erich Müller-Gangloff und Gotthard Kutzner, hielt sich

nezeichen die deutsche Geschichte und beson-

an den West-Berliner Nevermann und den Kölner te Reh – und legte die

ders das Verhalten der Kirche und der Christen

Differenzen doch letztlich in Gottes Hand:

in ihr. Auch dadurch ist Aktion Sühnezeichen ein Versuch, der Gefahr der Geschichtslosigkeit

„Geschichtlich finde ich immer wieder, dass die – mir allewege sehr ärger-

der Kirche entgegenzutreten. Dies hieß auf den

lichen – Liberalen sehr fromme Leute sein können, durch die Gottes uner-

unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Aktion

messliche Duldsamkeit – bis hin zu Albert Schweitzer – sehr viel ausrichtet,

Sühnezeichen, sich nicht nur als Deutscher,

während die Glaubensentschiedenheit als Rechtgläubigkeit sehr frigide und

sondern auch als Christ in seinen Haltungen und Überzeugungen in Frage stellen zu lassen.

steril sein kann. Die drei sind bei gutem Willen, wie sie sind. Te Reh, du und

Ein wichtiges Moment der Aktion Sühne-

ich sind bei nicht weniger gutem Willen, wie wir sind. Gott hat uns zusam-

zeichen ist immer ihr praktisches Handeln

men vor den Wagen gespannt und bis zur Stunde daraus, dass die Pferde sich

gewesen. Für die Christen in der Aktion Süh-

schlecht verstehen, noch kein nachhaltiges Unglück entstehen lassen.“87

nezeichen ist das Engagement mit ihr auch ein Versuch, ein Stück des christlichen Glaubens praktisch zu leben und einzulösen. Aktion Sühnezeichen ist für Christen eine Möglichkeit, ein Stück von dem, was man glaubt, praktisch zu leben. Von daher ist Sühnezeichen ‚praxis pietatis‘. Sühnezeichen heißt also nicht nur, sich selbst lernend zu verändern, sondern bedarf der Bereitschaft des Sich-Gebens.“ Volkmar Deile, Eine christliche Stimme, in: zeichen 1/1983, S. 10-16, hier S. 14.


3. In die Welt – Die frühen sechziger Jahre

Magdeburg: Die Abbildungen sind der 1962 entstandenen Dia-Ton-Serie „Die Brücke“ („Manuskript und Regie: Lothar Kreyssig“), (ASFBildarchiv) entnommen. Die Serie fand in der folgenden Zeit bei Aktion Sühnezeichen in der DDR weite Verbreitung. Bei einem Umfang von 153 Bildern ist die Hälfte einer weit ausholenden Einführung vorbehalten. Im zweiten Teil werden ausführlich die Arbeiten an den zerstörten Magdeburger Kirchen im Sommer 1962 dargestellt. Die Sommerlager wurden von Christian Schmidt (mit Mütze) geleitet. Zu sehen sind Arbeiten in der Ruine der Katharinenkirche. Am 5. August 1962 fand dort ein Gedenkgottesdienst statt, an eben dem Tag, an dem die Versöhnungskirche in Taizé eingeweiht wurde.


3. In die Welt die fr hen sechziger jahre



Jerusalem und Berlin 1963/64: Im Rahmen der Vorbereitung in West-Berlin besuchte die Gruppe „Israel III“ Lothar Kreyssig im Ostteil der Stadt (Bild links oben). Heinz Dehling fotografierte ihn dort und erinnert sich 2007 an die Begegnung: „Unser Gastgeber war sehr erfreut und offensichtlich tief bewegt von unserer Möglichkeit, in Jerusalem arbeiten zu können.“ Zur Gruppe gehörte auch Eberhard Tschepe, von dem alle weiteren Aufnahmen stammen. Die Freiwilligen beteiligten sich am Aufbau der Blindenschule („Jewish Institute for the Blind“) in Jerusalem. Im November 1963 empfing David Ben-Gurion in seinem Kibbuz-Haus die Gruppe, als Dolmetscher war Pinchas Lapide tätig (Bild unten). Zurück in Berlin standen TV- und Rundfunkaufnahmen an, hier Meike Tschepe beim Interview vor der Kamera. Auf dem Bild daneben sind u.a. Franz von Hammerstein (2.v.l.) und Otto Schenk (2.v.r.) zu sehen.


Villeurbanne bei Lyon 1962-64: Rudolf Maurer war beim Bau der Synagoge in Villeurbanne, einer Vorstadt von Lyon, beteiligt und hielt die verschiedenen Stationen mit der Kamera fest. Bei der Grundsteinlegung im April 1963 war auch Franz von Hammerstein anwesend und sprach zu den Gästen. Einige Monate später fotografierte Rudolf Maurer andere Freiwillige beim Verputzen. Im Mai 1964 konnte die Synagoge eingeweiht werden. Sie diente anfangs jüdischen Emigrantenfamilien aus Deutschland und wird heute von einer Gemeinde sephardischer Prägung genutzt. Rudolf Maurer war Gast bei den Jubiläumsfeierlichkeiten, die 2004 in Villeurbanne stattfanden.


Wasmuël (Belgien) 1963/64: Der Beginn der Belgien-Arbeit von Aktion Sühnezeichen lag in Wasmuël (Quaregnon) im Umland der Industriestadt Mons. Das Ehepaar Quittelier wurde bei ihrem Vorhaben, ein Heim zur Betreuung von sozial gefährdeten Jugendlichen zu errichten, durch Freiwillige unterstützt. Hartmut Greyer gehörte zur zweiten Gruppe und fotografierte die anderen Freiwilligen bei der Arbeit, das Sühnezeichen-Symbol und das fertiggestellte Jugendheim „Notre foyer“.


Berlin: Am 28. April 1961, fast drei Jahre nach der Gründung und wenige Monate vor dem Mauerbau, veranstaltete Aktion Sühnezeichen eine Kundgebung in der Berliner Kongresshalle. Auf dem Bild sind zu sehen: Heinrich Vogel, Theologe in Berlin (links), Walter Sickert, Vorsitzender des DGB Berlin (2.v.r.), Lothar Kreyssig (rechts) (Foto: Landesarchiv Berlin), (Siegmann, Horst).


Rotterdam 1965-68: Von 1965 bis zur offiziel-

Der Entwurf für die „Internationale Ökume-

len Eröffnung 1968 waren verschiedene Grup-

nische Sozialakademie“, später benannt als

pen von Sühnezeichen-Freiwilligen an der

„Dr. W.A. Visser‘t Hooft Centrum“, stammte

Errichtung eines außergewöhnlich ambitio-

aus dem renommierten Büro der Architekten

nierten Bauprojektes in Rotterdam beteiligt.

Rietveld, van Dillen und van Trecht (Foto: ASFBildarchiv).



Taizé 1961/62: Zwei Gruppen von Aktion Sühnezeichen waren in Taizé am Bau der Versöhnungskirche beteiligt. Peter Fleischer aus Berlin, von dem alle Abbildungen stammen, fotografierte zwei andere Freiwillige am Tag der Grundsteinlegung im April 1961. Eine architektonische Besonderheit des Baus war die massive Dachkonstruktion aus großen vorgefertigten Dreiecks-Betonelementen, die auch auf der Innenansicht zu erkennen sind. Der Blick vom Kran zeigt die im Bau befindliche Krypta.


Polen: Im Sommer 1965 fuhren zwei Gruppen von Sühnezeichen-Ost nach Polen. Die Karte veranschaulicht ihren Weg (Bild: Dia-Ton-Serie „Ein Ruf zur Versöhnung – Aktion Sühnezeichen in der DDR“, ASF-Bildarchiv). Beide Gruppen verteilten während der Fahrt ein Faltblatt auf Polnisch, dessen Vorder- und Rückseite hier abgebildet sind. Auf den Innenseiten wurde kurz das Anliegen dargestellt. In Auschwitz-Birkenau legte die Gruppe mit den männlichen Teilnehmern Grundmauern eines Gebäudes frei, in dem die SS mit Gas mordete. Lothar Kreyssig besuchte die Gruppe, hier mit Günter Särchen (rechts) und Pfarrer Wolfgang Globisch (links), (Faltblatt, Fotos: Privatarchiv Konrad Weiß). In Krakau traf die Gruppe auf Stanis aw Stomma (mit Sonnenbrille) (Foto: Dia-Ton-Serie „Aktion Sühnezeichen in Polen“, ASF-Bildarchiv).




Theodor-Heuss-Preis: Aktion Sühnezeichen war einer der beiden Preisträger des 1965 zum ersten Mal verliehenen Preises. Hildegard Hamm-Brücher hält die Urkunde in den Händen, und Franz von Hammerstein nimmt Glückwünsche entgegen. Aktion Sühnezeichen erhielt den Preis, so die Verleihungsurkunde, in „Würdigung des freiwilligen und opferreichen Dienstes, den junge Deutsche verschiedener Bekenntnisse und Berufe seit vielen Jahren leisten, um die Wunden, die von den Nationalsozialisten geschlagen wurden, durch versöhnliche Tat zu lindern“ (Fotos: Theodor-Heuss-Stiftung e.V.).



Coventry 1961/62: Die Aufgabe der Sühne-

Für diesen gestaltete der Berliner Kunst-

zeichen-Gruppe bestand in Coventry im Bau

schmied Fritz Kühn Ausstattungsstücke und

eines Besucher-Begegnungszentrums in den

eine Stahlwand, auf der neben einem Kreuz

Räumen der alten Sakristei der im Zweiten

der „Sühne-Mann“ zu sehen ist (Foto: Peter

Weltkrieg zerstörten Kathedrale von Coventry.

Fleischer).

Fünf hintereinander liegende Räume erhiel-

Auf den weiteren Abbildungen ist die räumli-

ten verschiedene Funktionen; es entstanden

che Nähe der Ruine der alten Kathedrale und

u.a. eine Küche, eine Bibliothek und ein An-

der 1962 eingeweihten neuen Kathedrale zu

dachtsraum.

erkennen (Fotos: Dia-Ton-Serie „Die Brücke“, ASF-Bildarchiv; Volkmar Deile). Seit 1996 befindet sich die Arbeit Fritz Kühns in der neuen Kathedrale.


70

Kapitel 3. In die Welt – Die frühen sechziger Jahre

Mitte der sechziger Jahre ist Aktion Sühnezeichen „aufgestellt“. An die tausend junge Deutsche haben sich aktiv an ihren Einsätzen beteiligt. Hinter ihnen stehen längst nicht mehr nur Spender aus dem kirchlichen Bereich; die Werbung hat Städte und Kommunen, Jugendbehörden und eine breite Öffentlichkeit erreicht. In beiden deutschen Staaten hat sich die Arbeit konsolidiert. In der DDR organisiert Aktion Sühnezeichen Sommerlager, von der Bundesrepublik aus hat man Wege nach Israel gefunden und in westlichen Ländern Bauten errichtet, erste Kontakte zu Ostblockstaaten sind geknüpft. Die Verantwortlichen hatten darauf gesetzt, dass diese Projekte für sich selbst sprechen, dass die Zeichen ihre Symbolik in sich tragen. Doch es zeigte sich, dass Taten allein doch nicht ausreichten: Selbst wohlwollende Ausländer befürchteten, die Euphorie der wenigen jungen Deutschen könnte über ein im Ganzen unbußfertiges Deutschland hinwegtäuschen. Und viele Deutsche diesseits und jenseits der Systemgrenze misstrauten einer Organisation, die sich nicht eindeutig einem der Blöcke zuordnen ließ. Position war gefragt zu den Gewissensfragen der Gegenwart: zur deutschen Außenpolitik, zur Atombewaffnung, zum Umgang mit der Vergangenheit. Die sich in alle Richtungen entwickelnde praktische Arbeit verlangte eine politische Standortbestimmung. Entfaltung und Deutung beschreibt das folgende Kapitel.

Nach innen: Mannschaftsdienste in der DDR

Im August 1962 regte sich Leben zwischen den Kirchenmauern der Stadt Magdeburg. Irritiert wandte sich der Leiter der Staatlichen Bauaufsicht an die evangelische Kirche: „In den letzten Tagen wurde uns bekannt, dass an einigen Kirchenruinen Abbruchs- bzw. Enttrümmerungsarbeiten durchgeführt werden.“ Und damit nicht genug: „An der Katharinenkirche fand, wie wir feststellen mussten, in der vergangenen Woche im Kirchenschiff der Kirchenruine eine Kulthandlung statt.“


KApitel 3. In die Welt

71

Die Arbeiten seien einzustellen, mahnte der Staatsvertreter; überhaupt sei das Betreten der Ruinen verboten, da sonst „das Leben von Bürgern gefährdet“ sei.88 Der Kirchenbaurat antwortete gelassen – und ließ sich dafür zwei Wochen Zeit. Bei den Arbeiten handle es sich um den freiwilligen Einsatz von Angehörigen beider Konfessionen, erklärte er schließlich: „Hier haben unter dem Leitgedanken der Wiedergutmachung als ‚Aktion Sühnezeichen‘ Gemeindeglieder aus allen Teilen der Deutschen Demokratischen Republik [...] Enttrümmerungsarbeiten ausgeführt. [...] Bei den von Ihnen genannten Kulthandlungen [...] handelt es sich u. W. um einen Dankgottesdienst nach Beendigung der Enttrümmerungsarbeiten.“89 So wurde das erste eigene Projekt der Aktion Sühnezeichen im Bereich der DDR aktenkundig. Gut siebzig ehrenamtliche Helfer opferten zwischen Mitte Juli und Mitte August durchschnittlich zwei Urlaubswochen, um in Magdeburg mit anzupacken. Im Zweiten Weltkrieg waren fast alle Kirchen der Stadt schwer beschädigt worden. Um drei Ruinen kümmerten sich nun die Gruppen der Aktion Sühnezeichen: Der wallonisch-reformierten Kirche wurde ein Anschluss zur Fernheizung gegraben, in der katholischen St.-Petri- und der evangelischen Katharinenkirche ging es erst einmal nur darum, Trümmer zu beseitigen – 3.000 Kubikmeter Schutt füllten allein die Ruine der evangelischen Kirche. Die christlichen Helfer hatten gute Kontakte zum staatlichen „Nationalen Aufbauwerk“: Es hatte die Planung begleitet und nahm sich jetzt des vor die Türen geschafften Schutts an. Hier endete freilich auch schon die Konvergenz staatlicher Interessen mit denen der Aktion Sühnezeichen. Das zeigt nicht nur der gereizte Brief aus dem Stadtbauamt, sondern auch die folgende Entwicklung des Magdeburger Innenstadtbereichs zum „sozialistisch geprägten Stadtzentrum“. Zum Auftakt der Arbeiten hatte Lothar Kreyssig noch seine Vision für die Kirchenbauten formuliert: „Aus Mahnmalen wollen, indem sie wieder heil und ganz werden, Zeichen der Begnadigung werden.“90 Doch das war offensichtlich zu optimistisch gedacht. Nur an der Petrikirche kann bis heute eine Tafel an den Einsatz der Aktion Sühnezeichen erinnern.


72

„Von den Posaunenklängen und dem Choralgesang sowie dem Lichtschein angezogen, suchen und finden immer mehr Menschen durch die

Die Katharinenkirche hingegen wurde 1964 zugunsten des „Hauses der

weitoffenen Torbogen Eingang zu diesem alle erfassenden Gemeinschaftsgottesdienst. Autos

Lehrer“ gesprengt – zwei Jahre später fielen sogar ihre Türme, deren

halten, Straßenbahnen fahren Schritttempo –

Bestand zunächst als Kompromiss zwischen Staat und Kirche ausge-

und immer mehr und mehr Menschen strömen

handelt worden war. Der Magdeburger Einsatz setzte trotzdem ein gewichtiges Zeichen: ein Startsignal für Aktion Sühnezeichen. „Möge es nun hier in der DDR und in den ihr befreundeten Ländern geschenkt werden, überall da, wo der Auftrag und Ruf erfolgt, Dienste der Liebe und Versöhnung zu tun“, formulierte eine Teilnehmerin. Tatsächlich sollten über die Jahrzehnte

in den Innenraum von St. Kathrin, die erstmals wieder seit 1944 [die Kirche war bei einem Bombenangriff im September 1944 ausgebrannt; G.K.] über 500 junge und alte Menschen, aber nun katholische, protestantische, gläubige und atheistische, andächtige und skeptische, in diesem festlichen Dank-Gottesdienst vereinigt, der nirgends abgekündigt wurde, nur als ‚Lob

Hunderte von mehrwöchigen gemeinnützigen Gruppen-Diensten fol-

Gottes und Dank‘ von der AS -Mannschaft

gen. Die „Sommerlager“ waren geboren.

gehalten wurde.“

Ihre Vorgeschichte reicht zurück ins Jahr 1959. Die für die ersten Diens-

gottesdienst in St. Kathrin, Magdeburg, am 5.8.1962,

te in Westeuropa angemeldeten Ostdeutschen wollten und sollten nicht

Manuskript, Archiv der Kirchenprovinz Sachsen

auf gepackten Koffern die immer unwahrscheinlicher werdende Aus-

(Magdeburg), Rep. B 2/250.

G. Röske (Teilnehmerin am Magdeburger Einsatz), Bericht über den [abschließenden] Versöhnungs-

reisegenehmigung abwarten. Lothar Kreyssig rief die Teilnehmer aus der DDR dazu auf, sich Aufbaulagern der Gossner Mission anzuschlie-

„In Anbetracht der Unduldsamkeit und

ßen. „Aufbau“ war hier ganz wörtlich zu verstehen, wie aus Dresden der

Unbrüderlichkeit, ja des Hasses, mit dem sich

Theologiestudent Reinhold Asse für die brandenburgische Kirchenzei-

die Christenheit tausend Jahre lang am älteren

tung berichtete: „Jeden Morgen hieß es um fünf Uhr: ‚Aufstehen!‘ [...] Das Nationale Aufbauwerk hatte uns direkt beim Wohnungsbau eingesetzt. So konnten wir Häuser bezugsfertig machen helfen, Fundamente ‚verfüllen‘ (= auffüllen), Gräben für den Fernheizungskanal ausheben und nach Fertigstellung des Kanals wieder sorgsam zuschütten. [...] Die Gemeinschaft der ‚Camper‘

Bruder versündigt hat, kann und muss nach meiner Laienüberzeugung das Glaubenszeugnis der Christenheit von der in Christus erschienenen Herrlichkeit des Dreieinigen Gottes das Tatzeugnis einer ganz beharrlichen, vorbehaltlosen, teilnehmenden Liebe sein an allem, was Gott jetzt der Judenschaft in Israel aufgibt und bereitet. Indem wir das mit

kam nicht nur in gemeinsamer Arbeit zum Ausdruck. Mittagessen gab es

Entschiedenheit beginnen, empfangen wir

noch auf dem Bau. Dann ging es per Rad oder mit der Straßenbahn zurück

das Zeichen, dass die uns in Christi Leben und

in das Gemeindehaus, das uns von der Versöhnungsgemeinde für die Zeit des Aufbaulagers überlassen worden war. [...] Ein Wochenspruch in der

Opfertod erworbene Vergebung stärker ist als selbst die über alles Begreifen schreckliche Versündigung an Israel, die mit dem deutschen

Zeit des Aubaulagers hieß: ‚Was ihr getan habt einem unter diesen meinen

Namen seit 1933 verknüpft ist“ (Brief Lothar

geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.‘ Und dieser Spruch machte uns

Kreyssig an Gertrud Luckner, 16.1.1961, EZA 97/734).

Mut, auf einem Gemeindeabend und einem fröhlichen Beisammensein mit Gliedern der jungen Gemeinde von unserer Arbeit zu erzählen und den an uns ergangenen Ruf weiterzugeben.“91

Mit dieser Versöhnungstheologie, die das „Tatzeugnis“ über das „Wortzeugnis“ stellt, aber vom christlichen Zeugnis nicht lassen will, ruft Kreyssig nach Israel hinein. Dass von jüdischer Seite nicht begeistert geantwortet wird, lässt er nicht als Kritik an seiner Überzeugung gelten, sondern deutet die Ablehnung in kühner Volte als Bestätigung der eigenen Position: „Es bleibt zu bedenken, dass [die Jüdin Suse] Goldschmidt, wenn [also: wo sogar; G.K.] christliche Kirchenfürsten davon gering denken, um die


KApitel 3. In die Welt

73

verwandlerische, geschichtsmächtige Kraft der praktizierten Vergebung das Entscheidende nicht wissen kann“, schreibt er am 16. Mai 1961 an Johannes Müller (EZA 97/704). Und in offenbar ungebrochener kirchlicher Lesetra-

Die Gossner Mission, die neben der Arbeit in klassischen überseeischen

dition beruft er sich auf den 108. Psalm, die

Missionsgebieten seit Mitte der fünfziger Jahre auch in der DDR aktiv

Beschreibung einer Reise nach Israel, die er

war, bot Sühnezeichen in den ersten Jahren ein Dach. Deren Führungs-

als Siegeszug Christi sieht – wenn auch einen sanften Siegeszug: „Ich weiß heute, dass

rolle sahen die „Freunde und Teilnehmer der Aktion Sühnezeichen aus

Sühnezeichen und, soweit ich noch mitziehen

dem Bereich der Deutschen Demokratischen Republik und des Demo-

darf, auch ich selbst in der Nachfolge an diesem

kratischen Sektors von Berlin“, die sich im April 1960 zu einer Wochen-

Siegeszug teilhaben werde. Ich brauche Ihnen

endtagung in Berlin versammelt haben, noch ganz uneitel: Es gehe

nicht zu sagen, wie sehr der über Israel triumphierende Christus von der Schrift allenthalben als demütiger Dienst interpretiert wird“ (Brief Lothar Kreyssig an Johannes Müller, 3.7.1961, EZA 97/705). Mit dieser gutmeinenden, vor der gründlichen Revision des eigenen Ansatzes aber zurück-

schließlich „nicht um die ‚Flagge Aktion Sühnezeichen‘, sondern um die Tatsache, dass Versöhnung gelebt wird und dass überhaupt gearbeitet wird“, vermerkt das Protokoll.92 Bald jedoch übernahmen die Sühnezeichen-Freunde die Regie für eigene Lager. Nach dem Dresdner Einsatz hatte Reinhold Asse – der

schreckenden Haltung befindet sich Lothar

Berichterstatter für die Potsdamer Kirchenzeitung ist enttäuschter

Kreyssig in guter Gesellschaft. Er steht an eben

Niederlande-Kandidat der Aktion Sühnezeichen – die „Berliner und

der Schwelle, an der sich Christen in Deutsch-

Potsdamer Teilnehmer“ zu einem Treffen in seiner Wohnung in Ost-

land Anfang der sechziger Jahre befinden, die einen Anfang für das suchen, was später wohlwollend „christlich-jüdischer Dialog“ genannt

berlin eingeladen: „Da wir bisher noch nicht nach Holland oder Norwegen fahren konnten, ist es an der Zeit, gemeinsam über weitere Schritte

wird.

und Arbeitsmöglichkeiten nachzudenken.“93 Und nicht nur Asse war

Erinnert sei an den Purim-Streit, in dem der

in Aufbruchstimmung. Auch ein anderer „Dresdner“ notierte nach

Jude Robert Raphael Geis seinem christlichen Freund Helmut Gollwitzer vorwirft, in der

dem Einsatz:

Begegnung mit dem Judentum letztlich nur

„Wir glauben aufgerufen zu sein zur Sühne an den Völkern, die durch uns

die Gangart, nicht aber das Grundanliegen

so viel gelitten haben. Uns aus der DDR wurde keine Ausreise gewährt,

verändert zu haben: „Die Judenmission wird

sollten wir damit nicht hingewiesen werden auf die Not, die durch unsere

jetzt mit einem Mal von diesem Systematiker der evangelischen Theologie nicht mehr so

Schuld, durch Schuld (Versagen) der Kirche, in unserem Volke ist? Wäre

strikt abgelehnt, sie soll nur nicht ‚vom hohen

das nicht vielleicht unsere Aufgabe, hier ohne Presse, ohne Rundfunk, ohne

Ross‘ erfolgen, Infanterie ist die Buße für das

Film, ohne Ruhm zu leben und zu arbeiten als Helfer am Bruder oder an der

Schweigen der Kirche bei der Ermordung von

Schwester, denen wir es um Jesus Christus willen schuldig sind? [...] Ach

Millionen Juden“ (Robert Raphael Geis, Judenmission. Eine Purimbetrachtung zur ‚Woche der

gerne möchte ich mal raus in das Ausland, nach Norwegen oder Griechen-

Brüderlichkeit‘, in: Allgemeine Wochenzeitung der

land, nach Frankreich oder Polen oder wo es sonst noch hin sei. Doch wäre

Juden in Deutschland, März 1963).

das nicht ein Opfer, darauf zu verzichten und dafür hier in unserem Lande

Es ist noch ein weiter Weg zum wirklichen Dia-

unseren Weg zu leben?“94

log. Einen kleinen Schritt in Richtung „Lernen von Israel“ dokumentiert ein Brief, den Lothar

Dieser Weg ist bald gefunden; innerhalb weniger Jahre werden die

Kreyssig im Sommer 1963 seinem Mitarbeiter

Sommerlager zur zentralen Arbeitsform der Aktion Sühnezeichen Ost.

Otto Schenk in Israel schrieb:

Für 1963 werden zehn eigene Lager an sieben Orten angekündigt, 1964

„Von den drei Mannschaften in Israel herkommend, bürgert sich unter den jungen Sühnezeichen-Teilnehmern immer mehr der israelische Gruß Schalom ein. Wenn ich denke, wie sehr an der Entleerung und Entstellung des Friedensbegriffes die Gefahr der Weltlage sichtbar wird, will mir dieser Friedensgruß als


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Aussage der Gemeinsamkeit von der Wurzel her von unüberbietbarer Zeichenhaftigkeit erscheinen. Das allmähliche Auftreten zeigt

sind es schon fast doppelt so viele. Zwei Hauptamtliche sind der Organisation aus der Sommerarbeit zugewachsen: Christian Schmidt hat 1962 für Magdeburg, Brigitte Albrecht 1965 für Dresden Verantwortung getragen, bevor beide ins Ost-Berliner Büro der Aktion Sühnezeichen wechseln. Die Teilnehmer an den Sühnezeichen-Einsätzen werden schnell zu einer eigenen Gemeinde. In Berlin, Halle, Magdeburg und Leipzig treffen sich Aktive außerhalb der Sommerlager. Ein fester gemeinsamer Termin im Jahr bürgert sich ein: Das „Jahrestreffen“, entstanden zum Jahreswechsel 1960/61 als Versammlung der ersten Rückkehrer aus den westlichen Auslandseinsätzen, versammelt schon Ende 1961 „Ehemalige“, Bewerber und alle, die sich der Aktion Sühnezeichen dauerhaft verbunden fühlen. Seit dem Bau der Mauer hat die „Sühnezeichen-Synode“, wie Lothar Kreyssig das Jahrestreffen gerne nennt, zwei Zentren: In West-Berlin versammeln sich die Westdeutschen, in Ost-Berlin die Ostdeutschen. Dass der erste Spatenstich in Magdeburg stattgefunden hatte, illustrierte sinnfällig Lothar Kreyssigs ökumenische Ambitionen: Gerade in einer Stadt, die im Dreißigjährigen Glaubenskrieg schon einmal schweren Schaden gelitten hatte, arbeiteten Christen beider Konfessionen gemeinsam an einer katholischen und zwei protestantischen Kirchen. Nun fehlte der Aspekt der innerchristlichen Annäherung auch im Westen nicht völlig – an den Auslandsprojekten nahmen gelegentlich Katholiken teil – , zum zentralen Moment wurde er allerdings in der Sühnezeichen-Arbeit in der DDR. Hier, wo die Grenzen zum Ausland zunächst unüberwindbar waren, traten die Grenzen im eigenen Land ins Blickfeld. „Der Nächste vor der Tür – Heilung in Haus und Gemeinde“ überschrieb Lothar Kreyssig Ende 1960 seinen Abriss über die Aufgaben im Osten Deutschlands. Dabei war die innerchristliche Ökumene für ihn eher Nebeneffekt einer größeren Mission: der „gemeinsamen Hinwendung zu dem tausend Jahre von uns geschlagenen älteren Bruder“, zum Judentum. Israel ist von der DDR aus unerreichbar, so wird auch der christlich-jüdische Kontakt zur Aufgabe vor Ort: „Vom Glauben her müssen wir uns fragen, ob

auch, dass er weder proklamiert noch usurpiert. Ich frage mich aber, ob ich in einer mehr oder weniger offiziellen Mitteilung dazu ermuntern könnte, den Gruß als Sühnezeichen-Gruß zu gebrauchen, ohne dass wir die Meinung Israels dazu kennen“ (Brief Lothar Kreyssig an Otto Schenk, 18.6.1963, EZA 97/912).


KApitel 3. In die Welt

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wir, wenn wir nicht mit den anderen Deutschen die Freiheit haben, den Brüdern in der neuen Heimat Gutes zu tun, im eigenen Lande [...] noch Raum zur Buße haben.“95 Diesbezügliche Erkundungen allerdings haben wenig Erfolg. Von Heinrich Grüber, den Kreyssig im März 1960 fragt, „ob Ihnen noch Menschen, Einrichtungen, Gotteshäuser, Friedhöfe oder was immer bekannt sind, wo bescheiden etwas geschehen könnte“, kommen keine entscheidenden Hinweise.96 Und ein Besuch dreier Delegierter beim Vorstand der jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt bringt wenig mehr als die Einsicht, dass in Magdeburg 32 und in ganz Sachsen-Anhalt keine hundert Juden leben. „Wir mussten uns beschämt eingestehen, dass wir das nicht gewusst hatten, doch offenbar deshalb, weil wir uns daran gewöhnt hatten, den Juden ringsum nicht mehr vorzufinden“, kommentiert Kreyssig leise.97 Am ehesten realisierbar scheint die christliche Mithilfe bei der Pflege jüdischer Friedhöfe. Diesem Vorhaben allerdings schiebt der Staat einen Riegel vor. Erst in den siebziger Jahren werden Gruppen der Aktion Sühnezeichen auf jüdischen Friedhöfen arbeiten können, 1977 findet das erste Sommerlager in Berlin-Weißensee statt.

Nach oben: Zugänge nach Israel

Dass die Verständigung der Völker ein zu schlichtes Ziel für Lothar Kreyssig war, merkt spätestens, wer sich mit seinen Israel-Plänen befasst. 1960 wagt Lothar Kreyssig sich daran, Zugang zum Land des „älteren Bruders“ der Christenheit zu suchen – zwei Jahre, nachdem er im Gründungsaufruf Israel unter den ersten Adressaten genannt hat. „Aktion Sühnezeichen Jerusalem“ nennt er das Projekt, das über die bisherigen Mannschaftsdienste in Norwegen, Griechenland, Holland hinausgehen soll. Zwar geht es wieder um einen Bau – ein „Haus der Begegnung“ soll errichtet werden. Doch das Gebäude ist Ausdruck eines ehrgeizigen Konzepts: Je 20 Protestanten, Katholiken und Juden sollen hier zusammenleben; sie sollen in getrennten Gebetsräumen, die die Ecken des dreieckigen Grundrisses bilden, beten, in Wohnungen ge-


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„Der alte Herr mit dem langen weißen Bart saß hinter einem Berg von Schriften und war mit der Korrektur seines neuen Buches ‚Vom König-

mischt zusammenwohnen, sich in der Mitte zu Gesprächen treffen und sich nach außen für Alte oder Kranke engagieren. Die „trikonfessionelle“ Gemeinschaft ist für Kreyssig das Höchste, verspricht er sich so doch Heilung historischer Schuld und Überwindung theologischer Gegensätze zugleich. „In der Tiefendimension dieses Ansatzes ist dann alles enthalten, was uns in unserem Auftrag überhaupt zugedacht ist“, schwärmt er in einem Brief an seine Leitungskollegen.98

tum Gottes‘ beschäftigt. Gleich zu Beginn unseres Gespräches sollte ich eine Überraschung erleben. Ich erzählte ihm: Wir sind seit sieben Monaten in Jerusalem und bauen eigenhändig eine Schule für blinde Kinder – und er nickt und sagt, ich weiß. Wir kommen von der Aktion Sühnezeichen aus Deutschland und haben den Wunsch für die Verständigung unter den Völkern zu arbeiten, die besonders unter dem Naziterror gelitten haben; und wir kommen vor allem deshalb zu

Das Gelingen hängt freilich zuallererst an der Zusage israelischer

Israel, und Martin Buber unterbricht mich wie-

Partner, die dieses „Sühnezeichen“ von Deutschen annehmen. „Wer

der und sagt, ich weiß, ich hab davon gehört.

vergibt, wird dem anderen Gehilfe zum Leben“, erklärt Kreyssig in einem werbenden Brief an keinen Geringeren als Martin Buber, den Jerusalemer Schutzpatron der deutsch-israelischen und der christlichjüdischen Beziehungen: „Bitte fühlen Sie mit uns, hochverehrter Herr Professor, welch echte neue geschichtliche Dimension eröffnet würde, wenn Katholiken und Evangelische

So waren wir schon nach zwei Minuten bei meinem Anliegen an Martin Buber: Was kann die deutsche Jugend für die Aussöhnung mit Israel weiter leisten, wenn sie – wie unsere Gruppe – nach einem Jahr Arbeit und gemeinsamen Leben in Israel nach Deutschland zurückkehrt? Nun kommt zögernd die Antwort: kleine Kontakte, private werden bleiben, doch grund-

unter den Deutschen, von gemeinsamer Schuld herkommend, vom älteren

sätzlich weiterwirkende Arbeit kann nur von

Bruder in Jerusalem, wo sie alle das Heil erwarten, Vergebung empfingen,

euch Deutschen selbst geschehen. Ich merke,

indem sie [...] je aus der Kraft ihres Glaubens und Gebetes zur Ehre des lebendigen Gottes miteinander leben und arbeiten.“99

wie sich Buber mit der Frage beschäftigt und mir nur ausweichende Antworten gibt. Plötzlich richtet er sich in seinem Sessel hoch

Eine Antwort von Martin Buber ist nicht überliefert. Der deutlichste Wi-

und fragt mich erregt: Wollen Sie eine klare,

derhall auf Kreyssigs Vorschlag kommt zunächst aus dem katholischen

ehrliche Antwort? Bitte: Die Aussöhnung mit

Bereich. Der Paderborner Erzbischof und Ökumeniker Lorenz Jaeger

dem Volk Israel ist keine Frage des deutsch-jüdi-

zeigt sich in einem Gespräch mit Kreyssig und Müller-Gangloff zustimmend; aktive katholische Partner für das Sühnezeichen-Vorhaben

schen Verhältnisses, sondern eine rein deutsche Problematik! Es gibt, glaube ich, nach meinen eingehenden Erkundigungen – Schulbücher

werden Abt Emmanuel Heufelder und sein Mitarbeiter Thomas Sartory

habe ich durchgesehen, viele Veröffentlichun-

vom bayrischen Kloster Niederaltaich, einer Heimstätte der für die Ver-

gen gelesen – keine ernst zu nehmende Arbeit

ständigung zwischen den christlichen Konfessionen arbeitenden „Unasancta“-Bewegung. Der Münchner Architekt Olaf Andreas Gulbransson (wegen seiner vielen Kirchbauten auch „Quartiermacher Gottes“ genannt) steuert einen Entwurf für das Gebäude in Jerusalem bei. So konkret die Vorarbeiten in Deutschland im Laufe des Jahres 1960 werden, so sporadisch sind noch die Kontakte nach Israel. Der Anstoß zu Kreyssigs Idee – ein Haus der Begegnung als Anlaufstelle vor allem

in Deutschland, die sich mit der Frage auseinandersetzt: Wie war diese Entmenschlichung möglich? Wo liegen die Wurzeln? Welches sind die Quellen? Es war für uns Juden eine fatale Überraschung, das Volk eines Bach oder Hölderlin so entstellt zu sehen. Können wir das Hitlerdeutschland als einmalige Verfehlung hinstellen, fragt Buber. Eure Erziehung durch Kirche und Staat, die muss hier auf den Plan! Ihr solltet eure Theologen mobilisieren und ehrliche Lehre über das Alte Testament verlangen. Nach dem Krieg fing die Kirche recht gut damit an, aber was ist heute? Hier in Jerusalem gibt es einen Professor für Neues Testament an der hebräischen Universität. Er lehrt als Jude neutestamentliches


KApitel 3. In die Welt

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Verständnis! Kompetente Lehrer für jüdische Sitten und Gebräuche sind große Hilfen für die Beseitigung der Missverständnisse. Und trotzdem meint Buber – und er spricht es mit spürbarer Leidenschaft aus –, nur wir

für deutsche Israel-Touristen – stammt von Rafael Warszawski, einem

jungen Deutschen allein können die Tat der

in Posen geborenen und in Nürnberg lebenden Juden, der nach Israel

Aussöhnung, nicht mit dem Juden, sondern

überzusiedeln plant. Die „World Union for the Propagation of Juda-

Aussöhnung mit uns selbst vollbringen. Auch eine Autorität, der man gehorcht, kann nur

ism“, die er vertritt, ist Lothar Kreyssig weitgehend unbekannt. „Ist die

eine deutsche sein!

genannte Vereinigung ein Partner für uns? Wird andererseits die Mit-

Mit großem Ernst ermahnt uns Buber: Alle Be-

wirkung dieser Vereinigung ausreichen, um die staatlichen Behörden

suche von Deutschen bei uns hier in Jerusalem

zu einer wohlwollenden Einstellung für das Projekt zu veranlassen?

haben mich nicht überzeugen können, dass hinter ihnen einen große Zahl in Deutschland

Halten Sie das Projekt für realistisch und im Sinne unserer Aufgabe

steht! Und gerade deswegen müsst ihr es allein

bedeutsam genug?“, fragt Kreyssig die Haifaer Familie Rubinstein, an

wagen.

die wiederum er von Oskar (später Ascher) Eder, einem nach Israel aus-

An Bubers Augen kann man seine ehrliche An-

gewanderten und zum Judentum konvertierten Deutschen, verwiesen

teilnahme ablesen, als er sagt: Wir wollen es uns zutrauen, unser Volk vor neuer Entmenschli-

wurde.100

chung zu bewahren! Bekanntlich wächst man an

Die Fragen werden auf anderem Wege beantwortet. Im Septem-

seinen Aufgaben. Ihr seid prägend für die neue

ber 1960 trägt Thomas Sartory in Niederaltaich die Planungen einem

Generation. Niemand von außen kann und darf

grundsätzlich wohlwollenden Kreis vor – „alles Leute, die seit Jahren

euch dabei helfen! Schon gar nicht ein Jude, ruft Buber aus! Setzt euer ganzes Wollen daran und

an einer Verständigung mit dem Judentum (und umgekehrt) arbei-

lehrt, erklärt, erzieht und versucht, eine neue

ten“, berichtet Sartory in einem Brief an Kreyssig.101 Das Ergebnis ist

Entmenschlichung zu verhüten! Ob es euch

ernüchternd: Abt Leo von Rudloff vom Jerusalemer Zionskloster sei

gelingt? Auch Buber weiß es nicht. Aber deshalb

„der Meinung, dass das Gespräch zwischen Juden und Christen sich nur

müsst ihr es doch wagen! Die Aussöhnung mit dem Judentum – wie unsere Ausgangsfrage war –

ganz langsam entwickeln könne, und dies geschehe besser in der Stil-

ist dann eine logische Folge.

le und Verborgenheit“102. Ernst Ludwig Ehrlich, Basler Gelehrter und

Bleibt Martin Buber ein einsamer Mahner?

Brückenbauer von jüdischer Seite, mahnt zur Vorsicht, „da sämtliche

Oder trauen wir es uns zu, die Wurzeln unserer

Voraussetzungen fehlten, um das Projekt, so wie es geplant ist, ver-

Verfehlung schmerzlich objektiv auszugraben? Wollen wir uns mit unserem Volk wieder aussöhnen? Dann lasst es uns versuchen.“

wirklichen zu können. Alles Spektakuläre müsse vermieden werden. Ein sichtbares Institut könne nicht am Anfang stehen, sondern erst am

Otto Schenk, Was kann die deutsche Jugend für die

Ende.“103 Gertrud Luckner, Freiburger Katholikin und seit ihrer Arbeit

Aussöhnung mit Israel tun? Ein Gespräch mit Martin

als Fluchthelferin für Juden in der Nazizeit im christlich-jüdischen

Buber, Manuskript, November 1963, EZA 97/692.

Dialog engagiert, tritt selbst in Kontakt zu Kreyssig – auch sie hält die Zeit für nicht reif.

„Ich war gestern auf Anraten Weckerlings bei Propst Grüber, um vielleicht doch noch den Weg nach Israel zu ebnen. Rudolf [Weckerling] meinte, dass er der einzige sei im Augenblick,

Mit seinem dreieckigen Zentrum überfordert Kreyssig die Zeitgenossen in mehrerlei Hinsicht. Theologisch geht vielen das „trikonfessi-

der uns in Israel helfen könne. Zuerst kam sein

onelle“ Projekt zu weit: Protestanten, Katholiken und Juden als drei

ganzer Groll gegen Kreyssig raus. Die Aktion

„Bekenntnisse“ nebeneinander? Im Führungskreis der Aktion Sühne-

Sühnezeichen sei in ihrem Geschäftsgebaren unsolide. Man könne nie wissen, was Kreyssig bei nächster Gelegenheit tue. Wir erhielten alles Geld von der Kirche, aber seien gar nicht kirchlich usw. Er war in vielen Dingen falsch informiert, und im Übrigen ist er ein ähnlicher Typ wie Kreyssig.


78

Im Hinblick auf Israel sagte er, dass Sühnezeichen mit einer viel zu großen Konzeption in Israel angefangen habe. Dieses interkon-

zeichen mahnt Reinhold Hildebrandt zu einem Engagement unterhalb

fessionelle Dreieck würde einem dort nicht abgenommen und die großen Ankündigungen

der religiösen Ebene: „Eine Versöhnung durch Taten, wenn die Juden

hätten sehr geschadet. [...] Ich habe Grüber ver-

uns dazu überhaupt die Möglichkeit geben wollen, dürfte nicht mit der

sichert, dass wir längst auf diese großen Pläne

Wahrheitsfrage verquickt werden.“104 Die Katholiken verweisen auf kirchenpolitische Rücksichten: Zur Einbindung arabischer Christen erwarten sie ein Parallelprojekt in Jordanien. Ähnlich kompliziert liegen die Dinge auf staatspolitischer Ebene. Die Nahoststrategie der Bundesrepublik scheut den Hallstein-Effekt: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel könnte die arabischen Staaten zum deutsch-

verzichtet hätten und versuchten, Kreyssig auf dem Boden zu halten. (Leider kommt nächste Woche in der Zeitschrift Una sancta wieder ein Artikel von ihm, in dem das trikonfessionelle Projekt doch noch eine Rolle spielt.)“ Brief Franz von Hammerstein an Johannes Müller, 3.7.1961, EZA 97/705.

landpolitischen Gegenschlag – zur Anerkennung der DDR – bewegen. Hakenkreuzschmierereien zum Jahresende 1959 und die Anwesenheit deutscher Waffenexperten in Ägypten verbessern die deutsch-israelischen Beziehungen genauso wenig wie die Position der DDR, die ihre historische Verantwortung mit dem Aufbau einer neuen Gesellschaft als abgegolten betrachtet. Das symbolische Projekt „Aktion Sühnezeichen Jerusalem“ erweist sich vor diesem Hintergrund als nicht durchführbar. Kreyssig gibt

„Was für ihre Eltern schreckliche Wirklichkeit gewesen war, existierte für die Jüngeren nur als mehr oder weniger ferne und unverständliche Geschichte. Der Eichmann-Prozess aber konnte sie in einem Maße wieder lebendig werden lassen, wie es keinem anderen Ereignis bisher möglich gewesen war. Während die jungen Israelis also den Glaskäfig in erster Linie mit Neugier betrachten mochten, erweckte er in

klein bei und verlegt seine Pläne für ein geistliches Zentrum nach

den aus Europa stammenden Älteren Furcht. In

Deutschland.105

Adolf Eichmann stand in Fleisch und Blut die

Anfang der sechziger Jahre ist nicht die Zeit für deutsche Bauten in Israel. Erste deutsche Jugendgruppen strecken die Fühler nach Israel

Vergangenheit wieder vor ihnen. Die Bilder von Auschwitz, Treblinka und Sobibor – so lange aus der Erinnerung verdrängt und vom Alltags-

aus; selbst bei Gleichaltrigen – wie etwa beim israelischen Studenten-

leben überdeckt – drängten wieder schmerzhaft

verband – rennen sie keine offenen Türen ein. Ab Ende 1960 konzentrie-

ins Bewusstsein zurück. Für diese Älteren war

ren sich die Bemühungen von Aktion Sühnezeichen darauf, ihrerseits Kibbuzim zu finden, die Gruppen von Freiwilligen für mehrere Monate aufnehmen.

es so, als ob sie beim Anhören der Zeugenaussagen alles noch einmal durchmachen mussten, die Ängste, die Schmerzen, den Verlust ihrer Nächsten, das ganze unermessliche Leiden. Aber Adolf Eichmann konfrontierte die Israelis

Mehrere Möglichkeiten tun sich auf: Rafael Warszawski und Suse Goldschmidt – eine Israelin, die in den sechziger Jahren ein studenti-

auch wieder mit Deutschland, mit Deutschen, und zwang sie, sich nicht nur mit seiner Person zu befassen, sondern auch mit dem

sches Austauschprogramm zu initiieren versuchte – sprechen ihnen

Land, mit dem Volk, das ja in Europa noch

bekannte Kibbuzim an, Walter Liefmann, der in einem Kibbuz lebende

existierte und dort eine ständig wachsende

Schwager des hessischen Pfarrers Adolf Freudenberg, signalisiert Interesse, und israelische Regierungsstellen sind von Anfang in die Suche eingebunden. Der stellvertretende Leiter der Israel-Mission in Köln,

Rolle spielte. ‚Wir müssen uns hüten vor jeder Art von Rassentheorie‘, warnte Israels Ministerpräsident in diesem Zusammenhang. ‚Es ist kein Zweifel, dass vor den Nazis ein anderes Deutschland bestand. Und es gibt ein anderes Deutschland nach den Nazis ...‘ Bisher hatten sich die jungen Israelis über dieses Land kaum Gedanken gemacht, weder über das Vorkriegsnoch über das Nachkriegsdeutschland. Da auf beiden Seiten Abneigung herrschte, Reisen nach Israel zu fördern, hatten sie auch kaum


KApitel 3. In die Welt

79

Gelegenheit, einem Deutschen zu begegnen, es sei denn, sie suchten aus eigener Initiative eine solche Begegnung. Und das hatten bis jetzt die wenigsten getan. [...] Seit die israelische Regierung unter dem Zwang der Notwendig-

Leo Savir, begleitet die Suche wohlwollend („Darf ich Ihnen noch

keit Wiedergutmachungsleistungen von der

einmal sagen, sehr verehrter Herr Präses“, schreibt er nach einem Ge-

Bundesrepublik angenommen hatte, war die

spräch, „wie sehr mich die Begegnung mit Ihnen und Ihrem Kreis be-

Linie ihrer Politik gegenüber Westdeutschland festgelegt: Zusammenarbeit mit einem Land, das klugerweise nicht ignoriert werden durfte

rührt hat?“106). Im israelischen Außenministerium ist Max Varon engagierte Kontaktperson.

in einer Lage, in der Israel Freunde nötig hatte.

Von staatlicher Seite kommt allerdings auch der Dämpfer. Als sich

Es war keineswegs einfach gewesen, die isra-

in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann abzeichnet, raten die

elische Öffentlichkeit dahin zu bringen, diese Politik zu akzeptieren. Viele haben es bis auf

Israelis den Deutschen, die für Frühjahr 1961 geplante Ausreise einer

den heutigen Tag nicht getan.“

ersten Sühnezeichen-Gruppe zu verschieben. Die 15 Angemeldeten

Inge Deutschkron, Israel und die Deutschen, Köln

fahren stattdessen im April ins holländische Joure. Die offizielle israeli-

1970, S. 151 f; 162.

sche Haltung bleibt wohlwollend: Savir ist eigens von Köln nach Berlin

In seiner Sorge um die Einmütigkeit der Unter-

Verantwortlichen zu ermutigen, weiterhin Wege nach Israel zu suchen

händler rügt Kreyssig die jüdischen Freunde

und Vorbereitungen zu treffen.

gereist, um die Bedenken seiner Regierung zu vermitteln – und um die

recht unbekümmert: „Wir Deutsche sind durch das, was in unserem Volk und durch unser Volk möglich war, für

So wird das Terrain sondiert. Warszawski und Goldschmidt bleiben am Ball. Schalom Ben-Chorin kommt ins Spiel. Seine Reformgemeinde

alle Zeiten gezeichnet und müssen darum ganz

braucht eine Synagoge: Kann und soll Sühnezeichen sich am Bau be-

demütig und bescheiden sein. Sie wissen, dass

teiligen? Es fällt eine Entscheidung dagegen; man will vermeiden, eine

das meine innerste Überzeugung ist. Bitte

Minderheitenrichtung innerhalb des Judentums zu unterstützen.107

halten Sie das fest, wenn ich nun, weil wir gemeinsam mit einem neuen Anfang beschenkt

Ansgar Skriver, ehemaliger Norwegen-Teilnehmer, fährt als Journalist

sind, hinzufüge, dass ich mir aber auch für

zum Eichmann-Prozess; im Sommer besucht Studentenpfarrer Rudolf

euch, die älteren Geschwister im Hinblick

Weckerling Israel. Allmählich verliert Max Varon im Außenministeri-

auf eben diesen neuen Anfang ganz schwere

um den Überblick über die Sühnezeichen-Unterhändler. Gereizt bittet

Sorgen mache. Unter der Verheißung haltet ihr zwar besser und stärker zusammen als alle an-

er um eine klare Beauftragung aus Berlin. Der Sache bleibt er weiterhin

deren. Gleichzeitig aber seid ihr auch heftiger

gewogen, und letztlich ist es seine Fürsprache, die der ersten Gruppe

als alle anderen einer des anderen Feind. Wenn

die Tür öffnen hilft: Nach einem langen Telefonat mit Rudolf Wecker-

ich einem jüdischen Freund von einem anderen

ling verwendet sich der Politiker bei den Bewohnern des Kibbuz Urim

Juden spreche, mit dem ich auch befreundet bin, ist seine erste Äußerung in aller Regel,

im Negev für Sühnezeichen. Diesen lag bereits ein Brief vor, in dem

dass er sich von dem anderen abgrenzt und ihn

Johannes Müller um Aufnahme für seine Gruppe bat, die sich in hol-

mehr oder weniger vorsichtig einklammert. [...]

ländischer Wartestellung befand. Die Entscheidung war nicht leicht zu

Sie könnten unserer Sache nicht besser dienen,

treffen, erinnert sich später der Kibbuz-Bewohner Jehuda Riemer:

alle unsere Weggenossen und sich selbst vor ihnen nicht mehr beschenken, als wenn Sie

„Wer wusste, mit wem man sich da einlassen würde? Auch wenn es sich

fünf [Warszawski, Goldschmidt, Rubinstein,

um junge Leute handelte, fragte man sich: Wer waren ihre Eltern? Bei mir

Liefmann, Ben-Chorin] sich zu einer Sühne-

tauchten Erinnerungen von Geschichten auf, nach denen deutsche Kinder,

zeichen-Gemeinde in Israel zusammenfänden, aus deren Händen wir hier und die Deutschen durch uns ein erstes Anzeichen der Begnadigung empfinden in Gestalt eines gemeinsamen Werkes, in dem wir einig würden“ (Brief Lothar Kreyssig an Suse Goldschmidt, 28.8.1961, EZA 97/706).


80

Fünf Jahre nach dem ersten SühnezeichenEinsatz im Kibbuz versucht Otto Schenk, der Nachfolger von Johannes Müller als Leiter der

die nach dem Ersten Weltkrieg von holländischen Familien aufgenommen

Israel-Gruppen, den Kontakt nach Urim zu erneuern. Jehuda Riemer schreibt ihm einen

wurden, 1940 als Fallschirmjäger an den Spitzen der deutschen Invasions-

bedauernden Brief. Die Vorbehalte vieler im

truppen zurückkehrten. Aber aus Gründen, die mir heute schon nicht mehr

Kibbuz sind so groß, dass sich die allgemeine

klar sind, sei es die Tatsache, dass es in Urim wenig Leute gab, die von der Schoah direkt betroffen waren, dass man bereit war, auf das Abenteuer

Stimmung gegen weitere Einladungen wendet: „Die Gegner dieses weiteren Kontaktes waren zum Teil Chaverim, die gar nicht in Urim

einzugehen, und vielleicht auch, weil einige Leute den Nutzen der jungen

waren, während die Gruppe hier besuchte, oder

Arbeitskräfte für den Kibbuz vor Augen hatten; was immer die Gründe wa-

andere, die am Anfang gleichgültig waren

ren, es wurde beschlossen, die Anfrage der deutschen Gruppe positiv zu be-

und die die Gegenwart von Deutschen störend fanden, und dies aus allerlei Gründen, die

antworten. Und so kam es, dass ich, als ich eines Tages im Herbst meinen

zumeist emotional, aber gerade deswegen be-

Schafstall betrat, dort eine Gruppe junger Leute fand, die sich emsig mit der

sonders stark und unbeweglich sind. Während

Ausmistung der Bockabteilung beschäftigten. Es war eine äußerst schwierige Arbeit, weil es sich um eine fast betonharte Schicht handelte, die aus bautechnischen Gründen nur durch Handarbeit mit Heugabeln beseitigt werden konnte.“108 Der ursprünglichen Bitte von Johannes Müller, ein Gebäude errichten zu dürfen, wollten die Chaverim nicht entsprechen. Die zehn jungen

man am Anfang dachte, dass diese Opposition doch schmal ist, stellte sich heraus, dass sie es fertig brachte, eine ziemlich große Zahl von Chaverim um sich zu scharen, so dass sie nicht die Mehrheit, aber doch eine sehr einflussreiche Minderheit darstellt. Heute wird das Thema ‚Deutsche in Urim‘ zumeist gar nicht mehr diskutiert, und mein Eindruck ist,

Deutschen werden vielmehr im alltäglichen Arbeitsablauf eingesetzt:

dass eine Erneuerung der Besuche von Gruppen

in den Ställen, in der Messerfabrik, beim Arzt, in Küche oder Wasch-

wie ‚Aktion Sühnezeichen‘ nur möglich sein

küche, beim Bügeln, Flicken, der Kartoffelernte. Ihren Aufgaben begegnen sie unerschrocken – wie auch dem Kibbuz-Leben insgesamt: „Sühnekampfunfähig“109 wird im Tagebuch eine vorübergehend Kranke genannt, und der fröhliche zweite Satz in folgender Bemerkung ist im überlieferten Typoskript erst nachträglich durchgestrichen: „Als wir nach Urim kamen, haben wir uns in groben Zügen darauf geeinigt, dass wir uns dem Leben und Rhythmus im Kibbuz anschließen wollen. So nach und nach merken wir aber auch, dass man das Gebot des Schabbat-Heiligens hier auch nicht so genau nimmt.“110 In Urim stellen Amerikaner und Sabres, in Israel geborene Juden, die Mehrheit. Von der Gründungsgruppe des Jahres 1946 sind noch einige Bulgaren und Rumänen im Kibbuz; einige Zuwanderer stammen aus anderen europäischen Staaten, aus Südamerika und Südafrika. Manche Vorbehalte gegenüber den Deutschen treten erst im Laufe der Zeit zu Tage – oder werden bestenfalls überwunden. Christel Eckern, eine der beiden katholischen Mitglieder der Sühnezeichen-Gruppe,

kann, wenn eine richtige Aufklärungsaktion israelischer Seite (z.B. durch den Ichud oder das Außenministerium) unternommen würde“ (Brief Jehuda Riemer an Otto Schenk, 21.6.1966, EZA 97/708).


KApitel 3. In die Welt

81

Das Eis ist dünn – so bewertet ein israelischer Journalist seine Begegnung mit einer Sühnezeichen-Gruppe: „Ich saß diese Woche mit der Gruppe in einer kleinen Holzbaracke im Kibbuz Hasolelim, und

gibt wieder, was ihr eine Kollegin in der Waschküche nach Wochen

wir sprachen bis spät in die Nacht über alle

erzählte:

diese brennenden Probleme, die uns bedrücken und auch sie. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt hatte man den Eindruck, dass das

„,Bald nach eurer Ankunft geschah es, dass Lore, eins von euren Mädchen, des Abends im Speisesaal servieren musste. Als sie mit dem Wagen vorbeikam,

Gespräch sachlich und ehrlich geführt wurde,

auf dem sie Brot und Käse und Suppe und die anderen Dinge hatte, war es

aber als ich zu fragen begann, wo die Eltern

mir plötzlich unmöglich, sie um Brot zu bitten. Ich weiß gar nicht, was das

während des Krieges waren, herrschte plötzlich

mit mir war, dass Lore, die doch so ein nettes und liebenswertes Mädchen

Schweigen in dem kleinen Raum. Die Stille dauerte nicht lange. Vorsichtig kamen die Ant-

ist, das jeder gernhaben muss, für mich plötzlich dieses ‚Stück von Deutsch-

worten mit jener typisch deutschen Eleganz:

land‘ darstellte. Es war mir plötzlich unmöglich, überhaupt das Wort an

‚Die Eltern sprechen nicht darüber‘, sagt einer.

sie zu richten, und ich zog es an jenem Abend vor, hungrig zu Bett zu gehen.‘

‚Meine Eltern waren nicht in Deutschland zu

Ada schweigt einen Augenblick, und auch ich sage nichts. Nach einer Weile

dieser Zeit‘, sagt ein Zweiter ... ‚Meine Eltern haben mir erklärt, dass das deutsche Volk zwar

fragt sie: ‚Kannst du das verstehen?‘ ‚ Ja‘, sage ich, ‚das kann ich verstehen.‘

schuldig ist, aber man müsste auch unterschei-

Dann spricht sie weiter: ‚Und dann musste ich mit dir zusammen arbeiten.

den können.‘ ‚Es gab auch solche, die über die

Unabhängig davon, ob es mir passte oder nicht. Die Situation war einfach

Gräueltaten überhaupt nichts wussten‘, sagt

so, und ihr wurdet ja eingesetzt, wo gerade jemand gebraucht wurde, wie

eine Dritte. Waltraut Eberhardt aus Stuttgart, 22, sagt dazu: ‚Meine Eltern wissen bis heute

irgendjemand von uns auch. Ein paar Wochen arbeiten wir nun zusammen.

nicht, wie sie sich dazu stellen sollen. Wir

Zwischendurch sehe ich die anderen von euch. Wenn ich an den Duschräu-

lebten auf dem Dorf. Wir erfuhren nicht viel.

men vorbeikomme, sehe ich Margitta im Schweiße ihres Angesichts put-

Wegen des Krieges wusste man nicht, was sich

zen, Charles repariert die Maschinen in der Messerfabrik, Erika kocht mit

in den Konzentrationslagern abspielte. Jeder dachte nur daran, wie er lebend den Krieg

Hingebung und Eifer ... Und ihr seid alle so verschieden ... Ohne dass ich es

überstehen würde.‘ Sagt Peter-Martin Kühn ab-

gemerkt habe, hat sich meine Haltung euch gegenüber geändert. Ich sehe

schließend: ‚Meine Mutter hat uns schon lange

plötzlich, dass Lore ein nettes Mädchen ist, Charles ein liebenswerter junger

davon erzählt. Viele ihrer besten Freunde waren

Mann, und ich mag dich gut leiden, so wie ich jemand von unserem Volk gut

Juden. Mein Vater hat von der Kanzel gegen den Nazismus gepredigt.‘

leiden möchte. Und ich arbeite gern mit dir zusammen.‘“111

Also befanden sich die Mörder nur in der

Wie gut, dass die Sühnezeichen-Mannschaft nicht auf einer eigenen

weiteren Familie oder im Bekanntenkreis von

Baustelle arbeitet. Der gemeinsame Arbeitsalltag verbindet, Kontakte

Peter, Waltraut, Heinz und ihren Freunden.

entstehen, Gespräche entwickeln sich – auch auf Hebräisch, denn die

Erinnert sich einer von ihnen: ‚Die Familie meines Onkels wohnte in Berlin, in der Umge-

Deutschen lernen schon seit ihrem niederländischen Vorlauf Iwrith.

bung gab es viele reiche Juden. Bis heute sehen

Doch das Eis ist dünn. Viele Fragen bleiben ungestellt, von beiden Sei-

sie diese Juden, die nicht mehr am Leben sind,

ten. Die Gastgeber sind unruhig.

als ›Wucherer‹ an.‘ So gibt es viele, die davon

„Reichten diese Erfahrungen aus? Drückten die oberflächlich freundschaft-

überzeugt waren, dass das, was passiert ist, berechtigt war, und erst nach dem Zusammen-

lichen Verbindungen unsere echten Gefühle gegenüber diesen jungen Men-

bruch stellte sich heraus, dass mit falschen

schen und gegenüber Deutschland aus? Was taten wir eigentlich genau,

Karten gespielt wurde.

wenn wir uns förmlich zerrissen, um gute Beziehungen aufrechtzuerhalten?

Die Gräuel sind zwar geschehen, aber die Täter sind weitgehend anonym geblieben in den Augen der jungen Sühner. Trotzdem haben sie es auf sich genommen, die Gräuel zu sühnen. [...] Als die größte Krankheit des heutigen Deutschland bezeichnen sie die Gleichgültigkeit. ‚Und ist es denn so schwer, diese politische Gleich-


82

gültigkeit zu verstehen, nach dem, was uns die Politiker der vergangenen Generationen aufgebürdet haben?‘, fragt einer von ihnen. Und

Wir wussten nichts über die Vergangenheit unserer Gäste. Zugestanden, sie waren zu jung, um an der Vernichtung der europäischen Juden beteiligt gewesen zu sein, aber was war mit ihren Eltern? [...] Es stellte sich heraus, dass auch die Deutschen nicht offen zu sprechen wagten, und so entschieden wir, eine Reihe von Treffen zu organisieren.“112 So beschreibt Jehuda Riemer, als ihr Hebräischlehrer inzwischen einer der engsten Vertrauten der Gruppe, die Entstehung von regelmäßigen Diskussionsabenden. Etwa dreißig Chaverim kamen in die Unterkunft der Deutschen, und laut Riemers Beschreibungen wurde jetzt Tacheles geredet. Die Gruppe musste sich den Fragen nach der eigenen Vergangenheit und der jetzigen Situation in Deutschland stellen, nach der Bekennenden Kirche, dem Wissen der Deutschen über die Schoah, nach Antisemitismus, Wiederbewaffnung und Europa. Gefühle von Scham

dennoch möchten sie uns gerne überzeugen, wie außergewöhnlich friedliebend die deutsche Jugend heute ist. [...] Trotz dieser idyllischen Vorstellungen wird klar, dass zumindest in einem Punkt – nämlich dem des gespaltenen Deutschland – die Deutschen und auch die Jugend auf die Träume der Vergangenheit noch nicht verzichtet haben. Max Herzel, der, bevor er nach Israel kam, als Leiter der Gruppe offenbar eine gründliche Vorbereitungszeit durchgemacht hat, sagt zwar, dass er nicht in das von Polen besetzte Schlesien zurückkehren möchte, wo er geboren ist und dass ihm nichts fehlt in Westdeutschland, aber Heinz Konrad, in Ostpreußen geboren, widerspricht dem entschieden: ‚Ich habe noch lange nicht auf meine Heimat verzichtet! Ich hoffe, dass der

und Empörung bis hin zu Selbsthass stellten die Israelis bei ihren deut-

Tag kommt, an dem jeder wohnen kann, wo

schen Gästen fest; sie reagierten teils mit Bereitschaft zur Versöhnung,

er möchte, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen.‘

teils mit harscher Ablehnung. Einigen konnten sie sich darauf, die Sühnezeichen-Gruppe herzlich willkommen zu heißen, Aussöhnung grö-

[...] Aber auch hier versucht man uns schnell zu trösten: ‚Wir werden unsere Forderungen niemals mit Gewalt vertreten, sondern allein

ßeren Umfangs aber auf nächste Generationen zu verschieben. Das war

auf dem Verhandlungsweg‘, sagt Heinz Konrad.

den Deutschen freilich zu wenig: Sie luden die Israelis nach Deutsch-

Also? Ist die Verwirrung derart, dass unter

land ein. Ein Aufschub bedeute doch nur, die gegenwärtige Situation von Hass oder Gleichgültigkeit fortzuschreiben. Zu einem solchen Be-

bestimmten Umständen, die denen zu Beginn der dreißiger Jahre in Deutschland ähneln, in den Sechzigern noch einmal ein neuer Hitler

such war jedoch keiner der Chaverim bereit. „Es ist noch zu früh für

aufstehen könnte? Die jungen Sühner überstür-

eine breit angelegte Versöhnung“, lautete das Ergebnis der Auseinan-

zen sich in ihren Antworten: ‚Ich weiß nicht.

dersetzung.113 Allerdings tut sich auch die offizielle Politik nicht leicht mit der deutschen Versöhnungs-Offensive. Anfang 1962 intervenieren Außenministerium und Knesset gegen das Vorhaben einer Sühnezeichen-Gruppe, einen Flügel der Fürsorgerinnenschule beim Kinderheim „Ahava“ zu bauen – man will den Kontakt von Deutschen zu jüdischen Kindern vermeiden.114 Die deutsch-israelischen Beziehungen unter dem Sühnezeichen entwickeln sich nicht euphorisch, aber stetig. Den bescheidenen Er-

Es gibt doch heute fast keine Juden mehr in Deutschland.‘ ‚Man kann das schwer sagen. Man muss versuchen, neue Möglichkeiten zu verhindern.‘ ‚Den Menschen sind die Augen aufgegangen. Sie haben gesehen, was bei zwei Weltkriegen herausgekommen ist.‘ Ein neuer Hitler wird nicht aufstehen. Er würde wieder ‚scheitern‘. Aber von moralischem Bedauern, das eine ähnliche Neuerscheinung unmöglich machte, ist, wie man sieht, in weiten Kreisen Deutschlands keine Spur.“ Michael Schaschar, Sie kamen, die Verbrechen ihrer

folg beschreibt beim Abschied aus Urim ein befreundeter katholischer

Väter zu sühnen, in: Haaretz, 24.7.1964, deutsche

Priester mit einem Bild: „Ich glaube, es ist euch gelungen, in die dicke

Übersetzung EZA 97/45.


KApitel 3. In die Welt

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Auf arabischer Seite schlug der bescheidene Erfolg der ersten Sühnezeichen-Gruppen allerdings so hohe Wellen, dass das Auswärtige Amt in Bonn sich genötigt sah, die Maßstäbe zurechtzurücken. Aus der bundesdeutschen

Mauer zwischen den beiden Völkern ein Loch zu bohren.“115 Der ers-

Botschaft in Bagdad traf am 12. Juni 1962 ein

ten Kibbuz-Gruppe sollten schnell zwei weitere folgen; zwei andere

verschlüsseltes Fernschreiben ein:

Mannschaften bauen an einem Blindenheim in Jerusalem. Inzwischen

„Iraq Times vom 12.6. bringt Reuter-Meldung folgenden Inhalts: Westdeutsche protestantische Kirchenorganisation erfasse Tausende

schrieb man das Jahr 1964 – diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel ließen immer noch auf sich warten.

deutscher Jugendlicher für eine israelische ‚Expiation Force‘, um sie nach Israel zu senden. Diese von der Kirche finanzierte Organisation habe lange Listen von Projekten ausgearbeitet,

Nach Westen: Die groSSen Bauprojekte

bei denen sie im Rahmen der Sühneaktion mit-

Die ökumenischen Seilschaften funktionierten. Es waren Kontakte un-

arbeiten wolle. Erbitte Unterrichtung. Bargen.“

ter Christen, die die Wege nach Westen erschlossen. Bald konnte die

Legationsrat Kunisch antwortete am 19. Juni

junge Aktion Sühnezeichen weitere symbolische Bauvorhaben vermel-

1962: „Die auf privaten Spenden von Christen

den: allen voran der Bau einer „Kirche der Versöhnung“ im südfranzö-

unterhaltene Aktion Sühnezeichen hat mit elf

sischen Taizé. Während des Zweiten Weltkrieges hatte der Schweizer

freiwilligen jungen Teilnehmern unter Leitung

Protestant Roger Schutz hier, knapp jenseits der Grenze zum von Deut-

des Pfarrers Johannes Müller ein halbes Jahr

schen besetzten Teil Frankreichs, Verfolgten Zuflucht geboten. Nach

im Kibbuz Urim im Negev ohne Bezahlung im Geiste der Völkerverständigung mitgearbeitet.

dem Krieg gründete er die erste ökumenische Ordensgemeinschaft

Eine zweite kleine Gruppe ist am 27. Mai 1962

der Kirchengeschichte. Der Kölner Pfarrer Erwin te Reh, als Mitglied

zur Arbeit für ein halbes, möglicherweise ein

der Michaelsbruderschaft selbst dem Ordensgedanken eng verbunden,

ganzes Jahr nach dem Kibbuz Nir Elijahu auf

rannte bei seinen französischen Sondierungen für einen Einsatz der

Einladung des israelischen Außenministeriums ausgereist“ (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin, 92/644).

Aktion Sühnezeichen in Taizé offene Türen ein. Pläne für eine Kirche, die gleichzeitig Gedenk- und Gebetsstätte sein sollte, hatten Frère Roger schon seit Jahren beschäftigt. Mit Frère De-

„Präses Kreyssig, der Gründer der ‚Aktion Sühnezeichen‘, war in der ‚DDR‘ festgehalten, als die neue Kirche geweiht wurde. Und ein groß ge-

nis stand in den eigenen Reihen ein Architekt zur Verfügung; im April 1961 schließlich nahm eine Mannschaft der Aktion Sühnezeichen die Arbeit auf.

wachsener Mann, dem der schmale Schädel früh

Ein halbes Jahr später begann der Einsatz im englischen Coventry.

grauhaarig geworden ist, verlas in der ‚Kirche

Auch hier hatte im Sommer 1960 ein Emissär den Durchbruch vermel-

der Versöhnung‘ in französischer Sprache eine Dankesbotschaft Dr. Kreyssigs. Es war Dr. Hans

den können. Begeistert berichtete Lothar Kreyssig nach Norwegen vom

Lehndorff, der im Rheinland wirkende Chirurg,

Besuch Martin Koschorkes, Sohn eines Pfarrers der Bekennenden Kir-

der den Erlös seines zum ‚Bestseller‘ gewordenen

che und als Mitglied der ersten Holland-Mannschaft schon ein junger

‚Ostpreußischen Tagebuchs‘ der ‚Aktion Sühne-

Ehemaliger der Aktion Sühnezeichen:

zeichen‘ zur Verfügung gestellt und auf diese Weise wohl am meisten zum Bau der ‚Eglise de la

„Er kommt von einem Studienbesuch in England und bringt heim: Nicht

Réconciliation‘ beigetragen hat.“

mehr und nicht weniger als die informelle Einladung zu einem Sühnezei-

Taizé: Eine Kirche der Versöhnung. Von Deutschen in

chen in Coventry, in Coventry, in Coventry! Wisst ihr, was das heißt? Der

Frankreich gestiftet, in: Die ZEIT, Nr. 33/August 1962.

Es bestehe der konkrete Bedarf nach einer Kirche für die wachsende Bruderschaft und ihre Gäste, schrieb Roger Schutz an Lothar Kreyssig.


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Fast wichtiger noch war ihm allerdings die zeichenhafte Bedeutung eines solchen Projektes: „Was für ein wunderbares Zeichen von Versöh-

Schuss ins Schwarze der evangelischen Scheibe. Coventry ist das Symbol

nung könnte eine große Pilgerkirche für die Einheit der Kirche sein! Die Errichtung eines

für den Sündenfall des totalen Krieges zwischen Deutschland und England.

solchen Zeichens in Taizé wäre zu begründen

An Coventry sollte exemplarisch vorgemacht werden, was die Luftwaffe V1

durch die Aufnahme, die hier vor der Verfol-

und V2 mit ganz England zu tun entschlossen war.“116 Der dortige Propst Bill Williams hatte schon im Jahr zuvor eine Gruppe von jungen Deutschen (um den Iserlohner Akademieleiter Fritzhermann Keienburg) erlebt, die die zerstörten Kellerräume der alten Kathedrale ausbauten. Dem Abgesandten der Aktion Sühnezeichen gab er folgende Idee mit: Aus der Sakristei neben der Kirchenruine sollte ein internationales Begegnungszentrum werden. „Aktion Sühnezeichen sei für einen Ort wie Coventry, der symbolhaft für die Verständigung mit ganz England steht, besonders geeignet“, notierte Koschorke nach der Besprechung.117 Das allerdings sahen selbst die wohlmeinenden unter den Briten nicht durchweg so. Die Sozialarbeiterin Betty Collins, die nach dem Krieg als ökumenische Aufbauhelferin in Deutschland gewesen war und dem Anliegen der Aktion Sühnezeichen grundsätzlich sehr aufgeschlossen gegenüberstand, fand die Symbolik von Coventry der Sache eher abträglich. Nachdenklich schrieb sie an Franz von Hammerstein: „Da die Stadt so viele Publizität durch die ersten großen Angriffe, den Verlust seiner alten Kathedrale, den Bau der neuen bekommen hat, kriegt sie ziemlich viele Hilfe. Es ist ein bisschen ‚Mode‘, wissen Sie? Ich nehme an, dass Sie einen Verständigungsdienst machen wollen, das heißt in einer Gegend arbeiten, wo Deutsche nicht so sehr bekannt sind, wo vielleicht man sie nicht so gern hat?“118 Tatsächlich hatte auch Williams schon Birmingham als Alternative ins Gespräch gebracht; Betty Collins ihrerseits schlägt Glasgow oder Cardiff vor und empfiehlt, genaue Einsatzmöglichkeiten über die Quäker ausfindig zu machen. Solche weniger spektakulären Projekte an sozialen Brennpunkten werden Jahre später auch folgen (ein erster Einsatz dieser Art kommt 1963 durch Vermittlung der Brüder von Taizé zustande: Im belgischen Quaregnon, mitten im ehemaligen Kohlerevier gelegen, baut Sühnezeichen ein Haus für die Arbeit mit Jugendlichen, die das protestantische Ehepaar Quittelier dort im Auftrag des Ökumenischen

gung zum Beginn des letzten Krieges fliehende Juden gefunden haben. Man könnte sich eine Krypta vorstellen, die als Mahnmal an all jene erinnert, die Opfer von Intoleranz, Krieg und Verfolgung geworden sind“ (Brief Roger Schutz an Lothar Kreyssig, 13.6.1960, EZA 97/1589).


KApitel 3. In die Welt

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„Es handelt sich um eine jüdische Gemeinde am Rande des durch die Raserei des Nationalsozialismus im Kern ausgebrannten Europas. Es handelt sich dort um eine Gemeinde von überwiegend jüdischen Menschen deutscher

Rates der Kirchen leistet). Zunächst jedoch steht für Sühnezeichen das

Zunge und Herkunft, so dass ich diesen Brief

Repräsentative im Vordergrund.

deutsch schreiben kann. Und es handelt sich endlich um den Bau eines Gemeindezentrums, wo in dem Glauben Gott angerufen und angebe-

Das gilt auch – und noch mehr – für ein Vorhaben, das im November

tet werden kann, aus dem wir alle herkommen.

1962 angepackt wird. In Villeurbanne bei Lyon will Sühnezeichen ein

Wollte ein Mensch fragen, wie Gnade wohl aus-

Gemeindezentrum für die dortige jüdische Gemeinde – überwiegend

sehen könnte, welche dem Gebirge von christli-

Emigranten aus Deutschland – bauen. Auch hier hat das Netzwerk der

cher und deutscher Schuld gegenüberzutreten vermöchte, so könnte man ihn vielleicht auf

Bekennenden Kirche gewirkt. Paul Graf Yorck von Wartenburg, seit

diese Züge eines unbezweifelbaren geschicht-

Jahren deutscher Generalkonsul in Lyon, stammt wie Franz von Ham-

lichen Ereignisses verweisen. Im Übrigen ist es

merstein aus einer Widerstandsfamilie und kennt Lothar Kreyssig aus

mit Menschenbegriffen nicht zu fassen.“

Kirchenkampfzeiten. Er trägt den alten Freunden das Anliegen der jü-

Präses Kreyssig an den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde Villeurbanne Maurice Keller (Brief zur

dischen Gemeinde vor; auf einer Rückreise aus Taizé besucht Hammer-

Grundsteinlegung), in: Kommunität. Vierteljah-

stein den Konsul in Lyon, das Projekt wird verabredet. Die Zustimmung

reshefte der Evangelischen Akademie Berlin, Heft

der jüdischen Gemeinde ist für Lothar Kreyssig ein „unbegreifliches

27/63, S. IV f.

Zeichen unverdienter Gnade“.

„Die vielen Millionen, die im Laufe der Jahre

ten für Juden eine Synagoge bauen?, fragen sich viele Kirchenleute.

an Wiedergutmachungsleistungen mittelbar

Kommt ein eigens für jüdische Gottesdienste errichtetes Haus nicht

durch mein Konsulat zur Verteilung kamen,

einer Preisgabe des christlichen Missionsanspruchs gleich? Dass die

Das sehen zu Hause freilich die wenigsten Christen so. Können Chris-

haben die heilende Wirkung nicht ausgelöst, wie dieser billige kleine Bau sie bewirkt. Ich

protestantischen Bauleute der Aktion Sühnezeichen auch noch in einer

weiß, dass sich für manchen Christen und vor

katholischen Gemeinde untergebracht sind, erhöht die Brisanz des Pro-

allem für manchen Theologen die Frage nach

jekts. Es berührt die Grundlagen des interreligiösen Dialogs, es fordert

der ‚Erlaubtheit‘ einer Hilfe zum Synagogenbau

die Bereitschaft, die Wahrheit des Andern gelten zu lassen. Nicht über-

stellt. Ich meine, dass sich die Kirche lieber fragen sollte, ob es ihr erlaubt war, zu schweigen,

all werden diese grundsätzlichen Fragen angegangen. Aus der hessen-

als in unserem Lande die Synagogen brannten.

nassauischen Landeskirche ist der pragmatische Beschluss überliefert,

Ich meine, dass es uns gar nicht möglich ist,

zwar 20.000 DM als Zuschuss für Villeurbanne zu bewilligen, ohne aber

Falsches zu tun oder gar zu sündigen, wenn wir

den Synagogenbau offiziell als Zweckbestimmung anzugeben.119

aus der Liebe heraus handeln. Ich meine, dass es an der Zeit ist, die Stellung zur Kirche zum Judentum neu zu überdenken und sich der

Und schließlich: Rotterdam. Das mit veranschlagten zwei Millionen fi-

Tatsache bewusst zu werden, dass unser Herr

nanziell voluminöseste Projekt ist zugleich das letzte in der Reihe der

und seine Apostel Juden waren, dass wir alles,

bedeutungsschweren Bauvorhaben in Westeuropa. Ab 1965 baut Aktion

was wir sind, diesem Volk verdanken.“ Brief Paul Graf Yorck von Wartenburg an Hanns Lil-

Sühnezeichen in der niederländischen Hafenstadt eine „Internationale

je (Bischof von Hannover und Deutschlands oberster

Ökumenische Sozialakademie“. Hinter dieser Idee steht der in Berlin le-

Lutheraner), 21.12.1963, EZA 97/1952.

bende Holländer Joop Siezen; der deutsche Pfarrer Hans Fischer hat sie

„Ein Industrieller aus Warstein im Sauerland kaufte diese Zeitung [Christ und Welt] am Hauptbahnhof in Wien. Der tragende Gedanke, der hinter diesem Hause in Rotterdam steht, begeisterte ihn so, dass er sich vornahm, einen


86

Beitrag zur Durchführung dieses Projektes zu leisten. Er hatte mit seinem Betrieb eine erste Europareise nach Holland vor. Dieser Betrieb

vor Ort vorangetrieben. Dem im Krieg weitgehend zerstörten Rotter-

machte nicht nur einen Ausflug, sondern suchte eine wirkliche Begegnung mit Land und

dam hat zwölf Jahre zuvor der russisch-französische Bildhauer Ossip

Leuten.

Zadkine ein Denkmal gesetzt: „Stadt ohne Herz“ heißt seine Skulptur

Man lud mich zu einer kurzen Feierstunde

eines Zerrissenen. Diesem Symbol soll nun ein anderes entgegengesetzt werden, erklärt Ernst Wilm bei der Grundsteinlegung im März 1966: „Nicht weit von uns steht dieses Denkmal des Menschen, dem das Herz herausgerissen wird – und hier wird ein Haus gebaut, das ein Stück Herz wiederbringen soll: Eine kleine Herzkammer soll hier entstehen, denn indem die jungen Menschen der Aktion Sühnezeichen an diesem Hause bauen und wir

in Amsterdam ein und übergab am 20. Juni 1964 ein besonders wertvolles Kreuz, das aus Jahrhunderte alten Balken eines westfälischen Bauernhauses von dem Künstler E. Suberg beschnitzt wurde. Ein Pater der Benediktinerabtei Meschede, Pater Kunibert, der diese Holland-Reise mit vorbereitet hatte und der nun erlebte, wie über

andern mithelfen, dass es gebaut werden kann, ist eine Hand zur Versöh-

alle Konfessions- und Völkergrenzen hinweg

nung ausgestreckt, hinter der die ganz ernste und flehentliche Bitte zu hören

spontan der Wille der Wiedergutmachung

ist: Vergebt uns, lasst Versöhnung unter uns werden, Frieden zwischen uns sein!“120

aufbrach, gab diesem wertvollen Geschenk die folgende Deutung: ‚Im Zeichen des Kreuzes jagen die vier apokalyptischen Reiter (Krieg,

Die frühen sechziger Jahre sind die Zeit der plakativen Einsätze der

Pest, Hunger, Tod) durch die Zeiten, in einer

jungen Aktion Sühnezeichen in westlichen Staaten. Orte werden aus-

verheerenden Abwärtsbewegung dargestellt.

gewählt, deren Namen zu Synonymen für Ereignisse des Zweiten Weltkriegs geworden sind, Gebäude errichtet, die steinerne Zeichen einer Botschaft sein sollen.

Sie scheinen das ganze Zeitgeschehen zu beanspruchen. Die Menschen darunter sind in diese Nöte hineingestellt, entweder verzweifeln sie ohne Hoffnung, oder sie blicken durch das Zeitgeschehen hindurch nach oben, weil

Über die Deutung dieser Botschaft im eigenen Land, unter den Deutschen, wird später zu reden sein. Die Gastgeber fanden eigene Strate-

sie eine Hoffnung haben, die nicht aus ihrem zaghaften Herzen stammt. Sie schauen durch die Wirrnis der Zeit hindurch. Oben ragt

gien, das Anliegen der Aktion Sühnezeichen in ihren Ländern zu be-

über allem Geschehen leuchtend das ewige

greifen und zu vermitteln. Die Rotterdam-Mannschaft etwa hat eigene

Jerusalem mit dem offenen Tor. Alles dies ge-

Erfahrungen mit Volkes Stimme gemacht: „Auf unserer Wäscherechnung steht regelmäßig ‚Aktion Schumacher‘. Der Fahrer des Wäsche-

schieht im Zeichen des Kreuzes und hat bis zur Wiederkunft des Herrn Bedeutung. [...] Nur im Kreuze gibt es Lösung und Erlösung. Nur im

wagens sagt: Ja, Schumacher sei leichter zu schreiben als Sühnezeichen.

Kreuze empfinden wir die Kraft, zu verzeihen,

Außerdem sei es ein typisch deutscher Name.“121 So nonchalant wird

wenn menschliches Versagen uns durch dunkle

der hohe Anspruch, mit dem die jungen Deutschen ihre jeweilige Aufgabe angehen, nicht überall „geerdet“. Die Briten setzen sich intensiv mit dem Namen der deutschen Initiative auseinander – und sie stoßen sich daran. Beim Stichwort „expiation“ höre man „einen Beiklang von Wiedergutmachung und Vergeltung im Sinne von Selbstgerechtigkeit“ mit, erfahren Kreyssig und Nevermann in einem Gespräch Anfang 1961.122 Propst Williams bevorzugt

Nächte schickt. Für uns alle steht leuchtend die Stadt auf dem Berge.‘ Dieses Kreuz ist die erste Gabe aus Deutschland für das Haus der Aktion Sühnezeichen, dessen Bau im Jahr 1965 begonnen werden soll.“ Hans Fischer, Die erste Gabe für das Gebäude der Aktion Sühnezeichen, Manuskript o.D. (1964), Zusendung an das Büro ASF von Klaus Philipps (1964/65 Vikar bei Hans Fischer in Rotterdam).


KApitel 3. In die Welt

87

Harold Claud Noel „Bill“ Williams war in Südafrika als Sohn eines Engländers und einer Burin geboren. „Versöhnung“ wurde dem Theologen zum Lebensthema. Eine belgische Ausstellung über deutsche Konzentrationslager,

den terminus „reconciliation“, manchmal spricht er gar von der „ac-

die für Coventry geplant war, lehnte er ab, da

tion Versohnung“.

sie eher den Hass als die Verständigung schüre. Folgerichtig wollte er auch nicht zu viel Selbstbezichtigung der jungen Deutschen hören,

Lothar Kreyssig akzeptiert den Williamschen Ausgangspunkt bei Gottes Gnade für alle Menschen. Doch was er in der innerdeutschen

sondern schlug Lothar Kreyssig ein deutsch-

Diskussion hochhält – die Solidarität aller als ebenbürtige und glei-

britisches Projekt vor:

chermaßen fehlbare Geschöpfe – ist ihm in der internationalen Dis-

„Hier herrscht weitgehende Einigkeit über die

kussion verdächtig. Dem englischen Gesprächspartner gegenüber ver-

Linie, die ich Martin Koschorke andeutete, nämlich dass wir keinen Besuch von Deutschen akzeptieren können, die hierher kommen, um

wehrt er sich gegen Gleichmacherei und betont die besondere Aufgabe der Deutschen:

Schuld zu bekennen und um Vergebung zu

„Auch wenn der Krieg der allgemeinen Sündhaftigkeit des Menschen ent-

bitten. Dies würde unserer eigenen Sicht auf

springt, so ist er doch zugleich eine Folge konkreter menschlicher Schuld. Im

den Krieg nicht entsprechen, die nämlich besagt, dass er eine Menschheitssünde ist, durch

Vaterunser bitten wir um Vergebung für diese konkrete Schuld. Wir wissen

die die gesamte Menschheit schuldig wird und

um diese Schuld, die die Deutschen dazu brachte, den Zweiten Weltkrieg zu

von der nur Gott uns durch Seine Vergebung

beginnen und Coventry zu zerstören, und wir denken, dass wir, wenn wir

erlösen kann. Wir würden hingegen ein

jetzt ein Versöhnungsprogramm beginnen wollen, diese Schuld klar beken-

Unternehmen begrüßen, in dem Ihre Gruppe und eine englische Gruppe und möglicherweise

nen müssen und sagen, dass uns Leid tut, was wir getan haben. Wenn sich

noch eine andere Gruppe zusammenkommen,

dann eine englische Mannschaft an unserer Arbeit beteiligen will, würde

die unserem Willen zu christlicher Versöhnung

das nicht nur bedeuten, dass unser Flehen um Versöhnung angenommen ist,

miteinander zum Ausdruck bringen. Wenn Sie

sondern auch, dass die Christen in Ihrem Land unsere Gefühle die Vergan-

damit einverstanden sind, könnten wir sofort über ein Projekt nachdenken, das uns unter dem gemeinsamen Anliegen der Versöhnung

genheit betreffend teilen und ihrer Solidarität mit uns vor Gott, der uns alle unsere Sünden vergeben kann, Ausdruck verleihen wollen.“123

zusammenführt“ (Brief Bill Williams an Lothar

Ein von Anfang an internationales Team lehnt Kreyssig ab. Williams

Kreyssig, 18.7.1960, EZA 97/464 [Übersetzung

kommt ihm in seinem Beharren auf eine deutsche Vorleistung tatsäch-

G.K.]).

lich entgegen, indem er ihm vorschlägt, einen deutschen Architekten zu beauftragen. Der Berliner Michael von Möllendorf erklärt sich bereit, unentgeltlich den Umbau der Sakristei zu planen. Ähnlichen Vermittlungsproblemen begegnet Aktion Sühnezeichen in Frankreich. Hier kommen noch konfessionelle Rangeleien hinzu: Die reformierte Kirche Frankreichs als erste Ansprechpartnerin der deutschen Protestanten geht auf Distanz zur Gemeinschaft in Taizé (sie sähen in der Ordensgemeinschaft wohl eher eine „katholische Geschwulst am reformierten Leibe“, spottet Kreyssig später124). Um die Reformierten angesichts des Einsatzes bei den Außenseitern zu besänftigen, lassen sich die Berliner bald darauf auf „Frankreich II“ ein:


88

Eine eigenwillige Konstruktion der Hintergründe des britischen Engagements in Dresden bietet die Historikerin Merrilyn Thomas. Ihrer

Ab Herbst 1961 baut eine Mannschaft ein Wohnheim bei einer Schule

Deutung nach haben sowohl Großbritannien als auch die DDR von dem Einsatz profitiert:

für spätberufene Theologiestudierende in St. Cyr bei Lyon. Doch so

Die Aufweichung der Hallstein-Doktrin und

richtig kommt ihre Botschaft offensichtlich auch dort nicht an. Von der

die Zähmung der kirchlichen Opposition durch

Einweihung in St. Cyr jedenfalls berichtet ein Bruder aus Taizé betrübt an Kreyssig: „Präsident Bourguet [Pr. der Eglise réformée de France; G.K.] hat seine Rede dazu benutzt, um etwa Folgendes zu sagen: ‚Aktion Sühnezeichen, wenn ich recht verstehe, heißt action réparatrice (= Wiedergutmachungsaktion!). Wir Protestanten glauben aber, dass es nur eine Sühneaktion gegeben hat, die Jesus Christus ein für allemal vollbracht hat. Deshalb ziehen wir es vor, diese école als die großzügige Gabe einer Schwesterkirche anzusehen.‘ Ich finde das nicht nur traurig, weil es Wesen und Sinn Ihres Werkes so völlig verkennt. Sondern fast noch mehr, weil es das richtige Gespür des anwesen-

Einbindung in eine internationale Aktion trugen zur internationalen Stabilität bei. Regierungen und Geheimdienste waren für Thomas die wahren Akteure; die jugendlichen Idealisten und die Verantwortlichen bei Sühnezeichen und in Coventry wurden – ihnen mehr oder weniger bewusst, gemeinsames Anliegen war immerhin der „Weltfrieden“ – für politische Zwecke instrumentalisiert. Sehr unterbelichtet wird in dieser Agentenstory, die auf der eher unkritischen Lektüre von Geheimdienstakten beruht, sowohl der Vorlauf zum Dresden-Projekt in Gestalt des

den Kirchenvolkes irreführt. Es waren etwa 250 Leute da. Und so protestan-

Sühnezeichen-Einsatzes in Coventry als auch

tisch (und dieses Wort muss man sich bei unseren Protestanten in Frank-

die Beteiligung der Autorin – sie war als junge

reich immer mit einem großen P und viel Emphase vorstellen!) sie vielleicht waren, so sind sie doch alle ansprechbar von dem, was Aktion Sühnezeichen

Britin in Dresden dabei. Somit fehlen zwei zentrale Ansatzpunkte, an denen die historisch Handelnden zum Subjekt der Geschichte

ist. Denn die Kraft der Bitte um Vergebung, die sich in der Tat ausdrückt,

hätten werden können. Das Heft des Handelns

spricht zum menschlichen Herz. Und was sollen diese armen Leute nun den-

wird geheimen Mächten überlassen – genau

ken, wenn man Ihnen verwehrt, dieses Gefühl, diese Kraft, freudig ernst zu nehmen.“125 Im Hintergrund der Bauprojekte ist ein Streit um die theologische Deutung der Arbeit im Gange. Geht es um ein Schuldbekenntnis der Deutschen, des Volks der Täter? Oder geht es um den praktisch gewordenen

konträr zum aufklärerischen Impuls der Aktion Sühnezeichen, der Erinnerungsarbeit bei den eigenen Anteilen ansetzt. Vgl. Merrilyn Thomas, Communing with the Enemy. Covert Operations, Christianity and Cold War Politics in Britain and the GDR, Bern 2005, oder, kürzer: Merrilyn Thomas, Idealism as a Political Tool.

Neuanfang zwischen ehemaligen Feinden? „Vergebung“ und „Versöh-

The Coventry-Dresden Relationship 1963-65, in:

nung“ heißen kurz gefasst die beiden Lesarten.

Arnd Bauernkämper (Hg.), Britain and the GDR.

Das Entgegenkommen der ausländischen Partner ist jedenfalls überwältigend. Nicht nur, dass sie von allzu demonstrativer deutscher Zerknirschtheit nichts hören wollen. Früh machen sie sich auf, um mit eigenen Zeichen zu antworten: 1964 reisen 25 Franzosen zu Sommerlagern in die DDR, im Jahr darauf beteiligen sich junge Briten am Wiederaufbau des Diakonissenkrankenhauses in Dresden, auch Ungarn und Holländer stoßen zu den innerdeutschen Einsätzen. Dieses Echo verführt Lothar Kreyssig bald dazu, von einem „zweiten Ab-

Relations and Perceptions in a Divided World ( = Arbeitskreis deutsche England-Forschung 48), Berlin 2002, S. 307 – 324.


KApitel 3. In die Welt

89

schnitt intensiver, brüderlicher, fruchtbarer Nachbarschaft“ nach der deutschen Vorleistung zu reden, gar von der „Integration Europas.“126 Die Hoffnung auf ein Verhältnis von gleich zu gleich, auf eine „Partnerschaft der beteiligten Völker“, beflügelt den Gründer der Aktion Sühnezeichen: „Am Ende könnte der Name wie der Dienst von Sühnezeichen in dieser übergreifenden Gemeinsamkeit aufgehen“, schreibt er nach dem Sommer 1965. So weit ist es allerdings jetzt noch nicht. „Es muss ein eindeutiges Zeichen der Deutschen am Anfang stehen“, erklärt Kreyssig – und zügelt sich damit selbst. In Osteuropa hat die Arbeit schließlich gerade erst zaghaft begonnen. Eine erste Polen-Fahrt hat stattgefunden, „UdSSR und CSSR stehen noch aus.“127

Nach Osten: Blicke und Schritte hinter den Eisernen Vorhang

Es begann mit einer Vollbremsung. Die insgesamt 40 jungen Leute aus der DDR, die im August 1964 unter der Ägide der Aktion Sühnezeichen zu Orten ehemaliger Konzentrationslager in Polen fahren wollten, standen schon an der Grenze. Sie hatten ihre Fahrräder dabei, Gepäck für zweieinhalb Wochen – und ein klares Programm: Sie wollten „ohne öffentliches Aufsehen per Fahrrad pilgern und in diesen Tagen der Pilgerschaft bewusst einfach leben und in der Stille beten und opfern“128. Ihre Routen waren geplant, sie wurden von polnischen Katholiken – Bischöfen wie Laien – erwartet. Und nun dies: Die Ausreise aus der DDR wurde nicht genehmigt. Lothar Kreyssig und Günter Särchen, die Initiatoren der Fahrten, fuhren zu den Pilgern, um ihnen diese Entscheidung mitzuteilen – und die Alternativen. Die Gruppe in Görlitz, deren Ziel Auschwitz/Oświe˛cim gewesen war, reiste nun nach Sachsenhausen, die in Frankfurt (Oder) Wartenden machten sich nach Ravensbrück auf, anstatt nach Kulmhof/Che mno zu fahren. Nur zwei der Pilger, die Magdeburger Brüder Hartmut und Rudi Förster, überquerten mit Einzelgenehmigungen die Grenze und fuhren als Delegierte der Gruppen durch Polen.


90

„Beim Herrgott wiegt der gute Wille mehr als die Zahl“, schreibt Kardinal Stefan Wyszyński aufmunternd an Günter Särchen, nachdem

Für die Deutschen war das Verbot ein harter Schlag. Lothar Kreys-

1964 nur zwei Sühnezeichen-„Delegierte“ statt der vorgesehenen beiden Gruppen eine Pilger-

sig versuchte, es eher als Umweg denn als Scheitern zu deuten. Die

fahrt nach Polen antreten konnten. „Arbeiten

Polen ihrerseits hatten sich auf diese Möglichkeit schon eingerichtet.

Sie unentwegt weiter in diesem Geiste für die

In weiser Voraussicht hatten die potenziellen Gastgeber aus Lublin an Günter Särchen geschrieben:

Ehre Gottes, für die Erlösung der Menschen von Schuld und Sühne und für die eigene Heiligung. Ich glaube gerne, dass es sehr schwer

„Und wenn Sie mit Ihren Leuten an der Grenze stehen ohne Visum nach all

ist, falsche und tiefeingewurzelte Vorurteile,

den guten und frommen Vorbereitungen, dann sollen sie schon heute wissen,

die die Völkerversöhnung erschweren oder gar

dass für viele von uns, die um dieses Vorhaben wissen, das Werk vollbracht ist, ohne das gesteckte Ortsziel Auschwitz erreicht zu haben. Denn viele von

verhindern, aus dem Wege zu schaffen. Das ist eine harte, langwierige und mit vielen Opfern verbundene Arbeit, die jedoch bestimmt

uns haben einfach nicht geglaubt, dass ihr Ernst machen würdet mit eurem

einmal reiche Früchte tragen wird, wenn auch

Vorhaben. Schon eure Vorbereitungen allein haben manchem meiner Mit-

vielleicht in weiter Zukunft!“

brüder in der Seele gut getan.“129 Der glaubhaft gezeigte Wille zählt mindestens so viel wie die Durch-

Der Brief ist in mehrfacher Hinsicht bewegend: Nicht nur, dass Wyszyński als Primas an der Spitze des polnischen Klerus stand. Er belegt

führung – diese Versicherung der Polen ist für die Deutschen freilich

mit seiner eigenen Biografie, dass Versöhnung

nur ein schwacher Trost, hatte sich doch der Gründungsaufruf neben

Arbeit, ja Selbstüberwindung kostet. Vor dem

(wörtlich sogar: vor) Israel gerade an „Polen und Russland“ gerichtet. Nach sechs Jahren schien der Anfang im östlichen Nachbarland zum Greifen nahe; nun war er weiter aufgeschoben. Der Enttäuschung entspricht das Pathos der Inszenierung: Obwohl die „endgültige Absage“ schon am 27. Juli 1964 klar ist, werden die Angemeldeten an den ursprünglichen Abfahrtsorten versammelt. Nicht alle wissen schon um das Scheitern,130 die offizielle Verkündung am 1. August wird so zur Umkehr in letzter Minute. Das Scheitern an der polnischen Grenze wiegt umso schwerer, als es der Aktion Sühnezeichen insgesamt nur mühsam gelingt, Zugang

Zweiten Weltkrieg hatte er am Priesterseminar in W oc awek gelehrt – in einer Diözese, aus der 85 Prozent aller katholischen Priester in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden. Eine ganze Reihe ähnlicher Briefe findet sich im Magdeburger Nachlass von Günter Särchen. Mit ihnen dokumentieren Bischöfe, wie stark in der polnischen katholischen Kirche das Echo auf die bloße Entschlossenheit der deutschen Pilger war. Der Krakauer Bischof Wojty a grüßt: „Nur durch solche Pilger- und Sühnefahrten und andere Bußwerke können wir von Gottes Barmherzigkeit die Annäherung der Völker und

zu kommunistischen Ländern zu finden. 1963 kommen die West-Ber-

Religionen erhoffen.“ Aus Breslau versichert

liner hier ein kleines Stück voran: Im Januar bekommen Erich Müller-

Bischof Kominek: „Wenn auch dieses Mal die

Gangloff und Franz von Hammerstein neben einer ganzen Reihe von West-Berliner Linken die Gelegenheit, am Rande des SED-Parteitages in Ost-Berlin mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita Chruschtschow zu sprechen. Der reagiert aufgeschlossen auf die Vorstellung der Aktion Sühnezeichen: Es sei eine „edle Idee“, bei der es wohl weniger um Wiedergutmachung als vielmehr darum gehe, eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern.131 Im Sommer können

Fahrt nicht gelungen ist, so ist der gute Wille sehr hoch zu bewerten.“ Der Posener Erzbischof Baraniak schließlich benennt ein Programm: „Wenn unsere Völker sich im Namen von Liebe und Frieden näher kommen sollen, so müssen wir eine gemeinsame Sprache finden, durch die eine Seite um Verzeihung bittet und die andere im Namen Christi verzeiht.“ Die Korrespondenz im Umfeld der ersten Sühnezeichen-Pilgerfahrt zeugt vom Versuch, eine solche gemeinsame Sprache zu finden. Die polnischen Briefe – allesamt übrigens in deutscher Sprache verfasst – lassen sich als Schreibübungen zu einem Brief lesen, der ein Jahr später, im Herbst 1965, Furore machen sollte. Die katholischen Bischöfe Polens luden


KApitel 3. In die Welt

91

ihre deutschen Amtsbrüder zur 1000-Jahrfeier der Christianisierung Polens im Jahr 1966 ein. Ihr Brief endete mit dem legendären Satz: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ Und in ihrem Appell an Offenheit

Klaus Kutzner und Werner Falk als Vertreter der Aktion Sühnezeichen

und langen Atem klingen die Erfahrungen

an einem internationalen Arbeitslager im Kaukasus teilnehmen.

an, die sie mit der kleinen Initiative aus Ostdeutschland gemacht haben: „Wenn echter guter Wille beiderseits besteht – und das ist

Das erste Gruppenprojekt im Ostblock beginnt im Herbst desselben Jahres: Bis Anfang 1966 werden fünf Sühnezeichen-Mannschaften in

wohl nicht zu bezweifeln –, dann muss ja ein

der erdbebengeschädigten jugoslawischen Stadt Skopje Aufbauarbeit

ernster Dialog gelingen und mit der Zeit gute

leisten.

Früchte bringen.“

Dass bei diesen frühen Ost-West-Kontakten nichts harmlos ist, zeigt der Brief von Franz von Hammerstein an eine Gemeinde in West-Berlin,

In einem Brief an das Staatssekretariat für

deren Kinder mögen 1966 zu Weihnachten Bastelarbeiten an die von

Kirchenfragen am 28. Juli 1964 berichtet Kreys-

Sühnezeichen errichtete Kindertagesstätte in Skopje schicken: „Soll-

sig von der „endgültigen Absage“ am Vortag.

ten bei Ihnen jedoch grundlegende Bedenken bestehen, z.B. aus dem

Dieser Brief schlüsselt auch auf, wie die DDRVerantwortlichen in einem klugen Schachzug der polnischen Seite die Rolle der Nein-Sager

Gesichtspunkt der Hallstein-Doktrin, werden wir im Leitungskreis versuchen, für die Folgezeit eine andere Lösung zu finden.“132

zugespielt haben: Für die Fahrt war zwar nur eine Ausreisegenehmigung der DDR, keine Einreisegenehmigung der Volksrepublik Polen nötig. Die DDR machte jedoch kurzfristig ihre

Auf diesem Minenfeld sind nur tastende Schritte möglich, und tatsächlich liest sich eine ausführlichere Geschichte der frühen Polen-Kon-

Zustimmung von einer schriftlichen Befürwor-

takte der Aktion Sühnezeichen wie eine Liste eher hilf- und wahlloser

tung durch den Minister für Kirchenwesen der

Versuche.

