Shanbehzadeh Ensemble

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Shanbehzadeh Ensemble EinfĂźhrungstext von / Program Note by Yalda Zamani



Shanbehzadeh Ensemble Dienstag

30. Oktober 2018 19.30 Uhr

Saeid Shanbehzadeh Ney-anbān, Neydjofti, Dammām, Gesang, Tanz Naghib Shanbehzadeh Tombak, Zarbe und Tempo, Dammām Sheida Shanbehzadeh Gesang, Tanz, Pippeh

Das Programm wird von den Künstlern angesagt. The program will be announced from the stage.

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Die Welt in einem Sandkorn Das Shanbehzadeh Ensemble

Ya l d a Z a m a n i

Reichtum durch Vielfalt

Die Stadt Buschehr – in einer ausgedehnten Ebene gelegen, die sich entlang der Küste des Persischen Golfs im Süden des Iran erstreckt – ist als wichtigstes Handels­ zentrum des Landes seit Jahrhunderten Schauplatz intensiven Austauschs zwischen verschiedenen ethnischen und Be­ völkerungsgruppen. Dazu zählen solche, die von außerhalb in den Iran kamen, wie Inder, Afrikaner und Araber, aber ebenso verschiedene iranische Bevölkerungsgruppen wie Luren, Nomaden und Juden. Sie alle hinterließen vielfältige kulturelle Spuren, ihre Musikinstrumente, Folklore, populäre Geschichten und Lieder, und beeinflussten Sprache, Küche und Musik dieser Region. Musik spielte hier in allen Lebens­ bereichen schon immer eine zentrale Rolle, als Teil des ­Arbeitsalltags, bei gesellschaftlichen Anlässen und für religiöse Zwecke – und artikuliert dabei Hoffnungen und Träume ebenso wie Angst und Schmerz. Zwar waren es die von ­anderswo kommenden Kulturen, die zunächst die Musik dieser ­Gegend prägten. Doch Musik beeinflusste später ­ihrerseits die Kultur und das alltägliche Leben. Saeid Shanbehzadeh, geboren in Buschehr, ist einer der wenigen musikalischen Repräsentanten der Region um den Persischen Golf und insbesondere seiner Heimatstadt. Mit seinem Shanbehzadeh Ensemble schafft er eine faszi­ nierende Symbiose von Musik und Tanz aus einem Teil der Welt, in dem das Zusammentreffen verschiedener Kulturen einen verblüffenden Reichtum hat entstehen lassen, und lädt dazu ein, auf der Bühne, wo Bewegung und Klang eins werden, die Vielfalt des Lebens zu feiern. Im Alter von sieben Jahren begann Shanbehzadeh, Ney-anbān (eine Sackpfeife aus Schafshaut) und Neydjofti 5


Hommage an afrikanische Wurzeln

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(eine Doppelrohrflöte) zu spielen und erlernte die Tänze und Lieder seiner Heimat. Er habe erst später verstanden, erklärt er, dass die Musik, die er bei verschiedenen gesell­ schaftlichen und religiösen Anlässen während seiner Kind­ heit erlebte, nicht so sehr eine Form künstlerischen Aus­ drucks, als vielmehr ein integraler Bestandteil dieser Anlässe selbst ist – und so begann Shanbehzadeh nach Wegen zu suchen, diese Musik, ein Juwel der iranischen Kultur, e­ inem größeren Publikum im Konzert zu präsentieren. Mit 20 gründete er sein eigenes Ensemble, das Shanbeh­ zadeh Ensemble, mit dem er 1990 den ersten Preis beim Fajr Music Festival in Teheran gewann. Schon ein Jahr später wurde er zum Festival in Aix-en-Provence eingeladen, 1993 trat er im Pariser Théâtre de la Ville auf. Im Rahmen seiner kontinuierlichen ethnomusikologischen Forschungen zum Südiran baute er währenddessen ein umfangreiches ­Archiv an musikalischen Quellen auf. 1996 erhielt er für ein halbes Jahr einen Lehrauftrag an der University of Toronto, 1997 wurde er Leiter des Hauses der Kunst und Kultur auf der Insel Kisch im Iran. Für mehrere iranische Filmproduk­ tionen hat er die Musik geschrieben und stand auch als Schauspieler vor der Kamera. Heute lebt Saeid Shanbehzadeh in Frankreich und ist weltweit bekannt; er hat mit der französischen Tanzkompanie Montalvo-Hervieu sowie in Paris mit der Cité de la Musique, dem Théâtre de Chaillot und dem Louvre zusammengearbeitet; 2011 war er Artist in Residence in der Abtei von La Prée. Shanbehzadehs jüngstes Album Pour Afrigha aus dem Jahr 2017 ist eine Hommage an seine afro-iranische Mutter und seinen Vater, der belutschische Wurzeln hat. „Pour Afrigha“ bedeutet auf Farsi so viel wie „aus Afrika stammend“ und ist gleichzeitig der Familienname von Shanbehzadehs Mutter. Sie gehörte zur dritten Generation einer afrikanischen Familie, die aus Sansibar in Tansania in den Iran verschleppt wurde.Vor der Abschaffung der Sklaverei wurden Menschen aus Afrika, deren Nachfahren heute im südlichen Iran an der Küste des Persischen Golfs und in Belutschistan leben, aus Ost- und Zentralafrika dorthin gebracht. Auf Pour Afrigha schafft Shanbehzadeh eine komplexe Textur aus improvisierten Melodien und Rhythmen aus verschiedenen Genres, die zusammen eine natürliche Mischung ergeben: In ihr spiegeln sich die gemeinsamen musikalischen Wurzeln der Musike­ rinnen und Musiker, die an der in Paris produzierten CD beteiligt waren. An Shanbehzadehs Seite wirkten neben


