Nacht der Hörner

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Nacht der HĂśrner EinfĂźhrungstext von / Program Note by Michael Horst



NACHT DER HÖRNER Samstag

2. März 2019 18.00 Uhr

Radek Baborák Musikalische Leitung und Horn Klaus Wallendorf Moderation Jörg Brückner Tunca Doğu Ben Goldscheider Katerř ina Javůrková Mikoláš Koska Paolo César Muñoz-Toledo Jan Musil Carlos Eduardo Alves Silva Pinho Radovan Vlatković Andrej Žust Horn László Gál Merav Goldman (auch Horn) Georg Pohle Sebastian Posch Wagnertuba Aleš Bárta Orgel Miloš Bok Dirigent


Charles Koechlin (1867–1950) Monodie (Nocturne) für Horn solo Radek Baborák

Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) Zwölf Duos für zwei Hörner KV 487 (496a) Nr. 5 Larghetto Nr. 6 Menuetto Nr. 12 Allegro Radovan Vlatković Radek Baborák

Anton Reicha (1770–1836) 24 Trios für drei Hörner op. 82 Nr. 1 Lento Nr. 2 Allegro Ben Goldscheider Carlos Eduardo Alves Silva Pinho Radek Baborák


Gioachino Rossini (1792–1868) Le Rendez-vous de Chasse Fanfare für vier Hörner (1828) Radovan Vlatković Jörg Brückner Tunca Doğu Andrej Žust

Louis-François Dauprat (1781–1868) Hornsextett op. 10 Nr. 1 Lento – Allegro risoluto Radek Baborák Jörg Brückner Tunca Doğu Jan Musil Radovan Vlatković Katerř ina Javůrková


Tyndare Gruyer (1850–1936) La Messe de Saint Hubert I. Introït

Albert Sombrun (1870–1922) La Messe de Saint Hubert II. Kyrie IV. Offertoire

Gustave Rochard (1866–1924) Messe solennelle pour la Fête de Saint Hubert V. Élévation

Jules Cantin (1874–1956) La Messe de Saint Hubert VI. Sortie Radek Baborák Jörg Brückner Tunca Doğu Ben Goldscheider Katerř ina Javůrková Mikoláš Koska Paolo César Muñoz-Toledo Jan Musil Carlos Eduardo Alves Silva Pinho Andrej Žust Horn Aleš Bárta Orgel

Pause


Olivier Messiaen (1908–1992) Appel interstellaire für Horn solo aus Des canyons aux étoiles... (1971– 74) Radovan Vlatković

Paul Hindemith (1895–1963) Sonate für vier Hörner (1952) I. Fugato II. Lebhaft III. Variationen Jörg Brückner Ben Goldscheider Merav Goldman Andrej Žust

František Šterbák (*1975) Hornsextett Uraufführung Radek Baborák Radovan Vlatković Jörg Brückner Tunca Doğu Katerř ina Javůrková Andrej Žust


Miloš Bok (*1968) De profundis für vier Hörner, vier Wagnertuben und Orgel (2008) Radek Baborák Jan Musil Katerř ina Javůrková Mikoláš Koska Horn Merav Goldman László Gál Sebastian Posch Georg Pohle Wagnertuba Aleš Bárta Orgel Miloš Bok Dirigent

Kerry Turner (*1960) Farewell to Red Castle Thema und Variationen für acht Hörner op. 29 (1995) Thema – Variationen I–IV – Finale Jörg Brückner Ben Goldscheider Carlos Eduardo Alves Silva Pinho Mikoláš Koska Katerř ina Javůrková Jan Musil Radek Baborák Andrej Žust

Pause


Camille Saint-Saëns (1835–1921) Andante für Horn und Orgel Radek Baborák Horn Aleš Bárta Orgel

Giovanni Gabrieli (um 1555–1612) Canzon per sonar septimi toni Bearbeitung für acht Hörner von Verne Reynolds Radek Baborák Radovan Vlatković Katerř ina Javůrková Jörg Brückner Jan Musil Tunca Doğu Mikoláš Koska Paolo César Muñoz-Toledo

Johann Sebastian Bach (1685–1750) Präludium und Fuge a-moll BWV 895 Bearbeitung für acht Hörner von L. E. Shaw Radovan Vlatković Radek Baborák Jörg Brückner Mikoláš Koska Andrej Žust Katerř ina Javůrková Tunca Doğu Paolo César Muñoz-Toledo