Volksrepublik Polen abhängig – einem Schriftstück, das beim (tatsächlich vorhandenen) besten Willen auf polnischer Seite nicht mehr

Quasi hinter vorgehaltener Hand berichtet Kreyssig im September 1959 Bischof Kunst von einem polnischen Professor, den er in Berlin

rechtzeitig beizubringen war. Rein formal ist

kennen gelernt habe. Mit diesem „Gewährsmann“, dessen Name nicht

also die verbreitete Deutung, das Njet sei von

genannt werden solle, sei er einig darin, dass „die endliche Anerken-

DDR-Seite gekommen, nicht zutreffend – in-

nung Polens durch die Bundesrepublik ein positiver politischer Anstoß

tentional allerdings sehr wohl. Vgl. Brief Kreyssig an Wilke, Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR, vom 28.7.1964, EZA 97/34.

erster Ordnung wäre“. Beide wissen, dass dieser Schritt nicht unmittelbar bevorsteht; als „Zwischenlösung“ hätten sie die Errichtung zweier „Institute für industriellen und wirtschaftlichen Austausch“ in Bonn

„Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs befanden sich die deutsch-polnischen Beziehungen – so kann man wohl sagen – in einem Zustand der Schwerelosigkeit. Anfangs gab es keinerlei Verbindungen. Aber außerdem – und das war schon etwas Besonderes – war überhaupt nicht auszudenken, wie sie sich gestalten könnten,

und Warschau erwogen sowie den Bau von „Familienheimen, in welchen in unaufdringlicher Weise der geistlichen Führung und Obhut Deutsche in Warschau, Polen in Bonn Unterkunft, Herberge, Betreuung finden könnten“133. Bei dem geheimnisvollen Professor kann es sich nur um Stanis aw Stomma handeln, den Vorsitzenden der katholischen, reformorientier-

welchen Sinn, nicht einmal welche geopoli-

ten Znak-Gruppe im polnischen Parlament, der ab den späten Fünfzi-

tische Basis sie haben sollten. Der Grund für

gern erste Reisen in die Bundesrepublik unternahm. Die großen Pläne,

diese vollständige Desorientierung war die Tatsache, dass die bisherige Basis der Beziehung, wie sie sich im Laufe von ca. 200 Jahren herausgebildet hatte, zerstört worden war. Die Genese dieser Basis war noch bedeutend älter. Diese Basis war Preußen. [....]


92

Weshalb schreibe ich über Preußen? Weshalb erinnere ich noch einmal an die Katastrophe dieses historischen Phänomens? Weil ich mög-

von denen Kreyssigs Brief zeugt, wurden nicht umgesetzt – Stomma

lichst nachdrücklich unterstreichen will, dass nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten

allerdings wird für das weitere Polen-Engagement der Aktion Sühne-

Weltkrieg ein Zustand des Vakuums in den

zeichen noch eine Rolle spielen.

deutsch-polnischen Beziehungen geherrscht

Die Kontakte zur evangelischen Kirche Polens, eigentlich dem natürlichen Verbündeten der protestantischen Organisation, gestalten sich

hat. Sie hatten jegliche historische Grundlage verloren. Es war unklar, worauf man fußen sollte ... Geblieben waren nur die schlechten

schwierig. Synode und Bischof bleiben den deutschen Brüdern gegen-

historischen Erfahrungen und eine Riesen-

über in der Reserve.

menge unterschwelliger, tragischer Traumata.

Auch Versuche, erste Schritte der Industrie in Richtung Osten zu

Wie nach einer Sinflut begannen die deutschpolnischen Beziehungen sehr langsam aus

nutzen, sind wenig erfolgreich. Von dem Lüneburger Juristen Alard

dem Hochwasser neuer historischer Ereignisse

von Schack erfährt Erich Müller-Gangloff, deutsche Wirtschaftskreise

aufzutauchen.“

planten, „in Polen in einigen Großstädten umsonst Wohnblocks oder

Stanis aw Stomma, zitiert nach: Wolfgang Pailer,

Gebäude für karitative Einrichtungen aufzustellen“, und zwar über die Vermittlung des Roten Kreuzes.134 An letzteres verweist auch der SPD-

Stanis aw Stomma. Nestor der deutsch-polnischen Aussöhnung, Bonn 1995, S. 51 f.

Bundestagsabgeordnete Karl Mommer die Aktion Sühnezeichen.135 Eine Zusammenarbeit kommt jedoch nicht zustande. Auch Lothar Kreyssigs Kontakt zu Berthold Beitz bleibt folgenlos. Im März schreibt

„Die Aktion kommt zu spät / 14 Jahre nach Kriegsende / und passt in die heutige politische Lage nicht mehr hinein. Wir leben doch in

er an den Krupp-Manager, der 1958 als erster westdeutscher Industriel-

einer Zeitperiode, wo in der Federal-Republik

ler eine offizielle Einladung nach Polen erhalten hat und seitdem nicht

die alten dämonischen Geister wach werden,

nur für sein Unternehmen, sondern für die gesamte westdeutsche

wo die Remilitarisierung in vollem Gange ist

Wirtschaft Wege zur Zusammenarbeit sondiert und damit politischen Kontakten weit vorgreift. Ihm gegenüber klagt Kreyssig über die „zu-

und der Geist des Revanchismus und Revisionismus auflebt. Vor diesem Geist sind sogar manche Kirchenleute und Theologen nicht

nehmende Versteifung“, die nach „aussichtsvollen Anfängen“ zu spü-

frei. Wie können wir unter diesen Umständen

ren sei. Der wenig ermutigende Befund hält ihn freilich nicht davon

Versöhnungs-Gaben annehmen? Man könnte

ab, Beitz um Fürsprache für ein gewagtes Projekt zu bitten: „Unser Ziel wäre, im einstigen Ghetto von Warschau ein Sühnezeichen zu bauen, das die polnische Regierung und Öffentlichkeit selbst als sachgemäß und annehmbar empfinden würde.“136 Kreyssig ahnt selbst, dass diese symbolhafte Tat zu hoch gegriffen ist. Die Vision will er dennoch nicht aus den Augen verlieren – sein Zugeständnis ist, dass er sie ans Ende eines Weges setzt, der wohl „bescheidener beginnen“ müsse. Doch selbst die bescheidensten Schritte sind mühsam. Eine Vertriebene reist im Herbst 1961 in ihre westpreußische Heimat und nimmt 1.500 DM von Sühnezeichen als Spende für zwei Kinderheime mit.137 Anfragen an einen Bielefelder Jugendpfarrer, der im Sommer 1962 mit

uns heute dadurch den besten Dienst erweisen, wenn man gegen die Hetze gegen Polen auftreten würde. Wir wünschen uns herzlich, dass sich zwischen unseren Völkern neue, friedliche und gutnachbarliche Beziehungen anknüpfen, aber wir fühlen, dass der Weg, den die Aktion ‚Sühnezeichen‘ eingeschlagen hat, nicht der richtige ist. Er würde nur die rauen Tatsachen verschleiern und das heutige Bild der inneren Haltung der maßgebenden Stellen in der Federalrepublik Polen gegenüber verwischen. Wir haben hier die Aktion ‚Sühnezeichen‘ gründlich durchdacht und besprochen und sind zu der Überzeugung gekommen, dass wir diesen Weg nicht gehen dürfen. Es ist einfach, nach unserem Empfinden, nicht der richtige Weg.“ Brief Andreas [sic] Wantula an Lothar Kreyssig vom 15.12.1959, in dem er diesem zu den Segenswünschen zu seiner Einführung als Bischof der evangelischen Kirche Polens und für eine Geldspende der EKU dankt (EZA 97/42).


KApitel 3. In die Welt

93

„In der evangelischen Kirche Polens gab es wunderbare Menschen, aber auch solche, die aus taktischen Gründen nachgiebiger waren und sich manchmal von den kommunistischen Behörden als Gegenspieler zur katholischen

einer Gruppe nach Polen reist, an die Brethren Church und die Quäker

Kirche ausnutzen ließen. Dieses war ein höchst

bleiben ohne konkrete Ansatzpunkte für Aktion Sühnezeichen in Po-

sensibles Thema innerhalb der polnischen

len. Das West-Berliner Büro verfolgt den offiziellen Weg: „Regelmäßi-

katholischen Kirche, und manches Mal wurde versucht, alles so vereinfacht darzustellen, als hätten die evangelischen Kirchen in Polen mit

ge Besuche in der Militärmission scheinen uns sehr wichtig, weil der persönliche Kontakt uns eher weiter bringt als lange Briefe“, notiert

der kommunistischen Regierung geradezu

Franz von Hammerstein.138 Außer einem guten Draht zum Kultur- und

zusammengearbeitet.“

Presseattaché Ernst Krucza zeitigt auch diese Besuchsdiplomatie keine

W adis aw Bartoszewski, Und reiß uns den Hass aus der Seele. Die schwierige Aussöhnung von Polen und Deutschen, Warschau 2005, S. 85.

Ergebnisse. Der Vorschlag etwa, sich am Schulbau-Programm der polnischen Regierung, das die 1000-Jahrfeier Polens im Jahr 1966 begleiten soll, mit einem eigenen Gebäude zu beteiligen, bleibt schlicht ganz

„In den folgenden Jahren übernahm ich gelegentlich die Betreuung der Gruppen von

ohne Echo.139

‚Aktion Sühnezeichen‘ in Warschau, weil ich

Der Durchbruch gelingt in der DDR. Im Jahr 1959 stößt der Leiter der

dort wohnte und zudem seit Frühjahr 1961

„Arbeitsstelle für pastorale Hilfsmittel“ des Bistums Magdeburg, der

offizieller Vertreter der Redaktion des Tygodnik

katholische Sozialpädagoge Günter Särchen, auf Lothar Kreyssigs Süh-

in der Hauptstadt war. Man sagte zu mir: ‚Die Gruppen kommen nach Warschau, du bist

nezeichen-Aufruf. Der Text ist für ihn eine Erleuchtung:

aus Warschau, folglich bist du dazu da, sie

„Nicht sichtbar ‚bau auf, bau auf ‘, das, was zertrümmert um uns liegt, weg

durch die Stadt zu führen. Zum einen warst

den Schutt, die Ziegel geputzt, nein im Vertrauen auf Gott Zeugnis geben

du in Auschwitz, zum anderen hast du Juden

durch eine vielleicht sogar für andere unverständliche Tat. [...] So kann es

geholfen und sprichst deutsch. Du sollst dich um diese Leute kümmern. Das wird besonders

werden! Nicht ‚Wir mit uns selbst‘ und unserer eigenen Kraft und Stärke,

gut für die jungen Leute sein: einem Mann zu

sondern ‚Wir mit Gott‘, so wird ein völlig anderes ‚Gott mit uns‘ daraus. [...]

begegnen, der die Nazigräuel persönlich erlebt

Warum weiß man bei uns so wenig von dieser ‚Aktion Sühnezeichen‘, die

hat und jetzt gerne bereit ist, mit ihnen auf

doch völlig religiös und kirchlich gebunden ist? (Schade, dass dieser Kreys-

einer menschlichen Ebene zu reden und Fragen zu beantworten.‘ Es waren junge Leute, teilweise Schüler oder schon Berufstätige, oft Krankenschwestern und Handwerker. Studenten kamen seltener, weil es für Katholiken in der DDR schwierig war zu studieren, da sie in der Regel nichts mit der Partei am Hut hatten. Ich

sig nicht katholisch ist. Aber würde er bei uns ankommen mit dieser Idee, obwohl sie gar keine neue ist? Wie mag er wohl bei seinen eigenen Leuten ankommen?)“140 Kreyssig und Särchen lernen sich kennen, und schnell bilden sie ein unschlagbares Team. Kreyssig liefert Idee und Gefolgschaft, Särchen –

war noch sehr unvorsichtig und verteilte einige

endlich! – entscheidende Kontakte nach Polen. Sechs Wochen hat er

Dutzend gedruckter Visitenkarten mit meiner

sich 1960 im Nachbarland aufgehalten, die dort geknüpften Kontakte

Adresse an die jungen Menschen, deren Namen

werden zum Adressbuch für Aktion Sühnezeichen. Günter Särchen hat

ich nicht kannte, weil sie ihrerseits keine Visitenkarten hatten – sie waren ja auch keine

das katholische Milieu bereist, das sich um die Znak-Gruppe im Sejm

Journalisten oder Diplomaten. Und so kam es,

und die Zeitschriften Tygodnik Powszechny und Wie˛ź in den „Klubs der

dass von 1961 an in unserem Haus in Warschau,

katholischen Intelligenz“ versammelt. Er hat den Breslauer Bischof Ko-

in dem wir bis heute wohnen, wildfremde Menschen auftauchten, die sich mit meiner Visitenkarte ausweisen konnten. Sie übernachteten bei uns, und wir veranstalteten Treffen. Dies dauerte so lange, bis ich einige Jahre später einen waghalsigen Plan durchführte und ein Gespräch mit der DPA-Korrespondentin Renate


94

Marsch und Gert Baumgarten, Korrespondent für die sozialdemokratische Presse in Deutschland, sowie einer Gruppe Jugendlicher aus der DDR in meiner Wohnung organisierte. Dieses

minek und seinen Krakauer Amtsbruder Wojty a getroffen, den bereits

Treffen wurde beobachtet und angezeigt.“

erwähnten Professor Stomma, die Publizisten Anna Morawska und Ta-

W adis­ aw Bartoszewski, Und reiß uns den Hass

deusz Mazowiecki.141

aus der Seele. Die schwierige Aussöhnung von Polen

Dieses Netzwerk – zu nennen sind auch Jerzy Turowicz, W adis­aw

und Deutschen, Warschau 2005, S. 65 f.

Bartoszewski und Mieczys aw Pszon – nutzen Särchen und Kreyssig, als sie für Sommer 1964 die Pilgerfahrt zu ehemaligen deutschen Kon-

Den Widerstand der DDR-Regierung be-

zentrationslagern in Polen zu planen beginnen. Die Reaktionen auf ihre

gründen die Herren Wilke und Weise vom

Bitte um Empfang und Begleitung ähneln denen im Westen: Die polnischen Partner laden die Deutschen herzlich ein, zu viel Demut der Gäste ist ihnen allerdings unangenehm. Das Angebot der Deutschen, in Zelten zu übernachten und um bescheidenen Unterhalt zu bitten, kontert der Warschauer Klub der katholischen Intelligenz großzügig: „Die vollständigen Aufenthaltskosten Ihrer Gruppe in unserem Lande werden von uns getragen.“142 Für die Anfragenden wiederum ist das fast zu viel des Entgegenkommens. Der „Sühnegedanke“ müsse ho­chgehalten werden, schreibt Särchen an Kreyssig: „Ich meine, wir dürfen uns durch den freundlichen, sachlichen Stil des War-

Staatssekretariat für Kirchenfragen in einem zweistündigen Gespräch mit Kreyssig und Särchen (vermutlich am 31.7.1964, Särchen schreibt vom „letzten Tag“ vor der geplanten ersten Pilgerfahrt) so: „Den Alleinvertretungsanspruch im Ausland haben einzig und allein die staatlichen Behörden inne. Unser Ersuchen, als kirchliche Gruppe im sozialistischen Ausland aufzutreten, wird als Anmaßung empfunden. Zweitens: Das Vorhaben der ASZ in Polen sei anachronistisch und habe in der DDR keinen Platz! Die Aussöhnung der Menschen, der Völker, habe bereits

schauer Briefes und die fast selbstverständliche Einladung nicht vom Weg

im politischen Widerstand stattgefunden,

abbringen lassen. [...] Wir müssen daran denken, dass Versöhnungsdienst

nicht zuletzt aber in den Zuchthäusern und

ebenso leicht in sachlichen Briefwechsel abgleiten kann, wie die Wundbehandlung eines Arztes sehr leicht nach erster Behandlung nach ‚Plan‘ ver-

Konzentrationslagern durch das Leiden und die Solidarität der eingekerkerten Kommunisten. Dort wäre auch der Platz für Christen gewesen,

läuft. Wir müssen den ‚Patienten‘ sehr genau kennen und wissen, welche

aber mit ganz wenigen Ausnahmen hätten

Behandlung er und seine Wunde braucht. Auch wenn er es nicht zu erken-

damals die Christen aller Konfessionen versagt.

nen gibt, auch wenn er nicht über Schmerzen klagt.“143 Angemessene „Wundbehandlung“, das bedeutet für Särchen – und er kann mit Kreyssigs Zustimmung rechnen – keine vorschnelle Verbrüderung durch eine schlichte Begegnungsreise, sondern die Betonung des Pilgercharakters der Fahrt. So antwortet er nach Warschau: „In herzlicher Dankbarkeit für Ihr gastfreundliches Angebot möchten wir doch einfach reisen, in mitgebrachten Zelten übernachten und uns bescheiden verpflegen, wenn auch so nahrhaft, wie es die Anstrengungen erfordern.“144 Die Absprachen für die Fahrten nach Oświe˛cim und Che mno sind perfekt, die Abfahrt scheitert, wie gesehen, am Widerstand der DDR-

[...] Auf keinen Fall hätten wir ein Recht, für ‚ganz Deutschland anzutreten‘. Das wurde mit harten Worten als unsere größte Unverschämtheit ausgewiesen. [...] Für theologische Deutungen hatten sie überhaupt keine Antenne. Er [Kreyssig] ließ nicht nach, den Heilswert der Versöhnung, den Zusammenhang von Schuld und Versöhnung als eigenständigen Auftrag der Christen zu benennen. Taube Ohren! Zynisches Lächeln auf der anderen Seite. Deutlich zur Schau gestellte Selbstsicherheit. Ich begriff sehr schnell, dass kein Verstehen möglich war. Auch Präses Kr. hat es natürlich schnell begriffen, fühlte sich aber in diesem Augenblick verpflichtet, immer wieder in neuen Ansätzen beiden ‚Herren‘ die historische Verquickung von ‚Sendung und Schuld‘ darzulegen in Verbindung mit dem versöhnenden Heilsauftrag, in den auch sie – ob sie nun gläubig wären oder nicht – eingebunden seien. Die Ideologie war eine


KApitel 3. In die Welt

95

unüberwindliche Barriere.“ Günter Särchen, Versöhnung – „Versöhnler“. Notizen unterwegs auf der Pilgerfahrt 1. August bis 15. August 1964, in: Mein Leben in dieser Zeit. Magdeburg 1958-1973, Band 2/2, „unkorrigiertes,

Regierung. Neben der bereits erwähnten Signalwirkung der bloßen

unvollständiges Manuskript“, Büro ASF, S. 48-51,

Bereitschaft der Deutschen haben die Planungen für 1964 aber einen

hier S. 49 f.

weiteren Effekt: Sie dienen als Vorlage für den zweiten Anlauf im Som-

„Auf einmal kamen wir auf die Idee, zwischen

auf die Gruppengenehmigung verzichtet wird: Die Pilger fahren ein-

den freigelegten Grundmauern von ‚Bunker I/

zeln über die Grenze und schließen sich erst in Polen zusammen. Eine

Weißes Haus‘ und der letzten Ruhestätte einer

Frauengruppe fährt mit dem Zug nach Majdanek, die Männer, unter ih-

mer 1965. Und diesmal klappt die Ausreise – nicht zuletzt deshalb, weil

unbekannten, großen Zahl von ermordeten Menschen auf der sumpfigen Wiese ein großes Birkenkreuz zu errichten. Daraufhin brachten

nen Günter Särchen, pilgern mit Fahrrädern nach Auschwitz. Auch der spätere Kreyssig-Biograph Konrad Weiß gehört dazu:

uns unsere polnischen Begleiter der Museums-

„Damit diese Fahrt nicht zum gewöhnlichen Fahrradausflug wurde, hatte

verwaltung zum Nachdenken: Das Kreuz

sich die Gruppe strenge Regeln gesetzt, die auch eingehalten wurden. Unter-

sei das Zeichen der Christen. Hier aber ist dieses Massengrab die Beerdigungsstätte von

wegs wurde jeden Tag drei Stunden geschwiegen – zum Sühnezeichen dafür,

Menschen jüdischen Glaubens. Zusammen mit

dass Deutsche Millionen Menschen aus anderen Völkern mit brutaler Ge-

Dr. Brandhuber, der uns am Abend im Quartier

walt zum Schweigen gebracht haben. An den Rastorten wurde um Wasser

besuchte, dachten wir über diese für uns plötz-

und Brot gebeten – zum Zeichen dafür, dass Deutsche den Polen jahrelang

lich neuen Zusammenhänge nach. Wir dürfen das Kreuz dennoch an diesem Ort belassen;

das tägliche Brot verweigert haben. Unterwegs wurde regelmäßig meditiert

diese Stelle des Lagers liegt weit entfernt von

und im Gebet der von den Deutschen getöteten Menschen, der Juden und Po-

der ‚Rampe‘ und dem Zentrum von Auschwitz

len, gedacht. Auch für die Täter wurde gebetet – das war ein besonderes An-

II-Birkenau und wird nur in Ausnahmen von

liegen Kreyssigs –, dass Gott ihnen, die noch lebten, Erkenntnis ihrer Schuld

Besuchern aufgesucht. Eines Jahres wird unser Kreuz von selbst vom sumpfigen Boden wieder

und die Bereitschaft zur Reue geben möge.“145

aufgenommen werden.“

Am jeweiligen Ziel angekommen, stellen die jungen Deutschen ihre

Günter Särchen, Späte Erkenntnis (August/Oktober

Arbeitskraft zur Instandhaltung der Gedenkstätten zur Verfügung. Als

1965), in: Mein Leben in dieser Zeit, a.a.O., S. 63-66,

große Ehre empfindet die Auschwitz-Gruppe die Aufgabe, die ihnen

hier S. 64.

der Leiter des dortigen staatlichen Museums, Kazimierz Smoleń, überträgt: Gerade sie sollen die Fundamente der ersten Gaskammer freile-

An Gespräche mit der Journalistin, Rahner-

gen. Sie finden Cyklon-B-verfärbte Mauerreste, Asche und Knochen,

Übersetzerin und Bonhoeffer-Biografin Anna

Gebisse, Kämme und Brillen – und werden immer stiller: „Alles ist für

Morawska (1922-1972) erinnert sich ein deutscher Freund: „In Andeutungen und rasend schnell begannen unsere Diskussionen [...] – wann immer sie vorbeikam aus Japan, aus den USA oder auch aus der ulica Friedleina 29, wo ich ihren ersten Tee bekommen hatte und ihre erste Schulung

uns unbegreiflich, aber bitter vorstellbar; schließlich sind wir es selbst, die Tag für Tag neue Beweise freilegen!“146 Heilsam sind Gespräche nach der Arbeit mit den polnischen Gastgebern – heilsam für beide Seiten. Anna Morawska hat den „guten Schock“, der von dieser „Gästegruppe aus Deutschland, die keiner an-

im Fragen und erstaunt war von den politi-

deren ähnlich war“, ausging, in einem zweiteiligen Essay für die katho-

schen Intimkenntnissen der bundesdeutschen

lische Wochenzeitung Tygodnik Powszechny ausführlich beschrieben:

Situation und betroffen zum Beispiel von ihrer Sorge über die Lage der Katholiken in der DDR. Ihre Antworten waren wie dankbare Anerkennungen der Fragen, ihre Fragen Ergebnisse von Recherchen – unorthodox und selbst Auskünfte eines Menschen, der nie fertig wurde und nicht fertig war, jung also, diszipliniert und


96

unersättlich im Theoretischen wie im Finden des Praktikablen. Ein analytischer Geist, der in Aphorismen denken konnte – ein rationaler Liebender, dem das Objekt seiner Suche wich-

„Nicht unsere jungen deutschen Gäste waren es, die Hand angelegt haben

tig und wertvoll war – ein Sprachdialektiker,

bei den Verbrechen, die auf polnischer Erde geschahen. Doch gerade sie,

der Disparates verwirrend sicher zu verbinden

die Generation des ‚unbeschriebenen Blattes‘, möchte nicht mehr mit einer Fiktion, mit Unausgesprochenem gegen das Leben leben, sondern das

wusste und scheinbar Zusammengehöriges ebenso übertölpelnd trennte, damit ein Neues, Notwendiges sichtbar wurde. Das konnte gele-

annehmen, was real ist, und darin eine Zukunft, Würde und Sinn suchen.

gentlich ärgern. Eine Prise Eigensinn schärfte

Diese Generation überzeugt sich durch eigene, persönliche Erfahrung, dass

die Unterhaltungen. Ungeduldiger Anspruch

es keinen schöpferischen Weg gibt, ohne die ganze Wahrheit in sich auf-

an die Langsamen mochte verletzen, wenn man

zunehmen, wie diese auch sein möge. Die, welche heute im Namen ihres Volkes versuchen, Verantwortung auf sich zu nehmen und mit einem

nicht die Sorgen für morgen hinter solcher Ungeduld wahrnahm. Ein Mensch, der keine Zeit hatte zum Gerede, aber viel Zeit fand, den

Sühnezeichen an den Orten des Verbrechens, in Auschwitz, Rogożnica, in

Partner zu verstehen, und unendlich geduldig

Buchenwald neu zu beginnen, sind wohl ganz einfach Realisten. Auf lange

war, einer menschlicheren, europäischen

Sicht gesehen, lässt sich nämlich keine Politik – außer einer wahnsinnigen – führen, die nur die eigenen Rechte und nicht auch die fremden sieht und diese nicht kennt.“147 Die Pilgerfahrten der kleinen deutschen Gruppen als Ausgangspunkt einer politisch tragfähigen, ja einzig sinnvollen Perspektive – diese

Zukunft zur Geburt zu verhelfen.“ Manfred Seidler: Anna Morawska. Einer großen Freundin europäischer Freunde zum Gedächtnis, in: Wie˛z´ 7-8 (Juli-August) 1973, zitiert nach: Polen und Deutsche. Ein Beitrag zur Geschichte des Dialogs, Wie˛z´ Sonderheft 1994, S. 90-92.

Einschätzung wird freilich weder in Polen noch in Deutschland auf breiter Front geteilt. Aus dem schlesischen Opole schreibt ein Priester

„Im September des Jahres 2000 ist die Stiftung

an Särchen:

‚Zentrum gegen Vertreibungen‘ gegründet wor-

„Ich erinnere mich an ein Gespräch im Kreise von Mitbrüdern über Ihre damals projektierte Sühnewallfahrt. Zu meinem sehr großen Erstaunen fand

den. Ziel der Stiftung ist die Errichtung eines Zentrums zur Dokumentation und Präsentation des Schicksals der deutschen Vertriebenen

ich nicht bloß Verständnislosigkeit, sondern direkte Ablehnung, etwa in

und das der anderen europäischen Völker im

dem Sinne: Wozu die vergangenen Erlebnisse hervorziehen, wozu auf Dinge

20. Jahrhundert. [...] Aktion Sühnezeichen

zurückgreifen, die besser der Vergangenheit anheim fallen sollten u. dgl. In solchen Gedankengängen sieht man nichts mehr Christliches.“148

Friedensdienste steht seit ihrer Gründung 1958 für Versöhnung und einen aktiven Dialog auch mit den Nachbarn im Osten. Voraussetzung

Und im katholischen Deutschland steht das Bistum Magdeburg in sei-

hierfür war und ist die Anerkennung des Lei-

ner unterstützenden Haltung weitgehend alleine da. Die DDR-weite

dens dieser Völker, das von Deutschen während

„Arbeitsgemeinschaft Jugendseelsorge“ nimmt die Beteiligung katholischer Jugendlicher an Aktionen von Sühnezeichen gerade einmal „zur

der Nazizeit und durch den Zweiten Weltkrieg verursacht wurde. Dazu gehört die Bereitschaft zum Zuhören, die nicht üblich war und, wie

Kenntnis“; zur Befürwortung der Auslandseinsätze oder gar zu einer

wir auch an dem aufkommenden Konflikt zum

Kooperation kann man sich nicht entschließen.149 Ein junger Priester

Zentrum gegen Vertreibungen sehen, auch

aus Görlitz und sein Theologie studierender Bruder aus Meißen werden

heute noch nicht ist. Mit dieser Bereitschaft bat ASF im Gründungsaufruf um die Erlaubnis,

schon 1964 von ihren zuständigen Kirchenbehörden von der Teilnah-

in diesen Ländern Gutes zu tun. Dabei hat ASF

me an der Pilgerfahrt abgehalten: „Wir können dessen [des Studen-

in den Ländern, die unter Deutschen gelitten haben, Partner und Partnerinnen gefunden, die sich auf einen Dialog mit Deutschen erneut eingelassen haben. Dafür sind wir sehr dankbar. Dieser Dialog ist bei weitem nicht an sein Ende gekommen, denn die historischen Verletzungen bleiben lebendig. Wir haben gelernt, dass die Bearbeitung der NS-Geschichte auf diesen


KApitel 3. In die Welt

97

Dialog angewiesen ist und ohne ihn zu einem Selbstgespräch verkommt. Uns beunruhigt in der augenblicklichen Situation, dass unsere Partner in Polen und Tschechien extrem irritiert sind von den Formen des Selbstgesprächs

ten; G.K.] Beteiligung an einer nicht ganz durchschaubaren Aktion

in Deutschland. Uns beunruhigt auch, dass die

nicht wünschen. Wenn wir auch das ehrliche Bemühen der Beteiligten

gegenwärtige Diskussion um Bombenkrieg und

gern anerkennen, so liegt es in der Art solcher Veranstaltungen, dass

Vertreibung auf ungeeignete Weise kollektiv eine deutsche Opferrolle suggeriert, die nicht ins Verhältnis mit vorangegangener Täterschaft gebracht wird.“ „ASF plädiert vor diesem Hintergrund dafür, die Idee eines Zentrums gegen Vertreibungen in dieser Form fallen zu lassen, dessen Symbolik

man ihre Tragweite nicht immer schon vorher zu übersehen vermag“, schreibt der Meißener Generalvikar an Sühnezeichen.150 Das ist diplomatisch formuliert – ist es doch gerade die sehr wohl abzusehende Tragweite des Unterfangens, die Sühnezeichen die schärfste Kritik einträgt. Es ist nun einmal leichter, das eigene Leid zu betonen

sich stark auf Konkurrenz zum Holocaust-

und auf eigenes Recht zu pochen, als auf den anderen zuzugehen und

Mahnmal beziehen ließe, und stattdessen die

im zuzuhören. „Versöhnung mit Polen“ steht nicht oben auf der Tages-

regionalen Akteure in ihrer Arbeit und euro-

ordnung einer Kirche, deren Mitglieder und Priester zu großen Teilen

päischen Vernetzung zu stärken. ASF plädiert dafür, in den Regionen Erinnerungsorte zu

Vertriebene aus den ehemaligen „deutschen Ostgebieten“ sind und die

gestalten, die den Dialog zwischen den betrof-

den Verlauf der DDR-seitig garantierten „Oder-Neiße-Friedensgrenze“

fenen Gruppen fördern, die historischen Kon-

als schmerzliche Teilung ihrer – kirchenrechtlich noch etliche Jahre

texte bedenken lernen sowie Raum für Trauer

in der Luft hängenden – Grenzbistümer empfindet. Günter Särchens

und Gedenken bieten und somit produktive Kraft entfalten für ein auf Dialog und Frieden

Angewohnheit handschriftlicher Privatnotizen über wichtige Begeg-

hinwirkendes Europa.“

nungen ist die schonungslose Überlieferung der Ansicht des Görlitzer

Aus: Dialog statt Selbstgespräch – zur Debatte um das

Bischofs Schaffran (eines gebürtigen Schlesiers) zu verdanken:

Zentrum gegen Vertreibungen (Erklärung von Aktion

„Vom ersten Augenblick an unerwartet katastrophale Gesprächsatmosphäre!

Sühnezeichen Friedensdienste vom Februar 2004), www.asf-ev.de/ueber_uns/positionen/ dialog_statt_selbstgespraech/

Bischof attackierte mich wegen meiner und Magdeburger Polen-Aktivitäten. Verletzende Äußerungen gegen Sühnezeichen (‚undeutsch‘. Haarsträubender Gipfel: ‚Polen sind Slawen, die sich vor uns verneigen. Wir aber verneigen uns vor ihnen!‘) Ich hätte keine Ahnung, wie die Polen sind! [...] Ohne Handschlag und ohne Segen verabschiedet.“151 Dass zum internationalen Ansatz der Sühnezeichen-Polen-Fahrten auch noch ein interkonfessioneller Anspruch tritt, macht die Sache nicht leichter vermittelbar. Dem Protestanten Kreyssig und dem Katholiken Särchen liegt an einer aus beiden Kirchen bestehenden Zusammensetzung der Gruppen, an gemeinsamen Gebeten – und an getrennten Morgengottesdiensten, um die Spaltung im Bewusstsein zu halten: „Es war eine echte Gemeinschaft, doch kein ‚konfessioneller Eintopf‘. Wir sind getrennt, das ist eine Tatsache, die man weder leugnen noch verwischen kann“, schreibt eine Teilnehmerin aus Görlitz nach der innerdeutschen Pilgerfahrt 1964.152


98

„Wir sagen nichts Neues, wenn wir die Ansicht aussprechen, dass zwar die Freiheit der in Berlin lebenden Menschen ein von der ganzen Welt

Als im Sommer 1965 die ersten beiden Sühnezeichen-Gruppen aus der

anerkanntes Recht ist, dass aber das nationale Anliegen der Wiedervereinigung in Freiheit

DDR nach Polen fahren, haben ihnen auf deutscher Seite die Kirchen

heute nicht durchgesetzt werden kann, und

kaum und noch weniger die Politik das Feld bereitet. Die Regierung

dass wir den Souveränitätsanspruch auf die

der DDR hat ihre Aufarbeitung des deutsch-polnischen Verhältnisses schon lange abgeschlossen. Die Bundesrepublik ihrerseits erkennt weder die Oder-Neiße-Grenze noch die Volksrepublik Polen an. Im Herbst 1965 allerdings werden die Kirchen beider Länder und beider Konfessionen für Bewegung sorgen. Die Evangelische Kirche in Deutschland regt in ihrer so genannten Ost-Denkschrift eine vorbehaltlose Diskussion über das deutsch-polnische Verhältnis, über Vertreibungen und Gebietsansprüche an. Die katholischen Bischöfe Polens sprechen in einem Brief an ihre deutschen Kollegen von Vergebung und Versöhnung. Beide Initiativen stoßen auf lauten Protest und erstaunte

Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze werden verloren geben müssen. [...] Die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze mag in den vergangenen Jahren außenpolitisch ein denkbares Handelsobjekt gewesen sein. Heute schließen wir uns der Meinung jener Sachverständigen an, die glauben, dass die öffentliche Anerkennung dieser Grenze [...] unsere Beziehungen zu Polen entscheidend entlasten, unseren westlichen Verbündeten das Eintreten für unsere übrigen Anliegen erleichtern und der Sowjetunion die Möglichkeiten nehmen würde, Deutschland und Polen gegeneinander auszuspielen“ (nach:

Zustimmung. Diese Reaktionen zeigen: Hier haben einmal die Kirchen

Kirchliches Jahrbuch für die EKD, Gütersloh 1962,

politisch die Nase vorn. Aktion Sühnezeichen wiederum kann für sich

S. 75 ff ).

in Anspruch nehmen, eine Art Spähtrupp dieser Vorreiter gewesen zu sein.

Genau diese Passagen des ausführlichen Tübinger Memorandums, mit dem sich prominente evangelische Persönlichkeiten – unter ihnen der rheinische Präses Beckmann, WDR-Intendant Klaus von Bismarck, Ludwig Raiser und

Die politischen Koordinaten

Gerade die lang ersehnten und hart erkämpften ersten Schritte zu den

Carl Friedrich von Weizsäcker – zu aktuellen politischen Fragen Anfang 1962 exponierten, erregten am stärksten die Öffentlichkeit. Nicht

östlichen Nachbarn waren Durchbruch und Verhärtung zugleich. Gera-

nur für die Vertriebenenverbände, auch für

de in der punktuellen Überwindung der Grenze zwischen den System-

die christlich-liberalen Regierungsparteien

blöcken sollte sich die Macht dieser Grenze zeigen. Denn die Öffnung

war die polnische Westgrenze ein Tabu. Die Kirchen hatten noch kaum das Verhältnis zu

nach Polen hin offenbarte und verfestigte die deutsch-deutsche Mau-

den östlichen Nachbarn als seelsorgerliche und

er zwischen den beiden Zweigen der Aktion Sühnezeichen: Nirgends

politische Herausforderung angenommen. Von

schieden sie sich so deutlich wie an der Arbeit in Polen, an der Auswahl von Orten und Partnern. Lothar Kreyssig war zunächst noch zuversichtlich, was sowohl die

katholischer Seite erinnert sich Bischof Josef Homeyer: „Ein erster Markstein war die Predigt des Bischofs von Berlin, Kardinal Julius Döpfner, am

deutsch-deutsche als auch die evangelisch-katholische Zusammen-

Fest der hl. Hedwig (16. Oktober 1960) in Berlin.

arbeit anging. In einem Brief an Volker von Törne im West-Berliner

Darin versicherte er den Katholiken in Polen,

Sühnezeichen-Büro kündigte er im Juni 1963 eine Erkundungsreise von Günter Särchen nach Polen an. Dieser werde versuchen, mit katholischen Freunden eine Pilgerfahrt nach Auschwitz vorzubereiten,

dass die Deutschen aufrichtig Frieden mit ihren Nachbarn wünschten. Der Kardinal gab in dieser Predigt inhaltliche Maßstäbe für die Wiederannäherung der beiden Völker. ‚Krieg als Mittel zur Neuordnung des Verhältnisses zwischen Polen und Deutschen scheidet von vornherein aus.‘ ‚Das deutsche Volk kann nach allem, was in seinem Namen geschehen ist, den Frieden nur unter sehr großen Opfern erlangen.‘ ‚Für die Zukunft ist die Gemeinschaft der Völker und Staaten wichtiger als Grenzfragen.‘


KApitel 3. In die Welt

99

Auch in Polen fand diese Predigt große Beachtung. Treibende Kraft in den Bemühungen um eine Wiederannäherung an Polen war in den frühen sechziger Jahren die deutsche Sektion der internationalen katholischen Friedensbewe-

werde aber gerne die Schulbau-Pläne von Aktion Sühnezeichen mit an-

gung Pax Christi, deren Präsident Kardinal

sprechen. Kreyssig pocht auf Pragmatismus: „Wir sind mit den katho-

Döpfner damals war. Alfons Erb verhalf 1964

lischen Freunden völlig einig, dass wir einander wechselseitig in jede

dem Gedanken einer Solidaritätsspende für KZ-Opfer und deren Hinterbliebene in Polen

Chance hineinhelfen wollen.“153

zum Durchbruch. Diese Initiative führte 1973

Die westdeutschen Verantwortlichen sehen das anders. Für ihre Ver-

zur Gründung des Maximilian-Kolbe-Werkes,

handlungen mit der Polnischen Militärmission in West-Berlin empfin-

dessen Wirken seither kaum überschätzt

den sie parallele Sondierungen im kirchlichen Bereich – und aus dem

werden kann. Ebenfalls 1964 unternahmen Mitglieder von Pax Christi eine Sühnewallfahrt

anderen Teil Deutschlands – nicht als Schützenhilfe. Der Leitungskreis

nach Auschwitz. Es kam immer häufiger zu Be-

lässt Kreyssig durch von Törne um Zurückhaltung bitten:

gegnungen und Kontakten zwischen Bischöfen

„Das schwierige Verhältnis zwischen der polnischen Regierung und der ka-

und auch zwischen Laien aus beiden Ländern.“

tholischen Kirche in Polen darf von deutscher Seite nicht in einer Weise be-

(Josef Homeyer, 25 Jahre nach der Versöhnungsbotschaft: Wirkliche Verständigung?, in: Friedbert

rührt werden, die zu möglicher Verstimmung auf regierungsamtlicher Seite

Pflüger, Winfried Lipscher [Hg.], Feinde werden

gegenüber Aktion Sühnezeichen führen könnte. Wir haben uns eindeutig

Freunde. Von den Schwierigkeiten der deutsch-

darauf festgelegt, dass unser Gesprächspartner, zumindest für den ersten

polnischen Nachbarschaft, Bonn 1993, S. 245-258;

Einsatz in Polen, die polnische Regierung sein wird.“154

hier S. 247 f ).

Dieser offizielle Weg bedeutet zugleich eine Absage an deutsch-deutsche Zusammenarbeit in östlichen Ländern. Lothar Kreyssig begehrt auf. An Törnes Leitungskollegen Klaus Wilm (den Sohn seines Freundes Ernst Wilm) schreibt er ein Jahr später: „Die heilende Kraft der Bewegung ermächtigt auch zur Einfalt, die immer ein Stück Unbefangenheit ist.“155 Strategische Rücksichtnahme ist allerdings auch ihm nicht fremd, denn im selben Brief räumt er die schwierige Lage zwischen den „deutschen Teilinteressen hüben und drüben“ ein. Insofern sei es auch sachgemäß, dass in einem einlasssuchenden Brief aus West-Berlin an den Chefredakteur der sowjetischen Zeitung Iswestija, den Chruschtschow-Schwiegersohn Alexej Adschubej, von einer Beteiligung aus der DDR nicht die Rede sei: „Wir dürfen den immer heiklen Anfang nicht komplizieren. Erreicht ihr mit den westdeutschen Teilnehmern endlich einen überzeugenden Anfang, so ist für uns, um nachzuziehen, eine entscheidende Ausgangsposition gewonnen.“ So haben die beiden Zweige der Aktion Sühnezeichen ihre Einflusssphären im Osten schnell abgesteckt. Wie nachhaltig die Abgrenzung wirkte, wird sich drei Jahrzehnte später zeigen – die „polnische Tei-


100

Mit einem Bericht über die Polen-Fahrt vom Sommer 1965 wird in einem Rundschreiben an die westdeutschen Freunde so lieblos umgegangen, dass Kreyssig protestiert: Der

lung“ wird zu einem der am heißesten diskutierten Punkte im Prozess

Text sei stark gekürzt, alles, was mit Särchen

der Vereinigung der beiden Organisationen nach 1989.

und den Kontakten zu polnischen Katholiken

Wie früh sie einsetzte, lassen die Spuren alsbaldiger Ignoranz gegenüber dem jeweils anderen „Sühnezeichen“ ahnen. Aus einem Bericht von Priester Hubertus Knobloch aus Stendal, der die Auschwitz-Pilger

zu tun habe, fehle. Günter Särchen notiert die Antwort: „Man kennt mich nicht und ließ deshalb meinen Namen weg, außerdem hätte man in West-Berlin nur das Faksimile [der Un-

1965 begleitet hat, geht hervor, dass die jungen DDR-Bürger zumindest

terschrift; G.K.] von Kreyssig!! Vorschlag: Ich

an einem Punkt die Ideologie ihrer Regierung durchaus zu überneh-

sollte einen kurzen Bericht schreiben über den

men bereit waren: „Nicht selten wurde die ‚Aktion Sühnezeichen‘ in Polen zur Basis recht her-

katholischen Anteil an ASZ/Ost. Man würde ihn dann in der nächsten Ausgabe bringen! Wir verzichteten beide mit Kreyssig darauf !!“

ber Kritik, um nicht zu sagen starker Angriffe seitens unserer Pilger gegen

(handschriftliche Notiz von Günter Särchen zum

Westdeutschland. [...] Wenn man‘s recht betrachte, so seien doch eigentlich

Rundschreiben West vom August 1965, BAM, Nach-

die einzigen richtigen und wahrhaft christlichen und vertrauenswürdigen

lass Särchen, Band III).

Deutschen eben die in der ‚Aktion Sühnezeichen‘ organisierten. Denn sie allein seien ja wirklich schuldbewusst. Mangelndes Schuldbewusstsein – oder was man dafür hielt – wurde jedenfalls immer wieder den anderen, vornehmlich den Westdeutschen angekreidet.“156 Die westdeutschen Brüder ihrerseits ignorieren weitgehend die Initia-

Aus dem Entwurf zu diesem Brief ist folgender Satz entfernt: „Wir wenden uns mit Entschiedenheit gegen alle Versuche, die erste Regung eines gegenseitigen guten Willens aus kleinmütiger politischer Angst oder aus kaltsinnigem

tive aus Magdeburg. Als Geschäftsführer Klaus Wilm Ende 1964 einen

Interesse zu stören, zu beargwöhnen oder

Überblick über die Arbeit der Aktion Sühnezeichen gibt, erwähnt er

politisch zu verdächtigen“ (vgl. EZA 97/937).

die Pilgerfahrt mit keinem Wort: „Die konkretesten Pläne der Aktion Sühnezeichen [in osteuropäischen Ländern; G.K.] bestehen zurzeit für Ungarn.“157 Dabei versteht sich Aktion Sühnezeichen, die ähnlich wie die Kirchen eine in beiden Teilen existierende Organisation gleichen Bekenntnisses ist, wie diese als Bindeglied zwischen den Deutschen in zwei Staaten. So war es auch ein deutschlandpolitisches Ereignis, das die Sühnezeichen-Gründer zweieinhalb Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer zur ersten öffentlichen Stellungnahme veranlasst. Rechtzeitig zu Weihnachten 1963 haben sich die politisch Verantwortlichen in Ost und West auf eine Regelung geeinigt, die West-Berlinern Besuche bei Verwandten im Ostteil der Stadt ermöglicht und damit Humanität über Statusfragen stellt. In einem Offenen Brief verbindet Aktion Sühnezeichen den Glückwunsch an die vier Stadtkommandanten und die deutschen Regierungen mit einer Aufforderung:


KApitel 3. In die Welt

101

„Wir bitten die verantwortlichen deutschen und ausländischen Stellen, unbeirrt von Prestigerücksichten auf dem begangenen Wege fortzuschreiten und unserem Volk durch Taten der konkreten Friedensstiftung dazu zu verhelfen, endlich mit den Schatten einer unseligen Vergangenheit fertig zu werden. Wir können uns kein besseres Versöhnungs- und Sühnezeichen im Sinne der von uns vor sechs Jahren begonnenen Aktion vorstellen.“158 Der Brief enthält zwei Leitmotive der Kreyssigschen Sicht auf die deutsche Teilung: Sie ist direkte Folge der historischen Schuld, und sie läuft Gefahr, zum Kristallisationspunkt der weltpolitischen Gegensätze zu werden. Es ist charakteristisch für Kreyssigs Optimismus, dass er beiden Befunden eine Chance abringt. So wird der Umgang der Deutschen mit der Teilung zum historischen Lernfeld; jeder kleine Schritt aus dem Blockdenken wird zum Akt politischer Emanzipation. In der Praxis hat diese Idee des deutsch-deutschen Dialogs als Ansatz zur Überwindung der weltpolitischen Lager selbst bei Sühnezeichen kaum funktioniert. Die Trennung des Gründers vom Alltagsgeschäft in der West-Berliner Jebensstraße und von den Auslandseinsätzen (nie hat er eines der Westprojekte besuchen können) ist ab August 1961 definitiv. Im Westen entwickelt sich eine Organisation ohne Lothar Kreyssig. Anfang 1962 werden den bislang Engagierten klare Positionen innerhalb des „Leitungskreises“159 zugeschrieben: Es gibt eine siebenköpfige „Legislative“ unter Vorsitz von Erich Müller-Gangloff, deren Teil und praktischen Arm die dreiköpfige „Exekutive“ bildet, namentlich Franz von Hammerstein, Gotthard Kutzner und Hans-Richard Nevermann. Der größte Teil der Arbeit geschieht nach wie vor ehrenamtlich – auch die beiden Hauptverantwortlichen Müller-Gangloff und Hammerstein verdienen ihr Brot anderweitig. Immerhin ist aber jetzt neben Bürokräften Hans-Richard Nevermann leitend angestellt; ihm folgen 1963 Volker von Törne und Klaus Wilm als hauptamtliche Geschäftsführung. Im Osten wird Lothar Kreyssig von einem „Leiterkreis“ aus Sommerlager-Verantwortlichen und einem kleinen Büro unterstützt, dem ab 1965 Christian Schmidt als Geschäftsführer vorsteht. Ebenfalls


102

„Alle äußerten sich getrost und zuversichtlich, auch im Blick auf die Zukunft. Besonders ein Wort einer Frau ist mir geblieben: ‚Wenn eine

in diesem Jahr wird der Leiterkreis vom Jahrestreffen gewählt160

Tür zugeht, öffnet Gott gleich wieder ein Türchen nebenan.‘ [...] Leider sind ihrem Süh-

und – nach Wunsch und Vorbild aus West-Berlin – in „Leitungskreis“

newillen enge Grenzen gesetzt zurzeit, doch

umbenannt.161

die Aktion versucht, das Möglichste zu tun.

Die Verbindungen zwischen Sühnezeichen Ost und West sind eher symbolisch. Gemeinsame Projekte gibt es nicht; anfangs werden Gruß-

So ist geplant, mit einer katholischen Gruppe zusammen eine bombengeschädigte Kirche wieder aufzubauen. [...] Zum Schluss möchte

botschaften – etwa von Taizé nach Magdeburg und umgekehrt – aus-

ich sagen, dass nicht wir Westdeutschen an

getauscht. Die Jahrestreffen finden zeitlich parallel statt, ein Besuch in

diesem Tag die ‚Gebenden‘ waren, wie wir uns

Ost-Berlin steht für die Westversammlung üblicherweise am Neujahrstag auf dem Programm. Gelegentlich wechseln Kreyssig und von Hammerstein ausführliche Briefe über den jeweiligen Lauf der Dinge. Aktionen und Allianzen werden von den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen bestimmt. In Ostdeutsch-

vielleicht vorgestellt hatten, nein, wir waren die ‚Nehmenden‘: Voll Hochachtung denke ich an die Glaubensbrüder und Schwestern in der DDR, die durch äußere Not und Bedrängnis stark im Glauben an Gott unsern Herrn ihren Weg gehen.“ Marianne Schmid, handschriftlicher Bericht über

land bleibt Sühnezeichen zunächst unter der direkten Patronage des

den Besuch der Westdeutschen beim Jahrestreffen

Gründers: Lothar Kreyssig habe bislang „die rechtlichen und finanziel-

Ost am 1.1.1962, EZA 97/924.

len Verpflichtungen der Aktion im Wesentlichen persönlich übernommen“, erklärt von Kirchenspitze zu Kirchenspitze der EKU-Vizepräsident Söhngen dem EKD-Ratsvorsitzenden Kurt Scharf Ende 1965.162 Jetzt wird eine engere kirchliche Anbindung erwogen: Zunächst ist ein Status als „Werk der EKU“ angedacht; schließlich wird das Diakonische Werk der Aktion Sühnezeichen ein Dach bieten. Der Westzweig der Organisation weitet seinen Radius Jahr um Jahr über den kirchlichen Bereich hin aus. Für die Teilnehmerwerbung werden schon früh Kontakte nicht nur zu Sozialpfarrämtern, sondern auch zu Gewerkschaften aufgenommen. Als erste Kommune unterstützt der West-Berliner Bezirk Schöneberg Sühnezeichen im März 1960 mit einer Spende. Ihm folgen bald der Berliner Senat und zahlreiche weitere Städte. Schon 1961 stammt die Hälfte der Spenden aus dem nichtkirchlichen Bereich. Kommunale Patenschaften für Auslandsprojekte werden ebenso Routine (so Köln 1961 für Taizé) wie die Verabschiedung der Mannschaften durch westdeutsche Bürgermeister. Den öffentlichkeitswirksamen Ausbruch aus dem kirchlichen Milieu markiert eine Präsentation der Aktion Sühnezeichen am 28. April 1961 in der Berliner Kongresshalle. Mit Plakaten an Litfaßsäulen, in U- und


KApitel 3. In die Welt

103

S-Bahnen wird ebenso geworben wie mit orangenen Einladungszetteln: „Ein deutsches Friedenskorps? Der Eichmann-Prozess mahnt! Wie lange noch unbewältigte Vergangenheit? Unsere Antwort durch die Tat: Aktion Sühnezeichen!“163 Zum Motto „Solidarität der Gewissenhaftigkeit“ sprechen neben Bischof Kurt Scharf und dem Theologieprofessor Heinrich Vogel der West-Berliner DGB-Chef Walter Sickert und die Jugendsenatorin Ella Kay. Ein Jahr später lädt Volksbildungssenator Joachim Tiburtius seine westdeutschen Kultusminister-Kollegen nach Berlin zu einer Tagung über „Die Bedeutung der Aktion Sühnezeichen für die politische Erziehung der Jugend“. In zahlreichen Bundesländern wird den Schulen die Erwähnung von Sühnezeichen im staatspolitischen Unterricht empfohlen.164 Binnen weniger Jahre wird Sühnezeichen so einer breiten Öffentlichkeit in der Bundesrepublik bekannt. Und mit der Prominenz wächst der Protest. Manchen kirchlichen Kreisen geht schon die Kooperation mit Senat und Gewerkschaften zu weit: Die evangelische Kreissynode Berlin-Charlottenburg protestiert gegen die Verbrüderung „mit Sozialdemokraten und Atheisten“165 in der Kongresshalle. Das ist freilich noch sanfter Tadel, verglichen mit den Zuschriften und Leserbriefen, die die Arbeit der Aktion Sühnezeichen ab 1962 polemisch kommentieren. Als „Landesverräter“ und „Nestbeschmutzer“166, als „Stiefel- oder Speichellecker“167 werden die Freiwilligen und die Verantwortlichen da bezeichnet, immer wieder wird auf die Leiden der Deutschen im Zweiten Weltkrieg verwiesen. Der hemdsärmlige Charme der Initiative, die Taten über viele Worte stellt, erweist sich als ihre Stärke und Schwäche zugleich. Denn unweigerlich wird das Zeichen gedeutet – und instrumentalisiert: böswillig verzerrend von den einen, wohlwollend überhöhend von den andern. Für die Verantwortlichen aber ist klar: Aktion Sühnezeichen soll die Deutschen nicht entlasten, weder als Projektionsfläche noch als Alibi. Man will die Landsleute in die Pflicht nehmen. Anfang 1965 erklärt daher Erich Müller-Gangloff die „Stunde des Bekennens, die Stunde der politischen Stellungnahme [...], die uns kein Ausweichen in Unverbindlichkeiten erlaubt“, für gekommen.168


104

„In den vergangenen Wochen brachte die deutsche und norwegische Presse Meldungen über ein von der ‚Kameradschaft der ehemaligen 163.

Anlass für eine eigene Standortbestimmung der Aktion Sühnezeichen

Infanterie-Division‘ am 9. April 1965, dem 25. Jahrestag der deutschen Besetzung Norwegens,

ist eine Ehrung. Im Januar 1965 wird die Organisation für ihren Einsatz

in Berlin geplantes Treffen.

für Demokratie, Zivilcourage und das Allgemeinwohl mit dem neu

Zu diesen Pressemeldungen erklären die Initia-

geschaffenen Theodor-Heuss-Preis ausgezeichnet. Die solchermaßen Geehrten ergreifen die Gelegenheit beim Schopf – und das Wort. Die

toren der geplanten Veranstaltung Folgendes: Wir stellen mit Bedauern fest, dass eine festliche Wiedersehensfeier ehemaliger

Friedensaktivisten formulieren Positionen zu politischen Entwicklun-

Wehrmachtsangehöriger zu diesem Termin

gen im eigenen Volk: „Denn neben der versöhnenden Tat in den Län-

die Gefühle des durch den deutschen Überfall

dern, die im vergangenen Kriege durch unser Volk großes Leid erfahren haben, ist es unsere Absicht, im eigenen Lande für einen versöhnlichen

gedemütigten norwegischen Volkes tief verletzen muss. Wir erklären hiermit, bei der Planung dieses

Geist und wahrhafte Demokratisierung zu wirken“, erklären sie einlei-

Treffens nicht bedacht zu haben, dass mit der

tend in ihrem Text.169 Sechs ausführliche Absätze sollen „bedrohliche

Wahl dieses Termins das norwegische Volk

Phänomene“ ins Gespräch bringen: die öffentliche Zurückhaltung beider deutschen Staaten gegenüber dem Staat Israel, ein geplantes deut-

brüskiert werden könnte. Wir haben den 9. April vielmehr deswegen gewählt, weil die Division an diesem Tage 1940 die meisten

sches Veteranentreffen just am Jahrestag des Überfalls auf Norwegen,

Toten zu beklagen hatte.

das „Fixiertsein auf das eigene Recht“ gegenüber Polen, die weltweite

Um alle Missverständnisse auszuräumen, ha-

Aufrüstung mit Massenvernichtungsmitteln, die „formal-juristische Verengung in der Diskussion über die Verjährungsfrist nationalsozialistischer Gewaltverbrechen“ und die deutsche Teilung. Der Brief ist zunächst ein Appell an die eigenen Leute; ihm wird allerdings ein offizieller Brief zur Seite gestellt: Von der Bundesregierung fordert der Leitungskreis West die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel und die Verlängerung der Verjährungsfrist für NSVerbrechen.170 Mit diesen Statements hat Aktion Sühnezeichen eine unsichtbare Grenze überschritten: Die Organisation vertraut nicht länger darauf,

ben wir das geplante Treffen abgesagt. Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass ein derartiges Treffen die Arbeit der Aktion Sühnezeichen, die sich seit 1959 in Norwegen darum bemüht, Zeichen eines Sinneswandels des deutschen Volkes sichtbar zu machen, gefährden könnte. Wir bitten das norwegische Volk, dem wir für die vielfältigen Beweise freundschaftlicher Gesinnung Dank schulden, um Nachsicht für eine Ungeschicklichkeit, der nicht die Absicht einer Verletzung zugrunde lag. gez. F.W. Obermann, H. Potente, H. Werner“

dass ihre Aktionen sich selbst erklären, sondern formuliert ihre Bot-

Erklärung der „Kameradschaft der ehemaligen 163.

schaft explizit. Die Reaktion folgt auf dem Fuße. „Wir halten es für un-

Infanterie-Division“, Berlin, vom 25. Februar 1965,

möglich, unseren Gemeindegliedern zuzumuten, durch eine kirchen-

EZA 97/583.

amtliche Kollekte eine Aktion zu unterstützen, die sich so eindeutig politisch festlegt“, schreibt eine Gemeinde in Westfalen im Juni 1965.171

In den Anfangsjahren legte Aktion Sühne-

Die Leitung der Landeskirche (ihr Präses ist Ernst Wilm) hat den Ge-

zeichen großen Wert darauf, ohne staatliche

meinden empfohlen, am Pfingstsonntag für die Arbeit der Aktion Sühnezeichen zu sammeln. Nun muss sie gleich mehrere solcher erregter Antworten verzeichnen.

Gelder auszukommen. Die „Wiedereingliederungsbeihilfen“, die die Organisation für zurückkehrende Freiwillige bezog, betrachtete sie als deren gutes Recht, nicht als staatlichen Zuschuss. Die Zuwendung sei eine freiwillige Leistung aus dem Kulturfonds des Auswärtigen Amtes, betonte demgegenüber die Bundesregierung – vgl. etwa ein Schreiben von Legationsrat Enders vom Auswärtigen Amt vom 23. April 1965, der klarstellt, dass ein Anspruch auf Wiedereingliederung nur für „Flüchtlinge,


KApitel 3. In die Welt

105

Vertriebene und Kriegsgefangene“ bestehe (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, 92/644). Ob Rechtsanspruch oder nicht – öffentliches Aufsehen erregte die Anfang 1965 durch Presse und eine kleine Anfrage im Bundestag bekannt

Der West-Berliner Leitungskreis versucht, den kritischen Westfa-

gewordene Einstellung dieser Zahlungen an

len den Schritt in die politische Publizistik zu vermitteln: „Es war die

Aktion Sühnezeichen bereits 1964 (rückwir-

Sorge, dass wir, wenn wir nicht wach unsere Arbeit dem jeweiligen

kend für 1963). Dass Bonn die Beihilfen sperrt, wurde als politische Disziplinierung betrachtet. Die genauen Hintergründe dieser Entschei-

Stand der öffentlichen Meinung unseres Volkes gegenüber deuten und kommentieren würden, zu einem sterilen Bautrupp herabsinken könn-

dung sind schwer zu rekonstruieren. Festzu-

ten.“172 Der neue Ton wird den alten Förderern als stimmiges Echo des

stellen ist aber, dass Aktion Sühnezeichen

lange Bekannten nahe gebracht: „Die Tatsache zum Beispiel, dass wir

1965 erstmals 50.000 DM aus Mitteln des Bundesjugendplans erhielt (vgl. Brief Dr. Ott,

wirklich und ernsthaft daran arbeiten, eine Gruppe junger Menschen

Bundesministerium für Familie und Jugend, an das

in Polen einen Versöhnungsdienst tun zu lassen, drückt doch wohl das-

Auswärtige Amt, 7.4.1965, PAAA 92/6444).

selbe aus wie eine Stellungnahme gegen atomare Aufrüstung in West und Ost.“ Dabei wissen die Unterzeichner der öffentlichen Statements selbst, dass ihr verbaler Vorstoß so harmlos nicht war. Sie haben soeben der Vision Lothar Kreyssigs, der Dienst der jungen Deutschen bewege sich „oberhalb und unterhalb der Politik“, in einer Art „Niemandsland zwischen den Völkern“173, eine Absage erteilt. Die Landkarte, auf der sich die Einsatzorte der Aktion Sühnezeichen finden, hat nicht nur geographische, sondern auch politische Koordinaten. Die bestimmenden Dimensionen heißen: Deutschland – Israel und Ost – West.


4. Umbrüche – Das Jahr 1968

Berlin-Weißensee 1968/69 : Das Stephanusstift war über lange Jahre Ort des Jahrestreffens. Die unteren Bilder zeigen die gut besetzten Bankreihen beim Jahrestreffen 1968; in der ersten Reihe sitzen Lothar Kreyssig, Günter Särchen und Erich Müller-Gangloff (v.l.n.r.). Die beiden anderen Bilder stammen vom Jahrestreffen 1969. Christian Schmidt erinnert sich 2008: „Das Gruppenbild ist bei der Verabschiedung von Kreyssig erfolgt. Es war das letzte Jahrestreffen unter seiner Leitung. Von daher gab es im Ablauf des Jahrestreffens eine Frage- und Antwortstunde. Deshalb sitzen wir alle im Halbkreis.“ Zu sehen sind u.a.: Friedrich Magirius (1), Gottfried Zollmann (2), Werner Liedtke (3), Lothar Kreyssig (4), Dietrich Erdmann (5), Stefan Schreiner (6, halb verdeckt) und Christian Schmidt (7), (Fotos: Frithjof Meussling, ASF-Bildarchiv).


4. UMBR CHE  das jahr 1968 1

2 6 7

3 4

5


Terezín 1968: In den Gräben und auf den Schanzen des ehemaligen Gestapo-Gefängnisses Kleine Festung Theresienstadt fällten wir Bäume und Büsche, deren Wurzeln die Fundamente der Mauern und damit die Gedenkstätte bedrohten. Es war eine schwere und gefährliche Arbeit. Das Frühstück nahmen wir in den Wachstuben auf dem Verwaltungshof ein, wo wir auch wohnten. Täglich wurden wir hier mit der Lebenssituation der Häftlinge konfrontiert, die vor den Wachstuben bei der Ankunft registriert, oftmals misshandelt und dann erst auf die einzelnen Höfe verteilt wurden. Abends saßen wir zusammen auf der Bank im Hof vor dem Tor, und Josef Svoboda berichtete von seiner Gefangenschaft in der Kleinen Festung und dem KZ Dachau. Es war Mitte August 1968. Wenige Tage später beendeten die Panzer der Warschauer-Pakt-Staaten den Prager Frühling (Fotos: Jürgen Winkel, Text: Jürgen Winkel 2008).


109

kapitel 4. Umbrüche – Das Jahr 1968

Zehn Jahre lang hatte man sich am sperrigen Namen gerieben, da fanden die Westdeutschen einen noch sperrigeren: Aktion Sühnezeichen in der Bundesrepublik gründete sich 1968 als Verein und nannte sich fortan Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste. „Wir haben den Namen erweitert, weil so auf den ersten Blick deutlich wird, was wir erreichen wollen“, erklärten der Vorsitzende Hans-Richard Nevermann und Geschäftsführer Franz von Hammerstein Freunden und Förderern. Und sie führten aus: „Nicht etwa nur Sühne als einen Selbstzweck, sondern natürlich durch bescheidenen, zeichenhaften Dienst die Überwindung von Schuld, Hass, Vorurteilen und anderen Quellen des Unfriedens, das heißt Friede, Schalom.“174 Der Akt spricht Bände. Er erzählt vom Bedürfnis der SühnezeichenAktiven, ihr Anliegen neu zu definieren und sich dafür der Sprache der Zeit zu bedienen. Er zeugt vom Gewicht des Wortes „Frieden“ in jener Sprache. Er belegt, wie schwer zugänglich und deshalb unzulänglich selbst den Insidern die Chiffre „Sühnezeichen“ war. Und schließlich ist dem neuen Namen die Spaltung der Organisation eingeschrieben – blieb es in der DDR doch bei „Aktion Sühnezeichen“. „ASZ“ und „ASF“ wurden die Kürzel der Unternehmensteile in Ost und West. Doch mit dem neuen Titel war kaum Klarheit gewonnen. 1968 ist die Zeit der offenen Identitäten – für beide Teile der Aktion Sühnezeichen. Unbefangen und streng wie die Studenten „draußen“ stellen die Jungen Strukturen, Anspruch und Relevanz des Unterfangens Sühnezeichen in Frage. Friedenskirchen, Friedensforschung und Friedenspolitik verlangen ebenso nach einer Profilierung der „Friedensdienste“ wie die Kriege in Vietnam und Nahost. Und spätestens das Ende des Prager Frühlings durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten stellt linke Bündnisse auf den Prüfstand.

Welcher Anspruch? – Sühnezeichen und die Revolution

„Vieles spricht dafür, dass uns der große Atem ausgegangen ist, von dem wir gelebt haben“, schrieb Erich Müller-Gangloff 1968 im Namen


110

„Im Laufe der Zeit wird in natürlicher Entwicklung der Gedanke an die Vergangenheit zurücktreten und infolgedessen auch der

des Leitungskreises und lud zur „Besinnung auf die Grundlagen und neue[n] Zielansprache“ in die Evangelische Akademie ein.175 Tatsächlich stagnierten jetzt erstmals Spendenhöhe und die Zahl der Bewerbungen von Freiwilligen. Die Aktion Sühnezeichen hatte ein Begrün-

Aktionsradius unserer Unternehmungen sich verändern: Unsere Arbeitsgruppen werden stärker in die außereuropäischen Länder gehen, in denen die Not am größten ist; sie werden nicht so sehr mehr ein Zeichen unserer Schulderkenntnis sein, sondern ein Zeichen für unseren

dungsproblem. Von vielen, auch aus den eigenen Reihen, wurde der

Wunsch, zur Linderung der übergroßen Not

Geschichtsbezug als rückwärts gewandt empfunden; dagegen forder-

etwas beizutragen; soweit von Schuld weiterhin

ten sie einen Blick nach vorne. Man würde wohl nicht noch einmal die-

die Rede sein muss, wird es sich mehr um die

sen Namen wählen, seufzte Helmut Gollwitzer – gehe die „natürliche Entwicklung“ doch dahin, dass nicht mehr die deutsche Schuld zum

Schuld der weißen Völker gegenüber den farbigen handeln; die außerdeutsche Beteiligung wird größer werden; deshalb wird an die Stelle

Engagement motiviere, sondern die Not in der Welt.176 Vergangenheit

des Wortes ‚Sühne‘ mehr und mehr das Wort

versus Zukunft – diese Alternative polarisierte die Überlegungen in

‚Versöhnung‘ und das Wort ‚Frieden‘ treten. In

Ost und West. So schrieb der Geschäftsführer der ostdeutschen Aktion Sühnezeichen, Christian Schmidt, im Jahr 1971 programmatisch an die sächsische Landeskirche: „Sühnezeichen hat in den zurückliegenden Jahren versucht, vor dem Hintergrund der Schuld der Hitlerjahre zeichenhaft politischen Versöhnungsdienst zu tun. Die Aktion hat diesen Versuch auch dort unternommen, wo das Maß an Schuld Versöhnung aussichtslos erscheinen ließ, wie in Israel, oder wo die gegenseitige Verletztheit so tief geht wie zwischen Deutschen und Polen. Das aber sind zeitlich begrenzte Aufgaben. Zunehmend versteht sich Aktion Sühnezeichen als Versöhnungsdienst, der an der Schaffung der Voraussetzungen für die Gestaltung einer friedlichen Zukunft mitarbeitet.“177 Schon beim Jahrestreffen 1967/68 hatten die Teilnehmer beschlossen, den Sommerlagern Themen aufzutragen, und für 1968 folgende Liste erarbeitet: „Vom Konflikt zum Krieg – Informationen über Vietnam“; „Die zerbrochene Gemeinschaft – Rassendiskriminierung, ein Weltproblem“; „Hunger – Gefahr für den Frieden. Überflussgesellschaft und die ‚Dritte Welt‘“; „Aussagen moderner Kunst – Literatur, Film, Theater“; „Von Weimar bis Hitler – der Weg der Deutschen von 1919 bis 1933, Von der Machtergreifung zum Nullpunkt, Der Abweg der Deutschen von 1933 bis 1945“; „Die Entwicklung der deutschen Teilung“; „Unser Nachbar Polen“; „Der Christ in der DDR“; „Juden und Christen“; „Konfessionen“.178

der Werbung für ‚Aktion Sühnezeichen‘ in unseren Gemeinden und in der Öffentlichkeit sollte das jetzt schon stärker berücksichtigt und diese künftige Entwicklung jetzt schon stärker vorbereitet werden.“ Brief Helmut Gollwitzer an Kurt Scharf vom 12.8.1966 (Abschrift für Sühnezeichen vom 18.8.), EZA 97/1559.


KApitel 4. Umbrüche 111

Das klingt nicht viel anders als im Westen, wo die Aktiven ihr Anliegen zukunftsfähig zu machen versuchten, indem sie dem „Sühnezeichen“ die „Friedensdienste“ zugesellten. Auf der Agenda standen hier wie dort die politischen Herausforderungen der Zeit: Vietnamkrieg, Nahostkonflikt, Ost-West-Spaltung und Nord-Süd-Gefälle verlangten Positionen. In West-Berlin formulierte ein „Politischer Arbeitskreis ehemaliger Teilnehmer der Aktion Sühnezeichen“ eine sechsseitige Stellungnahme zum Vietnamkrieg, die zu dem Schluss kam, dass weder die amerikanische Intervention noch die deutsche Unterstützung moralisch zu rechtfertigen seien.179 Aktion Sühnezeichen selbst rief im März 1968 mit den „West-Berliner Ausschüssen bzw. Landesgruppen der Christlichen Friedenskonferenz, des Christlichen Friedensdienstes, des Internationalen Versöhnungsbundes“ zu einer Kundgebung auf dem Wittenbergplatz „gegen den in Völkermord ausartenden Krieg in Vietnam“ auf.180 Einzelne Freiwillige der Aktion Sühnezeichen arbeiteten sogar in Vietnam, Kolumbien oder Indien – ihre Einsätze waren aber kaum in die Gesamtorganisation eingebunden und verschwanden schnell wieder aus der Praxis und dem Gedächtnis. Der „Friedensdienst im Sühnezeichen“, der auf der Mitgliederversammlung der ASF im Oktober 1970 vorgeschlagen wurde, blieb von vornherein Papier: Gruppen von fünf bis sechs Ehemaligen sollten mindestens ein halbes Jahr lang in Großbetrieben arbeiten, um Kontakt zu „Gastarbeitern“ zu bekommen.181 Es blieb bei freundlichen Kontakten zu anderen politischen Akteuren, bei nachbarschaftlichen sogar: Gemeinsam mit dem Weltfriedensdienst und der Aktionsgemeinschaft für die Hungernden wurde Anfang 1970 ein „Zentrum Dienst am Frieden“ mit Büros und Seminarräumen in der Berlin-Charlottenburger Jebensstraße geschaffen. Die revolutionären Energien, Themen und Posen der Studenten allerdings waren den Gründern der Aktion Sühnezeichen offensichtlich suspekt – jedenfalls grenzten sie sich klar von den Jüngeren ab. Im bewegten Jahr 1968 fragte Erich Müller-Gangloff: „Müssen wir nicht angesichts einer stürmisch vorwärts drängenden jungen Generation feststellen, dass


112

„Die Kirche ist von dieser Unruhe und Ungewissheit unter den Vertriebenen stark mitbetroffen. Auch in ihren Reihen wird lebhaft, oft mit Erbitterung, in Diskussionen

wir zur Nachhut zu werden drohen, es vielleicht schon geworden sind?“

und Erklärungen kirchlicher Gruppen über

Der Selbstkritik folgte schnell die Selbstversicherung. Müller-Gangloff

die theologischen und ethischen Fragen des

gestand der Jugend zwar „ethische Fundierung und [das] Recht zum

Vertreibungsproblems und die daraus zu zie-

Aufbegehren“ zu, er vermisste in diesem Aufbegehren aber Stringenz: „Das liegt nicht nur an der Praktizierung von Lustprinzip und Happe-

henden politischen Folgerungen gestritten. Sie hält es daher um ihrer Verantwortung willen, aber auch im Blick auf den ihr an ihrem Ort

ningstil, vielmehr dürfte es das entscheidende Handicap sein, dass

aufgetragenen Dienst für den Frieden zwischen

diese umsturzgesonnene Jugend – zumeist durch unser, der Älteren

den Völkern für ihre Pflicht, diesen Problemen

Verschulden – eine erinnerungslose Jugend ist.“182 Dem „Umsturz“ als

und den Wegen zu ihrer Lösung nachzugehen. Sie kann und will sich damit nicht an die Stelle

Lebensstil stellte der Sühnezeichen-Veteran die „Umkehr“ entgegen. Er

der zum politischen Handeln Berufenen setzen,

sprach sich für die Anerkennung der deutschen Teilung, der Oder-Nei-

aber sie kann hoffen, einen Beitrag zur Versach-

ße-Grenze und des Staates Israel aus – ein strikt geschichtlich fundiertes Programm. Andere wollten Aktion Sühnezeichen noch weiter aus der Tagespolitik heraushalten. Gerhard Möckel hat ihr 1965 die Rolle einer Wegbereiterin der Politik zugeschrieben: „Die Aktion Sühnezeichen ist der Überzeugung, dass wir unserer eigenen Gemeinschaft und damit zugleich auch der Nachbarschaft mit unseren ehemaligen Feindstaaten am besten dienen, indem wir ideologische Spannungen

lichung der Diskussion und zur Urteilsbildung zu leisten, einige der bestehenden Spannungen zu beseitigen und damit die Wege zum politischen Handeln zu ebnen.“ Kurt Scharf als Ratsvorsitzender der EKD, Vorwort zur Denkschrift Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn, 1. Oktober 1965, in: Karl-Alfred Odin, Die Denkschriften der EKD. Texte und Kommentar,

möglichst entschärfen, statt sie zu verschärfen, und die Atmosphäre im vor-

Neukirchen-Vluyn 1966, S. 64.

politischen Raum entgiften und so mit Vertrauen zu füllen versuchen, dass

„Die Theologie wird ähnlich wie das Völkerrecht

dann die Fachpolitiker ihre Aufgabe besser tun können. Wenn es stimmt,

nur einen Teilbetrag zur Lösung der anstehenden politischen Fragen leisten können.

[...] dass der Ort für die politische Verantwortung des Christen die Versöh-

Ihr politisches Mitreden betrifft weniger

nung Gottes mit der Welt in Jesus Christus ist, wenn es stimmt, das Jesus

die Oberschicht der konkreten politischen

Christus ein für allemal Sühne geleistet hat, so muss diese Sühne Christi und die daraus folgende Versöhnung auch gerade in diesem Raum bezeugt werden.“183 Das sind fremde Töne für die Angehörigen der nächsten Generation,

Entscheidung als vielmehr die Tiefenschicht der inneren Voraussetzungen, des realistischen Urteils und der wirklichen Bereitschaft zur Versöhnung.“ Aus dem Text der Denkschrift, ebd., S. 94 f.

die ja nicht nur an den Universitäten, sondern als Freiwillige und Ehrenamtliche auch mitten in der Organisation zu finden sind. Für sie ist Theologie, so sie überhaupt relevant ist, von operativer Politik nicht zu

„Hierzu ist zu fragen, wo und in welchen Lebensäußerungen der Aktion Sühnezei-

trennen.

chen haben die Verfasser des Konzepts

„Ein Christ ist (nach Bonhoeffer) nicht ein religiöser Mensch, sondern ein

dieses ‚selbst unter Theologen strittige

Mensch schlechthin. Wie kann man aber wirklich Mensch sein ohne poli-

Schuld-Sühne(Zeichen)-Versöhnungsprinzip‘ gefunden? Allerdings, über eines, wenn man

tisches Interesse, ohne politische Wachsamkeit? Es gehörte zu den erfreu-

es recht versteht, waren sich die Theologen von

lichsten Erfahrungen unseres Jahrestreffens: die wachsende politische Mün-

Gollwitzer bis hin zu Sartory stets einig: Sühne können wir weder durch gute Worte, noch durch gute Werke leisten, auch stellvertretend nicht. Es geht dabei auch nicht in erster Linie um die Schuld des Einzelnen. Aber, indem wir Zeichen aufrichten, dass Schuld noch nicht gesühnt ist und auch durch keine Ableistung irgendwelcher Werke allein gesühnt werden


KApitel 4. Umbrüche 113

kann (wie sollte wohl Auschwitz gesühnt werden!) weisen wir darauf hin – zeichenhaft und stellvertretend – dass Schuld gesühnt wird auf eine ganz andere Weise als durch Leistung: durch Sinnesänderung und Vergebung näm-

digkeit. [...] Es ist uns klarer geworden: Gerade das politische Gespräch, das

lich! Hierin hat der christliche Glaube Recht,

zur Entscheidung führt, ist ein entscheidend wichtiges Stück geistlichen

und das wissen auch diejenigen, die sich nicht

Lebens.“184

zu ihm bekennen. [...] Die Schuld, die faktisch in Millionen Morden

Geistlich gleich politisch, so lautete schon 1965/66 das Fazit des Jah-

und unermesslichen Zerstörungen mensch-

restreffens West. In den nächsten Jahren kippt dieses Verhältnis – zu

licher Kultur und Zivilisation zum Ausdruck

Ungunsten der Theologie. Im „Konzept für die zukünftige Arbeit“, das

kam und immer wieder kommt, ist die Folge

eine Gruppe junger ehemaliger Freiwilliger dem Verein 1970 vorlegt,

korrumpierten und pervertierten Existenzbewusstseins damals und heute. Darum lag den Gründern, die nun einmal Christen sind, so

wird die „Neuformulierung der Begründung für unsere Arbeit, vor allem die Loslösung von dem selbst unter Theologen strittigen ‚Schuld-

sehr daran, die Herrschaft des Sühneopfers

Sühne(zeichen)-Versöhnungsprinzip‘“185 verlangt und außerdem die

Christi bei Sühnezeichen zu verankern, weil

Abschaffung des bisherigen Namens. Die Frömmigkeit des Gründers

damit sichergestellt ist, dass diese Art Sühne Sinnesänderung, Vergebung und Versöhnung beinhaltet. Das Wort ‚Sühnezeichen‘ hat sich

ist bei den Jungen umstritten, und mit ihr die ordensähnliche Bindekraft der christlichen Motivation.

so als Denkregulatur bewährt. Wir brauchen

Auch in der DDR wird die feierliche Verpflichtung der Sühnezeichen-

deshalb nun nicht plötzlich wieder frommer zu

Gruppen auf die „Lebensordnung“, die den Sommerlagern (wie auch

werden, als wir sind. Die Kritiker des Namens sollten sich daran er-

den frühen Auslandseinsätzen im Westen) einen geistlichen und sozia-

innern, dass uns weitergeholfen werden könnte,

len Rahmen gegeben hatte, 1968 abgeschafft. Ein kultureller Bruch, wie

wenn wir das Wesentliche des auf Gerechtigkeit

Geschäftsführer Christian Schmidt mahnend feststellt:

drängenden und der tiefen Menschenkenntnis des christlichen Glaubens unter uns bewahren würden. Auch bricht niemandem ein Stein

„So gewiss es zum Kennzeichen der heutigen Jugend gehört, dass man sich zu nichts mehr verpflichten will, so gewiss geht es nicht ohne Ordnung

aus der Krone, wenn er zugibt, dass die Aktion

und Disziplin, wenn man in einer Gruppe zusammenlebt. Wer sich für ei-

Sühnezeichen von Christen gegründet wurde

nen Sühnezeichen-Lagerdienst entschieden hat, sollte einsehen, dass er ei-

und noch heute in der Mehrheit von ihnen

nen Teil seiner Freiheiten während der Zeit des Lagers nicht wahrnehmen

getragen wird.“ Hans-Richard Nevermann, Zur Diskussion auf der

kann.“186

Mitgliederversammlung am 11. April 1970, Papier

Doch die Jungen in der Aktion Sühnezeichen gebärden sich – im Osten

vom 10.4.1970, EZA 97/10.

wie im Westen – antiautoritär. Immer häufiger wird auf den jeweiligen Versammlungen von der Basis Mitsprache über Führung und Ausrich-

Am weitesten entwickelt die Basisorientierung

tung der Organisation verlangt. Die Blütezeit der „Bezirksgruppen“

das erwähnte Konzept einiger West-Mitglieder

(in der DDR) und „Regionalgruppen“ (in der Bundesrepublik), die ein

von 1970 (EZA 97/10). In ihrem „Rahmenplan

Gegengewicht zu „Berlin“ bilden wollen, ist gekommen. Die Hallenser

für die siebziger Jahre“ entwerfen sie das Bild

Sühnezeichen-Freunde etwa werden 1965 mit folgenden Worten zum

eines Vereins, dessen Schwerpunkt in der Inlandsarbeit liegt. 15.000 bis 20.000 Mitglieder

Kennenlernen eingeladen:

und Förderer sollen ein Netz von Büros mit ne-

„Jede neue geistige Bewegung steht in der Gefahr, nach der ersten Anfangsbe-

benamtlichen Regionalgeschäftsführern tragen.

geisterung bürokratisch und institutionell zu erstarren. Von dieser Gefahr

Die Aufgaben dieses Vereins können unter dem Stichwort „politische Aufklärung“ zusammengefasst werden: Bildung von Netzwerken, Lobby für Wehrdienstverweigerer, Arbeit an Schulen, in Friedensforschung und Publizistik.


114

„Sühnezeichen kann nicht Jahr um Jahr ins Ausland fahren, ohne das veränderte Deutschland zur Kenntnis zu nehmen. Abgesehen von der

ist auch Aktion Sühnezeichen nicht verschont. Darum haben wir [...] eine ‚Filiale‘ gegründet, die in ständiger Verbindung mit Berlin stehend, nebenberuflich (besser: neben-studentisch) von uns geleitet wird. Wir reisen im Bezirk Halle herum, erzählen von unserer Arbeit und versuchen, den Kontakt zwischen ‚Aktiven‘ und ‚Freunden‘ herzustellen und zu vertiefen.“187

mangelnden Glaubwürdigkeit bisheriger Arbeit muss sich ASZ [gemeint ist Sühnezeichen West; G.K.] personell und finanziell in Deutschland engagieren. Die Auslandsarbeit, ohnehin für manche eine bequeme Flucht aus individuellen Nöten, verliert den Bezug zur Wirklichkeit. ASZ trägt noch heute den Charakter der

In Halle und Leipzig, in Hamburg, Dortmund und Stuttgart halten Süh-

Gründerzeit: zeichenhafte Versöhnungsversu-

nezeichen-Freunde Kontakt, informieren im Rahmen des jeweils Mögli-

che mit den Nachbarvölkern in der Hoffnung,

chen die Öffentlichkeit, planen die Zusammenarbeit mit Gleichgesinn-

dass diese Taten auch Rückwirkungen auf unser Land haben mögen. Die Hoffnung ist zerron-

ten, diskutieren über Vietnam, den Hunger in der Welt – und vor allem

nen. Zwar haben Sie auch das Gefühl, es müsse

über das Selbstverständnis der Organisation. Die Regionalgruppe Ham-

im eigenen Land etwas getan werden. Diesem

burg hat sich im Sommer 1968 folgendes Programm vorgenommen:

Gefühl meinten Sie mit Regionalgruppen der

„Aktion Sühnezeichen – Bewältigung der Vergangenheit oder Bewältigung der Zukunft? Hat die Aktion Sühnezeichen politische Aufgaben oder ist

Ehemaligen zu begegnen. Sie blieben ohne wesentliche Resonanz. Auch wenn Sie sich Schwierigkeiten einhandeln, so sollten doch

sie ein unpolitischer Verein mit christlich-humanitären Zielen? Warum

die Prioritäten der Aktion verändert werden:

arbeitet Aktion Sühnezeichen im Ausland? Wollen wir im Ausland etwas

Wenn die Rotterdam-Verpflichtung beendet

verändern oder in Deutschland? Nie wieder Auschwitz! Bedeutet solch eine

ist, fangen Sie mit Objekten in Deutschland an. Beispiele: Arbeit an Gedenkstätten des Wider-

Zielsetzung Arbeit an Gedenkstätten? Wenn nicht, was sonst? Aktion Süh-

standes und an gemeinnützigen Unternehmen.

nezeichen – Außerparlamentarische Opposition? Bitte Kurznotizen dazu

Geraten Sie in Widerspruch zur etablierten

mitbringen!“188 Als Lothar Kreyssig 1958 die Aktion Sühnezeichen ins Leben rief, wollte er mindestens so sehr in Deutschland etwas bewegen wie im Aus-

Obrigkeit, so sollten Sie Stellung beziehen, dazu gehören auch Aktionen mit Gruppen der außerparlamentarischen Opposition. Die Auslandsarbeit läuft sekundär weiter, nach

land. Zehn Jahre später scheint zumindest in dieser Hinsicht seine In-

finanziellen Möglichkeiten.“

tention erst richtig durchzuschlagen. Jetzt erklären seine Nachfolger,

Brief von Jürgen Pieplow (Freiwilliger in Skopje

zur „Versöhnung nach außen“ müsse die „Wandlung im Innern“ hinzukommen.189 Beim Jahrestreffen (West) 1968/69 wird die „entscheidende Aufwertung“190 der Inlandsarbeit verlangt. NPD-Wahlerfolge, „Minderheitenfeindlichkeit“ und Autoritätsgläubigkeit werden als Symptome „latent faschistischer Strukturen“ in der Bundesrepublik

1964) an den „Leitungskreis der ASZ“ (namentlich Nevermann, von Hammerstein, Kutzner, von Törne), 27.4.1968, EZA 97/1103.

„Ich arbeitete zunächst in einer Gruppe mit festgefügtem Rahmen, in der es aufgrund ver-

Deutschland gesehen, die es zu bekämpfen gelte. Verlangt wird nicht

schiedener Erziehungskonzepte zu Konflikten

nur die Ehemaligen-Pflege – auch die Projektstruktur soll sich ändern.

mit anderen Erziehern kam. Daher begann ich

Ein Freiwilligendienst im Ausland soll einen mehrmonatigen Inlandsdienst umfassen, außerdem sollen eigenständige Kurzeinsätze angeboten werden. „Aufklärung“ könnte die Überschrift über diese Einsätze heißen, denn es geht um Arbeit „mit politisch-historischem Bezug“,

zusammen mit einem anderen Erzieher ein neues, eine Art Gegenatelier aufzubauen. Die anderen Ateliers, wie Atelier Holz, Mechanik, Keramik usw., sind letztlich patriarchalisch strukturiert: Die Kinder werden nach den Vorstellungen des Meisters beschäftigt. Die Eigeninitiative und die Kreativität werden kaum gefördert; Konflikte im Kind werden kaum sichtbar. Diese Erziehungskonzeption erreicht lediglich eine Verdrängung der Konflikte. Unser Atelier heißt ‚Druckerei‘. Wir arbeiten mit einer eigenen kleinen Druckmaschine, ei-


KApitel 4. Umbrüche 115

nem Vervielfältigungsapparat und dem System der Siebdruckerei. Wir begannen die Arbeit in einem leeren Atelier. Die Jungens fanden also nichts Bereitgestelltes vor. Es war ihnen selbst überlassen, das Atelier nach ihren eigenen

um „systematische Wissensvermittlung und Erarbeitung von ursäch-

Bedürfnissen einzurichten. So wurde es also

lichen Hintergründen des Faschismus“, um Öffentlichkeitsarbeit. Und

nicht das Atelier des Herrn ‚X‘, sondern – wie

so zielt der Rückstoß aus der Auslandsarbeit nicht nur auf das Inland

sie selber sagen – ‚ihr‘ Atelier. Die Zeitung, die sie drucken, wird von ihnen selbst entworfen, geschrieben und hergestellt.

ab, sondern auch auf das Bewusstsein des Einzelnen. „Wandlung im Innern“ heißt Innenpolitik und Innenschau.

Da es kein festes Arbeitsziel gibt, sondern nur

Bei Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste wird dieser Trend noch

die lockere Konvention ‚Druckerei‘, kann besser

dadurch gefördert, dass die Stunde der Abiturienten geschlagen hat.

auf die Probleme der Einzelnen eingegangen werden. Das Atelier ist nicht auf das bloße

Die Handwerkerteams der ersten Jahre werden von Einzelkämpfern ab-

Erlernen von Wissen gerichtet, sondern legt

gelöst, die in sozialen oder Bildungsprojekten an einer besseren Welt

mehr Wert auf Kreativität, Eigeninitiative und

bauen. Die bloße Praxis verdächtigen sie, den Status quo zu zementie-

bringt so erst die Ansätze zur Konfliktlösung

ren. „Es hat keinen Zweck, voll enthusiastischem Dilettantismus den

und zur Heilung.“ Wolf Halberstadt, Bericht aus Frankreich (Sommer

Symptomen der Misere ein Pflästerchen aufzukleben“, schreibt Elisa-

1970), in: Berliner Arbeitsgemeinschaft für

beth Krüger für die Regionalgruppe Berlin (West).191 Wirklich politisch

Evangelische Publizistik (Hg.), Evangelischer

wird die Arbeit demnach erst durch ein theoretisches Fundament. Die

Informationsdienst Berlin, Heft 8/Jg. IV/Oktober

Gruppe Osteuropa beim Jahrestreffen 1967/68 befindet über die Einsät-

1970: Versöhnung zwischen den Völkern. Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, S. 42 f.

ze in der Gedenkstätte Auschwitz:

Dazu bemerkt Volker von Törne in einem

„Unsere Arbeit hier darf nicht Arbeit im materiellen Sinne sein (unsere physi-

Bericht für die Mitglieder der Aktion Sühnezei-

sche Arbeit ist sowieso nur verwertbares Nebenprodukt), auch nicht Sühne-

chen/Friedensdienste vom 1.10.1971

leistung (weil vier Millionen Opfer nicht zu sühnen sind), sondern in erster

(S. 3; EZA 97/10): „Unsere französischen Partner begrüßen nicht

Linie Arbeit an uns selbst. Unser Aufenthalt in Auschwitz darf nicht stille

nur den Arbeitseifer, sondern auch die Auf-

Andacht für die Opfer des Faschismus bleiben, sondern ist Aufforderung an

geschlossenheit und das vielseitige Interesse

jeden Einzelnen von uns, die gesellschaftlichen Mechanismen, die sich seit

unserer Freiwilligen an ihnen bisher unbe-

Hitler kaum geändert haben, zu erkennen und zu bekämpfen. Diesen Kampf

kannten Problemen. Dabei kam es bisweilen aber auch zu lebhaften Diskussionen z.B. über Erziehungsmethoden, da unsere Freiwilligen unbeschwert durch die Verantwortung für das Erziehungsergebnis und für das Institut gern antiautoritäre Momente betonen. Soweit dies auf sachliche Diskussionen beschränkt

muss jeder von uns zuerst gegen sich selbst führen, gegen die Denkschemata, die von den staatlichen und kirchlichen Institutionen, Presse, auch Schule usw. geliefert werden.“192 Zur Aktion tritt die Reflexion. Am Horizont erscheint die Frage nach einer Pädagogik der Freiwilligenarbeit.

bleibt, zu denen sich die Leiter oder Erzieher der Institute meist bereit finden, ist dagegen nichts einzuwenden. Peinlich könnte es jedoch dann werden, wenn durch das Verhalten von Freiwilligen uns das alte Schlagwort entgegen-

Welcher Frieden? – Sühnezeichen und die AGDF

Ein Auslandsdienst verändert den Blick. Die Rückkehrer „können nach

gehalten werden sollte: ‚An deutschem Wesen

den drastischen Erfahrungen, die sie draußen gemacht haben, nicht

soll die Welt genesen.‘ Eine solche Haltung

begreifen, dass dieses Land noch immer im Zeichen des Kalten Krieges

würde am wenigsten zu Vertretern der Aktion Sühnezeichen passen.


116

“Von der kirchenamtlich-westdeutschen Position wichen die Kirchen in Ostdeutschland und in Westdeutschland christliche Friedensdienste ab. Unter dem Titel Zum Friedensdienst der Kirche

existiert.“193 Die Teilnehmer am West-Berliner Jahrestreffen 1966/67

veröffentlichte die Konferenz der Evangeli-

legen sich deshalb nicht nur mit Politikern an, sondern auch mit der

schen Kirchenleitungen in der DDR im Novem-

eigenen Kirche, die sich als Klammer zwischen den Systemen versteht und diese Rolle nicht durch direkte politische Parteinahme gefährden will. In einem Brief an den Evangelischen Kirchentag kritisieren sie die

ber 1965 eine „Handreichung zur Seelsorge an Wehrpflichtigen“, mit der sie aus dem Heidelberger Dilemma austrat – nicht nur, aber bereits damit, dass sie dem Friedensdienst mit

politische Zurückhaltung der EKD in ihrer Ost-Denkschrift von 1965

und ohne Waffe ein Drittes, die Totalverwei-

und verlangen vom kommenden Kirchentag, der in Hannover stattfin-

gerung, zur Seite stellte: „Es wird nicht gesagt

den soll, „einen entscheidenden Anstoß zur Schaffung konkreten Friedens“, will sagen: „Verzicht auf jede Beteiligung an atomarer Rüstung,

werden können, dass das Friedenszeugnis der Kirche in allen drei der heute in der DDR gefällten Entscheidungen junger Christen in

Anerkennung der durch den Krieg geschaffenen Grenzen, Respektie-

gleicher Deutlichkeit Gestalt angenommen hat.

rung der deutschen Teilung“.

Vielmehr geben die Verweigerer, die im Straf-

Prinzipiell ist der Friedensappell beim Kirchentag an der richtigen Adresse. Die deutschen Protestanten sind für Ende Juni 1967 unter dem

lager für ihren Gehorsam mit persönlichem Freiheitsverlust leidend bezahlen, und auch die Bausoldaten, welche die Last nicht abreißender

Titel „Der Frieden ist unter uns“ verabredet. Der Sechs-Tage-Krieg in

Gewissensfragen und Situationsentscheidun-

Nahost, der C-Waffen-Einsatz in Vietnam, der Bürgerkrieg in Biafra

gen übernehmen, ein deutlicheres Zeugnis des

und Studentenunruhen weltweit bilden das Panorama, vor dem die „Arbeitsgruppe Politik“ darüber diskutiert, wie der Frieden in der Welt zu sichern sei. Einigkeit wird nicht erzielt. Abschreckung oder praktizierte Gewaltlosigkeit? Die Vorträge und Diskussionen ergeben keine Präferenz. „Friedensdienst mit und ohne Waffen“ lautet das Fazit als Formel. Diese Formel ist nicht deswegen wichtig, weil sie neu wäre. An der Frage der atomaren Abschreckung hatte sich schon 1958 jene EKD-Synode die Zähne ausgebissen, die zum Gründungsort der Aktion Sühnezeichen werden sollte. Ein Jahr später beschrieb eine Kommission

gegenwärtigen Friedensgebots unseres Herrn. Aus ihrem Tun redet die Freiheit der Christen von den politischen Zwängen. Es bezeugt den wirklichen und wirksamen Friedensbund Gottes mitten unter uns“ (zitiert nach: Anke Silomon, Verantwortung für den Frieden, in: Claudia Lepp/ Kurt Nowak [Hg.], Evangelische Kirche im geteilten Deutschland [1945-1989/90], Göttingen 2001, S. 135-160, hier S. 148 f.). Ein klares „Frieden schaffen ohne Waffen“ wurde in Ost- wie Westdeutschland Anfang der achtziger Jahre laut: Das von ASF und AGDF veranstaltete Festival der Friedensdienste zu

der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg das kirchliche

Pfingsten 1980 stand ebenso unter diesem

Dilemma freundlich als „Komplementarität“ der Entscheidungen: „Die

Motto wie die Friedenswochen, die – organisa-

Kirche muss den Waffenverzicht als eine christliche Handlungsweise anerkennen. – Die Kirche muss die Beteiligung an dem Versuch, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden in Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise anerkennen.“194 Die hier implizierte Gleichrangigkeit von Wehr- und Zivildienst sollte auf lange Sicht – zumindest von kirchenamtlich-westdeutscher Seite – die Grundaussage bleiben.

torisch unabhängig voneinander – im Herbst 1980 in DDR wie BRD stattfanden.


KApitel 4. Umbrüche 117

Inhaltlich neu ist die Hannoversche Formel vom „Friedensdienst mit und ohne Waffen“ also nicht, in ihrer Griffigkeit aber bietet sie den Ansatzpunkt für Kritik. Warum eigentlich, so fragt der Soziologe und Vorsitzende des Vereins „Versöhnungsdienste“, Wolfgang von Eichborn, wurde die Wendung nicht mit einem Fragezeichen versehen?195 Und er liefert den Widerhaken persönlich nach: „Ein Dienst, der in zeitlicher und räumlicher Begrenztheit vielleicht dem Krieg wehren, den Frieden aber nicht fördern kann, ist kein Friedensdienst“, postuliert er 1968. Zwar gesteht auch er dem Wehrdienst zu, noch nicht verzichtbar zu sein. Doch ganz im Sinne der Sühnezeichen-Adresse, die schon mit ihrem Titel erklärt hatte, der Frieden müsse gestiftet – lies: er dürfe nicht nur bewahrt – werden, skizziert Eichborn jetzt erste Umrisse eines offensiven Friedensdienstes: „Jeder Dienst ist ein Friedensdienst, der zur Umstimmung solcher [ friedenshemmenden; G.K.] menschlichen Verhaltensweisen beiträgt, sowohl bei denen, an denen er geleistet wird, wie bei denen, die ihn leisten. Jeder Dienst ist ein Friedensdienst, der auf zunehmende Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit in der menschlichen Gesellschaft [...] gerichtet ist. Wir nennen den Dienst, der auf den Umgang der Menschen und der Völker miteinander gerichtet ist, Versöhnungsdienst und sollten den auf fortschreitende Gerechtigkeit gerichteten Dienst vielleicht Sozialdienst, Weltsozialdienst nennen.“ Motivation und Legitimation eines solchen Friedensdienstes können nicht einfach aus dem Nein zum Wehrdienst abgeleitet werden. Freiwilliger Friedensdienst ist mehr als ein Ersatz für den „Kriegsdienst“. Im Grunde, so Eichborn, habe der Friedensdienst mit dem Wehrdienst gar nicht viel zu tun: „Wer Friedensdienst leisten will, braucht deswegen den Wehrdienst keineswegs zu verweigern, und wer durch die Ableistung des Wehrdienstes in seinem Gewissen nicht beeinträchtigt wird, kann deswegen sehr wohl auch einen Friedensdienst leisten. Die Frage ist nur, ob es ihm zeitlich zugemutet werden kann.“ Eine pragmatische Frage eigentlich, doch eine befriedigende Antwort sollte die ersten Anbieter von Friedensdiensten in Deutschland viel


118

Am 16.1.1961 schreibt der Vorsitzende der „Zen­tralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“,

Energie kosten. Bevor sie die moralische und politische Vorrangigkeit

Heinz Kloppenburg, an Kreyssig: „Das Arbeitsministerium will zunächst alle

des Friedensdienstes gegenüber dem Wehrdienst stark machen konn-

Ersatzdienstpflichtigen in die Krankenhäuser

ten, musste zuallererst die gesetzliche Gleichrangigkeit gesichert sein:

senden. Wir bemühen uns nun von der Zent-

Wer einen freiwilligen Friedensdienst leistete, sollte nicht auch noch zum Militärdienst herangezogen werden.

ralstelle sehr darum, wenigstens einen kleinen Kreis für den Aufbau eines echten Friedensdienstes freigesetzt zu bekommen. In dieser

Von Aktion Sühnezeichen liegt deshalb schon aus dem Jahr 1959 ein

Situation würde es außerordentlich hilfreich

Antrag auf Anerkennung als „private Trägerorganisation für den zivi-

sein, wenn eine so gut eingeführte Aktion wie

len Ersatzdienst“ an das Bundesministerium für Arbeit und Sozialwirtschaft (seinerzeit zuständig für Kriegsdienstverweigerer) vor – ohne Erfolg.196 Ein gutes Jahr später, die Verweigerung ist inzwischen durch ein eigenes Gesetz geregelt, lässt sich Sühnezeichen von der „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“ bereitwillig als Modellprojekt für einen „anderen“ Ersatzdienst anführen und beantragt ersatzdienstpflichtige Freiwillige für den Schulbau in St. Cyr bei Lyon. Auch diese Offensive bringt nur eine Vertröstung auf Wiedervorlage. Die nächste Initiative ergreift der alte Sühnezeichen-Freund und rheinische Präses Joachim Beckmann, inzwischen von der EKD mit dem Thema Kriegsdienstverweigerung betraut. 1964 befasst sich ein Bundestagsausschuss mit seiner Anregung, der Ersatzdienst solle „attraktiver“ gestaltet werden, etwa durch die Erlaubnis, ihn im Ausland abzuleisten. Doch auch im Kielwasser dieser Initiative dringt der Antrag von Sühnezeichen auf Anerkennung als Trägerorganisation für den Ersatzdienst nicht durch. Noch über zwanzig Jahre wird es dauern, bis die „Anderen Dienste im Ausland“ im Zivildienstgesetz verankert werden. Ab Mitte 1986 werden sich die Wehrpflichtigen unter den Freiwilligen auf „Paragraph 14b“ berufen können. In der Zwischenzeit behilft sich Aktion Sühnezeichen mit einer Art Kulanz-Regelung, die 1969 mit dem Arbeitsministerium getroffen wird: „Waren anerkannte Kriegsdienstverweigerer an einem solchen Einsatz mindestens 18 Monate beteiligt, so werden sie nicht mehr zum zivilen Ersatzdienst herangezogen. Diesen anerkannten Kriegsdienstverweigerern kann jedoch keine förmliche Bestätigung über ihre Nichtheranziehung zum Ersatzdienst gegeben werden.“197

Aktion Sühnezeichen frisch und fröhlich beim Arbeitsministerium den Antrag stellen würde, zehn Ersatzdienstpflichtige für den Dienst in Frankreich nach vorhergehender Schulung in Deutschland freizugeben“ (EZA 97/263).