anderen Gästen insbesondere der iranisch-belutschische Sänger Rostam Mirlashari, der französische Jazz-Gitarrist Manu Codjia und Shanbehzadehs Sohn Naghib an ver­ schiedenen Schlaginstrumenten mit. (Shanbehzadeh emigrierte aus dem Iran nach Frankreich, weil seine experi­ mentelle Fusion von afro-iranischer Musik mit anderen Formen traditioneller Musik bei den Kulturbehörden des Landes auf Missfallen stieß.)

Eine hochpoetische Klangwelt

In der Musik der Buschehr-Region nahmen Frauen schon immer eine wichtige Stellung ein. Während die ­Männer, die meist als Seeleute arbeiteten, weit weg von der Stadt und ­ihren Familien und oft für mehr als ein Jahr unter­ wegs waren, lag die Rolle des Familienoberhaupts bei den Frauen; sie kümmerten sich nicht nur um die Kinder, sondern nahmen auch am sozialen und religiösen Leben teil – und dazu gehörte natürlich Musik. Seit der Revolution 1979 ist es Frauen im Iran verboten, öffentlich zu singen oder zu ­tanzen, doch das Shanbehzadeh Ensemble hat in den ver­ gangenen zehn Jahren immer wieder Künstlerinnen enga­ giert und wurde dafür im Iran mit einem Auftrittsverbot belegt. Die Zusammenarbeit mit Musikerinnen führte vor drei Jahren schließlich zur Idee, Sheida Shanbehzadeh, Saeids Ehefrau, die bereits seit 2006 an der Seite ihres Mannes tätig gewesen war, als permanentes Mitglied in das Ensemble aufzunehmen. Saeids Sohn Naghib komplettiert die Besetzung; er begann im Alter von drei Jahren, zusammen mit seinem Vater Musik zu machen, und ist nicht nur ein Virtuose auf den iranischen Schlaginstrumenten wie Dammām, Doholgan, Pippeh, Kesser sowie Zarbe und ­Tempo, ­sondern hat in Frankreich auch klassische euro­ päische Schlag­instrumente studiert. Die Hauptinstrumente des Shanbehzadeh Ensembles sind der Ney-anbān und der Neydjofti (die oben erwähnte persische Sackpfeife bzw. Doppelrohrflöte), der Dammām (eine zweiseitige Bechertrommel afrikanischer Herkunft, die hauptsächlich bei religiösen Zeremonien zum Einsatz kommt), die klassischen iranischen Perkussionsinstrumente Zarbe und Tempo, Tombak, Bough (das Horn einer Kudu-­ Antilope) und Becken. Von Liebesliedern über Lieder für Kranke bis hin zu ­religiöser Musik, von ausgelassenem Feiern über Meditatives 7


bis zu tranceartigen Rhythmen – die Musik des Shan­ behzadeh Ensembles schöpft ihre Inspiration aus ganz unter­ schiedlichen Aspekten des Lebens und der Kultur an den Küsten des Persischen Golfs. Die drei Musikerinnen und Musiker wollen mit dem Publikum ein unvergessliches ­Ereignis teilen, in eine einzigartige Klangwelt eintauchen und ein hochpoetisches Konzert bieten, das die Hörer ein­ lädt, hier im Pierre Boulez Saal die ganze Welt in einem Sandkorn zu erleben. Deutsche Übersetzung: Christoph Schaller

Yalda Zamani, geboren in Algerien und aufgewachsen in Teheran, ist Dirigentin und seit 2018 Bibliothekarin der Barenboim-Said Akademie.