Ludwig van Beethoven (1770–1827) Ouvertüre zu Egmont op. 84 Sostenuto ma non troppo – Allegro – Allegro con brio Bearbeitung für acht Hörner von Alan Civil Radek Baborák, Jörg Brückner Andrej Žust Tunca Doğu Ben Goldscheider Mikoláš Koska Jan Musil Carlos Eduardo Alves Silva Pinho Paolo César Muñoz-Toledo

Anton Bruckner (1824–1896) Symphonie Nr. 9 d-moll (1887–95) I. Feierlich, misterioso Bearbeitung für acht Hörner, vier Wagnertuben und Orgel von Miloš Bok Radek Baborák, Mikoláš Koska Radovan Vlatković, Jan Musil Andrej Žust Jörg Brückner Ben Goldscheider Carlos Eduardo Alves Silva Pinho Tunca Doğu Katerř ina Javůrková, Paolo César Muñoz-Toledo Horn Merav Goldman László Gál Sebastian Posch Georg Pohle Wagnertuba Aleš Bárta Orgel Miloš Bok Dirigent



Eine Seele – viele Farben Vom Solo bis zum Oktett: Das Horn in Original und Bearbeitung

Michael Horst

Von einer Canzone Giovanni Gabrielis aus der Zeit um 1600 bis hin zu einer veritablen Uraufführung: Über 400 Jahre reicht das Spektrum, das die Kompositionen der heutigen „Nacht der Hörner“ historisch abstecken. Unter ihnen findet sich Altes und Neues, Bekanntes und Unbekanntes, Solo und Ensemble, Original und Bearbeitung. „Ich habe versucht, in den drei Teilen des Abends den Hornklang aus verschiedenen Perspektiven vorzustellen“, beschreibt Radek Baborák, Kurator des Programms und Dozent an der Barenboim-Said Akademie, seine Programmidee. „Im ersten Teil finden sich die Klänge des Waldes, Jagdrufe und Jagdmessen. Im zweiten sind Originalwerke für Hornensemble aus dem 20. Jahrhundert zu hören, und für das Finale haben wir berühmte Kompositionen in ­Bearbeitungen ausgewählt. Ich möchte zeigen, wie sich der Hornklang über die Epochen hinweg verändert hat, aber auch, dass etwas Wesentliches geblieben ist: die Seele des Horns.“ Den Anfang macht der Franzose Charles Koechlin. ­Bekannt geworden ist der Schüler Gabriel Faurés und Mitstudent Maurice Ravels vor allem durch seine exquisite ­Orchestermusik, in der Impressionismus und Kirchentonarten ebenso ihre Spuren hinterlassen haben wie Ausflüge in die Atonalität.Von besonderem Reiz sind seine symphonischen Dichtungen zu Rudyard Kiplings Dschungelbuch, die ihn


über 40 Jahre hinweg beschäftigt haben. In Koechlins 226 Opusnummern umfassenden Œuvre finden sich allerdings auch eine Vielzahl vom Kammermusikwerken, darunter eine Reihe von Monodien für verschiedene Blasinstrumente, kurze Solostücke aus seinen späten Lebensjahren. Interessant ist insbesondere die Monodie für Horn – schließlich war ­Koechlin selbst ein versierter Hornist. Zurück in die Klassik führen die 12 Duos KV 487 von ­Wolfgang Amadeus Mozart, schlichte, zweistimmige Werke, die bei aller Ökonomie der Mittel die melodische Erfindungsgabe des Genies spüren lassen. Im Autograph ist bei einigen Sätzen das Kompositionsdatum 27. Juli 1786 angegeben – die Besetzung allerdings nicht. Lange Zeit galt die Zuschreibung an Hörner als fraglich. Doch weder die Verwendung chromatischer Töne – ein geschickter Hornist wusste diese sehr wohl zu realisieren – spricht dagegen noch die zuweilen extrem hohe Lage; hier wählte Mozart die aufführungs­ praktisch günstige L ­ ösung, diese Töne in skalenartige Läufe einzubinden. Wie Mozart mit der Stadt Wien eng verbunden war auch Anton Reicha, der dort kollegialen Umgang mit Haydn und Beethoven pflegte. Später verlegte er seinen Wohnsitz nach Paris, wo er als hochgeschätzter Professor am Konservatorium wirkte und auch Liszt und Berlioz zu seinen Schülern zählte.Vor allem Bläserwerke haben Reicha als Komponisten bis heute in Erinnerung gehalten; seine 24 Trios für drei Hörner erschienen um 1815. Ihr pädagogischer Anspruch ist kaum zu übersehen, denn der Komponist streute nicht nur unterschiedliche Satz- und Formtypen wie Menuett und Rondo ein, sondern brachte die Hornisten auch mit Kontrapunkt und Fuge in Berührung. Reicha selbst war Flötist, dürfte sich aber für diese Kompositionen technischen Rat bei seinem berühmten Hornistenkollegen Louis-François Dauprat geholt haben. Dauprat galt zu jener Zeit als Kapazität in Sachen Horn in Paris. Als Solist an der Oper wie am Hofe des Königs Louis Philippe geschätzt, gab er außerdem als Professor am Konservatorium sein Wissen an die nächste Generation weiter. Dem Horn galt auch seine ganzer Einsatz als Komponist: Neben den Sechs Hornsextetten op. 10, aus denen heute abend eine Auswahl erklingt, schrieb er weitere Duos und Trios sowie fünf Hornkonzerte. Dabei zeigte er sich als eifriger Verfechter des Naturhorns und lehnte den Einsatz von Ventilen ab: „Diese Methode, die auch schon bei der 13