KApitel 4. Umbrüche 119

„Welche Perspektiven bestimmen das Handeln der AGDF? ‚Friede‘ ist ein zentraler Inhalt der biblischen Überlieferung und ein unverzichtbarer Auftrag für alle, die sich ihrem Anspruch verpflichtet

Ein politisch gewollter ziviler Friedensdienst sähe anders aus. Wie, das

wissen. Dabei meint Friede – Schalom – in

müssen aber auch die einschlägigen Organisationen erst sondieren.

einem umfassenden Sinn das Heilsein des

Zum Beispiel bei ihrem Treffen anderthalb Wochen nach dem Ende des

Menschen, der menschlichen Gemeinschaft und der ganzen Schöpfung. Im ‚Konziliaren

Hannoverschen Kirchentags in Frankfurt am Main. „Aus dem Nebenei-

Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewah-

nander vieler Einzelkräfte muss ein gemeinsames Handeln werden“, er-

rung der Schöpfung‘ haben sich Kirchen und

klären Vertreter der „Deutschen Arbeitsgemeinschaft Christlicher Auf-

Bewegungen in aller Welt diesen Auftrag zu

baulager“, der „Ökumenischen Jugenddienste“, des „Ökumenischen

eigen gemacht. Die AGDF und ihre Mitglieder stellen sich bewusst in diese Perspektive. Sie

Arbeitskreises“, der „Versöhnungsdienste“, von Sühnezeichen, Service

bauen mit an einer künftigen Welt, in der sozi-

Civil International und Eirene.198 Eine „Friedensarmee“ soll gebildet

ale Gerechtigkeit gelebt wird, in der Konflikte

werden, und ihr sind hohe Ziele gesetzt:

gewaltfrei ausgetragen werden und in der alle Geschöpfe ihren unversehrten Lebensraum haben. Für einige Mitgliedsorganisationen in

„Wir sind in eine ‚Phase des internationalen Klassenkampfes‘ eingetreten. Der Nord-Süd-Konflikt wird gegenüber dem Ost-West-Konflikt immer entschei-

der AGDF, die sich in ihrem Handeln an einem

dender, jedoch vielfach durch die Spannung zwischen Ost und West noch ver-

solchen Friedensverständnis ausrichten, bildet

kompliziert oder verschärft. Es geht darum, die Spannung zwischen Ost und

primär die säkulare Tradition der Menschen-

West sowie die Spannung zwischen Nord und Süd aufzuheben und die Solida-

rechte sowie in jüngster Zeit die Agenda 21 den Rahmen, in dem sie ihren Einsatz für den

rität miteinander durch eine gemeinsame Verantwortung auszudrücken.“

Frieden verankert finden. Die AGDF sieht in der

Die große Vision beginnt mit kleinen Schritten. Verabredet werden

Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Überlegungen zu einer „Führungsakademie für den Friedensdienst“,

und deren Ausfaltung in den Menschenrechts-

Regionaltreffen und ein gemeinsames Mitteilungsblatt.

konventionen und -normen der Vereinten Nationen keinen Gegensatz zu ihren eigenen Wur-

Aus der lockeren Vernetzung wird bald ein Büro. Im Dezember 1968

zeln, sondern die Herausforderung zu einem

gründen Aktion Sühnezeichen, Brethren Service Commission, Christ-

interkulturellen und interreligiösen Ansatz

licher Friedensdienst, Eirene, Weltfriedensdienst, der Ökumenische

und Engagement. Frieden und Menschenrechte

Bruderdienst und das Internationale Freundschaftsheim Bückeburg

sind für sie untrennbar verbunden. Die in der AGDF engagierten Menschen finden

die „Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden“, AGDF. Mit Sitz zu-

sich nicht ab mit dem Widerstreit zwischen der

nächst in Bückeburg, bald in Bonn, vertritt diese Koordinationsstelle

Erwartung einer Welt, in der Friede herrscht,

eine Auffassung von Frieden, die über die Verhinderung von Krieg weit

und der täglichen Erfahrung von Unfrieden,

hinausgeht: Die Friedensdienste wollen sich für Gerechtigkeit, Versöh-

Gewalt und Ungerechtigkeit. Reale Schritte zum Frieden sind möglich und können gelin-

nung und Gewaltlosigkeit einsetzen. Die neue Friedensethik, die sich

gen. Versöhnung geschieht, Konflikte zwischen

der Auseinandersetzung mit der Geschichte ebenso verpflichtet weiß

Gruppen und Völkern werden überwunden,

wie globaler ökumenischer Verantwortung, bekommt mit der AGDF

gerechtere Lebensbedingungen geschaffen,

eine Lobbyagentur gegenüber Kirche und Staat.

Umwelt und Natur finden Beistand. So wird eine Kultur des Friedens erfahrbar für Kopf,

Der Kampf um Anerkennung und Förderung der Dienste ist freilich

Herz und Hand. Vor Resignation und Zynismus

eine Gratwanderung – geht es doch gleichzeitig darum, den Friedens-

angesichts von Misserfolgen und Rückschlä-

diensten Freiwilligkeit und Unabhängigkeit als Grundvoraussetzungen

gen schützt Christinnen und Christen der Zuspruch, dass Frieden im letzten Sinn die Tat Gottes ist.“ Aus dem Leitbild der AGDF, verabschiedet von der Mitgliederversammlung in Kassel am 13.4.2002, Archiv AGDF.


120

ihrer politischen Wirksamkeit zu erhalten. Die institutionelle Einbindung der neuen Friedensdienste skizziert Wolfgang von Eichborn folgendermaßen: „Die Freiwilligen [...] sind keine Weltbürger, sondern Bürger ihrer Staaten. Sie schulden ihnen Loyalität. Mit seiner Forderung politischer Unabhängigkeit kann und will der Friedensdienst diese Realitäten nicht überspringen. Eine zukünftige Weltfriedensordnung wird sich aus Völkern, Staaten und Nationen konstituieren. Der Übergang zur Weltinnenpolitik geschieht jedoch gerade durch die schrittweise Übertragung von Souveränitätsrechten. Als ein solcher Schritt sollte die grundsätzliche Anerkennung der politischen Unabhängigkeit des Friedensdienstes verstanden werden. Sie könnte die staatliche Friedenspolitik glaubwürdig machen. Nicht anders wäre für die Kirche die intensive Förderung ökumenischer, in ihrer Arbeit von kirchlichen Institutionen unabhängiger Friedensdienste ein deutliches Stück Erfüllung ihres an die ganze Welt gerichteten Friedensauftrags.“199 Die Vision von politisch gewollten und gut ausgestatteten, dabei aber autonomen Friedensdiensten entstammt dem Buch Freiwillige für den Frieden, mit dem Wolfgang von Eichborn, erster Vorsitzender der AGDF, 1970 deren Selbstverständnis umriss. Das Buch markiert den endgültigen Abschied von der Konsensformel vom „Friedensdienst mit und ohne Waffen“. Zu groß sind die Differenzen zwischen militärischem und zivilem Friedensdienst, als dass sie als zwei Wege zu einem Ziel beschrieben werden könnten. Es geht vielmehr um grundlegend verschiedene Visionen: Ordnungsfrieden hier, Wandlungsfrieden dort oder: die Aufrechterhaltung stabiler Verhältnisse gegen radikalen sozialen Wandel oder, ganz kurz – und in der Sprache der Achtundsechziger: Status quo gegen Revolution.200 Der Aktion Sühnezeichen bescheinigt Eichborn, der „erste konsequent durchgeführte Versuch eines politischen Versöhnungsdienstes“201 zu sein. Die Radikalität im Ansatz dieser Organisation – die Freiwilligen wollen die Welt verändern und nicht nur eine labile Waffenruhe schützen – schreibt Eichborn zum einen der Herkunft der


KApitel 4. Umbrüche 121

„Wir sind der Überzeugung, dass gerade dieser Zweig unserer Arbeit als Friedensdienst ausbaufähig ist. Mit Hilfe von Kirchen und anderen Institutionen könnte genügend sinnvolle Arbeit über Grenzen von Hass, Vorurteil und

Gründer aus dem Widerstand gegen das „Dritte Reich“ zu, zum andern

Unverständnis hinweg für Freiwillige gefunden

der Offenheit ihres Selbstbildes.

werden, die einen Beitrag zu Versöhnung und Friede in der Welt leisten wollen. Sicher gibt es auch noch andere sinnvolle Aufgaben, nicht

Tatsächlich hat Aktion Sühnezeichen die Aufgabenfelder stetig erweitert und dabei Impulse der Partner aufgenommen. Zehn Jahre nach

nur in den Entwicklungsländern, sondern

den ersten Bauprojekten in Norwegen arbeiten Sühnezeichen-Freiwil-

gerade auch in den schon industrialisierten Na-

lige etwa in Slums der nordamerikanischen Großstädte. Dass die Ge-

tionen. Gerade auch die sozialen Dienste haben

schwindigkeit dieser Entwicklung manche überfordert, ist dem Vorsit-

Sühnezeichen glaubwürdig gemacht, obgleich sie für die Freiwilligen oft entsagungsvoller

zenden – und Norwegen-Pionier – Hans-Richard Nevermann bewusst.

sind als die Bauprojekte, weil die Früchte der

Vor den 1969 versammelten Mitgliedern zieht er deshalb eine deutliche

Arbeit weniger sichtbar werden.“

Linie von den norwegischen Bauprojekten über die dortigen Einsätze

Franz von Hammerstein, Volker von Törne, Jahres-

in Behindertenheimen ab 1963 bis hin zur praktischen Solidarität mit

bericht 1968/69, 17.4.1969, EZA 97/47, Punkt IV: „Soziale Dienste“.

Benachteiligten weltweit: „Wird erst erkannt, in welche Richtung wahre Stärke einer Gesellschaft tendiert, dann ist auch der Schritt von den Heimen für Schwachsinnige,

Projektberichte der Freiwilligen in den USA füllen den Friedensbegriff mit Leben: Helga Rosemann, Pittsburgh 1969: „Die Weißen

Blinde, Taubstumme, Epileptiker nicht mehr weit zu den sozial Schwachen überhaupt und überall, nämlich zu den Negerslums und -ghettos, zu den

in den Vorstädten Amerikas sind auf der Suche

Milieugeschädigten, ja, zu den vom Elend Heimgesuchten und Leidenden in

nach dem, was Leben ist. Im Grunde merken

aller Welt. Dann führt der Weg vom sozialen Dienst über die Verweigerung

die meisten nicht, dass sie suchen. Mit Ablen-

der Waffen zur einzig möglichen Alternative: zum Friedensdienst mit gesell-

kungsmanövern werden Peinlichkeit der Leere, Hohlheit, Substanzlosigkeit verdeckt, denn:

schaftskritischem Bewusstsein.“202

wo wäre Antwort, Fülle, Substanz? ‚Law and

Zu diesem gesellschaftskritischen Bewusstsein tragen die Projekte in

order‘ hält die Ordnung aufrecht; ‚education‘

den USA, wo Sühnezeichen auf Einladung von Friedenskirchen ab 1968

bringt vorwärts, ‚to make it‘ ist lebenswichtig,

tätig ist, nicht wenig bei. Die Freiwilligen erleben dort einen politisch

Geld ermöglicht den Zugang zu Recht und Freiheit. – Sind es nicht die Weißen in Amerika,

motivierten Friedensdienst, der die Maßstäbe für das Engagement zu

die Hilfe brauchen? [...] Wenn wir Weißen auf

Hause verändert. Der Freiwillige (und Kriegsdienstverweigerer) Hein-

die Schwarzen hörten, könnten wir viel lernen!

rich Bischoff schreibt im November 1969 in seinem Projektbericht:

Wir könnten sogar heile Menschen werden,

„Sie [die Church of the Brethren] will die Botschaft des Christentums in die

die Verstand und Gefühl so integriert haben, dass weder kalter Verstand regiert, noch allein

Tat umsetzen – aktiv für den Frieden arbeiten – Elend, Not, Hunger aktiv

Gefühl nach Befriedigung sucht, sondern wo

bekämpfen – kurz gesagt, etwas leisten! Unsere fromme deutsche Kirche

beides in Aktion ist, wenn es um Menschen

sollte sich wirklich einmal ein Beispiel an diesem Programm nehmen, an-

geht. Vielleicht brauchten wir dann sogar keine

statt die Kriegsdienstverweigerer nur moralisch vor und nach ihrer Aner-

Sündenböcke mehr, gleichviel ob das Schwarze oder Juden sind“ (EZA 97/1842).

kennung zu unterstützen.“203

Hermann Schlömer/Klaus Behrens, Pottstown

Der Dienst in den USA füllt den Friedensbegriff mit Leben, nicht zuletzt

1970: „Das Wort von Amerika als ‚violent soci-

deshalb, weil er in einer Nation im Krieg stattfindet. Heinrich Bischoff

ety‘, das nach den Attentaten auf die Kennedys und Martin Luther King geprägt wurde, erweist sich in der Tat als wahrheitsträchtig. Mehr und mehr muss man erkennen, dass die als Freiheit proklamierte individuelle Rücksichtslosigkeit, eine Voraussetzung und ein Lebensprinzip des kapitalistischen Systems Amerikas, wie wir


122

es heute vorfinden, seine Wirkungen auf die breite Masse der Menschen nicht verfehlt. Die Antwort bleibt nicht aus. – Gewalt wird immer

begegnet einer aktiven Friedensbewegung. Zu seinem Programm gehört auch eine Friedensdemonstration in Washington. „Die unbedingte Entschlossenheit der etwa 3.000 jungen Leute vor dem Capitol, den Vietnamkrieg zu beenden, hat auf mich einen tiefen Eindruck hinterlassen“, gesteht er.

häufiger als Ausdrucksmittel von Unzufriedenheit, als Zeichen von Ärger über soziale Unterdrückung, was noch verständlich erscheint, als Ventil für jede Art von psychologischem Druck oder ganz einfach als Mittel, seine Interessen zu vertreten, akzeptiert“ (EZA 97/1842). Albrecht Oethinger, Mississippi 1969/70: „Hier in Mississippi, hier im Süden der USA, hier in

Noch direkter werden die Freiwilligen in Israel mit Krieg und Frieden konfrontiert. Wenige Jahre nach dem Beginn der dortigen Arbeit stellt

Prentiss, hier in meinem Wohnheim – hier ist ‚Vietnam‘, das ‚Vietnam‘ zwischen Mitmenschen mit verschiedenen Auffassungen. Und dies

die politische Eskalation im Frühsommer 1967 Aktion Sühnezeichen

geschieht täglich. Im 20. Jahrhundert, dem Jahr

vor die einschneidende Frage: Ausreisen oder Bleiben? Die Organisation

des Mondfluges mit seinen Mondlandungen

antwortet nicht als ganze, sie stellt ihren Freiwilligen die Entscheidung

und sonstigen Errungenschaften ist es hier in

frei. Als „still und undramatisch“ beschreibt der Landesbeauftragte Otto Schenk deren Haltung einer „selbstverständlichen, praktischen

Mississippi, einem Staat der USA (Inbegriff für ‚Freie Welt‘, Demokratie, Macht usw.) noch immer dieselbe Situation im Grunde wie zur

Solidarität“204: Die allermeisten der Freiwilligen, gut 30 an der Zahl,

Zeit der Groß- und Urgroßväter. Die Fehler wie-

bleiben trotz drohendem und schließlich beginnendem Krieg im Land.

derholen sich täglich. Wissen wir überhaupt

Ihr Dableiben erleben sie als Feuertaufe: „Diese letzten Tage haben unser Verhältnis zu den Kibbuzniks enorm verän-

noch, was Fehler sind, Sünde und Sühne ist?“ (aus: Berliner Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Publizistik [Hg.], Evangelischer Informationsdienst

dert. Die meisten hatten wohl mit Sicherheit angenommen, dass wir noch

Berlin, Heft 8/Jg. IV/Oktober 1970: Versöhnung

vor Kriegsbeginn abfahren würden. Nun zeigten sie uns ihr Erstaunen und

zwischen den Völkern. Aktion Sühnezeichen/Frie-

ihre Hochachtung ganz unverhohlen. Immer wieder hatten wir dieselbe Fra-

densdienste, S. 43 f.).

ge zu beantworten: ‚Weshalb seid ihr geblieben?‘ ‚Weil ihr uns jetzt wirklich braucht, weil wir nicht nur das sorglose Leben mit euch teilen wollen, und

Tagebuch aus Alyn, Jerusalem (Abschrift Berlin

dann gerade in dieser schweren Zeit gehören wir zu euch.‘“205

28.6.1967; EZA 97/728):

In ihrem gemeinsamen Tagebuch schreiben Sühnezeichen-Freiwillige

„Wir sind dabei gewesen! Wir, das sind Magdalene, Inge, Atze und ich. Die Ereignisse, die wir

von „unseren Soldaten“, von der Beteiligung an Lauf- und Schützen-

aus der Nähe miterlebt haben, hielten die ganze

gräben, an Luft- und Selbstschutz der Kibbuzim, vom Leben im Bunker.

Welt in Spannung. Selbst Vietnam verblasste.

Die Definition von Friedensdienst wird an der Wirklichkeit geschärft –

Die Juden in Israel, deren Mehrheit die Über-

die Verantwortlichen in Deutschland schließen theoretisch nicht einmal aus, dass Freiwillige sich den israelischen Streitkräften zur Ver-

lebenden der Nazikatastrophe sind, sahen sich einem neuen Existenzkampf gegenüber, den sie glänzend und wie durch ein Wunder gegen

fügung stellen und zur Waffe greifen wollen. Von weit weg – in einem

eine riesige Übermacht von hassenden Arabern

Geburtstagsbrief an eine Freiwillige – raunt Lothar Kreyssig, er hielte

überstanden haben.

diese Möglichkeit nicht für die beste, wohl aber auch nicht „für völlig

Nach zwei Wochen unheimlich drückender Spannung und einer Woche unvorstellbar

undenkbar“.206 Und Johannes Müller schreibt aus dem Berliner Büro

siegreichen Krieges ist die Erleichterung unbe-

an Otto Schenk, er rate in einem solchen Falle zu dem Hinweis, dass ein

schreiblich, denn die Folgen eines umgekehrt ausgegangenen Krieges sind durch die Äußerungen arabischer Rundfunkstationen sehr genau vorstellbar. Man sah sich als Vollender des nazistischen Programms. Nun, wo haben wir eigentlich unseren kleinen Hilfsbeitrag in der Zeit der Prüfung geleistet? Seit Mitte März arbeiten wir als Mitglieder ei-


KApitel 4. Umbrüche 123

ner Gruppe der Aktion Sühnezeichen in einem Heim für Krüppelkinder in Jerusalem. [...] Die Kinder sind in sehr unterschiedlichem Grade auf unsere Hilfe angewiesen. Manche können nicht alleine ein Buch aufklappen, andere toben recht munter in ihren Rollstühlen durch die winkeligen Gänge des Klosters. Vom Aufstehen bis zum Ins-Bett-Gehen brauchen sie uns alle. Das alles ist durch die baulichen Umstände

Versöhnungsdienst sich schwer mit Kriegsdienst vertrage, höchstens vielleicht „als Sanitäter, Pfleger oder dergleichen“207. Niemand unter den Freiwilligen geht schließlich diesen Schritt. Gewissenhaft analysieren sie die Lage – und ihre eigene Position im Nah-

des Heimes bereits in normalen Zeiten recht

ostkonflikt. Unter der Überschrift Als Kriegsdienstverweigerer in Israel

schwierig, wurde durch die Vorbereitungen für

schreibt Joachim Rücker 1973 für eine Sühnezeichen-Broschüre:

den Krieg noch unübersichtlicher. Der winzige Fahrstuhl fiel aus. Man schaffte die Kinder aus dem zweiten Stock herunter in die Korridore

„Ich war mir der Problematik bewusst, dass dies [der Friedensdienst in Israel; G.K.] in jedem Fall die aktive Hilfe für eine der Krieg führenden Parteien im

und unter das Treppenhaus, wo sie auf Matrat-

Mittleren Osten ist. Ich gehe aber von der Erwägung aus, dass Deutschland,

zen auf dem Erdboden schliefen, meistens aber

durch die Auswanderung der in Europa verfolgten Juden nach Israel direkt

bis spät in die Nacht die stündlich gesendeten

verantwortlich war für die Dinge, die sich dann in den Jahren bis 48 und da-

Nachrichten hörten. Natürlich hatten wir Verdunkelung, zusätzlich fiel der Strom aus, die Lebensmittel in den Kühlschränken drohten zu verderben. Die Türen und unteren Fenster hatten wir mit Verbandsmullstreifen gegen Splitterung notdürftig geschützt. Unter den Lampen lagen Tücher gegen vielleicht

nach im MO [Mittleren Osten; G.K.] nicht ruhiger im Dialog, sondern hektisch im Krieg entwickelten. Dies verpflichtet uns zu kritischer Sympathie gegenüber Israel und dem palästinensischen Volk.“208 Sein Kollege Franz Müller ergänzt: „Kriegsdienstverweigerer behaupten, eine friedliche Entwicklung, eine Ab-

herabfallendes Glas. Alles Personal – so auch

schaffung der friedenshemmenden Bedingungen ist möglich. Der Nahost-

wir – schlief während dieser Zeit im Heim, um

konflikt zeigt sich als Brennpunkt vieler friedenshemmender Bedingungen:

in Notfällen sofort helfen zu können. Zum

Einfluss von Supermächten in die Politik abhängiger Staaten, Spannung

Glück war das nicht nötig, denn außer einigen Granaten, die in der Nähe einschlugen, spielte sich bei uns nichts ab.“

zwischen wirtschaftlichen Ballungszentren, innergesellschaftliche Missstände, Konfrontation zwischen nationalistischen Ansprüchen, Unterdrückung von Existenz- und Lebensrechten, historisch bedingte zwischenmenschliche Spannungen. Friedensarbeit in einem solchen Gebiet ist die Auseinandersetzung mit den Wirkungen dieser Bedingungen und die Suche nach alternativen Möglichkeiten.“ Diese Stimmen sind auffallend unaufgeregt, hört man sie vor dem Hintergrund der erhitzten Debatten in Deutschland. Dort haben sich nach dem schnellen israelischen Sieg von 1967 die Lager formiert: Als proisraelisch verstehen sich weite Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit, als pro-palästinensisch die Mehrheit der studentischen Linken. Noch hofft Aktion Sühnezeichen, der Verhärtung der Fronten durch Aufklärung beikommen zu können. Man versteht sich als Mittler zwischen den Konfliktparteien. Vor Ort soll das durch Jahre der Freiwilligenarbeit erwirtschaftete moralische Kapital in eine internationale


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Begegnungsstätte investiert werden: Im Wohnhaus des Begründers des modernen Hebräisch, Elieser Ben Jehuda, empfängt das „Haus Pax“ ab Anfang der siebziger Jahre Gruppen aus aller Welt. Noch hofft man auf mögliche, wenn auch nicht schnelle Lösungen des Nahostkonflikts. Noch setzt man außerdem auf die „Arbeitsteilung“ in der „großen Familie“ der Friedensdienste. Mögen sich Quäker, Christlicher Friedensdienst und Weltfriedensdienst für die jüdisch-arabische Verständigung einsetzen – die Hauptaufgabe für Sühnezeichen sieht Franz von Hammerstein auch 1973 noch im Bemühen um „das tiefgestörte deutschisraelische, christlich-jüdische Verhältnis“209. Noch trifft der Nahostkonflikt die Arbeit der Aktion Sühnezeichen nicht ins Mark.

Welcher Sozialismus? – Sühnezeichen und der Prager Frühling

„Jiiirgen, Jiirgen! Wach auf ! Die Russen sind da!“210 Mit diesem Ruf wird Jürgen Winkel in der Nacht zum 21. August 1968 aus dem Schlaf gerissen. Der ehemalige Israel-Freiwillige der Aktion Sühnezeichen, nun Mitarbeiter der Evangelischen Industriejugend, wohnt als Leiter einer Gruppe der westdeutschen Aktion Sühnezeichen in der Gedenkstätte im tschechischen Terezín, zu Deutsch Theresienstadt. Der Aufenthalt der Gruppe war als der zweite dreiwöchige Einsatz in diesem Sommer geplant. Die Freiwilligen sollten helfen, bauliche Spuren des ehemaligen Gestapo-Gefängnisses und des Ghettos zu sichern und Gräber zu pflegen. Die Verantwortlichen in Berlin wussten um die explosive Situation in der Tschechoslowakei. Seit Monaten verfolgte auch der Westen die Suche der Tschechen nach einem „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. Doch niemand wollte ahnen, dass die politischen und wirtschaftlichen Reformen des Prager Frühlings schon im Sommer ein brutales Ende finden sollten. So kommt es zum unsanften Erwachen, als Truppen der WarschauerPakt-Staaten in die CSSR einmarschieren und auch vor den Toren der Gedenkstätte ein russischer Panzer Stellung bezieht. Deren Direktor Miroslav Pavek, ein Dubček-Anhänger, verabschiedet sich als Sanitäter


KApitel 4. Umbrüche 125

„Jahrestreffen der Aktion Sühnezeichen der DDR in Berlin-Weißensee. Eine klare und strenge Stimme mahnt, Essen nicht wegzuwerfen, sondern im Speisesaal gleich nur so viel zu nehmen, wie man essen möchte. Manchen von uns klingt

verkleidet, bevor er sich nach Prag durchschlägt. Die deutschen Frei-

die mahnende Stimme noch im Ohr. Frau Profes-

willigen erleben eine Gesellschaft im Aufruhr:

sor Irma Lauscherová nahm mit ihrem Mann Jiří Lauscher viele Jahre lang, von 1969 bis 1983, an den Jahrestreffen teil. Sie waren die Ehrengäste,

„Trotz eines heftigen Nieselregens ist der Marktplatz mit Menschen überfüllt. Die ersten Gerüchte über Todesopfer tauchen auf. [...] Die ersten Plakate

denen wir mit Respekt und Ehrfurcht begeg-

und Aufschriften an den Häusern werden angebracht. ‚Sowjets = Faschisten‘,

neten.[...] Ein eng gestricktes Reiseprogramm

‚Breschnew = Hitler‘, ‚1939-1945‘, ‚na Domi‘ (nach Hause). Überall die tsche-

führte sie in jedem Sommer zu fünf bis acht

chischen Fahnen mit Trauerflor, alle Menschen tragen die tschechischen

Gruppen. Dort sprachen sie vor allem über die Geschichte von Theresienstadt und ihr Leben

Farben an der Brust. Auf dem Marktplatz fahren Lautsprecherwagen he-

dort, aber auch über jüdische Themen. Für viele

rum. Sie verkünden die Beschlüsse der Nationalversammlung, die, von So-

von uns war es die erste Begegnung mit Juden.

wjetpanzern umstellt, dennoch tagt, die Okkupation immer wieder scharf

Ihr Ziel war es, die Erinnerung an das Schicksal

verurteilt, den sofortigen Abzug der Truppen fordert. [...] Am Donnerstag-

der Juden in der nazistischen Verfolgung, aber auch an jüdische Selbstbehauptung und Selbst-

morgen [dem 22. August; G.K.] ist ganz Terezín verwandelt. Hunderte von

organisation wach zu halten. Sie wollten zur

Plakaten, abgerissene Straßenschilder, weiße Farbschriften an allen Autos,

Gewissensbildung beitragen und zur Aufmerk-

Lastwagen voller Jugendlicher, die alle die Fahnen schwenken, fahren durch

samkeit gegenüber Ungerechtigkeit aufrufen. Es

die Stadt und verteilen Flugblätter.“211

beeindruckten die übermittelte Erfahrung, der Stoff, aber vor allem ihre Persönlichkeiten. Die

Nach zwei aufregenden Tagen beschließt die Gruppe, am 23. August Te-

Begegnungen mit ihnen gaben Anstoß zum

rezín zu verlassen und zurück nach Deutschland zu fahren. Es ist eine

Nachdenken, zur eigenen Beschäftigung mit

Entscheidung der Vernunft, nicht der Herzen. Jürgen Winkel berich-

der Geschichte, mit Judentum, mit möglichem

tet: „Ich glaube, wir alle kommen uns wie Verräter vor, wir alle fahren

Widerstand. Irma Lauscherová war eine strenge Lehrerin, für manche zu streng. Den Fakten,

ungern. Viele unserer tschechischen Freunde, teilweise Menschen, die

die sie berichtete, konnte und wollte sich

als Häftlinge in Terezín waren, weinen.“ Doch die Freiwilligen wollen

wahrscheinlich niemand verschließen. Aber ihre

ihren Angehörigen zu Hause keine längere Ungewissheit zumuten.

Inständigkeit, ihr Drängen, das ihrer Sendung,

Und ihren tschechischen Gastgebern wollen sie nicht zur Belastung

aufklärend unter den Jugendlichen zu wirken und sie dafür zu gewinnen, eine friedliche Welt zu gestalten, entsprang, war manchen schwer zu

werden – weder politisch als „Westkontakte“, noch pragmatisch als zusätzliche Esser.

ertragen. Und – das überstandene Leiden, selbst

Es ist eine junge Arbeit, die hier ihr schnelles Ende findet: Erst

wenn sie ihre Wunden und Narben nicht merken

1966 sind Sühnezeichen-Gruppen in die CSSR gefahren. Sie kamen

ließ, sondern über die Kinder in Theresienstadt, über das Leben dort berichtete, das Leiden

aus beiden deutschen Staaten. Die DDR-Gruppen in Lidice und Te-

schuf eine Distanz zu uns. Es machte unsicher,

rezín konnten an die Bekanntschaft Lothar Kreyssigs mit Irma Lau-

wie man zu ihnen, mit ihnen reden könne. Seit

scherová, einer Überlebenden des Lagers Theresienstadt, anknüp-

Kriegsende hatten sich Lauschers bemüht, das

fen. Dieser Kontakt – wie auch der zum ehemaligen Häftling Josef

Lager Theresienstadt zu dokumentieren. Bis ins hohe Alter führten sie viele Gruppen in Terezín,

Bor – wird auch die Arbeit von Sühnezeichen West begleiten und

bevor es ein Ghettomuseum gab. Besucher des

tragen. Ähnlich wie in Polen setzen aber die Westdeutschen bei of-

neuen jüdischen Friedhofs in Prag finden neben

fiziellen Stellen an: Im Sommer 1966 unternehmen Jürgen Winkel

dem Wegweiser zu Franz Kafka auch einen zu Irma Lauscherová. Wer ihm folgt, liest auf ihrem Grabstein den Satz: ‚Sie war Lehrerin in Theresienstadt.‘ Wir könnten hinzufügen: Auch für uns.“ Hildegart Stellmacher, Sie war Lehrerin in Theresienstadt. Irma Lauscherová zum 100. Geburtstag am 2. Mai, in: zeichen 1/2004, S. 21.


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„Unsere Freunde starrten uns ganz entgeistert, ja ungläubig, an, als wir so plötzlich wieder bei ihnen auftauchten, dann aber freuten sich

und der amerikanische Austauschpfarrer Alton Beaver eine Reise „ins Blaue“212, von der sie mit einer Einladung nach Terezín schon für den Herbst und mit Kontakten zum Verband der Antifaschistischen Widerstandskämpfer, zum Sozialistischen Jugendverband und zur Kirche der Böhmischen Brüder zurückkehren. 1967 verweigert die

alle sehr, und es war rührend für uns, zu sehen, wie ein Funken Hoffnung aufglomm, dass es vielleicht doch so schlimm nicht werden würde, wenn die Berliner schon wieder da sind. Unsere Freunde haben kaum Schwierigkeiten materieller Art. Die Hamsterkäufe der ersten Tage sind vorbei, in den Geschäften ist wieder

DDR Gruppen die Ausreise. Aus dem Westen arbeiten Freiwillige in

alles zu haben. Die psychische Belastung der

Terezín und Lidice, 1968 außerdem in einer Synagoge und auf einem

Okkupation liegt jedoch schwer auf allen.

jüdischen Friedhof in Prag. „Kommt wieder, sobald es geht“, bitten die tschechischen Freunde die

Es gibt kein anderes Thema bei der Arbeit, daheim in der Familie, auf der Straße oder im Restaurant. Viele haben resigniert, haben keine

Deutschen beim Abschied. Und schon Anfang September 1968 sondie-

Hoffnung auf Verbesserung der Lage. Man

ren Jürgen Winkel und Bernd Karl Vogel vor Ort Einsatzmöglichkeiten

hat Angst vor Verhaftungen. Doch alle unsere

unter den veränderten Bedingungen. Tatsächlich arbeiten im folgen-

Freunde baten uns, den Kontakt nicht abreißen zu lassen und so bald wie möglich mit Gruppen

den Winterhalbjahr einzelne Freiwillige in Altersheimen in Terezín und

wiederzukommen. Deutlich spürt man den

Děčin, einer bleibt ein halbes Jahr in der Gedenkstätte Theresienstadt.

Rückfall in die Zeit der späten fünfziger Jahre.

Noch kann die Unruhe und Unklarheit der politischen Restauration genutzt werden: 1969 kommen noch einmal drei Gruppen nach Terezín,

Offene Gespräche finden nur statt, wenn man allein und vor Spitzeln sicher ist.“ Bericht von Bernd Karl Vogel und Jürgen Winkel

1970 eine nach Lidice. Aber die Spielräume werden enger. Im August

über eine Fahrt Anfang September 1968 in die CSSR,

1970 sucht eine sechsköpfige Gruppe aus West-Berlin nach Möglichkei-

12.9.1968, EZA 97/1628.

ten, im Sinne der Aktion Sühnezeichen tätig zu werden. Doch selbst der Ernteeinsatz in einer LPG wird von der Polizei unterbunden. Das Tagebuch protokolliert die Ernüchterung: „Mittwoch 19/8/70: Prag. Besichtigung der Altstadt, Synagoge, Friedhof, Museum etc. Wir beschlossen, von jeglicher Kontaktnahme zu Personen, die mit Sühnezeichen irgendetwas zu tun haben oder hatten, aufgrund der gegebenen Situation abzusehen. Donnerstag 20/8/70: Vormittag: Diskussion über Problematik ‚Friedensdienst‘ (z.B. durch Johannisbeerpflücken, Bäumefällen etc). Nachmittag: Diskussion Sozialismus, die sich bis spät nachts hinzog. Freitag 21/8/70: Wir blieben den ganzen Tag in der Unterkunft, diskutierten über den ‚21. Aug. 68‘ und entspannten uns bei Gruppensex. Samstag 22/8/70: Der Versuch, zu einem abschließenden Ergebnis der bisherigen Diskussionen zu kommen, misslang, da die Themen infolge des Zeitmangels in ihrer Komplexität noch nicht ausdiskutiert sein konnten.“213


KApitel 4. Umbrüche 127

„Die Situation in der CSSR hinsichtlich Sühnezeichen, Industriejugend und Akademie ist immer noch schwierig. Niemand will sich festlegen, niemand will Entscheidungen treffen. Wir wollen deshalb, um vorwärts zu kommen,

Die neuen Verhältnisse verfestigen sich. Zentrale Positionen (etwa die

möglichst umgehend einen Antrag an Direktor

des Direktors der Gedenkstätte Theresienstadt) sind neu besetzt, gegen

Novak, Pamatnik Terezín (Gedenkstätte There-

ehemalige Sühnezeichen-Freiwillige sind Einreiseverbote verhängt.

sienstadt) richten. Mit etwa folgendem Inhalt: Sehr geehrter Herr Novak, unter Bezugnahme

Die tschechische Presse stellt die Arbeit von Sühnezeichen in den Jah-

auf die Verhandlungen der Herren Lindemann

ren bis 1969 als „subversiv“ und „antisozialistisch“ dar. Die Vorwürfe

und Michel vom Theresienstadt-Komitee bitten

lauten: imperialistische Propaganda, Anstiftung von Tschechen zu

wir [...] um die Einladung einer Arbeitsgruppe

Spionage und Sabotage, Devisenschmuggel und Zuarbeit zu westli-

für April-Mai 1972 zur Vorbereitung der 25-jährigen Gedenkfeier [der Einrichtung der

chen Geheimdiensten.214 Selbst die Bereitschaft, auf die Rücknahme

Gedenkstätte; G.K.]. Wir laden Sie, Herr Direk-

dieser Vorwürfe zu verzichten und mit diesem Stillhalten neue Einsatz-

tor Novak, zu einer Vorbesprechung der Arbeit

möglichkeiten zu erkaufen, bringt Sühnezeichen nicht voran. Auch die

möglichst im März des Jahres nach West-Berlin

vorsichtige Hoffnung, im Kielwasser der Ostverträge zu einem Neu-

ein. Selbstverständlich werden wir für die Kosten Ihres Besuches hier aufkommen. – Wir

beginn der Arbeit zu kommen, verfliegt bald. Den stabilsten Kontakt

freuen uns auf die Zusammenarbeit, die um der

zwischen Sühnezeichen und der CSSR garantieren auf Jahre hinaus die

gemeinsamen Aufgabe willen – Überwindung

Tschechinnen und Tschechen, die zahlreich an Sommerlagern in der

des Faschismus in allen seinen Formen – drin-

DDR teilnehmen, sowie die unermüdlichen Besuche von Irma und Jiří

gend notwendig ist. Mit freundlichen Grüßen, Ihre gez. Törne und Hammerstein. Dieser Brief sollte von Törne und Lindemann der CSSR-

Lauscher. Das kurze Gastspiel der Aktionen Sühnezeichen in der CSSR stif-

Mission in Berlin übergeben werden.“

tet lang haltende Freundschaften – und grundsätzliche Fragen: Wie

Vermerk Franz von Hammerstein über ein Gespräch

bestimmen die Freiwilligen und die Organisationen ihre Position ge-

mit Herrn Lindemann und Herrn Michel vom Theresienstadt-Komitee am Mittwoch dem 23.2., 28.2.1972, EZA 97/1772.

genüber real existierenden Sozialismen? An welchem Punkt geht überzeugtes Engagement in taktische Zugeständnisse über? Wie viel Taktik ist um der gemeinsamen Aufgabe willen vertretbar? Und schließlich: Wie gestalten die beiden Zweige in den beiden deutschen Staaten ihr Verhältnis zueinander? Fast wie in einem politischen Planspiel teilen Aktion Sühnezeichen Ost und West in Polen die Rollen auf. Die Ostdeutschen leisten Pionierarbeit und knüpfen dazu im oppositionellen katholischen Milieu an. Als ihnen 1967 die Ausreise nicht mehr erlaubt wird, vermitteln der katholische Sejm-Abgeordnete Stanis aw Stomma und das Internationale Auschwitz-Komitee den Einsatz von Freiwilligen aus Westdeutschland: Im Herbst fahren zwei Gruppen für je zwei Wochen nach Oświe˛cim, um an der Erhaltung der Gedenkstätte mitzuarbeiten. Bundesdeutsche springen für DDR-Gruppen ein – Lothar Kreyssig ist


128

Rudolf Dohrmann war maßgeblich beteiligt an der Vorbereitung des Kongresses „Friede mit Polen“, der im Februar 1971 – also zwischen der

begeistert vom Symbolgehalt dieser deutsch-deutschen Stellvertre-

Unterzeichnung des Warschauer Vertrages und seiner Ratifizierung in den Parlamenten – mit

tung. Dabei ist die Arbeit so austauschbar nicht. Der Westzweig sucht

zahlreichen polnischen Gästen in der Frankfur-

seinen Weg über offizielle Stellen wie die polnische Militärmission in

ter Paulskirche stattfand. In der Einladung zum

West-Berlin, das staatliche Jugendreisebüro „Juventur“ oder (wenn auch erst allmählich) den Verband ehemaliger Widerstandskämpfer

Kongress, zu dessen Trägern auch ASF gehörte, heißt es: „Die Teilnehmer dieses Kongresses wollen

„ZBoWiD“. Dass die beiden Sühnezeichen völlig verschiedene Zugän-

nicht mehr über Anerkennung oder Nicht-

ge zum sozialistischen Polen haben, stört Kreyssig jedoch nicht – im

anerkennung diskutieren. Sie gehen aus von

Gegenteil: „Von innen her ist [...] bedeutsam, dass die westdeutschen Brüder im Unter-

der notwendigen Anerkennung der Grenze im völkerrechtlichen Sinne. Die Grenze wird verstanden als ein Ergebnis des von Deutsch-

schied zu uns, deren Partner die Katholiken sind, mit staatlichen Organisa-

land verursachten Zweiten Weltkrieges. Als

tionen arbeiten. Derselbe Auftrag der Versöhnung wirkt also jetzt von den

Vertreter der Generation, die jetzt und morgen

beiden Teilen Deutschlands her an zwei Brennpunkten der innenpolitischen Problematik Polens selbst. Denn hier ist der Aufmarsch der Ideologien noch in vollem Gang.“215 Bei Vertretern und Kritikern des sozialistischen Staates zugleich anzusetzen, um die Sache der Versöhnung quasi im Zangengriff voranzutreiben, dieser Plan blieb von Anfang an eine Kreyssigsche Wunschvorstellung. Die Realität war vielmehr ein unterschiedlich-friedliches Nebeneinander. Das West-Büro gewöhnte es sich schnell an, die Chronik ihrer Polenarbeit mit den eigenen Einsätzen 1967 zu eröffnen und die ersten Fahrten der DDR-Gruppen gar nicht zu erwähnen.216 ASZ wiederum beäugte kritisch den westlichen Pakt mit staatlichen Stellen – in einem Statement „zum Charakter der Sühnezeichen-Einsätze in Polen“ empfahlen sie im Sommer 1967 den bundesdeutschen Geschwistern bescheidene Gedenkstättenfahrten ohne aufwändige Vorbereitung und prominente Kontakte.217 Doch die Fahrten westdeutscher Gruppen entwickelten sich schnell zum gut organisierten, boomenden Arbeitszweig: In Kooperation mit Landesjugendpfarrämtern und vor allem mit Industriepfarrer Rudolf Dohrmann aus Wolfsburg wurde eine rasch wachsende Zahl von Gruppen – im Jahr 1970 waren es schon zwölf218 – in polnische Gedenkstätten geschickt. Von seiner Reise zur Einweihung des „Internationalen Denkmals für die Opfer des Faschismus“ in Auschwitz-Birkenau im April 1967 brachte Franz von Hammerstein überdies die erste Idee einer

politische Verantwortung trägt, wollen die Teilnehmer durch diesen Kongress zur Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft Polens und der Bundesrepublik Deutschland beitragen. Dabei werden Rolle und Bedeutung der zwischen beiden Staaten liegenden Deutschen Demokratischen Republik nicht übersehen“ (zitiert nach: Rudolf Dohrmann, Klaus Würmell [Hg.], Friede mit Polen, Hamburg 1971).


KApitel 4. Umbrüche 129

„Am 14.7. (also am gleichen Tag wie wir) traf eine kleine Gruppe von vier Personen von Sühnezeichen DDR in Auschwitz ein. Der Leiter dieser Gruppe, Pfarrer Leu [richtig: Leue; G.K.] aus Görlitz (Leitungskreismitglied SZ DDR) be-

„Jugendbegegnungsstätte“ mit – eine Idee, die im Laufe langer Jahre zu

rief sich der Leitung des Museums gegenüber

einem zentralen Vorhaben der ASF werden sollte.

auf mich, so dass das gemeinsame Eintreffen von Sühnezeichen-Gruppen aus der DDR und der BRD/West-Berlin wie eine abgekartete

Zwischen den westdeutschen Gruppen und privat reisenden kleinen Teams aus der DDR gab es nur sporadische und nie offizielle Kontakte.

Sache aussah. Ich hoffe, es ist mir gelungen,

Auch die Friedensstifter der Aktionen Sühnezeichen waren gefangen

Szymański davon zu überzeugen, dass die DDR-

in den politischen Blöcken der Zeit. Ihr Anspruch freilich war es, we-

Gruppe ohne unser Wissen nach Auschwitz

nigstens an einzelnen Stellen ein Loch in die Mauer zu schlagen, die

kam. Im Gespräch mit Leu einerseits und Szymański andererseits wurde festgelegt, dass

Ost und West trennte. „Freunde gewinnen statt Feinde besiegen“ – auf

die DDR-Gruppe nicht als Sühnezeichen auf-

dieses Motto des Friedensdienstpioniers Eugen Rosenstock-Huessy

treten und auch nicht gemeinsam mit unserer

bezogen sich Ende der sechziger Jahre beide Teile der Aktion Sühne-

Gruppe arbeiten könne und dass ein Kontakt

zeichen.219 Die so freundlich wirkende Formulierung beschrieb eine

zu Mitgliedern unserer Gruppe nur auf privater Basis möglich sei.

politische Option mit Konsequenzen: Verständigung statt Konfron-

Am 17.7. traf ich Steffen [Fritz Steffen, haupt-

tation, das bedeutete kleine Spielräume um den Preis einer gewissen

amtlicher Mitarbeiter bei ASZ; G.K.] in Krakau.

Zahnlosigkeit.

Er sagte mir, dass Leu mit seiner Gruppe gegen sein Votum nach Auschwitz gegangen sei. Gemeinsam mit Steffen besuchte ich die Gruppe

So war die bundesdeutsche Aktion Sühnezeichen pragmatisch in der Wahl ihrer Partner, als es darum ging, überhaupt Zugang zum „Ost-

Sühnezeichen DDR, die in Nova-Huta beim

block“ zu bekommen. Wie mit staatstragenden Verbänden in Polen

Bau der katholischen Kirche arbeitete. Da ich

wurde auch mit einer an Westkontakten interessierten „Gesellschaft

sehr unter Zeitdruck stand, war nur ein kurzes

für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ verhandelt. Der Brückenschlag

Gespräch mit den Freiwilligen möglich. Einige der Sühnezeichen-Freiwilligen aus Nova-Huta

verlangte Zugeständnisse, nämlich eine konziliante Haltung gegen-

besuchten dann in der Woche darauf die Ge-

über den totalitären Regimen im sowjetischen Machtbereich. Gerade-

denkstätte Auschwitz und hatten auch einzelne

zu exemplarisch zeigte sich das nach der Niederschlagung des Prager

Gespräche mit Mitgliedern unserer Gruppe.“

Frühlings: Die West-Berliner Sühnezeichen-Verantwortlichen verzich-

Volker von Törne, Anhang zum Dienstreisebericht (vertraulich), Juli 1969, EZA 97/1630.

teten auf öffentliche Sympathiebekundungen für die tschechischen

„Herr Salzmann [von der Evangelischen

Reformer – aus Rücksicht auf die inneren Entwicklungen dort, aus

Industriejugend mit den CSSR-Fahrten befasst;

Abgrenzung zur breiten öffentlichen Meinung im Westen, für die die

G.K.] möchte einen mir mitgegebenen Brief in

Geschehnisse ausschließlich Beleg für die Überlegenheit des freiheit-

Prag einstecken. Herr Schmidt, Aktion Sühnezeichen Ost, wird sich am 15.3. um 15 Uhr auf

lichen Kapitalismus waren, und sicher auch um zukünftiger Einsatz-

jeden Fall in der Autobahnraststätte Rangsdorf

möglichkeiten willen. Im September 1968 beschrieb Jürgen Winkel das

einfinden, um dort Herrn Salzmann mit den

Selbstverständnis des Vereins so:

weiteren Fahrtteilnehmern zu treffen. Schmidt trägt blauen Schlips!“ Aktenvermerk Heumann (Sühnezeichen West) über

„Bevor wir anfangen, den sowjetischen Einmarsch in die CSSR lauthals zu verurteilen, sollten wir zuerst das in Ordnung bringen, was immer noch

einen „Besuch bei Sühnezeichen Ost am 14.3.1967“,

belastend zwischen Deutschen und ihren Nachbarn im Osten steht. Ich

15.3.1967, EZA 97/937.

meine die Revidierung des Münchner Abkommens, die Anerkennung der


130

Eine Grenz-Geschichte: Im Juni 1969 moniert der Leitungskreis der Aktion Sühnezeichen in der DDR in einem Brief

Oder-Neiße-Grenze als polnische Staatsgrenze und normale Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik.“220 Der Initiator der CSSR-Arbeit der ASF wiederholte hier die ostpolitischen Kernforderungen, die Sühnezeichen bereits auf dem vorangegangenen Kirchentag vorgetragen hatte. Eine Deeskalation gegenüber

an den Vorsitzenden der ARD in Köln, dass der täglich gesendete Wetterbericht eine Karte mit den deutschen Grenzen von 1937 zeige. „Die von Ihnen während des Wetterberichts ausgestrahlte Landkarte bedeutet eine ständige Provokation des noch immer und zu Recht misstrauischen polnischen Volkes. Das Um-

den sozialistischen Staaten durch Gesten des Entgegenkommens – was

denken der Deutschen, das in hoffnungsvollen

bei der Gründung von Sühnezeichen 1958 noch avantgardistische Po-

Ansätzen zu beobachten ist, wird behindert.“

litik war, war inzwischen wenn nicht in der Mitte, so doch an breiten Rändern der bundesrepublikanischen Gesellschaft angekommen. Der SPD-Politiker Egon Bahr hatte 1963 mit dem Slogan „Wandel durch Annäherung“ die Ausrichtung einer künftigen sozialliberalen Ostpolitik unter Kanzler Willy Brandt vorweggenommen. Kirchliche und kirchennahe Kreise traten für Schritte zur Entspannung ein. Be-

Der Leitungskreis bittet um eine Änderung, und zwar eine mutige: Es solle nicht auf eine physische Karte ausgewichen, sondern die Oder-Neiße-Grenze gezeigt werden (Brief Günter Särchen an den ARD-Vorsitzenden Klaus von Bismarck, 13. Juni 1969, EZA 97/33). Am 11. Juli schreibt Klaus von Bismarck an Franz von Hammerstein, den Generalsekretär

sonders unermüdlich warb dafür ein Sühnezeichen-Mann: Erich Mül-

der ASF, mit der Bitte, seine „Kollegen in der

ler-Gangloff hatte 1965 in seinem Buch Mit der Teilung leben die Deut-

DDR in absehbarer Zeit wissen zu lassen, dass

schen aufgefordert, die Zweistaatlichkeit als Folge ihrer historischen Schuld zu akzeptieren und sie – stellvertretend für die gespaltene Welt – zu gestalten.

ich ihnen rundheraus zugestimmt und in diesem Sinne bereits gehandelt habe“. Mit der „Einführung der Farbe in der Tagesschau voraussichtlich am 1. März 1970“ werde die Wetterkarte verändert – allerdings in eine „rein

Das Buch spielte auch und gerade bei den ostdeutschen SühnezeichenFreunden eine wichtige Rolle. Müller-Gangloff war Gesprächspartner

physikalische Karte ohne jede Grenzlinien“ (ebd.).

des „Donnerstagskreises“, eines politischen Gesprächskreises innerhalb der Aktion Sühnezeichen in Ost-Berlin. Beim Kirchentag in Hannover 1967 vertrat er dessen Forderung nach einem förmlichen Friedensvertrag zwischen beiden deutschen Staaten. Ein weiterer Vorstoß der Gruppe beschäftigte das Plenum der Aktion Sühnezeichen Ost beim Jahrestreffen 1967/68. Im Namen des Donnerstagskreises trug Konrad Weiß den Antrag vor, den ostdeutschen Zweig künftig „Aktion Sühnezeichen in der DDR“ zu nennen – ein erklärtes Bekenntnis zur deutschen Zweistaatlichkeit. Auch wenn dieser Antrag zunächst abgelehnt und „erst nach Jahren stillschweigend realisiert“221 wurde – Aktion Sühnezeichen kam nicht

„wir haben uns unter dem kreuz zusammengefunden, und haben in ost und west unseren weg begonnen unter diesem kreuz. und nun beginnen wir zu erkennen, dass ein teil dieses kreuzes, das uns aufgegeben ist, die deutsche teilung ist. Und nun sollen wir sagen: nein, dieses kreuz tragen wir nicht? ja, wir tragen es doch, in unserem alltag, in jeder stunde. oder tragen wir nur eine uns aufgebürdete last, notgedrungen und ungläubig? nein, wir wollen unser kreuz tragen, wir wollen es als sühne und zeichen der versöhnung. [...] wenn wir wahr sein wollen, wahr in einer welt der unwahrheit,

umhin, sich im und zum sozialistischen deutschen Staat zu verhalten.

dann müssen wir bei uns anfangen, in unserem

Just in den Jahren, in denen sich die evangelischen Landeskirchen auf

dienst! und wir müssen wahr sein nicht nur in wort und tat, sondern auch in unserem namen!“ Begründung zum Antrag, den offiziellen Namen „Aktion Sühnezeichen in der DDR“ zu tragen, Manuskript o.D. (Ende 1967), Privatarchiv Konrad Weiß (Kleinschreibung i.O.).


KApitel 4. Umbrüche 131

dem Gebiet der DDR zum „Bund der Evangelischen Kirchen“ zusammenschlossen und begannen, die Formel von der „Kirche im Sozialismus“ auszulegen, stand auch Aktion Sühnezeichen vor strukturellen und politischen Herausforderungen. Zum Ende 1969 trat der Gründer Lothar Kreyssig aus Gesundheitsgründen von der Leitung zurück; ihm folgten als fünfköpfiges Team Christian Schmidt (der als geschäftsführender Vorsitzender den Titel „Leiter“ erbte), Dietrich Erdmann, Werner Liedtke, Günter Särchen und Gottfried Zollmann. Lothar Kreyssig hatte eine pragmatische Linie im Umgang mit dem Staat vorgegeben. Den Raum, den die DDR bot, habe er genutzt und dessen Grenzen gewahrt, resümiert Konrad Weiß: „Der Maßstab war: Eine einzelne Aktion darf das Ganze nicht gefährden.“222 Zu dieser taktischen Vorsicht trat bei Kreyssig eine politische Zurückhaltung aus geistlichen Gründen: Den europäischen Status quo anzuerkennen, hätte für ihn bedeutet, Gott die Macht abzusprechen, die Verhältnisse doch noch ganz anders zu regeln. Ein herzhaftes Ja zur Oder-NeißeGrenze oder zur deutschen Teilung war aus dieser Sicht unverzeihlicher Kleinglaube. Nicht allen behagte diese Reserve gegenüber dem politischen Geschäft. Die Mitglieder des Donnerstagskreises etwa forderten mehr Realitätsnähe. Sie setzten auf beharrliche Versuche, das SühnezeichenAnliegen zu erklären, und hofften, so würde die Atmosphäre entgiftet und Handlungsraum geschaffen: „Hat die Aktion Sühnezeichen alles getan, um die Verhärtungen zu mindern? Hätte nicht durch eine klare Stellungnahme zur Oder-Neiße-Grenze besseres Verständnis bei den staatlichen Behörden geweckt werden können? Hätte nicht eine Erklärung des Standpunktes zur Haltung der Christen in der sozialistischen Gesellschaft der DDR in diesem Sinne gewirkt? Hat die Aktion alle Möglichkeiten des Gesprächs genutzt, um ihren Auftrag zu erläutern?“223 Gespräche mit Regierungsstellen hat es immer wieder gegeben, und zwar nicht nur in den allerersten Jahren. Der Grundtenor staatlicherseits bleibt stets derselbe wie 1958: So spricht aus dem Protokoll des


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„Eine Welt, die sich in Ost und West, in Nord und Süd daran gewöhnt hat, jede Handlung erst auf ihre taktischen Motive hin zu unter-

Staatssekretariats für Kirchenfragen über den Antrittsbesuch von Kreyssigs Nachfolgern im April 1970 der Unmut über die Hartnäckigkeit der kleinen Organisation.224 Man bedauere, dass die Aktion Sühnezeichen „im Jahre 1970 immer noch diesen Namen“ trage – habe die DDR doch „alle Maßnahmen ergriffen“, um die Reste des Faschismus

suchen, musste gegenüber einer Bemühung misstrauisch sein, die sich jeder Einordnung in die bekannten Verhaltensschemata entzog. Man vermutete zunächst einen besonders raffinierten Trick dahinter, eine Art trojanischen Pferdes, mit dessen Hilfe ideologisches Schmuggelgut in die gerade wieder errichteten

und die Folgen des Zweiten Weltkriegs zu beseitigen. Zu diesem ge-

oder neu errichteten Wälle hineingetragen

schichtspolitischen Grunddissens ist nun allerdings ein zweites Motiv

werden sollte. Es ist verständlich, dass dieses

getreten: Neben der Deutung der Vergangenheit wird die Haltung in der Gegenwart Verhandlungsgegenstand zwischen Sühnezeichen und dem Staatssekretariat. Das Protokoll vermerkt, man erwarte eine „klare politische Aussage“ von Seiten der Aktion Sühnezeichen. Was damit gemeint ist, haben Günter Särchen und Christian Schmidt schon drei Jahre zuvor – im Mai 1967 – erfahren. Als sie versuchten, im Staatssekretariat eine staatliche Genehmigung für Sommerlager in Polen und der CSSR zu erwirken, wurde ihnen beschieden: „Solange Sühnezeichen nicht glaubhaft deutlich macht, dass es klar Stel-

Misstrauen in den Ostblockstaaten besonders stark war. Aber auch im Westen verdächtigte man diese merkwürdigen ‚Sektierer‘ – als die sie vielen erscheinen – mindestens der abseitigen politischen Schwärmerei, wenn nicht gar des Prokommunismus. Wenn dies heute anders geworden ist, so ist es ausschließlich der stillen Geduld zu verdanken, mit der Leitungskreis und Freiwillige am Werk geblieben sind. [...] Der ideologische Antikommunismus ist zwar noch nicht völlig verschwunden, aber er gilt nicht mehr in der gleichen Weise als Grundaxi-

lung bezieht gegen die aggressiven Kräfte und die Notstandsgesetzgebung in

om unserer Politik wie vor zehn Jahren. Doch

Westdeutschland; solange Sühnezeichen nicht Stellung nimmt zu der Kon-

scheint mir jetzt eine andere Gefahr herauf-

sequenz von zwei deutschen Staaten in Europa; solange Sühnezeichen das amerikanische Verbrechen in Vietnam nicht entschieden brandmarkt, ist es für das Staatssekretariat nicht möglich, unsere Arbeit im Ausland gelten zu

zuziehen, der man beizeiten begegnen sollte: Die Bundesregierung scheint allzu schnell enttäuscht darüber zu sein, wenn ihre Entspannungsbemühungen gegenüber den Ost-

lassen. Darauf erwiderten wir, dass alle diese Fragen laufend in den Lagern

blockstaaten – die ich für redlich halte – nicht

durchdiskutiert werden, ohne dass wir meinen, dieses immer gleich durch

sofort honoriert werden, sondern auf Skepsis

Proklamation deutlich machen zu müssen. Das genügte aber Herrn Wilke nicht. Er machte uns aufmerksam, dass eine Entscheidung unsererseits notwendig sei: wo und wie wir in der DDR stehen.“225 Es ist freilich nicht diese Anfrage des Genossen Wilke, die bei Sühnezeichen die Diskussion über eine Haltung zur DDR in Gang bringt. Es

stoßen. Das ist aber ganz natürlich. Man kann doch die vergangenen zwanzig Jahre nicht mit einer Handbewegung wegwischen! Man sehe sich daraufhin einmal das bestimmende politische Vokabular dieser Jahre an: Da findet man ‚die Politik der Stärke‘, ‚die Kommunisten sind unsere Todfeinde‘, die Hallstein-Doktrin,

sind die Teilnehmer selbst, denen an einer Klärung liegt. Bezirksgrup-

die Forderung nach den Grenzen von 1937 und

pen und Sommerlager ringen um das politische Selbstverständnis als

vieles andere, was unsere Nachbarn im Osten

Sühnezeichen, und beim Jahrestreffen 1967/68 wird nicht nur der Antrag diskutiert, sich auch mit dem Namen „in der DDR“ zu verorten, sondern auch ein Referat über „Friedensaufgaben für Sühnezeichen in der DDR“. Wolf Dietrich Gutsch, Referent für Ökumenische Aufbaula-

Europas zutiefst betroffen und erschreckt hat. Diese Bewusstseinslage lässt sich nicht über Nacht verändern. [...] Dabei erweist sich der Ansatz der ‚Aktion Sühnezeichen‘ als ein Modell von großer Tragweite. Nach zehn Jahren der Erprobung wäre es an der Zeit, dass dieses Modell im staats- wie im gesellschaftspolitischen Bereich endlich be-griffen und er-griffen würde. Das kann nicht heißen, neue Deklamationen zu ersinnen, sondern zu neuen Handlungen frei zu werden. Das Prinzip ‚Gib, damit dir gegeben


KApitel 4. Umbrüche 133

werde‘ darf nicht in Krämermanier eingeengt werden auf eine Gleichzeitigkeit von Leistung und Gegenleistung. Es wird nur recht ausgelegt, wenn man begreift, dass sich jede Investition aus guter Gesinnung im Kontokorrent der

ger bei der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend in der DDR und

Weltgeschichte letzten Endes wieder auf der

ständiger Gast im Sühnezeichen-Leitungskreis, wirbt für eine kon-

Habenseite niederschlägt. Nicht die listigen

struktive Haltung der Christen zum vorfindlichen Staat. Ein Zuhörer

Rechner, aber die kühnen Prospektoren der Politik werden dies verstehen – und wenn in

notiert:

Zeiten der Gefahr das Rettende wächst, dann ist

„3. alles unterlassen, was der frontbildung dient – alles antidenken abbau-

jetzt ihre Stunde.“

en (besonders die antiideologie des antikommunismus), als beitrag für den

Sepp Schelz, Friede mit den Kommunisten, in: Franz

frieden zwischen ost und west – können nicht gegen hass polemisieren, wenn

von Hammerstein, Volker von Törne (Hg.), 10 Jahre Aktion Sühnezeichen (= Berliner Reden 15), Berlin 1968, S. 43-51.

„Als Deutsche aus der DDR, die für Versöhnung einstehen und dienen, wissen wir aus eigener

wir nicht eigenes antidenken überwinden. 4. schwäche unseres staates im spannungsfeld zwischen ost und west ist gefahr für den frieden – aufgabe für uns, den staat wirtschaftlich und politisch zu stärken.“226 Die sich anschließende Arbeitsgruppe – zu der sich immerhin 60 bis 70 Teilnehmer einfinden – übernimmt die aufgeschlossene Grundhaltung.

Anschauung, dass mit einer sozialistischen

„Wir glauben, Mut zum Risiko, in der Kirche als Kommunist und beim

Ordnung der Lebensverhältnisse und Pro-

Staat als Reaktionär abgestempelt zu werden, ist notwendig, wenn

duktionsbedingungen die Voraussetzungen

man engagiert sein will“,227 steht im Protokoll, das im Übrigen das

für eine bessere Gerechtigkeit entscheidend und unumkehrbar zum Guten verändert

politische Engagement ganz konkret macht: Denkbar seien Spenden

sind.* Wir glauben daher, dass es dem tsche-

für Vietnam und überhaupt gegen den Hunger in der Welt, Einsätze in

choslowakischen Volk und seiner Regierung

staatlichen Krankenhäusern und schulischen Elternaktiven, denkbar

bei den 1968 begonnenen Reformen nicht

ist sogar – „für den Einzelnen“ – die Mitgliedschaft in einer Partei. Vor

um konterrevolutionäre Ziele ging und geht. Geistig tiefe und weittragende Entscheidungen

jedes Engagement freilich wird die genaue Prüfung gesetzt:

können dadurch besonders geschichtswirksam

„Information, so meinen wir, Erlangen von Wissen über Ökonomie, Gesell-

werden, dass dafür gelitten wird. Im Anbruch

schaft und Politik, ist eine der ersten Aufgaben, wenn wir engagiert sein

eines neuen Weltzeitalters hat die ganze

wollen. Es sollte dazu kommen, dass unsere Sühnezeichen-Gruppen und un-

Welt das Geisteszeugnis Ihres Reformwillens und das anschließende Leiden dafür als den Entschluss verstanden, das verpflichtende

sere Gemeinden zu informierten Zentren werden, die stark und konsequent fordernd in die Gesellschaft auszustrahlen vermögen.“

Erbe europäischer Staatswillensbildung mit

Ein aufklärerischer Impuls, für den ein Papier zur Vorbereitung von

den sozialistischen Errungenschaften zu

Sommerlagern aus jenen Jahren die Formel von „kritischem statt blin-

verbinden. Die Bereitwilligkeit, für diesen Entschluss auch zu leiden, verwirklicht die

dem Vertrauen“ findet.228 Dem Staat wird Kredit gegeben. Lagerleiter

Einsicht eines Karl Marx, dass es nicht genüge,

sollen darauf achten, dass die DDR nicht (etwa durch Witze) verächt-

die Welt zu interpretieren. Man müsse sie

lich gemacht wird. Es herrscht der Glaube an das Gute im Staat – und

vielmehr verändern. [...] Beschämt, dass unter

an seine Verbesserlichkeit: „Die Politik in der DDR ist auf dem Weg zum

den Besatzungstruppen Deutsche in Ihnen die Schrecknisse der Vergangenheit wieder

Sozialismus. Sie ist nicht am Ziel.“ Die Lagerleiter werden durchaus er-

haben aufsteigen lassen, bitten wir Sie, einzig

mutigt, kritische Diskussionen anzuregen. Drei Fragen sollen die Teil-

mit dem Recht der zwischen uns begonnenen

nehmer zur Stellungnahme herausfordern:

Versöhnung: Lassen Sie sich nicht verbittern. Der russische Mensch, in dessen Gefolgschaft die Deutschen kamen, hat für die Sendung der sozialen Gerechtigkeit länger und mehr gelitten als alle anderen Völker. Wenn sie sich jetzt durch Gewalt ins Unrecht gesetzt haben, helfen Sie durch Versöhnungsbereitschaft zum


134

Frieden. In Liebe, Hoffnung und Geduld auf der Wahrheit zu beharren, ist der einzig gewisse Weg, die Wahrheit zu verwirklichen. Möchten

„1. Sühnezeichen hat sich bisher mit gutem Gewissen aus bewusst politi-

Sie dazu täglichen Beistand und behüteten Weg haben!“

schem Engagement herausgehalten. Soll das so bleiben? Sind wir damit

Aus einem Brief von Lothar Kreyssig im Namen der

nicht auch in eine gewisse Isolation geraten? Isoliert von wem?

Aktion Sühnezeichen an die Leitung der Gedenkstät-

2. Kann uns Brechts Satz einen Tipp geben: besser schmutzige Hände, als leere Hände: Zu welchen leeren und zu welchen schmutzigen Händen sollten wir uns bekennen? 3. Als ‚Stärke‘ von Sühnezeichen galt bisher, dass wir einen ‚unpolitischen‘

ten Terezín und Lidice, September 1968, EZA 97/35. * Nur im Entwurf (EZA 97/937) finden sich hier die Sätze: „Weil Sozialismus so wenig wie jede menschliche Ordnung vollendet sein und automatisch wirken kann, können Nachteile

Weg, man kann sagen kirchenkonform gegangen, oft gestolpert sind. Es gibt

im System und menschliche Schwäche in der

zwar keine eindeutige Rede und kein eindeutiges Tun. Trotzdem sollten wir

Verwirklichung an diesem Urteil nichts ändern.

darüber nachdenken, woran es liegt, dass Sühnezeichen gerade deswegen oft bei Verantwortlichen im politischen Bereich, wie im Urteil der Kirche nicht

Das ist auch die geschichtliche Erfahrung Ihres Volkes.“

eindeutig ist. Ob also unsere vermeintliche ‚Stärke‘ nicht unsere eigentliche ‚Schwäche‘ ist. Soll sich daran etwas ändern?“ Die Schärfe dieser Fragen ist kennzeichnend für die Situation Ende der sechziger Jahre. Die Fronten werden klarer – das gilt auch für die staatliche Seite. Ton- und Gangart der offiziellen Stellen werden härter. Sühnezeichen habe für seine Sommerlager die Reisemöglichkeiten zwischen den sozialistischen Staaten „systematisch missbraucht“, erklärt beispielsweise Genosse Wilke den Abgesandten von 1967: „Das alles sei illegal und ungesetzlich.“229 Mit verschiedenen Mitteln wird Sühnezeichen in die Enge getrieben: Auf regionaler Ebene wird die Durchführung von Sommerlagern behindert; gegen Christian Schmidt wird eine Ordnungsstrafe wegen „Verletzung der Druckgenehmigungsbestimmungen“ mit der Folge einer Störung der „Verteidigungsbereitschaft unserer sozialistischen Gesellschaft“ verhängt.230 Im Jahr 1969 verbreiten anonyme Briefe an kirchliche Amtsträger

„Versuche, den Begriff [Sozialismus] gegenüber dem ‚real existierenden Sozialismus‘ positivkritisch zu deuten, wie es etwa 1972 der Erfurter Propst Heino Falcke mit seiner Hoffnung auf einen ‚verbesserlichen Sozialismus‘ auf der Dresdner Bundessynode unternahm, stießen auf den Widerstand der SED. Aus Gründen der Herrschaftssicherung bestand diese auf ihrem Definitionsmonopol über den Sozialismusbegriff und wollte die Kurzformel ‚Kirche im Sozialismus‘ in ihrem Sinne verstanden wissen: als Konzept einer rückhaltlosen theologischen Anpassung an die Verhältnisse in der DDR.“ Claudia Lepp, Entwicklungsetappen der Evangelischen Kirche, in: Claudia Lepp/Kurt Nowak (Hg.), Evangelische Kirche im geteilten Deutschland (19451989/90), Göttingen 2001, S. 46-93, hier S. 67.

und an Freunde von Sühnezeichen Vorwürfe wie „unbrüderliche Auseinandersetzung um die Nachfolge von Präses Kreyssig, unehrliche

Für das Sommerlager der Aktion Sühnezeichen,

Verwaltung der Spendengelder, unsaubere Geschäftsführung“231. Die

das einen Ergänzungsbau zum Rüstzeitheim

Leitung nimmt nur ein Mal öffentlich Stellung zu diesen Vorwürfen und weist sie in einem ausführlichen Brief zurück. Man werde in künftigen Rundschreiben nicht mehr darauf eingehen, lautet die Ankündigung. Es bleibe schließlich jedem unbenommen, offene Fragen an den Leitungskreis zu richten. Die anonymen Schreiber aber nähmen „die

im sächsischen Lückendorf bauen soll, gestaltet sich der Prozess der Genehmigung äußerst schwierig. Superintendent Stempel aus Zittau berichtet an das Büro der Aktion Sühnezeichen in Berlin über ein Gespräch beim Rat des Kreises am 13.7.1966: „Grundsätzlich bemerkten die Vertreter des Kreisrats dazu, dass die Deutsche Demokratische Republik gegenüber den anderen Völkern alle Wiedergutmachungsansprüche abgegolten hat, der Name ‚Sühnezeichen‘ jeder Berechtigung entbehre. Die Zusammenführung von Jugendlichen verschiedener Nationalität gehöre außerdem unter das Ressort der Freien Deutschen Jugend.


KApitel 4. Umbrüche 135

Ich habe versucht, ihnen deutlich zu machen, was die Aktion Sühnezeichen vom christlichen Standpunkt aus will, die Vertreter des Staatsapparates verschanzten sich jedoch definitiv hinter ihren formalen Verwaltungsgründen,

herrliche Möglichkeit, bei Sühnezeichen offen miteinander umzuge-

dass es einer Genehmigung von Seiten des

hen, nicht wahr“.

Bezirks bedürfe.“ Ein Sommerlager findet im August 1966 statt, seine vorzeitige Beendigung („Superintendent Stempel ruft an und teilt mit, dass das Auf-

Genau diese Offenheit freilich scheint das Problem. Die Aktion Sühnezeichen wird dem Staat gefährlich – schlicht dadurch, dass sie Orte des freien Gesprächs bietet.

baulager durch den Rat des Kreises verboten

„Hier konnte man in aller Schärfe widersprechen und streiten, gleich wer es

worden sei, obwohl es genehmigt worden

war. Und man begegnete sich trotzdem brüderlich. Hier konnte man Demo-

sei“) kann aber nur durch die Intervention des Landeskirchenamts beim Staatsekretariat

kratie einüben, wie wir sie im Alltag nicht kannten. Um Ergebnisse konnte

für Kirchenfragen sowie beim Rat des Bezirks

gerungen werden; sie standen nicht von vornherein fest und mussten nicht

Dresden abgewendet werden.

in ein ideologisches Gerüst passen. Die Lager – wenn sie gut liefen, muss

Im folgenden Jahr sind die Fronten von vorn-

man einschränkend sagen – waren ähnlich wie der Leitungskreis ein Feld

herein verhärtet. Ein Mitarbeiter des Landeskirchenamts notiert nach einem Telefonat mit

zum Üben demokratischen Umgangs miteinander.“232

einer Vertreterin des Rates des Bezirks Dresden

So erinnert sich Dietrich Erdmann an die kurzen Sommer der Demo-

am 21.2.1967: „Sie stellt sich schroff ablehnend

kratie. Um in Opposition zum Staat zu geraten, war es nicht nötig, sich

gegen den Begriff ‚Aktion Sühnezeichen‘ und

explizit als Opposition zu definieren. Unvoreingenommenheit allein

will damit nichts zu tun haben. Besonders käme eine ‚Sühne‘ für den Kreis Zittau nicht in Frage. Für die Bewilligung eines Aufbaulagers sei der Rat des Kreises Zittau im Anschluss an die Bewilligung der Bauarbeiten zuständig. Der Rat des Bezirkes habe mit der Sache nichts zu tun. Auch der Staatssekretär für Kirchenfragen werde mit einem Aufbaulager der Aktion Sühnezeichen im Kreise Zittau nicht einverstanden sein. [...] Ein solches Aufbaulager käme nur in Frage für Angehörige der seinerzeitigen Feindmacht unter dem Gesichtspunkt der von ihren Angehörigen seinerzeit angerichteten Zerstörungen. Deshalb käme der Kreis Zittau überhaupt nicht in Frage. Deshalb käme auch dort die Beteiligung irgendwelcher Ausländer nicht in Betracht.“ Der Streit kann beigelegt werden: Auch das zweite Sommerlager findet statt. Insgesamt behauptet sich die Praxis, dass die Sühnezeichen-Sommerlager keiner Anmeldung bei staatlichen Stellen, auf welcher Ebene auch immer, bedürfen – solange sie im kirchlichen Bereich stattfinden. Korrespondenz im Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in Dresden, Bestand 2/610.

irritierte bereits das System.


5. Frieden macht Arbeit – Die siebziger Jahre


5. Frieden macht arbeit die siebziger jahre

Friedenswoche und Friedensfestival: Zur Friedenswoche 1973, an der sich ASF beteiligte, gestaltete Jürgen Pieplow das Plakat (Privatarchiv Jürgen Pieplow). 1974 fand das erste „Festival der Friedensdienste“ statt; zu sehen sind Teilnehmende vor dem Schloß im unterfränkischen Friesenhausen (Bild unten links), (Foto: „Umkehr in die Zukunft. 10 Jahre Festival der Friedensdienste“, Tonbildserie von Alwin Meyer; ASF-Bildarchiv). Ende der siebziger Jahre wechselte das Festival ins niedersächsische Beienrode. Gundi Abramski, Freiwillige in Großbritannien, fotografierte das Torhaus in Beienrode und ein Gespräch von Thomas Lutz, ASF-Gedenkstättenreferent, mit Klara Nowak vom Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten e.V. In den achtziger Jahren wurde aus dem Friedensfestival das Pfingsttreffen von ASF.



Israel 1975: Einzelne Bilder begleiten ASF mittlerweile seit Jahrzehnten. Dieses ist eines davon. Die Zugewandtheit der beiden abgebildeten Personen ist von einer besonderen Intensität. Das Bild wurde von Hartmut Greyer 1975 in dem Jerusalemer Projekt „Kfar HaSchwedi“ aufgenommen. Er fuhr für mehrere Wochen nach Israel, um die Arbeit der Aktion Sühnezeichen zu dokumentieren. Seine Bilder waren ein wesentlicher Bestandteil der Ausstellung „In Ängsten – und siehe wir leben“, die Jürgen Pieplow für ASF zum gleichnamigen Kirchentag 1975 in Frankfurt/Main gestaltete und mit der vorliegenden Abbildung dokumentierte.



Berlin-Weißensee 1979: Auf dem Jüdischen

Was war das für eine Hilfe, als Irma Lau-

Friedhof in Berlin-Weißensee standen wir,

scherová und ihr Mann Jiří nach getaner

nach meist schwerer Arbeit, immer wieder

Arbeit bei uns waren! Äußerlich lagerten die

vor einem der freigelegten Gräber und konn-

Teilnehmer erschöpft auf dem Platz vor der

ten uns anhand der oft unleserlich gewor-

Begräbnishalle, doch innerlich waren sie total

denen Angaben ein Bild machen von dem

aufgeschlossen. Sehr bewegt antwortet Frau

Menschen, der hier begraben war. Tag für Tag

Lauscherová auf viele Anfragen. Mahnend er-

tauchten immer neue Fragen auf, die wir mit-

hebt sie ihre Stimme gegen die Verbrechen in

einander zu beantworten versuchten.

den Lagern, die sie selbst durchlebt hat. Und ganz ruhig ergänzt Herr Lauscher manche Einzelheit. Ich persönlich kann nur das lebhafte Gespräch begleiten und vertiefen (Fotos: ASF-Bildarchiv; Text: Friedrich Magirius 2008).


Sommerlager Alt-Karin (Mecklenburg) 1987:

Aus eigenem Erleben erfuhren wir von der

Mit gemischten Gefühlen sind viele von

schwierigen Lage der Eltern, die fortwährend

uns nach Alt-Karin gefahren: Lange 14 Tage

in einer oft verständnislosen Umwelt ihren

Verantwortung tragen für ein noch fast unbe-

Anspruch auf Glück verteidigen müssen. Die

kanntes behindertes Kind! Aber die Offenheit

spannende und am Ende viel zu kurze Zeit hat

dieser Kinder, die Schönheit des Ortes und der

nicht wenigen den Weg zu ihrem späteren Be-

Landschaft haben die Befürchtungen schnell

ruf gewiesen (Fotos: Uwe Klemens www.

zerstreut. Wir haben hier lernen können, die

flaemingfoto.de; Text: Annegret Klemens 2008).

uns Anvertrauten, vor allem aber uns so genannte „Normale“ mit anderen Augen zu sehen.



144

In der Leitungskreissitzung vom 9.12.1972 informiert ein Vertreter des Diakonischen Werks die Sühnezeichen-Verantwortlichen, dass ihre

5. Frieden macht Arbeit – Die siebziger Jahre

Zugehörigkeit zur Inneren Mission durch ihren Brief an den westdeutschen Bundeskanzler „fragwürdiger geworden sei“ – vgl. Protokoll der

Die siebziger Jahre sind Jahre der Ernüchterung. Die Blöcke rüsten auf, die Waffen werden raffinierter. Am Ende des Jahrzehnts zeigt sich der Weltfrieden labiler denn je. Die Gefahr eines atomaren Krieges in Euro-

Sitzung, EZA 97/1754. Was stand dahinter? „Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! In einer Zeit, in der die Entspannungspolitik Ihrer Regierung

pa wird gesellschaftlich und politisch Angst Nummer eins – ohne da-

zugleich begrüßt und bekämpft wird, möchte

mit den anderen Aufregerthemen die Spitze zu nehmen: dem bedroh-

die Leitung der Aktion Sühnezeichen in der DDR

ten Öko-System, der inneren Sicherheit, dem Nord-Süd-Konflikt. Aktion Sühnezeichen beschäftigen auf beiden Seiten der Mauer ähn-

mit diesem Brief Ihnen und Ihren Freunden für Ihre Schritte auf dem Weg zur Versöhnung mit unseren Nachbarn im Osten danken.

liche Themen: Frieden, Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, dazu moderne

Wie Sie wissen, bemüht sich die Aktion Sühne-

Organisationsstrukturen und das Verhältnis von Engagement und All-

zeichen seit Jahren, Menschen unseres Volkes

tag. Die Rahmenbedingungen allerdings sind so verschieden – und die

bereitzumachen, die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen deutscher Menschen

Kontakte zwischen „ASZ“ und „ASF“ so spärlich – , dass hier zwei Er-

an anderen Völkern als Schuld zu erkennen und

zählungen nötig werden.

öffentlich zu bekennen. Sie versucht, mit der

Zu berichten ist, wie Aktion Sühnezeichen in der DDR einen Platz behauptet: vom Zulauf zu den Sommerlagern und von neuen Arbeitsfeldern, von nachbarschaftlichen Kontakten nach Osten in den Jahren ohne Visumspflicht, kurz: von selbstredender Friedensarbeit in einer zunehmend militarisierten Gesellschaft. Zu berichten ist vom ungleich größeren Spielraum in der Bundesrepublik, der Segen und Last zugleich ist. Hier gilt es nämlich ein doppel-

Bitte um Vergebung, Zeichen für Versöhnung und Frieden mit unseren Nachbarn zu setzen. Darum haben wir Sie in Gedanken auf Ihren Reisen nach Moskau und Warschau begleitet. [...] Selten hat sich die richtige politische Einsicht mit der Mehrheit des Volkes verbunden. Um so wichtiger ist deswegen Ihr augenblickliches Bemühen, möglichst viele Menschen – die

tes Wachstum zu bewältigen: Im Laufe der siebziger Jahre wird Aktion

Mehrheit – für den von Ihnen eingeschlagenen

Sühnezeichen Friedensdienste zu einem der tragenden Akteure in der

Weg zu gewinnen. Bewusst sagen wir ‚für

westdeutschen Friedensbewegung und gleichzeitig zu einer expandierenden Freiwilligenorganisation.

den Weg‘ und nicht ‚für das Ziel‘, denn in der Zielvorstellung, den Frieden, soziale Gerechtigkeit und umfassende Sicherheit zu erreichen, sind sich bekanntlich die meisten Menschen einig. Doch nicht auf jedem Weg ist dieses

Von Alt-Karin bis WeiSSensee:

Ziel erreichbar. Nur wer sich zu der Schuld

ASZ als „Sühnezeichen kompakt“

in der Vergangenheit bekennt und die realen

Nach wie vor ist die Aktion Sühnezeichen den politisch Verantwortli-

den Weg in politisches Neuland finden, in dem

chen in der DDR ein Dorn im Auge. Um die Jahreswende 1970/71 aller-

es sich leben lässt.

Möglichkeiten der Gegenwart erkennt, wird

dings schlagen sie taktisch eine elegante Volte: Die direkte Auseinan-

Die unterschiedlichsten Gegner Ihrer Politik brauchen wir nicht zu benennen. Wir wün-

dersetzung wird delegiert – fortan lässt der Staat disziplinieren. Es sind

schen Ihnen, dass Sie sich von keinem Ihrer

kirchliche Stellen, an die der Druck weitergereicht wird. Der Bund der

Gegner irritieren oder missbrauchen lassen. Gott gebe Ihnen und Ihren Freunden für den weiteren Weg Kraft und Mut. Es grüßt sie die Leitung der Aktion Sühnezeichen in der DDR“ (Brief von Dietrich Erdmann, Werner Liedtke, Günter Särchen, Christian Schmidt und Gottfried Zollmann an Willy Brandt, 12.10.1972, EZA 97/535).


KApitel 5. Frieden macht arbeit 145

„Der Staatssekretär legte dar, dass Bischof Schönherr als Vorsitzender des Bundes [der Evangelischen Kirchen in der DDR; G.K.] und Dr. Bosinski, zu dessen Fachbereich [im Diakonischen Werk der DDR; G.K.] die ‚Aktion

Evangelischen Kirchen in der DDR und vor allem die „Innere Mission

Sühnezeichen‘ gehört, für solche Aktivitäten

und Hilfswerk“ (kurz: Diakonie), formal ohnehin das Dach der Aktion

die Verantwortung tragen. Es sei eine grund-

Sühnezeichen, erhalten einen politischen Auftrag.

sätzliche Frage, wenn eine kirchliche Teilgruppe den Versuch unternimmt, für Brandt

Im November 1970 sucht Gerhard Bosinski, Direktor der Inneren Mis-

ein Alibi in seiner Politik zu schaffen. [...]

sion, den Sühnezeichen-Leiter Christian Schmidt auf. Das Innenminis-

Man muss klar aussprechen, dass das, was die

terium, so Ersterer, habe ihm klargemacht, ASZ betreibe „bewusste

‚Aktion Sühnezeichen‘ mit dem Brief getan hat,

Untergrundarbeit“. Der Vorwurf bezieht sich vor allem auf die Polen-

eine Überschreitung ihrer Kompetenzen ist. Sie behauptet als ‚Aktion Sühnezeichen‘, dass sie diejenige sei, die Friedenskonzeptionen vertre-

Arbeit von Aktion Sühnezeichen – ein Zweig, der, so lässt das Ministerium ausrichten, eingestellt werden solle.

te. Kein Wort wird über die Friedenspolitik der

Das Prinzip „teile und herrsche“ funktioniert. Der Kirchenmann

DDR und der sozialistischen Staaten gesagt.

gerät unter Zugzwang, der Sühnezeichen-Mann wird misstrauisch.

Die persönlich moralische und politische Haltung von Brandt wird glorifiziert. Man betreibt

Schmidt notiert:

Außenpolitik auf eigene Faust. Wir lassen die

„Dabei ist nicht ganz klar, wie Bosinski gegenüber dem MdI [Ministerium

Züge des Realismus in der Politik von Brandt

des Inneren; G.K.] reagiert hat. Grundsätzlich ist er in keiner Weise wei-

und Scheel nicht außer acht; die Unterzeichner

sungsberechtigt gegenüber Sühnezeichen, wiewohl wir juristisch als Fach-

des Briefes aber völlig die Beschlüsse des XXIV. Parteitages der KPdSU und unseres VIII.

verband Innerer Mission und Hilfswerk zugeordnet sind. Es ist durchaus

Parteitages. [...]

möglich, dass Bosinski dies verschwiegen hat und eine mehr oder weniger

Gen. Dr. Wilke erläuterte an Beispielen, dass

deutliche Zusage abgab, die Dinge in Ordnung zu bringen. Jedenfalls machte

die ‚Aktion Sühnezeichen‘ seit ihrem Bestehen

er bei der Unterredung am 3. November einen etwas nassforschen Eindruck,

im Jahre 1958 stets eine politisch destruktive Haltung bis zu Formen politischer Provokation

der in der Forderung ausmündete, die Polen-Dienste müssten unterbleiben,

vertreten hat und dafür wiederholt von den

andernfalls wäre es für IM [Innere Mission; G.K.] und Hilfswerk schwierig,

staatlichen Organen zur Rechenschaft gezogen

uns als Fachverband zu behalten. Offenbar ist staatlicherseits der Hinweis

wurde. [...]

gegeben worden, dass sich das Klima zwischen Staat und Kirche an der Fra-

Die Unterzeichner des Briefes werden zu den Stellvertretern für Inneres der Räte der Bezirke

ge Sühnezeichen erheblich entscheiden kann.“233

geladen und mit ihnen die Auseinandersetzung

Die unberechenbare kleine Organisation wird zur Belastung für die große

geführt. Aber auch die Kirche muss das Verhal-

Kirche. In den folgenden Jahren wird die Frage virulent bleiben, wer die-

ten missbilligen, da ihr solche Aktivitäten nicht

ses Risiko auf sich nimmt: Soll – oder muss – Aktion Sühnezeichen die

zustehen.“ (Aktenvermerk über ein Gespräch des Staatssekretärs mit Bischof D. Schönherr und Dr.

Zugehörigkeit zur Inneren Mission gegen die direkte Zuordnung zum Kir-

Bosinski am 20.10.1972 [Verteiler: Staatssekretariat,

chenbund eintauschen? Dieser Wechsel könnte die Fusion mit anderen

ZK der SED, Räte der Bezirke, Fernsehfunk], Bundes-

Gruppen und damit die Entschärfung des bisherigen Auftrags bedeuten:

archiv Berlin, DO 4/598).

„Eventuell Aufgabe des bisherigen Namens von Sühnezeichen. Wir würden dagegen mehr als bisher Modelliertruppen von Arbeitskreisen wie Kirche und Gesellschaft, Ökumene. Eventuell Beauftragung mit Problematik wie Rassenfrage/Ökumene Genf“, befürchtet Christian Schmidt.234


146

„Man hätte nichts gegen Aktion Sühnezeichen. Die staatlichen Stellen sind aber genau über die Roßbacher Tagung informiert, obwohl noch

Die Haltung von Aktion Sühnezeichen ist eindeutig: Weder ist die

nichts offiziell bekannt gegeben wurde, führte Bruder Hamann [Innere Mission; G.K.] aus. Der

Organisation bereit, die Kontakte nach Polen aufzugeben, noch die

Leitungskreis nahm das zur Kenntnis.“

Autorität des Diakonie-Direktors als bindend anzuerkennen. Auch

Protokoll der Leitungskreissitzung vom 11./12.6.1971,

dessen Anregung, es mögen sich Vertreter von Sühnezeichen, Diakonie und Kirchenleitung zu einem Gespräch beim Staatssekretariat für Kirchenfragen einfinden, wird als Domestizierungsversuch abgelehnt. Christian Schmidt erläutert: „Unsere Chance war bisher, dass wir allein mit dem Staatssekretariat reden konnten. Dann war es immer unsere Sache, welche Konsequenzen wir aus solchen Unterredungen ziehen. In dem Moment, wo Vertreter der verfassten Kirche hinzugezogen werden, könnten wir in eine verhängnisvolle kirchliche Umklammerung geraten und den [von] uns bisher gehabten Raum der Freiheit im Handeln verspielen.“235 Die Freiräume allerdings werden auch so kleiner. In einem Gespräch, das Christian Schmidt ohne kirchliche Flankierung mit Vertretern des Referats für Kirchenfragen beim Berliner Magistrat und des Staatssekretariats für Kirchenfragen am Tag vor Heiligabend 1970 führt, wird ihm unmissverständlich erklärt, „diesmal sei die Lage ernster“ als bei früheren Unterredungen. Moniert wird, dass die SühnezeichenVerantwortlichen die Jahrestreffen nicht polizeilich anmeldeten, dass sie widerrechtlich eine Geschäftsstelle in Berlin betrieben, dass in Vorträgen und Arbeitsgruppen „westliche Politik getrieben“ und die DDR verächtlich gemacht werde. Aktion Sühnezeichen wird in die Enge getrieben – und durchleuchtet. Es ist den Aktiven bewusst, dass dem Staat genaue Informationen etwa über ihre Reisen nach Polen vorliegen. Christian Schmidt vermerkt, Mitglieder des Leitungskreises würden von Organen der Staatssicherheit „in internen Gesprächen“ befragt – „offenbar in der Absicht, zu untersuchen, ob Sühnezeichen gegen Sicherheit und Ordnung unseres Staates verstößt. Es könnte durchaus sein, dass die Sicherheitsorgane für das Vorgehen der übrigen Staatsorgane die Beweismittel zu erbringen [haben].“ Selbstbewusstsein ist gefragt – und Klarheit über „Sinn und Aufgabe von Aktion Sühnezeichen“. Um das eigene Profil fürs neue Jahrzehnt

EZA 97/1754.


KApitel 5. Frieden macht arbeit 147

Drei Beispiele für das ausgeweitete Themenspektrum: „Nirgends sind ‚Sühnezeichen‘ der satten Völker, wie wir sie verstehen, dringender als in der Dritten Welt“, heißt es im Monatsbrief

und die neuen Herausforderungen zu schärfen, lädt die Leitung für

September 1970, der die Zusammenarbeit mit

März 1971 zu einer Klausurtagung ein. Drei Tage lang wird in Roßbach

der Aktionsgemeinschaft für die Hungernden

bei Naumburg diskutiert – bis in die Nächte, wie im Monatsbrief Mai zu

bekräftigt. Am 1. Juli 1974 ist Aktion Sühnezeichen Mitver-

lesen ist. Nicht schlafen ließ die Sühnezeichen-Freunde – wieder ein-

anstalter eines Gemeindeabends „Bericht über

mal – die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung.

Chile“ in der Sophienkirche Berlin – neben der

„Für manchen Betrachter sieht sich die Arbeit der Aktion so an, als sei sie

Sophiengemeinde selbst, der ESG, dem Öku-

Schmalz und nicht Salz der Welt. In diesem Zusammenhang wurde sehr

menischen Jugenddienst und der Christlichen Friedenskonferenz. Der Monatsbrief Juni/Juli

ernsthaft die Frage gestellt, ob wir bei unserer Konzentration auf den Ver-

1974 kommentiert: „Die Parallelen zu unserer

söhnungsdienst ganz übersehen haben, dass der Sozialismus für ein besseres

deutschen Vergangenheit sind unverkennbar:

und menschenwürdigeres Leben eintritt. Einige meinten, dass unsere Arbeit

der Faschismus in seiner brutalen Form.“

darunter gelitten habe, dass Aktion Sühnezeichen keine klare Stellung zur

„Aufruf zur Sammlung für Vietnam auf dem Jahrestreffen der Aktion Sühnezeichen am

DDR bezogen hat.“236

30.12.1972: [...] Eine so schrecklich gemarterte

Das soll jetzt nachgeholt werden. Die „Roßbach-Papiere“, die an die

Bevölkerung verdient unser tiefes Mitgefühl

Mitglieder des Leitungskreises, die Leiter der Sommerlager und der

und unsere Hilfe. Wir sind uns einig – dessen

Bezirksgruppen verschickt werden und einer Selbstverständnisdis-

bin ich sicher – im Abscheu gegen die verantwortungslos handelnden Männer der

kussion dienen, die schließlich ins Jahrestreffen münden soll, sind

amerikanischen Regierung und die Militärs,

ein Dokument des guten Willens: „Wir wissen uns mitverantwortlich

die trotz des greifbar nahen Friedensabschlus-

für die weitere Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft und neh-

ses die Fortsetzung des Krieges in Südostasien

men aktiv an ihrem Aufbau teil, weil durch sie Gerechtigkeit und eine

angeordnet haben. Wir rufen Sie zu einem Geldopfer auf !“ (zitiert im Monatsbrief Februar 1973).

bessere Ordnung des menschlichen Zusammenlebens erreicht werden kann.“237 Schnell allerdings geht das Statement zum eigenen Beitrag über: Auch in einer guten Ordnung bedürfe es der heilenden Kraft Christi, heißt es fast trotzig. Und mutig wird der Aufgabenbereich von Sühnezeichen ausgeweitet „auf all die Menschen, denen heute Unrecht geschieht durch Gewalt, Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit. Zugleich ist uns das Schicksal der Hungernden, Alten, Körperbehinderten und Hirngeschädigten verpflichtender Gewissensaufruf.“ Ein bleibender – und als solcher formulierter – Dissens bestand in Roßbach in der Frage, ob und wie Sühnezeichen sein Anliegen in Resolutionen und Stellungnahmen öffentlich kundtun solle. Konsens hingegen war die Praxis. Die Sommerlager, zwei oder drei Wochen gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens, waren die zentrale Lebensäußerung der Aktion Sühnezeichen in der DDR. „Praktika der Versöhnung“ wird sie der Monatsbrief vom Oktober 1976 nennen; im Jahr der Roßbach-Ta-


148

Das Kinderkrankenhaus Warschau wurde am Stadtrand der polnischen Hauptstadt gebaut und sollte ein Denkmal für alle Kinder sein, die

gung resümiert Mitarbeiter Hans-Detlef Peter nach dem Lagersommer:

im Zweiten Weltkrieg gelitten haben und umgekommen sind. Der Bund der Evangelischen

„Unsere Erfahrung hat sich erneut bestätigt, dass das Zeugnis der Tat

Kirchen in der DDR unterstützte das Projekt

vor dem Reden und Diskutieren zu stehen hat.“238

mit Spenden. Er war auch der offizielle Veranstalter der Arbeitseinsätze aus der DDR.

Nun empfahl es sich für manche Aktivitäten auch aus taktischen Gründen, einfach zu handeln, ohne sie an die große Glocke zu hängen. So

Das Wegfallen der Visumspflicht führte auch

tauchten im offiziellen Programm, das jährlich verschickt wurde, mit

umgekehrt zu einem Zuwachs an polnischen

Ausnahme der Einsätze im Kinderkrankenhaus Warschau Lager in Polen nicht auf. (An dieser konspirativen Vorgehensweise änderte auch

und tschechischen Gästen in der DDR. Der Monatsbrief März 1972 bittet die SühnezeichenFreunde um Gastfreundschaft: „Wenn zu uns

das Wegfallen der Visumspflicht für die sozialistischen Nachbarlän-

einer kommt und um ein Nachtquartier in

der ab 1972 nichts.) Auf die polizeiliche Anmeldung der Jahrestreffen

Dresden, Weimar, Magdeburg, Rostock usw.

wurde ebenfalls verzichtet – lediglich die Kirche wurde in Kenntnis gesetzt: „Angesichts möglicher Komplikationen möchte ich gerne, dass

bittet, dann geben wir ihm einen Zettel in die Hand mit Anschriften von Freunden, die wir in den jeweiligen Städten kennen. Damit schicken

Sie über unser Vorhaben, zu dem wir wieder 300 Teilnehmer erwarten,

wir ihn auf die Reise. Wenn der- oder diejenige

informiert sind“, schrieb Christian Schmidt beispielsweise Ende 1972

dann an Ihre Tür klopft, sind Sie gefragt, ob

an Oberkonsistorialrat Manfred Stolpe.239

Sie selbst oder einer Ihrer Bekannten eine Möglichkeit der Beherbergung anbieten kann.

Der Primat der Praxis galt aber auch für die legalen, veröffentlich-

Jeder Ausländer bekommt von uns mehrere

ten Einsätze. Die handwerkliche oder soziale Arbeit war konkret, die

Adressen. Ist beim ersten eine Beherbergung

Aufgabe klar umrissen. So bescheiden war dieses Engagement, dass die

nicht möglich, so soll er die anderen Anschrif-

Verantwortlichen selbst befürchteten, es könnte nicht ernst genom-

ten aufsuchen. Nicht immer wird dabei eine telefonische oder telegrafische Rückfrage im

men werden: „Vielleicht belächelt manch einer unsere Dienste mit der

Voraus von uns möglich sein. Darum müssen

Zielrichtung, für Versöhnung und Frieden einzutreten. Vielleicht hält

wir das Improvisieren lernen.“

sie mancher für Sandkastenspiele“, schreibt Christian Schmidt zum Lagerplan 1970. Und kontert sofort: „Diese Bedenken weisen wir ab.“240 Denn die Arbeit vor Ort weist doppelt über sich hinaus. Zum einen steht im Hintergrund das Wissen um die „Probleme und Konflikte im Weltmaßstab“: Schmidt zitiert Alexander Mitscherlich und den Ökumenischen Rat der Kirchen, um auf die atomare Bedrohung, den Welthunger, Massenarbeitslosigkeit und Bürgerkriege hinzuweisen.241 Zum anderen sollten die kurzen Sommerwochen biografisch nachhaltig wirken. „Generalprobe“ hat Dietrich Erdmann die Einsätze genannt: „Was sollen diese zwei Wochen, wenn danach alles beim Alten bleibt?“242 Die Bewährung sollte im Alltag folgen, wenn neue Einstellungen und Maßstäbe zum Tragen kamen.


KApitel 5. Frieden macht arbeit 149

„Diese Lager unterscheiden sich von jedem anderen auch durch die andere Arbeitszeit. Der Arbeitseinsatz beträgt täglich nicht sechs, sondern 24 Stunden. Es sind Lager, in denen die Beziehung, die Kommunikation einmal zu dem

Friedensarbeit ohne proklamatorischen Charakter, vielmehr konkre-

eigenen [= dem zur Betreuung zugeordneten;

te „kleine Schritte zum andern hin“243 – nirgends wurde das so sinn-

G.K.] Kind, dann zu allen Kindern und der

fällig wie in jenem Arbeitszweig, der unter dem Stichwort „Alt-Karin“

Betreuer untereinander eine ständige Herausforderung bildet. Die Phantasie wird angeregt,

zur Sommerlager-Legende werden sollte. Die erste Rüstzeit mit geistig

nach Kommunikationsformen zu suchen, wenn

behinderten Kindern unter Sühnezeichen-Ägide fand 1975 in Rothen-

die Möglichkeit einer verbalen Verständigung

burg in der Niederlausitz statt. Ein Teilnehmer beschreibt seine Erfah-

fehlt. Die seelische und körperliche Anspan-

rungen als produktive Verunsicherung:

nung, der alle Betreuer ausgesetzt sind, macht sensibel für die Situation des Anderen, macht

„Ich glaube, dass die Arbeit mit hilfsbedürftigen (eben auch z.B. geistig behin-

aufmerksam und führt zu einer selbstverständ-

derten) Menschen für jeden jungen, gesunden Menschen ungeheuer wichtig

lichen Hilfsbereitschaft. Das Da-Sein für den

ist. Das gängige Menschenbild ( jeder ist das wert, was er leistet) wird auf

Anderen und das Nächstliegende-Tun wird

praktische Weise in Frage gestellt. Der gesunde, junge Mensch lernt durch

zur Alltäglichkeit. Man tut – und reflektiert nicht, diskutiert vorher nicht lange. Dazu hat man meist gar keine Zeit. Manchmal muss man

die Arbeit mit hilfsbedürftigen Menschen, wie diese scheinbar wenig werten Menschen für ihn zu einer großen Hilfe werden.“244

blitzschnell zugreifen, um ein Kind vor Scha-

1976 begannen Instandsetzungsarbeiten an einem alten Pfarrhaus im

den zu bewahren. Man ist im wahrsten Sinn des

mecklenburgischen Alt-Karin, das bereits ab diesem ersten Jahr für Fe-

Wortes immer auf dem Sprung. [...] Erfahrungen ganz anderer Art – wie es den El-

rien mit geistig behinderten Kindern genutzt wurde. Diese Arbeit griff

tern in etwa zumute ist – konnten wir machen,

ein Lebensthema des alten Kreyssig auf, und mit Sach- und Geldspen-

wenn wir die ‚Oase‘ Alt-Karin verließen und uns

den beteiligte sich die Sühnezeichen-Gemeinde. „Das ‚Experiment Alt-

in öffentlichen Verkehrsmitteln, auf Straßen

Karin‘ ist für uns ein Beispiel, wie Volk Gottes ‚unterwegs‘ sein kann“,

oder am Ostseestrand als Gruppe bewegten. Wir hatten oft vergessen, dass die Kinder nicht

schrieb Hans-Detlef Peter im Monatsbrief Oktober 1978. Inzwischen wa-

den ‚Normen der Umwelt‘ entsprachen – so

ren hauptamtliche Hauseltern eingezogen, ein Vorstand aus Diakonie,

selbstverständlich war das Zusammenleben in

Sühnezeichen und Landeskirche zeichnete für das Rüstzeit- und Erho-

aller Fröhlichkeit, Ausgelassenheit und allen

lungsheim verantwortlich.

