Brechungen Lieder von Gustav Mahler
Meike Pf ister
Glaubt man Johannes Brahms, so ist der „Dreck von der Landstraße“ fein säuberlich zu unterscheiden vom ursprünglichen und reinen Volkslied, wie es im 19. Jahrhundert gern romantisch verklärt wurde. Bei Gustav Mahler gestaltet sich das Verhältnis zum Volkstümlichen ganz anders: Er „greift nach dem zerbrochenen Glas auf der Landstraße und hält es gegen die Sonne, daß alle Farben sich darin brechen.“ So beschreibt Theodor W. Adorno die Besonderheit des Tons, der sich durch die Lieder wie auch die Symphonien Mahlers zieht. Mahler verarbeitet triviale Gassenhauer mit hochartifiziellen Kompositionstechniken; die „kleine Gattung“ Lied ist ihm Ausgangspunkt und Grundlage für groß dimensionierte symphonische Werke, wohingegen symphonische Klänge und Techniken in die Lieder drängen. Was um 1900 in diesen beiden Gattungen scheinbar eindeutig, selbstverständlich und Konvention ist, zeigt sich bei Mahler verfremdet und gebrochen. Genau an solchen Bruchstellen entfaltet er seine nicht nur zu Lebzeiten polarisierende Stilistik. Die vertonten Texte sind Spiegel und Ursprung musikalischer Brechungen und Uneindeutigkeiten: Idyllische Alphornklänge mutieren zu todbringenden Militärsignalen. Helligkeit und Bewegtheit der schönen Natur lassen Seelenabgründe und Schmerz umso mehr hervortreten. Grün ist sowohl die Farbe des Lebens als auch des Rasens, der den Soldaten begräbt. Mahler legt in den von ihm ausgewählten Texten – nicht salbungsvoll überhöhend, sondern schonungslos direkt und in teils lapidarer Umgangssprache – existenzphilosophische Überlegungen offen. „Auf welchem dunklen
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