Naturhorn vs. Ventilhorn

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Trompete Anwendung gefunden hat, verändert das Timbre des Instruments und gibt ihm einen besonderen Charakter, der weder der Trompete noch irgendeinem anderen bekannten Instrument entspricht. Dasselbe würde dem Horn mit derlei Veränderungen widerfahren: Es würde seinen Charakter und die klare Unterscheidung in Naturtöne und gestopfte Töne verlieren.“ Nichtsdestotrotz verzichten Radek Baborák und seine Mitstreiter auf den Einsatz von Naturhörnern: „Natürlich könnten wir auch Jagdhorn oder Naturhorn blasen“, stellt Baborák klar, „aber in unserem modernen Ventilhorn ist das Jagdhorn ohnehin versteckt, insofern ist es viel interessanter, es zu imitieren und sozusagen die wilde Jagd aus ihm herauszuholen.“ Diese „wilde Jagd“ steckt ganz explizit hinter den Hubertusmessen, die vor allem im Frankreich des ­ 19. Jahrhunderts besonders viele musikalische Anhänger ­gefunden haben. Der Heilige Hubertus ist der Schutzpatron der Jäger; ihm zu Ehren finden an seinem Gedenktag, dem 3. November, Messen unter freiem Himmel (oder in einer Kapelle mit Orgel) statt, die durch den Hörnerklang einen besonders authentischen Charakter erhalten. Im Konzert sind diese Werke eher selten zu hören; Baborák schwärmt jedoch von der „unglaublichen Energie“, die durch die Kombination von vier Hornstimmen mit Orgel freigesetzt werde. Die Komponisten dieser Hubertusmessen waren Meister ihres Metiers wie Gustave Rochard und Jules Cantin. Ihr französischer Landsmann mit dem ungewöhnlichen Namen Tyndare Gruyer – oft auch nur als Tyndare bekannt – ist vor allem als Verfasser einer Méthode complète de trompe de chasse, einer Jagdhorn-Schule, in die Annalen eingegangen; auch als Begründer der Nationalen Vereinigung der Hornbläser Frankreichs wird er bis heute verehrt. Im Stil ähneln sich die Hubertusmessen französischer Provenienz sehr; insofern liegt es nahe, einzelne Messteile verschiedener Vertonungen miteinander zu kombinieren – Baborák hat sich in diesem Fall an einer Zusammenstellung seines großen Hornistenkollegen Hermann Baumann orientiert. So steuert Gruyer den Introitus bei, Kyrie und Offertorium stammen von ­Albert Sombrun, die Wandlung („Élévation“) komponierte Gustave Rochard, und der Auszug („Sortie“) von Jules ­Cantin beschließt die Messe.