Überraschungen, die uns die lieben Kleinen mit ihren Einfällen boten. Erst wenn wir Alt-Karin verließen, wurden wir erinnert. Durch die Reak-

Mitte der siebziger Jahre scheint die Arbeit der Aktion Sühnezeichen

tion der Leute. Das ging vom Wegsehen, verlet-

in der DDR wenn nicht etabliert, so doch einigermaßen abgesichert.

zenden Bemerkungen, aufdringlicher Neugier-

Doch das Friedensengagement im Friedensstaat bleibt eine Gratwande-

de bis zur wunderbaren Hilfsbereitschaft.“ Gabriele Weiß (in den achtziger Jahren bei Aktion

rung – Bestreitung der Arbeit heißt die eine Gefahr, Vereinnahmung die

Sühnezeichen für die Behindertenarbeit zuständig),

andere. Anfang 1975 steht der Leitungskreis vor einer schwierigen Ent-

Meine Erfahrungen mit Aktion Sühnezeichen

scheidung. Der Ökumenische Jugenddienst hat zur Vorbereitung eines

(Referat zum Jahrestreffen 1986), Privatarchiv

Gottesdienstes zum Gedenken an den 8. Mai 1945 Sühnezeichen, die

Gabriele Weiß.

Gossner Mission, die Evangelischen Studentengemeinden, das Stadtjugendpfarramt und die Christliche Friedenskonferenz eingeladen. Diese Koalition wirft politisch-strategische Fragen auf, wie das etwas


150

Vor den jüdischen Gemeinden sind es einzelne Juden, mit denen ASZ in Kontakt kommt – und hier vor allem Freunde aus dem Ausland. Ab

unhandliche, aber aufschlussreiche Verlaufsprotokoll einer Leitungs-

1974 informiert Irma Lauscherová die Leser der Monatsbriefe fortgesetzt über jüdische Feste

kreissitzung im Januar 1975 zeigt:

und Riten, 1975 ist ein Vortrag von Josef Bor der

„Martins: schwierige Sache. Staatliche Propaganda. Wir müssen aufpassen,

Anlass für eine Einladung der jüdischen Ge-

dass wir nicht offene Türen einrennen, bzw. die Leute überhaupt erreichen und nicht das Gegenteil bewirken. [...] Otto: Die Problematik muss vergegen-

meinde in Berlin an Sühnezeichen. 1978 macht ASZ den 30. Jahrestag der Reichspogromnacht zum Thema des Jahrestreffens. In seinem

wärtigt werden – nicht einfach Parolen wiedergegeben werden. Zollmann:

vorbereitenden Artikel Die Kristallnacht – ein

Wenn es ein Gottesdienst wird, bestehen überhaupt keine Bedenken – wenn

theologisches Problem? im Monatsbrief 1978 ver-

aber diese Gruppe eine politische Veranstaltung daraus macht – dann nicht. Gemurmel im Saal: ‚Aha, Sie sind also der Meinung, dass manche Gruppen zusammen keinen Gottesdienst feiern können!‘ [...] Magirius: An sich hät-

weist Stefan Schreiner auf westdeutsche und amerikanische Diskussionen – die Theologie nach dem Holocaust erreicht ASZ zeitgleich mit ASF.

te ASZ von sich aus daran denken können. Aber durch die Einladung von Gutsch [Ökumenischer Jugenddienst; G.K.] sind wir etwas in Zugzwang geraten – wir sollten das aber auf jeden Fall nutzen, den Versuch wagen, um unseres Auftrages willen.“245 Der Versuch wird gewagt. Allerdings wird der Gottesdienst am 6. Mai flankiert von zwei Aktionen, die den Bußcharakter des Tages

„Man müsste diesen Weg einmal ‚nachgehen‘ – dieser Gedanke fand in einer Gruppe der Aktion Sühnezeichen lebhaftes Interesse und setzte uns in Bewegung. Wir trafen Vorbereitungen, indem wir in den an der Strecke liegenden Pfarrhäusern um Quartier baten und vieles

betonen sollen. Zum einen wird im Gottesdienstheft zu Einsätzen

andere vorbedachten ...

auf dem jüdischen Friedhof Weißensee an zwei Sonntagen im Mai

Aus dem Gedanken ist Wirklicheit geworden.

aufgerufen: „Diese Plätze zu pflegen ist jüdischem Gesetz zufolge eine vornehmliche Pflicht. Der Wunsch, die Friedhöfe in einem würdigen Zustand zu erhalten, ist mit den Möglichkeiten der Gemeinde nicht zu verwirklichen. Dabei mitzuhelfen bitten wir alle, die sich der jüdischen Gemeinschaft unserer Stadt verbunden fühlen“, schreibt Peter Kirchner, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde.246

Wir haben zunächst die Gedenkstätte Sachsenhausen besucht und uns dann auf den Weg gemacht. Wie wohltuend ist jedes Mal der erste Becher Saft am Etappenziel nach einer durchschnittlichen Tagestour von 28 Kilometern Fußmarsch! Und dann immer wieder die Frage: Warum macht ihr diesen Marsch? Und fast genauso häufig die andere: Wir wissen von diesem

Und explizit unter der Verantwortung von Aktion Sühnezeichen fin-

Marsch eigentlich nichts Genaues, könnt

det am 31. Mai ein „Weg der Besinnung“ von Oranienburg zum ehemali-

ihr uns informieren? Aber nicht nur in den

gen Konzentrationslager Sachsenhausen statt. Beide Einsätze sollen das eigene Profil der Aktion Sühnezeichen stark

Pfarrhäusern und bei den Quartiersleuten begegnen uns diese Fragen. Auch unterwegs – auf Dorfstraßen oder auf Wanderwegen – treffen

machen und erschließen dabei neue Arbeitsfelder für die kommenden

wir Menschen, die uns fragen, zuerst belustigt:

Jahre – über den kirchlichen Bereich hinaus: Kontakte zu jüdischen Ge-

‚Was sind das für Urlauber, die viele Kilometer

meinden werden intensiver, Arbeiten auf Friedhöfen häufiger. Den Gedenkstätten an Orten ehemaliger Konzentrationslager auf dem Gebiet der DDR nähert sich Sühnezeichen durch „Pilgerwege“ an: 1978 entlang

bei jedem Wetter zu Fuß gehen?‘ Wir erzählen ihnen von unserem Weg. Wir weisen sie neu auf die Gedenktafeln hin, die sie schon lange kennen – zu lange, um sie noch richtig zu beachten.“ Aus: Ludwig Seyfarth, Pilgerweg Sachsenhausen – Schwerin 1978, Bericht im Monatsbrief Oktober 1978.


KApitel 5. Frieden macht arbeit 151

dem Evakuierungsweg der Häftlinge von Sachsenhausen, 1979 brach man in Buchenwald auf. Das beherrschende Thema der späten Siebziger jedoch ist ein klassisches Sühnezeichen-Thema: der Frieden. Internationale Entwicklungen nähren die Sorge um den Weltfrieden: Der NATO-Doppelbeschluss, der sowjetische Einmarsch in Afghanistan und Fortschritte in der Waffentechnologie, die den Einsatz von Atomwaffen in den Bereich des Vorstellbaren rücken, heben den Ost-West-Konflikt auf eine neue Eskalationsstufe. In den Monatsbriefen der Aktion Sühnezeichen hat die regelmäßige Auseinandersetzung mit Fragen von Frieden und Abrüstung allerdings ein konkretes Ausgangsdatum: Zum 1. September 1978 wird der Wehrkunde-Unterricht an Schulen der DDR verpflichtend eingeführt. Die Kirchen reagieren prompt auf das Bekanntwerden des Beschlusses. Für die katholische Kirche warnt Kardinal Alfred Bengsch vor der „Weckung eines Freund-Feind-Denkens“, für die evangelische schreibt Albrecht Schönherr an das Staatssekretariat für Kirchenfragen: „Ein von Angst und Bedrohung bestimmtes Sicherheitsdenken stellt nach unserer Überzeugung keinen Schritt auf mehr Frieden dar, weil es zu Handlungen führt, die auf der Gegenseite ebenfalls Angst erzeugen und zur Gegendrohung verleiten.“247 Die Überlegung, „Erziehung“ zum Thema eines Jahrestreffens zu machen, wird bald verworfen. Die deutlichste Positionierung der Aktion Sühnezeichen geschieht eben nicht durch Worte, sondern im Leben und Arbeiten. „Sicherheit“ sei in den zwischenmenschlichen, gesellschaftlichen und politischen Beziehungen zu einem Schlüsselbegriff geworden, analysiert Joachim Garstecki, Studienreferent für Friedensfragen beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, in seinem Gastvortrag beim Jahrestreffen Ende 1979. Den bei Sühnezeichen Engagierten spricht er Mut zu in ihrem Einsatz für Strategien jenseits der militärischen Friedenssicherung, für quasi zivilgesellschaftliche Abrüstungsinitiativen: „Unterhalb der politischen Ebene gibt es einen weitgefächerten Raum, in dem Menschen durch Gewährung von Offenheit und Vertrauen ein Klima


152

„Vertrauensbildung beginnt mit der Anerkennung des Gegners in seinem Selbstverständnis. Deshalb unterstützen wir den umfassenden

des Friedens schaffen können, das für menschliches Zusammenleben nicht

Dialog zwischen allen Gruppen und Kräften in Ost- und Westeuropa, die für politische

unwichtig ist. Was in der Sprache der Politiker ‚alternative Sicherheitskon-

Entspannung und für eine stabile Friedensord-

zepte‘ genannt wird, muss eingeübt und ausprobiert werden in alternativen

nung auf unserem Kontinent eintreten.

Formen gegenseitigen Sichermachens. [...] Vielleicht sind es gerade die ungelösten Aufgaben der Sicherheit, die dem Gedanken der Versöhnung in der

Wir haben festgestellt, dass es uns trotz unterschiedlicher Einschätzung der Situation in verschiedenen Punkten möglich ist, zu

Aktion Sühnezeichen einen neuen ‚Leib‘ geben können, so dass ‚Arbeit an der

einer gemeinsamen Aussage zu kommen. Die

Infrastruktur der Versöhnung‘ künftig heißen könnte: Arbeit an einer neuen

folgenden Schritte, die in der Konsultation eine

Weise, Sicherheit zu gewähren und darin selber sicher zu werden.“248 Die kirchliche Anbindung der Aktion Sühnezeichen vermittelt ihr An-

besondere Rolle gespielt haben, halten wir für wichtig: gemeinsame Analyse (durch beide Militärblöcke) der gegenseitigen militärischen

schluss an ökumenische Diskussionen. Die Monatsbriefe berichten über

Sicherheitsbedürfnisse und Strategien [...],

ein Treffen des „Nationalen Christenrates der USA“ mit den evangeli-

Aussetzung der Realisierung des Brüsseler

schen Kirchen der DDR und einigen Freikirchen im April 1978 ebenso wie von der Konsultation der theologischen Studienabteilung des Kir-

NATO-Ratsbeschlusses über Mittelstreckenraketen [...], Prüfung vertrauensbildender Maßnahmen zur militärischen und politischen

chenbundes (ein eigenes Referat für Friedensfragen besteht hier seit

Entspannung [...], Stärkung von ökonomischen

1971) mit dem Interkirchlichen Friedensrat der Niederlande im Mai 1980.

Interdependenzen in Europa als friedenssi-

Im Herbst 1980 beteiligt sich Aktion Sühnezeichen an Veranstaltungen im Rahmen der ersten Friedensdekade, die ein westdeutsches Pendant

chernde Faktoren. [...] Wir erklären, dass wir uns an einem mit solchen Waffen geführten Krieg nicht beteiligen werden. Wir verstehen

hat; im Frühsommer desselben Jahres hat mit dem Leiter Friedrich Ma-

diese Aussage als die heute unausweichlich ge-

girius erstmals ein Vertreter der ASZ am „Festival der Friedensdienste“

wordene Konsequenz eines Zeugnisses für den

im niedersächsischen Beienrode bei Königslutter teilgenommen.

Frieden, das im Evangelium vom befreienden Handeln Gottes in Jesus Christus gründet. [...] Wir hoffen, dass dieses Schreiben eine Unter-

Will man den Erfolg der Arbeit in Zahlen messen, so ist das Jahr 1979

stützung des Programms des Ökumenischen

ein Spitzenjahr für ASZ. Die Spenden steigen,249 es werden mehr Som-

Rates der Kirchen für Abrüstung darstellt, und

merlager angeboten,250 und mit hundert Teilnehmern mehr als üblich platzt das Jahrestreffen aus allen Nähten.251 Offensichtlich trifft das Angebot der Aktion Sühnezeichen einen Nerv der Zeit. Gegen die Resignation angesichts der globalen Überrüstung setzt Leitungskreismitglied Joachim Stellmacher im Monatsbrief Oktober 1979 das konkrete

bitten unsererseits um die Hilfe des ÖRK bei der Realisierung der oben genannten Schritte. Wir sind dankbar für die Zusammenarbeit und gegenseitige Ermutigung durch die Konsultation, die am 40. Jahrestag des Beginns der deutschen Okkupation der Niederlande stattfindet.“

Engagement. Als erreichbare Teilziele für den Einzelnen schlägt er vor,

Aus einem Brief von Götz Planer-Friedrich, Leiter

„Arbeitskollegen für die laufenden Rüstungsbegrenzungs-Verhandlun-

der Theologischen Studienabteilung des Bundes der

gen zu interessieren, an einem Sühnezeichen-Lager teilzunehmen oder eine Gemeindeveranstaltung über Probleme der Entwicklungsländer

Evangelischen Kirchen in der DDR, und Ben ter Veer, Vorsitzender des niederländischen Interkirchlichen Friedensrates, an den Generalsekretär des Weltkir-

vorzubereiten“. Kurze Arbeitseinsätze mit Schaufel oder Windel in ei-

chenrates in Genf, Philip Potter, vom Mai 1980, in

nem Atemzug mit Abrüstung und Welthunger – in dieser Erdung des

voller Länge zitiert im Monatsbrief Juni 1980.


KApitel 5. Frieden macht arbeit 153

Die Vorsitzenden der Friedenswoche – die mit Koordinationsbüro, Geschäftsführerin, Organisationsrat, Vorstand und wissenschaftlicher Begleitung ein ausladendes Unternehmen darstellte – resümierten:

Friedensengagements liegt der Charme der Aktion Sühnezeichen in

„War schon im Klärungsprozess unter den

apokalyptischen Zeiten.

Gruppen die Überwindung von Misstrauen nicht leicht, so erwies sich die Überwindung von Misstrauen, Verleumdungen und Verdächtigungen seitens rechter und bürgerlicher Gruppen, in Behörden, im Polizeipräsidium, in Kirchengemeinden, Zeitungsredaktionen, Werbeabteilungen, Senatsdienststellen als besonders gutes Übungsfeld fürs Kennenlernen

Von Friesenhausen zur Friedenswoche: ASF als Friedensbewegung

„Frieden schaffen ohne Waffen.“ Auf einmal war dieser Satz omnipräsent. Das Motto – veranschaulicht im Bild einer Kanone mit verkno-

von struktureller Gewalt. Das zeigte sich u.a.,

tetem Rohr – lud im November 1980 in 350 Orten der Bundesrepublik

als die Falschmeldungen der Springer-Presse,

zu Veranstaltungen ein: zu Friedensmärschen und Vorträgen, zu Podi-

Lummers Verleumdungen [der West-Berliner

umsdiskussionen und Filmen, zu Gesprächen in Seniorenkreisen oder

CDU-Vorsitzende hatte sich beim Bundespräsidenten über die ‚Linkslastigkeit‘ der Frie-

Schulen, zu Theater- oder Liederabenden, Kriegsspielzeug-Umtausch-

denswoche beschwert; G.K.] erschienen und

aktionen, zu Ausstellungen, zu Begegnungen mit ausländischen Ar-

als uns die Kongresshalle verweigert wurde, als

beitnehmern und ihren Familien, zu Festen – und über tausend Mal zu

Lautsprecherwagen gestoppt wurden, Hilfen

Gottesdiensten.252 Die erste bundesweite Friedenswoche übertraf bei

von Seiten der Landeszentrale für politische Bildung verweigert, kein Pfennig Lotto-Geld

weitem die Erwartung der Initiatoren, der Aktionsgemeinschaft Dienst

bewilligt, aber auch nie abgelehnt, sondern

für den Frieden und der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.

immer nur vertagt wurde. Auf der anderen

„Frieden schaffen ohne Waffen.“ Der Satz war grenzüberschreitend,

Seite haben maoistisch geprägte Gruppen

denn ohne dass es eine Absprache gegeben hätte, stand er auch über

zahlreiche Versuche unternommen [...], unsere Veranstaltungen für die jeweiligen eigenen

der ersten Friedensdekade, die eine Woche vor der bundesdeutschen

Zwecke umzufunktionieren“ (Dr. Hanselmann,

Friedenswoche in Kirchengemeinden der DDR stattfand.

Th. Hardtmann, W. Liebchen [für den Vorstand;

„Frieden schaffen ohne Waffen“ – der Leitsatz der Friedenswochen

G.K.], Bericht: Friedenswoche ‘73 an alle Basisgrup-

klang so eingängig und einleuchtend, als sei er schon immer in der

pen und Interessenten, EZA 97/11).

Welt gewesen. In Wirklichkeit aber war es ein langer und beschwerlicher Weg, bis ASF sich das Motto auf die Fahnen schreiben und zu einem zentralen Akteur der bundesdeutschen Friedensbewegung werden konnte. Dieser Weg begann mit der Gründung 1958, die ja auf jener Synode in Berlin-Spandau stattfand, die Atomwaffen zum Thema machte. Das Problem der weltweiten Aufrüstung begleitete fortan die Aktion Sühnezeichen, doch ebenso die Zähigkeit der Spandauer Debatten. Im Juni 1973 hatte eine West-Berliner Friedenswoche, an der sich auch ASF beteiligte, exemplarisch gezeigt, was für ein Politikum die Zusammenarbeit von christlichen und linken Gruppen, von Kulturprojekten


154

„Kurz zusammengefasst sollte eine Wohngemeinschaft ein Modell einer neuen Lebensform entwickeln, in der Sozialisations- und Huma-

und Bürgerinitiativen darstellte. 1974 war das Unterfangen einer über-

nisierungsprozesse geübt und fundiert werden. Sie sollte gleichzeitig ein Unruheherd sein, der

regionalen Friedenswoche im Stadium einer Idee stecken geblieben.253

durch eigenes Engagement die Lethargie der

In den folgenden Jahren blieb es bei einzelnen Experimenten dieser Art,

eingemotteten Konsumbürger durchbricht,

bei örtlichen Friedenswochen hier und dort. Auf dem Friedensengagement des westdeutschen Protestantismus

politische Bildungs- und Lernprozesse für immer mehr Menschen in Gang bringt und ihnen dadurch zu einem anderen Verhalten

lag bleiern der 1958 gefundene und ein Jahr später in Heidelberg in The-

zum Mitmenschen und zu einem kritischen

sen gegossene Kompromiss, dass ein Friedensdienst nicht nur ohne,

Bewusstsein gegenüber unserer derzeitigen

sondern auch mit Waffen denkbar sei. Was damals unter den zeitlichen Vorbehalt eines „Noch“ gestellt und mit dem Auftrag zur Weiterarbeit

Gesellschaftsordnung verhilft.“ Margarethe von Trotha (Vorstandsmitglied ASF), Wohngemeinschaften – Warum?, in: zeichen 2/1974

versehen worden war, war längst zur Legitimation eines friedensethi-

(Thema: Nach dem Friedensdienst im Ausland: Was

schen Stillstands geworden. Der so harmlos klingende Reim vom

fangen wir mit den Erfahrungen in der Bundesrepu-

„Frieden schaffen ohne Waffen“ kündigte den protestantischen Kompromiss auf. 1980 hatte sich ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis

blik an?), S. 5-8; hier S. 6. „Anfangs genügte uns wohl als Beschäftigung diese raumgestalterischen Arbeiten, neben den

gegen Massenvernichtungswaffen gefunden. Erst jetzt war die Zeit reif

ersten Schritten auf dem neuen Feld Universi-

für bundesweite Kooperationen.

tät und neben den immer wichtiger werdenden

Ein erster Ansatz zur Vernetzung hatte fast privaten Charakter: Akti-

Gruppengesprächen. Bei letzteren mussten die vielen kleinen täglichen Hürden überwunden werden. Da kamen dann Diskussionen auf über

on Sühnezeichen und die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden

unsere unterschiedlichen Vorstellungen zu

luden ehemalige und zukünftige Freiwillige, Mitglieder und Freunde

alltäglichen Dingen wie Ordnung und Sauber-

für Pfingsten 1974 in das unterfränkische Dorf Friesenhausen: „zur Begegnung [...], zur Kontroverse über Fragen der Politik und des Glaubens, über Möglichkeiten des Engagements, zur Selbstdarstellung der Friedensdienste oder Gruppen durch Plakate, Ausstellungen, Aufführungen u.a., zur gegenseitigen Bereicherung und Besinnung auf den

keit. Wo es bei dem einen schon ungemütlich zu werden begann, weil die anderen sich erst in einem mit möglichst vielen Dingen belebten Raum wohl fühlten, entstanden Lernprozesse, die uns irgendwie weiterhalfen bei dem Anspruch, bewusst zu leben. [...] Je weiter wir bei dem sich entwickelnden Gruppengefühl

gemeinsamen Auftrag“254. Das dortige Schloss bot mit Scheune und

kamen, umso mehr spürten wir das Fehlen

Park den Rahmen. Es gehörte Wolfgang von Eichborn, ASF-Mitglied

einer gemeinsamen Aufgabe, außer der Pflege

und Vorsitzender der AGDF.

unserer Gemeinschaft. [...] Nach den ersten

Wohl keiner der 250 Teilnehmer und auch keiner der Organisatoren

Erfahrungen in der Sozialarbeit wollten wir am liebsten auf diesem Gebiet weiterarbeiten. Wir

ahnten, welche Bewegung sich aus diesem ersten „Festival der Frie-

sind deshalb froh, wenn wir nun in diesen Ta-

densdienste“ entwickeln würde. „Engagement für den Frieden – Zwi-

gen mit der Betreuung von fürsorgepflichtigen

schenspiel oder Experimentierfeld neuer Lebens- und Gesellschafts-

Jugendlichen beginnen.“

formen?“ – der einigermaßen uncharismatische Titel beschrieb das handfeste Anliegen der meisten Teilnehmer: Gesucht wurde der Frie-

Gebhard Zinßer, Werner Schiffauer, Rudolf MüllerSchwefe (ehemalige Freiwillige), Wohngemeinschaft Oranienstr. 14a in Berlin-Kreuzberg, in: Ebd., S. 8.

den im Alltag, die Übersetzung des im Freiwilligendienst oder der FrieFriedensdienst als Kapitalismuskritik – Aktion Sühnezeichen unterstützte die Gewerkschaft der „United Farm Workers“, eine Art frühe Globalisierungsgegner: „Zurzeit arbeiten sechs ASF-Freiwillige in Montreal, Washington, Chicago, Kalifornien


KApitel 5. Frieden macht arbeit 155

und demnächst auch zwei in Philadelphia mit der amerikanischen Landarbeiter-Gewerkschaft ‚United Farm Workers‘ (UFW). Auch in Friesenhausen wurde über die Arbeit mit der UFW informiert: [...] Die Landarbeiter, die zu 85 Pro-

densgruppe geübten Engagements ins normale Leben. Die Fragen, die

zent mexikanischer Herkunft sind, arbeiten als

Gruppen zur Diskussion anregen sollten, waren entsprechend lebens-

Erntehelfer in riesigen, oft Tausende von Hektar

weltlich orientiert:

großen Gemüsefeldern und Fruchtplantagen vorwiegend im Südwesten der USA und in Flo-

„Was empfinde ich an den bei uns üblichen Lebensformen als problema-

rida. Diese unvorstellbar großen Pflanzungen

tisch? Vermitteln die Friedensdienste Erfahrungen neuer Lebensformen

gehören Konzernen wie Nestlé, Coca-Cola und

für Einzelne wie für Gruppen? Was bedeuten dabei Emanzipation und

United Fruit, die einen bedeutenden Teil der US-

Kommunikation? Helfen die Friedensdienste zu neuen Erkenntnissen der

Landwirtschaft kontrollieren. Man spricht vom ‚Agribusiness‘. Anfang der sechziger Jahre hatte

gesellschaftlichen Zusammenhänge und Probleme? Welche Problemlagen

nun der ehemalige Baumwollpflücker Cesar

sind im Verlauf des Einsatzes neu bewusst geworden? Welche Probleme

Chavez begonnen, diese Landarbeiter zu orga-

sollten die Friedensdienste in der Bundesrepublik vorrangig angehen (ge-

nisieren. Unter seiner Führung bildete sich die

sellschaftliche Probleme, gruppendynamische Fragen, politische Aktion)?

UFW, die eine der bedeutendsten gewaltfreien Bewegungen unserer Zeit ist. Die Landarbeiter waren nicht länger mehr bereit, unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten und leben zu müssen. Durch Streiks versuchten sie anfangs, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. [...] Durch einen Konsumenten-Boykott

Welche konkreten Schritte bei den Friedensdiensten geben am ehesten die Chance, echte Alternativen an Lebens- und Gesellschaftsformen aufzubauen?“255 Noch war die Weltrüstung nicht im Fokus. Man übte sich in gepflegter Kapitalismuskritik – als Negativfolie für einen echten Frieden benen-

von Kopfsalat und Trauben versucht jetzt die

nen die Protokolle der Arbeitsgruppen die Kleinfamilie, Massenme-

UFW, die Unternehmer an den Verhandlungs-

dien, Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen, Konsumorientierung

tisch zu zwingen. [...] Cesar Chavez hat auch sei-

und Leistungsdenken.

ne deutschen ‚Brüder und Schwestern‘ aufgefordert, diesen Boykott von Trauben und Kopfsalat

Die Fortsetzung dieses ersten Pfingsttreffens findet in raueren Zei-

aus den USA zu unterstützen. [...] Ehemalige

ten statt. 1975 konstatieren die Friesenhausener einen Rechtsruck: Der

Freiwillige und deren Freunde wollen nun ver-

Radikalenerlass, der Mitgliedern und selbst Sympathisanten linker

suchen, den amerikanischen Landarbeitern zu

Parteien den Weg in den öffentlichen Dienst verwehrt, zunehmender

helfen. Zum einen soll verhindert werden, dass noch mehr ‚Früchte des Zorns‘ hier in Deutsch-

Rechtsextremismus, rechte Wahlerfolge und ein politisch instrumen-

land verkauft werden. Zum zweiten will man

talisiertes Klima der Angst sind diesmal Themen beim Festival. Die

die Arbeit der UFW finanziell unterstützen. [...]

Friedensorganisationen fühlen sich in der Pflicht – „Vom Experiment

In Friesenhausen wurden spontan über 300 DM

zur verbindlichen Zusammenarbeit!“ lautete jetzt ihre Parole, und das

für die Landarbeiter gesammelt“ (Friedensdienst bei den United Farm Workers, in: zeichen-extra (Beilage von zeichen 3/1974 zum Friedensfestival 1974), S. 15 f ).

Motto 1975: „Zwischen Angst und Befreiung“. Allzu schwer sollte der Kampf freilich nicht werden. Die Pfingstfestivals waren zugleich ein Versuch, politisches Engagement mit Sinnlichkeit und Spiritualität zu verbinden. „Keine Referenten, Resolutionen,

„Obwohl viele Probleme in der Kleinfamilie

Agitationen“, vermerkt eine Ideenskizze vom Februar 1975 zum Pro-

gesehen wurden, kann man eine größere

gramm.256 Stattdessen Raum für Gottesdienste, Lagerfeuer, Feier und

Gemeinschaftsform derzeit nicht als einzige

Tanz – zur Not mit der dörflichen Blaskapelle. Als einen „dreitägigen

Alternative anbieten. Einmal stellen sich noch zu viele technische Schwierigkeiten dem entgegen: Wohnungsbau, Geld usw. Zum anderen fehlt aber auch noch ein größerer Erfahrungsschatz von Wohngemeinschaften. Viele fallen auseinander, weil sie sich der immensen Schwierigkeiten nicht bewusst


156

sind. Die Wohngemeinschaft ist noch nicht als Allheilmittel anzusehen.“ Heiner Rosendahl, Protokoll der Arbeitsgruppen 10

Urlaub vom problemorientierten Friedensdienst“ bezeichnete Ulrich Frey von der AGDF die Tage in Friesenhausen.257 Knapp 400 Menschen waren diesmal gekommen, unter ihnen Gäste aus Polen, der Schweiz, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Marokko. Eine Tradition war geboren. Auch 1976 fand wieder

und 11, in: zeichen-extra (Beilage von zeichen 3/1974 zum Friedensfestival 1974), S. 6.

Die Botschaft von Nairobi griff die bundesdeutsche Aktion „Ohne Rüstung leben“ auf, die zu einer Selbstverpflichtung in zwei Sätzen

ein Festival der Friedensdienste statt, nun mit mehr als doppelt so

aufrief: „Ich bin bereit, ohne den Schutz mili-

vielen – nämlich 900 – Teilnehmern. Das dritte Fest hatte mehr po-

tärischer Rüstung zu leben. Ich will in unserem

litischen Biss und mehr internationale Weite. „Den Frieden erkämp-

Staat dafür eintreten, dass Frieden ohne Waffen politisch entwickelt wird.“ In einer Selbstdar-

fen, den Frieden leben“ – unter diesem Motto wurden Weltwirtschaft,

stellung führt die Aktion aus:

Rüstungsindustrie, Ökologie und die politische Verantwortung der

„Wir setzen uns entsprechend den Zivildienst-

Kirchen thematisiert. Die Abschlusserklärung enthielt weitreichende Forderungen:

leistenden ein für die Entwicklung des Friedens ohne Waffen. Bildlich gesprochen: Wir steigen nicht aus, aber um – von einem Zug in den

„Wir treten in der heutigen Situation dafür ein, auch Schritte einseitiger

anderen.

Abrüstung zu bedenken. Rüstungsexporte sind generell einzustellen, insbe-

Wir treffen damit bewusst eine Wahl zwischen

sondere in die Länder Asiens, Afrikas, Lateinamerikas. [...] Von der Evangelischen Kirche erwarten wir, [...] dass sie um des Evangeliums willen die Formel vom ‚Friedensdienst mit und ohne Waffen‘ offiziell aufgibt und praktische Konsequenzen damit verbindet.“258 Was hat zur prägnanten Programmatik von 1976 geführt? Die Abschlusserklärung selbst nennt zwei Impulse von außen: Im Sommer 1975 waren die Verhandlungen der Konferenz für Sicher-

Risiken: Wir sind uns im Klaren, dass auch unser Weg Risiken enthält. Wir gehen aber bewusst das Risiko des Umsteigens ein, weil uns die Fahrt in der alten Richtung als hoffnungslos erscheint. Unsere Aktion geht von unten nach oben. Das heißt, sie geht von den Bürgern aus, nicht von der Regierung. Unser Tun erschöpft sich nicht im Appell, die Inhaber der Macht möchten

heit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki in eine Erklärung ge-

endlich etwas tun. Wir haben uns selbst, wenn

mündet – ein „Fortschritt im weltweiten Entspannungsprozess“ und

auch in der bescheidenen Form, in der uns das

ein Anstoß dazu, „Sicherheit nicht mehr nur militärisch“ zu begreifen, wie die Friesenhausener Erklärung kommentiert. Ebenfalls 1975 hatte der Ökumenische Rat der Kirchen in Nairobi ein Programm zur Bekämpfung des Militarismus beschlossen, in dessen Zentrum die Empfehlung stand: „Die Kirchen sollen ihre Bereitschaft bekunden, ohne den Schutz von Waffen zu leben und bedeutsame Initiativen ergreifen, um auf eine wirksame Abrüstung zu drängen.“259 Damit hatte die ökumenische Friedensdebatte Maßstäbe gesetzt, an denen gemessen der Stand vieler Einzelkirchen, aber auch der vieler einzelner Christenmenschen halbherzig anmutete. Anschluss an die internationale Diskussion zu vermitteln, war für Volkmar Deile, Ge-

allein möglich ist, zum Handeln entschlossen. Unsere Aktion ist nicht primitiv, aber einfach. Unsere Formel ‚Ohne Rüstung leben‘ ist so einfach, dass sie jedes Kind verstehen kann. Sie ist kein Schlagwort, keine Phrase, sie ist realistisch für die Gegenwart und für den Einzelnen: Jeder Kriegsdienstverweigerer verwirklicht sie. Zugleich hat sie eine weite Perspektive: Sie ist eine Hoffnung für die Völker und für die Zukunft der Welt. [...] Wir sehen unsere Aktion an als einen Aufstand des Glaubens und der Vernunft gegen die Gottlosigkeit und den Wahnsinn des Krieges. Wer unseren Glauben nicht teilt, aber unsere Argumente dennoch als vernünftig ansieht und darum unsere Selbstverpflichtung übernimmt, ist uns als Mitstreiter willkommen.“ Ohne Rüstung leben. Selbstdarstellung, in: Bertold Klappert / Ulrich Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden. Theologische Texte zu Frieden und Abrüstung, Wuppertal 1983, S. 12-16, hier S. 14 f.


KApitel 5. Frieden macht arbeit 157

„Ich, Helmut Gollwitzer, geschützt in WestBerlin durch den Stolperdraht der westlichen Besatzung vor der Einkassierung in den roten Sumpf – nein, alle DDR-Freunde hier, das ist ja nur ein westlicher Ausdruck, der ‚rote Sumpf‘,

schäftsführer der Aktion Sühnezeichen seit 1975, die Aufgabe der frän-

also besser gesagt: geschützt durch den west-

kischen Friedensfestivals:

lichen Stolperdraht vor der Eingemeindung in

„Es gilt, neben dem partiell verwirklichten Entwicklungsbewusstsein in Be-

die DDR, ich sollte meine Bereitschaft betonen, ohne Waffen zu leben. Das bedeutet: Wenn das

zug auf unser Verhältnis zur so genannten Dritten Welt ein entsprechendes

Evangelium des Friedens uns erzählt vom Gott

Friedensbewusstsein zu schaffen. Militarismus, Rüstung, Waffenexport

des Friedens, der sich aufgemacht hat, um sei-

sind allzu selbstverständliche Dinge, kritische Öffentlichkeit fehlt weitge-

ne Menschheit zu retten vor dem Selbstverder-

hend. Weltweite Abrüstungsbemühungen werden kaum aufgenommen, die

ben, der Selbstzerstörung durch gegenseitigen Hass und Krieg, der dazu gesammelt hat eine

Frage unseres persönlichen Verhältnisses und Verhaltens zu den sichtbaren

Friedensgemeinde, dann wird mir als Glied

Bedrohungen des Lebens auf dieser Erde ist kaum als Frage bewusst. Friesen-

dieser Friedensgemeinde zugemutet, wie es die

hausen ist eine Möglichkeit, angstfrei und ohne Furcht vor Sanktionen über

Juden in der Vergangenheit unter den christ-

alle Perspektiven menschlichen Zusammenlebens nachzudenken.“260

lichen Völkern ohne jede politische Macht haben tun müssen, und wie es die historischen

Ähnliche Möglichkeiten bot der Deutsche Evangelische Kirchentag.

Friedenskirchen, die Quäker und Mennoniten

Schon vor dem ersten Pfingsttreffen versammelte er 1973 einschlägige

und die anderen, schon seit langer Zeit tun, mir

Basisgruppen im „Schalom-Forum“. In der Folge liehen sich die Frie-

wird zugemutet, mit der Entschlossenheit des

densdienste Formen (wie etwa den „Markt der Möglichkeiten“) und

christlichen Glaubens zu sagen, ich jedenfalls und wir jedenfalls, wir Christen in diesem Land

Formeln (1975 tauchte die „Angst“ in beiden Motti auf, „Umkehr in die

wollen von diesen Waffen und Massenvernich-

Zukunft“ war zwei Jahre später gar eine direkte Kirchentagsanleihe aus

tungsmitteln nicht geschützt werden. Unter

Friesenhausen). 1977, als die Neutronenbombe die Gefahr eines Atom-

Gottes Schutz, ohne dessen Willen kein Haar

kriegs realer machte, war die Veranstaltung „Ohne Waffen leben“ ein

von unserem Haupte fallen kann, verzichten wir auf diesen mörderischen Schutz.“

Publikumsmagnet beim Berliner Kirchentag. Aktion Sühnezeichen

Helmut Gollwitzer, Ohne Waffen leben (Referat

war an der Vorbereitung beteiligt, das prominente Mitglied Helmut

beim Kirchentag 1977), in: zeichen 3/1977, S. 9-11.

Gollwitzer provozierte mit einem Referat. 1978 schließlich erteilten die Organisatoren des Festivals dem Gleichgewicht der Abschreckung expressis verbis eine Absage. Die Inspiration dazu kam auch aus den Niederlanden. Die dortige Szene war der deutschen um zehn Jahre voraus – schon 1966 war ein „Interkirchlicher Friedensrat“ (IKV) gegründet worden, der ab 1967 landesweite Friedenswochen organisierte. Jetzt ergriffen die Niederländer eine neue Initiative. 1977 postulierte der Interkirchliche Friedensrat: „Befreit die Welt von Kernwaffen – Beginnt damit in den Niederlanden.“ Das deutsche Echo, das Festival-Motto von 1978, hieß: „Leben ohne Waffen – Frieden ist der Weg“. Den Veranstaltern lag daran, nicht beim antimilitaristischen Gestus stehen zu bleiben, sondern Handlungsspielräume abzuschreiten. In


158

„Hiermit möchte ich gegen den Ausschluss der Liga gegen den Imperialismus vom 5. Festival der Friedensdienste in Beienrode protestieren.

der Einladung hieß es deshalb: „Nicht nur ohne diese Waffen wollen wir leben. Wir wollen auch ohne die Waffen des Vorurteils, der Diskriminierung, des Berufsverbotes leben. Ohne die Einengung der Grundrechte ... und ... und.“261

[...] Es gibt verschiedene Meinungen darüber, wie der Frieden erreicht werden kann, genauso wie es verschiedene Meinungen über den Gebrauch von Waffen gibt. Die Waffen in den Händen der Imperialisten unterdrücken die Völker, die Waffen in den Händen der Völker sind zur Befreiung und für den Frieden be-

Das Festival entwickelte eine eigene Dynamik. Die Masse der Teilneh-

stimmt, das jedenfalls meinen die kämpfenden

mer – 1978 war die Zahl auf 2.000 gestiegen – zwang zu organisatori-

Völker; sollen wir uns jetzt zum Richter dieser

schen Veränderungen. Das Festival fand nun im niedersächsischen Beienrode statt (wieder ein Dorf, dessen Einwohnerzahl es nicht mit

Völker machen, ihnen vorschreiben, was sie gegen ihre zum Teil Jahrhunderte dauernde Knechtung tun sollen? [...] In diesem Zusam-

der Festivalbevölkerung aufnehmen konnte). Das Geschehen war in

menhang wundert es mich und auch andere

einzelne „Dörfer“ aufgeteilt worden. 1979 taucht die Idee auf, das Bei-

Teilnehmer im Kölner Dorf, was die Diskussion

sammensein so vieler kleiner Gruppen strategisch zu nutzen: Ist eine bundesweite Friedenswoche möglich? Das Thema liegt in der Luft:

hier zeigte, dass ihr euch über den Besuch eines Vertreters der FDJ in Beienrode sehr freut. Ist die FDJ etwa eine Organisation, die für den

Eine „Arbeitsgruppe 1. September 1939/1979“ – zu der auch Aktion Süh-

Frieden eintritt und gegen Waffen ist?“

nezeichen Friedensdienste gehört – initiiert für 1979 eine West-Berliner

Brief Ole Callsen, Ortsgruppe Köln der „Liga gegen

Friedenswoche unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“. Im

den Imperialismus“, an Ulrich Frey, AGDF, vom 7.5.1978, EZA 97/846.

Herbst 1979 empfehlen zwei NDR-Journalisten ein „Sicherheitsforum“

„Für alle verantwortlich beteiligten Gruppen

der Kirchen, bei dem „über die Gründe für die feststellbare Angst, über

gilt unausgesprochen der Konsens, der in dem

den Stand der Abrüstung und über die Frage diskutiert werden sollte,

gemeinsam verabredeten Motto ‚Leben ohne

ob es die Möglichkeit zu einem ‚einseitigen, kalkulierten Abrüstungsrisiko‘ gibt“.262 Im Dezember 1979 beschließt die NATO, Mittelstrecken-

Waffen – Frieden ist der Weg‘ zum Ausdruck kommt. Die Liga stimmt damit nicht überein, wie durch eure Briefe bestätigt wird. Deshalb

raketen in Europa zu stationieren. Und endlich, umrahmt von einer rüs-

halten wir unsere Entscheidung, die Liga nicht

tungskritischen Stellungnahme des DDR-Kirchenbundes im Osten und

als Gruppe in einem der Dörfer zuzulassen, auf-

einer ebensolchen niederländischen Denkschrift im Westen, kommt in der Bundesrepublik die Friedenswoche zur Welt. Aktion Sühnezeichen

recht. Als Einzelpersonen könnt ihr kommen. [...] Ich habe Werner Hartig vom Zentralrat der FDJ eingeladen als Gast der offiziellen

und AGDF laden ein:

Jugendorganisation der DDR. Das bedeutet

„Wir hören, ‚Mut zur Rüstung‘ sei heute notwendig. Dem halten wir ent-

gleichzeitig eine inhaltliche Aussage, dass wir

gegen: Frieden schaffen ohne Waffen. Weder ein heißer, noch ein erneuter kalter Krieg darf entstehen. Frieden ist der Ernstfall, so Gustav Heinemann.

uns mit dem Programm der FDJ nicht identifizieren. Die Einladung hat den Sinn, Wege für Gespräche über Entspannung und Abrüstung

Aber: ‚Ein dritter Weltkrieg ist wahrscheinlich‘ (C.F. von Weizsäcker).

zu ebnen. Die FDJ ist nicht eingeladen worden

Deshalb: ‚Wir wollen unsere Gedanken und Worte disziplinieren, dass kein

als mitverantwortliche Gruppe für eines der

Spielen mit dem Krieg sich mehr in uns rührt und kein friedensfeindliches Wort mehr über unsere Lippen kommt‘ (Helmut Gollwitzer). Wir müssen dringender denn je für eine Friedenspolitik contra Abschreckungsstrate-

Dörfer, ebenso wenig wie die SDAJ oder die FDJ-West, weil das nicht unsere Partner in der Friedensarbeit hier sind. Das Festival hat eine unabhängige Struktur.“ Antwort Ulrich Frey an Ole Callsen und Irmhild Lotze, 10.5.1978, EZA 97/846.

„Als Gemeinschaft von Kirchen, die ihren Dienst an der Nahtstelle der beiden großen Machtblöcke im Herzen Europas ausrichten,


KApitel 5. Frieden macht arbeit 159

wiederholt und bekräftigt der Bund seine in den letzten Jahren mehrfach geäußerte Überzeugung, in der er sich mit vielen Kirchen in der ökumenischen Gemeinschaft einig weiß, dass es um des Weltfriedens willen zur Politik

gie eintreten. Umkehr auf dem eingeschlagenen Weg wären zum Beispiel

der Entspannung keine vernünftige Alternative

kalkulierte einseitige Abrüstungsschritte. Gegenüber dem Wettrüsten be-

gibt. [...]

steht vielfach ein Ohnmachtsgefühl. Wer sich ohnmächtig fühlt, sieht die

Unsere Kirchen haben von Anfang an die Entspannungspolitik und alle Bemühungen um Abrüstung unterstützt. Wir nehmen die hier skizzierten Faktoren als Symptome der Destabilisierung ernst. Sie erinnern uns aufs Neue daran, dass unbeschadet der Verantwortung, die in solcher Situation den Politikern zukommt,

Möglichkeiten des Handelns nicht. Wir müssen uns stärker unseres Friedensauftrages bewusst werden. Es gilt, Initiativen zu fördern, die diesem Ziel dienen.“263 Es ist, als hätten diese Initiativen nur auf einen Anstoß gewartet. Zigtausende von Anfragen bringen das West-Berliner ASF-Büro an den

die Kirchen einen eigenen, unverwechselbaren

Rand der Kapazitäten. Drei ehemalige Freiwillige springen als Vollzeit-

Auftrag haben, zum Frieden zu helfen und

Koordinatoren in die Bresche, andere spenden für ihre Entlohnung.

ihren Einsatz zur Sicherheit des Friedens nicht schuldig bleiben dürfen. Die Friedensaufgabe der Kirchen folgt grundsätzlich und unmittel-

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste ist zum Zentrum einer neuen Friedensbewegung geworden. Ihre kirchliche Anbindung bei gleich-

bar aus der Verkündigung des Evangeliums. [...]

zeitiger relativer Autonomie prädestiniert sie zum „Katalysator für sel-

Die Empfehlungen des Ökumenischen

tene Bündnisse, die nie zustande gekommen wären, hätte eine andere

Programms für Abrüstung und gegen Milita-

Organisation zur bundesweiten Friedenswoche aufgerufen“264. Schon

rismus vom Januar 1979 gewinnen [sic] in der gegenwärtigen Situation höchste Aktualität. Sie sollten von den Kirchen ernsthaft geprüft

die Resonanz auf den Aufruf von 1980 hat alle Erwartungen übertroffen. Doch das ist erst der Anfang.

und für das eigene Handeln herangezogen werden. Als Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR erklären wir unsere Bereitschaft, die in dieser Richtung liegenden Möglichkeiten aus-

Der Anschlag von Nablus

zuschöpfen. Zugleich richten wir die dringende

Am 26. April 1978 kamen zwei Angehörige der Aktion Sühnezeichen

Bitte an den Ökumenischen Rat, seinerseits

bei einem Bombenanschlag ums Leben. Eine Gruppe von 32 Israel-Frei-

die Mitgliedskirchen zu entschlossenem und

willigen hatte eine viertägige Reise durch den Norden des Landes un-

konkretem Friedenshandeln aufzurufen.“ Aus: Keine vernünftige Alternative zur Politik der

ternommen. Die letzte Station war Nablus, eine Stadt in der von Israel

Entspannung. DDR-Kirchenbund zur internatio-

besetzten Westbank. Der jüdische Friedensaktivist Joseph Abileah aus

nalen Lage, in: zeichen 1/1980, S. 10 f.

Haifa hat der Gruppe Treffen mit palästinensischen Bekannten vermittelt. Nach einem Gespräch mit dem stellvertretenden Bürgermeister

„Für mich versinken die folgenden Wochen in Dunkelheit – erst am 2. Juli 1978 gelingt es Augenärzten der Klinik Tel Hashomer, zumindest die Sehkraft meines rechten Auges teilweise wieder herzustellen. Nablus – in meinem Fall sind Jahre vergangen,

von Nablus sammeln sich die Freiwilligen im gemieteten Bus, der sie zurück nach Jerusalem bringen soll. Kurz vor der Abfahrt wirft ein junger Palästinenser eine Nagelbombe in den Bus. Der Sprengsatz tötet die Freiwillige Susanne Zahn und Christoph Gaede, der seinen Bruder, den Freiwilligen Dietrich (spä-

bis andere Assoziationen zu der Stadt neben

ter Daniel) Gaede, in Israel besucht hat. Diesen treffen Bombensplit-

diesem Bombenanschlag bestehen konnten.

ter an den Augen; teils schwer verletzt werden auch die Freiwilligen

Es hat lange gedauert, bis tiefere Einblicke in diese Stadt [...] möglich wurden, ohne von den eigenen Erfahrungen verschüttet zu werden. Dass sich mein ängstlicher Blick wieder geweitet hat, verdanke ich Menschen, die für diese Angst Verständnis hatten und mich zugleich ermutigten, den Ursachen genau ins Auge


160

zu schauen, anstatt der eigenen Geschichte auszuweichen. So bin ich am 7. September 1987 wieder in Nablus gewesen, zusammen mit

Heiner Bludau, Norbert Boesche, Ina Ittermann und Elfriede Rösch. Heil kommt niemand davon. Die Verwundeten werden in ein Krankenhaus in Tel Aviv geflogen, die anderen Freiwilligen wechseln sich an ihren Betten ab. Einige von ihnen werden das Land verlassen.

Vertretern verschiedener westeuropäischer Friedensorganisationen – mit dem Ziel, Ansätze zur Überwindung der anhaltenden Konflikte zu finden.“ Dietrich Gaede, Verdrängen – Daran zerbrechen – Durcharbeiten, in: zeichen 3/1988, S. 13 f., hier S. 14.

Im Berliner Büro versammeln sich noch am Abend des 26. April Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder. Der damalige Israel-Referent Heiner Holland erinnert sich an den Schock, die Hilflosigkeit, ein Gebet auf dem Flur und Versuche eines „Krisenmanagements“. Er übernahm es, die Angehörigen der Verletzten zu benachrichtigen: „In jedem Gespräch merkte ich, wie sie durch diese Nachricht herausgerissen wurden aus ihrem alltäglichen Leben, fürchterliche Angst empfanden vor

„Da waren die Angehörigen der Ermordeten, da waren die, die körperlich unverletzt scheinbar mit dem Schrecken davongekommen sind, und da waren die Verwundeten mit der unterschiedlichen Schwere ihrer Verletzung. Schon im Krankenhaus habe ich es als merkwürdiges Privileg empfunden, körperlich verletzt zu sein. Mit dem Heilen der Fleischwunden ging auch

dem zu diesem Zeitpunkt noch ungewissen Schicksal ihrer Kinder. Ich spür-

ein innerer Heilungsprozess einher, unterstützt

te aber auch, dass die Gemeinschaft von und mit ASF nicht nur aus unserer

durch die Anteilnahme vieler Menschen. Für

Beziehung als Organisation zu den Freiwilligen bestand, dass Eltern und

die körperlich Unverletzten muss dies ungleich

Angehörige mit zu denen gehörten, die sich der Gewalt entgegenstellten und die nun selbst von ihr eingeholt worden waren.“265

schwerer gewesen sein.“ Heiner Bludau, Durch den Anschlag reifer geworden, in: zeichen 1/1998, S. 20.

Die Anwesenheit der Aktion Sühnezeichen in Israel war nie naiv gewesen. Bei ihrer Arbeit in den Projekten und in ihrer Freizeit erlebten die Freiwilligen den Nahostkonflikt hautnah – als Spannung in der Luft,

„Liebe Gemeinde, lassen wir uns jetzt nicht irre machen durch unseren Schmerz und unsere

als Bedrohung ihrer Sicherheit, als politische Realität. Mit der Bombe

Verzweiflung, durch unsere Hilflosigkeit und

von Nablus wurden zum ersten Mal Sühnezeichen-Freiwillige Opfer

Ausweglosigkeit, lassen wir uns nicht irre

der Gewalt.

machen durch das Kriegsgeschrei derer, die

Bald wurde klar, dass der Anschlag nicht gezielt gegen die deutsche Organisation gerichtet war. Den Bonner PLO-Sprecher Abdallah Frangi hielt

immer schon gewusst haben, dass man den Arabern nicht trauen darf, lassen wir uns nicht irre machen durch das Kriegsgeschrei derer,

das nicht von dem Versuch ab, politisches Kapital daraus zu schlagen. Er

die sagen, wer Israel unterstützt, muss mit so

warf ASF „Missbrauch und Irreführung junger deutscher Menschen“

etwas rechnen und ist im Grunde selber schuld.

und die Freisetzung israelischer Soldaten vor: „Wir machen diejenigen Organisationen, die die Leute nach Palästina bringen, um in den Kibbu-

Der Aufruf, der durch Susannes und Christophs Tod zu uns dringt, ist lauter als ihr Kriegsgeschrei, er ist unüberhörbar für alle,

zim zu arbeiten, verantwortlich für das, was in dem Bus geschah.“266

die auf der Suche nach dem Weg des Friedens

Aktion Sühnezeichen will sich die Logik der Gewalt nicht aufzwingen

sind. [...]

lassen. „Wir werden unseren Dienst der Versöhnung in Israel und im jüdisch-arabischen Verhältnis fortsetzen“, erklärt der Vorstand am 27. April. „Wir bitten alle Verantwortlichen, unsere Trauer und Bestürzung

Ihr Weg war kürzer als der unsere, er war viel zu kurz, unfassbar kurz. Wir sind dennoch dankbar, dass wir sie ein Stück begleiten durften auf diesem Weg. Es ist der richtige Weg. Amen.“ Jürgen Strache (ASF-Hauptamtlicher in Israel), Predigt im Gedenkgottesdienst in der Erlöserkirche in Jerusalem, 30.4.1978, zitiert nach: zeichen 2/1978, S. 4–6, hier S. 6.


KApitel 5. Frieden macht arbeit 161

Überlegungen nach dem Anschlag von Nablus, das Festival der Friedensdienste abzusagen, wurden von den Israel-Freiwilligen selbst abgelehnt. Nach Beienrode schrieben sie: „Die Notwendigkeit der Friedensarbeit und der Versöhnung in diesem von Unfrieden und Un-

nicht zum Anlass weiterer Verschärfung des Konfliktes zu nehmen. Das Geschehene zeigt die dringende Notwendigkeit der Versöhnung.“267

ruhen gezeichneten Land und in der gesamten Welt erscheint uns immer dringender. Die ‚Peace-Now‘-Bewegung und viele andere kleine-

Es gab Versuche, dem Schrecklichen einen Sinn abzuringen. In der

re Friedensinitiativen in Israel, aber auch eure

Traueranzeige für Susanne Zahn und Christoph Gaede formulierte ASF:

Friedensfestivals sind für uns Zeichen der Hoff-

„In tiefer Bestürzung hoffen wir, dass ihr Leben und Sterben als Zeichen

nung“ (Zitiert nach: Volkmar Deile/Klaus Geyer,

fortwirkender Versöhnung angenommen wird.“268 Von „Sühnezei-

Leben ohne Waffen – Frieden ist der Weg. 5. Festival der Friedensdienste Pfingsten 1978 in Beienrode, in: zeichen 3/1978, S. 22-24, hier S. 22).

chens Opfer“ sprach ein Journalist. Und Helmut Gollwitzer schrieb einem Freiwilligen einen langen Brief, der auch in der Länderzeitung veröffentlicht wurde. Sie seien zu „Sachverständigen“ für Leiden und

„Die Begriffe ‚Versöhnung‘ und ‚Sühne‘ verstanden die protestantischen Gründer der Aktion

Gewalt geworden, erklärte der Theologe: „Ihr könnt nun bei den Juden auftreten als Leute, die selber arabische Bom-

wohl immer auch im Zusammenhang mit dem

bensplitter zu spüren bekommen haben, und ihr könnt bei den Arabern auf-

Bild vom Mann, der ans Kreuz genagelt ist. Un-

treten als Leute, die jetzt erst recht ihnen glaubwürdig werden durch Verste-

ter den verständlichen Schwierigkeiten, die es

hen und durch alle Abwesenheit von Vergeltungsgedanken. Der Dienst von

bereitete, bei den Opfern deutscher Verbrechen Eingang zu finden, zogen die SühnezeichenLeute aus: In Holland, Norwegen, Griechenland,

Sühnezeichen hat das Risiko eines solchen Ereignisses schon immer gehabt; wir können nicht nur darüber weinen, dass es jetzt tatsächlich eingetreten

Frank­reich, Großbritannien, Israel, Belgien,

ist, wohl aber es fruchtbar machen für den weiteren Friedensdienst.“269

Finnland, Jugoslawien, USA, CSSR und Polen

Jahrzehnte später begehrt ein damaliger Adressat auf. Matthias Loer-

legten sie Hand an. Guter Wille und – jedenfalls in den ersten Jahren – auch Nägel gehörten zu

broks, inzwischen selbst Theologe, schreibt:

ihrem Gepäck. [...] Sie haben sich oft gegen das

„Leider lässt sich gar nichts lernen aus diesem Mord. [...] Dass Mord ein

Missverständnis gewehrt, sie wollten wieder

schreckliches Verbrechen ist und kein Beitrag zur Befreiung der unterdrück-

gutmachen, was nie wieder gut­zumachen ist.

ten Westbank-Bewohner oder der benachteiligten israelischen Araber, das

Jetzt wurden ihnen Nägel um die Ohren gebombt, um die Ohren und in die Leiber. Zwei

wussten wir auch schon vor der Ermordung von Susanne und Christoph.

von ihnen sind tot. Fünf von ihnen sind so ver-

Und auch wenn das einigen zuvor weniger deutlich war – um dies zu än-

letzt, dass sie die Nägelmale zeitlebens tragen

dern, war der Tod der beiden ein zu hoher Preis, und er wird durch solche

werden. [...] Sie brau­chen die Teilnahme aller,

Einsichten nicht weniger sinnlos als all die anderen Morde.“270

die sich eine Welt vorstellen können, in der mit Nägeln nicht mehr gebombt, sondern nur noch

Das bittere Fazit steht in einer Ausgabe der Vereinszeitung zeichen, die

gebaut wird.“

im Jahre 2003 der Erinnerung an den Anschlag von Nablus gewidmet

Wolfgang Fietkau, Sühne­zei­chens Opfer. Zim-

ist. Jetzt, 25 Jahre später, trafen sich auch zum ersten Mal damalige Frei-

merleute des Friedens, in: Deutsches All­ge­mei­nes

willige und Hauptamtliche mit aktuell für die Arbeit Verantwortlichen.

Sonntagsblatt, 7.5.1978, nachgedruckt in zeichen 2/1978, S.9.

Es gibt keine Lehre, kein „Vermächtnis“ aus dem Attentat von 1978. Über die Jahrzehnte wirkte „Nablus“ allerdings fort, wurde zu einem Subtext in der Israel-Arbeit der Aktion Sühnezeichen.

„Der Übergang vom Tod zum Leben dauert bei so einem Anschlag nur so lange wie der Knall eines Sprengsatzes. Dann ist alles vorbei, in wenigen Sekunden: die Jahre eines Menschenlebens, die Möglichkeit, Worte mit ihm oder ihr zu wechseln, Blicke zu tauschen, Pläne zu verwirklichen. Aus. Vorbei. Brutal ausgelöscht.


162

Auch für den, der ‚nur‘ verletzt wurde, fängt ein anderes Leben an. Von einer Sekunde auf die andere hat er das Augenlicht verloren, ihr

Zum einen spielte der Anschlag eine Rolle, wenn über die Weiterar-

Gesicht ist entstellt, sein Brustkorb von Nägeln durchlöchert. Und wofür? Für nichts. Die Tat

beit in arabischen Projekten diskutiert wurde. Im Jahr 2002 benannte

hat absolut keinen Sinn. Sie propagiert nur

der Vorstand „Nablus“ als Ansporn zur Verständigungsarbeit in Israel:

eins: Sinnlosigkeit. Und das ist fast das Entsetz-

„Spätestens seit dem Anschlag auf einen Bus mit ASF-Freiwilligen in Nablus 1978, bei dem zwei unserer Freiwilligen ermordet wurden, ist

lichste daran.“ Hanna Lehming, Gefallene Engel. „Nablus 1978“ im Rückblick, in: zeichen 1/2003, S. 9

nachvollziehendes Gespräch und die Begegnung mit der israelisch-palästinensischen Bevölkerung integraler Bestandteil unserer Arbeit.“271 Zum anderen wird die traumatische Erfahrung, dass Schutzbefohlene Schaden nahmen, sofort lebendig, wenn bei Aktion Sühnezeichen sicherheitspolitische Entscheidungen anstehen. Der Rückruf der Freiwilligen in der Golfkrise von 1991 etwa ist ohne „Nablus“ nicht zu verstehen. „Wir beraten bei ASF früher, diskutieren länger und entscheiden verkrampfter als vergleichbare Organisationen“, erklärte einmal Israel-Referent Bernhard Krane: „Wir sind gebrannte Kinder.“272

Keinen Schaden nahmen glücklicherweise jene beiden Israel-Freiwilligen, die im Sommer 1979 bei einem Spaziergang über den Hermon von syrischen Sicherheitskräften festgenommen wurden und unter Spionageverdacht über ein halbes Jahr lang in Haft blieben. Sowohl die deutsche Botschaft in Damaskus als auch Bundesaußenminister Genscher persönlich waren in die Bemühungen um ihre Freilassung involviert. Vgl. etwa einen Brief von Ministerialdirigent P.

Von Auschwitz in die USA: ASF und rebellierende Freiwillige

„Pubertät!“, seufzte der Vorsitzende.273 An die mühsame Identitätsfindung Heranwachsender fühlte er sich erinnert, weil auch für Aktion Sühnezeichen die schwierige Aufgabe anstand, ihr Selbstverständnis zeitgemäß zu formulieren. „Der Anfang war einliniger, eindeutiger“, stellt Gerhard Möckel bei der Mitgliederversammlung des westdeutschen Vereins Ende April 1973 fest – um von nun an unermüdlich die Suche nach dem roten Faden einzuklagen. Doch auch zwei Jahre später noch muss er ein „Defizit an Orientierung“ konstatieren: „Die Umsetzung von Glaubenserfahrungen und ‑überzeugungen in konkretes politisches Handeln ist unserer Generation anscheinend ungleich schwerer als der, die vor uns verantwortlich war.“274 Eine Herausforderung an Sühnezeichen für die siebziger Jahre ist damit benannt: der Umgang der Generationen. Gerhard Möckel war (wie auch sein Vorgänger und ab 1976 wiederum Nachfolger im Vorsitz Hans-Richard Nevermann) selbst gerade noch alt genug, um den Zweiten Weltkrieg als Soldat erlebt haben zu müssen, dabei aber jung genug,

Verbeek an Annegret Ehmann (Israel-Referentin der ASF), 28.12.1979, EZA 97/723.


KApitel 5. Frieden macht arbeit 163

Beim Vorbereitungsseminar in Bückeburg im Oktober 1975 veranstalten die Freiwilligen eine Unterschriftenaktion gegen den Radikalenerlass – von seinen Kritikern „Berufsverbot“ genannt: „Machen Sie unseren Auslandsdienst glaubhaft,

dass er hätte Gründer Kreyssigs Sohn sein können. Vielleicht ist es diese

indem Sie sich gegen diesen Abbau demokrati-

Zwischenposition, die ihn zum Vermittler macht. Jedenfalls mahnt der

scher Rechte einsetzen. Sprechen Sie mit Ihren

Vorsitzende, das „Establishment“ müsse auf die „Basis“ hören – und die

Abgeordneten, mit Ihren Kollegen am Arbeitsplatz, mit Freunden und Nachbarn. Unterstüt-

Älteren auf die Jungen:

zen Sie unser Anliegen durch Ihre Unterschrift

„Auch hier ist es m.E. eine offene Frage, wie die Generation der Kriegsteil-

auf unserer Resolution, die an verantwortliche

nehmer, deren politisches und christliches Bewusstsein sich am 20. Juli

Politiker wie Bundespräsident Scheel und Bun-

1944 und mit Bonhoeffers Gefängnisbriefen als Brevier gebildet hat, ihre

deskanzler Schmidt sowie an Parteien, Verbände und Institutionen geschickt wird!“ (Flugblatt

Antworten nicht als fertige gibt, nicht Quellort und Ziel ihrer Aktivität,

vom Oktober 1975, v.i.S.d.P. Friedrich Stöffler, c/o

für die sie natürlich stehen muss, als ein für alle Mal gegeben ansieht, son-

ASF; EZA 97/253).

dern im Gespräch mit denen bleibt, die der ‚Schatz‘, das Proprium der ASF

Die Schaumburg-Lippische Landeszeitung kom-

sind: die jeweiligen jungen Menschen, die ausziehen zum ‚Abenteuer des

mentiert am 13.10.1975: „Die Erfahrung lehrt es, dass Radikalismen, egal

Friedens‘.“275

aus welcher Richtung auch immer sie kommen

Aktion Sühnezeichen als lernende Organisation: Diese Forderung zielt

mögen, gleichzusetzen sind mit dem Verlust

nicht nur auf den Altersunterschied der Beteiligten. Die Vorstands-

demokratischer Freiheit, denn jedem Extremis-

berichte des Gerhard Möckel zeichnen auch ein Bild der politischen

mus fehlt naturgegeben die Toleranz, die den eigentlichen Mittelpunkt einer demokratischen

Entwicklungen, denen Sühnezeichen Rechnung tragen muss. Die

Freiheit ausmacht. Auch darüber sollten die 25

„Tendenzwende“ bläst der Aktion ins Gesicht: Nicht nur die „militä-

jungen und wackeren ‚Streiter für Demokratie‘

risch-politisch-wirtschaftliche Unruhe in der Welt“ (sprich: Vietnam,

erst einmal nachdenken, bevor sie die Bundes-

Nahost, Ölkrise) treibt Möckel um, sondern ebenso der innergesell-

republik Deutschland im Ausland vertreten.“

schaftliche Klimawandel.276 Der Offenheit der späten Sechziger, der Aufbruchstimmung von Studentenbewegung und Ostpolitik, folgt

„Am Beispiel des beim Festival anwesenden Heinrich Häberlein ist zeichenhaft deutlich geworden, wie das demokratische Grundverständnis und der menschliche Anstand in dieser Republik unter dem Vorwand des Schutzes der

eine zunehmende Verhärtung der politischen Positionen. Auf der Linken sieht Möckel eine „Zeit der organisierten Jugend- und Studentengruppen“ anbrechen; Pragmatiker – und Dogmatiker – lösen die frühen Charismatiker ab.

freiheitlich-demokratischen Grundordnung

Die bürgerliche und sozialdemokratische Mitte kämpft für die inne-

von Behörden und Gerichten immer mehr

re Sicherheit. Ab 1972 sorgt der Radikalenerlass für die regelhafte Über-

zerstört werden. Heinrich Häberlein ist nicht zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt

prüfung der politischen Biografie aller Bewerber für den Staatsdienst.

an Grundschulen zugelassen worden, weil

Bundes- und Länderregierungen verteidigen die Demokratie – auch um

er sich weigerte, ein Bekenntnis zum aktiven

den Preis ihrer Demontage. Abgelehnt werden Bewerber wie der bayri-

Antikommunismus abzulegen. Wir fühlen

sche Landesvorsitzende der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte

uns in Heinrich Häberlein mitbetroffen und versprechen all denen, die wie er Nachteile aus

Kriegsdienstgegner Heinrich Häberlein: Er wurde nicht etwa des Kom-

ihrer politischen Überzeugung haben, unsere

munismus verdächtigt, sondern lediglich des fehlenden Antikommu-

Solidarität und Hilfe. Wir halten Initiativen in

nismus bezichtigt.

Bund und Ländern dringend für erforderlich, um den Radikalenerlass und seine Folgen außer Kraft zu setzen.“ Aus der Abschlusserklärung des V. Festivals der Friedensdienste, Beienrode, Mai 1978, zeichen 3/ 1978, S. 24 f.


164

„So sehr uns die derzeitige Entwicklung der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste selbst ermutigt, so sehr erfüllen uns manche Ent-

Rechte Gruppen schließlich haben starken Zulauf zu verzeichnen.

wicklungen in unserem Land und aus ihnen resultierende Reaktionen in unseren Nachbar-

Der Stern der NPD ist zwar nach dem knapp verfehlten Einzug in den

ländern mit Sorge. Wir hören von an unseren

Bundestag 1969 im Sinken, ein Netzwerk ähnlicher Organisationen

Schulen kursierenden ‚Witzen‘, deren einziger

spricht aber vermehrt junge Menschen an. Sühnezeichen bekommt den rechten Aufschwung direkt zu spüren, und das nicht nur durch

Inhalt die Vernichtung von Juden ist. Wir hören von Schändungen jüdischer Friedhöfe, von antisemitischen Exzessen junger Offiziere

anonyme Drohbriefe und Beschimpfungen: Im Jahr 1974 wird eine

in der Bundeswehr. [...] Wir lesen, dass zwei

ASF-Ausstellung über „Nationalsozialistische Politik in Polen 1933 bis

Drittel der Bürger der Bundesrepublik für die

1945“ in Berlin und in Baden-Württemberg angegriffen und beschädigt. 1975 stören Rechtsradikale eine Diskussionsveranstaltung in Pinneberg

Wiedereinführung der Todesstrafe seien. Und wir lesen, dass im Majdanek-Prozess in Düsseldorf sich ehemalige Häftlinge nicht wie Zeugen,

bei Hamburg, die eine evangelische Jugendgruppe in der Folge ihrer

sondern wie Angeklagte fühlen. [...] Wir

Fahrt nach Auschwitz initiiert hatte. Die Neue Rechte wird ein vordrin-

erfahren davon, dass nach der Flucht des wegen

gliches Thema für die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit der Aktion

der Erschießung von Hunderten von Geiseln zu lebenslänglicher Haft verurteilten ehemaligen

Sühnezeichen – spätestens, nachdem 1977 eine publizistische Hitler-

Gestapo-Chefs von Rom, Kappler, aus italieni-

Welle rechtsradikale Ideen nostalgisch verharmlosend in die Mitte der

scher Haft zahlreiche Glückwunschtelegramme

Gesellschaft zurückträgt. Das politische Feld polarisiert sich. Symptomatisch für das aufgeheizte Klima ist der Berliner Kirchenstreit von 1974. Die seelsorger-

ihn erreichten, Neonazis eine Ehrenwache stellten und die verständlichen Reaktionen der Angehörigen der Opfer in Italien verhöhnt werden.

liche Begleitung inhaftierter RAF-Mitglieder durch Mitarbeiter der

Wir wollen all dies keineswegs dramatisieren.

Evangelischen Kirche – deren prominentester Akt ein Besuch von Bi-

Aber wir werden auch nicht zulassen, dass die-

schof Kurt Scharf bei Ulrike Meinhof war – empörte die Öffentlichkeit.

se Entwicklung, wie es bei uns üblich geworden zu sein scheint, als harmlose Randerscheinung

Man witterte die anarchistische Unterwanderung der Kirche; es begann,

unserer Gesellschaft bewertet wird. Dies wäre

so Gerhard Möckel, „eine hysterisch zu nennende Pressekampagne ge-

umso gefährlicher, als immer mehr junge

gen die Kreise unserer Kirche [...], mit denen wir uns in Begründung und Zielsetzung unserer Arbeit einig wissen“277.

Menschen, desorientiert und brutalisiert, den Parolen rechtsradikaler Rattenfänger zu folgen beginnen. Vor dieser Entwicklung zu resignieren und die Augen zu verschließen,

Die Kirche steht neu vor der alten Frage nach ihrem politischen Enga-

wäre ein Verrat an unserer Geschichte und

gement. Während ihr die einen Nähe zum organisierten Terrorismus

auch ein Verrat an unserem Auftrag als Aktion

vorwerfen, unterstützt sie in den Augen der anderen auftragswidrig die Reaktion. Im Netz dieser Koordinaten muss sich auch Aktion

Sühnezeichen/Friedensdienste.“ Volkmar Deile und Volker von Törne im Editorial zu zeichen 4/1977.

Sühnezeichen verorten. Das gelingt ihr schlecht – jedenfalls wenn man die Freiwilligen jener Jahre hört: „Seit ich bei ASF bin, komme ich aus dem Staunen nicht

Aktion Sühnezeichen arbeitete an dem Versuch, Partei für die Juden zu ergreifen – bei

mehr heraus“, schreibt da etwa ein Israel-Freiwilliger: „Einerseits

gleichzeitiger Solidarität mit den Arabern,

fromme Sprüche in den ‚Zeichen‘-Blättern, andererseits progressive

aber unter Verzicht auf die Anmaßung einer Brückenfunktion. Diese schwierige Position in Worte zu fassen, wurde mit der Formulierung von Rahmenrichtlinien, insbesondere in deren Präambel, versucht. Die erste Fassung von 1975 – jenem Jahr, in dem auch der Israel-Ausschuss, ein Berliner Gremi-


KApitel 5. Frieden macht arbeit 165

um zur Begleitung der ASF-Israel-Arbeit, seine Tätigkeit aufnahm – lautete: „Aufgrund unserer besonderen geschichtlichen Verantwortung sind wir zuerst an das jüdische Volk gewiesen. Solidarität gegenüber Israel

Sprüche in der Vorbereitung.“278 Der Freiwillige vermisst Kontur und

schließt Solidarität gegenüber Juden und Ara-

vermutet Opportunismus – einen Spagat der Anpassung an die Erwar-

bern ein. Mitarbeit im arabischen Bericht ist

tungen sowohl zukünftiger Freiwilliger als auch bürgerlicher Spender.

nur aufgrund dieser Konzeption möglich, was im Einzelnen bedeutet: Jüdische Projekte haben

Der Anlass seines Briefes ist einer der wohl schroffsten Konflikte in

nach wie vor quantitativ den Vorrang; Mitarbeit

der Freiwilligenarbeit der Aktion Sühnezeichen überhaupt. Ende 1974

in arabischen Projekten darf das bereits gewon-

kündigen mehrere Israel-Freiwillige vorzeitig ihren Dienst. Es war zu

nene Vertrauen zu unseren jüdischen Partnern

Unstimmigkeiten über die Projektpolitik vor Ort, vor allem über die

nicht gefährden; Mitarbeit im arabischen Bereich soll zum Verstehen und Kennenlernen

Arbeit in arabischen Projekten, gekommen. Die deutsche Presse stellte

der arabischen Seite dienen und zur Förderung

den Streit in den Kontext des Nahostkonflikts. Vielfach übernommen

des jüdisch-arabischen Dialogs und der

wurde die Darstellung des Evangelischen Pressediensts epd:

jüdisch-arabischen Zusammenarbeit beitragen; Arbeit im arabischen Bereich setzt Arbeit im jüdischen Bereich voraus; Arbeit in arabi-

„Während die ‚Aktion Sühnezeichen‘ ursprünglich als Friedensdienst gedacht war, der in erster Linie dem jüdischen Volk gelten sollte, ist ein Teil

schen Projekten nicht durch Eigeninitiative,

der Freiwilligen nach eigener Darstellung zwar nicht proarabisch einge-

sondern in Zusammenarbeit mit israelischen

stellt, pocht aber ‚auf Gleichberechtigung der unterprivilegierten Araber in

oder internationalen Friedensorganisationen“

Israel‘. Ein Sprecher der jungen Leute erklärte in Jerusalem gegenüber dem

(Rahmenrichtlinien für die Israelarbeit der ASF [erstellt anhand der Protokollmitschriften des ASF-

Evangelischen Pressedienst: ‚Unser ausgeprägtes politisches Bewusstsein

Länderseminars in Jerusalem vom 21.2. bis 23.2.1975.

passt nicht in die offizielle israelische Linie. Deshalb brach der Konflikt aus.‘

Bestätigt und beschlossen vom Vorstand der ASF auf

Etwa die Hälfte der Freiwilligen will inzwischen jedoch weiterhin in Israel

der Sitzung vom 12.3.1975], EZA 97/767).

arbeiten.“279

1978 war die Formulierung: „ASF stellt sich in ihrer Arbeit in Israel den

Tatsächlich rang Aktion Sühnezeichen um eine Position in den Koor-

Folgen der nationalsozialistischen Judenver-

dinaten des israelisch-arabischen Konfliktes. Einmütig allerdings er-

folgung und Judenvernichtung. Daher ist Soli-

klärten im Frühjahr 1975 die betroffenen Freiwilligen wie der Vorstand

darität mit dem jüdischen Volk unabdingbare

des Vereins den mehrfachen Projektabbruch primär als Ausdruck einer

Verpflichtung für ASF. Diese Verpflichtung wird auch darin deutlich, dass die Mitarbeit

internen Vertrauenskrise. Innen-, nicht Außenpolitik: Die Freiwilligen

in jüdischen Projekten den Vorrang hat. Sie

fühlten sich vom Selbstbild des Vereins getäuscht. Zwei von ihnen

schließt das Eintreten für das Lebensrecht

schrieben: „In den Papieren von ASF wird z.B. von Friedensdienst als ei-

und die Sicherheit des Staates Israel ein. Die

nem Abbau von undemokratischen und ungerechten Strukturen (u.a.)

Folgen nationalsozialistischer Judenverfolgung und Judenvernichtung wirken bis heute entscheidend auch im jüdisch-arabischen Konflikt weiter. Daher verbindet sich mit der Solidarität gegenüber dem jüdischen Volk ein Engagement für eine gerechte und friedliche Lösung des Nahostkonfliktes unter besonderer

gesprochen; innerhalb der Organisation aber bestimmen einige Hauptamtliche über Richtlinien, Projekte und einzelne Freiwillige und deren Arbeit in autoritärer, unverantwortlicher Weise.“280 Die Israel-Freiwilligen fordern Mitbestimmung im Verein. Und sie sind nicht die Einzigen. In vielen Ländern meutern die Freiwilligen. Sie

Berücksichtigung des Palästinenserproblems.

fühlen sich alleingelassen mit den Mühen des Freiwilligenalltags – als

Diese Solidarität bedeutet keine kritiklose Iden-

da sind knappe Finanzen, die sprachliche Verständigung, kulturelle

tifikation, sie ist die Basis für einen kritischen Dialog mit den in Israel wirkenden politischen Gruppierungen. Die ASF arbeitet nicht in den von Israel besetzten Gebieten. ASF ist sich bewusst, dass in der heutigen Situation zwischen Juden und Arabern, die durch Angst und Hass gekennzeichnet ist, eine Arbeit, die sich ebenso


166

an jüdische wie an arabische Staatsbürger Israels wenden will, auf Unverständnis stoßen wird. Überzeugt, dass zwei Völker in diesem Land in Frieden, Sicherheit und Gleichberechtigung

Missverständnisse oder Reibungen im Projekt. Auf der Nachberei-

miteinander leben müssen, ist ASF dennoch

tung im September 1975 wird nach dem Austausch der Erfahrungen

entschlossen, eine besondere Partnerschaft mit

festgestellt:

den Gruppen anzustreben, die im Bewusstsein

„Vor allem in der USA-Arbeit zeigt sich, dass Leute an ihrem Dienst kaputtgehen können. Es wurde zwar bemerkt, dass man dort das Sich-Durchbei-

der aus der jüngeren Geschichte resultierenden Verantwortung für eine die friedliche Zukunft der Völker in dieser Region sichernde Konflikt-

ßen lernen könne, aber: kann das der Sinn von Sühnezeichen-Arbeit sein?

lösung eintreten“ (Rahmenrichtlinien für die ASF-

Es wurde eine effektivere Betreuung durch bessere Koordination zwischen

Arbeit in Israel, Stand: März 1978, EZA 97/767).

Büro, Freiwilligen und Projekt als mögliche Lösung aufgezeigt. Der hier immer wieder zu Tage tretende Mangel rührt zum Teil daher, dass der Über-

Länderübergreifend radikal wurde die

gang von Gruppen- zu Einzelprojekten organisatorisch nicht bewältigt

Kritik der Freiwilligen am Berliner Büro noch

wurde, man hat sozusagen etwas die Übersicht verloren.“281

einmal Anfang 1978, als es zwei Frankreich-

Die Probleme sind organisatorischer Natur – aber nicht nur. Auch programmatisch hat der Verein die „Übersicht verloren“. Immer wieder

Freiwilligen nicht erlaubt wurde, aus dem ihnen von ASF zur Verfügung gestellten Zeitungsgeld Arbeiterkampf, die Zeitschrift des

fordert die kritische Jugend der Siebziger klare Projektkriterien: Wann

Kommunistischen Bundes, zu abonnieren und

verändert soziale Arbeit gesellschaftliche Strukturen, wann festigt sie

allen Freiwilligen aus diesem Anlass eine Liste

den Status quo? Häufige Projektwechsel vor allem in den westeuropäi-

der zum Abonnement freigegebenen Periodika zuging.

schen Ländern sind Ausdruck der Unzufriedenheit der Freiwilligen auf

Aus den Niederlanden schickten Freiwillige

diesen verschiedenen Ebenen.

eine Abwandlung des bekannten Niemöller-

Schließlich packen sie die Aktion Sühnezeichen beim eigenen Anspruch. „In einer Zeit, die vom Gedanken der demokratischen Mitbestimmung geprägt ist, müsste ASF als antifaschistische Organisation

Gedichts: „Als die ASF den ‚Arbeiterkampf ‘ verbot, haben

wir geschwiegen –

denn wir waren keine KBler.

eine tatsächliche Interessenvertretung der Freiwilligen ermöglichen“,

Als die ASF die ‚Wahrheit‘ verbot, haben wir

heißt es in einer Petition.282 Zur Mitgliederversammlung im März 1976

reisen Freiwillige aus Frankreich an, um dieser Forderung persönlich Nachdruck zu verleihen. Sie rennen nur halb offene Türen ein. Die Sühnezeichen-Verantwortlichen sehen im bisweilen klassenkämpferischen Gestus der Freiwilligen fehlgeleitete Energien. Der Geschäftsführer Volkmar Deile analysiert: „Enttäuschung und Desillusionierung führen zu Übertragungen

geschwiegen –

denn wir waren keine SEWler. Als die ASF den ‚Vorwärts‘ verbot, haben wir

geschwiegen –

denn wir waren keine SPDler. Als die ASF das ‚Zeichen‘ verbot, gab es keine

mehr, die protestierten“

(Brief der Niederlande-Freiwillige ans Berliner Büro vom 24.1.1978, EZA 97/1108).

der Änderungswünsche, die ursprünglich an eine schlechte gesell-

Und in einem offenen Brief an Geschäftsführer

schaftliche Realität gerichtet sind, auf die Organisation ASF.“283

Volkmar Deile hieß es:

Unbestritten allerdings ist, dass es bislang nur mangelhaft gelingt,

„Ihr habt Angst, in den Sympathisantencomputer gefüttert zu werden [...]. Ihr habt ganz

die Erfahrungen der Freiwilligen in den Verein und die Geschäftsstelle

einfach Angst vor dem politischen Klima in

rückzukoppeln. So beschließt der Verein, zunächst probehalber eine

der BRD ... Angst, die berechtigt ist, die aber nicht zur Übernahme der angstauslösenden Repressionsmaßnahmen und nicht zur Resignation berechtigt!“ (Brief vom Februar 1978, EZA 97/1108).


KApitel 5. Frieden macht arbeit 167

Am 1. März 1978 antworteten die Referenten aus dem Berliner Büro: „Voraussetzung zur Mitarbeit ist die Bereitschaft, praktisch mitzuarbeiten und sich mit seinen Voraussetzungen in den Dialog

Freiwilligenvertretung (FWV) im Berliner Büro zu installieren. Im

der Begründungen der Arbeit verbindlich

Halbjahresturnus sollen die einzelnen Ländergruppen einen oder eine

einzubringen. Das gilt für die politischen

der ihren in die Zentrale entsenden, der oder die an den Gremiensit-

Christen, für die nichtpolitischen Christen und für die nichtchristlichen Politischen. Freilich

zungen teilnimmt, die Freiwilligen informiert und ihre Belange vertritt.

funktioniert dies nur, wenn die Grenzen des in-

Aus dem Versuch wurde eine Dauereinrichtung, die den zeitweiligen

nerorganisatorischen Pluralismus eingehalten

Antagonismus zwischen den Freiwilligen und „Berlin“ tatsächlich zu

werden. Bisher hat dies auch funktioniert. Wir

entschärfen half.

glauben, dass die Bestellung von Zeitungen, die gegen unsere Anliegen politisch kämpfen, ein

Zwar musste Martin Schmidt, der dritte Inhaber des Postens, nach

Schritt über die Grenzen des Pluralismus hi-

anderthalb Jahren einräumen, dass „die Erwartung, der FWV garantie-

naus sind“ (Rundbrief an alle Freiwilligen, 1.3.1978,

re die Aufhebung der Kommunikationsschwierigkeiten der FW mit der

EZA 97/1108).

Geschäftsstelle“, nicht erfüllt werden konnte.284 Das liege zum einen daran, dass der Freiwilligenvertreter nicht in gleich intensivem Kon-

Zum Prozess der Professionalisierung ist auch

takt zu allen einzelnen Freiwilligen stehen könne wie die zuständigen

die wissenschaftliche Begleitung zu zählen, die

Länderreferenten. Zum anderen wich die Radikale Kritik der Auslands-

am Theologischen Seminar der Universität

perspektive oft schnell der Einsicht in die Zwänge der Realpolitik –

Heidelberg mit Mitteln der Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung

nach Martin Schmidt lautete die bescheidene Aufgabe, „die Bedingt-

in den Jahren 1975-1977 durchgeführt wurde.

heit der Handlungsmöglichkeiten einzusehen und dennoch an einem

Unter dem Titel Abstand vom bürgerlichen Leben.

fortschrittlichen Anspruch festzuhalten und sich um zukunftsweisen-

Eine empirische Untersuchung über Freiwillige

de Perspektiven innerhalb der erlebten Bedingungen zu bemühen“285.

im Friedensdienst am Beispiel der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste präsentierten Martin

Doch die Kommunikation zwischen der Berliner Zentrale und den

Huhn, Kristian Hungar und Hermann Schwall

freiwilligen „Außenposten“ verbesserte sich, und dazu trug neben der

die detaillierte Analyse eines Jahrgangs von

Freiwilligenvertretung und dem international verschickten Rundbrief

Freiwilligen im Blick auf deren soziale Zusam-

Aktion, neben einer Infrastruktur aus Ländersprechern, -zeitungen

mensetzung, Motivation, Glaubenspositionen und Lernprozesse.

und ‑seminaren auch die Professionalisierung der Verantwortlichen bei: Hauptamtliche Länderreferenten in Berlin ersetzten die Ehrenamtlichen, die bislang oft neben voller Berufstätigkeit eine Auslands-

„Jetzt geht‘s also los, drei Tage permanentes ‚Tschüs – Mach‘s gut – Sagen‘, Tränen, gute Ratschläge hab ich hinter mir. Ich bin so voll,

arbeit betreut hatten. Und auch in den Ländern wurden nach und nach Hauptamtliche eingestellt – so 1977 in Frankreich und Großbritannien.

so müde, so fertig – will nicht sehen oder hören.

Auch die pädagogische Arbeit wurde intensiviert. Für die Qualifizie-

Sechzig Leute, so ungefähr, beim Abendbrot.

rung der Freiwilligen ein Konzept zu erarbeiten, war die Aufgabe eines

Erste Gespräche, immer die gleiche Frage: Na,

1974 eigens eingestellten Pädagogen, der von einem ehrenamtlich ta-

wo gehst du denn hin? ... Scheiße: Interessiert mich gar nicht, wo mein namenloses Gegen-

genden „Sozialpädagogischen Ausschuss“ beraten wurde. Es entstand

über hingeht – ich frage nur aus Höflichkeit,

ein „ASF-Curriculum“, ein Konzept ineinander verzahnter Informa-

anstandshalber. – Und ich, wo gehe ich hin?

tions-, Vorbereitungs‑, Praxisbegleitungs- und Nachbereitungssemi-

Ich sage mir: nach Amerika, hey Weib, es geht los. – Aber das ist noch nicht fassbar. Zunächst mal: Sonntagabend – bin ich weggegangen – und das ist‘s, was ich auch spüre, mit dem Kopf versuche, auszuhalten. – Nach dem Abendbrot rede ich weiter, allein sein will ich auch nicht, bin‘s aber. – Dann kommt J, prima, wenigstens


168

einer, den ich ein bisschen kenne. – Christiane ist auch da. Da sind die anderen, die in die Staaten wollen. Wenigstens die Gesichter hab

nare. Deren nicht gerade bescheidene Aufgabe umreißt Referent Axel

ich schon gesehen. Am Montag scheint die Sonne, gutes Zeichen.

Preuschoff so:

Die Frauen im Zimmer scheinen ganz nett zu

„Diese bieten die pädagogische Grundlage für den Anspruch von ASF, dass

sein. – Also heute Plenum. Gerede über das

der Friedensdienst als Handlung für die Erweiterung des Friedens – gegen die Ursachen des Krieges, der Aggression und Unterdrückung sowie der ge-

Seminar, die Sozialisation. – Ein Riesenkreis von Leuten, die sich kurz vorstellen. Mist – ich bräuchte mal neue Linsen, die da hinten kann

sellschaftlichen Ungleichheit – verstanden wird, damit der Freiwillige nach

ich kaum sehen, weiß nicht, wer redet. – Und

Beendigung des im Ausland geleisteten Friedensdienstes Konsequenzen für

dann redet Axel. Redet und redet. Ich find‘s

das eigene Engagement in unserer Gesellschaft – verbunden mit seiner Ausbildungs- oder Berufssituation (bzw. auch Arbeitslosensituation) – ziehen kann.“286 Eine Art Ausbildung zum Freiwilligen ist entstanden. Mit ihr verfolgt Aktion Sühnezeichen zwei Ziele: Sie begreift und fördert den Friedensdienst der Einzelnen als Chance zur persönlichen Entwicklung. Und

nicht gut, sag aber nix, weil ich nicht konstruktiv kritisieren könnte. Außerdem bin ich immer noch nicht hier, sondern unterwegs. Abwarten, denke ich mir. Montagabend bin ich sehr müde und traurig, gehe ins Zimmer, fresse den ganzen Honigkuchen, lese die Courage – und schlafe zufrieden ein. Heute ist schon Dienstagabend. Ich fang an,

das Curriculum dient der Einigung auf das Anliegen der Organisation.

mich wohl zu fühlen. Nehme meine Umgebung

Die von Hauptamtlichen und Ehemaligen verantworteten Seminare

wahr – und rede, kritisiere. Hoffentlich bin ich

zielen auf eine „corporate identity“ der Aktion Sühnezeichen Friedens-

jetzt angekommen.“ Coming to Melle (Seminarort), Bericht einer Frei-

dienste. Die Freiwilligen sollen wissen, unter welcher Flagge sie in ihre

willigen (ohne Namen) vom Vorbereitungsseminar,

so verschiedenen Projekte ziehen.

5.9.1978, EZA 97/260.

Apropos Flagge: Das „Sühnemännchen“ ist im Westen schon lange aus der Selbstdarstellung verschwunden, als in den Siebzigern ein neues Emblem aufkommt: Ein an einen Häftlingswinkel erinnerndes Dreieck umrahmt einen Ölzweig. Explizit wird aufs Firmenschild gehoben, was implizit von Anbeginn die Grundlage der Arbeit war: der Bezug auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. Als müsse man sich dieses Bezuges neu versichern, erlebt die Arbeit in ehemaligen Konzentrationslagern, insbesondere in polnischen Gedenkstätten, zum Ende des zweiten Jahrzehnts eine Aufwertung. Zwar hat Sühnezeichen schon seit längerem Gruppenfahrten organisiert; mittlerweile reisen etwa 500 Jugendliche im Jahr nach Polen (wo sie bisweilen auf ähnliche Gruppen aus der DDR treffen). Im März 1979 aber wird „Auschwitz“ Bestandteil des Curriculums: Im Rahmen der gemeinsamen Vorbereitung aller Freiwilligen findet eine PolenFahrt statt – die war bis dato den zukünftigen Israel-Freiwilligen


KApitel 5. Frieden macht arbeit 169

„So kam er zur Aktion Sühnezeichen als einer, der sich stellte, das Erbe der Väter anzutreten. Hier kam es zunächst darauf an, die Blutspuren, die von Deutschland ausgegangen waren, erst einmal zu erkennen – auch in ihren histori-

vorbehalten. Außerdem wird „Auschwitz“ zum Leuchtturmprojekt:

schen Voraussetzungen zu erkennen, sichtbar

Das erwähnte Winkellogo stammt aus der Kampagne für eine Inter-

zu machen und ihnen sorgsam nachzugehen,

nationale Jugendbegegnungsstätte (IJBS) beim ehemaligen Konzen-

um das hinterlassene Leid zu verinnerlichen. [...]

trationslager Auschwitz – eine Kampagne, die die Öffentlichkeits-

Er hat sich nicht erhaben distanziert von dem,

arbeit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste über Jahre hinweg

was er selbst nicht angerichtet hatte. Er hat

prägen sollte.

vielmehr mit Hilfe der Opfer des Faschismus begriffen, was ein Patriot ist. Und so hat er die Lektionen der Geschichte gelernt und ver-

Die Idee wurde unmittelbar nach der Unterzeichnung der Warschauer Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und

standen und festgehalten und aufgeschrieben

Polen Ende 1970 von Aktion Sühnezeichen ins öffentliche Spiel ge-

und dafür gearbeitet und gekämpft, dass ein

bracht. Eine deutsch-polnische Verständigung, die diese Verträge

Land nur blühen kann, wenn es auch das an-

erst mit Leben erfüllen könnte, müsste, so war den Sühnezeichen-

dere Land ehrt und achtet, und die Menschen einander in Freundschaft begegnen. Gerade

Verantwortlichen klar, mehr als oberflächliche Besuchsdiplomatie

dort an den Stätten des Grauens in Auschwitz,

sein – auch und gerade, was die Nachkriegsgenerationen betraf. In

Majdanek, Stutthof konnten wir lernen, wie

unmittelbarer Nachbarschaft zur Gedenkstätte Auschwitz sollte des-

aus Schuld und Unehre, wenn man sich der

halb ein Seminargebäude entstehen, das etwa 60 Gäste beherbergen

verwandelnden Kraft des göttlichen Geistes anvertraut, neues, herrliches, wunderbares

konnte – kein Hotel, sondern ein Ort, der „Jugendgruppen aus aller

Leben hervorgeht. [...]

Welt“ den Rahmen dafür bieten sollte, „vor dem Hintergrund der Ge-

Durch seinen kritischen konstruktiven Geist

schichte die brennenden Fragen nach einer Verständigung und Ver-

hat Törne mit Hilfe der Freunde in der Volksre-

söhnung zwischen den Völkern zu diskutieren“.287 Volker von Törne,

publik Polen ein Modell von Friedensdienst geschaffen, das für die Zukunft richtungsweisend

der sich als Geschäftsführer und Polen-Referent mit Nachdruck und

bleiben muss. Als Christ und Sozialist hat er

Ausdauer für den Bau einsetzte, erläuterte den besonderen Anspruch

auf dem schwierigen Terrain unterschiedlicher

des Projektes:

Gesellschaftsordnungen an Maßstäben mitgearbeitet, die nicht verloren gehen dürfen. Wie schwach hat das alles begonnen, bis auch die

„Eine rein touristische Begegnung, die sich unter Vernachlässigung der historischen Zusammenhänge in den deutsch-polnischen Beziehungen nur auf

offizielle Politik es wagte, nach Auschwitz zu

die Diskussion gegenwärtiger Probleme beschränkte, würde wahrschein-

gehen. Mit den polnischen Freunden eng ver-

lich nicht der Verständigung dienen, sondern zu neuen Missverständnissen

bunden, hat Törne auf diesem Gebiet Pionier-

führen, antiquierte Klischeevorstellungen konservieren und geschichtlich

arbeit im wahrsten Sinne des Wortes geleistet. Und dabei hat er gesungen, nicht ins Blaue hi-

bereits ad absurdum geführte Fehlhaltungen erneut hervorbringen. Not-

nein, nicht Kunst für die Kunst, sondern hat

wendig erscheint uns vielmehr eine politisch besonders qualifizierte Begeg-

den anderen Mut gemacht, hat Verse geschmie-

nung mit dem heutigen Polen, die es jungen Deutschen ermöglicht, durch die

det, damit sie ‚Panzer unserer Hoffnung und

Vermittlung konkreter Einsichten in die bis heute fortwirkenden Schuldzu-

Flügel unserem Zorn‘ würden.“ Hans-Richard Nevermann, Unserer Hoffnung Panzerschmied (Ansprache im Trauergottesdienst für Volker von Törne in der St. Annen Kirche in Berlin-Dahlem am 13.1.1981), in: Volker von Törne, Zwischen Geschichte und Zukunft. Aufsätze – Reden – Gedichte, Berlin 1981, S. 106-112.

sammenhänge der deutsch-polnischen Geschichte, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und damit für eine zukünftige dauerhafte Verständigung mit dem polnischen Volk zu arbeiten.“288


170

„Es besteht die Gefahr, dass der Versuch, mit dem Warschauer Vertrag ‚eine vernünftige Grundlage für das dringend notwendige

Wie prägend die Geschichte für die Gegenwart der deutsch-polnischen

Zusammenleben künftiger Generationen [zu] schaffen‘, schon in den Anfängen an den nicht

Beziehungen war, sollte die mühsame Umsetzung der Idee IJBS selbst

akzeptierten Folgen der Geschichte scheitert.

zeigen.

Wir appellieren daher an die Bundesregierung,

Über vier Jahre dauerte es alleine, bis in Polen das Misstrauen, Deutsche könnten sich auf diese Weise um eine politische Lösung der Entschädigungsfrage drücken wollen, so weit überwunden war, dass ASF und der Verband der ehemaligen Widerstandskämpfer ZBoWiD eine Vereinbarung unterschrieben. Jetzt kamen die Vorbehalte auf deutscher Seite erst richtig zum Tra-

durch die Lösung der Entschädigungsfrage im Hinblick auf die in der Volksrepublik Polen lebenden NS-Opfer den nächsten wichtigen Schritt bei der Erfüllung des Warschauer Vertrages mit Leben und damit zur Aussöhnung mit dem polnischen Volk zu tun.“ Diese Erklärung von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste vom 12.5.1973 (EZA 97/62) und

gen. Die Zusage des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus

wiederholtes Nachhaken bei den politisch Ver-

Schütz, über großzügige Finanzzuschüsse von Bund und Senat erwies

antwortlichen in der Bundesrepublik brachte

sich als vorschnell. Das Auswärtige Amt machte Bedenken gegenüber dem Ort Auschwitz und dem Partner ZBoWiD geltend. Seine Bedin-

keine Ergebnisse. Aus dem Auswärtigen Amt verlautet am 30.5.1973: „Die Bundesregierung hat die polni-

gungen für eine staatliche Förderung lauteten: „Definition einer zu-

sche Regierung wiederholt darauf hingewiesen,

kunftsorientierten Zweckbestimmung; Verbreiterung der Trägerschaft

dass es ihr aus rechtlichen und vor allem aus

auf beiden Seiten; Wahl eines geeigneten Ortes, der nicht im Bann der Vergangenheit steht.“289 An einem Jugendhotel in den Beskiden, wie die vage Alternative lautet, hat nun Sühnezeichen kein Interesse. Der Verein wirbt weiter für seine Idee – unterstützt von diversen Bundestagsabgeordneten, Ex-Bundespräsident Heinemann, der Evangelischen Kirche und zahlreichen Mitgliedern. Zu einem Höhepunkt der IJBS-Werbung wird der Evangelische Kirchentag 1977 in Berlin, wo der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt den ersten symbolischen Baustein erwirbt. Die vereinte Lobby bringt Bundesaußenminister Genscher immerhin so weit, „die Bedenken des Auswärtigen Amtes zurückzustellen“ und eine Beihilfe

politischen Gründen nicht möglich ist, über solche Forderungen zu verhandeln. Sie können mir glauben, dass der Bundesregierung und ihren Beratern eine solche Haltung nicht leicht fällt. Aber ich bitte um Ihr Verständnis, dass die Bundesregierung stets den gesamten Komplex der Entschädigungsforderungen in seinen innen- und außenpolitischen Verflechtungen im Auge behalten und dabei auch die finanziellen Auswirkungen berücksichtigen muss. [...] Das Bild einer Wohlstandsgesellschaft, die nach allen Seiten großzügig zahlen kann, ist trügerisch“ (Dr. Dreher an Franz von Hammerstein, EZA 97/62).

zu prüfen.290 Realisiert wird der Bau der IJBS schließlich dank zahlreicher Einzelspenden und mit Zuschüssen des Berliner Senats und von Kirchen. Staatliche Unterstützung kommt indirekt über die Stiftung Deutsche Jugendmarke. Vom ersten Federstrich zum ersten Spatenstich vergehen über zehn Jahre: Der Grundstein zum Bau einer Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświe˛cim/Auschwitz wird am 28. September 1981 gelegt. Das vorerst letzte große Bauprojekt der Aktion Sühnezeichen wirkt wie

Die deutsche Botschaft in Warschau äußere Bedenken, „da ZBoWiD auf polnischer Seite wegen der Entschädigungsfrage Vorbehalte gegen den Vertrag von Warschau und die Vereinbarungen von Helsinki [Sommer 1975, vor allem Aussiedler betreffend; G.K.] geltend gemacht habe“ (Bericht von Törne über Gespräche Nevermann/Törne in Warschau im Januar 1976, 4.2.1976; EZA 97/1731). Das Auswärtige Amt seinerseits befürchte die „Gestaltung antideutscher Programme“ (Vermerk über ein Gespräch Nevermann/Törne mit Legationsrat von Mentzingen am 17.3.1976, 29.3.1976, EZA 97/1731).


KApitel 5. Frieden macht arbeit 171

„Auschwitz begegnet mir, täglich. Wo? – Na, auf der Straße sozusagen. Die Nationalsozialisten, die in den unteren Positionen waren, die hat man ‚entnazifiziert‘, aber die einflussreichen Beamten, Richter, Politiker und Wirtschaftler

aus der Zeit gefallen. Ein Symbol sollte es sein, wie 15 Jahre früher das

haben ihre Stellung vom Nazi-Deutschland

Begegnungszentrum in den Ruinen von Coventry oder die Kirche der

in die demokratische ‚neue‘ Republik retten

Versöhnung in Taizé. Die Herleitung war schlicht und direkt: „Vor we-

können. Sie entscheiden über unsere Zukunft. Sie reden von Freiheit und Demokratie und

nig mehr als 30 Jahren war das KZ Auschwitz Endstation von ‚Todes-

meinen dabei die Freiheit, weiterhin Profite

transporten‘ aus vielen Ländern Europas. Die Internationale Jugend-

einstreichen zu können, und die Demokratie,

begegnungsstätte Auschwitz soll ein Treffpunkt der Jugend Europas

die sichert, dass sie weiterhin herrschen

werden zu Gesprächen über eine Zukunft ohne Angst und Hass.“291

können. Nicht konkret genug? Auschwitz ist mir sogar

Auschwitz als Negativfolie und als Ansporn zum Guten – dahinter

noch viel näher – denn Auschwitz ist in mir –

standen typische Eigenschaften der Siebziger: der Mut zum Plakativen,

in jedem von uns. Auschwitz – das ist unser

ein großer pädagogischer Optimismus und eine vom christlich-jüdi-

Egoismus, unsere Gleichgültigkeit, unser

schen Gespräch noch kaum gestreifte Sorglosigkeit im Umgang mit

Schweigen. Dies alles hat Auschwitz mit mir zu tun. Doch Auschwitz ist nicht nur ein Name – Auschwitz ist ein Phänomen. Auschwitz ist nicht nur – ich bitte um Entschuldigung – die perverseste, profitabelste und perfekteste Massenvernichtung. Auschwitz hat aber viele Namen – Namen wie: My Lai (1968), Santiago de Chile (1973) und viele, viele andere. Und da zeigt sich etwas Neues in diesem Fragenkomplex: Auschwitz ist anscheinend nicht Vergangenheit und Geschichte – Auschwitz ist immer noch Wirklichkeit! Das hat Auschwitz mit mir zu tun.“ Detlef Garbe, Auschwitz – vier Millionen Tote – was hat das mit uns zu tun? in: zeichen 1/1975, S. 9.

den Metaphern „Auschwitz“ und „Holocaust“.