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The World in a Grain of Sand The Shanbehzadeh Ensemble

Ya l d a Z a m a n i

Embracing life, celebrating diversity

As the country’s main trade center over the course of several centuries, the Iranian city of Būshehr—situated on a vast plain running along the Persian Gulf coastal region in the south-western part of Iran—has experienced an enormous cultural exchange between ethnic groups and populations. This includes those who travelled to Iran, such as Indians, ­Africans, and Arabs, as well as other Iranian populations such as Lurs, Nomads, and Jews, who left many cultural traces, their musical instruments, folklore, popular songs and stories, and their influence on the language, food, and music of this region. Music always played a vital part in all aspects of life here, accompanying work, social events, and religion, expressing hopes and dreams as well as fear and pain. It was the culture brought to this land that first shaped its music. But it was music that later influenced the culture and left its mark on everyday life. Born in Būshehr, Saeid Shanbehzadeh is one of the few musical representatives of the Persian Gulf and of his home­ town in particular. Offering a mesmerizing experience of music and dance from a part of the world where the meeting of cultures created an astonishing r­ ichness, his Shanbehzadeh Ensemble turns the stage into an invitation to embrace life and celebrate diversity, a place where sound and movement become inseparable. At the age of seven, Shanbehzadeh started playing Ney-anbān (a bagpipe made of lambskin) and Neydjofti (a double reed flute) and learned the dances and songs of his homeland. Saeid, who has since dedicated his life to protecting, preserving, and transmitting the music of southern Iran, explains that he only realized later that the music performed at different social or religious events 11


Natural blend of complex textures

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during his childhood was not considered a form of artistic expression, but rather an inseparable part of these events— and so he set about to finding ways of performing the music on stage and presenting this jewel of Iranian culture to a wider audience. When he was 20, he formed his own music group, the Shanbehzadeh Ensemble, and in 1990 won first prize at ­Tehran’s Fajr music festival. Just one year later he was invited to perform at the Aix-en-Provence Festival, and in 1993 he appeared at Théâtre de la Ville in Paris. Meanwhile his continuing ethnomusicological research on southern Iran led him to assemble a rich archive of musical folklore. As early as 1996, he was offered to teach at the University of Toronto for six months, and in 1998, he became the director of the House of Arts and Culture on the Isle of Kish in Iran. He has also written music for and acted in several Iranian films. Based in France today and known around the world, his many and diverse artistic collaborators have included the French Montalvo-Hervieu Dance Company, the Cité de la Musique, the Théâtre de Chaillot, and the Louvre in Paris, as well as the Abbey of La Prée, where he was an artist in residence in 2011. On his latest album, Pour Afrigha, released in 2017, Shanbehzadeh pays homage to the heritage of his Afro-­ Iranian mother and his Baluchi father. “Pour Afrigha” means “Descendant of Africa” in Farsi and is also Shanbehzadeh’s mother’s family name. She was among the third generation of an African-born family deported to Iran from Zanzibar in Tanzania. Before slavery was abolished, Africans whose descendants are now concentrated in the southern regions of Iran, along the shores of the Persian Gulf, and Baluchistan, were brought from East and Central Africa. In Pour Afrigha, Shanbehzadeh creates a complex texture of improvised tunes and rhythms derived from different genres, resulting in a natural blend that reflects the shared musical roots of the artists involved in this collaboration, which was produced in Paris. Shanbehzadeh was joined by Iranian-Baluchi singer Rostam Mirlashari, French jazz guitarist Manu Codjia, his son Naghib on percussion, and several other guests. (Shanbehzadeh left Iran for France when his experimental fusion of African-­ Iranian music with other regional folk forms found disfavor with the cultural authorities in his home country.)


In the music of the Būshehr region, women have a­ lways played a vital role. While men, mostly sailors, spent their time far away from the city and their families, some­ times traveling for more than a year, women were the heads of the household, not only taking care of their families but also participating in various cultural and social events, including music-making. Since the Iranian Revolution in 1979, singing and dancing in public has been prohibited for women, but the Shanbehzadeh Ensemble over the past ten years has employed many women artists, singers, and dancers in its appearances, leading to a performance ban in Iran. The decision to involve female performers eventually inspired the idea for Saeid’s wife, Sheida—who had been working alongside her husband since 2006—to join the ­ensemble as a permanent member three years ago. The lineup is completed by Saeid’s son, Naghib, who began playing music with his father at the age of three and, in addition to mastering Iranian percussion instruments such as Dammām, Doholgap, Pippeh, Kesser, as well as Zarb and Tempo, has also studied classical Western percussion in France. The principal instruments of the Shanbehzadeh Ensemble are Ney-anbān and Neydjofti (the ancient Persian bagpipe and the reed flute mentioned earlier), Dammām (a drum with a double face, originally from Africa and mostly used in religious ceremonies), the traditional Iranian percussion instruments Zarb and Tempo, Tombak, Bough (a kudu ­antelope horn), and cymbals. From love songs to healing and religious music, from ­celebration to meditation to trance-inducing rhythms, the music of the Shanbehzadeh Ensemble draws inspiration from many aspects of the life and culture on the shores of the Persian Gulf. Its three musicians seek to share an un­ forgettable event, to transmit a unique sound, to present a highly poetic performance, and to invite audiences to ­experience the world in a grain of sand here at the Pierre Boulez Saal.

Yalda Zamani, born in Algeria and raised in Tehran, is a conductor and has been librarian of the Barenboim-Said Akademie since 2018.

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