6. Vorletzte Gefechte – Die achtziger Jahre


6. Vorletzte Gefechte Die achtziger Jahre Internationale Jugendbegegnungsstätte Oświe˛cim: Die 1986 eröffnete „IJBS“ wurde von dem Architekten Helmut Morlok erbaut, an der Entwurfsplanung war sein Kollege Edwin Heinz wesentlich beteiligt. Auf dem Foto oben links sind Helmut Morlok und Alfred Przybylski, ehemaliger Auschwitz-Häftling, Architektenkollege Morloks und einer der großen Beförderer des Baus, zu sehen. Das Foto links unten stammt aus der Bauphase, das andere Foto zeigt das Forum in der Mitte und rechts das „Haus der Stille“ 2005. Ohne Tadeusz Szymański, auch er ehemaliger AuschwitzHäftling, wäre die Realisierung des Baus in dieser Weise schwer vorstellbar gewesen, hier 1994 in der IJBS (Fotos: Christoph und Helmut Morlok).


USA 1981/82: Anfang der achtziger Jahre war es noch möglich, eine kleine Demo vor dem Weißen Haus auf die Beine zu stellen. Da wir am Washington Peace Center wussten, wie die Beantragung läuft, organisierten wir im Herbst 1981 eine Kundgebung für das Disarmament Program der Riverside Church in New York, wo ebenfalls ein Freiwilliger von 1981 bis 1983 arbeitete. Informationen über die europäische Friedensbewegung lieferte aus erster Hand auch Volkmar Deile. Hier bei den Quäkern in Washington am 5. April 1982. Höhepunkt der auch in den USA wieder auferstandenen Friedensbewegung war die Großdemo zur Sondersitzung der UNO am 12. Juni 1982. Über 1.000.000 strömten in den New Yorker Central Park, mehr Menschen als zum Konzert von Simon and Garfunkel oder zum Papstbesuch. Als Freiwilliger am Washington Peace Center hatte ich einen kleinen Beitrag geleistet, indem ich ein halbes Dutzend Doppeldecker-Busse gechartert und die Tickets verkauft hatte (Fotos: Till Bartels; Text: Till Bartels 2008).


Bonn: Am 10. Oktober 1981 demonstrierten über 300.000 Menschen in Bonn unter dem Motto: „Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen! Für Abrüstung und Entspannung in Europa“ (Plakat: Bildarchiv Volkmar Deile). Wenige Wochen später erschien ein Dokumentationsband zur Demonstration im Lamuv Verlag, der ausführlich die Vorgeschichte der Demonstration darstellt und die verschiedenen Reden versammelt. Das Buch war auch als Beitrag zur Begleichung des finanziellen Defizits der Veranstaltung gedacht.



Gedenkweg von Buchenwald nach Lobenstein 1984: „Von weitem hörte man schon das Schlurfen der Holzpantinen auf dem Kopfsteinpflaster. Müde, ausgemergelte Gestalten zogen an uns vorbei“, so die Erinnerung von Augenzeugen an die Todesmärsche von KZ-Häftlingen im Frühjahr 1945. Auf den Gedenkwegen der Aktion Sühnezeichen folgten wir deren Route durch die Dörfer, suchten nach Spuren und befragten ältere Menschen am Wegesrand – eine für die DDR ungewöhnliche Form der Erinnerungsarbeit, die misstrauisch beobachtet wurde. Erstaunlich war, wie bereitwillig uns fremde Menschen Auskunft gaben – von selbstverständlicher Hilfeleistung, aber auch von ihrer eigenen Angst vor den SS-Wachmannschaften und Schuldzuweisung gegenüber den Häftlingen sprachen (Fotos: Matthias Hoch; Text: Sabine Erdmann-Kutnevic 2008).


ASF-Mitgliedergespräch 1982: Das Foto entstand am 31.10.1982 auf der Rückfahrt von einem ASF-Mitgliedergespräch. V.r.n.l.: Kurt Scharf (ASF-Vorsitzender), Jörn Böhme (Israel-Referent), Helmut und Brigitte Gollwitzer, Volkmar Deile (Geschäftsführer). Dort war u.a. kontrovers die Frage der heutigen Bedeutung des Begriffes Nation diskutiert worden. „Heute“ meinte damals den Kontext von zwei deutschen Staaten, eine Eskalation des kalten Krieges durch die geplante Stationierung neuer Mittelstreckenraketen und eine große Protestbewegung dagegen. Weder diese schwierige Lage noch die Kontroversen beeinträchtigten Lebensbejahung und Humor. Helmut Gollwitzer kaufte im Intershop in der DDR eine Flasche Wodka und stimmte Kirchenlieder an (Foto: Bildarchiv Volkmar Deile; Text: Jörn Böhme 2008).


Sowjetunion 1976 und 1982: „Lasst uns mit Polen, Russland und Israel beginnen, denen wir wohl am meisten wehgetan haben.“ Solange es ASF nicht gelang, eine Form des regelmäßigen Dienstes in der UdSSR zu vereinbaren, kam es darauf an, die möglichen Kontakte durch wechselseitige Besuche auszubauen. Im Mai 1976 besuchte eine Delegation der ASF (Hans-Richard Nevermann, Volker von Törne und Volkmar Deile) Moskau, Sagorsk und Wolgograd. Im September 1982 waren der ASF-Vorsitzende Kurt Scharf, Günter Berndt, Wolfgang Brinkel, Christoph Heubner und Volkmar Deile in Minsk und Moskau. Vor den langen Schlangen, die vor dem Lenin-Mausoleum warteten, stehen sie am Grabmal des unbekannten Soldaten an der Kremlmauer und in der Gedenkstätte Chatyn bei Minsk (Fotos: Bildarchiv Volkmar Deile; Text: Volkmar Deile 2008).


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kapitel 6. Vorletzte Gefechte – Die achtziger Jahre

Es liegt was in der Luft, im Osten und im Westen. In der DDR fürchten die Machthaber den „polnischen Virus“, ein Übergreifen der Demokratiebewegung im östlichen Nachbarland auf ihre Bürger. In der Bundesrepublik hat die „holländische Krankheit“, die nebenan schon weiter fortgeschrittene und öffentlich gemachte Sehnsucht nach Frieden, Hunderttausende erfasst, wie die großen Demonstrationen Anfang der Achtziger zeigen. Es sind Jahre des Umbruchs, und Aktion Sühnezeichen ist mittendrin. Abrüstung, Menschenrechte, Geschichtsbewusstsein – die Organisation macht ihre vielfältigen Kontakte ins Ausland und die zunehmenden Kontakte zwischen dem Ost- und dem Westzweig fruchtbar fürs politische Geschäft. Jahre des Umbruchs sind die Achtziger allerdings auch intern. Bei ASF zeigt ein strukturelles Defizit im Haushalt, dass der naturwüchsigen Entwicklung Grenzen gesetzt sind. Es beginnt ein Richtungsstreit, der unter dem zivilisierten Namen „Prioritätendiskussion“ Jahre dauern wird. Im Osten eskalieren die Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Sühnezeichen zum Staat DDR und zu seinen lauter werdenden Kritikern. Rückblickend betrachtet liegt eine leise Ironie über den Grabenkämpfen der Achtziger: Es sind Versuche, sich einzurichten in Koordinaten, die bald ihre Gültigkeit verlieren sollten. Im Hintergrund läuft ein damals nicht merklicher Countdown.

Für ein Nein ohne jedes Ja: ASF und die Friedensbewegung

Die weite Reise einer Flasche Wodka umspannt das Engagement der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste Anfang der achtziger Jahre. Gekauft höchstwahrscheinlich bei der Gedenkstättenfahrt im Rahmen des Vorbereitungsseminars für neue Freiwillige, diente der „original polnische Wodka“ am 10. Oktober 1981 zum Anstoßen in Washington. Und zwar auf den „Erfolg eurer Bemühungen, die Friedenskräfte Eu-


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

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ropas zu mobilisieren“, wie die USA-Freiwilligen anderntags in einem Brief ans West-Berliner Büro erklären.292 Aufgeregt vermelden sie das amerikanische Echo auf die Ereignisse in Deutschland: „Zwischen den Weltschlagzeilen, Sadats Beerdigung, dem Bombenanschlag der IRA in London, tauchte auch Bonn als Schauplatz ‚massiver Proteste‘ in der TV-Kiste auf.“ Die Proteste richteten sich gegen das Wettrüsten der Supermächte. Aktion Sühnezeichen Friedensdienste hatte die bis dahin größte Demonstration der deutschen Nachkriegsgeschichte mitverantwortet – und die Freiwilligen in Übersee als glühende Fans gewonnen. „Die ganze Sache hat der Verankerung der neuen Freiwilligen mit dem ASF-Anspruch enormen Auftrieb gegeben“, erklären sie. „Sucht schon mal ein neues issue [Thema; G.K.], damit alle halbe Jahre eine solche Aktion laufen kann, es erleichtert die Arbeit hier im Ausland ungemein.“ Das Thema Frieden ist allerdings so schnell nicht ausgereizt. Die Demonstration vom Oktober 1981 ist gerade mal der Auftakt für eine bundesdeutsche Bewegung gegen die im NATO-Doppelbeschluss angekündigte Stationierung von atomaren Waffen und gegen den Rüstungswettlauf überhaupt. Weit über eine Viertelmillion Menschen sind aus dem In- und Ausland nach Bonn angereist. Einen regnerischen Samstag machen sie zu einem politischen Happening. Von fünf dezentralen Aufwärmveranstaltungen des Vormittags ziehen friedliche und fröhliche „Marschsäulen“ zur großen Wiese im Hofgarten, wo 17 Rednerinnen und Redner und zahlreiche Musiker eine fünfstündige Hauptkundgebung gestalten. Bei diesem Programm ist er bereits gefragt, der „lange Atem“, den der Aufruf zur Demo neben „Mut, Kraft und Phantasie“ fordert und wünscht. Es geht um Widerstand und um Alternativen zur gegenwärtigen Militärpolitik: „Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen! – Für Abrüstung und Entspannung in Europa!“, lautet die Überschrift. 860 Initiativen haben den Aufruf unterschrieben. Die Bonner Demonstration vereint christliche Friedenskreise, Ökologie- und Dritte-Welt-Gruppen, Kriegsdienstverweigerer, Feministinnen und berufsspezifische Zusammenschlüsse mit kommunistischen und sozialistischen Organisationen, mit Ortsgruppen von Gewerkschaften


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„Ich grüße euch auch im Namen aller westeuropäischen Friedensbewegungen, die hier anwesend sind. Es ist von historischer Bedeutung,

und Jugendverbänden der Parteien. Man habe bewusst keine „Ausgren-

dass die Friedensbewegung eine internationale Realität geworden ist. Denn in Fragen von

zungspolitik“ betrieben, erklärt Andreas Zumach, als Inlandsreferent

Sicherheit und Frieden können wir nur in

von ASF neben Geschäftsführer Volkmar Deile wichtigster Vertreter

Zusammenarbeit etwas erreichen. [...]

des Vereins in der Vorbereitung der Demonstration. Unter explizitem Verweis auf marxistische Gruppen betont er den Willen, „Unterschiede

Wir in den Niederlanden haben 1957 als erstes europäisches Land Atomwaffen auf unserem Grund akzeptiert, und wir werden auch die

solidarisch, aber hart miteinander innerhalb dieser Friedensbewegung

Ersten sein, die sie wieder abschaffen. Die west-

auszutragen“.293

europäischen Friedensbewegungen nehmen

Tatsächlich ist es den Vertretern aller Lager in der Vorbereitung gelungen, einen Minimalkonsens zu formulieren. Doch der Sprengstoff späterer Tage lauert schon zwischen den Zeilen des Einladungstextes – etwa in Forderung zwei: „Wir fordern die Regierungen der Mitgliedsländer der NATO auf, ihre Zustimmung zum Beschluss über die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen zurückzuziehen. Damit soll

diese Demonstration als Auftakt einer ganzen Reihe von Demonstrationen, zu denen wir euch hiermit einladen. So wie wir eure Forderungen unterstützen, hoffen wir, dass ihr auch unsere Forderungen unterstützt. Wir treffen uns am 24. Oktober in Rom oder, wer will, in Madrid, am 25. Oktober in Paris, Brüssel und, falls ihr es schafft, auch in London

der Weg für die Verringerung der Atomwaffen in West- und Osteuropa

und Oslo, am 29. und 30. Oktober in Kopenha-

geöffnet werden mit dem Ziel, einen wechselseitigen umfassenden Ab-

gen, am 21. November in Amsterdam, in der

rüstungsprozess in Gang zu setzen.“294 Die sowjetischen Waffen sind nicht beim Namen genannt und doch klar angesprochen – kunstvoll

Woche vom 7. bis zum 11. November in Brüssel, vom 22. bis zum 24. Januar in Stockholm. Kommt ihr?“

austariert sind damit der Ansatz einseitiger Reduzierung und die For-

Aus der Ansprache von Greetje Witte-Rang vom

derung nach Abrüstung in West wie Ost.

Interkirchlichen Friedensrat der Niederlande bei der

Noch stehen diese sicherheitspolitischen Differenzen zurück hinter der Frage, wer in dem neuen breiten Bündnis, das sich „Friedensbewegung“ nennt, wann worüber das Sagen hat. Aktion Sühnezeichen ist unversehens in eine starke Position geraten. Vom niederländischen „Interkirchlichen Friedensrat“ hat der Verein den Impuls zu großen De-

Hauptkundgebung der Bonner Demonstration vom 10.10.1981, zitiert nach: Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (Hg.), Bonn 10.10.81. Friedensdemonstration für Abrüstung in Europa. Reden, Fotos..., BornheimMerten 1981, S. 91 ff.

monstrationen in mehreren Ländern, darunter auch in der Bundesrepublik, aufgenommen. ASF ist nach allen Seiten gesprächsfähig, ohne von einer politischen Partei oder selbst den Kirchen abhängig zu sein. Am Rande des Kirchentags im Juni 1981 finden die entscheidenden Abstimmungen zwischen kirchlichen und linken Gruppen statt; bei der

„Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat der Bundesregierung anlässlich der Bonner ‚Friedensdemonstration‘ einen Bericht über ‚linksextremistische und sicherheitsgefährdende Tendenzen beim Friedenskampf‘ vorgelegt.

dortigen Friedensdemonstration, die ihrerseits bereits 100.000 Men-

Danach verfügen die Staatsschutzbehörden

schen versammelt, werden Anliegen, Ort und Datum der Oktoberdemo

über zuverlässige Informationen hinsichtlich

bekannt gegeben. Und die Veranstalter: Die inhaltliche, organisatori-

eines ‚Drei-Jahres-Plans‘ der kommunistischen und ökologischen Gruppen für Aktionen

sche und finanzielle Verantwortung tragen Aktion Sühnezeichen Frie-

gegen die NATO-Nachrüstung. In dem Bericht

densdienste und die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden.

heißt es, dass es der immer stärker werdenden Protestbewegung bei ihren zukünftigen Aktionen nicht mehr nur um die Ausübung ‚politischen Drucks‘ gehe. Militäranlagen in der Bundesrepublik sollten direkte Ziele geplanter ‚Widerstandsaktionen‘ sein. [...] Am Weihnachtsfest sind ‚massenhafte Kirchenbesetzungen‘ vorgesehen. Überdies sollen in den


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

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Gemeinden ‚einwöchige Friedenskonferenzen‘ organisiert werden.“ Heinz Vielain, Verfassungsschutz warnt: Neue Pläne, in: Welt am Sonntag, 11.10.1981. Die Beobachtung der Friedensbewegung durch

Es ist eine undankbare Rolle, die vielen Gruppen unter einen Hut zu

den Verfassungsschutz wurde aktenkundig,

bringen. Konflikte bleiben nicht aus. Von verschiedenen Seiten wird

als im Februar 1986 der frühere Präsident des

den Verantwortlichen autoritäres Verhalten vorgeworfen. Dritte-Welt-

Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heribert Hellenbroich, vor dem Spionageausschuss des

Gruppen sprechen von Zensur, als ihr Vertreter Tony Seedat vom Afri-

Bundestages einräumte, dass in seinem Hause

can National Congress nicht auf der Schlusskundgebung auftreten

Berichte über die Friedensarbeit der Kirchen

darf – er will unter anderen Befreiungsbewegungen auch die palästi-

geschrieben worden seien. Nach einem Bericht

nensische PLO repräsentieren.295 Gebremst fühlen sich auch Bürgerin-

der Frankfurter Rundschau vom 20.2.1986 hatte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Carl-Dieter Spranger, Berichte „über die inneren Verhältnisse in der DDR“ und über die „kommunistische Friedensarbeit“ angefordert: „Der Verfassungsschutz sollte Material über den Weltfriedensrat und

itiativen mit ihren Vorschlägen etwa für eine Vorabend-Aktion vor dem Verteidigungsministerium auf der Hardthöhe oder eine Umkreisung der Bonner Bannmeile.296 Die Veranstalter setzen auf Deeskalation, und das ist auf dem Hintergrund der öffentlichen Stimmung jener Wochen nur zu verständlich.

verschiedene ‚Bündnisorganisationen‘ liefern,

Glaubt man nämlich dem Großteil von Medien und Politik, dann be-

‚insbesondere, wie die Kirche eingebunden

deutet der 10. Oktober 1981 nicht weniger als eine Gefährdung der Bon-

worden ist‘. Dabei habe Spranger den Namen

ner Republik. Dabei ist es weniger eine eventuelle Gewaltbereitschaft

Volkmar Deile von der Organisation ‚Aktion Sühnezeichen‘ in Berlin erwähnt. Anlass für

der Friedensdemonstranten, die zu Sorge Anlass gibt, als vielmehr die

das Interesse des Staatssekretärs sei gewesen,

vermutete kommunistische Unterwanderung. „Volksfront!“, rufen die

so erinnerte sich Hellenbroich an das Gespräch,

Fraktionen von CDU/CSU, seit bekannt ist, dass kirchliche und unab-

dass sich Vertreter der Kirchen führend an der

hängige Gruppen, Grüne und Sozialdemokraten Schulter an Schulter

Organisation der Friedensbewegung beteiligt hatten.“

mit Kommunisten demonstrieren wollen. Die Presse sekundiert. Die

Die – von Sühnezeichen explizit erbetene –

Bonner Rundschau etwa schreibt: „Wenn hohe SPD-Funktionäre den Ein-

kirchenamtliche Rückendeckung ließ etwas auf

druck erwecken, als handele es sich um eine Friedensveranstaltung, bei

sich warten. Der Pressesprecher der EKD gab

der lediglich ein paar böse Störer auftreten könnten, dann übersehen

zunächst die Auffassung zu Protokoll, „dass dem Staat nicht verwehrt werden könne, sich

die Sozialdemokraten [...] den politischen Hintergrund der mächtigen

auch mit kirchlichen Aktivitäten im Umfeld

Unterorganisationen.“ Unter den Anführern der Züge zur Hauptkund-

der Friedensbewegung zu befassen“ (vgl.

gebung macht die Zeitung ein zahlenmäßiges Übergewicht extremer

epd-Meldung vom 21.2.1986). Eine Woche später

Linker aus; sie erwähnt die „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“,

schlug Kirchenamtspräsident Löwe andere Töne an und berief sich dabei auf einen vier Jahre alten Brief, in dem der stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD der ASF ausdrücklich sein Vertrauen ausgesprochen hatte (vgl. Brief Helmut Hild an Kurt Scharf, 25.1.1982, EZA 97/956). Löwe ließ am 28.2.1986 verlauten: „1. am

die „Falken“, die „DKP-beeinflussten“ Verbände „Deutsche Friedensgesellschaft“ und „Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit“ sowie verschiedene Einzelpersonen.297 Noch am 9. Oktober, einen Tag vor der geplanten Demonstration, bringen die Christdemokraten im Bundestag eine Vorlage ein, die deren

25.1.1982 hat der rat den ehemaligen mitarbei-

Ziele als „gegen die Interessen der Bundesrepublik“ gerichtet bezeich-

tern der aktion suehnezeichen friedensdienste

net. Im Dezember werden sie im Rahmen einer „kleinen Anfrage“ an

e.v. unmissverstaendlich sein vertrauen ausgesprochen. was damals gesagt wurde, gilt auch heute fuer die frueheren und gegenwaertigen mitarbeiter. 2. die evangelische kirche in deutschland hat kein verstaendnis dafuer, wenn fuer politische auseinandersetzung beim verfassungsschutz material angefordert wird.


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dadurch kann vertrauen in institutionen des staates untergraben werden“ (Telex der Pressestelle der EKD an die kirchlichen Nachrichtenagen-

die Bundesregierung den Vorwurf, die Demonstration sei aus Moskau ferngesteuert gewesen, noch einmal unters Volk bringen. Immerhin nicht ganz so einig zeigt sich das sozialdemokratische Lager. Die Teilnahme zahlreicher SPD-Abgeordneter und prominen-

turen epd und idea vom 28.2.1986, EZA 97/1821). Der Versuch von ASF und Volkmar Deile, auf juristischem Weg Einsicht in das beim Verfassungsschutz gesammelte Material zu erhalten, scheiterte.

ter Parteimitglieder – das Präsidiumsmitglied Erhard Eppler ist sogar als Redner bei der zentralen Kundgebung eingeplant – bringt Helmut Schmidt, den Kanzler des Doppelbeschlusses, in eine schwierige Lage. Nach anfänglichem Konfrontationskurs gegen die internen Kritiker gibt er sich schließlich selbstkritisch: Die SPD habe es „versäumt, für den Wunsch vieler Menschen, ihrer eigenen Friedenssehnsucht einen äußeren Ausdruck zu verleihen, das Forum und das Ventil selbst zur Verfügung zu stellen“, zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung.298 Davor

„Während der Manifestation kreiste still und unverdrossen ein kleines Flugzeug mit einem riesigen Spruchband mit der Aufschrift ‚Wer demonstriert in Moskau? ‘ über der Menge. Nach den belustigten oder gelassenen Kommentaren im unmittelbaren Umkreis des Beobachters zu schließen, schienen die versammelten ‚Friedenskämpfer‘ – mit Ausnahme wohl der hart gesottenen Kremlanhänger – für

schon hat der Vorsitzende Willy Brandt gepoltert: „Ich habe verdammt

diese von einigen Politikern und Journalisten

noch mal auf deutschem Boden Schlimmeres erlebt, als dass junge

aufgezogene ‚Alternativdemonstration‘ durch-

Menschen für Frieden und Abrüstung eintreten. Und man darf bitte

aus wohlwollendes Verständnis aufzubringen.“

nicht gegen sich ohne Not aufbringen, was in Wirklichkeit zum großen Teil uns helfen möchte.“299 Die Fraktion beschließt denn auch, jedem die Teilnahme freizustellen. Die Diffamierungen im Vorfeld schaden der Sache nicht, im Gegenteil: Während sich die Führungsgremien mit eindeutigen Stellungnahmen schwer tun, demonstriert das Fußvolk von Parteien und Verbänden. Das gilt nicht nur für SPD und FDP, der Befund trifft auch auf Gewerkschaften und Kirchen zu. 300.000 Menschen werden schließlich gezählt – mit dieser Zahl haben weder Veranstalter noch Gegner gerechnet. Erstere feiern den Durchbruch: „Die Friedensbewegung ist tendenziell mehrheitsfähig“, konstatiert Volkmar Deile.300 Dem einen Tag in Bonn widmen die Organisatoren eine 224-seitige Foto- und Text-

Neue Zürcher Zeitung vom 10.10.1981, Friedliche ‚Friedensdemonstration‘ in Bonn. Ein Erfolg für die pazifistische Bewegung. Den Unterzeichnergruppen des Aufrufs erklären die Organisatoren im Nachhinein, das Flugzeug sei von der „Vereinigung für Friedensund Sicherheitspolitik (Vorsitzender Philipp, Bundeswehrreservistenverband, E. Horn MdB SPD, Alois Mertes MdB CDU und J. Möllemann MdB FDP) gechartert worden. Unsere Versuche, das Flugzeug wegzubekommen, scheiterten, weil der Luftraum über Bonn am 10.10. nicht gesperrt war und weil das Flugzeug nicht über Funk ansprechbar war“ (Brief von Ulrich Frey, Volkmar Deile u.a., o.D., EZA 97/1160).

Dokumentation – im stolzen Bewusstsein, „der ganzen Republik die Frage einer neuen Friedenspolitik wirkungsvoll gestellt zu haben. Niemand kann in Zukunft an ihr vorbei.“301 Eine dauerhafte Führungsrolle in der neuen Bewegung beanspruchen die Demo-Manager nicht. Ihren Adress-Verteiler nutzen sie, um die beteiligten Gruppen für Anfang Februar 1982 zu einem Treffen nach Bonn einzuladen: Es wird die „erste Aktionskonferenz der Frie-

„Hier ist sie also, die Friedensbewegung, die – je nach politischer Optik – so viele Hoffnungen, Befürchtungen und auch Aggressionen auf sich zieht. Frauen und Männer von 26 höchst unterschiedlichen Gruppen haben sich wieder einmal im Hinterzimmer des bekannten Bonner Lokals versammelt. ‚Können wir anfangen?‘, ruft Jo Leinen laut und deutlich, damit es auch jene verstehen, die noch draußen auf der Terrasse sitzen und Spaghetti oder Calamares verzehren. Routiniert leitet Leinen auch diese Sitzung, zuweilen abgelöst durch den ebenso geschickten Andreas Zumach von der Aktion Sühnezeichen. Mit am


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

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Tisch sitzen Eva Quistorp, die Sprecherin der ‚Frauen für den Frieden‘, und Gregor Witt vom Vorstand der Deutschen Friedensgesellschaft/ Vereinigte Kriegsdienstgegner. Jochen Dietrich als Vertreter der Vereinigten Deutschen

densbewegung“. Nun schälen sich Strukturen heraus – und Konflikte.

Studentenschaften hat es vorgezogen, auf der

Ein Koordinationsausschuss ersetzt die bisherigen „Frühstücksrun-

anderen Seite des Raumes Platz zu nehmen,

den“, eine Geschäftsführung bezieht ein eigenes Büro. Am nächsten

obgleich auch seine Organisation ebenso wie der Bundeskongress entwicklungspolitischer

gemeinsamen Projekt scheiden sich die Geister: Im Juni wird US-

Aktionsgruppen zu den sechs geschäftsführen-

Präsident Reagan anlässlich eines NATO-Gipfels die Bundesrepub-

den Gruppen gehört. Es ist also die gleiche Be-

lik besuchen, ihn sollen große Demonstrationen in Bonn und Berlin

setzung wie bei den beiden vorangegangenen

empfangen.

großen Friedensdemonstrationen in Bonn. Den Frauen und Männern an den langen Tischen

Aktion Sühnezeichen unterschreibt den Aufruf hierzu nicht. In der

liegt die Tagesordnung und ganz professionell

(nach der Bonner Demo gegründeten) vereinseigenen Friedenszeitung

auch eine ‚erweiterte Tischvorlage‘ – fast wie

pax an warnt Volkmar Deile vor der Versuchung, „die internen Span-

am Kabinettstisch des Kanzleramts – vor.

nungen durch Solidarisierungen nach außen (Anti-Reagan, Anti-NATO,

Leinen, Vertreter des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), trägt vor. Die

Anti-...) zu übertünchen“.302 In der neuerlichen Großaktion sieht er

Rednerliste für die Volksversammlung in Bonn –

eine fruchtlose Personalisierung der Kritik und ein Ausweichen vor der

so soll diesmal die Friedensdemonstration

politischen Diskussion.

genannt werden – müsse besprochen, endlich aber auch die Diskussion darüber geführt werden, wie es danach weitergehen solle.

Die aber ist nötig, denn bei näherem Hinsehen reicht die Gemeinsamkeit der verschiedenen Akteure nicht wesentlich über den General-

Hinter dem harmlosen Stichwort ‚Rednerliste‘

nenner „Frieden“ hinaus. Gänzlich verschiedene Positionen existieren,

verbirgt sich – alle im Raum Versammelten

was die Verortung der bundesdeutschen Friedensbewegung im Ost-

wissen es – ein für manchen Friedensfreund

West-Gefüge angeht. Wo die einen nur die amerikanische Seite ins Vi-

heikler Punkt: Soll auch eine Sprecherin oder ein Sprecher der Friedensbewegung in der DDR

sier nehmen, fordern die andern Sowjetkritik im Blick auf die Vorgänge

eingeladen werden? Die Teilnehmer der letzen

in Polen und Afghanistan. Das Verhältnis zur Friedensbewegung in der

Aktionskonferenz in Köln hatten mit Mehrheit

DDR – ausblenden? einladen? anbinden? – ist ein Dauerbrenner auf den

die Empfehlung ausgesprochen: Nein – und das

folgenden Aktionskonferenzen. Und im Überschwang der ersten Erfol-

sehr zum Ärger der unterlegenen Grünen, Frauen für den Frieden und BBU-Umweltschützer.

ge tragen vor allem Vertreter der neuen grünen Partei weitreichende Vi-

Anders als bei den Aktionskonferenzen hat aber

sionen von einer Auflösung der Blöcke oder einem geeinten, neutralen

bei den entscheidenden Sitzungen des Koordi-

Deutschland in die Friedensbewegung. Aktion Sühnezeichen warnt vor

nationsausschusses der Friedensbewegung jede

linkem Nationalismus:

der 26 Gruppen nur eine Stimme. Lukas Beckmann, der vollbärtige Geschäfts-

„Wer die Wiedervereinigung Deutschlands anstrebt, mindert nicht die Span-

führer der Grünen, nimmt denn auch das Ab-

nungen, sondern erhöht sie. Die Annäherung der Deutschen ist nur möglich

stimmungsergebnis voraus, indem er mit leicht

durch völligen Verzicht auf die Wiedervereinigung Deutschlands. Wer das

drohendem Unterton lässig und selbstbewusst

Gegenteil behauptet, kennt die politischen Verhältnisse in allen die beiden

zu Protokoll gibt: ‚Entgegen der Diskussion in Köln gehe ich davon aus, dass die Einladung einstimmig beschlossen wird und sich allenfalls einige enthalten.‘ Ihr Kandidat sei Joachim Tschiche, Leiter der evangelischen Akademie in Magdeburg. Tschiche schlage die Brücke zwischen der inner- und der außerkirchlichen Friedensarbeit in der DDR. Wohl wissend, mit welchem Unbehagen die wenigen Kommunisten und deren Sympathisanten gerade jene außerkirchlichen ‚eigen-

deutschen Staaten umgebenden Ländern nicht. Nur wer die durch den Zweiten Weltkrieg entstandenen Fakten anerkennt, kann die Situation wirklich verändern.“303


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ständigen‘ DDR-Friedensfreunde beobachten, schlägt darauf der erfahrene Andreas Zumach zwei DDR-Kirchenmänner vor: Propst Heino Falcke aus Erfurt und den Ost-Berliner Super-

Hier ist sie, die unverwechselbare Stimme von Sühnezeichen im

intendenten Günther Krusche. Beide Männer

Konzert der westdeutschen Friedensbewegung. Ihr spezielles Timbre

seien aktiv in der Friedensarbeit der Kirche,

stammt aus der ständigen Konfrontation mit den Fortwirkungen von

versichert Zumach.

Geschichte in der Inlands- und Auslandsarbeit. Außerdem erlebt die Organisation die deutsche Teilung am eigenen „Leib“, und sie gestaltet

Ehe noch Jo Leinen abstimmen lassen kann, meldet sich Achim Maske zu Wort, ebenso wie Gunnar Matthiessen Vertreter des Komitees

diese Situation zunehmend bewusst. Haupt- und Ehrenamtliche der

für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit,

ASF fahren zu Gesprächen oder Jahrestreffen in die DDR; auch umge-

das für die Staatsschützer nur der verlängerte

kehrt werden mehr und mehr Besuche aus dem Osten bei Mitgliedergesprächen oder -versammlungen, vereinzelt sogar bei Freiwilligen in

Arm der Deutschen Kommunistischen Partei und somit Moskaus ist. Richtig ist in Wahrheit nur, dass im Komitee unter anderem auch

Westeuropa möglich. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre treffen

Kommunisten an führender Stelle mitarbeiten.

sich die „Teams“ von ASF und ASZ zum mehrtägigen Austausch.

Der frühere Aktivist des kommunistischen

Zum 25. Geburtstag der Aktion Sühnezeichen im April 1983 haben die beiden Zweige öffentlich ihr „Verbundensein“ in „Eigenständigkeit“

Studentenbundes MSB Spartakus also meldet sich zu Wort und verwahrt sich gegen eine öffentliche Erklärung der Grünen, in der Beck-

erklärt: „Wir bemühen uns bis heute, als Aktion Sühnezeichen in der

mann ein ‚bestimmtes Spektrum‘ innerhalb

DDR und Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (Sitz: Berlin-West),

der Friedensbewegung aufs Korn genommen

unser gemeinsames Grundanliegen unter unterschiedlichen Bedingungen und in gegenseitiger Freigabe wirksam werden zu lassen.“304

hatte, weil diese gegen die Einladung an einen DDR-Friedensfreund gestimmt habe. Derartige Erklärung, so Maske verbittert, diene wohl

1985, vierzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, werden sie

vor allem dem Bemühen der Grünen, sich zu

konkreter. In einem „Gemeinsamen Wort“ rufen ASZ und ASF ihre Re-

profilieren.

gierungen zu einer „deutschen Abrüstungsinitiative“ auf. Sich selbst schreiben sie ins Stammbuch: „Wir wollen uns bemühen, stärker als bisher durch persönliche Kontakte zu Menschen in West- und Osteuropa der Völkerverständigung zu dienen.“305 Sühnezeichen setzt auf Begegnung. Schon 1982 zieht ASF der demons-

Der Geschäftsführer der Grünen hält es nicht einmal für notwendig, sich zu verteidigen. Und ehe es einige noch richtig kapiert haben, hat Leinen abstimmen lassen: Bei einigen Enthaltungen und einigem Murren beschließt der Koordinationsausschuss zunächst einstimmig, dass überhaupt ein Sprecher der DDR-Frie-

trativen Ablehnung der Reagan-Politik den Kontakt mit dem „anderen“

densbewegung eingeladen wird. Vielleicht um

Amerika vor. Im März reisen Volkmar Deile und Andreas Zumach für

den profilsüchtigen Grünen eins auszuwischen

drei Wochen zu Kirchengemeinden, Redaktionen, Friedensgruppen

oder auch den Freunden und Freundinnen vom

und Universitäten in den USA. Sie sind Mitglieder einer westeuropäischen Delegation, die von zwei Friedensorganisationen eingeladen

Komitee und der DKP-Jugendorganisation SDAJ etwas entgegenzukommen, erhält dann allerdings bei der zweiten Abstimmung der

wurde (die Bundesrepublik Deutschland vertritt außer ihnen Dorothee

Vorschlag Zumachs, einen Kirchenmann aus

Sölle; Petra Kelly hat kurzfristig abgesagt). Die „Europeace-Tour“ soll

der DDR nach Bonn zu bitten, die große Mehr-

auf die kommende UNO-Sondersitzung über Abrüstung hinweisen, und sie soll die Friedensaktivisten auf beiden Seiten des Atlantiks einander näher bringen. So erfahren die Amerikaner vom europäischen

heit der Stimmen.“ Aus: Dirk Cornelsen, Gefährliche Riffs und diplomatische Formeln. Bei DDR und Gewaltfragen ist die Friedensbewegung hellwach/Sitzung in Bonn, in: Frankfurter Rundschau, 10.9.1983.


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

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„Im Gehorsam gegenüber Gott und im Hören auf sein Wort wage ich zu sagen: Die atomaren Waffen sind kein Mittel der Politik. Auch ihr Gebrauch allein zur Drohung ist Lästerung Gottes.

Kampf gegen die Stationierung neuer Atomwaffen; die Europäer ler-

Umkehr ist notwendig! Jeder Mensch auf dieser

nen die amerikanische „Freeze“-Kampagne (zum Einfrieren von Nukle-

Erde, die Gott liebt und die er durch uns erhal-

arwaffenproduktion und -stationierung) kennen.306

ten will, kann dazu mithelfen, dass Umkehr vollzogen wird. Der Einzelne ist dem bösen Ge-

Überhaupt: Kampagnen. Sie sind die Arbeitsform der Zeit. Das

schehen gegenüber nicht ohnmächtig und Sie,

Sühnezeichen-Büro, konkret die Freiwilligen der „Friedenswochen-

Freunde, sind es ganz und gar nicht. Auf Sie

Abteilung“ (unter ihnen auch eine Amerikanerin), übernimmt die

blickt die sorgende Erwartung der Völker! Die

Vermittlung von deutschen und amerikanischen Friedensinitiativen,

Friedensbewegungen in Europa und in der ganzen Welt haben begonnen, Voraussetzungen

die „People-to-People-Campaign“. Daneben läuft seit 1981 als „Selbst-

für eine andere, eine neue Art des Zusammen-

verpflichtungskampagne“ der Versuch, Einzelpersonen per Unter-

lebens der Nationen zu schaffen. Wir zählen

schrift an das Engagement gegen die Stationierung zu binden. Mehr

uns zu der weltumspannenden ‚Bewegung für

Nachdruck steckt allerdings hinter der „Kampagne für atomwaffen-

das Überleben der Menschheit‘. In dem Land, aus dem ich komme, erkennen die Bürger in

freie Zonen“, die nach britischem Vorbild Kommunen dafür gewin-

zunehmendem Maße, wie gefährdet der Friede

nen will, möglichst per Ratsbeschluss ihren Ort für atomwaffenfrei

durch eine Politik ist, die von gegenseitigem

zu erklären: Immerhin 600 Orte in der Bundesrepublik schließen sich

Misstrauen bestimmt wird. Sie überlassen ihre

bis 1984 an. Weiter laufen die Unterstützung der allherbstlichen Frie-

Zukunft nicht länger den Regierenden, die in den Denkkategorien des Abschreckens und des

denswochen, die Vorbereitung der Pfingstfestivals; vermehrt gehen

Drohens gefangen sind. Große Demonstratio-

Bitten um Auskunft und Referenten ein. Die Explosion der Aufga-

nen in Europa und vor zwölf Tagen hier in New

ben erfordert neue Strukturen: Der Materialversand wird samt zwei

York eröffnen den Menschen neue Möglichkei-

Freiwilligen ins niedersächsische Örtchen Beienrode bei Königslutter

ten politischen Denkens und Handelns.“ Aus: Geschwister dieser einen Erde. Ansprache des

ausgelagert.

1. Vorsitzenden der Aktion Sühnezeichen/Friedens-

Arbeit macht noch ein anderes Feld: Aktion Sühnezeichen fungiert

dienste, Bischof i.R. Dr. Kurt Scharf, vor der Sonder-

als eine Art Übersetzungsagentur zwischen der allgemeinen Friedens-

sitzung der Vereinten Nationen über Abrüstung am

bewegung und den Kirchen. Oft genug versuchte der Verein als „Sta-

24.6.1982, in: zeichen 2/30. Juni 1982, S. 1 ff.

chel im Fleisch“307 der EKD, dem Friedensengagement der Institution aufzuhelfen und sie etwa über die Unentschiedenheit der Heidelberger Thesen hinauszutreiben; doch noch im November 1981 enttäuschte die EKD mit einer allzu moderaten Denkschrift. Jetzt allerdings kommen friedensethische Impulse aus der christlichen Ecke, die ASF wiederum gerne einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Vor der Friedenswoche im Herbst 1982 begrüßt der Verein mit einer Erklärung explizit den Text des Moderamens des Reformierten Bundes Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche. Ein kirchliches Leitungsgremium hat die Friedensfrage als Bekenntnisfrage bezeichnet. Die Abschreckung mit Atomwaffen ist damit nicht


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„Die Absage an die Abschreckung sollte nach den Vorstellungen der Bundessynode 1983 Chancen für eine Politik eröffnen, die

länger Ermessenssache. Es geht vielmehr um „Bekennen und Verleug-

‚ein auf Gerechtigkeit gegründetes System gemeinsamer Sicherheit zwischen Ost und

nen des Evangeliums“, um ein „Nein ohne jedes Ja“ zu nuklearen Waf-

West, zwischen Nord und Süd möglich

fen. Viele, vor allem lutherische, Kirchenleute sehen rot. Sie lehnen

macht‘. Mit dieser Hoffnung hatten die DDR-

die Verknüpfung politischer Optionen mit Glaubensfragen ab. ASF

Kirchen den Gedanken der ‚Gemeinsamen Sicherheit‘ aufgegriffen, der 1982 im ‚Bericht

versucht zu moderieren, ohne der Stellungnahme der Reformierten die

der Unabhängigen Kommission für Abrüstung

Spitze zu nehmen:

und Sicherheit – Common Security‘ (‚Palme-

„Die Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste versteht das Aussprechen des status confessionis durch den Reformierten Bund als Ausdruck des dringenden Wunsches, das Gespräch über die atomaren Waffen nicht nur als Frage des

Bericht‘) zur Diskussion gestellt worden war. Im Gegensatz zum Zwang zur ständigen Erhöhung von Drohung und Gegendrohung im Abschreckungssystem zielt der Gedanke der

‚politischen Ermessens‘, sondern als eine unseren Glauben zutiefst berühren-

Gemeinsamen Sicherheit oder ‚Sicherheitspart-

de Angelegenheit zu führen. [... Sie] sieht im Ernst und in der Eindeutigkeit

nerschaft‘ auf ein sicherheitspolitisches Kon-

der Erklärung des Reformierten Bundes keine Aufforderung zur Spaltung der Kirche, sondern die dringende Bitte um den notwendigen Lernprozess der

zept, das so konstruiert ist, dass nicht nur die Interessen der eigenen Seite, sondern in ihnen auch die der gegnerischen Seite berücksichtigt

ganzen Kirche. Die Aktion Sühnezeichen wird alles in ihrer Kraft Stehende

werden. An die Stelle des Wettlaufs um einen

tun, um diesen Lernprozess zu fördern.“308

einseitigen Sicherheitsvorsprung (vgl. die

Die gewachsenen Möglichkeiten von Aktion Sühnezeichen, lernfördernd zu wirken, sind vielfältig. Da ist zum einen der Weg der geduldi-

Diskussion um die ‚Sicherheitslücke‘ bei den so genannten euro-strategischen Waffen, die 1983 zum NATO-Nachrüstungsbeschluss führte)

gen Information. In Blättern und Büchern verbreitet ASF theologische

tritt eine sicherheitspolitische Philosophie, die

Argumente zur Friedensfrage – nicht zuletzt Anregungen aus den Kir-

die Sicherheit des Gegners im eigenen Konzept

chen der DDR, die auf diesem Feld die Nase vorn haben. Fast zeitgleich

mit bedenkt und dadurch beide sicherer macht: Sicherheit als Summe gemeinsamer Anstren-

zur Erklärung des Reformierten Bundes, nämlich im September 1982,

gungen beider Kontrahenten.

tagte die Synode der DDR-Protestanten in Halle. Ihr Beschluss einer

Offiziell wurde das Konzept der Gemeinsamen

„Absage an Geist und Logik der Abschreckung“ bildete schon terminologisch einen Meilenstein (die „Praxis“ sollte im nächsten Jahr hinzutreten). Die Studie Sicherheitspartnerschaft und Frieden in Europa. Aufgabe der deutschen Staaten, Verantwortung der deutschen Kirchen, die die Theologische Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR im März darauf vorlegte, brachte ein Stichwort in die Debatte, das ASF in die westdeutsche Öffentlichkeit trug: die „Sicherheitspart-

Sicherheit in der DDR totgeschwiegen. Die evangelischen Kirchen waren die einzigen, die es mit ihren friedenstheologischen Überlegungen in Beziehung setzten und öffentlich befürworteten. Sie sahen darin eine Möglichkeit, das Gespräch über einen neuen sicherheitspolitischen Handlungsansatz anzuregen. ‚Gemeinsame Sicherheit‘ entsprach dem Interesse der Kirchen an politisch vernünftigen

nerschaft“ als „weitgehend akzeptabler, aber bisher noch nicht poli-

Ideen und Konzepten, die geeignet waren, die

tisch operationalisierter Gegenbegriff zur augenblicklichen Politik der

militärische Konfrontation zwischen den

Konfrontation“309. Neben dieser Art der Volksbildung beherrscht ASF auch die massenwirksame Aktion: Beim Kirchentag in Hannover im Juni 1983 prangt das

beiden Blöcken in Europa zu entschärfen und den Frieden sicherer zu machen.“ Joachim Garstecki, Das Erbe der Friedensbewegung aus den Kirchen der DDR. Statement auf der Konsultation „25 Jahre Kirchengemeinschaft“ zwischen der United Church of Christ (UCC/USA) und der Union Evangelischer Kirchen (UEK) in Deutschland, 12. November 2005 in Berlin-Spandau, www.stiftungadam-von-trott.de/pdfs/2006_05_22_uek.pdf


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

189

„Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen“ auf Zehntausenden von Schultern. Verantwortlich für die Kampagne der lila Tücher ist ASF im Verbund mit anderen christlichen Friedensgruppen. Die Stimmung in der und um die Friedensbewegung ist auch deswegen hochgespannt in jenem Sommer 1983, weil der Ernstfall bevorsteht: Ende des Jahres will die NATO mit der Stationierung von Raketen und Marschflugkörpern in Europa beginnen. Der öffentliche Widerstand in der Bundesrepublik ist immens: Im Herbst 1983 wird landauf landab gefastet, blockiert, getagt – und demonstriert. Am 22. Oktober gehen mit anderthalb Millionen mehr Westdeutsche denn je auf die Straße. Das große Aufbäumen verhindert die Stationierung nicht. Die breite Koalition namens Friedensbewegung verfehlt ihr gemeinsames Ziel. Deshalb bringt das Jahr 1983 eine Wende für die Friedensbewegung in der Bundesrepublik. Doch nicht nur deshalb: Auch die Wende in Bonn hat Einfluss auf die außerparlamentarische Protestbewegung. Die Grünen sind in den Bundestag ein-, die SPD ist in die Opposition umgezogen. Immer stärker werden die Energien der organisierten Friedensbewegung für parteipolitische Zwecke genutzt. Der Koordinationsausschuss – ASF ist eines von 26 Mitgliedern – reagiert auf beide Veränderungen und löst seine Geschäftsführung vorübergehend auf. Der Schritt ist keine Kapitulation des Bündnisses, wie die friedenspolitischen Mitarbeiter bei ASF in einem Brief an die Szene erklären. Die Friedensbewegung sucht vielmehr die Gelegenheit zur Wendung nach innen und nach unten: „Jetzt gilt es, ohne den dauernden Druck, sich öffentlich äußern zu müssen, Aufrufe zu formulieren oder Aktionen und deren Trägerschaften zu beschließen, die notwendige Aufklärung und Diskussion über die anstehenden Perspektiven und Aufgaben der Friedensbewegung zu führen.“310 Den Vorsatz von Reflexion und Basisarbeit packen die SühnezeichenAktiven unverzüglich an. Ihre Parole lautet: „Die politische Arbeit der Friedensbewegung beginnt jetzt erst richtig.“311


190

„9. Wir müssen uns darüber klar sein, dass wir einer möglichen Militarisierung des Ost-WestKonfliktes entgegengehen. Dabei wird auch der

Jetzt erst richtig – das ist der Tenor der Einladung, die die „FrieWo“

Bereich der politischen Beziehungen zwischen Ost und West nicht unangetastet bleiben.

im Dezember an alte Mitstreiter verschickt. Bei einem Wochenendtref-

Deshalb braucht die Friedensbewegung [im

fen sollen folgende Fragen diskutiert werden:

Text immer FB; G.K.] eine eigene Ostpolitik. [...]

„Wie können in dieser Situation der Frieden und die Verständigung zwi-

Bedrohungsarme und bedrohungslose Sicherheitsalternativen (defensive Umrüstung und

schen Ost und West gerade über kirchliche Kreise erhalten und vertieft

soziale Verteidigung) sind gefragt. Es muss zu

werden? Was können Friedensinitiativen tun, um die ‚soziale Frage‘ in

einer glaubhaften Bejahung der Koexistenz mit

ihrem ursächlichen Zusammenhang mit der Überrüstung zu erklären?

der anderen Seite kommen, ein Moratorium für

Gibt es gemeinsame Arbeitsschwerpunkte für Friedens- und Arbeitsloseninitiativen? Was können wir gegen steigende Rüstungsexporte tun? Und vieles mehr.“312 Jetzt erst richtig – das ist auch der Tenor der Grundsatzerklärung, die der Frankfurter Rundschau Ende 1983 immerhin eine ganze Seite wert ist.313 Der Text warnt vor Endzeitstimmung und Flucht in Aktionismus.

feindselige Rhetorik sollte eingeführt werden, der Helsinki-Prozess muss unbedingt weitergeführt werden. Die FB selbst muss sich davor hüten, ein Teil der Ost-West-Konfrontation zu werden oder zu sein. Sie ist eine Brücke des Dialogs zwischen den Gegnern. [...] 10. Die FB braucht Geschichtsbewusstsein. Das historische Gewordensein heutiger politischer

Er verweist auf die Erfolge der Friedensbewegung: Die neue soziale Be-

Konstellationen (bes. der deutsche Anteil

wegung habe sogar im konservativen Lager zahlreiche Anhänger ge-

daran) muss bewusst sein. Das sowjetische

wonnen. Sie habe die Sicherheitspolitik demokratisiert und Fragen von Ethik und Moral politisiert – nicht zuletzt durch den christlichen Flügel,

Sicherheitstrauma und der französische Atomwaffennationalismus haben auch etwas mit der Erfahrung der deutschen Okkupation

der kirchliche Stellungnahmen und Bibeltexte wie die Bergpredigt ins

zu tun. ‚Entmilitarisierter Neutralismus‘ und

Feld geführt hat. Die zweite Hälfte des Textes bilden „Richtungsanga-

Wiedervereinigung der beiden deutschen

ben für die Arbeit der Friedensbewegung“, keine überraschend neuen Thesen, eher eine Summe des bisherigen Eintrags der Aktion Sühnezei-

Staaten wird von eigentlich allen europäischen Nachbarn aufgrund historischer Erfahrungen mit Deutschland abgelehnt. Es gibt aber – auch

chen in den Friedensstreit: NATO-Kritik wird gegen einen Austritt ge-

wenn wir dies akzeptieren – eine spezifische

stellt, Sicherheitspartnerschaft gegen Abschreckung, Unabhängigkeit

Verantwortung für den Frieden in Europa für

gegen Parteipolitik. In gewisser Weise ist dieser Text das Vermächtnis der ASF an die Friedensbewegung. Zumindest markiert er den Beginn eines Rückzugs. Nicht nur, weil Mitte 1984 mit Volkmar Deile der prominenteste Rhetoriker in Sachen Frieden Sühnezeichen verlässt. Dass sich bei ASF (wie

die beiden deutschen Staaten vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Hilfreich könnte die volle Anerkennung der Souveränitäten zwischen beiden deutschen Staaten mit allen dazugehörigen Schritten sein. [...]“ Thesen 9 und 10 aus: Die neuen Raketen zwingen die Friedensbewegung auf neue Wege. Die Aktion Süh-

andernorts auch) die Gewichte verschieben, lässt sich schon an der Ver-

nezeichen will Friedensarbeit vor Ort sicherstellen/

einszeitschrift ablesen: Das zeichen-Heft 1/1984 widmet sich in seinem

Vorerst kein Austritt aus der NATO, sondern Auf-

Schwerpunktthema Aus der Geschichte lernen. Frieden schaffen ohne Waffen noch einmal dem Verhältnis von Sühnezeichen und Friedensbewegung. Danach sucht man friedenspolitische Artikel im engeren Sinne vergebens.

lösung der Militärblöcke gefordert, in: Frankfurter Rundschau (Dokumentation), 19.12.1983.


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

191

„Als sich die Kapitulation des Deutschen Reiches zum 40. Mal jährte, löste der studierte Historiker Kohl mit einem symbolischen Akt internationale Proteste aus. Zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten Ronald Rea-

Das bedeutet nicht, dass das Friedensengagement nachlassen wür-

gan besuchte er am 5. Mai 1985 den Soldaten-

de – eher wandert es in traditionelle Arbeitsfelder zurück. Geschichte –

friedhof in Bitburg in der Eifel. Dort befanden

Kirche – Praxis: Der dreifache Bezugsrahmen, der Sühnezeichens Posi-

sich, was man in Bonn zunächst übersehen hatte, neben Gräbern von Wehrmachtssoldaten

tion in der Friedensbewegung definiert hat, bestimmt auch die Weiter-

auch solche von Angehörigen der Waffen-SS.

arbeit nach der Stationierung. Der Verein verstärkt seine Bemühungen

Dass Kohl trotzdem auf dem Besuch bestand,

um ein neues Verhältnis der Deutschen zur Sowjetunion. Er intensi-

wirkte wie der Kontrapunkt zur weltweit

viert seine Lobbyarbeit für Kriegsdienstverweigerung und sozialen

beachteten und unvergessenen Demutsgeste eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers:

Friedensdienst. Und er greift kirchliche Impulse auf, wenn er sich ge-

Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal für

gen Rüstungsexporte und für den konziliaren Prozess hin zu einer Öku-

die Opfer des Aufstands im Warschauer Ghetto

menischen Weltversammlung engagiert.

am 7. Dezember 1970. Hätte Reagan nicht nach Bitburg auch dem ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen einen Besuch abgestattet, von dem Ereignis in der Eifel wäre der makabere Eindruck ausgegangen, die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika hätten sich darauf verständigt, den Zweiten Weltkrieg fortan als europäischen

Geschichte wird besetzt: ASF und die Bewältigung der Vergangenheit

Es war kein unschuldiger Akt, der am 5. Mai 1985 auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg in der Eifel stattfand. Bundeskanzler Helmut Kohl

Normalkrieg zu betrachten.

und US-Präsident Ronald Reagan hatten sich bewusst über internatio-

Für ein anderes Gegengewicht zu Bitburg sorg-

nale Proteste hinweggesetzt. Dass auch Angehörige der Waffen-SS dort

te drei Tage später Bundespräsident Richard

begraben lagen, war kein Hinderungsgrund für die Annäherung der

von Weizsäcker. Die entscheidende Aussage der Rede, die er am 8. Mai 1985 vor dem Deutschen

ehemaligen Kriegsgegner. Zu Ehren der Gefallenen legten die beiden

Bundestag hielt, lautete: ‚Der 8. Mai war ein Tag

Staatschefs Kränze nieder – zum Zeichen der Verbundenheit hielten sie

der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem

sich an den Händen.

menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.‘“ Heinrich August Winkler, Aus der Geschichte

40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs signalisierte der Händedruck von Bitburg: Die Versöhnung hat auch die Täter erreicht,

lernen? Zum Verhältnis von Historie und Politik in

Kriegsverbrechen und Judenverfolgung sollen ins Glied der Geschichte

Deutschland nach 1945, in: Die Zeit, 30.3.2004.

zurücktreten, Deutschland ist rehabilitiert.

Aus der Rede von Richard von Weizsäcker: „Stärker als früher hat der letzte Krieg die Friedenssehnsucht im Herzen der Menschen

Nach dem Regierungswechsel 1982 in Bonn und mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Nationalsozialismus etabliert sich in der Bun-

geweckt. Die Versöhnungsarbeit von Kirchen

desrepublik ein neues Verhältnis zur eigenen Vergangenheit. Erst nach

fand eine tiefe Resonanz. Für die Verstän-

langen Debatten wird die „Auschwitz-Lüge“ strafbar, und auch das nur

digungsarbeit von jungen Menschen gibt

im Rahmen eines Gesetzes, das die Opfer der nationalsozialistischen

es viele Beispiele. Ich denke an die ‚Aktion Sühnezeichen‘ mit ihrer Tätigkeit in Auschwitz

Diktatur im selben Atemzug mit denen von „anderen Gewalt- und

und Israel.“

Willkürherrschaften“ nennt – gedacht ist hier vor allem an Flucht und

http://www.bundestag.de/geschichte/parlhist/

Vertreibung der Deutschen.

dokumente/dok08.html


192

„Wer sich der Erinnerung wirklich stellt, bekommt auch ein Gefühl für die anderen nicht gegangenen oder verhinderten Möglichkeiten

Der Vergleich des Holocaust mit dem Leiden der deutschen Zivilbe-

der Nachkriegsgeschichte in Europa. Er kann die Restaurationsepoche der ersten 15 Nach-

völkerung ist nicht neu, aber er ist symptomatisch für das geschicht-

kriegsjahre nicht mehr als allein möglichen

spolitische Klima der achtziger Jahre. An Stammtischen und Schreibti-

Weg betrachten. Und das ist gut so.

schen wird vereinfacht und verdrängt, aufgerechnet und geklittert. Die These des Historikers Ernst Nolte, Auschwitz sei nur verzerrte Kopie

Es gewinnen dann auch eine ganze Reihe anderer Tatsachen ihre besondere Bedeutung. Wen wundert es, dass in einem Land, in dem Macht –

und Echo der stalinistischen Verbrechen, führt 1986 zum „Historiker-

vor allem militärische Macht – so missbraucht

streit“. Berühmt wurde die Geschichtsakrobatik des CDU-Politikers

wurde wie im deutschen NS-Unrechtsstaat,

(und Bundesministers) Heiner Geißler, der auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um Sicherheitspolitik und „NATO-Nachrüstung“ erklärte, der Pazifismus habe Auschwitz erst möglich gemacht. „Geschichte wird besetzt“, konstatiert Thomas Lutz.314 Der Gedenkstättenreferent der Aktion Sühnezeichen analysiert Mitte 1986 die Indienstnahme der Vergangenheit für eine neue deutsche Identität

antimilitaristische und pazifistische Orientierungen stark sind. Und wen wundert es, dass in einem von deutschen NS-Unrechtsstaat überfallenen Land starke Sicherheitsbedürfnisse existieren. Das ist eigentlich ein normaler Vorgang, wenn damit auch nicht alles erklärt werden kann, was in den damals überfallenen Ländern heute als Sicherheitspolitik gilt. Dass

anhand der Planungen für zwei Geschichtsmuseen und ein „nationa-

deutsche Politik nach 1945 nie wieder militä-

les Mahnmal für die Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft“. Das

risch stark werden sollte, war direkt nach 1945

Vorhaben, an einem Ort aller Opfer – „von Anne Frank bis zu Roland Freisler“ – zu gedenken, verwische die Unterschiede und mache den Fa-

bei allen Siegermächten und in Deutschland weitgehender Konsens. Daran sollen wir uns nicht mehr erinnern dürfen, denn zweifellos

schismus zu einem „Betriebsunfall unserer Geschichte, der für heutiges

liegt hier eine der Grundlagen der Kritik heuti-

Handeln nicht mehr relevant ist“, mahnt Thomas Lutz. Die weitere Ar-

ger Sicherheitspolitik.

beit von Aktion Sühnezeichen sieht der Historiker moralisch und materiell bedroht: „Die Versöhnungsbemühungen vor dem Hintergrund

So schließt sich der Kreis der Argumentation. Es findet eine Umdeutung deutscher Geschichte statt, weil die Erinnerung an Verfolgung und

des Eingeständnisses der Schuld der Deutschen, des Gründungsgedan-

Krieg durch Deutschland kritisches Potenzial

kens von Aktion Sühnezeichen, werden von der Übermacht der gleich-

in der Bevölkerung gegen Aufrüstung und

geschalteten ‚National-Geschichtsbetrachtung‘ verstärkt ins Abseits gedrängt werden.“ Der Verein ist allerdings auf dem Posten. Thomas Lutz kann aus einer öffentlichen Erklärung zum geplanten Mahnmal zitieren. „Das Geschehene muss bewusst aufgenommen werden“, heißt es da, „es müssen in der heutigen gesellschaftlichen Entwicklung Konsequenzen sichtbar werden.“ Zwei dieser Konsequenzen werden genannt: die Entschädigung von Zwangsarbeitern und die Stärkung lokaler Geschichts- und Gedenk-Initiativen. Beide Arbeitsfelder verleihen der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in den achtziger Jahren tatsächlich neben den klassischen Freiwilligendiensten Profil im Inland.

Konfrontationspolitik schafft und stärkt.“ Volkmar Deile, Verfälschung der deutschen Geschichte, in: zeichen 3/1984, S. 14-16, hier S. 15.


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

193

„Wir sollten uns vor jeder Didaktisierung dieses Geschehens hüten. Die Didaktik – die ich sehr deutlich unterscheide von der Pädagogik; letztere könnte man als Versuch, grundlegend über die Bildung des Menschen nachzudenken,

Die Tradition der Arbeit in deutschen KZ-Gedenkstätten reicht so

umschreiben – ist verführerisch, weil sie

weit zurück wie die Kontakte nach Polen: 1965, als die ersten ostdeut-

suggeriert, dass man einen komplizierten

schen Sühnezeichen-Gruppen nach Auschwitz und Majdanek fuhren,

Vorgang abgeschlossen verfügbar hat. Die Didaktik steht immer in Gefahr, offene Prozesse

arbeiteten westdeutsche Gruppen in Dachau und Bergen-Belsen. In

abzuschließen. Zum einen wird sie damit der

mehrwöchigen Einsätzen bauten junge Freiwillige – teilweise in Vorbe-

Totalität des Phänomens ‚Nationalsozialismus‘

reitung auf einen längeren Dienst in Israel – hier mit am Dokumenten-

nicht gerecht, zum anderen operiert sie mit

haus, dort an der evangelischen Versöhnungskirche.

scheinbaren Lösungen, die freilich sehr beruhigend wirken können.

Auf diese Bauphase folgte allerdings die Verstetigung nicht sofort.

Wenn man zum Beispiel mit Besuchern in

Erst 1979 stimmte in Dachau die lokale Politik und Verwaltung der dau-

der Gedenkstätte einen Unterrichtsprozess

erhaften Mitarbeit von Freiwilligen zu. Zwei Sühnezeichen-Freiwillige

organisiert hat, scheint die Welt in Ordnung:

betreuten Gruppen, bereiteten Ausstellungen und Veranstaltungen

Die Zeit ist ordentlich aufgeteilt, Papier wird zumeist beschrieben, es wird am Ende auch

vor und dienten als Bindeglied zwischen Gedenkstätte und Umgebung.

irgendetwas resümiert, alle Beteiligten haben

Ähnliche Stellen folgten 1983 in Neuengamme, 1987 im Berliner Bon-

den Eindruck, dass wirklich etwas geschehen

hoefferhaus und der Wewelsburg bei Paderborn.

ist, ohne dass etwas passiert zu sein braucht, außerdem können zumeist handliche Lehren mit nach Hause genommen werden, auch

Die Erinnerungsarbeit in Deutschland profitierte doppelt vom jahrelangen Engagement in Polen: Nicht nur, dass die ersten Inlands-

wenn diese Lehren sich auf Dauer nicht als von

Freiwilligen vorher entsprechende Stellen in Polen innehatten – für

Bestand erweisen sollten.

viele der Gruppen, die sich in deutschen Städten und Dörfern daran

Meine Vorstellung von Gedenkstätte zielt in

machten, Zeitzeugen zu befragen, Archive zu durchforsten und in den

eine ganz andere Richtung: Ich würde diese Gedenkstätte als einen Ort beschreiben, der

Straßen nach Spuren der jüngsten Geschichte zu suchen, kam der Im-

für Gespräche und Besinnungen der Besucher

puls dazu aus Begegnungen und Erkenntnissen bei Polen-Fahrten der

untereinander und den Bildungsarbeitern

Aktion Sühnezeichen.

Raum bietet, als ein Ort der Meditation. Hier kann unbefangen und ohne Druck und Zwang der Geschichte, Gegenwart und Zukunft

Geschichtswerkstätten, alternative Stadtrundfahrten, lokale Gedenkstätten-Initiativen – Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jah-

menschlicher Existenz gedacht werden. Diese

re boomte die „Geschichte von unten“. Und Sühnezeichen fand sich

Meditation sollte nicht durch allerlei Erhö-

unversehens in der Rolle der Spinne im Netz: Weder an eine Partei noch

hungen kultiviert werden, sondern einfach

an eine bestimmte Gedenkstätte gebunden, noch dazu mit Netzwerk-

ermöglicht werden.“ Dietfrid Krause-Vilmar, Zur pädagogischen Arbeit

Erfahrungen aus der Friedensbewegung, bot sich der Verein als Koor-

in Gedenkstätten (Auszug aus einem Referat auf der

dinationsstelle geradezu an. Die Bereitschaft dazu war vorhanden: Ab

7. Gedenkstättentagung in Hofgeismar, 22.5.1986),

1983 wurde ein „Gedenkstättenreferat“ aufgebaut, das die Freiwilligen

in: zeichen 1/1987, S. 28 f., hier S. 29.

betreute, Öffentlichkeitsarbeit betrieb und für – teils internationale – Seminare und das Austauschforum Gedenkstättenrundbrief verantwortlich zeichnete. Mit der Finanzierung allerdings haperte es: Die Arbeit konnte nur beginnen, weil die evangelische Landeskirche Hessen-Nas-


194

„Fest steht, dass Sinti und Roma bis heute diskriminiert werden. In dem Handbuch ‚Leitfaden für Kriminalbeamte‘, herausgegeben vom

sau einen Vikar freistellte. Es folgten Honorarverträge, Stiftungsgelder

Bundeskriminalamt, werden Sinti und Roma als ‚nichtsesshafte Landfahrer‘ diffamiert und

und Spendenkampagnen – und 1993 schließlich die Anbindung der

nach den Kategorien der Nazi-Zeit zu ‚Arbeits-

Stelle an die Berliner Stiftung „Topographie des Terrors“.

scheuen‘ mit einem ‚eingewurzelten Wander-

Wesentliche Impulse für die Öffentlichkeitsarbeit der ASF in der Bundesrepublik stammen aus den Begegnungen mit Zeitzeugen und

trieb‘ und zu einer ‚erheblichen sozialen Gefahr‘ erklärt. Nach dieser alten Methode werden sie gesondert mit ‚Landfahrer-Beobachtungs- und

-zeugnissen in Gedenkstätten und lokalen Projekten zur Spurensuche.

Kontroll-Bögen‘ bundesweit überwacht und

Die Geschichtsaktivisten begreifen sich „als Sprachrohr für die Anlie-

präventiv als ‚reisende Tatverdächtige‘ zentral

gen der Opfer.“315 Sühnezeichen engagiert sich für Sinti und Roma, für Homosexuelle, gegen die Ausgrenzung von Ausländern und für die Anerkennung aller NS-Opfer.

im Computer des Bundeskriminalamtes gespeichert. [...] Solange diese Skandale und Diskriminierungen von Sinti und Roma noch möglich sind, ist etwas nicht in Ordnung in unserer Republik.

„Die materielle Entschädigung der Verfolgten aufgrund bisheriger Entschädigungsgesetze ist unvollständig und unzureichend“, befand die ASF-Mitgliederversammlung im April 1985.316 Hier ging es nicht um eine juristische Formsache. Der Einspruch war ein politisches Signal: Wenige Tage, bevor das Ende des Zweiten Weltkriegs und der NaziDiktatur sich zum vierzigsten Mal jähren sollte, stellte ASF sich nach-

Um erkennen zu können, wie sehr in solchen Vorkommnissen bestimmte NS-Kontinuitäten fortleben und unser alltägliches Leben mitbestimmen, müssen wir immer wieder an alle Einzelheiten des an Sinti und Roma begangenen Holocaust erinnern. Doch nicht nur aus diesem Grunde müssen wir die Erinnerung wach halten: Denn wenn wir uns an die Ver-

drücklich und konkret gegen den Trend, die deutsche Vergangenheit

brechen des deutschen Faschismus nicht mehr

endlich als abgeschlossen zu betrachten.

erinnern und sie vergessen, dann siegen die

Die Mängel des Bundesentschädigungsgesetzes von 1953, das bis 1965 noch verschiedentlich umgeschrieben und Anfang der achtziger

Nazis auch heute noch. Dann sind die damals ermordeten Menschen tatsächlich, wie von den Faschisten geplant, spurlos, als Rauch in den

Jahre durch Härteregelungen ergänzt worden war, waren offensicht-

Wolken für immer verschwunden.“

lich: Sein Fokus auf „rassisch“, politisch und religiös Verfolgte schloss

Alwin Meyer, Vor 40 Jahren in Auschwitz:

zahlreiche Opfergruppen aus – etwa Sinti und Roma, Zwangssterilisierte, Homosexuelle, so genannte Asoziale oder Zwangsarbeiter.

Holocaust der Sinti und Roma, in: zeichen 2/1984, S. 20-22.

Das Territorialitätsprinzip, das von Berechtigten einen Wohnsitz im ehemaligen Reichsgebiet verlangte, schnitt all jene „Ausländer“ von möglicher Entschädigung ab, mit deren Staaten die Bundesrepublik nicht ein gesondertes Abkommen abgeschlossen hatte – dies betraf vor

„Muss nicht zunächst einmal festgestellt werden, dass es in über 50 Jahren nicht gelungen ist, NS-Opfer generell zu rehabilitieren und ihnen die notwendige Anerkennung zuteil wer-

allem Osteuropäer. Wie ungebrochen ideologische Mechanismen der

den zu lassen? Denn das bedeutet ja, dass alles,

Ausgrenzung weiterwirkten, zeigte sich am Beispiel der nicht berück-

was noch erreicht werden könnte, für allzu

sichtigten Kommunisten oder Deserteure. Sühnezeichen war mit seiner Kritik nicht alleine. Auch die Stimmen von Verfolgtenverbänden wurden lauter, Kirchenvertreter wurden auf-

viele von ihnen zu spät kommt. Diese Nachgeschichte der Nazi-Verbrechen bedarf selbst längst der Aufarbeitung. Es muss der Frage nachgegangen werden, was diese Gesellschaft unfähig macht, sich durchgängig von den NaziVerbrechen zu distanzieren. Mit der Antwort bekommen wir vermutlich nicht nur Auskünfte über die Gründe für das geschichtliche Versagen gegenüber den Verfolgten, sondern auch Hinweise auf Bedrohungen, mit denen in dieser Gesellschaft künftig zu rechnen ist. Die Debatte


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

195

über die ‚Wiedergutmachung‘ ist deshalb auch nach über 50 Jahren keine historische. Sie ist weiterhin Teil unserer Zukunftsgestaltung.“ Rolf Surmann (Historiker und Publizist, Mitglied der „Hamburger Initiative Anerkennung aller NS-Opfer“),

merksam, und „eine Hand voll einzelner Abgeordneter aller Fraktionen

Kontinuitäten statt Bruch mit der Vergangenheit.

(mit Ausnahme der CSU)“ im Bundestag begannen, mit parlamentari-

Die „Wiedergutmachung“ erfordert selbst eine Auf-

schen Anfragen die Lücken des Gesetzes auszuloten.317 Schützenhilfe

arbeitung, in: zeichen 2/1997, S. 4 f., hier S. 5

bekamen sie vom EU-Parlament, das im Januar 1986 die Entschädigung von Zwangsarbeitern durch die deutsche Industrie forderte.

.„Frau Süßmuth hat erkennbar leichtsinnig einen Bericht der Bundesregierung zum Thema noch fehlender Wiedergutmachungsleistungen unterschrieben, in dem makabre Textstellen

Die Bundesregierung freilich blieb hart. Im November 1986 stellte das Familienministerium in einem Bericht an den Bundestag fest, es gebe keinen zusätzlichen Handlungsbedarf. Die Anhörung mehrerer Über-

von sturen, schon vorher von uns dafür kriti-

lebender im Parlament im Juni 1987 führte immerhin zur Einrichtung

sierten Beamten aus dem Bundesfinanzministe-

eines neuen Härtefonds, nicht aber zu grundsätzlichen Änderungen in

rium enthalten sind, z.B. über die Behandlung

der Entschädigungspraxis.

der ‚Mengele-Zwillinge‘, an denen SS-Ärzte nur ‚Messungen‘ vorgenommen haben sollen. Man

Der Protest war inzwischen wenigstens gut vernetzt. Bei einer vom

merkte der Rede von Frau Süßmuth in Ausch-

Gustav-Stresemann-Institut mit ASF organisierten Tagung im No-

witz [zur Einweihung der IJBS am 7.12.1986; G.K.]

vember 1987 zogen Opferverbände, ihre Interessenvertreter und ande-

an, dass sie den Fehltritt korrigieren möchte.“

re gesellschaftliche Initiativen eine bittere Bilanz der „Wiedergutma-

Heinz Westphal, Vizepräsident des Deutschen Bundestages, an Ansgar Skriver, WDR, 22.12.1986, EZA 97/1028.

chung“ – in einer Pressemitteilung sprachen sie von einer „zweiten Verfolgung“.318

„Warum mussten die Grünen an diesem Ort

SPD und Grüne konkretisieren Vorschläge, umfassende Leistungen

und zu diesem Zeitpunkt eine polemische

über Stiftungsgesetze zu regeln. Doch der Kampf um Anerkennung

Erklärung gegen die Bundesjugendministerin verteilen – auch wenn in dieser Erklärung

und Entschädigung wird in den folgenden Jahren vor allem außerhalb

zugunsten der Überlebenden und bisher nicht

des Parlaments geführt. 1990 gründen Verfolgtenverbände gemeinsam

entschädigten Opfer nationalsozialistischer

mit Aktion Sühnezeichen und Pax Christi die „Informations- und Bera-

Gewaltpolitik Stellung genommen wird?

tungsstelle für NS-Verfolgte“ in Köln. Die ehemalige Zwangsarbeiterin

Warum musste wiederum Rita Süßmuth von ihrem vorher noch in Auschwitz verbreiteten

Waltraud Blass klagt in einem von ASF und dem Bundesvorstand der

Redetext gerade an jener Stelle abweichen, wo

SPD finanziell unterstützten Musterprozess gegen die Siemens AG auf

sie die Geschichte von Auschwitz zur bundes-

Nachzahlung ihres Lohns. Der Prozess geht 1991 verloren, das Schick-

deutschen Historikerdebatte in Bezug setzen

sal der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter – und die

wollte? Sie hatte sagen wollen: ‚Wir Deutsche dürfen das Vergangene weder relativieren noch als zufälliges historisches ‚Ausgleiten‘ begrei-

historische Verpflichtung der deutschen Industrie – aber erhält ein stetig größeres Augenmerk.

fen ... Hier ruht der Kern unserer besonderen

Es braucht allerdings noch ein Jubiläum, bis Aktion Sühnezeichen

Verpflichtung für eine Politik der Versöhnung,

einen neuen Vorstoß in Sachen Entschädigung unternimmt. 1995 lädt

des Friedens und der Menschenrechte ... Die Völker, die durch uns so unsäglich gelitten

der Verein gemeinsam mit dem Berliner „Bildungswerk für Demokra-

haben – allen voran Juden, Polen und Russen –,

tie und Umweltschutz“ und der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Kon-

sollen wissen, dass wir dies nicht verdrängen

ferenz zum Symposium „Blinde Flecken der Erinnerung. ‚Vergessene‘

und ihre Opfer nicht vergessen werden. Unsere Jugend ... wird sich bewusst, dass wir unser nationales Selbstbewusstsein nach Auschwitz allein aus den besseren Traditionen unserer nicht unbesehen, sondern kritisch angeeigneten Geschichte schöpfen können – wie dies Jürgen Habermas kürzlich zum Ausdruck ge-


196

bracht hat.‘ Diese klare Stellungnahme wurde in der Rede selbst durch den allgemein gehaltenen und sprachlich missglückten Hinweis

Verfolgte des NS-Regimes“. Als Termin ist bewusst ein Datum nach dem 8. Mai gewählt worden – auch der fünfzigste Jahrestag des Kriegsendes soll „nicht zum Schlusspunkt der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“319 werden.

ersetzt, dass ‚alle Historiker und Menschen dieser Geschichte Zeugnis ablegen‘ sollten ‚in Wahrhaftigkeit‘. Dieser Vorgang legt die Vermutung nahe, dass wahlpolitisch bedingte Rücksichtnahme oder innerparteilicher Einspruch die Bundesjugend-

Fünf lange Jahre später erst kommt das Kapitel Zwangsarbeiter-Ent-

ministerin dazu veranlasste, auf ein deutliches

schädigung einen entscheidenden Schritt weiter. Im Juli 2000 verab-

Bekenntnis zu verzichten, das gerade an diesem

schiedet der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Stiftung „Erinnerung,

Ort gefordert ist.“

Verantwortung und Zukunft“. Der deutsche Staat und die Wirtschaft

Jürgen Vietig, Peinlichkeiten in Auschwitz. Bei der Einweihung einer Begegnungsstätte erregen Grüne

sollen je die Hälfte einer Summe von zehn Milliarden Mark bereitstel-

und Rita Süßmuth Aufsehen, in: Süddeutsche

len, aus der geschätzte gut zwei Millionen ehemalige Zwangsarbeiter

Zeitung, 9.12.1986.

Zahlungen erhalten sollen. Ausschlaggebend für diesen Entschluss von Parlament und Industrie waren wohl weniger die gesammelten Anstrengungen von Opferver-

„Bezogen auf die inhaltliche Ausgestaltung des Zukunftsfonds, der mit circa 350 Millionen

bänden und Bürgerrechtsorganisationen – Aktion Sühnezeichen etwa

Euro Kapital ausgestattet sein wird, schien un-

hatte beim Kirchentag in Leipzig 1997 die offenen Entschädigungsfra-

sere lange und zähe Arbeit zum Erfolg geführt

gen in den Mittelpunkt gestellt und zahlreiche Industrieunternehmen direkt angeschrieben – als vielmehr der besorgte Blick der Verantwort-

zu haben. Insbesondere dank der Initiative von Deidre Berger, der Leiterin des Büros des American Jewish Committee (AJC) sowie ASF-

lichen auf Sammelklagen in den USA. Nicht umsonst war in einer der

Kuratoriumsmitglied, und der Kooperation

letzten Beratungen des Gesetzesentwurfs ein Passus eingefügt worden,

mit den ‚jungen rot-grünen Bundestagsabge-

der die Auszahlung der Entschädigungen vom Abschluss aller anhängigen Klagen, mithin von der Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen, abhängig macht. Als „unmoralisches Angebot“ bezeichnet denn auch ASF-Öffentlichkeitsreferent Johannes Zerger das Vorhaben, zu niedrig in der Summe und geprägt von einer „Schlussstrichmentalität“.320 Mehr ist freilich nicht zu holen. Aktion Sühnezeichen bemüht sich, im Auszahlungszeitraum bis Ende 2006 Zwangsarbeitern in Osteuropa zur Seite zu stehen und bei der Gestaltung des darüber hinaus laufenden „Zukunfts-

ordneten‘ waren in der vom Kuratorium der Stiftung beschlossenen, von Dietmar Nietan (MdB, Bündnis 90/Die Grünen) erarbeiteten Vorlage wesentliche inhaltliche Bestandteile des vom AJC, ASF, der Topographie des Terrors und dem Verein ‚Gegen Vergessen – Für Demokratie‘ erarbeiteten Konzeptes enthalten. Leider droht dieser Impuls wiederum zu versanden. Es scheint, als wolle der Vorstand der Stiftung keine grundlegenden konzeptionellen Überlegungen zu diesem Fonds vorantreiben, um seinen eigenen Handlungsspielraum nicht

fonds“ ein Wörtchen mitzureden.

einzuschränken. Insofern wird eine bleibende

Doch zurück in die Achtziger. Noch vor dem Beginn der öffentlichen

diskutierte inhaltliche Ausgestaltung des

Herausforderung in 2002 die weitere öffentlich

Entschädigungsdebatte titelte das zeichen im Dezember 1984 program-

Fonds sein.“ Ruth Misselwitz, Christian Staffa, Bericht des Vor-

matisch: „Versöhnung hat politische Gestalt“. Den Verantwortlichen

stands der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zur

erschien es nötig, daran zu erinnern, dass „Versöhnungswille, der – zur

Mitgliederversammlung am 20. und 21. April 2002, in: Forum 2002. Jahresbericht der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zur Mitgliederversammlung am 20. und 21. April 2002, S. 3-13, hier S. 10.


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Gemüts- und Herzensregung verengt – keine politischen Entscheidungen und Folgen nach sich zieht, unvollkommen bleibt und bleiben muss“.321 Der Titelsatz verwies auf ein Motto des Wolfsburger Pfarrers Rudolf Dohrmann, der ab 1967 in Zusammenarbeit mit Sühnezeichen verschiedene Gruppen nach Polen geführt hatte. „Versöhnung hat politische Gestalt“ – damals war klar gewesen, was das im Blick auf das deutsch-polnische Verhältnis bedeutete. Noch hatte die Bundesrepublik die polnische Westgrenze nicht anerkannt; erst allmählich veränderte die neue Ostpolitik der Regierung Brandt die Atmosphäre. Wegbereiter waren die Kirchen in Deutschland; die „Ostdenkschrift“ der EKD von 1965 sollte zum Paradebeispiel politischer Zeitgenossenschaft von Christen werden. „Versöhnung hat politische Gestalt“ – im Jahr 1984 warnt Aktion Sühnezeichen davor, hinter die alten Errungenschaften zurückzufallen. In der erwähnten zeichen-Ausgabe schreibt der Berliner Pfarrer Günter Berndt, vormaliger Direktor der Evangelischen Akademie und Vorstandsmitglied bei Aktion Sühnezeichen: „Nach zwanzig Jahren müssen wir leider mit Enttäuschung, ja mit Verärgerung und Bitterkeit feststellen, dass mühsam erworbenes Vertrauen in unser Land und unser Volk ‚verhökert‘ wird. Mit immer weniger Hemmungen werden wie seinerzeit wieder die Vertriebenen, längst integriert, als eine Sondergruppe benutzt, als müsste man bei ihnen Unzufriedenheit wecken, als sollte die Integration rückgängig gemacht werden, als könnten heute wieder Illusionen gehegt werden. Ja, die Denkschrift bekommt neue Aktualität. Sie stellt an die Christen und an die Kirchen die neue Frage, welche Konsequenzen nach zwanzig Jahren nun zu ziehen sind. Eine der Konsequenzen müsste sein, das Verhältnis zu den östlichen Staaten zu überprüfen und damit das Verhältnis zu kommunistisch orientierten Ländern.“322 Angesichts ungebrochener antikommunistischer Vorurteile in weiten Teilen der Gesellschaft, angesichts neu aufflackernder und von konservativen Politikern bereitwillig instrumentalisierter Revanchismen wird im Laufe der achtziger Jahre Osteuropa für Sühnezeichen zur zentralen Herausforderung. Am Verhältnis der Deutschen zu den Völkern


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„Meinungsverschiedenheiten über die architektonische Konzeption des Projektes tauchten schon während der ersten Gespräche auf. Die

und Staaten des Ostblocks muss sich zeigen, ob die Ansätze zur „Versöhnung“ aus früheren Jahren ehrlich und zukunftsfähig sind. In der Polen-Arbeit der ASF wird dieser Rückbezug sinnfällig in der Wahl des Datums für die Einweihung der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświe˛cim. Am 7. Dezember 1986 findet hier ein deutschpolnischer Festakt statt; am 7. Dezember 1970 waren in Warschau die deutsch-polnischen Verträge über Gewaltverzicht und Grenzrespektierung unterzeichnet worden. Dazwischen liegen 16 Jahre des zähen Ringens. Die politischen, ad-

polnische Seite schlug ein monumentales, monolithisches Objekt vor, ein großes Haus, das ein Symbol der Begegnung sein sollte. Die deutschen Architekten aus Isny schlugen eine diametral andere Lösung vor. Nach ihrer Konzeption sollte die IJBS ein komplex freistehender, leichter, erdgeschossiger Pavillons sein, geöffnet nach allen Richtungen, angeordnet um den zentralen Teil – den Begegnungshof, den Garten. Die Ausformung zahlreicher Räume und Orte zur Führung von vertraulichen Gesprächen sollte eine intime Atmosphäre

ministrativen, architektonischen und finanziellen Argumente von

bilden, als Gegensatz zum im KZ angewandten

deutscher wie von polnischer Seite schienen erdrückend, als Anfang

Prinzip, Einblick in alles haben zu wollen. Der

1986 plötzlich doch eine Einigung zustande kam. Jetzt drängte die

fast öffentliche Charakter des Gartens sollte zu Spaziergängen und zur Begegnung anre-

Zeit: Innerhalb weniger Monate wurden nach Entwürfen des Allgäuer

gen. Eine wichtige Rolle spielte das von den

Architekten und Sühnezeichen-Freundes Helmut Morlok ein Semi-

Architekten vorgeschlagene Material – Holz als

nargebäude und zwei Unterkunftshäuser gebaut – und finanziert. Die

weicher und sanfter, menschenfreundlicher

erforderlichen 4,2 Millionen Mark (die Summe hatte sich im Laufe der

Baustoff als Gegensatz zum repressiven Stein und zum harten, schweren Beton, der in der

Jahre verdoppelt) stammten zu einem Drittel aus Spenden; außerdem

Architektur des so genannten Hauptlagers

hatten sich die Stiftung Jugendmarke, das Bundesjugendministerium,

Auschwitz verwendet wurde.

der Senat von Berlin (West) und andere westdeutsche Bundesländer

Als Resultat eines Kompromisses nahm die IJBS

beteiligt. Das Projekt war nicht nur eines der repräsentativsten, die ASF jemals

die Form eines zentralen Seminarkomplexes und zweigeschossiger Wohnpavillons an. Die Lebendigkeit der Anlage wurde durch einen in

in Angriff genommen hatte. Auf ihm ruhten nun, da es Wirklichkeit

die Architektur eingefügten Garten mit einem

geworden war, große Erwartungen auch von Seiten der offiziellen Po-

Wasserbecken vervollständigt.“

litik. Für den polnischen Sejm etwa erklärte Vizepräsident Mieczys aw Rakowski bei der Einweihung feierlich:

Leszek Szuster, Faustin Plitzko, Architekt der Versöhnung, in: G os ziemi oświe˛cimskiej („Stimme von Auschwitz“; Mitteilungsblatt der Stadt Oświe˛cim),

„Die Übergabe der von der Aktion Sühnezeichen in der Nähe des Nazi-Kon-

März 1998. Deutsche Übersetzung o. Verf. EZA

zentrationslagers Auschwitz-Birkenau gebauten Internationalen Jugend-

97/1944.

Begegnungsstätte ist ein Ereignis, an dem man nicht gleichgültig oder schweigend vorübergehen kann. Sie hat herausragende Bedeutung für die Bewahrung und die Verankerung des Gedenkens an die hier von den deutschen Faschisten begangenen unermesslichen Verbrechen im Bewusstsein der nachfolgenden Generationen der Europäer. Sie weist über den Rahmen des Verhältnisses zwischen Deutschen und Polen in Gegenwart und Zukunft hinaus, denn die Namen Auschwitz und Birkenau sind nicht allein an jedem


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

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„Für meine Kollegen und für mich war diese Aufgabe, in Oświe˛cim (Auschwitz) eine Stätte der Begegnung für die Jugend aller Nationen zu planen und zu bauen, ein verpflichtendes Geschenk: verpflichtend, weil wir die Möglichkeit hatten, eine Antwort auf die Fragen zu geben: ‚Was macht der Mensch nach Auschwitz aus seiner Fähigkeit, aufzubauen oder zu zerstören? Haben wir Deutsche begriffen, dass Auschwitz

Punkt der Erde bekannt, als Mahnmale des größten Massenmords in der Geschichte der Welt erfüllen sie die ganze Menschheit mit Entsetzen.“323 Bescheidener und weitaus experimenteller verlief die Suche der Aktion Sühnezeichen nach Anknüpfungspunkten in der Sowjetunion. Dabei

für uns und unsere Kinder ein fortbestehender

reichten die Anfänge hier gleich weit zurück wie die der Polen-Arbeit,

Auftrag ist, für eine Welt ohne Hass und Gewalt

genau genommen sogar noch ein paar Jahre weiter: Die ersten Sühne-

einzutreten?‘; ein Geschenk, weil ich diesen

zeichen-Gesandten waren 1963 zu internationalen Jugend-Arbeitsla-

Auftrag, der nie schriftlich formuliert, geschweige denn vertraglich fixiert wurde, als Ruf,

gern gereist.

als Berufung gehört und verstanden habe, weil

Durch die „Tage der UdSSR“, die Aktion Sühnezeichen ab 1970 ge-

ich die Möglichkeit hatte, meine beruflichen,

meinsam mit der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft

politischen und christlichen Überzeugungen

(DSF) und der Evangelischen Industriejugend in West-Berlin veran-

gebündelt in diese Arbeit einzubringen. Wir wussten, dass diese außergewöhnliche Aufgabe [...] einer außergewöhnlichen Anstrengung bedurfte, unter anderem viele Reisen und eine ständige Präsenz während der Bauzeit in Oświe˛cim erforderlich machte. Wir hatten damit aber auch eine Chance, durch diese Ar-

staltete, verbreiterten sich die Kontakte. Einzelne Reisen in sowjetische Städte fanden statt, Gegenbesuch kam nach Deutschland.324 Zentral aber sollte die Verbindung ins weißrussische Minsk werden. Wie so viele der Sühnezeichen-Freundschaften begann auch diese eher zufällig. 1981 war Belarus der Schwerpunkt der „Tage der UdSSR“. Franz

beit, einen Beitrag zur Aussöhnung zwischen

von Hammerstein erinnert sich in diesem Zusammenhang an einen Be-

den Völkern zu leisten. Eine Chance, für die

such mit dem Sühnezeichen-Vorsitzenden Kurt Scharf beim Ost-Berli-

Zukunft, für das Leben zu arbeiten, nachdem

ner Botschafter der Sowjetunion, Pjotr Abrassimow:

deutsche Techniker und Architekten vor 40 Jahren an dem gleichen Ort Baracken, Krematorien

„Nachdem wir gemeinsam mit den Vertretern der DSF die Tage der UdSSR

und Elektrozäune gebaut und damit für den

besprochen hatten, erinnerten wir den Botschafter an unser Gespräch mit

Tod und die Vernichtung gearbeitet hatten.“

Chruschtschow [im Januar 1963; G.K.] und vor allem an die schreckli-

Zur Planung und zum Bau der Internationalen

chen menschlichen sowie materiellen Verwüstungen in Belorussland. Der

Jugendbegegnungsstätte Auschwitz/Volksrepublik Polen. Bericht von Helmut Morlok, einem der an

Botschafter – von dort stammend – war aufgrund seiner persönlichen Er-

dieser Arbeit beteiligten Partner der Architekten-

innerungen betroffen und begeistert; er versprach, Sühnezeichen die Wege

gemeinschaft GMS Freie Architekten, Isny/Allgäu,

nach Minsk und Belorussland zu ebnen, was auch innerhalb kurzer Zeit

Manuskript vom 1.12.1986, EZA 97/1743.

geschah.“325 Zweiwöchige Studienfahrten nach Minsk gehörten ab 1983 fest zum

„Am 22. Juni 2003 ist der belarussische Schrift-

Programm von Aktion Sühnezeichen. Die Gruppen sprachen mit Wis-

steller Wassil Bykau im Alter von 79 Jahren in

senschaftlern, Kirchenvertretern und Künstlern – an erster Stelle ist

Minsk gestorben. In seinen Romanen und No-

hier wohl der Dichter Wassil Bykau zu nennen. Sie besuchten Chatyn,

vellen beschäftigte sich Bykau, der selber von Kriegsbeginn an Soldat gewesen war, lange Zeit

jenes Dorf, das im März 1943 von den Deutschen niedergebrannt wor-

mit den Leiden des Zweiten Weltkriegs. In den

den war und auf dessen Gelände eine Gedenkstätte an die 186 zerstörten

achtziger Jahren setzte er sich dann kritisch

Dörfer, an die Konzentrationslager, an jenes Viertel der weißrussischen

mit der stalinistischen Schreckensherrschaft auseinander. Dabei ging es ihm vor allem um das ethische Verhalten von Menschen in Grenzsituationen. So hat er mit seinen Werken zeitlose Beispiele menschlichen Verhaltens in Konfliktsituationen geschaffen, die durch staatliche Willkür ausgelöst werden. Die


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Bedeutung seiner Werke liegt außer in seiner brillanten Erzählweise auch in der schonungslosen Beschreibung menschlichen Versagens,

Bevölkerung erinnert, das den Krieg nicht überlebt hatte. Wie bei den

aber auch in der wahrhaftigen Darstellung der jeweils historischen Situation. [...]

Fahrten nach Polen gehörte meist ein Arbeitseinsatz – im „Park der Völ-

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste hat

kerfreundschaft“ oder auch in Chatyn – zur Reise, die oft auch einen Be-

er schon seit den achtziger Jahren als treuer

such in der litauischen Hauptstadt Vilnius umfasste. „Der Krieg trifft

Freund begleitet. Als es 1990 möglich wurde, Langzeitfreiwillige auch nach Belarus zu

jeden ins Herz“ – unter dieser Überschrift gestalteten rund hundert

senden, war er einer der Ersten, der uns

Künstler aus West-Berlin und Minsk eine Ausstellung, die Ende 1984

Türen zu Projektpartnern geöffnet hat. Es war

und Anfang 1985 in beiden Städten gezeigt wurde.

ihm besonders wichtig, dass mit ASF junge

Die Beschäftigung mit der Sowjetunion ist zugleich eine innenpolitische Stellungnahme, eine Fortsetzung der etwas aus der Mode gekom-

Menschen nach Belarus gehen, die sich mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges vertraut gemacht haben und bei den Schwächsten der

menen Entspannungspolitik mit anderen Mitteln. Auch die Kirchen

belarussischen Gesellschaft ihren freiwilligen

entdecken das Thema; die Versöhnung mit den Völkern der Sowjetuni-

Versöhnungsdienst leisten.

on schreibt die Ostdenkschrift von 1965 fort. An Brisanz gewinnt dieses Engagement durch die Umbrüche vor Ort. „Glasnost“ und „Perestroika“ werden von Sühnezeichen-Gruppen hautnah erlebt. Beim Mitgliedergespräch 1988 berichtet zum Beispiel Christoph Heubner: „Früher war es, wenn man in Minsk war, kaum möglich, am Rundfunkhaus vorbeizugehen, weil Anschläge befürchtet wurden. Heute darf man nicht mehr nur vorbeigehen, sondern die Gruppen von Aktion Sühnezeichen werden in dieses Rundfunkhaus eingeladen zu Diskussionen, zu Gesprächen mit jungen Belorussen, die dann gesendet werden. Das führt dazu, dass drei Journalisten von Radio Minsk Interesse haben, nach West-Berlin zu kommen, via Aktion Sühnezeichen Austausch, Radiobrücken etc. zu initiieren.“326 Inzwischen steht die Frage nach Perspektiven für Sühnezeichen in der Sowjetunion ganz oben auf der Agenda des Vereins. Nicht nur das Mitgliedergespräch im Herbst 1988 ist diesem Thema gewidmet – im Frühjahr schon hat die Mitgliederversammlung einen „SowjetunionArbeitskreis“ einberufen. Nun sind die Zeiten nicht gerade günstig für neue Anregungen. Seit einigen Jahren kann auch der größte Optimist nicht mehr darüber hinwegsehen, dass Aktion Sühnezeichen Friedensdienste an den Grenzen des Leistbaren angekommen ist. Wie ein Paukenschlag trifft die Mitglieder im Frühjahr 1985 die Kunde, dass „der Umfang

Wassil Bykau werden wir sehr vermissen. Seine für uns so wichtigen GUS-Analysen wie auch seine menschliche Wärme werden uns fehlen. Wir trauern mit seiner Familie und seinen Freunden um einen großen Schriftsteller und Humanisten.“ Werner Falk, Ein großer Schriftsteller und Humanist. In memoriam Wassil Bykau, in: zeichen 3/2003, S. 21.


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

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„Ich bin weit davon entfernt, andauernden Stress und Arbeitsdisziplin als erstrebenswerte oder ‚noch nötige‘ Verhaltensweisen zu idealisieren. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass wir unsere Arbeitsformen ändern müssen,

und die Fortführung der Arbeit der ASF ernsthaft gefährdet sind“327.

um den Kreislauf von Individualismus, Krank-

Eine Viertelmillion Mark Defizit zwingt zu schmerzhaften Einschnit-

heit, Konsum und Resignation aufzubrechen.

ten, deren erste die fast komplette Einstellung der Arbeit in Großbri-

Die Veränderungen, die ASF als Organisation propagiert und die die Freiwilligen in ihren Projekten versuchen zu leben, Ansätze, die

tannien und eine Reduzierung in den USA sind. Arbeitsklima und Arbeitsbedingungen haben einen Tiefpunkt erreicht.

ich als Versuch eines solidarischen Zusam-

Wer da noch weitere Felder erschließen will, muss kämpfen – und

menlebens kennzeichnen möchte, sind unter

zwar nicht nur um die endlichen Ressourcen Geld und Arbeitskraft,

den Arbeitsbedingungen im Berliner Büro in keiner Weise zu realisieren. Ich denke nach wie

sondern um Anteile an der Identität. Es wird knapp, und entsprechend

vor, dass Ziel und Mittel im (mindestens ver-

verschärft sich der Ton zwischen den einzelnen Lobbygruppen. Frust-

suchten) Einklang stehen müssen, auch wenn

riert von den Grabenkämpfen schreibt Helga Krüger-Day, Studienleite-

ich weiß, ‚dass wir kein gutes Leben haben im

rin an der Evangelischen Akademie und führende Kraft im 1988 einbe-

schlechten‘. Politische Stärke entsteht nach meiner Überzeugung nicht dort, wo man sich unter dem Druck eines politischen Missions-

rufenen Sowjetunion-Arbeitskreis, nach einem Jahr an Vorstand und Geschäftsführung:

und Aufopferungsgedankens kaputtmacht.“

„Mir leuchtet nicht ein, dass die Mitarbeit in Frauenhäusern oder in Commu-

Eine Referentin, die nach der Probezeit kündigte,

nity Organizing in USA oder die Wiederherstellung gebrauchter Werkzeuge

Vorlage für die Vorstandssitzung von ASF am 7.1.1985, EZA 97/966.

in Holland (in sich sicher lobenswerte Projekte) dem Auftrag von ASF mehr entsprechen soll als z.B. die Vorbereitung und Durchführung von Studienreisen in die Sowjetunion, die in zunehmendem Maße intensive Gespräche, persönliche Kontakte, Aufbrechen von Vorurteilen und Feindbildern, neuen Zugang zur Geschichte beider Länder beinhalten, oder die Betreuung sowjetischer Gruppen bei uns und die Vermittlung unserer Wirklichkeit und Probleme an sie. Diejenigen, die eine bestimmte Art von ‚Freiwilligenarbeit‘ für das Maß aller Dinge bei ASF halten, bezeichnen diese Unternehmungen als ‚Polittourismus‘ oder ‚Busreisen‘.“328 Der Vorsitzende Dietrich Goldschmidt, als Soziologe und EKD-Synodaler selbst ins deutsch-sowjetische Gespräch involviert, antwortet ausführlich und beschwichtigend. Sein Tenor: Jedes neue Engagement kann nur auf Kosten eines bestehenden angebahnt werden, denn: „So wie ASF gestaltet ist und mit den Aufgaben, die ohnehin vor uns stehen [...], darf und kann ASF nicht mehr wachsen.“329 Wo keine Ausweitung in Sicht ist, müssen Schwerpunkte gesetzt werden – „Prioritätendiskussion“ heißt das Schlagwort der späten Achtziger. Osteuropa wird gegen westliche Einsatzländer abgewogen und die klassische Freiwilligenarbeit gegen andere Einsatzformen. Vereinzelt


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„Abschließend bat Pf. Liedke [statt: Liedtke; G.K.], zwei Probleme vortragen zu dürfen, die ihn und die Leitung von Sühnezeichen belasten.

taucht der Anstoß auf, nicht nur Deutsche ins Ausland zu schicken, sondern auch ausländische Freiwillige nach Deutschland zu holen. 1989 erreicht der Streit um die künftige Ausrichtung seinen Höhepunkt. Eine Umbruchspannung liegt in der Luft. Im Nachhinein ist

Von dem der Aktion Sühnezeichen nahe stehenden Siegfried Kranzler [statt: Kanzler; G.K.] sei vor zwei Jahren durch die VP [Volkspolizei; G.K.] in Guben eine Jacke mit dem Aufnäher ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ einbehalten worden. Die VP biete seitdem an, die Jacke ohne Auf-

schwer zu sagen, ob es die Vorbeben der historischen Zäsur sind, die

näher zurückzugeben. Das akzeptiere Kranzler

die Nerven bei Sühnezeichen blank legen – immerhin hat der Verein

nicht. Liedke bat um Unterstützung bei einer

Sensoren in Gesellschaften in Ost und West. Oder ob die große Wende den kleinen Verein in gewisser Weise erlöst, indem er ihn in ganz neue Weiten katapultiert.

baldigen Klärung des Problems und sagte auf entsprechende Anforderung zu, eine ausführliche Information zum Vorgang kurzfristig an die Dienststelle zu geben.“ Aktenvermerk über ein Gespräch mit dem Leiter der „Aktion Sühnezeichen“ in der DDR, Pfarrer

Opposition oder taktische Annäherung: ASZ und die DDR

Liedke, am 2.10.1984 in der Dienststelle (des Staatssekretariats für Kirchenfragen; G.K.), Protokoll vom

„Sie aber schmieden ihre Schwerter zu Pflugscharen, ihre Lanzen zu

3.10.1984, BArch DO 4/4806.

Winzermessern. Kein Volk erhebt gegen das andere sein Schwert, und

„Meine dunkelbraune Lederjacke, die am

niemand lernt mehr den Krieg.“ Das Zitat des biblischen Propheten

16.06.1982 von der VP eingezogen wurde,

Micha ist dem Monatsbrief Januar/Februar 1982 der Aktion Sühnezeichen in der DDR vorangestellt.

befindet sich bis zum heutigen Tage im VPKA [Volkspolizei-Kreisamt; G.K.] Wilhelm-PieckStadt Guben. Trotz intensiver Bemühungen

„Schwerter zu Pflugscharen“ – die Leserinnen und Leser wissen, wo-

meinerseits bekam ich diese Jacke mit dem auf-

rauf das zielt. Seit der Friedensdekade im November 1981 zirkuliert der

genähten Abrüstungssymbol nicht zurück. [...]

der Bibel abgewonnene Slogan als sechs Zentimeter großer Aufnäher aus Stoff. Die Micha-Worte umranden darauf einen Hünen, der ein

Hiermit möchte ich meine tiefe Betroffenheit und meine große Enttäuschung zum Ausdruck bringen, dass es in mehr als zwei Jahren in

Schwert umschmiedet. Der ist ein wahrhaft sozialistisches Mannsbild

einem demokratischen Staat nicht möglich

und tatsächlich die Wiedergabe einer sowjetischen Skulptur (eines Ge-

war, eine Klärung dieser Angelegenheit her-

schenkes an die UNO in New York). Doch dem Friedensstaat DDR ist es

beizuführen. Ich habe mich bisher von keinem Feindbild beherrschen lassen. Doch wie lange

nicht geheuer, den Friedensspruch auf Taschen und Jacken seiner Bür-

werde ich mein uneingeschränktes Vertrauen

ger zu finden. Es beginnen Repressionen gegen die meist jungen Träger,

mir noch bewahren können, wenn man mir nur

und es beginnt ein Streit zwischen Staat und Kirche. Die Aufnahme dieses Streits im Monatsbrief ist bezeichnend für das Politikverständnis der Aktion Sühnezeichen. Wer hier aktuelle Orientierung sucht, darf Theologie nicht scheuen. So ist das biblische Bild vom Friedensschmied zunächst Ausgangspunkt einer soliden Auslegung. Stefan Schreiner, evangelischer Theologe, Judaist und über Jahre in Leitung und Leitungskreis verantwortlicher Sühnezeichen-Freund, stellt auf zwei eng beschriebenen Monatsbrief-Seiten der Entwicklungs-

Misstrauen entgegenbringt. Seit mehr als zwei Jahren erfahre ich nur Misstrauen der entsprechenden Behörden, an die ich meine Eingaben gemacht habe. Denn nicht antworten heißt für mich, die entsprechende Behörde hat zu mir kein Vertrauen, ich existiere für sie überhaupt nicht. Mir werden die geltenden Rechte eines DDR-Bürgers vorenthalten. Warum eigentlich? Warum spricht man mir als Christ mein pazifistisches Friedensengagement ab? [...] Sollte diese Eingabe wieder unbeantwortet bleiben, d.h., in der DDR fühlt sich niemand für diese Angelegenheit zuständig, werde ich mich an die internationale Öffentlichkeit wenden.“ Brief Siegfried Kranzler an den Staatsrat der DDR (Abschrift), 23.10.1984, BArch DO 4/814.


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„Pf. Liedke akzeptierte die vorgetragenen Argumente nicht. Führende Repräsentanten der DDR hätten Inhalt und Anliegen des Symbols wiederholt bejaht. Ein Symbol sei entweder als solches richtig oder falsch. Mit einem richtigen

geschichte des Micha hin zu einer besseren Welt die Endzeitvisionen

Symbol könne kein politischer Missbrauch

eines Daniel gegenüber, die kleinen Schritte dem großen Knall, die

betrieben werden. Liedke erklärte, er sehe den

menschlichen Anstrengungen dem göttlichen Eingriff. Politik und

Vorwurf des politischen Missbrauchs des Symbols, auf dessen Grundlage die Polizeiaktion

Apokalypse – beides sind Wesenszüge der Utopie, wie Schreiner aus

erfolgte, nach wie vor als nicht erwiesen an und

biblischem Befund und jüdischer Tradition nachweist. Sein Fazit: Auf

werde auch weiter für die Verwendung dieses

das Tun des Menschen kommt es an, es ist aber nicht alles. Es gibt eine

Zeichens eintreten.“

göttliche Verheißung, die darüber hinaus geht.

Information über ein Gespräch mit dem Leiter der Aktion Sühnezeichen in der DDR, Pf. Liedke,

Wo bleibt die Stellungnahme zum umstrittenen Stück Stoff ? Sie

am 21.11.1984 in der Dienststelle, Protokoll vom

steht zwischen den Zeilen. Der Text greift die Sehnsucht der Symbolträ-

28.11.1984, DO 4/4806.

ger mit Sympathie auf. Er warnt aber vor Kurzschlüssen aus der Theologie auf die Politik, vor Aktionismus und Selbstüberschätzung. Er hält

„Die Kirchen haben zweierlei zu vertreten: Sie

die Frage nach dem Verhältnis von Ethik und Politik offen: Man darf

haben den vollendeten Frieden, den Schalom

„eine Utopie nicht mit einem praktikablen, programmatischem Kalkül

als das Projekt Gottes den Projekten der

entsprungenen Programm verwechseln. Als dessen Gegenüber hat sie

Menschen entgegenzuhalten. In dem Maße, in

jedoch ihre Bedeutung; denn sie kann Ziele anvisieren, die nicht nur

dem ihnen das gelingt, leisten sie den lebenswichtigen Widerstand gegen die Tendenz aller

unter dem Gesichtspunkt der Machbarkeit abgesteckt werden.“ Stefan

Menschenprojekte, sich in globale Utopien

Schreiners Text beharrt auf einem Überschuss biblischer Hoffnung

zu verwandeln und eben damit der Kritik

gegenüber dem Menschenmöglichen. Er ist ein hintergründiger Kom-

und Korrigierbarkeit zu entziehen. In einer

mentar zum Tagesgeschehen, der sich plakativer Zuordnung enthält.

Welt, die auf Projekte angewiesen ist, muss es Instanzen geben, die jedes Projekt relativieren

Ähnlich zurückhaltend gegenüber politischen Thesen äußert sich

und dadurch offen und flüssig halten. Gelingt

Monate später der Leiter Friedrich Magirius, wenn er den „unteren

das nicht, dann stirbt die Hoffnung und damit

Weg“ im Friedensengagement stark macht:

die Kraft, aus der Projekte leben. Der Schalom als das Projekt Gottes mit der Menschheit ist die prinzipielle Überholung aller denkbaren

„Ohne das Weltproblem Nummer eins auf einen persönlichen Bereich zurückzudrängen, ohne von unserer politischen Verantwortung ablenken zu

Menschenprojekte, die letzte Verheißung, die

wollen, erlaube ich mir dennoch die Frage an jeden Einzelnen zu stellen: Wie

alle Menschenentwürfe als vorletzte Entwürfe

oft ist es uns selbst gelungen, Frieden zu stiften? Haben wir es geschafft im

qualifiziert und eben damit plastisch erhält. Sie

Umgang mit unseren Mitmenschen – auch dort, wo uns Unrecht geschah –

hütet den Überschuss der Hoffnung.“ Zitat aus: Ernst Lange, Die ökumenische Utopie oder Was bewegt die ökumenische Bewegung?, in: Monatsbrief Dezember 1981, S. 1.

dem Anderen klar, aber ruhig zu begegnen, und versucht, seine Haltung zu verstehen?“330 Als „oberhalb und unterhalb“ der Politik hatte Lothar Kreyssig den Einsatz der Aktion Sühnezeichen verstanden wissen wollen. Die Impulse von Schreiner und Magirius – biblische Visionen und pfadfinderhafter Pragmatismus – wahren diesen Anspruch.


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Nur: Schon am Beispiel des Lothar Kreyssig hatte sich gezeigt, dass die noble Distanz zum politischen Tagesgeschäft für eine Aktion Sühnezeichen nicht durchzuhalten ist. Diese Erfahrung sollte auch seinen Erben nicht erspart bleiben. Denn die Nicht-Einmischung müsste erstens auch von außen so verstanden werden, und zweitens müsste bei den eigenen Leuten ein Konsens darüber bestehen. Beides traf für Aktion Sühnezeichen in der DDR spätestens in den achtziger Jahren nicht mehr zu. Die erste Nagelprobe war der demokratische Aufbruch im Nachbarland Polen. Im Sommer 1980 entstand nach Protesten und Streik die erste freie Gewerkschaft des Ostblocks. Die Solidarność-Bewegung versetzte die offizielle DDR in Schrecken: Sie schloss die Grenze und machte sich für ein militärisches Eingreifen des Warschauer Pakts stark. Wie verhielt sich Sühnezeichen? Zunächst scheint es, als funktioniere die bewährte Disziplinierung durch die Kirchen. Als der Leiter Friedrich Magirius beim Jahrestreffen Ende 1980 die Haltung von Sühnezeichen zu Polen skizziert, erwähnt er Absprachen mit Verantwortlichen sowohl der evangelischen als auch der katholischen Kirche.331 Man sei übereingekommen, sich nicht „in die inneren Entwicklungen und Probleme unseres Nachbarlandes einzumischen“. Man plane also keine Stellungnahmen oder Resolutionen: „Wir sind nüchtern genug, um zu sehen, wie kompliziert die Situation auch für unsere eigene Regierung ist.“ Das Stichwort „nüchtern“ fällt insgesamt drei Mal in Magirius‘ Ausführungen – mit Nachdruck versucht der Leiter, eventuelle Übersprungshandlungen zu verhindern. Handlungsspielraum sieht der Leiter im Alltag: „Bewusstseinsarbeit im eigenen Land“ heißt jetzt die Devise. In einer Situation, in der die alten antipolnischen Zerrbilder ebenso gezielt in Umlauf gebracht werden wie aktuelle Desinformation, ist diese Arbeit immens politisch: „Gespräche in unseren Familien, mit unseren Nachbarn, Freunden und Kollegen“ sind Bausteine einer Gegenöffentlichkeit. Und wo nur noch Päckchen die Grenzen passie-


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Am 30. April 1988 – also dem 30. Jahrestag der Gründung von Aktion Sühnezeichen – wurde im thüringischen Pößneck die sechs Tonnen schwere Bronzeglocke für Majdanek gegossen. Der Monatsbrief September 1988 zitiert Günter

ren können, signalisieren Hilfslieferungen persönliche Verbunden-

Särchen:

heit.

„Nachdem die beiden Gießpfannen gefüllt waren, bevor also aus beiden Gießpfannen gleichzeitig der Guss begonnen wurde, hörte ich nur einen lauten Ruf des leitenden Ingenieurs – ich

Doch die stille, geduldige Basisarbeit ist für manche „zu wenig und zu bedeutungslos“. Der Leitungsbericht Ende 1981 lässt erkennen, wie die Sühnezeichen-Freunde an den schmerzhaft begrenzten Möglichkeiten

weiß nicht mehr, welches ‚Wort‘ es war – darauf

leiden.332 Der jähe Abbruch langjähriger Kontakte, das Fehlen verlässli-

eine Totenstille in der Halle, alle Kollektivmit-

cher Informationen, das Bangen um Freunde – es sei schwer, räumt Ma-

glieder, jeder an seinem Platz, zogen den Helm für eine kurze Zeit der Stille. Dann der Ruf:

girius ein, hier in der Haltung der Nicht-Einmischung „glaubwürdig“

‚Guss!‘. Die Helme wurden aufgesetzt, und nach

zu bleiben. Trotzdem: „Angesichts des Geschehens der letzten Wochen

einem weiteren Ruf erfolgte der Guss. – Später

fragen wir uns, ob nicht Schweigen aus Betroffenheit im Moment unse-

sagte mir der Direktor (ein junger, energischer

re einzig vertretbare Reaktion sein kann.“

Mann, der am Tag zuvor die Mitteilung erhalten hatte, dass sein Glockenkollektiv mit

Zwei Wochen vor dem Jahrestreffen, am 13. Dezember 1981, war in

dem ‚Banner der Arbeit‘ ausgezeichnet wurde):

Polen das Kriegsrecht verhängt worden. Die ostdeutsch-polnischen

‚Bei dieser Glocke und in diesem Falle war ja

Kontakte kommen jetzt fast vollends zum Erliegen. In den folgenden

auch noch ein Höherer zuständig, dass alles

Jahren ermöglichen lediglich zwei Projekte Sühnezeichen-Vertretern

klappte!‘ Später erfuhr ich, dass die meisten des Kollektivs in der vergangenen Nacht nicht

offizielle Reisen nach Polen: Einsätze im Kinderkrankenhaus Warschau

geschlafen hätten vor Aufregung, also nicht

finden weiterhin regelmäßig statt, und 1984 wird Sühnezeichen vom

nur die Schicht, die in der Nacht zuvor die Öfen

Lubliner Bischof Pylak ins Ehrenkomitee für ein „Heiligtum des Frie-

beschickte und versorgte. Nach gelungenem

dens“ in Majdanek berufen.

Guss war in der Halle eine Stimmung wie nach der Geburt eines Kindes.“

Und noch einer bleibt am Ball: Günter Särchen zeigt sich mit seinen

Von der Glockenweihe am 10. September 1989

Polen-Seminaren einmal mehr als Meister des subversiv-elementaren

berichtet Werner Liedtke im Monatsbrief Sep-

Engagements. Seit Ende der sechziger Jahre hat der Katholik seinen

tember 1989:

Landsleuten durch Wochenendtagungen und schriftliche Materialien

„In Lublin hatte man [...] gleich zwei Seile an das Joch der Glocke gebunden, und zwar

sonst kaum zugängliche Informationen über Polen vermittelt. Im Okto-

entgegengesetzt, so dass das Läuten fast einem

ber 1982 erscheint unter dem unverfänglichen Titel Versöhnung – Aufgabe

Tauziehen glich. Die Glocke wurde hin- und

der Kirche eine politisch höchst brisante Handreichung in 1.000-facher

hergerissen, der Klöppel, nur einmal berührt,

Auflage: In Umlauf gebracht werden hier Texte über die Ereignisse in

bewegte sich in ihrem Rhythmus, ohne deren Rand zu erreichen. Erst nachdem der kräftezehrende Versuch beendet wurde, dröhnten ein paar dumpfe Schläge. Als die Glocke auf dem Evangelischen Kirchentag in Görlitz Bischof Pylak für das Heiligtum des Friedens übergeben wurde, war bekannt, dass das Heiligtum in

Polen zwischen August 1980 und Dezember 1981. Es sind Übersetzungen aus dem Polnischen, die auf einem Umweg über die Bundesrepublik zu Särchen gelangt sind.333 Jetzt wird die Staatssicherheit, die Särchens Aktivitäten bislang eher aus dem Augenwinkel verfolgt hatte, aktiv: Gegen Särchen wird

absehbarer Zeit nicht gebaut wird. Die Glocke

ein operativer Vorgang eingeleitet, die Kirche wird angewiesen, den

jedoch sollte auf dem ehemaligen Lagerge-

Mitarbeiter an die kürzere Leine zu legen. Knapp zwei Jahre später ent-

lände, der heutigen Gedenkstätte, aufgestellt werden. Strittig war nur, ob an der Stelle, die für das Heiligtum vorgesehen war, oder neben dem Mausoleum. Inzwischen erreichten den Bischof – so sagte er es uns – Einsprüche aus Israel. Man unterstellte ihm, so etwas wie ein zweites Karmel-Kloster errichten zu wollen und


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damit eine weitere Gedenkstätte für jüdische Opfer katholisch zu überfremden. Daraufhin entschied der Bischof Pylak nach Absprache

zieht der Magdeburger Bischof Särchen den kirchlichen Auftrag ganz. Die Polen-Seminare werden nun unter dem Dach der Aktion Sühnezeichen und unter dem Namen „Anna-Morawska-Seminar“ in Berlin fortgeführt. Bei Sühnezeichen ist derweil Ludwig Mehlhorn auf dem Sprung.

mit seinen kirchenleitenden Brüdern, die Glocke vorläufig vor der Maximilian-KolbeKirche aufzustellen, bis der Karmel-Konflikt gelöst wird und in Ruhe über die endgültige Aufstellung der Glocke unter allen Beteiligten nachgedacht werden kann. Einen Plan, der sich bisher breiter Zustimmung erfreut, hat uns

Das Leitungskreismitglied beginnt im September 1985, dem Monats-

der Bischof unterbreitet. In Kürze will er mit

brief eine Reihe von Faltblättern beizulegen. Auf kleinstem Raum –

dem Bau einer Pfarrkirche in unmittelbarer

die Nummern umfassen je ein dreispaltig doppelseitig bedrucktes

Nachbarschaft des ehemaligen Lagergeländes beginnen. Diese Kirche soll dem Gedenken aller

DIN-A4-Blatt – finden sich Informationen zu polnischer Kultur, Ge-

Opfer dienen und Räume zur ökumenischen

schichte und Kirche. „Verständigung – erst recht Versöhnung – setzt

Begegnung anbieten. Durch diesen Bau könnte

Verstehen voraus“, erklärt Mehlhorn. Das allerdings sieht er durch den

zu einem Teil die dem Heiligtum des Friedens

Mangel an Gelegenheiten zum Kontakt gefährdet: „Als Nachbarn nehmen wir Polen kaum mehr wahr. Und eine neue Genera-

zugrunde liegende Idee verwirklicht werden. Vor der Kirche würde dann auch die Glocke als eine Mahn- und Gedenkglocke, deren Klang

tion hat bisher keine Chance, eigene Erfahrungen in Polen zu machen. Für

über das weite Lagergelände zu vernehmen

sie, die ganz Jungen, ist Polen ein nahezu weißer Fleck auf der Landkarte Eu-

wäre, ihren Platz finden. Alle, mit denen wir

ropas. Aber es werden wieder Begegnungen möglich sein! Die Zeit kommt! Darauf kann man sich heute schon vorbereiten. [...] Tun wir heute etwas für die morgen mögliche Reise.“334 Mehlhorns Optimismus ist nicht aus der Luft gegriffen: Schon im zu Ende gehenden Jahr 1985 sind wieder mehrere Sühnezeichen-Reisen nach Polen möglich; unter anderem kann eine Gruppe in der Gedenk-

sprachen, auch die Mitarbeiter der Gedenkstätte oder ehemalige Häftlinge, stimmten dieser Lösung zu. Das sollte wohl auch uns und alle Spender überzeugen, so schmerzlich es für uns ist, dass die Glocke, von Christen und Juden aus der DDR finanziert, durch den KarmelStreit hin- und hergerissen wird.“

stätte Majdanek arbeiten. „Wie bewerten Sie die einundzwanzigjährige

Dass die innere Verbindung von ASZ nach Polen nie abgerissen ist, hat schon Anfang 1985 ein Vorstoß von Stephan Bickhardt gezeigt. In einem

Arbeit des Seminars – bis zur Vereinigung gerechnet?“ „Man kann sie nur vor dem Hintergrund der

Diskussionspapier, das er dem Leitungskreis bei dessen Januar-Klausur

DDR-Situation bewerten, der Unfreiheit auf

vorlegt, erklärt der Berliner Theologiestudent, Sühnezeichen habe „die

der einen und der politischen Denkfaulheit

besondere Möglichkeit, den Dialog zwischen der Friedensbewegung in Westeuropa und den staatskritischen Bewegungen im Osten Europas

großer Teile des Volkes auf der anderen Seite. Wir waren eine Anlaufstelle für viele Menschen, sehr einfache, aber auch Akademiker. Wir

kritisch zu befördern und jeweils berechtigte und mit ihrem Auftrag

hatten zwei Wochenendseminare im Jahr, an

vereinbarte Anliegen aufzunehmen“. Aus dieser Mittlerposition folgt

denen jeweils rund 100 Menschen teilnahmen.

für Bickhardt ein klarer Auftrag an die Aktion Sühnezeichen: Das junge Leitungskreismitglied verlangt, sie möge sich „als Teil einer weltweiten Friedensbewegung“ für Menschen- und Völkerrechte einsetzen.335

Insgesamt gab es etwa 2.000 Interessenten in der DDR. Dank der deutsch-polnischen Thematik konnten wir europäische und deutsche Geschichte behandeln, was den DDR-Behörden überhaupt nicht schmeckte. Außerdem waren wir schon so polonisiert, dass wir, ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu fragen, die so genannten Polen-Handreichungen herausgaben, in einer Auflage bis zu 2.000 Exemplaren (insgesamt 55 Handreichungen). Darin gab es Texte aus der polnischen Literatur


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

207

und Geschichte, aus der Tagespresse, aus dem Tygodnik, aber auch aus der Polityka. Als mich ein Stasi-Offizier wieder einmal wegen unserer ‚antisozialistischen‘ Tätigkeit verhörte, habe ich ihm ein Exemplar geschenkt, ‚damit Sie es uns

Stephan Bickhardt fordert Öffentlichkeit und Transparenz im politi-

nicht wieder bei der Post klauen müssen‘ ...“

schen Handeln der Aktion Sühnezeichen ein und zeigt sich damit von

Aus: „Ein Hofnarr war ich bis zum Schluss“.

den östlichen Nachbarn inspiriert: Ein zentrales Anliegen der Opposi-

Mit Günter Särchen, dem Begründer des AnnaMorawska-Seminars, spricht Adam Krzemiński,

tion in Polen ist die Förderung eines offenen gesellschaftlichen Dialogs

in: Dialog. Deutsch-polnisches Magazin/Magazyn

als Gegengewicht zur staatlichen Propaganda. Spätestens mit seinem

Polsko-Niemiecki 2/1997, S. 44-51, hier S. 46/51.

Papier ist eine Frage auf dem Tisch, die eigentlich seit Jahren nach Klärung verlangt: Wie steht Aktion Sühnezeichen in der DDR zu den

„Eine effektive politische Kooperation der Oppo-

Friedensgruppen, zur Alternativkultur: zur „Opposition“?

sition in Polen und der DDR war schon deshalb

Die Organisation – durch Sommerlager und Bezirksgruppen in der

unmöglich, weil die auf DDR-Seite aktivsten

kirchlichen Basis verlässlich verwurzelt – hat jedenfalls die Hand am

Personen mit Reiseverboten belegt waren. Doch

Puls der Szene. Der gesellschaftliche Aufbruch der frühen achtziger

in Polen hatte das seit Mitte der siebziger Jahre entwickelte Projekt der ‚selbstorganisierten Ge-

Jahre wird auch in den Monatsbriefen deutlich registriert. „Es ist [...]

sellschaft‘ als Gegenentwurf zum quasi-totalitä-

allzu verständlich, dass junge Leute in zunehmendem Maße nach Al-

ren Staat erfolgreich funktioniert. Es hatte zu

ternativen zur militärischen Friedenssicherung suchen“, schreibt etwa

einer Mobilisierung breiter gesellschaftlicher

Dietrich Erdmann im Mai 1982.336 Aus seinen Zeilen spricht mit Sym-

Schichten geführt und ermöglichte eine flexible Strategie oppositionellen Handelns.

pathie gefärbte Distanz, und diese Haltung ist charakteristisch für die

Durch den systematischen Aufbau einer Gegen-

Diktion der Leitung. Auch Friedrich Magirius spricht in seinem Lei-

öffentlichkeit in Gestalt unzensierter Verlage

tungsbericht Ende 1981 von „den jungen Leuten“ wie von Dritten, auch

war dem Staat praktisch das Informations- und

er äußert „Verständnis“ für deren „Schwung“.337 Kritisch hinterfragt er

Medienmonopol entzogen – ein unter kommunistischen Verhältnissen zentrales Herrschafts-

jedoch die Motivation zum Friedensengagement: Geht es um „christ-

instrument. Für die Opposition in der DDR war

liche Verantwortung oder oppositionelle Gesinnung“? Opposition um

die Entwicklung in Polen ein Lernfeld, obwohl

der Opposition willen lehnt der Pfarrer ab; statt Rebellion verlangt er

sich die Bedingungen beiderseits von Oder und

„Geduld und Verständnis [...], damit die Kirchenleitungen in den Ge-

Neiße immer weniger ähnelten.“ Aus: Ludwig Mehlhorn, Zwangsverordnete Freundschaft? Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der DDR und Polen, in: Basil Kerski, Andrzej Kotula, Kazimierz Wóycicki (Hg.), Zwangsverordnete Freundschaft? Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen 1949-1990, S. 35-40, hier S. 39 f.

sprächen mit den Staatsorganen weiterkommen können und nicht von uns missverstanden werden“. Aktion Sühnezeichen übt politische Zurückhaltung und beschränkt sich auf eine Art teilnehmende Beobachtung. Vor dem Lagersommer 1983 schreibt die Leitung einen Brief an alle Teilnehmer, der auf die „Friedensproblematik“ eingeht und die Aktiven zur Vermittlung zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk aufruft: „Oft wird gefordert: ‚Die Kirche müsste viel deutlicher und eindeutiger reden!‘ Andererseits fragen die Verantwortlichen in der Kirche, was an der ‚Basis‘ tatsächlich geschieht und von der ‚Basis‘ getragen wird. Beispielsweise sind manche Gruppen und Gemeinden mit den Fragen des Friedens intensiv be-


208

„Die unabhängige Friedensbewegung fühlte sich durch das Treffen der Grünen mit Erich Honecker [am 31. Oktober 1983; G.K.] so weit in-

schäftigt, in anderen Gemeinden spielen diese Fragen überhaupt keine Rolle.

direkt gestärkt, dass sie nun mit einer eigenen größeren Aktion an die Öffentlichkeit treten

Versucht, euch einen Überblick über Aktivitäten in euren Heimatorten zu

wollte. Über diese Absicht und den geplanten

geben! Erkundet, warum etwas geschieht oder warum nichts geschieht!

Zeitpunkt hatte die Delegation den Generalse-

Was müsste begonnen werden? Was können wir selbst zur Überwindung dieser ‚Kluft‘ zwischen der ‚Basis‘ und den Kirchenleitungen beitragen?“338

kretär schon informiert. Zwei Gruppen sollten unter Mitführung je eines Globus mit einem Durchmesser von etwa einem Meter und der

Mit diesem Auftrag verabschiedet sich Friedrich Magirius aus dem

Aufschrift ‚So sieht die Erde noch aus‘ um 13

Amt des hauptamtlichen Leiters (das er schon seit anderthalb Jahren

Uhr vom Treffpunkt Bahnhof Friedrichstraße

parallel zu einem Gemeindeamt ausgeübt hatte). Sein Nachfolger wird im Herbst 1983 der Theologe Werner Liedtke – und der prescht schnell nach vorn. Gleich im November bezieht die Leitung offiziell Stellung in Sachen Versöhnung: Aktion Sühnezeichen richtet einen Brief an die Botschaften der UdSSR und der USA in Ost-

zu den nahe gelegenen Botschaften der UdSSR und der USA marschieren, um dort gleich lautende Petitionen zu übergeben. [...] Der Inhalt der Petition war erstmals auf einer Zusammenkunft am 1. November in der Wohnung Bärbel Bohleys beraten worden, an der neben Kelly, Bastian, Vollmer und Beckmann

Berlin. Die Großmächte werden gebeten, den Weltfrieden nicht durch

etwa 40 weitere Personen teilnahmen. [...]

wechselseitige Aufrüstung, sondern durch gemeinsame humanitäre

Das MfS [Ministerium für Staatssicherheit;

Anstrengungen zu sichern. Hintergrund ist die angekündigte weitere Stationierung von Atomwaffen in West- und Ostdeutschland nach dem Scheitern der entsprechenden Verhandlungen in Genf. „Der deutsche

G.K.] verfügte am Morgen des 4. November die Sperrung aller Einreisen von prominenten Mitgliedern und Sympathisanten der Grünen und der Alternativen Liste sowie ‚maoistischer,

Boden ist nicht mehr frei für Ihre Raketen, er ist besetzt durch Ihre To-

linksextremistischer Organisationen, Gruppen

ten, die gegen den gemeinsamen Feind gefallen sind“, beschwört der

und Kräfte, einschließlich Personen aus

ausführliche Brief die Supermächte.339 Während sich der westdeutsche Sühnezeichen-Zweig als Akteur der

anderen westlichen Ländern, von denen bereits in der Vergangenheit Aktivitäten im Zusammenhang mit der so genannten unabhängigen

Friedensbewegung einen Namen macht, gehen also auch die ostdeut-

Friedensbewegung in der DDR bekannt wur-

schen Erben Lothar Kreyssigs über die Graswurzelebene hinaus. Der Ein-

den‘. In der Nacht vom 3. auf den 4. November

wurf in die große Politik beschäftigt den Leitungskreis. Auf dessen Klausur Ende Januar 1984 wird darüber diskutiert, ob der Botschaftsbrief ein „Anfang“ sei: „Sollen wir in der Friedensfrage federführend werden?“340 Die Briefaktion als solche ist allerdings nicht gerade ein politisches Fanal. Von amerikanischer Seite erfolgt keine Antwort; die sowjetische Botschaft schickt politisches Aufklärungsmaterial (so die Broschüre Abrüstung – wer ist dagegen?) und erläutert dem Leiter der Aktion Sühnezeichen den rein defensiven Charakter der sowjetischen Rüstung: „Uns muss man nicht zum Eintreten für die Verteidigung des Friedens und

setzte man insgesamt 118 DDR-Bürger auf unterschiedliche Weise fest [...]. Weitere 260 Personen hinderte man an der Anreise oder erteilte ihnen die Auflage, ihren Wohnort nicht zu verlassen. Trotzdem fanden sich zur vereinbarten Zeit ungefähr 25 bis 30 Demonstranten vor der Buchhandlung am Bahnhof Friedrichstraße ein, wo sie der Stadtjugendpfarrer MartinMichael Passauer empfing und aufforderte, den abgeschirmten Bereich zu verlassen und es zu keinen Konfrontationen kommen zu lassen.

gegen die Kriegsgefahr aufrufen. Diese Politik verfolgt die Sowjetunion

Nachdem sich die Versammlung ohne weitere

seit 1917 konsequent. Es wäre besser, wenn Sie alle Ihre Aktivitäten für den

Vorkommnisse aufgelöst hatte, konnte die Stasi nun die Abrückenden einzeln abfangen, ihre Personalien feststellen, sie befragen und 17 von ihnen im ‚Handlungsraum zuführen‘. [...] Am Abend des 4. November versammelte sich im Gemeindehaus Pankow der dortige Friedenskreis, der die Ereignisse nicht unbedingt als Niederlage empfand. Der Saal war brechend


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

209

voll, selbst in der Tür und auf der Treppe standen Menschen. Die festgenommenen und einige Stunden später wieder auf freien Fuß gesetzten Männer und Frauen berichteten recht freimütig über ihre Behandlung und bezeich-

Frieden darauf konzentrieren würden, die USA und ihre NATO-Partner

neten sie durchgehend als korrekt. Mehrere

zu zwingen, die ungezügelte Hochrüstung aufzugeben und die Vorberei-

Redner bekannten sich demonstrativ zur

tung eines Atomkrieges sowie die imperialistische Konfrontationspolitik

Teilnahme an ähnlichen zukünftigen Aktionen und verdeutlichten mit dieser – angesichts der

einzustellen.“341

gerade gemachten Stasi-Erfahrung – durchaus

Das Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR bestellt Liedtke mit

unüblichen Verhaltensweise, dass der Kreis

zwei Stellvertretern ein. Ihnen sei die „Unhaltbarkeit“ ihrer im Brief

derjenigen, die sich nicht mehr einschüchtern

geäußerten Positionen nachgewiesen worden, hält der Protokollant

ließen, langsam aber stetig wuchs.“ Stefan Wolle, Die heile Welt der Diktatur. Alltag

fest. Er beschreibt die Sühnezeichen-Delegation als einsichtig und den

und Herrschaft in der DDR 1971- 1989, München

Ausklang der Unterredung als konziliant: „Die staatlicherseits erklärte

1999, S. 463-466.

Bereitschaft, das politische Gespräch weiterzuführen, wurde dankend zur Kenntnis genommen.“342 Tatsächlich wird in den folgenden Jahren der Kontakt zwischen Staatssekretariat und Sühnezeichen enger. Werner Liedtke beschreibt das im Nachhinein als Taktik: „Als Leiter bemühte ich mich, mit Augenmaß, Leidenschaft und politischen Argumenten die Arbeitsmöglichkeiten, und das hieß auch immer die Reisemöglichkeiten, für unsere Freiwilligen zu erweitern. Ich wollte, dass unsere Aktion in einem Staat, der sich als antifaschistisch definierte, nicht nur toleriert, sondern als eigenständige und unabhängige Organisation akzeptiert wird. Um diese Ziele zu erreichen, benutzte ich gängige Losungen und Parolen.“343 Die Haltung Werner Liedtkes zu den staatlichen Organen wird die Sühnezeichen-Aktiven nach der Wende noch eingehend beschäftigen. Das Ringen um den politischen Standort von ASZ prägte die achtziger Jahre, erst unterschwellig, ab 1985 als offener Streit. Im Januar fordert Stephan Bickhardt mit seinem Papier ein klares Bekenntnis zur Friedensbewegung. Die Diskussion darüber wird erst vertagt, dann in eine Arbeitsgruppe ausgelagert; schließlich erhalten Friedensgruppen der DDR im Monatsbrief ein Forum zur Darstellung ihrer Anliegen und Arbeitsweisen.344 Die Unzufriedenheit aber bleibt groß, zum einen über die Beteiligungsstrukturen bei Sühnezeichen selbst – immer wieder ist etwa die Gestaltung des Monatsbriefs Gegenstand der Diskussion im Lei-


210

„Pfarrer Liedtke wurde von Gen. Handel gefragt, ob die Veröffentlichung og. Erklärungen in den Monatsbriefen der Aktion Sühnezeichen als Identifizierung mit den politischen Positionen

tungskreis –, zum anderen über die verbreitete Lethargie in Sachen

und Aktivitäten der unterzeichnenden bzw. in

Friedensengagement.

diesen Erklärungen erwähnten Gruppen zu

Widerstand versus Anpassung – im Staatssekretariat für Kirchenfragen werden die Flügelkämpfe in der kirchlichen Organisation genau-

verstehen sei. Das wurde von Liedtke verneint. Es gehe lediglich darum, unterschiedlichen kirchlichen Friedensgruppen Raum zur

estens registriert. Schon 1984 kommt ein ausführlicher Bericht über

Selbstdarstellung zu bieten. U.a. sei auch die

die Ausrichtung der Aktion Sühnezeichen zu dem Schluss, diese biete

Veröffentlichung einer Stellungnahme der CFK

„politisch negativen Kräften im kirchlichen Raum Ansatzpunkte, um

[Christliche Friedenskonferenz; G.K.] geplant.

Aktivitäten [...] in die Richtung einer ‚unabhängigen‘ Friedensbewegung zu lenken und damit politisch gegen den sozialistischen Staat zu

Gen. Handel wies auf das Bestreben bestimmter Gruppen hin, die Friedensfrage auf innerfamiliäre und persönliche Probleme zu reduzieren. So

missbrauchen“345. Doch auch der Staat sieht Ansatzpunkte, liege doch

werde die Forderung nach Abschluss ‚persönli-

die Leitung seit 1975, also dem Ausscheiden von Christian Schmidt,

cher Friedensverträge‘ der Dimension des Prob-

„in den Händen von politisch insgesamt loyalen Kräften“. Die Einordnung der Organisation bleibt letztlich unentschieden. Zwar werde „in

lems nicht gerecht und sei ein illusorischer Weg zur Friedenssicherung. Pfarrer Liedtke verwies auf seinen eigenen Standpunkt, den er

politisch sauberer Art des antifaschistischen Widerstandskampfes

im Februarbrief dargelegt hat. Darin bezieht er

gedacht“, vermisst werden von staatlicher Seite aber „weitergehende

sich positiv auf die Friedenspolitik der KPdSU,

Schlussfolgerungen für ein politisches Engagement der Jugendlichen in der sozialistischen Gesellschaft in der DDR“. Die staatlichen Stellen sehen bei Sühnezeichen sowohl das Risiko oppositioneller Tendenzen als auch Potenziale für eine dem Staat genehme Entwicklung. Ersteres einzudämmen und letztere zu stärken, ist das Programm des Staatssekretariats für Kirchenfragen in den folgenden Jahren. So wird der Leiter des Öfteren einbestellt. Die Veröffentlichungen der Friedensgruppen in den Monatsbriefen, die Einfuhr westdeutscher Literatur oder der Abdruck der Forderungen tschechischer Katholiken an ihre Regierung im Sommer 1988 erregen den staatlichen Ärger und führen zu strengen Ermahnungen. Parallel dazu sind allerdings ganz neue Töne zu hören. Liegt es nun am tatsächlichen Wohlverhalten seitens der ASZ oder an einer verän-

insbesondere auf die neuen Friedensvorschläge des Gen. Gorbatschow. Zwar glaube er auch nicht an eine direkt politische Wirkung ‚persönlicher Friedensverträge‘, halte sie jedoch für ein Mittel zur Verbesserung der allgemeinen Atmosphäre.“ Betr.: Gespräch mit dem Leiter der Aktion Sühnezeichen Pfarrer Liedtke am 22.07.86, 22.7.1986, BArch DO 4/814. „So wurde ich in das Staatssekretariat für Kirchenfragen gerufen und gefragt, ob sich denn Sühnezeichen an die Spitze der so genannten Friedensbewegung stellen wolle? Ich sagte, dass wir nicht beabsichtigten, die Führungsrolle zu übernehmen, aber als ein profilierter Teil der Friedensbewegung möchten wir wirken. Mir wurde vorgehalten, Sühnezeichen mache damit eine politische Mode mit, unter dem

derten Interessenlage der DDR-Regierung (diese arbeitet an besseren

Deckmantel der Friedensarbeit Opposition

Beziehungen zur Bundesrepublik, zu Israel und zu den USA): Jedenfalls

gegen den Staat zu organisieren. Ich erinnerte,

beginnt das Staatssekretariat für Kirchenfragen, der Aktion Sühnezei-

dass unsere Aktion seit ihrer Gründung dem Frieden durch Versöhnung diene.“

chen ausdrücklich für ihre Arbeit zu danken. Erstmals kann Werner

Aus: Werner Liedtke, Die Aktion „Sühnezeichen“ in

Liedtke beim Jahrestreffen Ende 1985 von warmen Worten des Haupt-

der DDR. Beobachtungen eines Hauptbeteiligten, in: Horst Dähn, Helga Gottschlich (Hg.), „Und führe uns nicht in Versuchung ...“ Jugend im Spannungsfeld von Staat und Kirche in der SBZ/DDR 1945 bis 1989, Berlin 1998, S. 283-308, hier S. 293. Es ist festzustellen, dass nach dem Gespräch keine weitere Vorstellung einer Friedensgruppe im Monatsbrief mehr erfolgte.


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

211

abteilungsleiters berichten, der ein Lob der Gedenkstätte MittelbauDora weitergereicht hat.346 Nahezu skurril ist die Szene am Vormittag des 20. März 1987: Die im Staatssekretariat versammelte Leitung der Aktion Sühnezeichen vernimmt die amtliche Versicherung: „Wenn es Ihre Organisation nicht gäbe, müsste man sie erfinden“.347 Das unverhoffte Lob verfolgt freilich klare Interessen: Eine Notiz im Staatssekretariat hält im Vorfeld des in dieser Form erstmaligen Treffens das Ziel fest, man wolle den „Rahmen für die weitere Zusammenarbeit in den nächsten Jahren“ abstecken und gewährleisten, „dass die Arbeit auch sachgerecht inhaltlich gestaltet wird“, etwa durch die Vermittlung von „Referenten aus dem gesellschaftlichen Bereich“.348 Entsprechend verläuft die Unterredung, die nach Erinnerungen des ebenfalls anwesenden Geschäftsführers Michael Standera 349 immerhin zwei Stunden dauert. Eingangs erhält der Leiter Werner Liedtke die Gelegenheit zu einem Grundsatzreferat. Laut Protokoll des Staatssekretariats350 beschreibt er darin das Selbstverständnis der Aktion mit der Formel „miteinander handelnd anderen helfen“ und nennt als ihre Hauptaufgabe die „Schaffung von Verständigungsmöglichkeiten zwischen allen Friedenskräften“. Es folgt die Erklärung der Gegenseite, jetzt sei „die Möglichkeit und die Notwendigkeit herangereift, zu einer neuen Qualität der Zusammenarbeit zu gelangen“. Wenn die Aktion Sühnezeichen sich in Zukunft politisch klarer artikuliere, so das Angebot, sei eine stärkere Präsenz in den DDR-Medien denkbar. Konkretere Absprachen gibt es nicht; es schließt sich ein Austausch über die Politikmüdigkeit der Jugend an und ein Rüffel staatlicherseits für die Nicht-Anmeldung ausländischer Teilnehmer bei Sommerlagern. Wie kam dieses Gespräch bei der Sühnezeichen-Basis an? Oder, zuallererst: Was kam an? Der schriftliche Niederschlag ist äußerst knapp. Beim Jahrestreffen Ende 1987 präsentierte Werner Liedtke Stattfinden und Ablauf des Treffens als Erfolg: Für ihn markierte die Einladung den Schritt von der Tolerierung zur Akzeptanz der Aktion Sühnezeichen durch den Staat, die anerkennenden Worte hätten „gut getan“.351 Weniger euphorisch war die Auswertung des Gesprächs durch den Leitungs-


212

Zwiespältig sind auch Erlebnis und Bilanz des Olof-Palme-Marsches. Aktion Sühnezeichen hatte im Rahmen des internationalen Friedens-

kreis im unmittelbaren Anschluss gewesen. Das Protokoll von dessen

marsches die Idee eines dreitägigen Pilgerwegs zwischen Ravensbrück und Sachsenhausen

März-Klausur352 hält in wenigen Zeilen das Lob und den Auftrag fest:

eingebracht. Die Beteiligung des staatlichen

„ASZ soll nicht nur mit Händen sprechen, sondern auch mit Stimme.“

„Friedensrats“ an diesem Gang machte ihn zu

Es folgt die Wiedergabe einer Diskussion des Leitungskreises über die

einem diplomatischen Drahtseilakt. Werner Liedtke berichtet:

immer noch schlechten Rahmenbedingungen für die Polen-Arbeit – ei-

„Der gemeinsame Weg war für alle Beteiligten

nen Punkt, in dem zum Beispiel bei dem „Gipfeltreffen“ keine konkre-

ein starkes Erlebnis. Unterwegs vermischten

ten Verbesserungen erreicht wurden.

sich die Blöcke, und es wurde im Sinne dieses

In der großen Besetzung blieb das Treffen einmalig; zwischen Werner

Wortes laufend diskutiert. Laufen oder gehen macht locker, und so sind auch unsere Diskus-

Liedtke – teilweise begleitet von einzelnen Mitgliedern der Leitung oder

sionen trotz aller Schärfe locker und freundlich

von Geschäftsführer Standera – und dem Staatssekretariat jedoch hatte

verlaufen.

sich eine rege Gesprächsdiplomatie entwickelt. Liedtke selbst sah vor allem die 1987 sprunghaft verbesserten Westkontakte der ostdeutschen Aktion Sühnezeichen als direkten Ertrag dieser Bemühungen.353 Michael Standera steht den Gesprächen im Nachhinein zwiespältig gegenüber. Er gesteht ihnen zwar eine strategische Funktion für Sühnezeichen zu, vor allem aber sieht er sie als Demonstrationen staatlicher Macht: „Die Vertreter des Staatssekretariats wollten zum Beispiel erreichen, dass die Gäste aus dem Ausland alle über ein Dienstreisevisum des Staatssekretariates einreisen sollen. Das sollte angeblich unsere Arbeit erleichtern. Wir haben dies ausdrücklich abgelehnt, uns war bewusst, dass dies ein Auftrag des Staatssicherheitsdienstes ist. Ich persönlich habe diese Treffen nicht als ein Gespräch auf gleicher Augenhöhe empfunden, vielmehr als Drohung und Ausfragen.“354 Dass der Inhalt der Gespräche selbst der Sühnezeichen-Basis gegen-

In jedem Ort wurden wir vom Pfarrer und vom Bürgermeister begrüßt. Die Glocken läuteten bei unserem Einzug. Nach dem Friedensgebet in der Kirche gab es noch ein Friedensmeeting im Freien – vor der Schule, auf dem Marktplatz, vor dem Kulturhaus der LPG –, immer den Möglichkeiten eines jeden Ortes entsprechend. Die Redner wurden von den Leitungen der beiden Blöcke benannt und lösten im Wechsel einander ab. Ein Hauch von Freiheit ging durch unsere Reihen. Endlich gleichberechtigt, endlich offen streiten und frei reden. Doch im letzten Dorf vor Oranienburg, in Nassenheide, erwartete uns die Wirklichkeit. Dort standen fünf- bis sechstausend organisierte Personen, die den Auftrag hatten, sich unserem Block anzuschließen, um ihn vor den Toren Oranienburgs aufzulösen. Das

über weitgehend unter Verschluss gehalten wurde, bestärkte dort den

ließen wir nicht zu. Wir wollten erkennbar

Eindruck der Kollaboration. Die Umarmung ist perfekt, als im Mai 1988

als eigenständiger Block der Kirchen und der

Kirchen-Staatssekretär Klaus Gysi persönlich zur Feder greift. Anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Aktion Sühnezeichen bescheinigt

Aktion Sühnezeichen durch Oranienburg marschieren. Dass uns dieses Vorhaben gelang, ist gewiss auch auf die Anwesenheit von Bischof

der SED-Funktionär der kirchlichen Organisation die „grundsätzliche

Werner Leich, dem damaligen Vorsitzenden

Übereinstimmung ihres Friedensengagements mit der Politik der Re-

des DDR-Kirchenbundes, zurückzuführen, der

gierung der Deutschen Demokratischen Republik“:

an diesem Tag die Strecke von Grüneberg nach Oranienburg mit uns ging.

„Das von der Aktion Sühnezeichen unterstützte Bemühen der Kirchen, welt-

In der Stadt sangen wir unsere Friedenslieder.

weit zu einem gerechten Frieden beizutragen, das seinen Ausdruck auch im

Die Häuserfronten verstärkten unseren Gesang. Die Oranienburger, an den Straßenrand bestellt, staunten über das, was in ihre Ohren drang oder sich ihren Augen bot. Sie lasen unsere Losungen: ‘Frieden schaffen, ohne Waffen‘ oder ‚Schwerter zu Pflugscharen‘. So schlecht war das kollektive Gedächtnis nicht. Man wusste noch, wie man vor wenigen Jahren mit diesen


KApitel 6. Vorletzte Gefechte

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Losungen und ihren Trägerinnen und Trägern umgegangen war. Der Olof-Palme-Friedensmarsch ist bis heute nicht von allen Beteiligten ausgewertet worden.“ Werner Liedtke, Die Aktion „Sühnezeichen“ in der

konziliaren Prozess findet, leistet einen wichtigen Beitrag zur Mobilisierung

DDR. Beobachtungen eines Hauptbeteiligten, in:

des Weltgewissens für die alles entscheidende Frage der Gegenwart. Es bietet

Horst Dähn, Helga Gottschlich (Hg.), „Und führe

darüber hinaus eine realistische und tragfähige Grundlage für das Zusam-

uns nicht in Versuchung ...“ Jugend im Spannungsfeld von Staat und Kirche in der SBZ/DDR 1945 bis 1989, Berlin 1998, S. 283-308, hier S. 306 f. Innenpolitische Entspannung oder Instrumentalisierung der unabhängigen Friedensbewegung durch den Staat? Der einzigen legalen Demonstration der Opposition in der DDR

menwirken von Kommunisten, Christen und Vertretern anderer weltanschaulicher und politischer Positionen in einer Koalition der Vernunft und des Realismus zur Abwendung der Kriegsgefahr [...].“355 Zu diesem Zeitpunkt scheint bei ASZ der Zenit der gesellschaftlichen Wirksamkeit überschritten. Im Streit um interne Demokratie und poli-

sollte jedenfalls die Stürmung der Berliner

tische Erkennbarkeit sind die kritischsten Köpfe abgewandert: Namen

Umweltbibliothek durch die Staatssicherheit

wie Konrad Weiß, Stephan Bickhardt, Michael Bartoszek, Wolfgang

auf dem Fuße folgen.

Templin oder Ludwig Mehlhorn finden sich in verschiedenen Bürgerrechtsinitiativen wieder. Ihre Erfahrungen aus dem Lernfeld Polen haben sie freilich mitgenommen. Und so blitzt an runden Tischen, in Auseinandersetzungen um Antifaschismus und Neofaschismus, in geschichtlich fundierten EuropaVisionen ab und an in der Opposition ein Stück Sühnezeichen auf.


7. Der Geschichte verhaftet - der Zukunft auf der Spur


7. der zukunft auf der Spur S hnezeichen aktuell

Leipzig: Im September 2006 trafen sich in Leipzig Freiwillige aus langfristigen Diensten und von Sommerlagern aus fast fünf Jahrzehnten Sühnezeichen-Geschichte in der Leipziger St. Petri Kirche (Foto: Gundi Abramski, ASF-Bildarchiv).


Simferopol (Ukraine): Drei Wochen lang halfen wir, die TeilnehmerInnen eines Sommerlagers 2003, dem Simferopoler Invalidenverein bei den Vorbereitungen für den Bau eines Altenheimes. Dieser Verein betreut auf der Krim lebende ehemalige KZ-Häftlinge und ZwangsarbeiterInnen. Einige unserer ukrainischen TeilnehmerInnen waren direkt über den Invalidenverein zu unserem Sommerlager dazugekommen – ihre Großeltern gehörten zu den Überlebenden der Zwangsarbeit in Deutschland. Ein Tagesausflug führte uns zu dem Gelände des ehemaligen Lagers Krasny in der Nähe von Simferopol. Eine Gruppe von Überlebenden, die alle als Erwachsene oder auch als Kinder dort inhaftiert gewesen waren, erwartete uns. Gemeinsam befreiten wir die beiden links und rechts von dem Denkmal liegenden Massengräber von Gras und Unkraut (Foto: ASF-Bildarchiv; Text: Cora Krückels 2008).


Israel 2004 und 2006: Im Oktober 2004 wurde

Lukas Welz hatte in seinem Freiwilligendienst

in Jerusalem die „Internationale Jugendbe-

in Israel zwei Aufgaben: Neben der Arbeit im

gegnungsstätte Beit Ben Yehuda – Haus Pax“

Archiv von Yad Vashem unterstützte er Yehu-

eröffnet. Auf dem Bild ist rechts das ehema-

da Bacon, Überlebender von Theresienstadt,

lige Wohnhaus von Elieser Ben Yehuda zu

Auschwitz und Mauthausen, Künstler und

erkennen und daneben der Neubau des Gäste-

Professor in Jerusalem, bei verschiedenen Tä-

hauses (Foto: ASF-Bildarchiv).

tigkeiten. Auf dem Foto von Leah Bacon sind Yehuda Bacon und Lukas Welz im Sommer 2006 im Atelier des Künstlers zu sehen.



Projektbereich Interkulturalität – Einladungsprogramm – „freiwilligunterwegs.org“: Im Rahmen der Seminarreihe „Stadtteilmütter auf den Spuren der Geschichte“ besuchten die „Stadtteilmütter“ türkischer und arabischer Herkunft mit der Referentin des Projektbereichs Interkulturalität, Ulla Kux (r.), im Dezember 2006 auch das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und den Ort der Information (Foto: Sibel Uzak, ASF-Bildarchiv). Seit 1996 ist es für Freiwillige aus dem Ausland möglich, mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in einem Projekt in Deutschland zu arbeiten. Auf dem Foto in der Broschüre ist Nadja Poponina aus Perm (Russland) bei ihrem ersten Tag in der Gedenkstätte Neuengamme zu sehen. Ihre Aufgabe bestand u.a. darin, die Briefe von ehemaligen Häftlingen aus den Ländern der früheren Sowjetunion zu übersetzen. Der Dienst Nadja Poponinas ist ein Beispiel für einen Freiwilligeneinsatz in Deutschland in der Kampagne „freiwilligunterwegs.org“, die 2007 gemeinsam von ASF und Eirene vorgestellt wurde (Fotos: BAR M Kommunikationsdesign).


220

kapitel 7. Der Zukunft auf der Spur – Sühnezeichen aktuell

Aktion Sühnezeichen ist heute eine moderne Friedensdienstorganisation. Sie arbeitet mit Freiwilligen verschiedener Nationalitäten in 13 Ländern; ihre politische Stimme hat in Deutschland und Europa Gewicht; von der EKD wird ihr Handeln in Kirche und Gesellschaft als „Markenzeichen des Protestantismus“ anerkannt – wenn auch nicht entsprechend gefördert.356 Ihr zivilgesellschaftliches Engagement bleibt unverwechselbar durch die Verankerung in der Geschichte. Erklärter Motor des Handelns ist für ASF das „Bewusstsein, dass die Folgen des Nationalsozialismus noch immer spürbar sind und nur durch einen konkreten und praxisorientierten Dialog bearbeitet werden können“.357 Bei aller Nähe zum Kreyssigschen Gründungsimpuls, die hier zu hören ist – der Weg zur heutigen Gestalt führte durch existenzielle Krisen. Die historischen Umbrüche der neunziger Jahre nahmen Aktion Sühnezeichen hart in die Zange. Der Ost-West-Konflikt als Bezugssystem der bisherigen Aktivitäten löste sich auf. Die von Anfang an getrennten beiden deutschen Sühnezeichen fanden sich „wieder“, und das ohne lange Vorbereitung gleich in einem Verein. Der Golfkrieg traf die Organisation ins Mark. Herausgefordert wurde die christliche Solidarität mit dem bedrohten Israel ebenso wie eine der Geschichte verantwortliche Position zum Verhältnis von Frieden und Gewalt. Und schließlich: Nationale Identitäten wurden brüchig – oder jedenfalls bunter. Aktion Sühnezeichen hat versucht, unterschiedlichste Zugänge zur Geschichte des Nationalsozialismus aufzugreifen. Die Einrichtung eines Projektbereiches Interkulturalität und die Internationalisierung des Freiwilligen-Programms zielten dabei mitten ins Selbstverständnis des Vereins. Wohin entwickelt sich, wohin entwickeln wir Aktion Sühnezeichen? Das letzte Kapitel berichtet von erhitzten Debatten beim Aufbruch ins 21. Jahrhundert.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

221

„Nach dem 9. November 1989 hat sich das Inlandreferat der ASF bemüht, zusammen mit anderen Kriterien für eine sinnvolle Deutschlandpolitik zu entwickeln und in die Öffentlichkeit zu tragen. Im Dezember 1989 noch gingen in Berlin (West) 10.000 Menschen auf die Straße, um gegen ‚Großdeutschland‘ zu demonstrieren. ASF hatte im Bündnis mit anderen Berliner Gruppen zu dieser Demons-

Sühnezeichen Ost und Sühnezeichen West: Wie weiter nach 1989?

„Die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Aktion Sühnezeichen/DDR verlief in gewohnten Bahnen.“358 Ein schlichter Satz im Vorstandsbe-

tration aufgerufen. Derzeit sind wir intensiv

richt der Aktion Sühnezeichen (West), interessant einzig im Blick auf

damit beschäftigt zu helfen, in der BRD und in

den Zeitpunkt, zu dem er verlesen wurde: im April 1990. Der Zeitraum,

der DDR die Friedensbewegung für Entmilitari-

auf den sich diese deutsch-deutsche Bilanz bezieht, ist das Jahr von

sierung und Umwidmung der Militärgelder zur Rüstungskonversion, zur Schaffung sozialer

Frühling 1989 bis Frühling 1990 – das Jahr, in dem die Mauer fiel.

Gerechtigkeit und zum Schutze der Umwelt

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zeigt sich den neuen Entwick-

zu beleben. Dabei ist der Standort Berlin und

lungen gegenüber äußerst reserviert. Im Dezember 1989 ruft der Ver-

die Integrität der Organisation wertvoll, um

ein mit anderen zu einer West-Berliner Demonstration gegen „Groß-

Kontakte zwischen Ost und West über deutsche Lande hinaus zu knüpfen.“

deutschland“ auf.359 Die zeichen-Ausgabe vom März 1990 titelt mit

Eva Michels, Zur Arbeit im Inland, in: Forum.

Heinrich Heine: „Denk ich an Deutschland...“ Der Verein spielt eine

Rundbrief für die Mitglieder und den Freundeskreis,

seiner Stärken aus: Für Berichte über internationale Reaktionen und

Nr. 50/April 1990, S. 41-43, hier S. 43.

Prognosen zur deutschen Situation kann Sühnezeichen auf eigene Freiwillige als Reporter vor Ort zurückgreifen. Der Titel bringt die Haltung der Aktion Sühnezeichen ebenso zum Ausdruck wie der sorgenvolle Unterton der meisten Berichte: „Der Kopf begrüßt die deutsche Einigung, aber der Bauch zieht sich zusammen“, zitiert eine Freiwillige aus Frankreich.360 Zur Mitgliederversammlung im April 1990 warnen Vorstand und Geschäftsführung vor einer „möglicherweise allzu rasche[n] Vereinigung der Staaten“ und distanzieren sich von den „gegenwärtig hochgehenden Wellen germanozentrischer Emotionen“.361 Bei so viel Zurückhaltung gegenüber Vereinigungstendenzen verwundert es nicht, dass über neue Ost-West-Perspektiven in der eigenen Organisation nicht gesprochen wird. Strukturelle Veränderungen, so hält es das Protokoll der Mitgliederversammlung fest, sind vorerst nicht geplant. Hierin trifft sich Sühnezeichen West mit Sühnezeichen Ost. Dessen bei der West-Mitgliederversammlung anwesender Leiter Werner Liedtke formuliert: „Wir sind vor allem Aktion, und deshalb sollten wir die Gemeinsamkeit in Aktionen angehen.“362 Zusammenarbeit ja, Zusammengehen nein – am 11. März 1990 etwa findet ein gemeinsamer Sonntagseinsatz auf dem jüdischen Friedhof Berlin-Weißensee statt; ASF und ASZ zeichnen für einen Gesamtberliner Ostermarsch ebenso


222

„Ein Friedensratschlag fand am 20./21. Januar 1990 im Rathaus Schöneberg in Berlin (West) statt. Eingeladen waren Friedensorganisatio-

verantwortlich wie für zwei Friedensratschläge im Januar und Mai 1990.

nen aus beiden deutschen Staaten. Beraten wurde, wie es mit welchen Forderungen für eine

Über Arbeitsmöglichkeiten in der Sowjetunion wird gemeinsam nach-

Europapolitik nun weitergehen kann. Dazu

gedacht, Teilnehmer für einen Einsatz in Theresienstadt – erstmalig

reicht ein Gespräch nicht. Deswegen wurden

wieder nach 21 Jahren – werden in Ost und West gesucht. Auch für ASZ liegt im Aufbruch des Herbstes 1989 die Schwesteror-

die Aktion Sühnezeichen DDR und die ASF ausgeguckt, um zum nächsten Beratungstreffen im März einzuladen.“

ganisation höchstens am Rande des Blickfelds. Am ersten Advent 1989

Kurzmeldungen, in: Forum. Rundbrief für die

ruft Aktion Sühnezeichen zu einer Menschenkette mit Kerzen quer

Mitglieder und den Freundeskreis, Nr. 49/Februar

durch die DDR auf: „Wir halten fest: aneinander, an unserem Land,

1990, S. 35.

an der Reformbewegung! Diese Menschenkette wird ein Zeichen der Hoffnung und Entschlossenheit sein für die demokratische Erneuerung in unserem Land.“363 Viel ist jetzt die Rede von neuen Möglichkeiten und Koalitionen. Sühnezeichen träumt von Langzeitfreiwilligen

„Über die Menschenkette haben auch wir uns hier gefreut – nicht zuletzt darüber, dass dies eine Sühnezeichen-Idee gewesen ist! Wir halten immer noch oder immer wieder aber den Atem

im Ausland, etwa in Israel, von Sommerlagern mit Teilnehmern aus

an über die Geschwindigkeit der Veränderung,

beiden deutschen Staaten und vom Ausbau der Arbeit in Osteuro-

die wir doch so gern ausschließlich hoffnungs-

pa. Das Jahrestreffen 1989 steht unter dem Titel: „Wir bleiben Nach-

voll interpretieren möchten.“

barn – aber wie?“ – gemeint ist das deutsch-polnische Verhältnis. Im Monatsbrief Mai/Juni 1990 wird das Wort „Vereinigung“ zum ersten Mal auf Sühnezeichen angewandt – im betont unbetonten Nachsatz zum Spendenaufruf: „Eine Anmerkung zum Schluss. Auch wir bereiten uns auf eine Vereinigung mit unseren Partnern in der BRD vor. Gemeinsame Aktionen begleiten bereits unsere Strukturüberlegungen, die wir nicht unter Zeitdruck anstellen. Als Sühnezeichen in der DDR möchten wir unser Profil, unsere gelebte Ökumene, unsere Partnerschaft mit Gruppen und Kirchen in Osteuropa als einen eigenständigen, sich weiterentwickelnden Beitrag in die Zusammenarbeit einbringen.“364 Es sollte schneller gehen, als Kreyssigs Erben in Ost und West erwarteten. Bereits ein Jahr später, am 1. Mai 1991, gab es im vereinigten Deutschland eine einzige Aktion Sühnezeichen. Das Programm der darüber befindenden Mitgliederversammlung (MV) Ende April 1991 notiert für Samstagabend: „Gemeinsames Programm ASF/ASZ (Fest?)“365. Man beachte das Fragezeichen. Zum Feiern war offensichtlich niemandem uneingeschränkt zumute. In den vor der MV

Gertrud Gumlich (ASF-Vorsitzende) an Werner Liedtke, 15.12.1989, EZA 97/1001.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

223

„Sicher hatte die Leitung das alles zu verantworten, was Sühnezeichen in der DDR tat, aber die Leitung konnte gar nicht alles wahrnehmen und konnte über alles gar nicht beschließen. Und so hatten die Bezirksgruppen, Ortsgrup-

versandten Unterlagen versucht ASF-Geschäftsführer Jo Rodejohann

pen oder Einzelne wirklich die Möglichkeit,

gar nicht erst, die bevorstehende Vereinigung als Optimum zu präsen-

initiativ und spontan zu handeln. Nur ein

tieren:

paar Dinge aus der letzten Zeit: ein Pferd für Laski. Das war die Ursel Agt mit ihrer kleinen

„Dieser schnelle organisatorische Zusammenschluss war nicht der ge-

Gruppe, die in Laski war und sagte, das muss

wünschte Weg, auf dem wir zu einer gemeinsamen Arbeit kommen woll-

jetzt organisiert werden. Da gab es keinen

ten; viele Gespräche, auch Konflikte, auf beiden Seiten und miteinander

Beschluss in der Leitung. Das hat sie von sich

haben das deutlich gemacht. Wir sind auf ihn gezwungen worden, weil

aus angeregt. Oder der Besuch dieser drei jetzt in Israel, dieses demonstrative Auftreten, oder die Einrichtung eines Gedenkraumes für Polen

kein anderer Weg sichtbar geworden ist, der eine Alternative hätte sein können.“366

in Ravensbrück. Es waren ein paar aus der Be-

Seit Sommer 1990 war kein Halten mehr gewesen. Anfang Juni dis-

zirksgruppe Dresden, die sagten, das machen

kutierten die West-Mitarbeiter auf einer Klausurtagung über das „Pro

wir jetzt einfach. Und da fragen wir keine Gedenkstättenbeauftragten, da fragen wir auch

und Contra zur Vereinigung“ der beiden Sühnezeichen.367 Zahlreiche

nicht den Leiter. Das machen wir, denn es steht

Baustellen sind im Protokoll festgehalten: Von politischen Differenzen,

in Übereinstimmung mit dem Arbeitsvorhaben

etwa im Blick auf Osteuropa oder Israel, über Milieus und Mentalitä-

der Gesamtaktion. Oder die Pilgerwege, die

ten (das katholische Element, das Engagement der Bezirksgruppen, die

selbständig vorbereitet wurden von Gruppen, die dann kamen und sagten: Das haben wir

Frömmigkeitsstile) bis hin zu ganz pragmatischen Fragen wie Personal,

jetzt vor, wir gehen jetzt von Buchenwald nach

Standorte und Finanzen – überall besteht Gesprächsbedarf, nichts fügt

Jena. Oder jetzt der Transport der Lebensmittel

sich von selbst zusammen.

und der Hilfsgüter und Medikamente nach Leningrad. Es war schwierig hier über euch, ihr kamt nicht aus der Knete. Unser Praktikant

Trotz alledem: „Es geht um Kooperation und Koordination“, formuliert Sühnezeichen West tapfer: „Widersprüchliches muss nicht

hat gesagt: „Dann werde ich selbst zur Trans-

zwischen uns stehen, sondern es kann befruchtend wirken, der Arbeit

portfirma gehen. Ich miete mir einen 8-Tonner

neue Aspekte geben, bereichernd wirken.“ Die organisatorische Verei-

und den belade ich mit meinem Freund. Dann

nigung scheint mittlerweile unausweichlich: „Zwei Vereine sind nicht

fahren wir nach Leningrad.“ Und dann sind sie gefahren und wieder zurück. Oder die Ge-

vorstellbar“, konstatiert das Protokoll knapp. Ein Verzicht auf die Ver-

denkglocke für Majdanek. Das war die Initiative

einigung wäre weder vermittelbar noch finanzierbar – und dann gibt es

unseres Freundes Günter Särchen aus Magde-

auch noch den Zuruf Lothar Kreyssigs, der zur Gründung 1958 formu-

burg. Da musste kein Vorstand beschließen.

liert hatte: „Der Dienst soll Deutsche aus der Bundesrepublik und der

Das haben die Magdeburger Freunde von sich aus vorbereitet, vorbedacht. Dann erst ist die Leitung eingestiegen, denn das musste dann

Deutschen Demokratischen Republik vereinen.“ Das erste gemeinsame Gespräch in größerer Runde – 12 Haupt- und

auch verhandelt werden.“

Ehrenamtliche aus dem Osten, 21 aus dem Westen – findet am 4. Juli

Werner Liedtke in: Forum. Rundbrief für die

1990 im Dahlemer Martin-Niemöller-Haus statt. Der Austausch steht

Mitglieder und Freunde der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, o.D. [Sommer 1991], Aussprache zum Bericht des Vorstands, S. 32-46, hier S. 45.

unter einem hohen Anspruch: „Die Vereinigungsdebatte, fordert [der ASF-Vorsitzende; G.K.] Klaus Geyer, müsse sich zwischen ASZ und ASF anders abspielen als in der politischen Landschaft zwischen DDR und


224

„Klaus Geyer: Wir seien jetzt vielleicht sogar notwendiger als vorher, sähe es doch für ein breites öffentliches Bewusstsein heute so aus,

BRD. Es solle nicht so aussehen, als fügten wir uns wie jede andere Partei dem Zwang der Verhältnisse.“368 Vielleicht deshalb nimmt das Gespräch seinen Ausgang bei den Vorstellungen des kleineren Partners. In einer „Aktionsgemeinschaft Sühnezeichen in der Deutschen Demokratischen Bundesrepublik“ als

als habe es in der deutschen Geschichte zwei große Fehltritte gegeben: die NS-Zeit und die DDR. Die Totalitarismus-These lebe in plattester Form wieder auf. Eine entscheidende Aufgabe für Sühnezeichen sei es in diesem Zusammenhang, den Blick auch auf die (Fehl) Entwicklungen der BRD-Gesellschaft zu lenken.

„Dachverband“ wolle ASZ zunächst als eigener Verein die Sommerlager,

Ingolf Kschenka: Es sei das Problem und die

die Arbeit in Osteuropa, das ökumenische Gespräch und die verantwor-

Aufgabe von ASF, im Westen zu relativieren.

tliche Mitarbeit Ehrenamtlicher stark machen, referiert Werner Liedtke den Diskussionsstand in Leitung und Leitungskreis. Damit ist die konkrete Ebene von Arbeitsformen und Zuständigkeiten angesprochen. Bei allen Differenzen herrscht hier immerhin weitgehende Übereinstimmung darüber, wo man nicht übereinstimmt. Die kritischen Bereiche werden im zweiten Teil des Treffens angesprochen: lang- und kurzfristige Freiwilligendienste, Öffentlichkeits- und Gedenkstättenarbeit, Osteuropa und Israel. Schwerer zu fassen ist, was Christoph Heubner, Osteuropa-Referent der ASF, als „Resonanzboden“ der jeweiligen Arbeit im jeweiligen Staat beschreibt. Woran denkt wer bei Schlagwörtern wie „Antifaschismus“, „Erinnerungsarbeit“, „Frieden“ oder „Sozialismus“? Wie wurde der Gründungsaufruf übersetzt? Wo sind und waren Zielgruppen, wo Verbündete? Und die Gegner? Welche Erwartungen bestehen im Blick auf die deutsch-deutsche Annäherung, vor welche Aufgaben sieht sich Sühnezeichen dabei gestellt? Immer wieder werden solche Fragen angerissen. Die Sprunghaftigkeit der Auseinandersetzung damit dürfte nicht nur an den Schwierigkeiten der schriftlichen Wiedergabe liegen. Das Protokoll vom 4. Juli 1990 berichtet von nicht mehr und nicht weniger als von möglichen Gesprächsanfängen, von einem ersten Brainstorming zum Thema „Sühnezeichen in Ost und West“. Und es berichtet vom Streit um den Stellenwert von Pragmatismus. Das Gespräch ist eine Mischung aus politisch-emotionaler Grundsatzdebatte und praktischer Verabredung. Immer wieder wird direkt die Frage thematisiert, wie weit die inhaltliche Klärung eigentlich gediehen sein muss, wenn die formale Vereinigung kommt. Ist die zukünf-

Die Aufgabe verantwortlicher Gruppierungen in der DDR sei aber eine völlig andere. Dort müsse es erst einmal darum gehen, sich bewusst der vollen Wucht der Entdeckungen und Enthüllungen auszusetzen. Wer dort jetzt Differenzierungen fordere, mache sich unglaubwürdig. Auf westlicher Seite und auch bei ASF müsse er ein geradezu krampfhaftes Bemühen feststellen, gegenüber der DDR eigene Defizite aufzuzeigen.“ Aus: Protokoll vom Treffen der ASZ-ASF-MitarbeiterInnen am Mittwoch, dem 4. Juli 1990 im MartinNiemöller-Haus, 6.7.1990, EZA 97/30, S. 3.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

225

tige Gestalt von Aktion Sühnezeichen Ausdruck politischer Übereinkunft oder ihre Ausgangsbasis? Im Angesicht der Beschleunigung auf staatlicher Ebene sollte der Pragmatismus siegen. Erst die äußere, dann die innere Vereinigung – so ließe sich der Konsens zusammenfassen, den Jo Rodejohann zu Protokoll gab: „Die Perspektive, dass es bald eine Aktion Sühnezeichen als einheitliche Rechtsperson geben wird, ist unter uns im Grundsatz nicht strittig. Es besteht akuter Handlungsbedarf, die pragmatischen Fragen schnell zu regeln. Inhaltliche Klärungen müssen danach unter dem gemeinsamen Dach organisiert werden. In verschiedenen inhaltlichen Bereichen, z.B. Gedenkstätten- und Osteuropa-Arbeit, gibt es erheblichen Diskussionsbedarf. Es ist nichts abschließend geklärt, außer dass wir uns in Richtung eines bestimmten Weges (d.h. Zusammengehen der Organisationen) aufgemacht haben.“ Diese Beschreibung klingt bescheiden. Dabei war sie immer noch optimistischer als die Realität. Für die 82 ASZ-Aktiven, die sich am 22. September 1990 in Berlin-Oberschöneweide zu einem Sonderjahrestreffen versammelten, war die Vereinigung unter einem Dach keine ausgemachte Sache. „Alle hatten Angst, dass ASF uns schlucken will“, erinnert sich Barbara Kouba im Monatsbrief.369 Kein Wunder, denn die ursprüngliche Vorstellung, als formal gleiche Partner, sprich: als zwei Vereine, in die Vereinigung gehen zu können, erwies sich im September als überholt. Mit dem 3. Oktober stand das Datum der staatlichen Einigung unmittelbar bevor – eine Vereinsgründung Ost war nicht mehr möglich, denn im neuen Deutschland gab es eine „Aktion Sühnezeichen“ ja bereits. Diese warb in einem Brief um das Vertrauen der ostdeutschen Freundinnen und Freunde und um die Zustimmung zur Fusion.370 Das Angebot: Die bisherige Arbeit der ASZ sollte als „eigener Geschäftsbereich“ noch eine gewisse Zeit lang fortgesetzt werden – Zeit für eine Zusammenführung „unter einem bereits gemeinsamen Dach“. Die Dynamik der allgemeinen Entwicklung hat die Freunde West im Griff. Von der Notwendigkeit der schnellen Vereinigung sind sie inzwi-


226

„Das bedeutet, dass, wenn wir als bisherige ASZEngagierte Mitglieder des Vereins ASF werden, kein Beitritt einzelner Personen stattfindet,

schen so überzeugt, dass sie nicht eben gelassen auf die Entscheidung aus dem Osten warten: „Sollten Sie sich gleichwohl dazu entscheiden, die Arbeit der Aktion Sühnezeichen auf längere Frist organisatorisch eigenständig fortsetzen zu wollen

sondern die Fusion zweier Partner, von denen beide etwas in die gemeinsame Arbeit mitbringen. Konkret heißt das, dass die Satzung der dann gemeinsamen ASF auch eine gemeinsame sein, die bisherige also geändert bzw. erweitert werden muss und eine Neuwahl (an der wir

und erst zu einem späteren Zeitpunkt den Zusammenschluss mit uns an-

als Wähler und Wählbare teilnehmen) des

streben, werden wir das respektieren – soweit uns das ohne Schaden für die

Vorstands stattfinden [muss]. Wenn ASF

Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste möglich ist.“ Die eindringliche Werbung aus dem Westen stößt im Osten auf Wider-

wirklich willens ist, einen moralisch gangbaren Weg zu finden, der es uns erlaubt, aufrechten Sinnes eintreten zu können, so sollte es ihr

stände. Werner Liedtke redet gar vom „Anschluss“, denn die geplante

auch möglich sein, einzelne Veränderungen

Eingliederung der ASZ in die ASF als einen „Geschäftsbereich“ bedeute

anzunehmen. [...]

die „Aufgabe der bisherigen Selbständigkeit und Unterstellung unter einen Vorstand, den wir nicht gewählt haben“.371 In einer „Tendenzabstimmung“ sprach sich schließlich doch die

Sollte es jedoch nicht möglich sein, die Vereinigung als einen Prozess des gegenseitigen Zusammenfindens, in dem sich beide Partner kompromissfähig zeigen, zu gestalten, so ist

Mehrheit der Anwesenden für eine Fusion von ASZ und ASF aus. Im fol-

für mich auch die Fortführung der Arbeit von

genden halben Jahr handelten ein gutes Dutzend Haupt- und Ehrenamt-

ASZ in einem selbständigen, neu zu gründen-

liche aus Ost und West als Delegierte ihrer jeweiligen Organisation eine „Rahmenvereinbarung“ aus, die einen „Integrationsprozess“ bis Ende 1992 beschrieb.372 Die Arbeit der ASZ sollte demnach „Teil der Arbeit“ der ASF werden, verantwortet von der bisherigen Leitung und in ständigem Kontakt mit den entsprechenden Arbeitsbereichen bei ASF: „Alles, was nach dem 1.5.1991 entschieden wird, wird gemeinsam entschieden.“

den Verein denkbar. Finanziell sind wir aufgrund unseres nur geringen Personalaufwandes relativ flexibel; ein eigener Weg wäre entsprechend den gegebenen Umständen auch unseren Spendern erklärbar. [...] Ein Sühnezeichen, mit dem wir uns identifizieren können, setzt sicher mehr Energien frei als eines, das bindet, das uns bevormunden und verwalten will. [...]

Der Vorstand soll 1992 neu gewählt werden, bis dahin werden drei

Ich denke, wir, ASF und ASZ, sollten darauf

ASZ-Vertreter kooptiert. Leitungskreis, Leitung und Jahrestreffen blei-

verzichten, die Erbärmlichkeiten, in denen

ben erhalten, den Freunden und Freundinnen der ASZ wird es anheim gestellt, individuell dem Verein ASF beizutreten. Ende April 1991 tagen ASF und ASZ – zunächst getrennt. Nach der Zustimmung zum Vereinbarungstext zieht ASZ in die Mitgliederversammlung der ASF ein (wo Leitungskreis-Mitglied Christiane Müller umgehend bei Nachwahlen zum Vorstand ein reguläres Mandat erhält). Am Abend des 27. April 1991 ist die Entscheidung für den gemeinsamen Weg gefallen. Atmosphärisch ist der Start in die vereinigte Zukunft schwierig. ASF lässt sich in seiner umfangreichen Tagesordnung von den „Neuen“ möglichst wenig stören; bei ASZ macht sich der Eindruck breit, man

sich die Politiker in den letzten Monaten übten, nachzuahmen. Das ethische Anliegen unserer Arbeit sollte auch den Prozess der Vereinigung durchdringen, damit ein Weg in Würde möglich ist.“ Uta Gerlant, Das Treffen und die Folgen, in: Monatsbrief Oktober/November 1990, S. 4 f.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

227

„Diesen Kontakt gehabt zu haben ist in keiner Weise unehrenhaft. Seit wann bedeutet es, mit jemandem zu verhandeln, auch dessen Meinungen zu übernehmen? [...] Zwischen Schweigen, das nicht möglich ist, und ‚Korrektiv sein‘,

sei wie in die Mitgliederversammlung, so auch in den Verein unauffäl-

was die frühe Einübung in deutsches oder

lig „eingesickert“.373

österreichisches Besserwessitum gewesen wäre,

„Gescheitert ist einmal mehr der Versuch, Vereinigung mal ganz anders

gab es ein Drittes: das geduldige Gespräch. Und die jahrzehntelange Arbeit von ASF gegen ein

zu machen“, konstatiert Christiane Müller. Die neue Beisitzerin im

Verdrängen des Judenmordes und gegen den

ASF-Vorstand bleibt aber kämpferisch: Die bewahrenswerten Elemente

aktuellen Antisemitismus. Davon zeugen die

der Arbeit im Osten seien schließlich auch bisher nicht auf dem Papier

Publikationen von ASF, die doch auch in Polen

oder in Verhandlungen zum Tragen gekommen, sondern im konkreten,

gelesen wurden. Schließlich hat ASF es gegen ZBoWiD durchgesetzt (vor der Wende in Polen), dass zur Einweihung der Jugendbegegnungs-

oft spontanen Handeln. Sie ermutigt zum geduldigen Engagement und zur „Hoffnung auf langsame und dauerhafte Veränderung“.

stätte der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, nicht nur mitfuhr, sondern dort auch eine viel beachtete Rede hielt – gegen den Willen der polnischen

Für fein austarierte Annäherungsprozesse sind die Zeiten allerdings so wenig günstig wie für kreatives Nach-Vorne-Denken. Finanziell droht

Behörden.“

Aktion Sühnezeichen der Exitus; der Golfkrieg polarisiert Radikalpa-

Martin Stöhr, Notwendig und in keiner Weise

zifisten und Israel-Freunde und stellt damit mehr in Frage als nur die

unehrenhaft (Leserbrief in Reaktion auf Katharina

Nahostpolitik der Organisation; Personalkonflikte in Haupt- und Eh-

Sperbers Artikel „Aktion Sühnezeichen“ auf dem Prüfstand der Geschichte. Ehemalige Mitglieder

renamt machen Schlagzeilen (die Kündigung der theologischen Ge-

berichten von Zusammenarbeit mit Verband, der

schäftsführerin Beatrix Spreng landet vor Gericht, der Beienroder Pfar-

an der Vertreibung jüdischer Intellektueller beteiligt

rer Klaus Geyer wird erst im zweiten Anlauf als Vorsitzender wieder

war, in: Frankfurter Rundschau, 18.5.1992), Frank-

gewählt) – 1992 ist das Krisenjahr der „neuen“ ASF.

furter Rundschau, 30.5.1992.

Der Niedergang des Ostblocks bringt zusätzliche Herausforderungen – die Vereinigung zweier im Ursprung einiger Gruppen ist deren noch die kleinste. Schwerer wiegt die Auflösung des politischen Feldes: Wie sich ausrichten nach dem Verlust der alten Koordinaten? Und noch vor der Zukunftsfrage steht die Aufgabe der „Vergangenheitsbewältigung“ in eigener Sache. Jetzt wird abgerechnet – zum Beispiel mit der Polen-Arbeit der Aktion Sühnezeichen West. ASF müsse sich die Frage erlauben, „ob ihr Verständnis von Entspannungspolitik nicht zu Akzeptanz von Diktaturen führte“, schreibt das ehemalige Mitglied Dieter Wulf in der Frankfurter Rundschau.374 Ins gleiche Horn stößt Andreas Maislinger, österreichischer Politikwissenschaftler und Anfang der Achtziger selbst freiwilliger Mitarbeiter der ASF in Polen. In der Tageszeitung Die Welt hält er ASF die „Partnerschaft mit organisierten Antisemiten“ vor.375 Die West-Berliner haben für den Bau der Internationalen Jugendbegeg-


228

nungsstätte in Oświe˛cim mit dem Verband der Kämpfer für Freiheit und Demokratie (ZBoWiD) zusammengearbeitet. Diesem Zusammenschluss ehemaliger Widerstandskämpfer werden antisemitische Äußerungen und die Beteiligung an der Vertreibung jüdischer Intellektueller im Jahr 1968 vorgeworfen. „Wir hatten die Partner, die wir haben konnten“, schreibt dazu Osteuropa-Referent Christoph Heubner. Antisemitische Einstellungen innerhalb des Veteranen-Verbandes kann er nicht abstreiten, aber erstens seien diese „kein verbindliches Kriterium“ für die Mitgliedschaft gewesen, und zweitens sei der polnische Antisemitismus in SühnezeichenGruppen kein Tabuthema gewesen. Man habe sich im Kontakt zum offiziellen Polen nicht verbogen – dabei aber viel erreicht: „Wenn [...] ZBoWiD es fünfzehn Jahre verstand, das Projekt hinauszuzögern und seine Realisierung immer wieder zu verschieben, lässt sich dies doch beim besten Willen nicht als Zusammenarbeit, sondern nur als Verhinderung einer solchen charakterisieren. Dass schließlich 1986 die Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz eingeweiht werden konnte, das war auch ein Sieg eben über die Riege stalinistischer Betonköpfe, denen die Idee einer offenen Begegnung junger Menschen in Auschwitz und die Diskussion solcher Probleme wie der des Antisemitismus von jeher Beklemmungen verursacht hatte.“376 Christoph Heubner erinnert an die politischen Rahmenbedingungen des Anfangs: keine diplomatischen Beziehungen Bonn-Warschau, die Grenzfrage offen und antipolnische Ressentiments der Vertriebenenverbände. Anlass zur Selbstkritik sind dem Osteuropa-Referenten hingegen erklärtermaßen die „Berührungsangst gegenüber entstehenden Dissidentengruppen in Polen“ sowie gegenüber der katholischen Kirche generell. In der Gestaltung der Kontakte nach Polen liegt einer der Knackpunkte im Binnenverhältnis der beiden Sühnezeichen – ist doch Aktion Sühnezeichen in der DDR mit ihren Kontakten in die katholische Opposition ein lebendes Argument gegen das realpolitische „Es ging nicht anders“ aus dem Westen. Doch die Frage nach den Zugeständnissen holt auch Aktion Sühnezeichen aus der DDR ein. Für sie geht es um das Verhältnis zum eigenen Staat. Wie viel Gespräch, wie viel Anpassung ist legitim um der eigenen


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

229

Im Archiv (EZA 97/1008) findet sich auf einer Kopie der Information über die Durchführung des so genannten Friedensseminars „Konkret für den Frieden VII“ vom 24. bis 26. Februar 1989 in Greifswald aus dem genannten Buch der

Spielräume willen? Die Frage beschäftigte die Sühnezeichen-Freunde

handschriftliche Vermerk einer Mitarbeiterin

zu DDR-Zeiten, und auch nach der „Wende“ lässt sie sie nicht los.

der ASZ: „Lieber Lutz, nur zur Information: Die jährlich stattfindenden Friedensseminare waren DDR-weite Treffen aller Basisgruppen

Im Frühjahr 1990 veröffentlichen Bürgerrechtler Stasi-Protokolle aus dem Jahr 1989.377 Im Bericht über ein Treffen von Friedensgruppen

aus der Friedens- und Menschenrechts-, Öko-

im Februar 1989 wird Aktion Sühnezeichen dort – neben Christlicher

logie-, Frauen- und Dritte-Welt-Bewegung (auf

Friedenskonferenz (CFK), Gossner Mission und der Kirchlichen Bruder-

Delegiertenbasis). Auch Aktion Sühnezeichen

schaft Sachsen – zu den „progressiven gläubigen Kräften“ gezählt, also

konnte zwei Delegierte schicken, hat diese Treffen aber von Leitung und Büro aus nicht sonderlich ernst genommen. Es waren meist

ins eigene Lager gerechnet. Für Geschäftsführer Michael Standera ist die Einordnung der Notiz unproblematisch:

fünf bis zehn Menschen von ASZ oder Umfeld

„Die Absicht des Berichterstatters ist eindeutig: Nach oben sollen Erfolgs-

da (delegiert über ASZ und andere Gruppen).“

meldungen weitergegeben werden, und die Aktion Sühnezeichen wünscht

„Ich kann und will über Stasi-Vorwürfe gegen

dem im Februar 1989 stattgefundenen Friedensseminar in Greifswald kein

die genannten Organisationen nicht urteilen.

Vertreter von ASZ teilgenommen hat. Die Gleichstellung und Zuordnung zu

Aber ich halte es für abenteuerlich, sie unter-

den anderen genannten Gruppen hat keine Grundlage.“378

man sich als eine angepasste kirchliche Organisation. Tatsache ist, dass bei

schiedslos pauschal zu verdächtigen, weil sie als ‚links‘ gelten und Verbindungen mit einer

Doch der Verdacht der Unterwanderung durch die Stasi ist in der Welt,

evangelischen Akademie hatten, die ihrerseits

die Notiz wird verschiedentlich zitiert. Im Westen meldet sich ein vor-

als stasi-verdächtig gilt, weil ein Stasi-Offizier

maliger Studienleiter der Evangelischen Akademie Berlin zu Wort. Ver-

sie als solche ‚entlarvt‘ hat. Und ich finde es

treter der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste – wieder in einer Linie

geschmacklos und geradezu empörend, dass in diesem Zusammenhang die Aktion Sühne-

mit CFK, Gossner Mission und, diesmal, dem Weißenseer Arbeitskreis –

zeichen Friedensdienste in einem Atemzug mit

seien „systematisch von der Stasi benutzt“ worden, „um ihre operati-

dem Weißenseer Arbeitskreis und dem spät-

ven Ziele zu verwirklichen“, behauptet Hubertus Knabe laut verschie-

stalinistischen Theologen Hanfried Müller [...]

denen Zeitungen.379

genannt wird. Ich habe in meiner Berliner Zeit über zwölf Jahre lang engen Kontakt zu den

Aktion Sühnezeichen muss reagieren. Im Dezember 1991 wendet

maßgeblichen Vertretern von Aktion Sühnezei-

sich der Vorsitzende Klaus Geyer mit einer Presseerklärung gegen die

chen Friedensdienste gehabt, und die Theologi-

Vorverurteilung. Er kündigt an, ASF wolle im Kontakt mit der Stasi-

sche Studienabteilung beim DDR-Kirchenbund

Unterlagen-Behörde die Vorwürfe aufklären. Dass die Organisation

wusste, warum sie in friedenspolitischen Fragen mit ASF und eben nicht mit der CFK

„für Geheimdienste ein lohnendes Beobachtungsziel“ gewesen sei, be-

oder den Weißenseern zusammenarbeitete. Ich

streitet der Vorsitzende gar nicht. Schließlich habe sie „in ihrer Versöh-

wehre mich dagegen, dass jetzt im Zuge von

nungsarbeit aufgrund ihres Verständnisses der deutschen Geschichte

zweifelhaften Stasi-Enthüllungen alle Katzen

mit allen gesprochen, die zu einem Gespräch bereit waren“. Für Geyer

grau gemalt und notwendige Differenzierungen außer Acht gelassen werden.“

gehört das zum „schwierigen Versuch, in der Zeit des Kalten Krieges

Leserbrief von Joachim Garstecki an die Redaktion

Wege zwischen den Fronten zu finden“. Eine politische Analyse dieses

der Zeitschrift Publik-Forum in Reaktion auf Moni-

Versuchs stehe noch aus.

ka Herrmann, Fangarme in der Akademie. Evangelische Institutionen von „Informellen Mitarbeitern“ durchsetzt in: Publik-Forum, 20.12.1991, Briefkopie EZA 97/1061.


230

„Im Zusammenhang mit verschiedenen Presseberichten seit Herbst 1991 verlangt Andreas Zumach vom Vorstand eine deutlichere öffentliche Zurückweisung der Denunzierung

Genau die fordern Christiane Müller und Uta Gerlant. Ihnen reicht

der Osteuropa-Arbeit und der Friedensarbeit

weder das gebannte Warten auf neue Enthüllungen aus den Stasi-Ak-

der Aktion Sühnezeichen in den siebziger

ten noch die verständnisheischende Rede vom Durchlavieren-Müssen in komplexen Zeiten. „Wir können doch nicht so tun, als wären wir jetzt noch so ahnungslos, wie wir vielleicht schon damals nicht waren“,

und achtziger Jahren. Dies sei auch wegen der Fürsorgepflicht des Vorstands gegenüber früheren und derzeitigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geboten. Die diesbezügliche

schreiben die beiden „ASF-Mitglieder mit ASZ-Erfahrungshinter-

Presseerklärung des Vorstands Ende 1991 habe

grund“ in einem Beitrag fürs Forum Juni 1992.380 Die blinden Flecke der

offensichtlich nicht die erforderliche Publizität

eigenen Wahrnehmung müssten angegangen werden – etwa die Tatsa-

bekommen.“ Protokoll der Mitgliederversammlung der Aktion

che, „dass es Opfer gab, die wir nicht sahen (Dissidenten in Osteuropa)“.

Sühnezeichen Friedensdienste e.V., Berlin, 25./26.

Von einer vereinsinternen Auseinandersetzung mit den Stasi-Vorwür-

April 1992, Haus der Kirche, Handakte Adelheid

fen erwarten Müller und Gerlant Antwort auf konkrete Fragen:

Scholten.

„In welche Situation waren wir gestellt, wo sahen wir Chancen, waren in Kontakt zur Staatsmacht oder in andere umstrittene politische Koalitio-

„Im Juli 1992 wurde dem Vorstand der ASF von

nen getreten? Was wollten wir damit erreichen, wurden wir instrumen-

der Gauck-Behörde eine 50 Seiten umfassende

talisiert? Wurden vielleicht Freiräume ‚ertroffen‘, die von den Nutzern

Akte übergeben. Darin sind Berichte über

nicht in Anspruch genommen worden wären, hätten sie um den Preis gewusst?“ Der Beitrag im Forum bezieht sich auf den Freitagabend der Mitgliederversammlung im April 1992, der der „Geschichte der Aktion Sühnezeichen und der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ gewidmet war.

die Arbeit der ASZ-DDR während der Jahre 1979-1988 enthalten. Diese Berichte wurden von Frank Stolt, Deckname IM ‚Hermann Schneider‘, verfasst. Frank Stolt ist Theologe und war kirchlicher Mitarbeiter. Von 1979 bis 1981 arbeitete er als Praktikant im Büro der Aktion Sühnezeichen in der Auguststraße. Nach dieser

Von der „offenen Gesprächsatmosphäre“, die die beiden Autorinnen

zweijährigen Tätigkeit in unserem Büro hat er

erhoffen, war man da noch weit entfernt. Sie hätten „mehr Spannung,

die Verbindung weiterhin zu uns gehalten. Eine

auch Unsicherheit, Sprachlosigkeit“ erwartet, schreiben Christiane Müller und Uta Gerlant. Stattdessen stießen konkrete Fragen schnell auf Ängste und Widerstand, wurden „Menschen, die Aufklärung wollen, als ‚Reaktionäre‘ bezeichnet“. Immerhin, ein erster Anfang in der Auseinandersetzung war gemacht. Eine Anfrage des Vereins bei der Gauck-Behörde ergibt außerdem eine erste, 50 Seiten umfassende Akte mit Berichten eines IM über Aktion

Funktion in Leitung oder Leitungskreis hatte er aber nicht inne. Soweit aus den Stasiakten ersichtlich ist, hat Frank Stolt über unsere Arbeit, u.a. über die Sommerlager, über Gespräche im Büro und über die Jahrestreffen berichtet. Aus den Jahren seiner Praktikantenzeit sind diese Informationen ausführlicher, von den letzten Jahren sind es nur Berichte von den Jahrestreffen. Das uns vorliegende Aktenmaterial

Sühnezeichen. Der Vorstand beschließt eine Regelüberprüfung seiner

haben wir allen Betroffenen zur Einsichtnahme

Mitglieder und legt den Mitarbeitern individuelle Akteneinsicht nahe.

gegeben. Es fand inzwischen auch ein Gespräch

Erst drei Jahre später allerdings kommt Schwung in die Nachforschungen. Die Mitgliederversammlung 1995 erteilt Vorstand und Leitungskreis einen doppelten Auftrag: Ein erneuter Vorstoß beim

der Betroffenen untereinander statt.“ Michael Standera, War die Stasi auch bei uns?, in: Monatsbrief Herbst 1992, S. 16-18, hier S. 17.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

231

„Die Schwierigkeiten für den Archivar bestanden vor allem darin, dass es bei Sühnezeichen keinen verbindlichen Aktenplan und kein einheitliches Ablagesystem gegeben hatte. Im Laufe der Jahre waren viele Mitarbeiter und

Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen soll die Möglichkeiten

Freiwillige bei Sühnezeichen beschäftigt, die

einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Sühnezeichen-Geschichte

nach den unterschiedlichsten Methoden ihre

eruieren. Und eine „Vertrauenskommission“ soll eingerichtet werden –

Akten bearbeitet und nicht immer sorgfältig abgelegt hatten. Vieles lagerte lose in Kartons.

ein kleiner Kreis Ehrenamtlicher, die sowohl aus den Ergebnissen der

Der erste Schritt bestand darin, ein Konzept

Akteneinsicht Einzelner ein Gesamtbild fügen als auch „für brisante

zur Archivierung des unterschiedlichen

Anfragen, die sich durch das Studium der eigenen Akten bei Betroffe-

Schriftgutes zu erstellen und eine Systematik

nen ergeben haben, zur Verfügung stehen“ sollen.381

zur Erfassung der Bestände zu erarbeiten. Dabei wurde von dem Grundsatz ausgegangen,

Ein halbes Jahr später kann der Vorsitzende Manfred Karnetzki in

die Akten so zu übernehmen, wie sie von den

einem Brief an die Mitglieder ersten Vollzug melden: Zur heiklen Kom-

Mitarbeitern abgelegt worden waren, um eine

bination aus Recherche und Seelsorge haben sich Hans-Jürgen Fisch-

eventuelle Systematik der inneren Ordnung

beck, Michael Gärtner, Gertrud Gumlich, Franz von Hammerstein und

beizubehalten.“ Einleitung zum Findbuch Evangelisches Zentral-

Hildegart Stellmacher bereit gefunden.382 Ein Gespräch von Dietrich

archiv. Bestand 97. Aktion Sühnezeichen Friedens-

Goldschmidt und Uta Gerlant mit Joachim Gauck und einem Referats-

dienste e.V., bearbeitet von Petra Giese, Berlin 1999.

leiter im Oktober 1995 hat zu der Erkenntnis geführt, dass ein fundierter Überblick über die Stasi-Geschichte der Aktion Sühnezeichen am

„Es war der erste eingehende Versuch, die un-

besten durch einen Forschungsauftrag an eine unabhängige Person

terschiedlichen und bisher eher rivalisierenden

zu erlangen wäre; nach ihr – und einer Finanzierung – wird fürderhin

Erinnerungen von ASZ und ASF in einem wich-

gesucht.

tigen Punkt miteinander zu verknüpfen – sowohl in ihrer wechselseitigen Bezogenheit wie in ihrer Unterschiedlichkeit, ja Gegensätzlichkeit.

Und mehr noch hat Karnetzki im November 1995 zu vermelden: Aktion Sühnezeichen scheint entschlossen, sich auch anderen Aspekten

Was dabei wachsen könnte, ist so etwas wie eine

ihrer Geschichte zu stellen. Durch ABM-Kräfte sollen die schriftlichen

gemeinsame Erinnerung, in der die unterschied-

Niederschläge der gesamten Arbeit sortiert und verzeichnet werden (das

lichen Erfahrungen und Ansätze nicht mehr

Material wird seit 1997 im Evangelischen Zentralarchiv als „Bestand 97“

gegeneinander ausgespielt, sondern in eine fruchtbare Spannung gebracht werden. [...] Bei genauerem Hinsehen erweist sich diese

geführt). Und für Mai 1996 bereiten Vorstand und Kuratorium ein Kolloquium zur Arbeit von ASF und ASZ in Polen und der CSSR vor.

Entsprechung, die sich den unterschiedlichen

Im Blick auf die Arbeit in Osteuropa scheint es leidlich zu gelingen,

Ausgangssituationen verdankt: Während sich

die Spannungen fruchtbar zu machen – vielleicht weil die schiere Men-

ASF im eigenen Land eher dissentierend verhält, dagegen in den sozialistischen Nachbar-

ge neuer Aufgaben und neuer Felder (endlich werden die Sowjetunion

ländern den Machthabern gegenüber Loyalität

bzw. ihre Nachfolgestaaten zugänglich) zur Zusammenarbeit zwingt.

beteuert, arbeitet ASZ in Polen mit Dissidenten

Klebriger ist die Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte. Als

zusammen und vermeidet gleichzeitig im

die Vertrauenskommission im Juni 1998 der Mitgliederversammlung

eigenen Land die Konfrontation mit den Machthabern. (Konrad Weiß beklagt, dass ASZ durch schweigende Anpassung zunehmend unpolitischer geworden sei.) Manfred Karnetzki, ASZ und ASF versuchen, ihre Erinnerungen zu teilen. Bericht von einem Kolloquium, in: Forum. Rundbrief für die Mitglieder und den Freundeskreis der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. Referatsberichte zur Mitgliederversammlung vom 26. bis 27. April 1997 in Berlin, S. 6-8, hier S. 6 f.

ihren Abschlussbericht nach anderthalb Jahren Arbeit vorlegt, will sie selbst nicht von einer Erfolgsgeschichte reden.383


232

„Mitarbeiter der Inneren Mission waren als Vertreter des Dachverbandes berufene Mitglieder des Leitungskreises. Dazu gehörten OKR [Ober-

Dabei ist das Fazit der Recherchen eigentlich entlastend: Vor dem

kirchenrat; G.K.] Bosinski und Dr. Koltzenburg vom Diakonischen Werk. Außerdem wurden

Hintergrund eines Panoramas aus Erkenntnissen über die Rahmenbe-

Dietrich Gutsch (Ökumenischer Jugenddienst)

dingungen der Arbeit, über Beobachtung, Verfolgung, Einflussnahme

und Justitiar Hamann (Innere Mission und

durch die Stasi, über Informelle Mitarbeiter und regelmäßige Kontakte

Hilfswerk) als IM in den Akten geführt. Die Genannten sind nach 1989 nicht mehr bei ASZ

in den eigenen Reihen bzw. im Diakonischen Werk und über die Ge-

tätig gewesen.“

schichte der ASF zieht die Kommission den Schluss, „dass ASZ und

Abschlussbericht der Vertrauenskommission von

ASF von beträchtlichem Interesse für die Stasi waren. Wir konnten je-

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, o.D. (vorge-

doch keinerlei Anzeichen dafür feststellen, dass es ihr gelang, die Ak-

legt der MV im Juni 1998), Büro ASF, S. 4.

tion Sühnezeichen für ihre Interessen zu instrumentalisieren.“ Schwer wiegt aber für die Kommission: Sie hat ihr selbst gestecktes Ziel nicht erreicht. „Versöhnung ermöglichen“ hieß dieses Ziel im Zwischenbericht ein Jahr zuvor.384 Der Weg schien hart, aber klar: „Versöh-

„W. Liedtke selbst erläuterte noch einmal die Hintergründe seiner Kontakte zu den Behörden sowie den Anlass für ihren Abbruch im Oktober 1988. Er erklärte, er habe immer nur

nung kann nur durch Offenlegung der Wahrheit über das Geschehene

seine eigene Meinung vertreten, sowohl bei

und durch Aufrichtigkeit im Umgang miteinander erreicht werden.“

den Kontakten als auch im Leitungskreis. Nie

Sehr ernüchtert klingt demgegenüber das Papier von 1998. Man sei am „Ende der Möglichkeiten“ angelangt, stellt die Kommission fest.

und nirgends habe er sich verstellt. Allerdings bedaure er heute, dass er seinen Stellvertretern in der Leitung nichts von diesen Gesprächskon-

Sie kann wenig aktiven Zuspruch aus der Mitgliedschaft verzeichnen:

takten gesagt habe, weil er befürchtete, dass

Niemand hat sich von sich aus an die Gruppe gewandt, auf deren An-

man ihm davon abgeraten hätte.“

fragen kam ein Rücklauf von neun Kopien einzelner Stasi-Akten und elf Gesprächen. Unüberwindbar blieben die Differenzen darüber, wie mit Verdachtsmomenten und divergierenden Erinnerungen umzugehen sei – und wie mit diesen Differenzen selbst. Nicht die „Beseitigung von Meinungsverschiedenheiten“ sei das Ziel gewesen, erläutert der Abschlussbericht,

Protokoll der Mitgliederversammlung vom 26./27.4.1997, Büro ASF, S. 4. Für das vorliegende Buch wurde keine Einsicht in die Akten der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen genommen, sondern der Fokus auf die organisationsinternen Diskussionen nach 1989 über Stasi-Verflechtungen gelegt. Zur Aktenlage vgl. Konrad Weiß: „Pfarrer Wer-

sondern „dass man sich über Vorwurf und Rechtfertigung hinweg wie-

ner Liedtke, seit 1979 registriert als IM ‚Werner‘.

der gegenseitig achtet und als redlich anerkennt“. Vielleicht aber sei es

1984 Leiter der Aktion Sühnezeichen. 1984

selbst dazu noch zu früh.

Umregistrierung zum IMB ‚Albert‘ [IMB steht

Der Streit macht sich fest am Umgang mit Werner Liedtke. Der Vor-

für ‚Informeller Mitarbeiter zur unmittelbaren Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit

wurf, dieser sei Inoffizieller Stasi-Mitarbeiter gewesen, steht im Raum

stehender Personen‘]. Liedtkes Personal- und

und gründet sich unter anderem auf Akten des MfS, die seine Registrie-

Berichtsakten beim Staatssicherheitsdienst der

rung als IM erklären. Liedtke selbst bestreitet nicht, Gespräche geführt

DDR, Registrier-Nr. XII 1090/74, wurden im De-

zu haben – sehr wohl aber, eine Verpflichtung eingegangen zu sein. Tatsächlich ist eine Verpflichtungserklärung in den Akten der GauckBehörde nicht auffindbar.

zember 1989 ‚zum Schutz der Quelle‘ gelöscht. – Liedtke bestreitet, eine Verpflichtung eingegangen zu sein oder über Personen berichtet zu haben“ (Konrad Weiß, Prophet, a.a.O., S. 399, Anm. 7). Die Historikerin Helene Grünecker datiert den Beginn von Liedtkes IM-Tätigkeit auf 1974 (vgl. Die Aktion Sühnezeichen in der DDR und ihre Beziehungen zu Polen [unveröffentlichte Magisterarbeit vom März 2006], S. 107 f.).


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

233

„Das Fundament der Stasi-Tätigkeit war das Freund-Feind-Denken des Klassenkampfes. Getreu der Ausschließlichkeit ihrer FreundFeind-Logik hat die Stasi nicht selten Christen, die im Sinne des Entfeindungsgebotes Jesu den

Der Fall ist von Anfang an ein wunder Punkt in der Arbeit der Ver-

Vertretern der Stasi nicht feindlich begegneten,

trauenskommission. Diese entscheidet mehrheitlich, Liedtkes Dar-

als IM in ihren Akten geführt. Es hieße, die Lo-

stellung nicht anzuzweifeln, da alles andere hieße, „der Stasi mehr zu

gik der Stasi zu übernehmen, würde man diese Etikettierung ungeprüft gelten lassen.“

glauben als Liedtke“. Ähnlich votiert der Vorstand von ASF, der auf das

Zwischenbericht der Vertrauenskommission von

demokratische Prinzip der „Unschuldsvermutung“ verweist.385 Die

ASF nach einem Jahr. Anhang zum Protokoll der

Mitgliederversammlung 1997 nimmt die Erklärung des Vorstands mit

ASF-Mitgliederversammlung, Berlin, 26./27. April

30 Ja- und sechs Nein-Stimmen „zustimmend zur Kenntnis“.386

1997, Büro ASF, S. 2.

Damit ist der Fall formal geklärt. Doch selbst demokratische Mehrheiten helfen wenig, wenn Vertrauen zerstört ist. Das zeigt sich zur

„Jörg Lüer weist ausdrücklich darauf hin, dass es

Mitgliederversammlung 1998. Der Leitungskreis bittet Werner Liedtke,

sich nur um einen Werkstattbericht, noch nicht

nicht für den Vorstand zu kandidieren.387 Hildegart Stellmacher, die

um eine abschließende Einschätzung handelt. Sein Aktenstudium hat ergeben, dass Aktion

schon die Kommissions-Erklärung zu Liedtke im Zwischenbericht

Sühnezeichen 1964 erstmals in den MfS-Akten

explizit nicht mitgetragen hat, scheidet kurz vor dem Abschluss der

auftaucht als ‚feindlich tätige westdeutsche

gemeinsamen Arbeit aus der Vertrauenskommission aus. Kleinlaut

kirchliche Aktion Sühnezeichen Friedensdiens-

tritt die Rumpfgruppe vor die MV – die ihren Dank tatsächlich mit der

te e.V.‘. Es gibt in den Akten Vorschläge für den operativen Umgang mit ASF und im Jahre 1968

„Unzufriedenheit über das Ergebnis“ verbindet und den Vorstand mit

die erste umfassende Dokumentation zu ASF.

weiteren Gesprächen beauftragt.388 Vorstandsmitglied Jörg Lüer über-

Seit den siebziger Jahren gibt es zum überwie-

nimmt die Aufgabe einer erneuten Sichtung der Akten. Seinen Werk-

genden Teil nur noch ASZ-Akten und so gut wie

stattbericht legt er der Mitgliederversammlung 2001 vor. Ein umfas-

nichts zu ASF. 70 bis 80 Prozent der Akten sind – z.T. in unterschiedlichem Maße – erschlossen. Jörg Lüer hält es für sinnvoll, auch ergänzende

sender Forschungsauftrag, etwa im Rahmen einer Dissertation, kommt nie zustande.

Quellen zu prüfen (z.B. Akten des ehemaligen Staatssekretariats für Kirchenfragen). Seit 1970 gibt es in den Akten regelmäßige Berichte über die ASZ-Jahrestreffen (mit Beobachtungen über

Im Jahresbericht 2006 der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste gilt als „besonders erwähnenswert“ die Tatsache, dass nach dem großen

‚feindlich-negative Äußerungen‘). Es lässt sich

Ehemaligentreffen in Leipzig ein ehemaliger Sommerlagerleiter und

ein gewisser Erfolgsdruck der ‚Berichterstatter‘

ein ehemaliger Langzeitfreiwilliger festgestellt hätten, „sie hätten

ablesen. Insgesamt wurden von ihm bisher 18

das erste Mal gefühlsmäßig den jeweils anderen Teil von ASF/ASZ als

IM-Vorgänge aufgespürt. ASF/ASZ sind für die Stasi von Interesse gewesen. Anhaltspunkte für

Teil des gesamten Vereins wahrgenommen“389. Man schrieb das Jahr

eine Steuerung der Arbeit von ASF/ASZ liegen

15 nach der formalen Vereinigung – die emotionale Zugehörigkeit zur

nicht vor, versuchte Einflussnahme ist aller-

jeweiligen „Fraktion“ war immer noch stark.

dings nachweisbar. Mit Blick auf die äußerst lückenhafte Aktenlage ist bei generalisierenden Aussagen hohe Zurückhaltung geboten.

Die immer wieder geäußerte Sorge um die „Erkennbarkeit“ der ASZEinträge in die gemeinsame Entwicklung jedoch hat sich als so nicht

Jörg Lüer schlägt als weitere Schritte vor: Vertie-

nötig erwiesen. Aktion Sühnezeichen aus der DDR hat in die neue Iden-

fung der Akteneinsicht (ein Antrag auf Einsicht

tität entscheidende Elemente eingebracht. Hier ist nicht nur die Adres-

in IM-Akten läuft noch), Erstellung einer Dokumentation, die im Kontext der Aufarbeitung bei Sühnezeichen an zentraler Stelle veröffentlicht werden soll.“ Protokoll der ordentlichen Mitgliederversammlung von ASF am 12./13. Mai 2001 im Haus der Kirche, Goethestraße 27, Berlin-Charlottenburg, Büro ASF, S. 5 f.


234

se Auguststraße zu nennen, sondern vielmehr Stichworte wie „Internationalisierung“, „Regionalisierung“ und „Stärkung des Ehrenamts“. Die Geschichte der Vereinigung weist voraus auf die Debatten um die Zukunftsfähigkeit der Aktion Sühnezeichen.

Aktion Sühnezeichen und der Golfkrieg: Wie weiter nach 1991?

Ein halbes Jahr nach der Besetzung Kuwaits durch den irakischen Diktator Saddam Hussein erreicht die Golfkrise ihren kritischen Punkt: Am 15. Januar 1991 wird das Ultimatum der Vereinten Nationen an den Irak auslaufen, Krieg in der Region scheint unausweichlich. Die Auseinandersetzung, die möglicherweise mit Massenvernichtungswaffen geführt wird, bedroht auch Israel. Jetzt holt Aktion Sühnezeichen Friedensdienste seine Freiwilligen nach Deutschland zurück. Die Verantwortlichen machen sich keine Illusionen über die Folgen dieser Entscheidung. „Es wird lange Zeit brauchen, verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen“, schreiben Vorstand und Geschäftsstelle in einem Brief an die Mitglieder.390 Zwei Wochen nach dem Rückruf der Freiwilligen beschreiben sie das Dilemma, vor das sich die Entscheidungsträger gestellt fanden: „Verantwortung und Sorgepflicht für die ASF-Freiwilligen [...] und die dringende Notwendigkeit unserer Hilfe und Unterstützung für Israel gerade in Kriegs- und Notzeiten“ hätten einander gegenübergestanden. Unversehrtheit der Freiwilligen versus Solidarität mit Israel – diese Abwägung fiel unter Mitarbeitern und Vorstand so unterschiedlich aus wie unter Mitgliedern, Freunden und Freiwilligen. Je brenzliger die Situation am Golf wurde, desto mehr verengte sich allerdings der Spielraum für politische Diskussionen.391 Letztlich dominierte die Frage nach der Auslegung der Beziehung zwischen Verein und Freiwilligen: Kann Aktion Sühnezeichen seinen Freiwilligen die Entscheidung, in Israel zu bleiben oder das Land zu verlassen, freistellen oder erfordert die Fürsorgepflicht eine einheitliche Entscheidung des Vorstands?


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

235

Am 8.10.1990 schreibt die Norwegen-Gruppe auf ihrem Länderseminar in Brandbu einen Brief an den Vorstand der ASF in Berlin: „Der Vorstand muss in einer so brisanten Situation die volle Verantwortung für einen

Im Herbst 1990 noch wurde den neuen Freiwilligen die Ausreise of-

Israel-Dienst übernehmen können. Eben

fen gehalten – gegen den massiven Druck der Freiwilligen anderer Län-

diese Verantwortung, der mögliche Tod

der (die Norwegen-Gruppe erwog gar einen Ausreisestreik ihrerseits,

einer/eines Freiwilligen, kann nicht getragen werden. Daher fordern wir, dass der Vorstand

sollten die Israel-Freiwilligen nicht zurückgehalten werden), trotz der

die sofortige Ausreise der Israel-Freiwilligen

Sorge der Angehörigen und Kontroversen im Verein. Zwei von neun

beschließt. Wir sind uns der Tatsache bewusst,

sind schließlich geflogen.

dass die Unterbrechung der Israel-Arbeit einem Abbruch gleichkommen könnte, uns ist auch klar, dass eine solche Entscheidung finanzielle Einbußen und einen Ansehensverlust zur Folge haben kann; dennoch muss die Sicherheit der Freiwilligen an erster Stelle stehen. Andere Aspekte werden dadurch zweitrangig.“ Freiwilligen-Rundbrief (der Freiwilligenvertretung

Am 21. Dezember gab eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts den Ausschlag zum Umschlag: Alle Israel-Freiwilligen der ASF sollen vor dem 15. Januar 1991 das Land verlassen, entschied der Vorstand. Die Freiwilligen leisten dem Rückruf Folge, nur der Landesbeauftragte und die Hausmutter im Haus Pax bleiben. Der dringende Wunsch einiger aus der Gruppe, bald nach Israel zurückkehren zu können, be-

im Berliner Büro), Sondernummer zum Israel-

eindruckt den Vorstand so, dass er ihnen Ende Januar die Möglichkeit

Konflikt vom November 1990, Privatarchiv der

einräumt – eine Entscheidung, die er wenige Tage später, nach Ein-

Verfasserin, S. 6.

spruch des Kuratoriums, wieder zurücknimmt.

„Sagt mal im Ernst, Leute, findet ihr euer eigenes Verhalten uns gegenüber nicht

Den faktischen Neuanfang der Freiwilligenarbeit der ASF bildet ein

auch reichlich befremdend? Glaubt ihr, wir

subversiver Akt: Ende Februar fliegen zwei weibliche Freiwillige nach

träumen hier vor uns hin, nichts ahnend und

Israel zurück; die Entspannung der politischen Lage entbindet den

naiv? Oder denkt ihr vielleicht, wir sind vor

Vorstand von der Notwendigkeit konsequenter Sanktionen; die beiden

Schreck irgendwie gelähmt und warten jetzt auf Saddams giftige Grüße wie ein Kaninchen

bleiben Freiwillige der Aktion Sühnezeichen. Im April 1991 stoßen vier

auf den Biss der Schlange? Anders können wir

weitere zu ihnen. Ein Jahr später hat die Israel-Gruppe mit 29 Freiwil-

uns nicht erklären, wie ihr eine solch massive

ligen den Vorkriegsstand wieder erreicht. Die alte Zahl freilich ist kein

Einmischung in unsere Angelegenheiten vor

ausreichender Indikator für Kontinuität, wie der Landesbeauftragte

euch selbst rechtfertigen könnt. Ihr habt uns ja nicht ein einziges Mal, bevor ihr euren Brief an

Heribert Krane zu bedenken gibt: „Die neuen Freiwilligen fanden in

den Vorstand schriebt, nach unserem Wohlbe-

ihren Projekten keine Vorgänger vor, Traditionen verschiedener Art

finden und nach unserer Meinung zur Golfkrise

müssen neu entwickelt werden, Fähigkeiten und Kenntnisse müssen

und den möglichen daraus erwachsenden

neu erarbeitet und erworben werden.“392

Gefahren für den Staat Israel gefragt! Hiermit versichern wir euch, dass wir weiterhin bei vollem Bewusstsein und der Meinung sind,

Nach der Unterbrechung während des Krieges wieder an die Freiwil-

dass wir durchaus auf uns selbst aufpassen

ligenarbeit in Israel anzuknüpfen, ist schwer, denn den israelischen

können. Trotz all des Stresses und des Frustes,

Partnern ist die Unterbrechung kaum zu vermitteln. Nicht, dass viele

den die verstärkte Kriegsgefahr und die nach wie vor katastrophale innenpolitische Lage für

Anläufe dazu gemacht würden: Deutsche wie israelische Freunde war-

uns bedeutet, wollen wir hier – noch – nicht

ten vergebens auf eine öffentliche Stellungnahme von Sühnezeichen;

weg. Jede/r der noch in Israel befindlichen

statt der kurz diskutierten Ersatz-Freiwilligen älterer Semester reisen

Freiwilligen hat private Gründe für seine/ihre Entscheidung, hier zu bleiben, natürlich. Aber alle von uns verbindet die Überzeugung, dass unsere Leben noch nicht in akuter Gefahr sind, dass die Krise am Golf sich nicht zwangsläufig in einen Israel einbeziehenden schrecklichen ABC-Krieg ausweiten wird und dass die Arbeit


236

der ASF in diesem Land zu wichtig ist, um sie beim ersten Anfall von Hysterie ohne gründliche Prüfung der Situation sausen zu lassen.“

im Februar 1991 drei Kundschafter aus den Reihen der ASZ für eine Woche durch Israel.393 Als Klaus Geyer im April mit Vorstandskollegin Marianne Regensburger zu Gesprächen ins Land fliegt, muss er bilanzieren, dass „das Ausmaß des Nicht-Verstehens und Nicht-VermittelnKönnens am Ende für uns noch erschreckend hoch war“394.

Reaktion der Israel-Freiwilligen auf eine Kopie des Briefes der Norwegen-Freiwilligen an den Vorstand, 16.10.1990, in: Freiwilligen-Rundbrief (der Freiwilligenvertretung im Berliner Büro), Sondernummer zum Israel-Konflikt vom November 1990, Privatarchiv der Verfasserin, S. 11-13, hier S. 12.

Nach mehreren Kriegen und mittlerweile zwei Jahren Intifada nehmen die Israelis den Deutschen die Sorge um die Sicherheit der Freiwilligen nicht ab; das Verfügen der Zentrale über die jungen Leute nehmen sie ihnen übel. Gerade die alten Partner vermuten hinter der Entscheidung eine Veränderung in der Ideologie von Sühnezeichen. Schalom Ben-Chorin etwa skizziert die Geschichte vom Niedergang einer Idee: „Kreyssig ging von einer bedingungslosen Solidarität mit Israel aus, die von tiefen religiösen Impulsen getragen war. In diesem Sinne setzten dann Männer wie Otto Schenk, Rudolf Maurer die Idee in die Tat um – und nun wurden wir Zeugen eines unseligen Gerangels um die Verpflichtung gegenüber Israel. Die Rückberufung der Freiwilligen hat nicht nur mich befremdet, vor allem die Tatsache, dass dieser Beschluss verbindlich in Berlin gefasst wurde, ohne den Freiwilligen die Wahl zu lassen. Ich habe die ‚Mischehe‘ von Aktion Sühnezeichen mit Friedensdiensten immer als problematisch empfunden, da die beiden Organisationen wesensmäßig nicht voll übereinstimmen können.“395 Das skurrile Missverständnis, bei der Namenserweiterung von 1968 habe es sich um die Fusion von Sühnezeichen mit einer fremden Organisation gehandelt, ist bezeichnend für eine Wahrnehmung der ersten Generation der jüdischen Partner: Die „Friedensdienste“ hätten mit deutschen Kriegsdienstverweigerern und einer Erweiterung des Projektspektrums um arabische Initiativen ungute Tendenzen in die Entwicklung der Israel-Arbeit von Sühnezeichen gebracht. An diese Schwierigkeiten des ursprünglich tragenden Milieus erin-

„Was ist das für eine Solidarität, die ausgerechnet im Augenblick der Gefahr den Freund alleine lässt, zumal es sich diesmal bei der Bedrohung um unübersehbare Parallelen zum tiefsten Grund für den Versöhnungsdienst in Israel handelt? Nicht Rückruf, sondern Aufruf zu vermehrter Solidarität durch freiwillige Helfer wäre nötig gewesen. Hier gilt wohl der Satz: ‚Gewogen und zu leicht erfunden‘.“ Brief Rudolf Maurer an ASF Berlin, 28.2.1991, EZA 97/1789. „Ich möchte darum werben, dass wir in dieser schwierigen Lage ASF die Treue halten, auch wenn uns mancher jüdische Freund wird Verachtung spüren lassen. Wir müssen ja die Entscheidung von ASF gar nicht vor jedem Kritiker rechtfertigen. Vielleicht leben wir überhaupt schlecht, solange wir von unseren Selbstrechtfertigungen leben. [...] Manchmal glaube ich hinter der Schwierigkeit, in die uns die ASF-Entscheidung bringt, geradezu so etwas wie eine ‚göttliche Pädagogik‘ zu sehen (keine Sorge, ich weiß, dass ich dem lieben Gott nicht in die Karten sehe, auch im Blick auf ASF nicht): Wir von ASF waren oft sehr eifrig, andere Leute auf ihre fragwürdige ‚Vergangenheit‘ festzunageln. Vom reinen Evangelium als einer Gnadenbotschaft war dieser Eifer nicht immer inspiriert. Nun haben wir

nert Heribert Krane per Fax die am 18. Januar 1991 in Beienrode Versam-

selbst eine Art ‚Vergangenheit‘, über die man

melten – dort treffen sich die zurückgeholten Freiwilligen und Vertre-

streiten kann, wegen der man uns als ‚zu leicht

ter des Vereins: „Das Problem ist, dass die Entscheidung des Vorstands vor einem bestimmten Hintergrund geschieht, den ich hier knapp beschreiben möchte: Die

befunden‘ klassifizieren kann. Ob das vielleicht denen, die Gott lieben, zum Besten dienen soll? Etwa in der Weise, dass wir dem Evangelium existenziell näher kommen und dann wieder etwas menschlicher werden sollen? Ich möchte nicht aus der Not eine Tugend machen. Aber ich erlaube mir die Hoffnung, dass diese Hitze uns zur weiteren Reifung dienen wird.“ Brief Paul Dieterich an Rudolf Maurer, 4.3.1991, EZA 97/1812.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

237

„1. Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) stellt sich in ihrer Arbeit in Israel den Folgen der nazistischen Judenverfolgung und Judenvernichtung. Von daher ist die Solidarität mit dem jüdischen Volk unabdingbare Verpflich-

ASF und seine Freiwilligen in Israel [...] haben seit Anfang der siebziger

tung, Grundlage und bleibender Auftrag der

Jahre in Israel folgendes Image [...]: ASF sei ihren Zielen nicht mehr treu,

Arbeit von ASF.

[...] Solidarität mit Israel würde nur noch als Lippenbekenntnis und auf

Erläuterung: Grund und Anlass der Arbeit der ASF in Israel ist die Verfolgung und Ermordung

dem Papier praktiziert, [...] das Interesse der Freiwilligen sei überwiegend

eines großen Teils der europäischen Juden

auf Araber gerichtet, mehr und mehr Freiwillige wollten in ‚arabischen

durch Deutsche. Sechs Millionen Juden sind

Projekten‘ arbeiten, [...] die Freiwilligen seien verwöhnt, arrogant und zu

diesem Verbrechen zum Opfer gefallen. Viele

anspruchsvoll.“396

Überlebende sind nach Israel gegangen. ASF weiß sich dem gesamten jüdischen Volk

Tatsächlich hat die selbstverordnete Zwangspause durch den Abzug

verpflichtet. Deshalb arbeitet ASF auch in

der Freiwilligen aus Israel keine in sich ruhende Organisation mit sta-

jüdischen Projekten außerhalb Israels.

bilem Image getroffen. Seit dem Beginn der Sühnezeichen-Arbeit in

2. Diese Verpflichtung schließt das Eintreten

jenem Kibbuz im Negev wurde zwar nicht um die Begründung, wohl

für das Lebensrecht und die Sicherheit des Staates Israel als jüdischer Staat ein, unabhängig von der Politik der jeweiligen Regierung.

aber um Form und Ort dieser Arbeit stets gerungen. Der jüdisch-palästinensische Konflikt forderte zur Positionierung heraus.

Erläuterung: Die Juden bekamen durch einen

Umrisse eines Selbstverständnisses wurden Mitte der siebziger Jahre

Beschluss der UNO einen Teil des Mandatsge-

als Grundsätze der Israel-Arbeit formuliert, acht Leitthesen mit jeweils an-

bietes Palästina als Territorium zugesprochen. Die staatliche Existenz Israels wurde nur im Kampf gegen die militärische Intervention der umliegenden arabischen Staaten durchgesetzt. Der Staat Israel hat eine zentrale Bedeutung auch für Juden, die in anderen Ländern leben. Solidarität mit dem jüdischen Volk auf dem

geschlossenen Erläuterungen. Der Text wird – bei leichten Änderungen im Wortlaut – die Israel-Arbeit der ASF über die Jahre begleiten.397 An erster Stelle steht die „Solidarität mit dem jüdischen Volk“ als „unabdingbare Verpflichtung, Grundlage und bleibender Auftrag der Arbeit von ASF“. Daraus folgt das „Eintreten für das Lebensrecht und

Hintergrund der NS-Politik der Judenver-

die Sicherheit des Staates Israel als jüdischer Staat“. Die Arbeit in arabi-

folgung und Judenvernichtung bedeutet

schen Projekten – erklärtermaßen nicht in den von Israel besetzten Ge-

die vorbehaltlose Bejahung der staatlichen

bieten – ist davon abgeleitet, denn die „arabischen Bürger“ sind Teil der

Existenz Israels und das Versprechen, jedem Antisemitismus und Antijudaismus, wo immer

israelischen Gesellschaft. Das Papier spricht von den „Rechten zweier

er auftritt, entgegenzutreten.

Völker“, die „in Frieden, Sicherheit und Gleichberechtigung miteinan-

Daraus ergeben sich politische Konsequenzen:

der leben müssen, wenn sie überleben wollen“.

Eintreten für das Recht Israels, als Staat zu existieren; Eintreten für die Sicherheit des Staates Israel; Eintreten für eine eigene jüdi-

Sühnezeichen fühlt sich Verständigungsinitiativen „besonders verbunden“, ist sich der „geringen eigenen Einflussmöglichkeiten“ aber

sche Identität im Staat Israel. Solche Solidarität

sehr bewusst. Wo in den Anfangsjahren bisweilen noch das hohe Pa-

mit dem jüdischen Staat heißt nicht vorbe-

thos der Brückenbauer und Mittelsleute zu vernehmen war, ist diese

haltlose Bejahung der jeweiligen israelischen

längst der Bescheidenheit gewichen – zumindest in offiziellen Texten.

Regierungspolitik.“ Grundsätze der Israel-Arbeit, zitiert nach: Mit ASF

Die „Grundsätze“ jedenfalls beschränken die politische Aktivität aufs

in Israel. Im dritten Jahr der Intifada. Freiwillige

„Hoffen“, die konkrete Arbeit dagegen auf die „soziale und kulturelle

und Mitarbeiter schreiben, Berlin (Broschüre ASF)

Ebene“.

1990, S. 25 f.


238

„Wahrscheinlich kann ‚Friedensdienste‘ nicht mehr ausdrücken, als dass die Arbeit so angelegt sein soll, dass sie nicht zusätzlich in

Die bewusste politische Zurückhaltung bei gleichzeitiger Parteilich-

irgendeiner Weise zur Eskalation beiträgt.“ Ganz bescheiden Jörn Böhme, Standortbestim-

keit ist für manche Freiwillige wie Förderer der Arbeit eine Zumutung.

mungen. Die heutige Arbeit der Aktion Sühnezei-

Spätestens als ab Dezember 1987 mit dem bewaffneten Aufstand der Pa-

chen in Israel, in: zeichen 2/1986, S. 11-15, hier S. 14.

lästinenser und der massiven Antwort der israelischen Regierung der Konflikt eskaliert, erwarten viele von Aktion Sühnezeichen klare Worte für die „Sache der Palästinenser“. Der Berliner Israel-Referent Bernhard Krane erteilt diesem Ansinnen eine klare Absage:

„Die zuweilen aufgestellte Behauptung, Aktion Sühnezeichen Friedensdienste sitze zwischen den Stühlen und wolle nicht eindeutig Partei ergreifen in der Polarisierung der Konflikte im Nahen Osten, trifft meiner Ansicht nach nicht

„Die Folge sind nur Empörung, Misstrauen, Angst, Verbitterung und die Be-

zu. Der Ansatz der Arbeit und der Zugang der

stätigung des Feindbildes – all das noch bevor je auch nur ein bisschen an

Arbeit von Sühnezeichen in Israel besteht über

menschlichem Kontakt und Vertrauen wachsen konnte. Andere Einzelperso-

die jüdische Seite. Aktion Sühnezeichen macht

nen und Organisationen werden diese Folgen vielleicht in Kauf nehmen, um

Israel-Arbeit, nicht Nahost-Arbeit. So gesehen ist es eine ‚einseitige‘ Arbeit, und wir sollten

angesichts der brennenden Situation konsequent und geradlinig zu handeln.

uns hüten, Palästinensern etwas anderes

Im Rahmen der ASF-Arbeit in Israel verbietet sich wohl eine solche Haltung

vorzuspielen.“

und Verhaltensweise. Ein Pfleger oder eine Pflegerin im Krankenhaus kann nicht mit der einen Hand Salbe auf Wunden auftragen und mit der anderen Salz in die Verletzungen reiben oder gar neue Wunden reißen.“398

Jörn Böhme, Standortbestimmungen. Die heutige Arbeit der Aktion Sühnezeichen in Israel, in: zeichen 2/1986, S. 11-15, hier S. 14. „Freiwillige beschreiben ihre Situation an-

Zwei Mal äußert sich Aktion Sühnezeichen schriftlich zur Intifada; bei-

gesichts des Konfliktes oft mit dem Bild des

de Texte sind nicht kurz. 1988 schreiben fünf ehemalige Freiwillige der

‚zwischen den Stühlen Sitzenden‘. Ich halte

ASF, alle haupt- oder ehrenamtlich im Verein engagiert, einen Offenen Brief an alle, die in der Bundesrepublik die Nachrichten aus Israel und den be-

wenig davon, denn wir sitzen nicht zwischen den Stühlen, sondern auf einem kleinen Stuhl an der Seite Israels.“

setzten Gebieten verfolgen und sich fragen, was sie tun können. Anfang 1990

Heribert Krane, Zur Situation der Freiwilligen in

folgt eine Erklärung von Vorstand und Geschäftsführung. Die Texte

Israel, in: Mit ASF in Israel. Im dritten Jahr der Inti-

haben eine ähnliche Grundlinie – die wiederum trifft sich, wenig erstaunlich, mit den Grundsätzen der Israel-Arbeit. Sie halten am „Recht beider Völker“ fest und setzen auf Kompromisskräfte in beiden Lagern. Charakteristisch für den Offenen Brief von 1988 ist, dass er sich an die eigenen Leute wendet: „Wir sind aufgefordert, unsere Kräfte dort einzusetzen, wo wir Einfluss nehmen können.“399 Und das sind die Auseinandersetzungen in Deutschland. Die Autoren beobachten, wie sich die öffentliche Meinung auch hier polarisiert. Sie warnen vor „irreführenden Kategorien“ zur Einordnung des Nahostkonflikts – antiimperialistische Parolen sind so wenig hilfreich wie die exkulpierende Rede von den Palästinensern als den „Opfern der Opfer“.

fada. Freiwillige und Mitarbeiter berichten, Berlin (ASF - Broschüre) 1990, S. 22-25, hier S. 24.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

239

„1. Wir führen unser Programm in Israel fort. Die Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF) verfolgt die aktuellen Auseinandersetzungen zwischen der palästinensischen und der israelischen Besatzungsmacht aus unmit-

Der Brief ist ein Plädoyer gegen die Schwarz-Weiß-Malerei, für Auf-

telbarer Nähe und mit großer Anteilnahme.

klärung und Dialog. Handlungsmöglichkeiten benennt er in entspre-

Als Antwort auf zahlreiche kritische Anfragen

chender Öffentlichkeitsarbeit, in der Unterstützung von Initiativen vor

in den vergangenen Monaten nach Stellungnahmen und Reaktionen der ASF auf diese Vorgänge bekräftigen wir die Absicht, unser

Ort und im Protest gegen Rüstungsexporte. So wichtig dieser Einspruch in deutsche Debatten ist – für die Frei-

Programm in Israel auf seiner bisherigen

willigen vor Ort bietet er nicht genügend Orientierung. Im September

Grundlage und im bisherigen Rahmen

1989 formulieren sie auf einer „außerordentlichen Landesvollversamm-

fortzuführen. Die Motivationen und Notwendigkeiten

lung“ in Israel ihren Unmut:

unseres Engagements für das jüdische Volk

„Die größte Mehrheit von uns ist inzwischen nicht mehr einverstanden mit

und Israel, in den ‚Grundsätzen der Israel-

der Rolle von ASF als weitgehend schweigsamem Beobachter, während wir

Arbeit‘ formuliert [...], sind durch die aktuelle

Freiwilligen inmitten dieses Konfliktfeldes leben und arbeiten; und wir su-

politische Situation in Israel und den besetzten Gebieten nicht hinfällig geworden. 2. Die Arbeit ist schwieriger geworden.

chen nach Möglichkeiten, uns stärker zu artikulieren und, soweit möglich, zu handeln.“400

Die Intifada, die israelischen Versuche zur

Politische Abstinenz ist ihnen ohnehin unmöglich. Das zeigt schon

Niederschlagung dieses Aufstandes und die

das stete Ringen um das Spektrum der Projekte. Auch das Soziale ist

aktuelle Diskussion in Israel um die Zukunft der besetzten Gebiete beeinflussen und

politisch: Die Arbeit in einem arabischen Kindergarten oder Kultu-

überschatten jedoch unsere praktische Arbeit

rzentrum ist eine Aussage – wenn auch keine eindeutige. Während die

in Israel. Die Situation ist für uns schwieriger

einen damit eine pro-palästinensische Stellungnahme verbinden, ist

geworden,

sie für andere ein versuchter Beitrag zur Versöhnung. Immer wieder

weil wir aus nächster Nähe einen brutalen Konflikt miterleben, uns jedoch als Deutsche und Gäste im Land politischer Stellungnahmen und

diskutieren Freiwillige, Vereinsmitglieder und Mitarbeiter über die Zukunft der arabischen Projekte – beibehalten oder einstellen?

Aktionen weitgehend enthalten müssen, weil

Auf diesem Hintergrund ist der erste Satz der Erklärung, die Vor-

jede Zuspitzung des Konflikts zwischen Juden

stand und Geschäftsführung auf Drängen der Freiwilligen veröffentli-

und Palästinensern es uns schwieriger macht, das Gesamtspektrum unserer Israel-Arbeit, das auch Projekte im arabischen Bereich umfasst,

chen, inhaltsschwerer, als er zunächst klingt. Im dritten Jahr der Intifada schreibt Aktion Sühnezeichen Friedensdienste: „Wir führen unser

der dortigen Öffentlichkeit zu vermitteln;

Programm in Israel fort.“401 Auch nach der Eskalation der Gewalt auf

weil von palästinensischer Seite und in der

beiden Seiten des Konflikts hält Aktion Sühnezeichen an der Grund-

bundesdeutschen Öffentlichkeit unser Engagement für Israel und das Ausbleiben einer ent-

position ihrer Israel-Arbeit fest: an der Solidarität mit dem jüdischen

schiedenen Verurteilung Israels missverstan-

Volk und Staat und an ihrem Ausdruck in der Arbeit in jüdischen und

den wird als Billigung oder Unterstützung der

arabischen Projekten.

israelischen Politik in den besetzten Gebieten; weil wir einerseits die aktuelle politische Situation in unserem Israel-Programm nicht aus-

Bei vielen Israelis schlug die Skepsis, mit der sie den Weg der Aktion Süh-

blenden können und wollen, andererseits aber

nezeichen in ihrem Land ohnehin begleiteten, 1991 in Misstrauen und

jede Beschäftigung mit diesem Problem leicht

Enttäuschung um. Anlass war nicht nur der Rückzug der Freiwilligen;

das Vertrauensverhältnis zu unseren jüdischen Partnern und Freunden gefährden kann; weil die Freiwilligen und Mitarbeiter der ASF, die in Israel leben und arbeiten, die Ereignisse nicht aus der Ferne wahrnehmen, sondern unmittelbare Zeugen des Konfliktes sind und dadurch tief berührt werden;


240

weil wir Sorge und Angst haben, dass auch die Freiwilligen in Israel durch den Konflikt persönlich bedroht sind und – wie 1978 geschehen –

die allgemeinen Nachrichten aus Deutschland taten das Ihre dazu.

Opfer gewalttätiger Auseinandersetzungen werden könnten;

Während in Israel die Menschen in abgedichteten Räumen sitzen und

weil wir uns fragen, wie lange es noch ver-

der irakischen Angriffe harren, gehen in Deutschland Tausende auf die

antwortbar ist, junge Freiwillige mit der ASF

Straßen, um gegen den amerikanischen Krieg gegen den Irak zu protestieren. Deutsche demonstrieren in Scharen gegen die Instrumentalisierung des Konflikts für ökonomische Interessen, die Militarisierung der Politik, Menschenrechtsverletzungen und eine drohende ökologische Katastrophe. Die existenzielle Gefahr, die vom Irak für Israel ausgeht, scheint dagegen kaum präsent. Nun steht Sühnezeichen diesmal, anders als in den achtziger Jahren,

für 18 oder 24 Monate in diese Situation zu schicken. [...]“ Dietrich Goldschmidt (für den Vorstand) und Wolfgang Raupach (für die Geschäftsführung), Erklärung der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. anlässlich des 2. Jahrestages der Intifada, Berlin, im Februar 1990, in: Mit ASF in Israel. Im dritten Jahr der Intifada. Freiwillige und Mitarbeiter berichten, Berlin (ASF - Broschüre) 1990, S. 6.

nicht an der Spitze der Friedensbewegung. Dass ASF sich in einer Liste von 43 Organisationen, die für den 26. Januar 1991 zu einer Großdemonstration in Bonn einladen, an erster Stelle findet, ist dem Alphabet

„Als langjähriger Freund und Befürworter der Aktion Sühnezeichen in Israel möchte ich hiermit

geschuldet – und einigen internen Abstimmungspannen. Der Aufruf

meine Empörung über den Vorstandsbeschluss,

des Netzwerks „Friedenskooperative“ steht unter der Überschrift: „Wir

alle Aktion-Sühnezeichen-Freiwilligen aus Israel

lassen die Zerstörung der Zukunft nicht zu. Stoppt den Krieg am Golf !“ und erklärt:

nach Deutschland zurückzurufen, kundgeben. Es scheint mir mehr als merkwürdig, dass gerade ein deutscher Verband mit euren Zielen

„Wir haben immer die irakische Besetzung von Kuwait verurteilt und den

beschließt, die von euch betreuten älteren Holo-

sofortigen Rückzug der Besatzungstruppen gefordert. Der Krieg am Golf

caust-Überlebenden und behinderten Kinder in

heißt aber nun, dass den Verbrechen der irakischen Aggression und den Menschenrechtsverletzungen des Hussein-Regimes mit Schrecken und Leid in tausendfacher Größenordnung begegnet wird.“402 Israel taucht in dem Text nur einmal auf: in einer Reihe mit „Kuwait, Libanon, Palästina, Kurdistan“ als den „Problemen der Region“. Der Aufruf ist für Aktion Sühnezeichen nicht tragbar und vom Vor-

schwerer Stunde im Stich zu lassen. Ich hätte noch irgendwie verstehen können, falls der Entschluss, zu bleiben oder Israel zu verlassen, den Freiwilligen, wie sie selbst verlangten, überlassen worden wäre. Es handelt sich doch um vernünftige, erwachsene junge Leute. Abgesehen von den prinzipiellen und

stand auch nicht beschlossen. Die Inlandsreferentin entschuldigt sich;

moralischen Aspekten dieses unglücklichen

ASF wird wenigstens in der Dokumentation zur Demo nicht erwähnt.403

Vorstandsbeschlusses fürchte ich sehr, dass der

Die Zerreißprobe, in die die Golfkrise die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste führte, wurde verschiedentlich beschrieben als Konflikt

Aktion Sühnezeichen schwerster, kaum wiedergutzumachender Schaden in der hiesigen öffentlichen Meinung zugetragen worden ist.

zwischen „Sühnezeichen“ und „Friedensdienste“, zwischen Solidarität

Dazu kommen noch Nachrichten über die

mit Israel und Pazifismus, zwischen Jerusalem und Berlin. Dazu fällt

offizielle deutsche Haltung zum gegenwärtigen

allerdings auf, dass beide Pole dieses Konflikts nicht ausgeprägt in Erscheinung treten. Anfang 1991 handelt Aktion Sühnezeichen viel mehr durch das, was nicht passiert: So wenig der Verein prägend in der Frie-

Konflikt. Hat sich denn so wenig geändert? Versteht ihr nicht, worum es sich handelt? Ich möchte zuletzt dringendst empfehlen, den vorigen Beschluss so schnell wie möglich rückgängig zu machen und eine große Zahl Freiwilliger, vielleicht auch ehemalige Beteiligte, sofort nach Israel zurückzusenden.“ Joël Dorkam (Kibbuz Tsuba, Israel), Sofort nach Israel, in: zeichen 1/1991, S. 28.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

241

„Letzten Mittwoch rief ich im Berliner Hauptquartier von ‚Aktion Sühnezeichen‘ an und fragte, ob angesichts der allerletzten Drohungen von Saddam Hussein, Israel zu vernichten, man vielleicht zu einer Demo unter

densbewegung aktiv ist, so wenig zeigt er sichtbare Verbundenheit mit

der Parole ‚Hände weg von Israel!‘ aufrufen

Israel. Freiwillige sind nicht mehr vor Ort, ein öffentliches Wort für das

möchte. Darüber, wurde mir gesagt, gäbe es

bedrohte Land wird nicht gesprochen. Die beiden Freiwilligen, die im

‚derzeit keinen Konsens‘, man berate grade über eine Erklärung, in der die Bundesregierung auf-

Februar nach Israel zurückkehren, tun das auf eigene Faust; kurz davor

gefordert werden soll, ‚alle nötigen Mittel zur

erscheint in der Jerusalem Post ein Text der Aktion Sühnezeichen – Ver-

Verteidigung Israels‘ zur Verfügung zu stellen.

fasser: Heribert Krane. Die Israelis lesen:

Dies sei bereits eine Kompromissformel, um

„In der Verpflichtung, aus der deutschen Geschichte zu lernen, hat Aktion

das Wort ‚Waffen‘ nicht verwenden zu müssen. Würde man die Bundesregierung auffordern,

Sühnezeichen (ASF) seit 1961 als Zeichen der tiefen Solidarität mit dem

Waffen nach Israel zu liefern, käme das einer

jüdischen Volk Freiwillige nach Israel entsandt. Während Israel sich den

‚Distanzierung von der Friedenspolitik‘ gleich,

Drohungen mit Massenvernichtung von Seiten des Irak ausgesetzt sieht,

wäre Verrat an dem Prinzip ‚Frieden schaffen

bekräftigt ASF seine Verpflichtung gegenüber Israel und seinem Recht, in

ohne Waffen‘, für die Friedensbewegung entstünde schwerer Schaden. Dagegen, so dachte

gesicherten Grenzen zu existieren. Angesichts der tödlichen Bedrohung ver-

ich, sind die Schäden, die in Israel durch die

urteilt ASF Versuche, Israel Konfliktlösungen aufzuzwingen, die die Reali-

irakischen Raketen entstehen, von minderer

tät im Nahen Osten außer Acht lässt. Deshalb fordert ASF nachdrücklich die

Bedeutung, und hängte beruhigt wieder ein.“

Bundesregierung dazu auf, Israel alle notwendigen Mittel zur Sicherung

Henryk Broder, „Gestern Berlin, heute Bagdad“. Szenen aus der deutschen Etappe, in: Hamburger

seiner Verteidigung anzubieten und fordert eine Strafverfolgung all der-

Rundschau, 7.2.1991 (Übersetzung eines Artikels aus

jenigen Deutschen und derjenigen Firmen, die beim Aufbau der irakischen

der Jerusalem Post vom 4.2.1991).

Kriegsmaschine geholfen haben. Zusammen mit den Menschen in Israel hofft ASF, dass dieser Krieg bald enden möge, jedoch nicht bevor Iraks Fähigkeit zur Produktion von Massenvernichtungswaffen zerstört ist.“404 Bei der Mitgliederversammlung im April 1991 wird auch Heribert Krane sich für die Initiative entschuldigen: Der Text war mit dem Vorstand nicht abgestimmt – und wäre dort auch nicht verabschiedet worden. Denn weder über Waffenlieferungen nach Israel noch über die Ablehnung eines Waffenstillstands ist im Verein Konsens zu erzielen. Der erste internationale Konflikt nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung überfordert Aktion Sühnezeichen. Ein Versuch, Konzepte des „Pazifismus“ und Alternativen zum Militär zu diskutieren, wird am Vorabend der Mitgliederversammlung 1991 auf einem Podium unternommen, auf dem die Hauptamtlichen Heribert Krane und Jo Rodejohann, der Theologe Martin Stöhr und die ehemaligen Mitarbeiter Volkmar Deile und Andreas Zumach den alten Slogan vom „Frieden schaffen ohne Waffen“ neu durchdeklinieren.405 Doch noch ein Jahr später können sich die Mitglieder in der Frage, ob Waffenliefe-


242

„1. Ganz Israel liegt im arabischen Bereich. Alle Freiwilligen dort werden – egal in welchem Projekt sie arbeiten – mit der Situation der

rungen nach Israel befürwortet werden sollen, nur darauf einigen, dass zurzeit keine Einigung möglich ist.406 In der Folge verdrängen Struktur-, Finanz- und Personalfragen bis auf Weiteres die Friedenspolitik von der Tagesordnung des Vereins. In Israel indes scheint Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zunächst besser wieder anknüpfen zu können als befürchtet. Das 30-jährige Jubiläum der Arbeit im Land wird im Herbst 1991 mit einer Vorstandsreise und einem Themenheft der Zeitschrift zeichen gefeiert, auf dessen Titel froh und deutlich ein Zitat prangt: „Gut, dass ihr hier seid“.

arabisch-palästinensischen Minderheit konfrontiert. 2. Grenzen und Möglichkeiten der ASFProjektpolitik in Bezug auf die arabischpalästinensische Minderheit bestimmten nicht wir, sie hängen von der Gesamtentwicklung des jüdisch-arabischen Konfliktes ab. 3. ‚Arabische Projekte‘ können so weit integraler Bestandteil der ASF-Freiwilligenarbeit in Israel werden, wie die arabisch-palästinensische Bevölkerung integraler Bestandteil Israels ist und sein wird.

Heribert Krane allerdings kratzt beharrlich an der vermeintlichen Si-

4. Geschäftsgrundlage für die weitere Gestaltung

cherheit, mit der der Verein seine Arbeit in arabischen Projekten fort-

der Projektarbeit mit der arabisch-palästinen-

setzt. Vielen alten Freunden sei diese Arbeit eine „permanente Provokation“, schreibt der Länderbeauftragte vor Ort im März 1993 und betont die seiner Ansicht nach negativen Folgen dieser projektpolitischen Linie: „Fakt ist, dass ASF sich in Israel selbst isoliert hat und weiter isoliert.“407 Er empfiehlt eine Unterbrechung. Der Vorstoß führt zu heftigen Debatten unter ehemaligen wie aktuellen Freiwilligen, unter Hauptamtlichen, Vereinsmitgliedern und dem ehrenamtlichen „Israel-Arbeitskreis“. Im September 1994 beschließt der Vorstand eine neue Auslegung der alten Linie. Die Zusammenarbeit mit arabischen Partnern soll nicht eingestellt werden, bis auf Weiteres sollen aber keine Freiwilligen mehr in ausschließlich arabischen Projekten arbeiten, sondern nur in Verständigungs- und Sozialprojekten, die von Juden und Arabern gemeinsam verantwortet werden. Bestandteil des Freiwilligen-Curriculums sollen außerdem Besuche und Gespräche in arabischen Orten bleiben. Erst im Jahr 2006 wird der Vorstand die Diskussion um isolierte arabische Projekte wieder aufgreifen. Neben dieser Infragestellung der Arbeit im „arabischen Bereich“ hatte der Golfkrieg noch eine zweite konkrete Auswirkung auf die Projektpolitik von ASF: Seit den neunziger Jahren arbeiten fast alle IsraelFreiwilligen in „Kombi-Projekten“: Sie verbinden die Arbeit mit Überlebenden mit einem anderen Einsatz im sozialen, historisch-politischen oder Verständigungsbereich. Der Ausbau der Kontakte zu Holocaust-

sischen Bevölkerung bleibt die deutliche politische und theologische Positionierung von ASF zum Existenzrecht Israels als jüdischer Staat. 5. Selbst wenn die eigenen Argumente und Positionen als in sich schlüssig und richtig erscheinen, kann ASF über Empfindungen und Meinungen von KritikerInnen der Arbeit nicht hinwegsehen, besonders nicht, wenn sie von Schoa-Überlebenden kommen. 6. Die durch den Vorstandsbeschluss von 1994 definierten Möglichkeiten der Begegnung und Kooperation mit arabischen Freundeskreisen, Organisationen und Institutionen sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft.“ Bernhard Krane, ASF-Projektpolitik und der ‚arabische Bereich‘ in Israel. Vorlage für ASFVorstandssitzung 21.12.2006, Papier vom 17.12.2006, Büro ASF.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

243

„Das Geschehen im Nahen Osten bleibt nicht ohne Rückwirkungen auf die Situation in Deutschland. Ungeachtet des besonderen historischen Hintergrunds des deutsch-israelischen Verhältnisses kommt es immer wieder zu

Überlebenden übersetzt die „Solidarität mit dem jüdischen Volk“ noch

Israel-feindlichen Äußerungen. Es häufen

einmal neu in die Projektlandschaft.

sich Aussagen deutscher Politiker, welche die Grenze zwischen differenzierter Israelkritik und antiisraelischen bzw. antisemitischen

Ein Rückruf aller Freiwilligen ist bislang nicht noch einmal ernsthaft erwogen worden, auch wenn in der Region weiterhin keine Entspan-

Positionen deutlich überschreiten. Es zeigt sich

nung in Sicht ist. Einzelne Freiwillige sind abgereist, etwa im Rahmen

in manchem Statement, dass hier der Konflikt

der zweiten Intifada ab Herbst 2000, die Entscheidung ist jeder und je-

im Nahen Osten zum Blitzableiter eigener

dem freigestellt. Steinerner Zeuge des Willens zum Bleiben und Wirken

Geschichtsbearbeitung wird. Eine gängige Formulierung in der deutschen

ist das „Beit Ben Yehuda/Haus Pax“. Zwischen 1996 und 2004 ist die alte

Diskussion ist es, die Palästinenser als ‚Opfer

Länderzentrale restauriert und um ein Gästehaus erweitert worden, so

der Opfer‘ zu bezeichnen. Wir lehnen diese

dass sie jetzt als Internationale Jugendbegegnungsstätte dienen kann.

Kategorie auch im übertragenen Sinne ab, da die schematische Einteilung in Täter und Opfer die komplexen regionalen Machtverhältnisse sowie historische und politische Konstellati-

Zu ergänzen bleibt, dass die Israel-Arbeit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste mehr ist als ihre Arbeit in Israel.

onen außer Acht lässt. Die Opfer der national-

Freiwillige in sozialen oder Bildungseinrichtungen knüpfen ein Netz

sozialistischen Vernichtung in einen Kontext

jüdischer Projekte quer durch die verschiedenen Einsatzländer der ASF.

mit den Opfern der israelischen Besatzung zu setzen, suggeriert eine Analogie und bedeutet

Neben der täglichen Arbeit dort und in Israel und gespeist aus ihren Be-

eine Relativierung des Holocaust, die eher auf

gegnungen und Erfahrungen, kommt bei Aktion Sühnezeichen mehr

eigene Verdrängungsmechanismen denn auf

und mehr die theologisch-politische Analyse zu ihrem Recht.

wirkliche Analysen aufbaut. Eine weitere unreflektierte, aggressive Reaktion auf den Nahostkonflikt zeigt sich in den

Unter Christen und Deutschen klagt die Organisation verantwortliches Reden über Israel ein. Mit Predigthilfen und anderen Publikatio-

jüngsten antisemitischen Anschlägen in Euro-

nen erhebt sie im christlich-jüdischen Gespräch die Stimme. Die Sor-

pa. Politische Äußerungen zum Nahostkonflikt

ge um die Sicherheit Israels bietet Ausgangspunkt und Maßstab für

müssen – wollen sie einen ernsthaften Beitrag

friedenspolitische Einwürfe. Stellungnahmen zum 9. September 2001,

zur Befriedung des Konflikts leisten – den sensiblen Kontext berücksichtigen, in dem sie

zum Irakkrieg und im Juni 2002 anlässlich der Verhärtungen in Nahost

rezipiert werden, und vermeiden, vorhandene

setzen differenzierte Argumente gegen Verdrängungen und Projektio-

Ressentiments zu stärken.“

nen, sie eruieren Alternativen zur verstärkt wahrzunehmenden Milita-

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste, Warnung vor

risierung von Konflikten.

Stellvertreterstreit um Nahostkonflikt. Erklärung des Vorstands zur aktuellen Situation in Israel und Palästina, Erklärung vom 12.6.2002: www.asf-ev. de/aktuell/020612.shtml

Deutsch, europäisch, international: Wie weiter im 21. Jahrhundert?

„Mut machen in miesen Zeiten“, spöttelt im März 1993 die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung.408 Aktion Sühnezeichen Friedensdienste erhält in diesem Jahr die Buber-Rosenzweig-Medaille des Koordinierungs-


244

„Die Perspektive der ASF-Arbeit liegt nach unserer Ansicht in der Freiwilligenarbeit auf europäischer Ebene. Das bedeutet die Ausdehnung von langfristigen Freiwilligendiensten

rates für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit als Würdigung ihres

auf osteuropäische Länder, und das heißt

35-jährigen Engagements in Ost und West. „Die Aktion Sühnezeichen

Austausch von Freiwilligen, und zwar gerade

ermöglicht durch ihre Arbeit tiefere Einblicke in die Geschichte des Antisemitismus und der Fremdenfeindlichkeit; sie vermittelt ein geschärftes Bewusstsein für die spezifische Verantwortung junger Deutscher“, heißt es in der Urkunde.409 Das klingt gut – und damit sehr anders als das meiste, was in diesen Monaten über den Verein zu lesen ist. Eine „Ironie der Geschichte“ sieht denn auch die Allgemeine Jüdische

zwischen Ost und West. Das zentrale politische Problem, mit dem wir es in Europa gegenwärtig und noch auf lange Zeit zu tun haben werden, ist die Integration Europas, die mit dem Aufbau einer marktwirtschaftlichen, demokratischen und sozial gerechten Ordnung einhergehen muss. Gegenwärtig findet der Integrationsprozess

Wochenzeitung: Die Auszeichnung zum jetzigen Zeitpunkt mache „die

gesellschaftlich im Wesentlichen zwischen den

Pleite erst richtig publik“.

politischen, wissenschaftlichen und kulturel-

Und Sühnezeichen ist pleite, sogar in mehrerlei Hinsicht: Zur Fortsetzung der Arbeit fehlt eine gute halbe Million Mark; es fehlt ein Konzept und öffentliches Vertrauen. Seit Anfang 1992 assoziieren auf-

len Eliten der beteiligten Länder statt, während es in anderen Bereichen eher entgegengesetzte Entwicklungen in eigentlich allen europäischen Gesellschaften gibt, nämlich wachsende

merksame Leserinnen und Leser der kirchlichen wie der allgemeinen

Fremdenfeindlichkeit und Rassismus.

Presse mit dem Kürzel ASF vor allem Schlagworte wie „Finanzloch“,

Um den Kern eines solchen Freiwilligendiens-

„Stellenabbau“ oder gar „drohendes Aus“. Innerhalb von neun Monaten,

tes auf europäischer Ebene könnten bei ASF stärker thematisch orientierte Arbeitsbereiche

zwischen Ende April 1992 und Januar 1993, finden vier Mitgliederver-

gruppiert werden, die in und mit dem Netz-

sammlungen statt. Anfang 1993 tritt Klaus Geyer vom Vorsitz zurück

werk von Projekten [...] arbeiten, das über

und legt in einem fatalistischen Brief an die EKD die Auflösung des Vereins oder seine Überführung in kirchlichen Bestand nahe. Langjährige

Projekte, in denen Freiwillige tätig sind, in Europa entsteht. Damit würde ASF zum Aufbau einer europäi-

Mitarbeiter kündigen. Eine „Grundsatzkommission“ aus Angestell-

schen Zivilgesellschaft beitragen als einem de-

ten und Mitgliedern erarbeitet ein Verschlankungskonzept, das beim

mokratischen Gegengewicht zu den Brüsseler

versammelten Verein nicht ankommt. Ein externer Wirtschaftsprüfer

Bürokratien.“

wird hinzugezogen. Auch der Ökonom schreibt ASF ins Stammbuch,

Jörg Lüer, Kai Struve (Vereinsmitglieder und ehemalige Polen-Freiwillige), Zur Krise und Perspektive

was eigentlich alle wissen: Ein „ideell tätiger Verein“ brauche eine

von ASF, in: Forum. Rundbrief für die Mitglieder

„Identifikation der dort Tätigen mit dem Vereinsziel. Solange dieses Ziel

und den Freundeskreis der Aktion Sühnezeichen

nicht formuliert ist [...], wird eine dauerhafte Gesundung des Vereins

Friedensdienste 56/Juni 1992, S. 9 f., hier S. 10.

nicht möglich sein.“410 Mit anderen Worten: Was als Finanzkrise erscheint, ist im Kern eine Sinnkrise. Dass die Grundidee ihre Attraktivität nicht verloren hat, zeigt die neue Medaille ebenso wie die Diskussions- und Spendenbereitschaft zahlreicher alter Freunde. Wieder einmal aber muss sie in eine neue Situation übersetzt werden: Die Überlebenden und Zeugen der natio-

„Man kann doch nicht Autofahren, indem man dauernd in den Rückspiegel guckt!“ „Ihr kommt doch nur hier her, um euer Problem mit eurer eigenen Geschichte zu lösen ... mit uns Franzosen hat das nichts zu tun ...!“ „Welch ein unangenehmes und ungesundes Schuldgefühl!“ „Kinder können weder stellvertretend für ihre Eltern oder Großeltern verzeihen oder um Verzeihung bitten oder auch sich mit irgendjemand versöhnen, das ist doch unmöglich ... deshalb ist es sehr fragwürdig, von Versöhnung zu reden, was mir möglich und nötig zu sein scheint, ist der Versuch der Verständigung vor


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

245

dem Hintergrund einer leidvollen Geschichte, sensibles und intelligentes Verhalten im anderen Land ...“ „Die Deutschen neigen eben immer zur Hypokrisie, große Worte und nichts dahinter ... das

nalsozialistischen Verbrechen sterben, die Ost-West-Konfrontation

ist doch viel zu prätentiös, was ihr da macht ...“

tritt zurück, Europa rückt zusammen, neue internationale Konflikte

„Ach, ihr Deutschen mit euren Bestrafungs-

fordern neue friedenspolitische Argumente.

wünschen, müsst ihr uns immer noch damit belästigen, diese alten Geschichten interessieren doch niemand mehr ... aber sag doch mal,

Die Pressemitteilung, mit der das Krisenjahr 1993 endet, wirkt da wie

wie läuft das mit Freiwilligen, die mit ASF nach

eine Flucht nach vorne. Im November erklärt der Vorsitzende Manfred

Frankreich kommen ...“

Karnetzki im Namen der Mitgliederschaft:

Zitate von Franzosen nach Jörg Eschenauer, Was heißt für mich „Aktion Sühnezeichen/Friedensdiens-

„ASF will aufgrund jahrelanger Zusammenarbeit mit ausländischen, insbe-

te“?, Papier zur Hauptamtlichen-Klausur, April

sondere europäischen Partnern von Amsterdam bis St. Petersburg den inter-

1987, EZA 97/1920.

nationalen Austausch von Freiwilligen fördern und damit die eigene Arbeit bewusst in den Horizont eines Europas stellen, das über die EG-Grenzen

„Natürlich ist die Vermittlung schwer und wird mit der Zeit nicht leichter, wer aber, wenn nicht ASF, soll sie wagen? Den Freiwilligen, die sich zu einem Dienst mit ASF melden, ist gerade dies zu vermitteln. Diese Vermittlung erfordert ein intensives Eingehen auf die

hinausgeht. So kann im Rahmen dieser Internationalisierung gerade die Osteuropa-Arbeit von ASF (besonders in Polen, Weißrussland und Russland sowie in Tschechien) besonders wichtig werden.“411 Dies ist die erste offizielle Absichtserklärung des Vereins Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zur programmatischen Erweiterung seiner

Freiwilligen, ihre Fragen, ihre Sichtweisen. Sie

Freiwilligenarbeit. Neben das klassische unilaterale Modell – junge

erfordert pädagogisches Engagement, vom

Deutsche im Ausland, begleitet von deutschem Seminarprogramm –

Verein entsprechende personelle und materielle

sollen Einladungen an ausländische Freiwillige nach Deutschland und

Ausstattung. Sie ist aber nicht durch Themen zu ersetzen, die bei der jeweiligen Freiwilli-

gemischte Gruppen in den Gastländern treten.

gengeneration ‚dran‘ sind. Das Übersetzen der

Nicht, dass es Ansätze zu Gegenseitigkeit und Austausch nicht be-

Versöhnungsaufgabe in die Lebenswirklichkeit

reits gegeben hätte: Seit den Siebzigern waren ab und an vor allem

der jeweiligen Freiwilligen bleibt Aufgabe ASFs,

US-amerikanische Freiwillige zu Sühnezeichen nach Deutschland ge-

nicht ihre Abschaffung zugunsten jeweils aktueller Fragestellungen.“

kommen. Finanziell beteiligten sich mehr und mehr Projekte an der

Margarete von Trotha, Gerhard Steidl, Günter Rein-

Mitarbeit ihrer deutschen Freiwilligen. Die Sühnezeichen-Häuser in

both, Jürgen Pieplow, Dieter Nowak, Hans-Richard

Jerusalem und Auschwitz wurden explizit der internationalen Jugend-

Nevermann, Johannes Müller, Helmut Morlok,

begegnung gewidmet. Die Freiwilligen selbst förderten die Vernetzung

Franz von Hammerstein, Werner Falk, Günther Berndt, Wolf Jung, Zur Situation von ASF – Brief an

ihrer Arbeit durch länderübergreifende Seminare zu Themenfeldern

die Mitglieder, Januar 1993, EZA 97/971.

wie Flüchtlingsarbeit (1991) oder „Ethnische und religiöse Minderhei-

„Wie von ASF erwartet und etwa in den Bewer-

ten“ (1992), zu denen auch Experten aus der Projektlandschaft eingela-

bungsunterlagen nahe gelegt, wird [der] Zu-

den waren. Und nicht zuletzt bei den Sommerlagern der ASZ galt seit

sammenhang zwischen nationalsozialistischen Verbrechen und sozialer Arbeit wohl von den

langem: „International ist ganz normal.“412

meisten Freiwilligen in der Bewerbungsphase

Und doch war das Stichwort „Internationalisierung“ das Sühnezei-

nachvollzogen. Für andere Gründe scheint sich

chen-Reizwort der neunziger Jahre, denn es berührte das Selbstver-

der Verein nicht besonders zu interessieren. Während der Dienstzeit jedoch, unter den alltäglichen Anforderungen des Projekts, wirkt oben erwähnter Zusammenhang oft konstruiert. Gesellschaftliches Engagement lässt sich heute oft überzeugender mit humanitären Idealen begründen.


246

Ein großes Problem für uns als Freiwillige ergibt sich aus der Vorgabe von ASF, unseren Dienst als Zeichen der Sühne zu empfinden.

ständnis der Organisation im Kern. Zur Debatte stand wieder einmal die Gegenwartsrelevanz des Nationalsozialismus: Welche Rolle spielt „Auschwitz“ für heutiges Engagement, welche Rolle spielt Deutschsein? Der Streit um diese Fragen war zugleich ein Test für die Entscheidungsstrukturen des Vereins: Welches Gewicht haben Erfahrung und Ansprüche der Freiwilligen? Massiv brachten nämlich die Jungen ihre Sicht auf den Vereinszweck ein. „Wir sind der Meinung, dass jeder Mensch ein Recht auf Bildung und einen Freiwilligendienst in einem anderen Land hat, um daraus für

Auch wenn Sie sich viel Mühe geben, den Sühnebegriff für uns, die wir der Enkelgeneration angehören, vertretbar zu formulieren, können wir uns nicht mit ihm identifizieren. Das Wort ‚Sühne‘ steht nun mal im Sinnzusammenhang mit Schuld. Müssen wir denn mit der Verantwortung auch die Schuld übernehmen? Es gibt eine auffällige Diskrepanz zwischen der ASF-Theorie und der praktischen Arbeit. Die Auswahl der ASF-Projekte zeigt, dass der Verein sich mit den Problemen der Gegenwart auseinander setzt. Wir begrüßen, dass ASF

sich aus der Vergangenheit zu lernen“, erklärten soeben zurückgekehr-

sich entschlossen hat, Jugendlichen aus dem

te Freiwillige im August 1996.413 Weniger zimperlich formulierten ihre

europäischen Ausland einen Freiwilligendienst

Gedenkstätten-Kollegen in Deutschland:

in Deutschland anzubieten. Hier zeigt ASF, was wir auch in unseren Projekten täglich erleben:

„Haben deutsche Jugendliche mehr zu ‚sühnen‘ als ihre französischen, pol-

dass die Theorie der praktischen Arbeit des

nischen, ungarischen, norwegischen und niederländischen Altersgenossen,

Vereins hinterherhinkt.

haben sie einfach ‚qua Staatsangehörigkeit‘ eine Schuld abzutragen, die 35

Wir wollen weg von konstruierten Zusammen-

Jahre vor ihrer Geburt andere auf sich geladen haben? Vorsichtig wurde auf

hängen! Wir möchten, dass die Unstimmigkeit zwischen ASF-internen Deutungen zentraler

unserem (internationalen) Länderseminar Anfang Mai 1996 in Hamburg-

Begriffe wie dem der Sühne und den allgemein

Neuengamme die Frage aufgeworfen, ob dies nicht eine neue Form von Fa-

üblichen Definitionen aufgehoben wird.“

schismus sei, wenn ‚Sühne‘ zu einem ‚Exklusivrecht‘ der Deutschen werde, das Freiwillige aus dem Ausland ausgrenzt. Ein Freiwilliger sprach sogar von einer Fortführung einer ‚Blut-und-Rasse-Ideologie‘.“414 Das eigene Engagement konnten diese Kinder der siebziger Jahre leichter von universellen Menschenrechten ableiten als von deutscher Schuld. Noch ein paar Jahre später spitzte ein Freiwilliger fröhlich zu: „Unbegrenztes Sühnen verhindert normale Beziehungen.“415 Hier geht es nicht einfach – wieder einmal – um begriffliche Verständigungsschwierigkeiten oder um jugendlich aufbrausenden Theoriefrust. Auch die Frontstellung „Moderne versus Beharrung“ greift zu kurz, will man die Diskussionen um die neue Zweigleisigkeit beschreiben. Gerungen wird um nicht mehr und nicht weniger als um adäquate Formen von historisch verantwortetem zukunftsorientierten Handeln, um praktische Geschichtspolitik. Skeptiker der Ausweitung tragen – neben pragmatischen Einwänden den schlichten Arbeitsumfang betreffend – ernste inhaltliche Be-

Offener Brief an den Vorstand (ohne Verfasser und Datum), in: Expi (Rundbrief der FrankreichFreiwilligen) Juni 1998, Büro ASF.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

247

Die ersten Schritte in umgekehrter Richtung waren steinig. Die Kanadierin Lynne Fallwell, die noch vor dem offiziellen Pilotprojekt in Dachau arbeitete, und Dominique Baldassare, der als französischer Kriegsdienstverweigerer

denken vor. Sie sehen Sühnezeichen nicht nur in der Gefahr, sich ohne

an der Umsetzung dieses Projektes mitwirkte,

historische Tiefenschärfe in der Beliebigkeit guter Taten zu verlieren.

berichten 1996:

Überlegungen zu einer Öffnung und Übertragung der bisher deut-

„Wie schwierig ein solcher Prozess ist, kann ich aus eigener Erfahrung schildern. Während

schen Programme in einen internationalen Kontext könnten politisch

meiner Arbeit und dem Besuch verschiedener

geradewegs kontraproduktiv wirken, lautet eine weitere Befürchtung.

Veranstaltungen im Gedenkstättenbereich bin

Israel-Referent Bernhard Krane skizziert das erinnerungspolitische Kli-

ich vielen Vorurteilen, Stereotypen und auch

ma, in das das Verlangen nach einem (vermeintlich) „befreienden Para-

offener Ablehnung begegnet. ‚Was kannst du schon von unserer Geschichte wissen?‘ ‚Wir

digmenwechsel“ bei Sühnezeichen stößt:

wollen keine Nichtdeutschen in unserer Orga-

„Bei weitem nicht nur rechtsextreme oder national-konservative Kreise er-

nisation!‘ ‚Du unterläufst die Ziele von ASF!‘

liegen der Versuchung, sich durch Verdrängen oder Ignorieren kollektiv er-

‚Du bist rufschädigend für ASF!‘“

leichtern zu wollen. Deutsche Sehnsüchte nach einem ‚Ende der Sonderrolle‘

Lynne Fallwell, Gestörte Verbindung. Erste ausländische Freiwillige in der Gedenkstätte Dachau, in:

entwickeln sich rasant vielerorts und berufen sich dabei meistens auf ein

zeichen 1/1996, S. 14.

vermeintliches ‚Ende der Nachkriegszeit‘. Forderungen nach einem ‚Ende

„Bevor ich meinen Dienst anfing, was es für

der Schonzeit‘ für Juden und Israel korrespondieren mit diesem Wunsch

mich selbstverständlich, dass Ausländer bei

nach einem befreienden Schlussstrich, der sich parteipolitisch nicht eindeu-

ASF auch ihren Platz haben. Gerade weil es mir am Anfang meines Dienstes von einigen

tig zuordnen lässt.“416

Freiwilligen im ablehnenden Ton gesagt

Nichts wollen freilich die Pioniere der Internationalisierung bei ASF

wurde: ‚Du bist kein Sühner, was machst du

weniger, als jenen Berufs-, Feuilleton- oder Stammtischpolitikern in

hier‘, habe ich begriffen, dass man an einer

die Hände zu spielen, die sich der unliebsamen Vergangenheit endlich

Zweigleisigkeit von ASF intensiver arbeiten muss, um solche Widersprüche innerhalb des

entledigen wollen. Als im August 1996 das Pilotprojekt „Einladung von

Vereins zu vermeiden. Bedeutet das Sühnen

Freiwilligen aus Partnerländern in die Bundesrepublik“ mit einer fran-

für die Verbrechen des Nationalsozialismus,

zösischen Freiwilligen in der Gedenkstätte Buchenwald startet, stellen

Ausländer von ASF auszugrenzen? Sollte ASF

es die Referenten Joachim Rasch, Brigit Scheiger und Regine Schröer in

vielleicht Bewerbungen von homosexuellen oder jüdischen Freiwilligen ablehnen? Sühnen

eine klare Linie zum Kreyssigschen Gründungsimpuls. Von „Brücken

deutsche Freiwillige heute, weil sie deutsch

über Blut und Asche“ hatte in den Anfangsjahren der Aktion Ansgar Skri-

sind oder weil der Nationalsozialismus aus

ver geschrieben, und es sind immer noch diese Brücken, die nun, so die

Deutschland kam?“

Referenten in einem Grundsatzartikel im zeichen, von beiden Seiten aus

Dominique Baldassare, Als Franzose bei ASF. Aus der Geschichte lernen auf aktive Art und Weise, in: zeichen 2/1996, S. 20.

begehbar werden sollen. Denn als Schuldzusammenhang trennt die Geschichte des Nationalsozialismus die Deutschen von anderen Völkern, als gemeinsamer Erfahrungsraum und Resonanzboden ist sie verbindend: „Die unversöhnten Verhältnisse, in denen wir leben, und die Bedrohungen für Menschenrechte und Demokratie, denen wir uns gegenüber sehen, sind heute nicht mehr wesentlich national gebunden. Sie überschreiten die Grenzen. Wenn wir an diesen Verhältnissen ethisch verantwortlich und po-


248

„Für die deutschen Freiwilligen wird das Thema Erinnerung an den NS [Nationalsozialismus; G.K.] neu und spannend, weil Franzosen Fragen

litisch wirksam arbeiten wollen, müssen wir lernen, wirklich als Partner zusammenzuarbeiten. Bei diesem Versuch werden wir auf Hindernisse stoßen – Hindernisse, die aus der gemeinsamen, doch nicht gleichwertigen Geschichte stammen und die im Heute wirksam werden. Und deshalb werden wir uns zusammen mit unseren Partnern der Geschichte, unserer jeweiligen

stellen, die sie zum Teil nicht erwartet haben. So sind Franzosen über den NS als totalitäre Ideologie im Zusammenhang mit dem VichyRegime informiert, wissen aber kaum etwas über die Situation in Deutschland, die die Bedingungen für den NS ermöglichte, die Rolle des deutschen Widerstandes etc.

Geschichte und Bildern von uns und den anderen stellen müssen und die ver-

Franzosen wie Deutsche bewegt die Sorge um

schlungenen Wege des kollektiven Gedächtnisses ausleuchten.“417

aktuelle Probleme wie den Rechtsextremismus,

Die Begegnung mit anderen Nationalitäten schult die Fähigkeit, vom Anderen her zu denken und die eigene Herkunft auch mit fremden Au-

der unterschiedliche Auswirkungen und Hintergründe in beiden Ländern hat. Die Analyse der Europäischen Charta des französischen

gen zu sehen. Die bisherige Seminarstruktur bietet den ASF-Freiwilli-

rechtsextremen ‚Front National‘ für Jugendli-

gen dafür allerdings wenige Anstöße, sind die Gruppen doch eine Art

che zum Beispiel anlässlich der Wahlen zum

„deutsche Lerninseln im Gastland“418. Bei der Mitgliederversammlung im Jahr 2000 stellen die Referentin-

Europaparlament ermöglichte den Vergleich der Argumentation vor der Analyse des nationalen Hintergrundes.“

nen Andrea Koch und Regine Schröer deshalb zwei Modelle vor, durch

Regine Schröer, ASF-Zukunftsprofil ab 2000:

die Freiwillige eine Sensibilität dafür entwickeln sollen, „wie stark

Umgang finden mit der Veränderung nationaler

(NS-)Geschichte nationale und persönliche Identitäten prägt“. Ab sofort richten sich – zunächst in den GUS-Staaten und Israel, die Fran-

Zusammenhänge durch multilaterale, interkulturelle und interreligiöse Fragestellungen, Vorlage zur Klausurtagung am 15.9.1999, Büro ASF.

zosen haben bereits einen Erfahrungsvorsprung – die begleitenden Seminare nicht mehr nur an die deutschen Freiwilligen, sondern auch an Gleichaltrige aus den jeweiligen Ländern. „Erinnerungen, Identitäten, Engagement“419 – dem inhaltlichen Dreiklang der Internationalisierung entspricht eine dreifache Öffnung des Programms. Zur Einladung ausländischer Freiwilliger und zum binationalen Dialog auf den Länderseminaren tritt im Herbst 2001 ein erster trilateraler Austausch in Großbritannien. Die Gruppe der ASFFreiwilligen, die für zwölf Monate über den Ärmelkanal reist, besteht zur Hälfte aus deutschen, zur Hälfte aus polnischen Jugendlichen. Einige von ihnen werden als polnisch-deutsche Tandems in Projekten ein-

Überblick: ASF-Projekte in Europa, Israel und den USA USA: Arbeit mit Obdachlosen, ethnischen Minderheiten, in Friedens- und Bürgerrechtsinitiativen, in der Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit, offene Altenarbeit mit jüdischen Überlebenden, Bildungs- und Erinnerungsarbeit (z.B. im U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington) Großbritannien: Bildungs- und Erinnerungsarbeit (z.B. Wiener Library), Stadtteilzentren, Arbeit mit älteren Menschen, mit Obdachlosen, mit Menschen mit Behinderungen und psychi-

gesetzt; alle treffen sich zu regelmäßigen Seminaren, an denen zudem

schen Krankheiten und mit Roma. Sommerla-

junge Briten teilnehmen. Der Austausch verspricht spannend zu wer-

ger: soziale Projekte

den, freut sich die Länderbeauftragte Anne Katrin Scheffbuch, denn: „Die drei Länder sind grundverschieden und doch durch vielfältige Beziehungen miteinander verbunden. Das Königreich, das eigentlich nicht zu Europa gehören will, die Beitrittskandidatin, die den Blick nach vorne dem in die

Frankreich: Offene Altenarbeit, Arbeit mit Obdachlosen und Menschen mit Behinderungen, Antirassismus- und Flüchtlingsprojekte, Bildungs- und Erinnerungsarbeit. Sommerlager: Mithilfe in der Landwirtschaft, Pflege eines jüdischen Friedhofs Belgien: Arbeit mit Menschen mit Behinderungen, Flüchtlingen und sozial Benachteiligten (z.B. Seemannsmission Antwerpen), offene Arbeit mit älteren Menschen, Bildungs- und Erinnerungsarbeit (z.B. im Jüdischen Museum für Widerstand und Deportation, Mechelen).


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

249

Sommerlager: Pflege jüdischer Friedhöfe in Belgien, Frankreich und Luxemburg Niederlande: Arbeit in Antirassismusinitiativen, mit Flüchtlingen und MigrantInnen, Stadtteilarbeit, Arbeit in Auffanghäusern und

Vergangenheit vorzieht, und das wiedervereinte und in seinem Selbstbild so

mit Drogenabhängigen, Bildungs- und Erinne-

uneine Deutschland. Das Land der ‚Täter‘, das Land der ‚Tatorte‘ und das

rungsarbeit (z.B. in der Anne Frank Stiftung in

Land der ‚Befreier‘.“420

Amsterdam) Norwegen: Arbeit mit älteren Menschen in der

Wo schon jede längere Auslandserfahrung die Selbstreflexion fördert,

Jüdischen Gemeinde Oslo, in Stadtteilzentren

potenziert das gezielte Zusammentreffen dreier Nationalitäten den Er-

und in »Folkehögskolen« (internatsmäßigen In-

kenntnisgewinn – und damit die Handlungskompetenz.

tegrationsschulen) mit behinderten und nicht behinderten SchülerInnen Deutschland: Mitarbeit in Gedenkstätten, dem

Die ersten Durchläufe überzeugen. Die Internationalisierung der Arbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste erweist sich als be-

American Jewish Committee und der Jüdischen

flügelnder Impuls für den gesamten Verein. Anfängliche Zögerlich-

Gemeinde zu Berlin, Arbeit mit sozial Benach-

keit – der Vorstand etwa hatte darauf gedrängt, die „Möglichkeit eines

teiligten und Menschen mit Behinderungen

Rückbaus“ offen zu halten 421 – weicht einem expliziten Bekenntnis zur

sowie älteren Menschen und NS-Überlebenden. Sommerlager: Pflege von Gedenkstätten, soziale Projekte, Begegnungsprojekte, Kreativworkshops Tschechien: Arbeit in der Gedenkstätte Theresienstadt, Begleitung älterer Menschen in den jüdischen Gemeinden in Prag und Brünn,

Öffnung. Und ein knapp vierjähriger Organisations- und Szenarioentwicklungsprozess wird optimistisch beendet: „Grundsätzlich soll ASF wachsen“, beschließt die Mitgliederversammlung im April 2004.422 Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung vermittelt Aktion Sühnezeichen rund 180 Freiwillige jährlich in Projekte in Europa, Israel und den USA –

Stadtteilarbeit in einem Projekt für Roma-

das sind doppelt so viele wie noch zur Jahrtausendwende. Freiwilliges

Kinder, Flüchtlingshilfe. Sommerlager: Pflege

Engagement bei Sühnezeichen muss allerdings nicht zwölf oder 18 Mo-

jüdischer Friedhöfe, soziale Projekte

nate umfassen: Sommerlager führen internationale Gruppen für zwei

Polen: Arbeit in Gedenkstätten und in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte

bis drei Wochen zu Arbeit und Austausch zusammen. „Mittelfristige

Auschwitz/Oświe˛cim, Arbeit in Kinder- und

Dienste“ eröffnen – zunächst in Israel – eine Mitarbeit für drei bis sechs

Jugendzentren, Begleitung von Menschen

Monate. Regionalgruppen und Freundeskreise bieten nicht nur ehema-

mit Behinderungen und älteren Menschen,

ligen Freiwilligen ein politisches Betätigungsfeld; Studienreisen und

Initiativ- und Antirassismusarbeit. Sommerlager: Pflege von Gedenkstätten und jüdischen Friedhöfen, Begegnungsprojekte

Veranstaltungen, Kirchentagspräsenz und Kampagnen setzen Zeichen für den Frieden und gegen Rechtsextremismus.

Weißrussland: Arbeit mit behinderten und

Aktion Sühnezeichen will über die angestammte Zielgruppe – im

krebskranken Kindern und Jugendlichen

Wesentlichen Mittelschichtskinder nach dem Abitur – hinauskommen.

(z.B. Kinderkrebskrankenhaus Barawljany bei Minsk), Betreuung ehemaliger Zwangsarbeite-

Ältere Menschen werden genauso zur Mitarbeit aufgefordert wie jene

rInnen. Sommerlager: soziale Projekte, Begeg-

schwäbischen Azubis, denen eine zweiwöchige Hospitation in ASF-

nungen mit Menschen mit Behinderungen

Projekten in den Niederlanden, Israel und Polen Erfahrungen weit weg

Ukraine: Arbeit mit Holocaust-Überlebenden

von Muttern und Schrauben der Firma Würth ermöglicht.

und ehemalige ZwangsarbeiterInnen (z.B. im Heidelbergzentrum, Simferopol). Sommerlager: Pflege einer Gedenkstätte, Renovierung

Auch in der Politik ist die Erkenntnis angekommen, dass Staat und

von Wohnungen

Zivilgesellschaft vom Einsatz Einzelner für das Gemeinwohl profitie-

Russland: Betreuung von älteren Menschen und ethnischen Minderheiten, Erinnerungsarbeit, Versöhnungsarbeit, Flüchtlingshilfe, Mitarbeit bei Organisationen wie »Memorial«. Sommerlager: Sozialprojekte, Altenbetreuung Israel: Mitarbeit in der Gedenkstätte Yad Vashem und der Jugendbegegnungsstätte »Beit


250

Ben Yehuda – Haus Pax«, Betreuung von ShoahÜberlebenden, Arbeit mit sozial benachteiligten Kindern, Jugendlichen und Menschen mit

ren – eine Erkenntnis, die durch die sich nach und nach in allen europä-

Behinderungen sowie in jüdisch-arabischen und interreligiösen Verständigungsinitiativen.

ischen Staaten vollziehende Abschaffung der Wehrpflicht – und damit

Sommerlager: Begegnungsprojekte

des Zivildienstes – an Brisanz gewinnt.

Aus: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. (Hg.),

„Bürgerschaftliches Engagement“ wird zum Schlagwort des neuen Jahrtausends. Im Dezember 1999 setzt der Deutsche Bundestag eine En-

Der Zukunft auf der Spur. Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Ziele, Selbstverständnis, Arbeitsfelder, Berlin (ASF-Broschüre) 2006, S. 22 f.

quete-Kommission aus Politikern und Experten ein, die in zweieinhalbjährigen Beratungen „konkrete politische Strategien und Maßnahmen zur Förderung des freiwilligen, gemeinwohlorientierten, nicht auf ma-

Im Sommer 1998 lanciert die Robert-BoschStiftung den Text Jugend erneuert Gemeinschaft.

teriellen Gewinn ausgerichteten bürgerschaftlichen Engagements“423

Manifest für Freiwilligendienste in Deutschland

erarbeiten sollen. Das Jahr 2001 wird von der UNO zum „Internationa-

und Europa. Eine Kommission aus Bundestags-

len Jahr der Freiwilligen“ erklärt.

und EU-Abgeordneten hat mit Experten

Auch die Europäische Union hat die Chancen der internationalen Freiwilligendienste begriffen. Im Jahr 1996 ruft sie den „European Voluntary Service“ (EVS) ins Leben, der nach einer erfolgreichen Pilotphase zum etablierten Instrument der Förderung qualifizierten Austauschs wird. Aktion Sühnezeichen beteiligt sich von Anfang an

beraten und kommt zu dem Schluss: „Alle Jugendlichen müssen die Möglichkeit haben, sich für ein Jahr als Freiwillige zu engagieren“ (S. 7). Zur Begründung heißt es in der Broschüre: „Die Zukunft unserer Demokratie wird wesentlich davon abhängen, ob sich in Deutschland und Europa eine lebendige Zivilgesellschaft

an Programmen des EVS – und erhält von ihnen neue Impulse. Der EU

entwickelt, die das bürgerschaftliche Engage-

liegt die multilaterale Vernetzung von Projekten besonders am Her-

ment von Einzelnen sowie von Vereinigungen,

zen; ASF profitiert davon durch Treffen ihrer Freiwilligen, die sich

Organisationen und Unternehmen zur

endlich länderübergreifend über die „Arbeit mit Zeitzeugen der Geschichte“ oder die „Bekämpfung sozialer Ausgrenzung“ austauschen können. Nur schleppend allerdings wird die neue Wertschätzung des freiwilligen Engagements in konkrete Förderung umgesetzt. ASF kann ein Lied davon singen, welchen bürokratischen und ökonomischen Hemmnis-

Entfaltung bringt. Das tragende Fundament der Zivilgesellschaft ist eine funktionierende Gemeinschaft, in der Rechte und Pflichten, Geben und Nehmen zwischen allen Teilen der Gesellschaft in einem ausgewogenen Verhältnis stehen“ (S. 8). Und: „Auf dem Weg nach Europa muss jedes politische Handeln die europäische Dimension einbeziehen. Die Frage, ob Europa

sen sich gerade die langfristigen internationalen Freiwilligendienste

in zwanzig Jahren ein bürokratisches Monst-

gegenübersehen. Das Vollzeit-Engagement ohne Erwerbsabsichten

rum sein wird oder ein ziviles, demokratisches

passt in vielen Ländern in keine Schublade. Aufenthalts- und steuerrechtliche Probleme sind die Folge. Aber auch in Deutschland kämpfen die betroffenen Trägerorganisationen seit Jahren um ein Gesetz, das Versicherungs- und Statusfragen für Freiwillige regelt. Ein nur bescheidener Fortschritt war die Novelle des Gesetzes zum „Freiwilligen Sozialen Jahr“ im Jahr 2002 – ein „Freiwilligengesetz“ steht weiter aus.

und plurales Gemeinwesen, hängt davon ab, ob die Generation der heute Zwanzigjährigen zu einer Generation europäischer Bürgerinnen und Bürger wird, die Demokratie, Arbeitsmarkt und Ökologie nicht mehr im nationalstaatlichen, sondern im europäischen Rahmen denken“ (S. 10 f.). Zur Debatte um Zwangsdienste erklärt das Vorwort: „Die Frage der Jugendgemeinschaftsdienste hat in einigen unserer Nachbarländer nach der Abschaffung bzw. Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht zu einer Debatte um das Pro und Contra einer allgemeinen Dienstpflicht geführt. Die Kommissionsmitglieder haben diese Kontroverse ebenfalls geführt, ohne dass es darin zu einer gemeinsamen Position kam.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

251

Letztlich setzte sich jedoch bei den Kommissionsmitgliedern die Auffassung durch, ein klares Plädoyer für ein breites, gesellschaftlich getragenes Angebot von freiwilligen Dienstmöglichkeiten anstelle einer Dienstpflicht abzugeben“ (S. 3).

Lange bevor ein politischer und rechtlicher Rahmen für internationale Freiwilligendienste bestand, hat Aktion Sühnezeichen in der Praxis gezeigt, dass und wie sie funktionieren können. Den Bedarf an struktu-

„ASF beteiligt sich praktisch am gleichberech-

reller Verankerung in den europäischen Gesellschaften hat der Verein

tigten Dialog der Kulturen und versucht, die

dennoch immer gesehen. Nicht nur als Praktiker, auch als Lobbyist für

Wirkung des Vergangenen in den gegenwärti-

grenzüberschreitendes Engagement – sei es direkt durch Teilnahme an

gen zwischenmenschlichen und internationa-

parlamentarischen Anhörungen oder kirchlichen Kommissionen, sei

len Beziehungen aufzunehmen. Dies geschieht in der Gewissheit, dass Menschen sich in

es als Mitglied der AGDF oder der europäischen „Association of Volun-

gemeinsamer Praxis näher kommen, sich selbst

tary Service Organisations“ in Brüssel – ist ASF ein gewichtiger Akteur

und andere besser verstehen lernen, sich verän-

in der internationalen Freiwilligen-Szene geworden.

dern und dadurch Neues hervorbringen. Dieser individuelle Lernprozess ist ein unverzichtbarer Bestandteil gesellschaftlicher Entwicklung.

Die Bildersprache des Vereins ist im neuen Jahrtausend frecher und direkter geworden. Die ostdeutschen Ampelmännchen etwa sind mit

Mitwirken können alle, die diesem Handeln

Aufforderungen wie „Geh denken!“ oder „Null Toleranz für Intoleranz“

zustimmen und bereit sind, sich mit seiner

auf T‑Shirts, Buttons und Schlüsselbändern ASF-Botschafter (und

Begründung auseinanderzusetzen und sich

Fundraiser) geworden. Zum „Christopher Street Day“ 2005 nahmen sie

daran praktisch zu beteiligen. Der Begriff ‚Sühnezeichen‘ qualifiziert den Frie-

die Regenbogenfarben der Schwulen- und Lesbenbewegung an. „Geh

densdienst der ASF. Er bedeutet die konkrete,

denken! Gay denken!“ erinnerte jetzt an die Verfolgung Homosexueller

zeichenhafte Übernahme von Verantwortung

im Nationalsozialismus – mit Fotos und Biografien setzte ASF in der

für die Folgen des Nationalsozialismus,

Parade einen erinnerungspolitischen Akzent.

eröffnet die Möglichkeit, umzukehren, und begründet die Hoffnung auf eine gemeinsame,

Jungen Menschen mit Migrationshintergrund oder mit anderen

gerechtere und friedlichere Zukunft. ASF fühlt

Schulabschlüssen als dem Abitur soll mit den Materialien der Kam-

sich allen Opfern der NS-Herrschaft verpflich-

pagne „freiwilligunterwegs.org“, die ASF gemeinsam mit Eirene im

tet. ‚Sühnezeichen‘ heißt aber auch, die grund-

Jahr 2007 lanciert hat, die Vorstellung eines Jahres im Ausland näher

sätzliche theologische und politische Frage nach Täterschaft, Täterinnen und Tätern, Mit-

gebracht werden.

läuferinnen und Mitläufern, Widerstehenden und Opfern in Geschichte und Gegenwart zu

Dabei ist Aktion Sühnezeichen aber nicht einfach einer von so man-

stellen. Damit wird auch die individuelle und

chen Trägern geworden, die Austauschprogramme im Zeichen der

kollektive Herausforderung der eigenen und gesellschaftlichen Beziehung zur Geschichte

Völkerverständigung organisieren. ASF bewahrt Lothar Kreyssigs Erbe:

und ihren Folgen deutlich. Dieses Verständnis

die zeichenhafte Übernahme von Verantwortung für die Folgen des Na-

von persönlicher Verantwortung und politi-

tionalsozialismus.

scher Handlungsfähigkeit ist Teil des Lernens aus dem jüdisch-christlichen Gespräch. Besonderes Gewicht legt ASF auf die Ausei-

Diese Aufgabe scheint heute noch komplexer als in den Gründungsjahren – ist doch schon das Subjekt des geschichtlich verankerten

nandersetzung mit der Rolle von Theologie

Handelns weniger eindeutig. „Wir Deutschen“, hatte der Gründer

und Kirche in der Bearbeitung der eigenen Ge-

angehoben. Doch wen meint das in einer Zeit, in der schätzungswei-

schichte und von Gewalterfahrungen. ASF engagiert sich im jüdisch-christlichen Gespräch und versucht, zur Überwindung antijüdischer Stereotype in der christlichen Theologie beizutragen. ASF beteiligt sich an theologischen und politischen Debatten zur Rolle der Erinnerung in Deutschland und im internationalen Kon-


252

text, zur ökumenischen Friedensethik und am interreligiösen Dialog. Das Ineinander von Geschichte und Gegenwart

se ein Drittel der in Deutschland Lebenden keinen seit Generationen

wirkt in der gesellschaftlichen und insbesondere erinnerungspolitischen Debatte schwer

deutschen familiären und kulturellen Hintergrund hat? Wie der Tatsa-

verständlich. Gerade deshalb ist aber ein Enga-

che begegnen, dass Alltag und Monstrosität des Nationalsozialismus

gement vor diesem Hintergrund ein wichtiger,

immer seltener Gegenstand eigener Erinnerung sind? Wie ändert sich der Zugang von Freiwilligen, die aus einer deutschen Familie „mit

zeichenhafter Beitrag, der produktiv ist, weil er das Hineinversetzen in andere erfordert und um seine Grenzen weiß.“

Migrationshintergrund“ stammen oder aus dem Ausland zu ASF sto-

Aus: Leitsätze für die Arbeit der Aktion Sühnezei-

ßen – deren Großeltern also sicher keine Nazis waren? Wie umgehen

chen Friedensdienste, verabschiedet vom Vorstand

mit dem Umstand, dass die Kategorien von Tätern und Opfern immer

im Sommer 2003, Büro ASF.

weniger greifen? „Aus der Geschichte lernen“ – das Motto aus den achtziger Jahren

„In einer [...] Übung untersuchen die Teil-

wirkt angesichts dieser Fragen fast einfältig. Jeden instrumentellen

nehmenden die Tradierung von Werten und

Umgang mit Holocaust und Krieg meiden die Verantwortlichen bei Sühnezeichen. Dass Geschichte aber fortwirkt und heutigem Handeln

Normen, die für sie handlungsleitend sind. Im Rahmen eines Rollentausches schlüpfen sie in die Rolle einer Person aus ihrer Familie, welche

und Begegnen einen Subtext gibt, davon sind sie überzeugt.

für sie in besonderer Weise prägend und für die

„Geschichte ist in uns, aufgehoben in Erinnerung, vorgefunden, verarbeitet,

Geschichte des 20. Jahrhunderts repräsentativ

abgewehrt, angeeignet, in über fünfzig Jahren Nachkriegszeit gedeutet und

ist. In dieser Rolle unterhalten sie sich mit anderen Teilnehmenden, ebenfalls in einer

umgedeutet, handlungsleitend im Alltag, Bilder formend von uns und von

solchen Rolle, um am Ende des Gespräches

anderen, auch als ‚ererbt-erinnerte‘ gegeneinander gerichtete Feind- und

zu formulieren, was sie gern an die folgende

Angstbilder. Dafür gibt es Wurzeln und Ursprünge; sie haben Geschichte

Generation weitergeben wollen. [...]

und sind Geschichte. Wir können versuchen, unsere Ursprünge, unsere Geschichte und ihre gegenwärtige Bedeutung für uns zu verstehen – das heißt auch: uns selbst. Geschichte im gezielten aktuellen Kampfeinsatz für dieses oder jenes, das erscheint mir manches Mal eher bedrohlich. Vielleicht sollte es reichen, sich selbst und andere als geschichtlich-kulturell Gewordene zu verstehen; das ist schwierig genug.“424

Eigene Handlungsmotive und die emotionalen Überschüsse, welche oft im Unbewussten liegen, werden bewusst, als Abgrenzung (zum Beispiel Philosemitismus versus Antisemitismus) oder als Übernahme (zum Beispiel das ‚Nie wieder Krieg‘ nach den Vertreibungs- und Bombenkriegsgeschichten der Großeltern). In dieser Übung personalisiert und differenziert

Ulla Kux spricht sich gegen die Instrumentalisierung der Geschichte

sich die Wahrnehmung der Akteure der Vergan-

und für ein ebenso bescheidenes wie anspruchsvolles Programm aus:

genheit. Sie werden als Freunde und Verwandte

Erinnerungsarbeit im interkulturellen Kontext heißt, Gemeinsames

fassbarer als die anonymen Gruppen der Opfer, Mitläufer oder Täter. Konkrete Menschen sind

und Trennendes zu unterscheiden, Empathie zu üben, Perspektivwech-

die Akteure in der Geschichte, und als solche

sel zu wagen. Die Politologin leitete den neu gegründeten Projektbe-

stehen wir selbst in der Verantwortung und

reich Interkulturalität bei Sühnezeichen. Mit historisch-kulturellen

sind zur selbstkritischen Wachsamkeit aufge-

Studienreisen, mit Werkstattgesprächen, Seminaren und Fortbildungen versucht dieser Arbeitsbereich, Erinnerungsarbeit für eine multikulturelle Gesellschaft zu öffnen und der gesamten Arbeit von Aktion

fordert. Aneignung von Geschichte umfasst auch die Wahrnehmung ihrer Lücken und der fehlenden Erinnerungsstücke, des Schweigens, und damit verbunden der Wirkungsmacht von Mythen und Phantasien.“ Thomas Heldt, Familien-Geschichten. Biografisches Arbeiten der ASF-Freiwilligen, in: zeichen 3/2004, S. 6 f.


KApitel 7. Der Zukunft auf der Spur

253

„Im Jahr 2000 gründete Aktion Sühnezeichen Friedensdienste den Projektbereich Interkulturalität. Unsere Frage war: Wie sind die Zugänge von Minderheiten in Deutschland zur Bedeutung der Geschichte des Nationalsozialismus in

Sühnezeichen die Gegenwartsbedeutungen des Nationalsozialismus

der Gegenwart geformt, in welcher Weise sind

zu erschließen.

sie überhaupt Teil der Debatte zur historischpolitischen Bildung? Ausgangspunkt unserer Überlegungen war un-

Geschichte ist jedenfalls kein pädagogisches Kapital, das es zu wahren oder geschickt zu vermehren gilt. Geschichte wird vorgefunden,

sere Erfahrung, dass in den Partnerländern von

und sie wird auch die Überlebenden überleben. Wie sagte Willy Brandt,

ASF sehr unterschiedliche, auch gegenläufige

als man ihn vierzig Jahre nach Kriegsende aufforderte, die Vergangen-

Bedeutungsmuster existieren. Am deutlichsten

heit doch endlich ruhen zu lassen: „Sie ruht ja nicht!“ 425

wurde und wird dies an der Tatsache, dass die mühsam erkämpfte deutsche Einsicht in die einzigartige Bedeutung des Nationalsozialismus, des Vernichtungskrieges und des Holocaust an Juden und Roma und Sinti oft genug mit der Erinnerung in den Ländern mit der zusätzlichen Erfahrung des Stalinismus in unterschiedlichen Prägungen in Konkurrenz bzw. im Streit liegt. Diese Konkurrenzen widerstreitender Erinnerungen gaben uns – selbstkritisch sei angemerkt: eher spät – die Frage auf, welche Zugänge denn die in Deutschland jenseits der Mehrheitsgesellschaft zu findenden Kulturen zur Geschichte des Nationalsozialismus haben, und wie sehr die Herkunftsgeschichte auch in nachfolgenden Generationen die Kommunikation mit der Mehrheitsgesellschaft, aber auch mit anderen Minderheitengruppen prägt. Als Beispiel lässt sich hier der einigermaßen aktuelle Konflikt zwischen ‚Türken‘ und ‚Kurden‘ anführen, der sowohl in seiner geschichtlichen wie auch in seiner aktuellen Prägung die Gegenwart in Deutschland erreicht. So unternahmen wir eine Entdeckungsreise mit historisch-interkulturellen Studienfahrten, Stadtrundgängen, mit Veranstaltungen, Seminaren und Vorträgen. Gegenstand dieser Projekte war nicht nur die Beziehung zur Geschichte des NS, sondern auch die Beziehung der jeweiligen Herkunftsgeschichten der TeilnehmerInnen zu der deutschen Geschichte, was im Fall türkischer und armenischer, wie auch russischer Deutscher einerseits mit den Händen zu greifen ist, andererseits aber mehr als selten als Gegenstand von Bildungsprozessen in den Blick kommt.“ Christian Staffa, Vorwort, in: Stadtteilmütter auf den Spuren der Geschichte, Berlin (ASF-Broschüre) 2008, S. 7.

Diese Unruhe ist es, die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste antreibt. Ein Stillstand ist so schnell nicht abzusehen.



Anhang: Endnoten 255

Endnoten

1: Brief Lothar Kreyssig an Martin Niemöller, 14.5.1958, EZA 97/128 (Bestand Aktion Sühnezeichen). 2: So Lothar Kreyssig in seiner Autobiografie. Auszüge aus diesem nie veröffentlichten Text finden sich in: Konrad Weiß, Lothar Kreyssig. Prophet der Versöhnung, Gerlingen 1998. Auf dieses facettenreiche Porträt sei verwiesen, wer sich eingehender mit Sühnezeichen-Gründer zu befassen sucht. Zu obigem Zitat vgl. ebd., S. 330. 3: Brief Lothar Kreyssig an Franz von Hammerstein, 26.9.1962, EZA 97/936. 4: Hier und zum Folgenden: Brief Lothar Kreyssig an Martin Niemöller, 14.5.1958, EZA 97/128. 5: Lothar Kreyssig, Erich Müller-Gangloff, Kurt Scharf, Aktion Sühnezeichen – Anruf und Aufruf, in: Kommunität. Vierteljahreshefte der Evangelischen Akademie, Berlin, Januar 1959, S. 1 f., hier S. 1. 6: Lothar Kreyssig, Bewältigung und Versöhnung, in: ebd. S. 3-8; hier S. 7. 7: Vermerk Lothar Kreyssig über ein Gespräch mit Erich Müller-Gangloff, 7.7.1958, EZA 670/365 (Bestand Müller-Gangloff ). 8: Lothar Kreyssig, Bewältigung und Versöhnung, a.a.O., S. 3. 9: So Peer Michael in seinem Artikel Wahrer Friede durch zeichenhafte Tat in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 14.9.1959. 10: Brief Lothar Kreyssig an Martin Niemöller und Gustav Heinemann, 17.3.1959, EZA 97/128. 11: Eugen Rosenstock-Huessy, Dienst auf dem Planeten. Kurzweil und Langeweile im Dritten Jahrtausend, Stuttgart/Berlin/Köln/ Mainz 1965, S. 21. 12: Ebd., S. 45.

13: Ebd., S. 48.

Nevermann, 27.10.1962, EZA 97/1559.

14: Ebd., S. 73.

28: Protokoll der Leiterkreistagung vom

15: Ebd., S. 16.

30./31.3.1963, EZA 97/936.

16: Brief Lothar Kreyssig an Martin Niemöl-

29: Brief Lothar Kreyssig an „Hendrik

ler, 14.5.1958, EZA 97/128.

Kraemer, Holland, Pastor ... Joure, Holland,

17: Rundschreiben Lothar Kreyssig an die

Pastor Siezen, Berlin, Pastor D. Bonnevie-

Sühnezeichen-Teilnehmer aus der DDR,

Svendsen, Norwegen, Pastor Gilleberg,

10.12.1960, EZA 97/936.

Trastad Gard, Norwegen, Bischof Wiig,

18: Ebd.

Norwegen, Provost Williams, Coventry,

19: Für diesen ganzheitlichen Ansatz in

England, Rev. Michael Butterfield, Coven-

der Deutung von Krankheiten stehen im

try, England, Prior Roger Schutz, Taizé,

deutschen Kontext der fünfziger und sech-

Frankreich, Frère Michel, Taizé, Frankreich,

ziger Jahre Wissenschaftler um Victor von

Pastor Pont, Lyon, Frankreich, Pastor P.

Weizsäcker und Wilhelm Kütemeyer – auf

Bourguet, Paris, Frankreich, Frau Dr. S.

die sich Siirala verschiedentlich bezieht.

Goldschmidt, Jerusalem, Israel, Dr. Asher

20: Martti Siirala, Die Schizophrenie des

Eder, Israel, ......... Israel, Alekos Tsioukar-

Einzelnen und der Allgemeinheit, Göttingen

danis Servia, Griechenland, ...... Borinage,

1961, S. 99.

Belgien, Bischof Hoegsbro, ... Dänemark“

21: Ebd., S. 106.

(Punkte i.O., handschriftlich hinzugefügt:

22: Brief Lothar Kreyssig an Berthild Scheiff,

Paul Cates, USA, Warner, USA; G.K.), 2.

23.2.1963, EZA 97/912.

Advent 1962, EZA 81/2/555 (Bestand Kurt

23: Vgl. Siirala, a.a.O., S. 197.

Scharf als Ratsvorsitzender EKD).

24: Aktion Sühnezeichen, Brief Ost-West

30: Brief Dietrich Goldschmidt an Ludwig

Nr. 1 (eine offensichtlich nicht fortgesetzte

Raiser, 7.1.1963, Archiv der Evangelischen

Tradition; der Schreibstil des fünfseitigen

Akademie Arnoldshain, Unterlagen AG

Manuskripts lässt auf Kreyssig als Verfasser

Juden und Christen (ohne Aktennummern).

schließen), 30.9.1962, EZA 97/936, S. 5.

31: Brief Lothar Kreyssig an Helmut Gollwit-

25: Zitiert nach Irmtrud Wojak / Fritz Bauer

zer, Franz von Hammerstein, Hans-Richard

Institut (Hg.), Auschwitz-Prozess 4 Ks 2/63

Nevermann, 27.10.1962, EZA 97/1559.

Frankfurt am Main (Ausstellungskatalog),

32: Brief Lothar Kreyssig an Ludwig Raiser,

S. 820.

18.1.1963, EZA 97/938.

26: Vgl. Protokoll der Leitungskreissitzung

33: Brief Lothar Kreyssig an Superintendent

vom 24.11.1962, EZA 97/947. Einen Vortrag

Enke (Köln), Frère Roger (Taizé), Ober-

über „Die Bedeutung der kommenden

kirchenrat Ulrich (Düsseldorf ), Erwin te

Kriegsverbrecherprozesse“ hielt stattdes-

Reh (Köln) und die Mitarbeiter in Berlin,

sen der Soziologe Dietrich Goldschmidt,

20.3.1961, EZA 97/938.

Mitglied der Kammer für öffentliche Ver-

34: Vgl. Brief Lothar Kreyssig an Hermann

antwortung der EKD (vgl. Programm für

Kunst, 31.7.1959, EZA 742/447 (Nachlass

das Jahrestreffen 1962/63, EZA 97/947).

Kunst).

27: Vgl. hier und zum Folgenden: Brief

35: Brief Hermann Schlingensiepen an

Lothar Kreyssig an Helmut Gollwitzer,

Lothar Kreyssig, 18.3.1965, EZA 97/912. Der

Franz von Hammerstein, Hans-Richard

Theologe Conrad Bonnevie-Svendsen war


256

ein früher norwegischer Freund und Weg-

Kunst, 9.9.1959, EZA 742/447.

25.9.1959, EZA 97/347.

bereiter der Aktion Sühnezeichen.

51: Brief Lothar Kreyssig an Conrad Bonne-

64: Hans-Richard Nevermann, Aufbruch

36: Erich Müller-Gangloff, Bewältigung der

vie-Svendsen, 2.2.1959, EZA 97/346.

ins Unbekannte oder: Aller Anfang ist schwer

Vergangenheit im Zeichen der Sühne (Einlei-

52: Brief Lothar Kreyssig an Hermann

(Manuskript), Büro ASF, S. 7.

tung), in: Einladungsfaltblatt zu einer Tagung

Kunst, 28.5.1959, EZA 742/447.

65: Erhard Goeken, Aktion Sühnezeichen in

„Aktion Sühnezeichen“ in der Evangelischen

53: Brief von Abteilungsleiter Maram, Mi-

Norwegen (Manuskript), EZA 97/347.

Akademie Berlin, Dezember 1958, Büro ASF.

nisterium für Auswärtige Angelegenheiten

66: Brief Franz von Hammerstein an Ger-

37: Brief Hans Joachim Iwand an Lothar

der DDR, an Lothar Kreyssig, 23.3.1959, EZA

hard Möckel, 28.7.1960, über ein Gespräch

Kreyssig, 11.5.1958, Privatarchiv Hartmut

97/31.

mit Pfarrer Hellstern aus der Schweiz, EZA

Ludwig.

54: Vermerk Fritz Wilhelm Weber nach

97/559.

38: Adolf Freudenberg, Geschichte einer

Vorsprache im Ministerium für Auswärtige

67: Hans-Richard Nevermann, Aufbruch ins

kleinen Verschwörung, Manuskript zum

Angelegenheiten der DDR (bei Herrn Biebo,

Unbekannte, a.a.O., S. 1 f.

30.10.1968 (Kreyssigs 70. Geburtstag), EZA

Vertreter von Abteilungsleiter Maram) am

68: Brief Hans-Richard Nevermann an

97/1115.

24.4.1959, EZA 97/31.

Lothar Kreyssig, 14.10.1959, EZA 97/347.

39: Brief OKR Ulrich an Lothar Kreyssig,

55: Brief Lothar Kreyssig an die Norwegen-

69: Bericht des Kulturwartes vom Lager

o.D., EZA 742/447.

Mannschaft, 16.9.1959, EZA 97/346.

Norwegen I über die dort getriebene Freizeitge-

40: Hier und zum Folgenden: Brief

56: Brief von DDR-Außenminister Lothar

staltung (in Form einer Anrede an eine spätere Sühnezeichen-Gruppe), Manuskript ohne

Lothar Kreyssig an Oberkirchenrat Ulrich,

Bolz, 13.5.1960, zitiert nach Ansgar Skriver,

23.2.1959, EZA 742/447.

Aktion Sühnezeichen. Brücken über Blut und

Datum (Frühjahr 1960) und Namen, EZA

41: Brief Hermann Kunst an Lothar Kreyssig,

Asche, Stuttgart 1962, S. 22.

97/348. 70: Brief Fritz Wilhelm Weber an Hans-

2.4.1959, EZA 742/447.

57: Vgl. Brief Lothar Kreyssig an Joachim

42: Brief Hermann Kunst an Lothar Kreys-

Beckmann und Ernst Wilm, 6.1.1959 (i.O.

Richard Nevermann, 19.11.1959, EZA 97/346.

sig, 11.5.1958, EZA 742/447.

fälschlich: 1958), EZA 97/1173.

71: Brief Hans-Richard Nevermann an Fritz

43: Brief Hermann Kunst an Lothar Kreys-

58: Vgl. Brief Lothar Kreyssig an Stadtrat

Wilhelm Weber, 24.11.1959, EZA 97/347.

sig, 27.12.1960, EZA 742/447.

Gloth, Magistrat von Groß-Berlin, Abtei-

72: Brief Hans-Richard Nevermann an Pfar-

44: Brief Hermann Kunst an Lothar Kreys-

lung Inneres, 30.7.1959, EZA 97/346.

rer zu Lynar, 7.3.1960, EZA 97/348.

sig, 2.4.1959, EZA 742/447.

59: Brief Lothar Kreyssig an Firma J.,

73: Erhard Goeken, a.a.O.

45: Brief Lothar Kreyssig an den Innenmi-

24.8.1959, EZA 97/346.

74: Bericht einer Teilnehmerin an ihre

nister der DDR, 5.5.1958, Bundesarchiv Ber-

60: Tagebuch-Auszug vom 29.8.1959, zitiert

Eltern, zitiert nach einem Brief der Aktion

lin (im Folgenden: Barch) DO 4 / 2390 (Be-

nach einem Brief an Eltern und Angehörige

Sühnezeichen an Eltern, Angehörige

stand Staatssekretariat für Kirchenfragen).

der Norwegenmannschaft vom 25.9.1959,

und Freunde der Griechenland-Gruppe,

46: Zu diesem Gespräch vom 9.10.1958 vgl.

EZA 97/347.

26.4.1960, EZA 97/528.

Aktenvermerk Fritz Führ vom 18.10.1958,

61: Die Deutsche Woche berichtet am

75: Brief Hans-Richard Nevermann an Fritz

EZA 97/31.

19.8.1959 von der Pressekonferenz unter

Wilhelm Weber, 6.10.1959, EZA 97/346.

47: Einladungsfaltblatt zur Tagung „Aktion

der Überschrift: Blick auf eine Zukunft der

76: Vgl. Brief Lothar Kreyssig an Erwin te

‚Sühnezeichen‘“ in der Evangelischen Aka-

Freundschaft. Evangelische Kirche lässt „Akti-

Reh, 9.10.1959, EZA 97/346.

demie Berlin, Dezember 1958, Büro ASF.

on Sühnezeichen“ anlaufen.

77: Tagebuchauszüge Aktion Sühnezeichen

48: Vgl. Brief Lothar Kreyssig an Martin

62: Hier und zum Folgenden: Brief Lothar

Servia 1960 (Manuskript), hier: Montag,

Niemöller, 2.2.1959, EZA 97/128.

Kreyssig an Hans-Richard Nevermann,

28.11.1960, EZA 97/560.

49: Vermerk Lothar Kreyssig, 16.5.1959, EZA

10.5.1959, EZA 97/346.

78: Ebd., Eintrag vom 8.4.1960.

97/55.

63: Brief Lothar Kreyssig an Eltern und An-

79: Peter Kreyssig, Bericht über einen Kurzbe-

50: Brief Lothar Kreyssig an Hermann

gehörige der Norwegen-Mannschaft vom

such im Lager Servia des Weltfriedensdienstes


Anhang: Endnoten 257

1960, EZA 97/560.

AKPS Rep. B 2/250.

Sühnezeichen-Zentrum.

80: Zum Häuser-Streit vgl. Bericht über

91: Reinhold Asse, Bericht aus Dresden, in:

106: Brief Leo Savir an Lothar Kreyssig,

den Weltfriedensdienst 1960/61, Servia/

Potsdamer Kirche. Sonntagsblatt für evange-

8.12.1960, EZA 97/248.

Griechenland des „Gruppenrates Servia“, EZA

lische Gemeinden in der Mark Brandenburg,

107: Vgl. Brief Johannes Müller an Franz

97/560. Dort heißt es weiter: „Wir neigten,

Nummer 39/27.9.1959.

von Hammerstein, 7.12.1961, EZA 97/706,

weil wir Mitglieder der Aktion sind, deren

92: Reinhold Asse, Bericht von der Tagung

zur Einigung mit Ben-Chorin über die Zu-

[der Gemeinde;G.K.] Gedanken zu und

der Aktion „Sühnezeichen“ am 2./3.4.1960,

rückstellung des Vorhabens: „Ein Partner

waren deshalb der Ansicht, man müsse

EZA 97/936.

kompromittiert den andern“.

erst Armen- und später die anderen Häuser

93: Rundschreiben von Reinhold Asse,

108: Jehuda Riemer, Vom deutsch-israelischen Gespräch zur menschlichen Verbundenheit,

bauen. Wir wollten nicht durch eine starre

14.10.1959, EZA 97/936.

Haltung den Griechen gegenüber den

94: Carl Beleites, Gedanken zur Aktion „Süh-

in: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste

Erfolg des Lagers gefährden.“

nezeichen“ nach dem Erlebnis des Aufbaulagers

e.V. und Gemeinsam Unterwegs e.V. (Hg.), Aufbrüche mit Johannes und Elisabeth Müller,

81: Brief Ernst Buczys an Rudolf Ziesche,

Dresden 1959 (Manuskript), Herbst 1959,

5.12.1960, EZA 97/560.

EZA 97/1068.

Göttingen 1994, S. 85-98, hier S. 85.

82: Hier und zum Folgenden: Brief Alekos

95: Rundschreiben Lothar Kreyssig an Süh-

109: Tagebuch „Aktion Sühnezeichen“ –

Tsioukardanis an Dr. Smoltczyk und Dr.

nezeichen Ost, 10.12.1960, EZA 97/936.

Israel I (Manuskript), Eintrag 28.11.1961

Ruthenberg (SCI) (Kopie an Lothar Kreyssig,

96: Brief Lothar Kreyssig an Heinrich Grü-

(S. 22), EZA 97/706.

Erich Müller Gangloff, Franz von Hammer-

ber, 28.3.1960, EZA 97/938.

110: Ebd., Eintrag 26.11.1961 (S. 21).

stein) vom 27.9.1960, EZA 97/560.

97: Rundschreiben Lothar Kreyssig an Süh-

111: Christel Eckern, Die Straße nach Jerusa-

83: Brief Lothar Kreyssig an Hans-Richard

nezeichen Ost, 10.12.1960, EZA 97/936.

lem. Ein Mitglied der „Aktion Sühnezeichen“

Nevermann, Ernst Buczys, Konrad Lübbert,

98: Brief Lothar Kreyssig an die Berliner

berichtet über Leben und Arbeit in Israel, Essen

Erwin te Reh, 2.6.1960, EZA 97/1836.

Mitglieder des Führungskreises der Aktion

1962, S. 68 f. 112: Jehuda Riemer, Some Do Repent!, in:

84: Brief Erich Müller-Gangloff an Lothar

Sühnezeichen, 7.9.1960, EZA 97/938.

Kreyssig, 21.7.1960, EZA 97/559.

99: Brief Lothar Kreyssig an Martin Buber,

Jewish Frontier, Juli 1962, S. 15-17, hier S. 15

85: Brief Hans-Richard Nevermann an

9.7.1960, EZA 97/248.

(Übersetzung G.K.).

Lothar Kreyssig, 2.7.1960, EZA 97/1836.

100: Brief Lothar Kreyssig an Familie Rubin-

113: Ebd., S. 17.

86: Brief Lothar Kreyssig an Gerhard Mö-

stein, 1.4.1960, EZA 97/248.

114: Vgl. Brief Johannes Müller an Franz von

ckel, 5.4.1960, EZA 97/559.

101: Brief Thomas Sartory an Lothar Kreys-

Hammerstein, 6.2.1962, EZA 97/706.

87: Brief Lothar Kreyssig an Hans-Richard

sig, 5.9.1960, EZA 97/248.

115: Johannes Müller, Erfahrungsbericht über

Nevermann, 7.10.1962, EZA 97/1836.

102: Protokoll einer Besprechung zwischen

die Tätigkeit der ersten Israelgruppe der Aktion

88: Brief von Menzel, Staatliche Bauaufsicht

Abt Leo von Rudloff, Pater Jean-Roger Héné,

Sühnezeichen, 16.4.1962 (Manuskript), EZA

beim Rat der Stadt Magdeburg, an Kirchen-

Gertrude Reidick, Thomas Sartory am

97/735.

baurat Traub, Kirchenbauamt Magdeburg

3.9.1960 in Niederaltaich, EZA 97/248.

116: Brief Lothar Kreyssig an die Mann-

beim Evangelischen Konsistorium der

103: Protokoll einer Besprechung zwischen

schaft Borkenes, 21./22.6.1960, EZA 97/1836. 117: Vermerk Martin Koschorke über ein

Kirchenprovinz Sachsen, 13.8.1962, Archiv

Abt Emmanuel Heufelder, Gertrud Luckner,

der Kirchenprovinz Sachsen, Magdeburg

Dr. Ernst Ludwig Ehrlich, Thomas Sartory,

Gespräch mit Propst Williams in Coventry

(im Folgenden AKPS), Rep. H 44/73.

Gertrude Reidick am 5.9.1960 in Niederalt-

am 21.6.1960, EZA 97/464. 118: Brief Betty Collins an Franz von Ham-

89: Antwortschreiben vom 28.8.1962, AKPS,

aich, EZA 97/248.

Rep. H 44/73.

104: Protokoll Führungskreis, 15.12.1960,

merstein, 2.8.1960, EZA 97/464.

90 : Brief von Lothar Kreyssig und Vikar

EZA 97/947.

119: Vgl. Brief Martin Niemöller an Franz

Lawetzky zum Beginn des „Versöhnungs-

105: Vgl. oben, Kap. 2, seinen Entwurf

von Hammerstein, 8.1.1963, EZA 97/128.

dienstes Magdeburg 1962“, Anfang Juli 1962,

für ein geistliches und räumliches

120: Ansprache Ernst Wilm zur Grund-


258

steinlegung am 19.3.1966, in: Internationale

Verständigung (West-Berlin) (Hg.), West-

Ökumenische Sozialakademie Rotterdam

Berliner Persönlichkeiten sprachen mit

an KIK, 28.4.1964 (Abschrift), EZA 97/34.

(Broschüre zur Einweihung am 16.11.1968),

Chruschtschow. Protokoll des Gespräches am 18.

145: Konrad Weiß, Prophet, a.a.O., S. 380.

144: Brief Günter Särchen / Lothar Kreyssig

EZA 97/458.

Januar 1963, EZA 97/692.

146: Günter Särchen, Späte Erkenntnis (Au-

121: Tagebücher aus Rotterdam 1965-1967,

132: Brief Franz von Hammerstein an den

gust/Oktober 1965), in: Mein Leben in dieser Zeit. Magdeburg 1958-1973, Band 2/2, „un-

EZA 97/458.

Gemeindekirchenrat der Evangelischen

122: Vermerk Lothar Kreyssig über eine Be-

Friedenskirche, Berlin-Wedding, 12.12.1966,

korrigiertes, unvollständiges Manuskript“,

sprechung mit Hans-Richard Nevermann,

EZA 97/1559.

Büro ASF, S. 63‑66, hier S. 64.

Bill Williams und Doris Krug (deutsch-

133: Brief Lothar Kreyssig an Hermann

147: Anna Morawska, Die Psychologie des Frie-

englische Gesellschaft) am 4.2.1961, EZA

Kunst, 9.9.1959, EZA 742/447.

dens. Teil I: Sühnezeichen, Teil II: Der Realismus

97/464.

134: Vgl. Brief Alard von Schack an Erich

der Idealisten, in: Tygodnik Powszechny, 22.

123: Brief Lothar Kreyssig an Bill Williams,

Müller-Gangloff, 24.1.1959, EZA 97/50.

und 29.8.1965 – die hier übersetzte Passage

4.8.1960, EZA 97/464 (dort englisch, Über-

135: Vgl. Brief Karl Mommer an Lothar

aus Teil II ist zitiert nach Konrad Weiß,

setzung G.K.).

Kreyssig, 7.10.1950, EZA 97/50.

Prophet, a.a.O., S. 383.

124: Brief Lothar Kreyssig an Irmgard Block,

136: Brief Lothar Kreyssig an Reinhold

148: Brief Prälat Skorupa an Günter Särchen,

6.5.1962, EZA 97/890.

(offensichtlich versehentlich für Berthold)

15.9.1965, BAM, Nachlass Särchen, Band III.

125: Brief Frère Michel an Lothar Kreyssig,

Beitz, 4.3.1961, EZA 742/447.

149: Vgl. das Protokoll der Frühjahrskon-

19.11.1962, EZA 97/903.

137: Vgl. Vermerk Lothar Kreyssig über ein

ferenz der AG Jugendseelsorge, Berlin

126: Beides in: Brief Lothar Kreyssig an

Gespräch mit Christa Thustek, 1.8.1961,

1965 (ohne Tagesdatum), BAM, Bestand

ausländische Partner, aktive und ehemalige

EZA 97/50.

„Polenseelsorge“.

Teilnehmer und deren Angehörige, August

138: Vermerk Franz von Hammerstein über

150: Brief des Generalvikars im Bistum

1961, EZA 97/652.

Besuch bei Militärmission am 4.12.1962

Meißen an Günter Särchen, 6.8.1964, BAM,

127: Brief Lothar Kreyssig, 6.10.965, EZA

vom 12.12.1962, EZA 97/55.

Nachlass Särchen, Band II.

97/407.

139: Vgl. Brief Aktion Sühnezeichen in

151: Rückseitige Bleistiftnotiz auf dem

128: Brief Günter Särchen an „polnische

West-Berlin an das polnische Außenminis-

Durchschlag einer Zusage von Bischof Ger-

Bischöfe, Prälaten, Redakteure, Klubs,

terium, 21.1.1964, EZA 97/42.

hard Schaffran zum Gespräch mit Günter

Freunde“ (Liste handschriftlich, getippte

140: Günter Särchen, Eine neue Erfahrung

Särchen, 16.3.1965, BAM, Nachlass Särchen,

Anrede lediglich „Grüß Gott!“), 11.7.1964,

(Dezember 1959), in: Mein Leben in dieser Zeit.

Band III.

Bistumsarchiv Magdeburg (im Folgenden

Magdeburg 1958-1973, Band 2/2, „unkorri-

152: Heidemarie Krause, a.a.O., S. 7. 153: Brief Lothar Kreyssig an Volker von

BAM), Nachlass Särchen, Band II.

giertes, unvollständiges Manuskript“, Büro

129: Zitat aus einem „Lubliner Brief“, in:

ASF, S. 4‑6, Zitat S. 5.

Törne, 5.6.1963, EZA 97/938.

Brief Günter Särchen an Franzgeorg Frie-

141: Zu Särchens Polen-Engagement vgl.

154: Brief Volker von Törne an Lothar

mel (Jugendseelsorgeamt Görlitz), 18.6.1964,

Krzysztof Ruchniewicz, Günter Särchen

Kreyssig, 11.6.1963, EZA 97/936.

BAM, Nachlass Särchen, Band II.

(1927-2004) – „Unser Golgatha liegt im Osten“,

155: Hier und zum Folgenden: Brief Lothar

130: Vgl. Heidemarie Krause, Pilgerfahrt

in: K. Ruchniewicz und Marek Zybura

Kreyssig an Klaus Wilm, 16.9.1964, EZA

1964, (Manuskript), BAM, Nachlass

(Hg.), „Mein Polen ...“ Deutsche Polenfreunde

97/939. 156: Brief Hubertus Knobloch an Lothar

Särchen, Band II, S. 1: „Unsere Mannschaft

in Porträts, Dresden 2005, S. 259-289; zur

traf sich im Katechetenseminar in Görlitz,

Polenreise 1960 S. 273.

Kreyssig, 31.8.1965, BAM, Nachlass Särchen,

viele noch in dem Glauben, dass wir nach

142: Brief (Unterschrift unleserlich) an

Band III (Unterstreichung i.O.).

Auschwitz fahren.“

Lothar Kreyssig, 6.4.1964, EZA 97/34.

157: Klaus Wilm, Die Aktion Sühnezeichen.

131: Vgl. Ständiger Arbeitsausschuss für

143: Brief Günter Särchen an Lothar

Junge Menschen setzen einen neuen Anfang,

Frieden, nationale und internationale

Kreyssig, 21.4.1964, EZA 614/56.

Manuskript o.D. (Ende 1964), EZA 97/45.


Anhang: Endnoten 259

158: Offener Brief an 4 Alliierte (3 Stadt-

Leitungskreise Ost und West), 31.1.1965,

18.3.1968, EZA 97/1103.

kommandanten und Abrassimow); DDR:

EZA 97/407.

181: Vgl. Bernd Karl Vogel, Anlage 2 zum

Ulbricht, Stoph, Ebert; BRD: Lübke, Erhard,

170: Vgl. den Brief Aktion Sühnezeichen ap-

Protokoll III/70 der MV am 3./4.10.1970 in

Brandt. Unterzeichnet von Beckmann,

pelliert an die Bundesregierung vom 15.2.1965,

Würzburg. Bericht über Öffentlichkeitsarbeit

Gollwitzer, Hammerstein, Hildebrandt,

unterzeichnet von Block, Buczys, Cates,

der ASZ, 19.2.1971, EZA 97/10.

Kreyssig, Müller-Gangloff, Scharf, Ernst

Hammerstein, Kutzner, Möckel, Johannes

182: Erich Müller-Gangloff, Umkehr oder

Wilm (im Brief bezeichnet als „Mitglieder

Müller, Müller-Gangloff, Nevermann,

Umsturz? Fragen an eine erinnerungslose Gene-

des gesamtdeutschen Gründungsausschus-

Siezen, Törne und Klaus Wilm als „Lei-

ration, in: Franz von Hammerstein, Volker

ses“), Januar 1964, EZA 97/936.

tungskreis“, Büro ASF.

von Törne (Hg.), 10 Jahre Aktion Sühnezei-

159: „Vorstand“ kann das leitende Gremium

171: Zitiert in einem Brief vom Landeskir-

chen [= Berliner Reden 13], Berlin 1968,

nicht heißen, da Sühnezeichen immer noch

chenamt Westfalen an Aktion Sühnezei-

S. 52-58, hier S. 54.

zum Verein „Versöhnungsdienste“ gehört.

chen vom 18.6.1965, dieser zitiert nach

183: Gerhard Möckel, Warum Aktion Sühne-

160: Vgl. Brief Lothar Kreyssig an die

Volker von Törne, Politische Öffentlichkeits-

zeichen? Referat vom 9.1.1965 (Manuskript),

Sühnezeichen-Freunde, o.D. (Anfang 1965),

arbeit (Quellensammlung vom 17.3.1970),

EZA 97/1115, S. 10 f.

EZA 97/407.

EZA 97/1116.

184: Joop Siezen, Bericht über das Jahrestref-

161: Vgl. Brief Lothar Kreyssig an den Lei-

172: Dieses und das folgende Zitat aus: Brief

fen 1965/66, o.D., EZA 97/196.

tungskreis West, 8.3.1965, EZA 97/937.

Leitungskreis an das Landeskirchenamt

185: Konzept für die zukünftige Arbeit – der

162: Brief Oskar Söhngen, Vizepräsident

Westfalen, 8.7.1965, EZA 97/939.

Mitgliederversammlung zur Diskussion

EKU, an Kurt Scharf, Ratsvorsitzender EKD,

173: Lothar Kreyssig, Rundbrief I/1964 (Ende

vorgelegt, Manuskript o. Verf., o.D. (dem

23.12.1965, EZA 97/1560.

Januar 1964), EZA 97/924.

Vorstand angekündigt von Bernd Karl Vogel

163: Einladung zur Veranstaltung in der

174: Brief Hans-Richard Nevermann

am 17.3.1970), beiliegend Antrag auf eine

Berliner Kongresshalle am 28.4.1961, EZA

und Franz von Hammerstein an die

Namensdiskussion, unterzeichnet von

97/76.

Förderer, Dezember 1968, Privatarchiv von

Franziska Menzel-Sawicki, Otto Gärtner,

164: Vgl. zum Ganzen ausführlich Gotthard

Hammerstein.

Joop Siezen, Wolf-Dieter Bednarski, Waltraud Grafenburg, Jürgen Simon,

Kutzner, Meine Arbeit für die Aktion Sühne-

175: Erich Müller-Gangloff, Einladung in die

zeichen im nichtkirchlichen Raum (Ausfüh-

Evangelische Akademie. Gedanken zur Besin-

Ulrich Kreßin, Ute Markworth, Charlotte

rungen bei der Sitzung des Leitungskreises am

nungstagung 6.-8. Mai 1968, o.D., EZA 97/189.

Bojanowski, Günter Todtenhöfer, Ulrich

20.3.1965), 5.4.1965, EZA 97/937.

176: Vgl. Brief Helmut Gollwitzer an Kurt

Holland, Wolfgang Dombernowski, Franz-

165: Vgl. Brief Lothar Kreyssig an den Super-

Scharf vom 12.8.1966 (Abschrift für Sühne-

Josef Loesche, Bernd Karl Vogel, EZA 97/10.

intendenten von Charlottenburg, 5.6.1961,

zeichen vom 18.8.), EZA 97/1559.

186: Christian Schmidt, Monatsbrief Juli

EZA 97/1561.

177: Brief Christian Schmidt an die

1968 (Die Monatsbriefe der Aktion Sühnezei-

166: Vgl. die Zuschriften zitiert bei Ansgar

Landeskirche Sachsen, 13.9.1971, Landeskir-

chen in der DDR sind zitiert nach den im

Skriver, a.a.O., S. 8 – 10 (Kapitel Unver-

chenarchiv der Evangelisch-Lutherischen

Büro der ASF archivierten Exemplaren).

schämte Landesverräter).

Landeskirche Sachsens in Dresden, 2/609.

187: Brief „an alle Teilnehmer der Aktion

167: Anonyme Zuschrift an Franz von Ham-

178: Vgl. Konrad Weiß, Konzept für einen Vor-

Sühnezeichen im Bezirk Halle“, 23.4.1965,

merstein, 11.5.1963, EZA 97/582.

trag vor Vertretern des Klubs der katholischen

als Kontaktperson genannt Reinhard Flach,

168: Rundschreiben Erich Müller-Gangloff

Intelligenz in Warschau, o.D. (1968), Privatar-

EZA 97/994.

als Leitungskreis-Vorsitzender an die

chiv Konrad Weiß.

188: Renate Waller, Hartmut Greyer und Albrecht Beisenherz, Einladung zum

Freunde der Aktion Sühnezeichen, Februar

179: Vgl. Stellungnahme des Arbeitskreises für

1965, Büro ASF.

Politik zum Vietnamkonflikt, o. Verf. u. D.,

Regionaltreffen Hamburg am 7.6.1968, EZA

169: Vgl. Brief Lothar Kreyssig und Erich

EZA 97/194.

97/195.

Müller-Gangloff (Unterzeichner für die

180: Vgl. Pressemeldung an den epd vom

189: Vgl. „Zeichen-Geben reicht nicht mehr


260

aus.“ Aktion „Sühnezeichen“ zog Bilanz

200: Vgl. ebd., S. 120.

Sühnezeichen und der Evangelischen Indust-

nach zehn Jahren, epd Landesdienst Berlin,

201: Ebd., S. 88.

riejugend in Terezín und Lidice in den Jahren

30.4.1968.

202: Hans-Richard Nevermann, Anlage zum

1966-1969, Manuskript aus den Jahren nach

190: Vgl. zum Folgenden Jahrestreffen

Protokoll der Mitgliederversammlung am 12.

1990, Privatarchiv von Hammerstein, S. 35:

1968/69, Ergebnispapier vom 23.1.1969,

April 1969 als Ergänzung zum Punkt 1d, Soziale

„Dabei hatten wir keine konkreten Anlauf-

EZA 97/1568.

Dienste, des Jahresberichts 1968/1969, EZA

adressen, fuhren auf blauen Dunst.“

191: Elisabeth Krüger, Diskussionsgrundlage

97/1116.

213: Bericht der Arbeitsgruppe Třebenice,

für die Regionalgruppe Berlin, 14.10.1968,

203: Hier und im Folgenden: Projektbericht

CSSR, August 1970, 30.8.1970, EZA 97/1775.

EZA 97/194.

Heinrich Bischoff, Berliner Abschrift vom

214: Vgl. Jürgen Winkel, intern: Entgegnung

192: Zitiert nach: Volker von Törne, Regi-

20.11.1969, EZA 97/1842

zu dem am 21.1.1971 in der NARODNI VYBORY

onalarbeit (Auszüge aus Stellungnahmen

204: Otto Schenk, Die Entfaltung 1963-1968,

erschienenen Artikel über eine angeblich

von Jahrestreffen und Regionalgruppen ab

in: Manuskript für die Broschüre Sühne-

subversive Tätigkeit der Evangelischen Indust-

1960), 13.3.1970, EZA 97/47, S. 5.

zeichen in Israel. Friedensdienste der Aktion

riejugend und der Aktion Sühnezeichen in der

193: Vgl. hier und zum Folgenden: Friede

Sühnezeichen, 1973, EZA 97/719.

CSSR in den Jahren 1967-1969, 3.3.1971, EZA

muss gestiftet werden. Adresse der Aktion

205: Sondertagebuch der Israel-Gruppen IX und

97/1772.

Sühnezeichen von ihrem [West-]Berliner

X, Abschrift Berlin, 28.6.1967, EZA 97/728,

215: Brief Lothar Kreyssig an EKU-Vize-

Jahrestreffen zu Neujahr 1967 an den Deutschen

Eintrag vom 9.6.1967 (S. 4).

präsident Söhngen, o.D. (vermutlich Ende

Evangelischen Kirchentag, EZA 97/1115.

206: Vgl. Brief Lothar Kreyssig an Rosema-

1967), EZA 97/1560.

194: Zitiert nach: Christian Walther (Hg.),

rie Grunow, 20.5.1967, EZA 97/728.

216: Vgl. etwa Volker von Törne, Aktion

Atomwaffen und Ethik. Der deutsche Protestan-

207: Vgl. Brief Johannes Müller an Otto

Sühnezeichen in der Volksrepublik Polen, Ma-

tismus und die atomare Aufrüstung 1954-1961.

Schenk, 22.5.1967, EZA 97/1102.

nuskript vom 23.9.1969, EZA 97/55.

Dokumente und Kommentare, München 1981,

208: Dieses Zitat und das folgende aus:

217: Vgl. Zum Charakter der Sühnezeichen-

S. 142-148, hier S. 145.

Joachim Rücker, Franz Müller, Als Kriegs-

Einsätze in Polen, o.Verf., o.D. (laut Protokoll

195: Vgl. hier und zum Folgenden: Wolf-

dienstverweigerer in Israel, in: Manuskript

der Exekutive West dort am 24.7.1967 zur

gang von Eichborn, Vom Wehrdienst zum

für die Broschüre Sühnezeichen in Israel.

Kenntnis genommen), EZA 97/1102.

Friedensdienst, in: Franz von Hammerstein,

Friedensdienste der Aktion Sühnezeichen, 1973,

218: Vgl. Vermerk Franz von Hammerstein,

Volker von Törne (Hg.), 10 Jahre Aktion

EZA 97/719.

Projekte und Aufgaben der Aktion Sühnezei-

Sühnezeichen [= Berliner Reden 13], Berlin

209: Vgl. Franz von Hammerstein, Sühnezei-

chen/Friedensdienste in der VR Polen, 8.3.1971,

1968, S. 12-19.

chen in Israel – Friedensdienste in Nahost, in:

EZA 97/55.

196: Vgl. Schreiben vom 29.12.1959 (Unter-

Manuskript für Broschüre Sühnezeichen in

219: Vgl. etwa Christian Schmidt, Mini-

zeichner Lothar Kreyssig), EZA 97/265.

Israel. Friedensdienste der Aktion Sühnezeichen,

Information über Aktion Sühnezeichen, Juni

197: Schreiben des Bundesministers für

1973, EZA 97/719.

1969, S. 6 (EZA 97/1754), und Franz von

Arbeit und Sozialordnung an das Bundes-

210: Jürgen Winkel, Die Arbeit der Aktion

Hammerstein, Aktion Sühnezeichen: Was

verwaltungsamt, 5.8.1969, Abschrift durch

Sühnezeichen und der Evangelischen Industrie-

gelingt dabei an wem – gemessen woran?, Mai

Aktion Sühnezeichen, EZA 97/1033.

jugend in Terezín und Lidice in den Jahren 1966-

1967, S. 9, Privatarchiv von Hammerstein.

198: Konrad Lübbert, Gemeinsame Bespre-

1969, Manuskript aus den Jahren nach 1990,

220: Jürgen Winkel, Bericht über die Freiwilli-

chung über „Dienste für den Frieden“ in Frank-

Privatarchiv von Hammerstein, S. 161.

gendienste in der CSSR 1968, September 1969

furt/Main, CVJM-Heim, Wiesenhüttenplatz 33,

211: Hier und zum Folgenden: Brief Jürgen

(versehentlich für 1968?), EZA 97/1775.

am 6. Juli 1967, Kurzprotokoll vom 10.7.1967,

Winkel an die Freunde der CSSR-Arbeit von

221: Konrad Weiß, Prophet, S. 391. 222: Konrad Weiß, Aktion Sühnezeichen in

EZA 97/1102.

Aktion Sühnezeichen und Evangelischer

199: Wolfgang von Eichborn, Freiwillige für

Industriejugend, 30.8.1968, EZA 97/1774.

Polen. Erste Schritte zur Aussöhnung und Ver-

den Frieden, Stuttgart 1970, S. 115 f.

212: Vgl. Jürgen Winkel, Die Arbeit der Aktion

ständigung, in: Basil Kerski, Andrzej Kotula,


Anhang: Endnoten 261

Kazimierz Wóycicki (Hg.), Zwangsverordne-

233: Vermerk von Christian Schmidt,

Büro ASF, S. 15.

te Freundschaft? Die Beziehungen zwischen der

1.2.1971, EZA 97/33.

247: Briefe vom 12. bzw. 15.6.1978 zitiert

DDR und Polen 1949-1990, Osnabrück 2003,

234: Vermerk von Christian Schmidt über

nach Peter Maser, Die Kirchen in der DDR,

S. 243-249, hier S. 248.

ein Gespräch mit Oberkonsistorialrat Stol-

Bonn 2000, S. 55.

223: Konrad Weiß, Konzept für einen Vortrag

pe und Oberkirchenrätin Lewek beim Bund

248: Joachim Garstecki, Versöhnung und

vor Vertretern des Klubs der Katholischen

der Evangelischen Kirchen in der DDR am

Zusammenleben am Beginn der achtziger Jahre.

Intelligenz in Warschau (Manuskript), o.D.

10.12.1970, EZA 97/33.

Referat auf dem Jahrestreffen der Aktion Sühne-

(Anfang 1968), Privatarchiv Konrad Weiß.

235: Hier und im Folgenden: Vermerk von

zeichen in der DDR in Berlin-Weißensee am 28.

224: Vgl. Aktenvermerk zur Aussprache

Christian Schmidt vom 1.2.1971, EZA 97/33.

Dezember 1979 (Originaltitel dort: Heute die

der Genossen Wilke und Gotthardt mit

236: Monatsbrief Mai 1971 (Die Monatsbriefe

nötigen Schritte tun – Menschen auf dem Weg zueinander), zitiert nach: Junge Kirche 1980,

Christian Schmidt und Dietrich Erdmann

der Aktion Sühnezeichen sind gesammelt

am 16.4.1970, 18.4.1970, BArch DO 4/598.

im Büro ASF).

S. 271-277, hier S. 276 f.

225: Christian Schmidt und Günter Särchen

237: Hier und im Folgenden: Papier ohne

249: Laut Monatsbrief März/April 1980 um

(Letzterer „gez.“), Protokoll einer Bespre-

Titel und Datum „An die Mitglieder des

13,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr – das

chung im Staatssekretariat für Kirchenfra-

Leitungskreises. An die Lagerleiter. An die

seinerseits schon Zuwachs zu verzeichnen

gen der DDR am 22.5.1967, EZA 97/937.

Leiter der Bezirksgruppen“, EZA 97/1755.

hatte.

226: Wolf Dietrich Gutsch, Friedensaufgaben

238: Monatsbrief September 1971.

250: Vgl. Monatsbrief April/Mai 1979, der

für Sühnezeichen in der DDR, handschriftli-

239: Brief Christian Schmidt an Manfred

auch die stolze Zahl von sechs „Leiterrüs-

che Notizen von Konrad Weiß zum Referat

Stolpe, 20.11.1972 (Anlage Monatsbrief

ten“, also Vorbereitungstreffen für die für

beim Jahrestreffen ASZ 1967/68, Privatar-

Dezember samt Programm Jahrestreffen),

Sommerlager Verantwortlichen, nennt.

chiv Konrad Weiß (Kleinschreibung i.O.).

EZA 97/925.

251: Vgl. Monatsbrief Januar/Februar

227: Konrad Weiß, Bericht der Arbeitsgruppe

240: Monatsbrief Februar 1970.

1980, der auch auf die Verjüngung der

„Christliches Engagement in der DDR“, Jahres-

241: Vgl. Monatsbrief September 1970.

Teilnehmer verweist und vom Beginn einer

treffen ASZ 1967/68, EZA 97/639.

242: Dietrich Erdmann, Mit Sühnezeichen un-

Tradition berichtet: Gesprächsrunden in

228: Vgl. hier und zum Folgenden: Einige

terwegs (Rückblick beim Jahrestreffen 1975),

überschaubarer Größe finden in Wohnun-

Gedanken zum Lagerthema: Gesellschaftliches

in: Monatsbrief Januar/Februar 1976,

gen von Berliner Freunden statt.

Engagement des Christen in der DDR, o.Verf.,

S. 3-6, hier S. 5.

252: Zum Resümee der ersten Friedens-

o.D., EZA 97/639.

243: So Friedrich Magirius in seiner Vorstel-

woche vgl. Karl-Klaus Rabe, Bundesweite

229: Christian Schmidt und Günter Särchen

lung als neuer Leiter der Aktion Sühnezei-

Friedenswoche – Einige Bemerkungen zu

(Letzterer „gez.“), Protokoll einer Bespre-

chen, Monatsbrief Februar 1974,

unserer Initiative, in: Aktion Sühnezeichen/

chung im Staatssekretariat für Kirchenfra-

S. 5 f. Er führt aus: „Kann ich mich wirklich

Friedensdienste (Hg.), Frieden schaffen

gen der DDR am 22.5.1967, EZA 97/937.

in den anderen hineindenken, mich in

ohne Waffen. Aktionshandbuch 2, Bornheim-

230: Vgl. Verfügung Bezirksrat Beyer (Stadt-

seine Lage, in seine Vorstellungen hinein-

Merten 1981, S. 53-55.

bezirk Mitte von Berlin) vom 23.9.1969,

denken, kann ich den anderen wirklich als

253: Vgl. Volkmar Deile, Die erste bundesweite

Abschrift der Aktion Sühnezeichen, EZA

den finden, den Christus genauso versöhnt

Friedenswoche 1980 – Ergebnisse und Perspek-

97/1754.

hat wie mich?“

tiven aus der Sicht der Initiatoren, Papier vom

231: Brief der Leitung an die Freunde von

244: Teilnehmerbericht o.Verf. im Monats-

15. Juni 1981, EZA 97/863, S. 1.

Aktion Sühnezeichen vom 8.6.1970, EZA

brief Dezember 1975.

254: Einladung zum Jahrestreffen der

97/921.

245: Protokoll Leitungskreissitzung vom

Friedensdienste vom März 1974, EZA 97/840.

232: Rede Dietrich Erdmann zum Jubiläum

24./25.1.1975, EZA 97/1755.

255: Zitiert nach: zeichen extra. Berichte vom

„40 Jahre Sommerlager“ am 12.1.2002, Ma-

246: Textheft zum Gottesdienst am 6.5.1975

Festival der Friedensdienste Pfingsten 1974 in

nuskript, Büro ASF.

in der Ost-Berliner Bartholomäuskirche,

Friesenhausen (Unterfranken), Beilage zu


262

zeichen 3/1974, S. 3.

zeichen 1/2003, S. 5.

256: Wolfgang von Eichborn, Ulrich Frey,

269: Helmut Gollwitzer, Brief an einen

Dezember 1974, EZA 97/802, S. 7 f., hier S. 7.

Ideenskizze (Stand 10.2.1975) Festival der Frie-

Freiwilligen in Israel, in: Orientierung Mai

281: Rolf Gehrmann, Protokoll vom Sonntag,

24.11.1974, in: ASF-Orientierung November/

densdienste Friesenhausen, EZA 97/840.

1978, EZA 97/804. Der Brief wurde auch

den 21.9.1975, EZA 97/623.

257: Ulrich Frey, Festival der Friedensdienste

abgedruckt in: zeichen 3/1978, S. 25 f.

282: Petition o.D. (1975/76;), unterzeichnet

1974, 1975, 1976, in: zeichen 2/1975, S. 7-9,

270: Matthias Loerbroks, Junge Täter, junge

von Freiwilligen aus Belgien, Frankreich,

hier S. 9.

Tote. Aus Mord lässt sich nichts lernen, in:

USA, Großbritannien und von Ehemaligen,

258: Schlusserklärung des III. Festivals in Frie-

zeichen 1/2003, S. 8.

EZA 97/10.

senhausen (Auszüge), in: zeichen 2/1976, S. 12.

271: Nahostkonflikt kein Blitzableiter für eigene

283: Volkmar Deile, Einige Bemerkungen

259: Zitiert nach: Helmut Zander, Die

Geschichtsbearbeitung. Erklärung der Aktion

zur Situation der Freiwilligen bei der Aktion

Christen und die Friedensbewegungen in beiden

Sühnezeichen Friedensdienste zur aktuellen Si-

Sühnezeichen/Friedensdienste, 15.3.1976, EZA

deutschen Staaten. Beiträge zu einem Vergleich

tuation in Israel und Palästina, Juni 2002, zi-

97/1116, S. 3.

für die Jahre 1978-1987, Berlin 1989, S. 77.

tiert nach: http://www.asf-ev.de/ueber_uns/

284: Martin Schmidt, Zur Mitbestimmung bei

260: Volkmar Deile, Die weitere Perspektive.

positionen/nahost_konflikt_kein_blitzab-

ASF, September 1977, EZA 97/621.

Festival 77,78, 79, 80 ..., in: Aktion Sühnezei-

leiter_fuer_eigene_geschichtsbearbeitung/

285: Ebd.

chen Friedensdienste (Hg.), Dokumentation

272: Bernhard Krane, Gebrannte Kinder, in:

286: Axel Preuschoff, Praxisbegleitende Län-

des 3. Festivals 1976, Juli 1976, EZA 97/841,

zeichen 1/1998, S. 19.

dertreffen – Bestandteile des ASF-Curriculums

S. 225-228, hier S. 227.

273: Vgl. hier und zum Folgenden Gerhard

von Friedensdiensten, Papier vom 19.2.1976,

261: V. Festival der Friedensdienste: Leben ohne

Möckel, Anlage zum Protokoll der Mitglieder-

EZA 97/254.

Waffen – Frieden ist der Weg. Einladung in

versammlung vom 28.4.1973, 9.5.1973, EZA

287: Vgl. Volker von Törne, Internationale

zeichen 2/1978, S. 33.

97/8.

Jugend-Begegnungsstätte bei Auschwitz. Gene-

262: Zur Initiative von Manfred Linz und

274: Gerhard Möckel, Bericht des Vorsitzenden

sis des Projektes, in: zeichen 2/1977, S. 13 f. 288: Volker von Törne, Referat 22. Juni 1974

Peter Hertel vgl. Volkmar Deile, Friedens-

des Vorstandes der ASF auf der ordentlichen

dienst mit und ohne Waffen? Plädoyer für die

Mitgliederversammlung am 5. April 1975,

Konsultation Evangelische Akademie, Manu-

Wiederaufnahme einer Debatte, in: zeichen

14.4.1975, EZA 97/9.

skript vom 21.6.1974, EZA 97/1646, S. 7.

1/1980, S. 7-10, hier S. 9.

275: Gerhard Möckel, Anlage zum Protokoll

289: Brief des Auswärtigen Amts (Unter-

263: Frieden schaffen ohne Waffen. Aufruf

der Mitgliederversammlung vom 28.4.1973,

schrift unleserlich) an Staatsministerin

zitiert nach zeichen 2/1980, S. 11.

9.5.1973, EZA 97/8.

Hildegard Hamm-Brücher (allerdings laut

264: Karl-Klaus Rabe, Thesen zur Ausweitung

276: Vgl. hier und zum Folgenden Gerhard

Anschrift in ihrer Funktion als bayrische

der bundesweiten Friedenswoche, 16.-22.11.1980,

Möckel, Jahresbericht des Vorstandes der ASF

FDP-Abgeordnete), 12.11.1976, EZA 97/173.

EZA 97/863.

am 23.3.1974, 5.4.1974, EZA 97/8.

290: Vgl. Brief Hans-Dietrich Genscher an

265: Heiner Holland, Ein Tag, der uns verän-

277: Gerhard Möckel, Bericht des Vorsitzenden

den ASF-Vorsitzenden Kurt Scharf, 6.4.1977,

dert hat. Wie der 26. April 1978 in Berlin erlebt

des Vorstandes der ASF auf der ordentlichen

EZA 97/1731.

wurde, in: zeichen 1/2003, S. 4 f., hier S. 5.

Mitgliederversammlung am 5. April 1975,

291: So die Formulierung des Spendenauf-

266: Stellungnahme zitiert nach: Volkmar

14.4.1975, EZA 97/9.

rufs der späten Siebziger, hier zitiert nach

Deile, Liebe Freunde der Aktion Sühnezeichen

278: Brief Ekhard Brandes nach Berlin, in:

zeichen 3/1976, S. 6.

Friedensdienste! (Informationen zum An-

ASF-Orientierung November/Dezember 1974,

292: Vgl. Brief von USA-Freiwilligen an die

schlag in Nablus), in: zeichen 2/1978,

EZA 97/802, S. 14 f., hier S. 14.

„lieben Demo-Organizer/innen“, 11.10.1981,

S. 2 f., hier S. 2

279: Hier zitiert nach Nicht mehr auf Linie

EZA 97/1123.

267: Erklärung des Vorstandes der ASF,

Israels, in: Frankfurter Rundschau, 6.2.1975.

293: Vgl. Statement Andreas Zumach im

27.4.1978, Büro ASF.

280: Brief von Karin Zimmer und Klaus

Informationsdienst Junges Wort Nr. 13,

268: Die Traueranzeige ist abgedruckt in:

Illi an den Israel-Ausschuss in Berlin,

23.9.1981, zititert nach: Rufus Flügge, Kurt


Anhang: Endnoten 263

Scharf, Ulrich Frey, Volkmar Deile, Antwort

onspolitischen Tagung der SPD am 2./3.10.1981,

der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste

EZA 97/1159, S. 7.

beginnt jetzt erst richtig – Perspektiven der

(ASF) und der Aktionsgemeinschaft Dienst für

300: Volkmar Deile, Wohin geht die Friedens-

Friedensbewegung nach dem Beginn der Stati-

den Frieden (AGDF) auf die „kleine Anfrage

bewegung? Thesen zur Situation und Strategie

onierung ist der Titel eines Grundsatztextes

der CDU/CSU“ vom 4.12.1981, 5.1.1981, EZA

der Friedensbewegung, in: pax an 3/Juni 1982,

von Volkmar Deile vom 7.12.1983 (Manu-

97/956.

S. 11.

skript), EZA 97/72.

294: Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam

301: Vorwort der Redaktion, in: Aktion

312: Brief Heike Krieger, Gregor Amann,

vorgehen! – Für Abrüstung und Entspannung

Sühnezeichen/Friedensdienste, Aktions-

Kristin Flory, Jo Rodejohann, Eva Michels,

in Europa! Aufruf zur Demonstration und

gemeinschaft Dienst für den Frieden (Hg.),

Andreas Zumach an „Liebe Friedensfreunde und -freundinnen“, Anfang Dezember

311: Die politische Arbeit der Friedensbewegung

Kundgebung am 10.10. in Bonn, zitiert nach:

Bonn 10.10.81, a.a.O., S. 9 f.

Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Ak-

302: Volkmar Deile, Wohin geht, a.a.O..

1983, EZA 97/1177.

tionsgemeinschaft Dienst für den Frieden

303: Ebd.

313: Die neuen Raketen zwingen die Friedens-

(Hg.), Bonn 10.10.81. Friedensdemonstration

304: Wir bitten um Frieden. Gemeinsame

bewegung auf neue Wege. Die Aktion Sühnezei-

für Abrüstung in Europa. Reden, Fotos ...,

Erklärung der Aktion Sühnezeichen in der DDR

chen will Friedensarbeit vor Ort sicherstellen/

Bornheim-Merten 1981, S. 7.

und der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste

Vorerst kein Austritt aus der NATO, sondern

295: ASF und AGDF erklärten, dass „ein

aus Anlass ihres 25-jährigen Bestehens am 30.

Auflösung der Militärblöcke gefordert, in:

offizielles Auftreten als Sprecher auch der

April 1983, in: zeichen 2/1983, S. 5.

Frankfurter Rundschau (Dokumentation),

PLO oder im Namen der PLO wegen der

305: Zeichen des Friedens und der Versöhnung

19.12.1983. Hier wird kein Verfasser genannt,

ASF-Arbeit in Israel so lange nicht möglich

setzen. Gemeinsames Wort der Aktion Sühnezei-

es handelt sich jedoch um den oben ge-

sei, wie das Streben der PLO nach einem

chen in der DDR und der Aktion Sühnezeichen/

nannten Text von Volkmar Deile,

eigenen palästinensischen Staat das Exis-

Friedensdienste in Berlin (West) zum 8. Mai

s. Anm. 311. 314: Vgl. hier und im Folgenden Thomas

tenzrecht Israels als Staat nicht anerkennt“.

1945, in: zeichen 1/1985, S. 10.

Vgl. Antwort der Aktion Sühnezeichen/Frie-

306: Vgl. den ausführlichen Reisebericht

Lutz, Geschichte wird besetzt. Zur Planung der

densdienste auf Anfragen und Kritik wegen der

von Volkmar Deile, US-Friedensbewegung:

‚nationalen Museen‘ für deutsche Geschichte in

nicht gehaltenen Rede des ANC-Vertreters Tony

Den Fuß in die Tür gestellt, in: zeichen 2/

Berlin (West) und Bonn beziehungsweise des

Seedat am 10.10.1981, 30.11.1981, EZA 97/14.

30. Juni 1982, S. 16 – 19.

‚nationalen Mahnmales‘ in Bonn, in: zeichen

296: Vgl. zur Auseinandersetzung: Roland

307: So Karl-Klaus Rabe, Umkehr in die

3/1986, S. 14-18.

Vogt, Lässt sich die Friedensbewegung

Zukunft. Die Arbeit der Aktion Sühnezeichen/

315: Thomas Lutz, Freiwillige in Gedenkstät-

verepplern? Kritische Nachlese zur Bonn-Demo,

Friedensdienste, Bornheim-Merten 1983,

ten, in: zeichen 1/1987, S. 4 f., hier S. 4.

in: Umweltmagazin (Periodikum des BBU)

S. 137.

316: Entschließung der Mitgliederversammlung

6/1981, S. 6-9, und die Replik von Ulrich

308: Volkmar Deile, Quo usque tandem? Wie

der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste: „Alle

Frey, „Wir haben so etwas nicht geplant“, in:

lange „noch“? Anmerkungen zur aktuellen

Opfer anerkennen“ (vom 28. April 1985), in:

Umweltmagazin 1/1982, S. 15-17.

Friedensdiskussion in den Kirchen, in: zeichen

Kirchenamt der Evangelischen Kirche

297: Peter Quay, Fünf bunte Säulen bewegen

4/Dezember 1982, S. 6-8, hier S. 8.

in Deutschland (Hg.), Vergessene Opfer.

sich auf Bonn zu. Am 10. Oktober wird mit bis

309: Volkmar Deile, Frieden durch Sicher-

Kirchliche Stimmen zu den unerledigten Fragen

zu 150.000 Friedensdemonstranten gerechnet,

heitspartnerschaft, in: zeichen 4/Dezember

der Wiedergutmachung an Opfern nationalsozialistischer Verfolgung [= EKD-Texte 21],

in: Bonner Rundschau, 1.10.1981.

1983, S. 30 f.

298: Schmidt: SPD hat einen Fehler gemacht.

310: Brief Volkmar Deile, Andreas Zumach,

Hannover 1987, S. 12 f.

„Die Partei hat versäumt, der Friedenssehnsucht

Kristin Flory, Gregor Amann, Heike Krieger

317: Vgl. Hildegard Hamm-Brücher, Eine

vieler Menschen ein Forum zu bieten“, in:

an „Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter

Bilanz nach mehr als 50 Jahren: Anerkennung

Süddeutsche Zeitung, 8.10.1981.

in der Friedensarbeit“, Weihnachten 1983,

und Entschädigung aller NS-Verfolgten, in:

299: Willy Brandt, Rede vor der organisati-

EZA 97/72.

Endlich Gerechtigkeit schaffen! Anerkennung


264

und Entschädigung aller NS-Verfolgten – jetzt!

gang Raupach in Vertretung von Wolfgang

Dokumentation der Veranstaltung beim 27.

Brinkel), in: Forum, S. 11-15.

nehmer 1983, 4.7.1983, EZA 97/1757.

Deutschen Evangelischen Kirchentag in Leipzig

328: Helga Krüger-Day, Offener Brief an den

339: Brief der Leitung der Aktion Sühnezei-

(1997), www.asf-ev.de/aktuell/doku/kt97-1.

Vorstand und die Geschäftsführung von Aktion

chen an die Botschaften der Sowjetunion

htm.

Sühnezeichen Friedensdienste, 23.4.1989,

und der USA, 28.11.1983, unterzeichnet von

318: Hartmut Gerstein (Gustav-Stresemann-

Handakte Adelheid Scholten.

Werner Liedtke und, stellvertretend, Maria

Institut), Thomas Lutz (ASF), Pressemittei-

329: Brief Dietrich Goldschmidt an Helga

Lorenz, Joachim Stellmacher, Christian

lung, 2.11.1987, EZA 97/23.

Krüger-Day (Abschrift), 4.5.1989, Handakte

Waldmann, Christoph Münchow und Die-

der Aktion Sühnezeichen an alle Lagerteil-

319: Einladung zum Symposium „Blinde

Scholten.

ter Tautz, wiedergegeben im Monatsbrief

Flecken der Erinnerung. ‚Vergessene‘

330: Friedrich Magirius, Liebe Freunde! in:

Januar/Februar 1984, S. 7 f.

Verfolgte des NS-Regimes“, 23.-25.6.1995 in

Monatsbrief Dezember 1982.

340: Protokoll der Klausurtagung des Lei-

Berlin (Faltblatt), EZA 97/1916.

331: Vgl. Friedrich Magirius, Leitungsbericht

tungskreises 27.-29.1.1984 in Heiligengrabe,

320: Vgl. Johannes Zerger, Ein unmoralisches

zum Jahrestreffen Ende 1980, abgedruckt

EZA 97/1757.

Angebot. Gesetzentwurf zur Entschädigung

im Monatsbrief Januar/Februar 1981, S. 5-8.

341: Brief ohne Verfasser an Werner Liedtke,

ehemaliger NS-Zwangsarbeiter dringend kor-

332: Vgl. Friedrich Magirius, Leitungsbericht

13.12.1983 (vorliegend nur eine deutsche

rekturbedürftig, in: zeichen 1/2000, S. 9.

zum Jahrestreffen Ende 1981, abgedruckt

Übersetzung aus dem Russischen und ohne

321: Christoph Heubner, Alwin Meyer, Liebe

im Monatsbrief Januar/Februar 1982, S. 5-8.

Anlagen), BArch DO 4/814. 342: Aktenvermerk zu einem Gespräch des AL II,

Freunde! (Editorial), in: zeichen 4/1984, S. 2.

333: Das Verbindungsglied ist der katholi-

322: Günter Berndt, Mühsam erworbenes

sche Theologe Theo Mechtenberg, der in

Dr. Wilke, mit der Leitung der „Aktion Sühne-

Vertrauen wird verspielt, in: zeichen 4/1984,

den Siebzigern einige Jahre in Polen gelebt

zeichen“ in der DDR am 11.1.1984 in der Dienst-

S. 14 f., hier S. 15.

hatte und nun im Gesamteuropäischen

stelle des Staatssekretärs für Kirchenfragen,

323: Mieczys aw F. Rakowski, Ich finde

Studienwerk in Vlotho arbeitete – vgl. Theo

12.1.1984, BArch DO 4/4806. Liedtke wurde

keine beruhigende Antwort (Rede anlässlich

Mechtenberg, Christliches Engagement.

laut Protokoll begleitet von Christian Wald-

der Einweihung der IJBS Auschwitz am

Opposition und Poleninitiativen im Raum der

mann und Christoph Münchow.

7.12.1986; Übersetzung: Jochen August), in:

Magdeburger katholischen Kirche, in: Basil

343: Werner Liedtke, Die Aktion „Sühne-

zeichen 2/1987, S. 12 f., hier S. 12.

Kerski, Andrzej Kotula, Kazimierz Wóyci-

zeichen“ in der DDR. Beobachtungen eines

324: Franz von Hammerstein nennt Char-

cki (Hg.), Zwangsverordnete Freundschaft?

Hauptbeteiligten, in: Horst Dähn, Helga

kow, Wolgograd und Kiew als solche „Part-

Die Beziehungen zwischen der DDR und Polen

Gottschlich (Hg.), „Und führe uns nicht in

nerstädte“. Vgl. Ders., Anfänge der Arbeit in

1949-1990, Osnabrück 2003, S. 235-242, vor

Versuchung ...“ Jugend im Spannungsfeld von Staat und Kirche in der SBZ/DDR 1945 bis 1989,

der UdSSR, in: zeichen 3/1988, S. 32 f.

allem S. 241 f.

325: Ebd., S. 33.

334: Ludwig Mehlhorn, Zur Polen-Serie, in:

Berlin 1998, S. 283-308, hier S. 289.

326: Christoph Heubner, Sühnezeichen in der

Monatsbrief September 1985, S. 3 f.

344: Zwischen Mai 1985 und Mai/Juni 1986

UdSSR – Positionsbestimmung und Ausblick.

335: Stephan Bickhardt, Gedanken zum

stellen sich vor: Schalomgemeinschaft

Referat anlässlich des Mitgliedergesprächs am

besonderen Friedensauftrag der Aktion Sühne-

Rostock, Friedenskreis Berlin-Pankow,

29.10.1988 in Bad Segeberg, in: Forum. Rund-

zeichen, EZA 97/1758.

Christliches Friedensseminar Königswalde,

brief für die Mitglieder und den Freundeskreis

336: Dietrich Erdmann, (Einleitung zum)

Naumburger Friedenskreis/„Abrüstung

44/Januar 1989, S. 15-19, hier S. 18 (im Fol-

Monatsbrief Mai 1982, S. 1 f., hier S. 2.

von unten“, Frieden ‘83.

genden kurz zitiert als Forum und nach den

337: Vgl. hier und zum Folgenden Friedrich

345: Vgl. hier und im Folgenden Information

im Büro der ASF archivierten Exemplaren).

Magirius, Leitungsbericht zum Jahrestreffen

zum politischen Profil und zu Aktivitäten der

327: Vgl. Protokoll 1/85 der Mitgliederversamm-

Ende 1981, abgedruckt im Monatsbrief Janu-

„Aktion Sühnezeichen“, 2.7.1984, BArch

lung der ASF, 27.-28.4.1985, darin TOP 4,

ar/Februar 1982, S. 5-8, hier S. 7.

DO 4/4806.

Finanzbericht des Geschäftsführers (Wolf-

338: Friedrich Magirius, Brief der Leitung

346: Vgl. Werner Liedtke, Bericht des Leiters.


Anhang: Endnoten 265

Jahrestreffen 1985, in: Monatsbrief Februar

Ruth Misselwitz, Christian Staffa, Bericht

1986, S. 6 f., hier S.7.

des Vorstands von Aktion Sühnezeichen

S. 30 f., hier S. 30.

347: Vgl. Protokoll der Leitungskreissitzung

Friedensdienste, in: Jahresbericht 2005 der

367: Vgl. zum Folgenden Gedächtnisprotokoll

von 20./21.3.1987, EZA 97/1758. Über den Lei-

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste,

der Klausurtagung vom 6. Juni 1990 zur

tungsbericht beim Jahrestreffen Ende 1987

S. 3-20, hier S. 13.

weiteren Gestaltung der Arbeit von Aktion

gelangt das Diktum auch in die Westpresse:

357: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste

Sühnezeichen Friedensdienste und der Aktion

Aufgegriffen wird es beispielsweise in

e.V. (Hg.), Der Zukunft auf der Spur. Aktion

Sühnezeichen, zugleich Diskussionsgrundlage

Albrecht Hinze, „Aktion Sühnezeichen“ in der

Sühnezeichen Friedensdienste. Ziele, Selbst-

für die Sitzung am 4. Juli im Niemöller-Haus

DDR. Erst skeptisch beobachtet – jetzt belobigt,

verständnis, Arbeitsfelder, Berlin (ASF-

um 13:00, EZA 97/1545. 368: Hier und im Folgenden: Protokoll

Materialien zur Mitgliederversammlung 1991,

in: Süddeutsche Zeitung, 9.1.1988.

Broschüre) 2006, S. 5.

348: Zum Gespräch mit dem Leitungskreis der

358: Dietrich Goldschmidt, Jahresbericht des

vom Treffen der ASZ-ASF-MitarbeiterInnen

‚Aktion Sühnezeichen‘ beim HAL [Hauptabtei-

Vorstands und der Geschäftsstelle zur MV vom

am Mittwoch, dem 4. Juli 1990 im Martin-

lungsleiter] am 20.3.1987, Notiz ohne Datum,

27. bis 29. April 1990, in: Forum 50/April 1990,

Niemöller-Haus, 6.7.1990, EZA 97/30.

BArch DO 4/1205.

S. 5-9, hier S. 6.

369: B. Kouba, Eigentlich gab es nichts Un-

349: Vgl. Sommerlager als Freiheitsräume in

359: Vgl. Eva Michels, Zur Arbeit im Inland,

wichtiges! Meine Eindrücke vom Sonderjahres-

der DDR. Interview mit Michael Standera über

in: Forum 50/April 1990, S. 41 ff., hier S. 43.

treffen, in: Monatsbrief Oktober/November

das Verhältnis von ASZ zum Staat, in: zeichen

360: Margarete Kemmer, „Es schließt sich

1990, S. 5 f., hier S. 5. 370: Vgl. Klaus Geyer (Vorstand), Jo

1/2002, S. 10 f.

ganz einfach die deutsche Falle“, in: zeichen 1/

350: Vgl. Aktennotiz über ein Gespräch mit dem

März 1990, S. 8 f., mit einem Zitat aus der

Rodejohann und Beatrix Spreng (Ge-

Leitungskreis der „Aktion Sühnezeichen“ in der

Zeitung Le Monde vom 2.3.1990.

schäftsführung), Brief an die Mitglieder des Leitungskreises und die Teilnehmerinnen

DDR am 20.3.1987 in der Dienststelle, 15.4.1987,

361: Jahresbericht des Vorstandes und

BArch DO 4/4806.

der Geschäftsstelle zur Mitgliederversamm-

und Teilnehmer des Sonderjahrestreffens der

351: Werner Liedtke, Aus dem Bericht des

lung vom 27. bis 29. April 1990, in: Forum

Aktion Sühnezeichen, 21.9.1990, EZA 97/30, abgedruckt auch im Monatsbrief Oktober/

Leiters (gekürzt). Vorgetragen am 29.12.1987

50/April 1990, S. 5 ff., hier S. 6.

auf dem Jahrestreffen, in: Monatsbrief Januar/

362: Zum gesamten Absatz vgl. Protokoll der

November 1990.

Februar 1988, S. 7 ff., hier S. 8.

Mitgliederversammlung der Aktion Sühnezei-

371: Werner Liedtke, Das Treffen in Berlin

352: Vgl. Protokoll der Leitungskreissitzung

chen/Friedensdienste e.V. vom 27. bis 29. April

und der Weg zur Vereinigung, in: Monatsbrief

am 20./21.3.1987, EZA 97/1758.

1990 im Haus der Kirche, Berlin, Goethestraße,

Oktober/November 1990, S. 3.

353: Vgl. Werner Liedtke, Aus dem Bericht des

Handakte Scholten, S. 9 f.

372: Rahmenvereinbarung über die Arbeit der

Leiters (gekürzt). Vorgetragen am 29.12.1987

363: Menschenkette durch die DDR, Aufruf im

Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste nach dem

auf dem Jahrestreffen, in: Monatsbrief Januar/

Monatsbrief Oktober/November 1989, S. 14.

Zusammenschluss der Aktion Sühnezeichen

Februar 1988, S. 7 ff., hier S. 8.

364: Werner Liedtke, Bitte um Spenden, in:

(ASZ) und der Aktion Sühnezeichen/Friedens-

354: Sommerlager als Freiheitsräume in der

Monatsbrief der Aktion Sühnezeichen Mai/Juni

dienste (ASF), in: Forum: Materialien zur

DDR. Interview mit Michael Standera über

1990, S. 19 f., hier S. 20.

Mitgliederversammlung 1991, S. 30 f.

das Verhältnis von ASZ zum Staat, in: zeichen

365: Einladung zur Mitgliederversammlung

373: Vgl. hier und zum Folgenden Chris-

1/2002, S. 10-11, hier S. 11.

26.-28.4.1991 „an die Mitglieder, Freundin-

tiane Müller, Wir schonten uns nicht ..., in:

355: Zitiert nach dem Monatsbrief Septem-

nen und Freunde der Aktion Sühnezeichen/

Monatsbrief Sommer 1991, S. 6 f.

ber 1988, S. 15 f.

Friedensdienste e.V.“, 20.3.1991, Handakte

374: Vgl. Dieter Wulf, Das Ende des Kalten

356: Vgl. den Bericht zum EKD-Haushalts-

Scholten.

Krieges stellt die Friedensbewegung auf die Pro-

plan für 2006, der keine Kürzung der

366: Jo Rodejohann, Zum Zusammengehen

be. Strukturprobleme bei Aktion Sühnezeichen

Zuwendung (er macht sieben Prozent des

der Aktion Sühnezeichen und der Aktion

erschweren die Arbeit/Selbstkritische Fragen

Gesamthaushalts von ASF aus) vorsah , in:

Sühnezeichen/Friedensdienste, in: Forum:

werden ausgeblendet/Auch Entspannungspo-


266

litik führte zu Opfern und Beschädigungen, in:

Protokoll der ASF-Mitgliederversammlung,

Kschenka.

Frankfurter Rundschau, 11.8.1992.

Berlin, 26./27. April 1997, Büro ASF.

394: Klaus Geyer, Nach dem Golfkrieg – Besuch

375: Vgl. Andreas Maislinger, Moralisches

385: Vgl. Anhang zum Protokoll der ASF-

in Israel, in: zeichen 3/1991, S. 10-13, hier S. 11.

Gefälle, in: Die Welt, 10.8.1991.

Mitgliederversammlung, Berlin, 26./27. April

395: Brief Schalom Ben-Chorin an Heribert

376: Christoph Heubner, Zur Geschichte der

1997, Büro ASF, S. 1.

Krane, 26.3.1991, EZA 97/1812.

ASF-Arbeit in Polen, in: Forum 56/Juni 1992,

386: Vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung

396: Brief Heribert Krane an „in Beienrode

S. 18 f., hier S. 18.

am 26./27.4.1997, Büro ASF, S. 4.

versammelte Freiwillige, Vorstandsmit-

377: Vgl. Armin Mitter, Stefan Wolle, Ich lie-

387: Vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung

glieder, MitarbeiterInnen“, 17.1.1991, EZA

be euch doch alle. Befehle und Lageberichte des

von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.

97/1814.

MfS Januar bis November 1989, Berlin 1990.

am 13./14. Juni 1998 in Berlin-Dahlem, Büro

397: Vgl. etwa die Abdrucke in zeichen

378: Michael Standera, War die Stasi auch bei

ASF, S. 2.

2/1977; 1/1981; 2/1986; 3/1991. Der folgende

uns?, in: Monatsbrief Herbst 1992, S. 16-18,

388: Vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung

Absatz bezieht sich auf die Fassung der

hier S. 16. Vgl. hier auch das wörtliche Zitat

von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.

Grundsätze vom Januar 1990, abgedruckt in:

aus dem Buch Ich liebe euch doch alle. Befehle

am 13./14. Juni 1998 in Berlin-Dahlem, Büro

Mit ASF in Israel. Im dritten Jahr der Intifada.

und Lageberichte des MfS, Januar bis November

ASF, S. 5.

Freiwillige und Mitarbeiter berichten, Berlin

1990, Berlin 1990, von Armin Mitter und

389: Ruth Misselwitz, Christian Staffa,

(ASF-Broschüre) 1990, S. 25-27. 398: Kein Ende der Gewaltexplosion in Sicht.

Stefan Wolle.

Bericht des Vorstands von Aktion Sühnezeichen

379: Vgl. hier Monika Herrmann, Wir haben

Friedensdienste in: Jahresbericht der Aktion

Zum Aufstand in den besetzten Gebieten und

die genommen, die da waren. Stasi-Zusam-

Sühnezeichen Friedensdienste 2006, S. 3-20,

der Israel-Arbeit von ASF, o. Verf. (vermutlich

menarbeit – Auch im ehemaligen West-Berlin

hier S. 5.

Bernhard Krane) in: Forum 40/1988, S. 7 f.

eine tickende Zeitbombe? (Interview mit Hu-

390: Vgl. Brief von Klaus Geyer (Vorsitzen-

399: Vgl. hier und zum Folgenden Ulrike

bertus Knabe), in: Berlin-Brandenburgisches

der), Beatrix Spreng (geschäftsführende

Berger, Jörn Böhme, Dietrich Gaede,

Sonntagsblatt, 8.12.1991.

Pfarrerin), Bernhard Krane (Israel-Refe-

Bernhard Krane, Heribert Krane, Offener

380: Christiane Müller, Uta Gerlant, Am

rent), 22./23.1.1991 (Datierung an Anfang

Brief an alle, die in der Bundesrepublik und in

Anfang gemeinsamer Erinnerung (Leserbrief ),

und Ende nicht identisch), zitiert nach:

den besetzten Gebieten mit Sorge verfolgen und sich fragen, was sie tun können, Berlin (ASF-

in: Forum 56, Juni 1992, S. 8 f.

Forum Extra: ASF und der Golfkrieg (März

381: Vgl. Anhang zum Protokoll der ASF-

1991), S. 6-8, abgedruckt auch als Editorial

Broschüre) 1988.

Mitgliederversammlung am 22.4.1995. Anträge,

der Einlage Israel, der Golf-Krieg und ASF in:

400: Zitiert nach Bernhard Krane, Zum

(2) Antrag zur Aufarbeitung der Geschichte von

zeichen 1/1991, S. 22.

Hintergrund und zur Entstehung dieser

ASF, EZA 97/1916.

391: Zum Ablauf im Detail vgl. Chronologie

Broschüre, in: Mit ASF in Israel. Im dritten

382: Vgl. hier und zum Folgenden Manfred

der Ereignisse in: Forum Extra: ASF und der

Jahr der Intifada. Freiwillige und Mitarbeiter

Karnetzki, Brief an Mitglieder, Mitarbei-

Golfkrieg (März 1991), S. 9-14.

berichten, Berlin (ASF-Broschüre) 1990, S.

terinnen und Mitarbeiterinnen der ASF,

392: Heribert Krane, ASF in Israel (Länderbe-

7 f.

November 1995, EZA 97/1916.

richt zur Mitgliederversammlung 1992), in:

401: Vgl. Dietrich Goldschmidt (für den

383: Vgl. Abschlussbericht der Vertrau-

Forum Frühjahr 1992, S. 13-16, hier S. 14.

Vorstand) und Wolfgang Raupach (für die

enskommission von Aktion Sühnezeichen/

393: Vgl. „Wir wollten unmittelbar bei den

Geschäftsführung), Erklärung der Aktion

Friedensdienste, Manuskript ohne Datum

Menschen in Israel sein“. Mit Unterstützung

Sühnezeichen Friedensdienste e.V. anlässlich des

(vorgetragen laut Protokoll der MV 1998 am

der Aktion Sühnezeichen erlebten drei junge

2. Jahrestages der Intifada, Berlin, im Februar

13.6.1998 von Michael Gärtner in Vertretung

Ostdeutsche Israel während des Krieges, in:

1990, in: Mit ASF in Israel. Im dritten Jahr der

von Hans-Jürgen Fischbeck), Büro ASF.

Berlin-Brandenburgisches Sonntagsblatt/Die

Intifada. Freiwillige und Mitarbeiter berichten,

384: Vgl. Zwischenbericht der Vertrauenskom-

Kirche, 10.3.1991. Die Reisenden waren Joa-

Berlin (ASF-Broschüre) 1990, S. 6.

mission von ASF nach einem Jahr. Anhang zum

chim Rasch, Christiane Müller und Ingolf

402: Manfred Stenner, c/o Friedenskoopera-


Anhang: Endnoten 267

tive (v.i.S.d.P.), Aufruf zur Großdemonstration

tungsseminars Oldenburg August 1996,

in Bonn am 26. Januar 1991, abgedruckt in:

Büro ASF.

Bürgerschaftlichen Engagements“, Deutscher

Forum Extra. ASF und der Golfkrieg, März

414: Die Freiwilligen des BRD-Ländersemi-

Bundestag, Drucksache 14/8900, 3.6.2002.

Bericht der Enquete-Kommission „Zukunft des

1991, S. 21.

nars Hamburg-Neuengamme Mai 1996/

424: Ulla Kux, Erinnerung – Identität – In-

403: Vgl. Eva Michels, Vermerk zur Aufruf­

Weimar-Buchenwald Oktober 1996, Frei-

terkulturalität. Internationale Tagung zur

unterzeichnung für die Demonstration am

willige in Deutschland – Gedanken zu einem

Gegenwartsbedeutung des Nationalsozialismus

26.1.1991 in Bonn, in: Forum Extra. ASF und

Pilotprojekt, Büro ASF.

(im Juni 2000), in: zeichen 3/2000, S. 4 f.,

der Golfkrieg, März 1991, S. 22.

415: Boris Šešlija, Eher Friedensdienst als

hier S. 5.

404: Anzeige von Heribert Krane in der Je-

Sühnezeichen. Unbegrenztes Sühnen verhindert

425: Willy Brandt begann seine Rede anläss-

rusalem Post vom 1.2.1991, Übersetzung aus

normale Beziehungen, in: zeichen 2/2003, S. 13.

lich der Eröffnung einer neuen Ausstellung

dem Englischen nach Forum Extra, S. 18.

416: Bernhard Krane, Den Opfern verpflichtet,

des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam

405: Vgl. die Abschrift der Podiumsdiskus-

in: zeichen 4/1993, S. 6-8 und 13, hier S.6 f.

am 12. Juni 1985 mit dem Satz: „Wer immer

sion in EZA 97/1792.

417: Joachim Rasch, Brigit Scheiger, Regine

dazu auffordert, man möge doch endlich

406: Vgl. den Antrag „Israel – Rüstungsex-

Schröer, Brücken zwischen Partnern. ASF auf

die Vergangenheit ruhen lassen, der unter-

port“, eingebracht von Andreas Zumach

neuen Wegen?, in: zeichen 2/1996, S. 14-16,

stellt bereits im Ansatz etwas Falsches: Sie

und Elke Dümchen, in der Dokumenta-

hier S. 16.

ruht ja nicht!“ Die Autorin dankt dem ehe-

tion Mitgliederversammlung vom 24.4. bis

418: Vgl. hier und zum Folgenden Andrea

maligen deutschen Botschafter Otto von

26.4.1992. Anträge und Beschlüsse, in: Forum

Koch, Erinnerung(en), Identitäten und aktive

der Gablentz für die Quellenangabe und Jan

56/Juni 1992, S. 6 f., hier S. 7.

Bürgerschaft. Neue Ansätze im Begleitpro-

Erik Dubbelman vom Anne-Frank-Haus für

407: Heribert Krane, Zur ASF-Arbeit mit

gramm für ASF-Freiwillige, in: zeichen 3/2000,

den Griff ins Archiv.

Palästinensern in Israel, in: Forum März 1993,

S. 16 f.

S. 16.

419: Zur Evaluierung der Programme in

408: Horst Seferens, Ein Preis, der die Pleite

Frankreich und Großbritannien vgl. Regine

erst richtig publik macht, in: Allgemeine

Schröer, Erinnerungen, Identitäten und

Jüdische Wochenzeitung, 4.3.1993, S. 5.

Engagement. Interkulturelle Erfahrungen

409: Abgedruckt in der Beilage zum zeichen

in den Freiwilligenprogrammen der Aktion

1/1993: Buber-Rosenzweig-Medaille für ASF.

Sühnezeichen Friedensdienste, Berlin (ASF-

410: Zitat aus dem Gutachten des Hambur-

Broschüre) 2005.

ger Wirtschaftsprüfers Dieter Niethammer

420: Anne Katrin Scheffbuch, Trilaterales

vom 14.12.1992 in: Vorstand der ASF,

Programm – das Konzept. Perspektivwechsel bei

Sanierungskonzept zur Vorlage auf der Mit-

ASF, in: zeichen 2/2001, S. 4 f., hier S. 5.

gliederversammlung der Aktion Sühnezeichen

421: Vgl. Protokoll der Vorstandssitzung

Friedensdienste am 16. Januar 1993 in Berlin,

vom 18.12.1999, Büro ASF, S. 1.

15.1.1993, EZA 97/1919, S. 7.

422: Vgl. Ruth Misselwitz, Christian Staffa,

411: Manfred Karnetzki, Presseerklärung der

Bericht des Vorstandes von Aktion Sühnezei-

ASF nach Mitgliedergespräch und Mitglie-

chen Friedensdienste, in: Jahresbericht der

derversammlung 5.‑7.11.1993 in Eisenach,

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste 2004, S.

9.11.1993, EZA 97/944.

3-17, hier S. 6.

412: So der Titel eines Artikels von Joachim

423: Michael Bürsch (Kommissions-Vorsit-

Rasch in: zeichen 4/1996, S. 22.

zender) Vorwort: Für eine starke Bürgerschaft,

413: Nichtdeutsche Freiwillige in Deutschland,

in: Bürgerschaftliches Engagement: Auf dem

Papier der Freiwilligen des Nachberei-

Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft.


268

Namensregister

Berndt, Günter 179, 197, 245, 264

A

Beyer, Bezirksrat 261

Abileah, Joseph 159

Bickhardt, Stephan 206 f., 209,

Abramski, Gundi 137, 215

213, 264

Chavez, Cesar 155

Erdmann, Dietrich 106, 131, 135,

Chruschtschow, Nikita 90, 99, 199, 258 Collins, Betty 84, 257

144, 148, 177, 207, 261, 264 Erdmann-Kutnevic, Sabine 177 Eschenauer, Jörg 245

Conradi, Lutz 19

F

Abrassimow, Pjotr 199, 259

Biebo 256

Adschubej, Alexej 99

Bischoff, Heinrich 121, 260

Agt, Ursel 223

Bismarck, Klaus von 98, 130

D

Falk, Werner 91, 200, 245

Albrecht, Brigitte 74

Blass, Waltraud 195

Dähn, Horst 210, 213, 264

Fallwell, Lynne 246

Amann, Gregor 263

Block, Irmgard 258 f.

Dehling, Heinz 57

Fehlberg, Superintendent 36

Asamoah-Schöne, Hergart 30

Bludau, Heiner 160

Deile, Volkmar 53, 69, 156, 161,

Fietkau, Wolfgang 161

Asse, Reinhold 72 f., 257

Boesche, Norbert 160

164, 166, 174 f. 178 f., 182-186, ,

August, Jochen 264

Böhme, Jörn 178, 238, 266

190, 192, 241, 261-263

Cornelsen, Dirk 186

Falcke, Heino 134, 186

Fischbeck, Hans-Jürgen 231, 266

Bohley, Bärbel 208

Denis, Frère (Taizé) 83

Fischer, Hans 85 f.

B

Bojanowski, Charlotte 259

Deutschkron, Inge 79

Flach, Reinhard 259

Bacon, Jehuda 217

Bolz, Lothar 256

Dieterich, Paul 236

Fleischer, Peter 63, 69

Bahr, Egon 130

Bonhoeffer, Dietrich 112, 163

Dillen, Architekt van 61

Flory, Kristin 263

Baldassare, Dominique 246 f.

Bonnevie-Svendsen, Conrad

Dönhoff, Marion von 24

Flügge, Rufus 262

Döpfner, Julius 98 f.

Förster, Hartmut und Rudi 89

Baraniak, Antoni 90

29, 32, 39 f., 255 f.

Bartels, Till 174

Bor, Josef 125, 150

Dohrmann, Rudolf 128, 197

Frangi, Abdallah 160

Bartoszek, Michael 213

Born, Helga 30

Dombernowski, Wolfgang 259

Frank, Anne 192

Bartoszewski, W adis aw 93 f.

Bosinski, Gerhard 145, 232

Dorkam, Joël 240

Freisler, Roland 192

Bastian, Gert 208

Bourguet, Pierre 88, 255

Dreher, Dr. 170

Freudenberg, Adolf 34, 78, 256

Bauer, Fritz 23-25

Brandes, Ekhard 262

Dubbelman, Jan Erik 267

Frey, Ulrich 156, 158, 184, 262 f.

Bauernkämper, Arnd 88

Brandhuber, Jerzy Adam 95

Dümchen, Elke 267

Friemel, Franzgeorg 258

Beaver, Alton 126

Brandt, Willy 45, 130, 144 f., 170,

Beckmann, Joachim 34 f. 41, 98,

184, 197, 253, 259, 263, 267

Führ, Fritz 34, 37 f., 256

E

Brinkel, Wolfgang 179, 264

Eberhardt, Waltraut 81

G

Beckmann, Lukas 185 f., 208

Broder, Henryk 241

Ebert, Friedrich 259

Christoph Gaede 159, 161

Bednarski, Wolf-Dieter 259

Buber, Martin 76 f., 243, 257,

Eckern, Christel 80, 257

Gablentz, Otto von der 267

Eder, Oskar / Ascher 77, 255

Gaede, Christoph 159, 161 Gaede Dietrich / Daniel 159 f.,

118, 256, 259

Behrens, Klaus 121

267

Beisenherz, Albrecht 259

Buczys, Ernst 44, 50 f., 257, 259

Eggerath, Werner 37 f.

Beitz, Berthold 92, 258

Bürkle, Horst 41

Ehmann, Annegret 162

Beleites, Carl 257

Bürsch, Michael 267

Ehrlich, Ernst Ludwig 77, 257

Garbe, Detlef 171

Ben-Chorin, Schalom 79, 236,

Burauen, Theo 45

Eichborn, Wolfgang von 117,

Garfunkel, Art 174

257, 266

Bussche, Axel von dem 24

Bengsch, Alfred 151

Butterfield, Michael 255

Ben-Gurion, David 57

Bykau, Wassil 199 f.

120, 154, 260, 262 Eichmann, Adolf 25, 46, 78 f., 103

266

Garstecki, Joachim 151, 188, 229, 261 Gärtner, Michael 231, 266

Enders, Legationsrat 104

Gärtner, Otto 259

Bergengruen, Werner 25

C

Enke, Superintendent 255

Gauck, Joachim 230, 232

Berger, Diedre 196

Callsen, Ole 158

Eppler, Erhard 184

Gefaeller, Dr. 37

Berger, Ulrike 266

Cates, Paul 40, 255, 259

Erhard, Ludwig 259

Gehrmann, Rolf 262

Ben-Jehuda, Elieser 124, 217


Anhang: Namensregister 269

Geis, Robert Raphael 73

Hamm-Brücher, Hildegard 67,

Homeyer, Josef 98 f.

Koltzenburg, Dr. 232

Honecker, Erich 208

Kominek, Boles aw 90, 93

Hammerstein, Franz von 15, 25,

Horn, E. 184, 227

Konrad, Heinz 82

40, 44, 46, 48, 53, 57 f., 67, 78,

Hromadka, Josef 41

Koschorke, Martin 83, 84,

Gerlant, Uta 226, 230 f., 266

84 f., 90 f., 93, 101 f., 109, 114,

Huhn, Martin 167

Gerstein, Hartmut 264

121, 124, 127 f., 130, 133, 170,

Hungar, Kristian 167

Kotula, Andrzej 207, 260, 264

199, 231, 245, 255-260, 264

Hussein, Saddam 234, 240 f.

Kouba, Barbara 225, 265

Geißler, Heiner 192 Genscher, Hans-Dietrich 162, 170, 262

Geyer, Klaus 161, 223 f., 227, 229,

262 f.

87, 257

236, 244, 265 f.

Handel, Genosse 210

Giese, Petra 231

Hanselmann, Dr. 153

I

Gilleberg, Johannes 44, 46, 255

Hardtmann, Th. 153

Illi, Klaus 262

Globisch, Wolfgang 64

Harms, Hans Heinrich 14

Ittermann, Ina 160

Gloth, Stadtrat 256

Hartig, Werner 158

Iwand, Hans Joachim 33, 256

Goeken, Erhard 256

Haushofer, Albrecht 15

Goldschmidt, Dietrich 27, 201,

Hausmann, Manfred 25

J

Krause, Siegfried 50

Heinemann, Gustav 158, 170,

Jackson, Robert 24

Krause-Vilmar, Dietfrid 193

Jaeger, Lorenz 76

Kreßin, Ulrich 259

Jung, Wolf 245

Kreyssig, Lothar 11-23, 25-29,

231, 240, 255, 264-266 Goldschmidt, Suse 25, 72, 78 f., 255

255 Heinemann-Grüder, Pfarrer 41

Kraemer, Hendrik 255 Krane, Bernhard 238, 242, 247, 262, 266 f. Krane, Heribert 235 f., 238, 241 f., 266 f. Krause, Heidemarie 258

33-54, 57, 60, 64, 71-79, 83-95,

Gollwitzer, Brigitte 178

Heine, Heinrich 221

Gollwitzer, Helmut 17, 25, 29,

Heinz, Edwin 173

K

97-102, 105 f., 114, 118, 122, 125,

35, 73, 110, 112, 157 f., 161, 178,

Heldt, Thomas 252

Kanzler, Siegfried 202

127 f., 131 f., 134, 149, 203 f.,

255, 259, 262

Hellenbroich, Heribert 183

Karnetzki, Manfred 231, 245,

208, 222 f., 236, 251, 255-260

Gorbatschow, Michail 210

Hellstern, Pfarrer 256

266 f.

Gotthardt, Genosse 261

Héné, Jean-Roger 257

Kay, Ella 103

Krieger, Heike 263

Gottschlich, Helga 210, 213, 264

Henkys, Reinhard 27

Keienburg, Fritzhermann 84

Krondorfer, Björn 23

Grafenburg, Waltraud 259

Herbert, Karl 16

Kellenbach, Katharina von 23

Krückels, Cora 216

Greyer, Hartmut 59, 139, 259

Herrmann, Monika 229, 266

Keller, Maurice 50, 85

Krucza, Ernst 93

Grüber, Heinrich 14, 34, 75,

Hertel, Peter 262

Kelly, Petra 186, 208

Krüger, Elisabeth 115, 260

Herzel, Max 82

Kemmer, Margarete 265

Krüger-Day, Helga 201,

Heubner, Christoph 179, 200,

Kennedy, John F. 121

77 f., 257 Grünecker, Helene 232 Grunow, Rosemarie 260

224, 228, 264, 266

Kreyssig, Peter 35, 49 f., 256

264

Kerski, Basil 207, 260, 264

Krug, Doris 258 Krummacher, Friedrich-

Gulbransson, Olaf Andreas 76

Heufelder, Emmanuel 76, 257

King, Martin Luther 121

Gumlich, Gertrud 222, 231

Heumann 129

Kirchner, Peter 150

Gürtler, Elisabeth 39 f.

Hild, Helmut 183

Klappert, Bertold 156

Krusche, Günther 186

Gutsch, Wolf Dietrich 132, 150,

Hildebrandt, Reinhold 34,

Klee, Ernst 23

Krzemiński, Adam 207

Klemens, Annegret und Uwe

Kschenka, Ingolf 224, 266

232, 261 Gysi, Klaus 212

78, 259 Hinze, Albrecht 264 Hitler, Adolf 41, 82, 110, 115,

H

125, 164

142

Wilhelm 40

Kühn, Fritz 69

Kloppenburg, Heinz 118

Kühn, Peter-Martin 81

Knabe, Hubertus 229, 266

Kunibert, Pater 86 Kunst, Hermann 28, 35-37, 40,

Häberlein, Heinrich 163

Hoch, Matthias 177

Knobloch, Hubertus 100, 258

Habermas, Jürgen 195

Hoegsbro, Bischof 255

Koch, Andrea 248, 267

Halberstadt, Wolf 115

Holland, Heiner 160 f., 262

Kohl, Helmut 191

Hamann, Justitiar 146, 232

Holland, Ulrich 259

Kohlbrugge, Hebe 39

91, 255 f., 258 Kütemeyer, Wilhelm 21, 255


270

Kutzner, Gotthard 53, 101, 114, 259 Kutzner, Klaus 91

Luther, Martin 43

Möllendorf, Michael von 87

Oethinger, Albrecht 122

Lutz, Thomas 137, 192, 263 f.

Moltke, Helmut James von 19

Ott, Dr. 105

Lynar, Pfarrer zu 256

Mommer, Karl 92, 258

Otto 150

Kux, Ulla 219, 252, 267

Morawska, Anna 94-96, 206 f.,

M

258

P

L

Mager, Reimer 35

Morgenbesser, Studienrat 36

Pailer, Wolfgang 92

Lachmund, Margarete 35

Magirius, Friedrich 106, 141,

Morlok, Christoph 173

Passauer, Martin Michael 208

Morlok, Helmut 173, 198 f.,

Pavek, Miroslav 124

Lange, Ernst 203

150, 152, 203 f., 205, 207 f.,

Lapide, Pinchas 57

261, 264

Lauscher, Jiři 125, 127, 141

Maislinger, Andreas 227, 266

Lauscherová, Irma 125, 127,

Maram 256

141, 150 Lawetzky, Winfried 257 Lehming, Hanna 162

245 Müller, Christiane 226 f., 230, 265 f.

Peter, Hans-Detlef 148 f. Pflüger, Friedbert 99 Philipp 184

Markwort, Ute 259

Müller, Elisabeth 257

Philipps, Klaus 86

Marquardt, Friedrich-Willhelm

Müller, Franz 123, 260

Pieplow, Jürgen 114, 137, 139,

39

245

Müller, Hanfried 229

Lehndorff, Hans 83

Martins 150

Müller, Johannes 45, 52, 73,

Planer-Friedrich, Götz 152

Leich, Werner 212

Marx, Karl 133

78 f., 80, 83, 122, 245, 257,

Poelchau, Harald 15, 40

Leinen, Jo 185 f.

Maser, Peter 261

259 f.

Pont, Pastor 255

Lemmer, Ernst 36 f.

Maske, Achim 186

Lepp, Claudia 116, 134

Matthiessen, Gunnar 186

25, 34, 50, 52 f., 76, 90, 92,

Potente, H. 104

Lessing, Theodor 41

Maurer, Rudolf 58, 236

101, 103, 106, 109, 111 f., 130,

Potter, Philip 152

Leue, Pfarrer 129

Mazowiecki, Tadeusz 94

255-259

Preuschoff, Axel 168, 262

Lewek, Christa 261

Mechtenberg, Theo 264

Müller-Schwefe, Rudolf 154

Przybylski, Alfred 173

Liebchen, W. 153

Mehlhorn, Ludwig 206 f. 213,

Münchmeyer 36

Pszon, Mieczys aw 94

Münchow, Christoph 264

Pylak, Boles aw 205 f.

Q

Liedtke 106, 131, 144, 202 f., 205,

264

208-213, 221-224, 226, 232 f.,

Meinhof, Ulrike 164

264 f.

Müller-Gangloff, Erich 14, 18,

Poponina, Nadja 219

Mentzingen, Legationsrat 170

N

Liefmann, Walter 78 f.

Menzel 257

Nevermann, Hans-Richard

Lilje, Hanns 85

Menzel-Sawicki, Franziska 259

25 f., 32, 43-49, 52 f., 86, 101,

Quistorp, Eva 185

Lindemann 127

Mertes, Alois 184

109, 113 f., 121, 162, 169 f., 179,

Quittelier, Ehepaar 59, 84

Linz, Manfred 262

Meusling, Frithjof 106

245, 255-260

Lipscher, Winfried 99

Meyer, Alwin 137, 194, 264

Loerbroks, Matthias 161 f.

Micha 202 f.

Lorenz, Maria 264

Niemöller, Martin 19, 40, 166,

Quay, Peter 263

R

223 f., 255-257, 265

Rabe, Karl-Klaus 48, 261-263

Michael, Peer 255

Nietan, Dietmar 196

Raiser, Ludwig 27 f., 98, 255

Lotze, Irmhild 158

Michel, Frère (Taizé) 255, 258

Niethammer, Dieter 267

Rakowski, Mieczys aw 198, 264

Loesche, Franz-Josef 259

Michel 127

Nolte, Ernst 192

Rasch, Joachim 247, 266 f.

Löwe, Kirchenamtspräsident

Michels, Eva 221, 263, 265, 267

Novak, Direktor 127

Raupach, Wolfgang 240, 264,

Misselwitz, Ruth 196, 265-267

Nowak, Dieter 245

Lübbert, Konrad 50, 257, 260

Mitscherlich, Alexander 148

Nowak, Klara 137

Reagan, Ronald 185 f., 191

Lübke, Heinrich 259

Mitter, Armin 266

Nowak, Kurt 116, 134

Reck, Norbert 23

Luckner, Gertrud 72, 77, 257

Möckel, Gerhard 112, 162-164,

O

Regensburger, Marianne 236

Obermann, F. W. 104

Reh, Erwin te 48, 52 f., 83,

183

Ludwig, Hartmut 256 Lüer, Jörg 233, 244

256 f., 259, 262 Möllemann, Jürgen 184

Odin, Karl-Alfred 112

266

255-257


Anhang: Namensregister 271

Reidick, Gertrude 257

Schiffauer, Werner 154

Reinboth, Günter 245

Schlingensiepen, Hermann

Richert, Jürgen 13

29, 255

Staffa, Christian 196, 253,

Tsioukardanis, Alekos 51, 255, 257

265-267 Standera, Michael 211 f., 229 f.,

U

Riedel, Oberkirchenrat 36

Schlömer, Hermann 121

Riemer, Jehuda 79 f., 82, 257

Schmid, Marianne 102

Steffen, Fritz 129

Ulbricht, Walter 259

Rietveld, Architekt 61

Schmidt, Christian 54, 74, 101,

Steidl, Gerhard 245

Ulbrich, Oberkirchenrat 255 f.

Stellmacher, Hildegart 125,

Uzak, Sibel 219

Rodejohann, Jo 223, 225, 241, 263, 265

106, 110, 113, 131 f., 134, 144-

265 f.

146, 148, 210, 259-261

231, 233

Rösch, Elfriede 160

Schmidt, Helmut 184

Stellmacher, Joachim 152, 264

V

Rosemann, Helga 121

Schmidt, Martin 167, 262

Stempel, Hans 27 f.

Varon, Max 79

Rosendahl, Heiner 156

Scholten, Adelheid 230, 264 f.

Stempel, Superintendent 134 f.

Veer, Ben ter 152

Rosenstock-Huessy, Eugen 17-

Scholten, Justizminister 28

Stöffler, Friedrich 163

Verbeek, P. 162

Schönherr, Albrecht 145, 151

Stöhr, Martin 227, 241

Vielain, Heinz 183

Röske, G. 72

Schreiner, Stefan 106, 150, 202 f.

Stolpe, Manfred 148, 261

Vietig, Jürgen 196

Roth, Max und Trudi 50

Schröer, Regine 247 f., 267

Stolt, Frank 230

Vogel, Bernd Karl 126, 259

Rubinstein, Familie 77, 79, 257

Schutz, Roger 83 f.

Stomma, Stanis aw 64, 91 f.,

Vogel, Heinrich 37, 60, 103

Ruchniewicz, Krzysztof 258

Schütz, Klaus 170

Rudloff, Leo von 77, 257

Schwall, Hermann 167

Stoph, Willi 259

Rücker, Joachim 123, 260

Schweitzer, Albert 53

Strache, Jürgen 160

Ruthenberg, Dr. 257

Seedat, Tony 183, 263

Struve, Kai 244

W

Seferens, Horst 267

Suberg, E. 86

Waldmann, Christian 264

S

Seidler, Manfred 96

Surmann, Rolf 195

Waller, Renate 259

Salzmann 129

Šešlija, Boris 267

Süßmuth, Rita 195 f.

Walther, Christian 260

Särchen, Günter 64, 89, 90,

Seyfarth, Ludwig 150

Svoboda, Josef 108

Wantula, Andrzej 92

93-98, 100, 106, 130-132, 144,

Shinnar, Dr. 34

Szuster, Leszek 198

Warneck, Wilfried 18

205-207, 223, 258, 261

Sickert, Walter 60, 103

Szymański, Tadeusz 129, 173

Warner 255

19, 129, 255

Sartory, Thomas 76 f., 112, 257

Siegmann, Hans 60

Savir, Leo 79, 257

Siezen, Joop 19, 21, 40, 85,

Schack, Alard von 92, 258

255, 259

94, 127

Vogt, Roland 263 Vollmer, Antje 208

Warszawski, Rafael 77-79

T

Weber, Fritz Wilhelm 38, 41,

Templin, Wolfgang 213

256

Schaffran, Gerhard 97, 258

Siirala, Martti 19, 21 f., 255

Thomas, Merrilyn 88

Weckerling, Rudolf 39, 77, 79

Scharf, Kurt 34, 40, 102 f., 110,

Silomon, Anke 116

Tiburtius, Joachim 103

Weidner, Ulrich 156

112, 164, 178 f., 183, 187, 199,

Simon, Jürgen 259

Todtenhöfer, Günter 259

Weise, Genosse 94

255, 259, 262 f.

Simon, Paul 174

Törne, Volker von 17, 29, 98-

Weiß, Gabriele 149

Schaschar, Michael 82 Scheel, Walter 145, 163

Skriver, Ansgar 44, 48, 79, 195, 247, 256, 259

101, 114 f., 121, 127, 129, 133,

Weiß, Konrad 14, 53, 64, 95,

164, 169 f., 179, 258-260, 262

130 f., 213, 231 f., 239, 255,

Smolczyk, Hans-Ulrich 50, 257

Traub, Kirchbaurat 257

Smoleń, Kazimierz 95

Trecht, Architekt 61

Scheiff, Berthild 255

Söhngen, Oskar 259 f.

Trotha, Margarethe von 154,

Scheiger, Brigit 247, 267

Sperber, Katharina 227

Schelz, Sepp 133

Spranger, Carl-Dieter 183

Schenk, Otto 57, 73 f., 77, 80,

Spreng, Beatrix 227, 265 f.

Scheffbuch, Anne Kathrin 248, 267

122, 236, 260

245 Tschepe, Eberhard und Meike 57 Tschiche, Joachim 185

258-261 Weizsäcker, Carl Friedrich von 158 Weizsäcker, Richard von 24, 98, 158, 191 Weizsäcker, Victor von 255 Welz, Lukas 217


272

„Durch meinen Freiwilligen-

Werner, H. 104 Weskamm, Wilhelm 14 Westphal, Heinz 195 Wiig, Alf Kristian Theodor 255 Wilke, Genosse 91, 94, 132, 134, 145, 261, 264 Williams, Harold Claud Noel „Bill“ 84, 86 f., 255, 257 f. Wilm, Ernst 34 f., 40 f., 86, 99, 104, 256 f., 259

dienst mit Aktion Sühnezei chen Friedensdienste hat sich für mich eine Welt eröffnet, die ich sonst nie kennen gelernt hätte. Die Begegnungen mit den Menschen in meinem Projekt und im Land haben mich auf beson­ dere Weise geprägt. Davon zehre ich noch heute. Die Freiwilligen von ASF brauchen Ihre Unterstützung,

Wilm, Klaus 99-101, 258 f.

denn ohne sie wäre die Welt ärmer.“ Anke Plättner,

Winkel, Jürgen 108, 124-126,

Phoenix-Moderatorin, war 1982/83 ASF-Freiwillige in den

129, 260 Winkler, Heinrich August 191

Niederlanden

Witt, Gregor 185 Witte-Rang, Greetje 182 Wojak, Irmtrud 255 Wojty a, Karol 90, 94 Wolle, Stefan 209, 266 Wóycicki, Kazimierz 207, 261, 264 Wulf, Dieter 227, 265 Würmell, Klaus 128 Wyszyński, Stefan 90

Y Yorck von Wartenburg, Paul Graf 85

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Bitte unterstützen Sie die Arbeit von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste mit Ihrer Spende. Spendenkonto: 31137-00, Bank für Sozialwirtschaft Berlin, BLZ 100 205 00

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Zahn, Susanne 159, 161

Friedensdienste, Auguststr. 80, 10117 Berlin, Telefon:

Zander, Helmut 262

030/28395-184, Fax: 030/28395-135, Mail: asf@asf-ev.de

Zerger, Johannes 196, 264 Ziesche, Rudolf 52, 257 Zimmer, Karin 262 Zinßer, Gebhard 154 Zollmann, Gottfried 106, 131, 144, 150 Zumach, Andreas 182, 184, 186, 230, 241, 262 f., 267 Zybura, Marek 258

oder im Internet unter www.asf-ev.de/medien.


Alina Girgiel, eine polnische Patriotin, die zwei Jahre im Konzentrationslager Ravensbrück überlebt hat und die ich im Rahmen meiner Arbeit als Freiwillige betreute, hat zu mir einmal gesagt: „Was kannst du dafür? Du bist mir nichts schuldig.“ Eine große, wunderbare Geste frei von Hass und Zorn, die sie mir nicht erbracht hat, weil mein Vater Türke ist. Sie hat sie mir als einer Deutschen erbracht. Wenn ich nun also Deutsche bin und trotzdem keine Schuld habe – welchen Sinn hatte dann der Freiwilligendienst mit Aktion Sühnezeichen? Er hatte Sinn, aber aus keiner Schuld heraus, sondern aus Verantwortung heraus. Verantwortung haben wir heute den Opfern gegenüber, solange sie noch leben – und das vielleicht sogar wirklich als Deutsche, weil wir für die Opfer Enkel der Generation sind, der ihre Täter angehörten. Vor allem aber tragen wir Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft. Es liegt an uns, zu verhindern, dass es zu Krieg und Gewalt kommt, ob in Deutschland oder sonst irgendwo. Pelin Yildiz, Freiwillige in Polen 2004/ 2005


Aktion Sühnezeichen Friedensdienste ist seit vielen Jahrzehnten eine der bedeutendsten Freiwilligendienste Deutschlands. Sie hat die politische Landschaft geprägt, bahnte den Weg für die diplomatischen Beziehungen zu Israel sowie die Entspannungspolitik nach Osten in den sechziger und siebziger Jahren. Mit ihrer Erinnerungsarbeit, ihrem Friedensengagement in Ost und West, durch die Arbeit Tausender ihrer Freiwilligen in kurz- und langfristigen Diensten im In- und Ausland war sie der großen Politik oft einen entscheidenden Schritt voraus. Die Organisation war eine der führenden Kräfte in der westdeutschen Friedensbewegung Anfang der achtziger Jahre. Zwangsläufig lotete sie die unterschiedlichen Spielräume in beiden deutschen Staaten aus, denn die deutsche Teilung spaltete auch Aktion Sühnezeichen. Erstmals erzählt dieses Buch ausführlich von atemberaubenden Anfängen und zermürbenden Durststrecken, von der Konfrontation christlichen Tatendrangs mit dem real existierenden Sozialismus, von der Begegnung von Christen und Juden, von Friedensdemos, politischer Pädagogik und der Öffnung zum internationalen Austausch. Fünfzig Jahre Aktion Sühnezeichen – das ist nicht nur eine deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte aus zivilgesellschaftlicher Perspektive. Die Arbeit dieser Organisation ist international zukunftsweisend. Gabriele Kammerer lebt als freie Autorin und Hörfunkjournalistin in Berlin. Nach einem Freiwilligendienst in Frankreich hat sie Evangelische Theologie, Soziologie und Philosophie studiert.

ISBN 978-3-88977-684-6


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