Hornruf zu den Sternen

Nicht zufällig wird das Horn im angelsächsischen Sprachraum als „French Horn“ bezeichnet – seine Wurzeln und seine besondere Beliebtheit rühren aus Frankreich her. Dort war das Instrument schon frühzeitig in Oper und ­Ballett allgegenwärtig, und am heutigen Abend kommt es wiederum einem Franzosen zu, den zweiten Programmblock mit Originalkompositionen zu eröffnen: Olivier ­Messiaen. Der zutiefst gläubige Katholik, passionierte ­Ornithologe, Komponist von Orgelmusik und Schöpfer ­gewaltiger Orchesterpartituren schrieb 1971 ein kurzes Stück für Solo-Horn in Erinnerung an den nicht lange zuvor verstorbenen Hornisten Jean-Pierre Guézec. Als Messiaen bald darauf der ehrenvolle Auftrag erreichte, ein großes ­Orchesterwerk zum 200. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zu schreiben, entschied er sich, die Hornkomposition, nun unter dem Titel Appel interstellaire („Interstellarer Ruf“), zu übernehmen und damit den zweiten Teil von Des canyons aux étoiles… („Von den Canyons zu den Sternen“) zu eröffnen. In nur fünf Minuten konzentriert Messiaen hier vieles von dem, was die moderne Horntechnik im 20. Jahrhundert ersonnen hat: Glissandi, Flatterzunge, Töne mit halb geschlossenem Ventil. In den lyrischen Momenten dieser ­Anrufung hört man außerdem den Gesang zweier Vogelstimmen. Messiaen hat später Stellung gegen die durchaus übliche Praxis bezogen, Appel interstellaire losgelöst aus dem orchestralen Zusammenhang als Einzelstück aufzuführen – eine aufgrund der Vorgeschichte der Komposition nicht ganz nachvollziehbare Einstellung. Ebenfalls auf einen konkreten Anlass geht die Sonate für vier Hörner von Paul Hindemith zurück: Der Komponist schrieb sie 1952 für das Ensemble Salzburger Hornbläser als Dank für ein Ständchen, das ihm die Musiker gebracht ­hatten. Er selbst bezeichnete es als „ein ausgewachsenes und ernstes Stück“ – was Radek Baborák nur bestätigen kann: „Die Sonate ist wirklich schwer, vor allem im Zusammenspiel.“ Die unmissverständliche Ernsthaftigkeit des dreisätzigen Werkes kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass Hindemith mit einer Fuge beginnt, gefolgt von einem lebhaften Satz, in dem Sonatenform und Fugato frei verbunden sind und der durch häufige Taktwechsel metrisch abwechslungsreich ­gestaltet ist. Der dritte Satz besteht aus freien Variationen über das spätmittelalterliche Jagdlied Ich schell mein Horn in Jammers Tal des Herzogs Ulrich von Württemberg. 15


Das Sextett des Tschechen František Šterbák erlebt an diesem Abend seine Uraufführung. Šterbák ist ein Studienfreund Baboráks aus Prag, das Stück entstand bereits vor 25 Jahren – nun endlich wird es aus der Taufe gehoben. Was den Hörer erwartet, umreißt Baborák mit wenigen Worten: „ein Stückchen weit Avantgarde, aber auch mit Sinn für das Tonale“. Mit De profundis des ebenfalls tschechischen Komponisten Miloš Bok kommt dann schließlich eine Sonderform des Horns ins Spiel, die nicht zuletzt aufgrund ihres Namen eine herausgehobene Stellung einnimmt: die Wagnertuba. Konzipiert und „erfunden“ von Richard Wagner für seinen Ring des Nibelungen, ähnelt sie äußerlich eher der Tuba, gehört aber in spieltechnischer Hinsicht zur ­Familie der Hörner. Auffällig ist der Schalltrichter, der sich nach oben öffnet, unverwechselbar auch der sehr präsente, dunkle aber durchschlagskräftige Klang. Nach dem Bayreuther Meister war es vor allem der Wagner-­Verehrer Anton Bruckner, der diese instrumentale Farbe in seinen drei letzten Symphonien für unverzichtbar hielt. Später kam die Wagnertuba auch bei Richard Strauss in den Opern Elektra und Die Frau ohne Schatten sowie in der gewaltigen Alpensinfonie zum Einsatz; fast gleichzeitig nutzte Igor Strawinsky sie 1913 in Le Sacre du printemps. Seitdem ist das ungewöhnliche Instrument in neuen Werken nur noch selten anzutreffen. Zum Abschluss der Gruppe mit Originalkompositionen erklingt Musik eines weiteren professionellen Hornisten, des Amerikaners Kerry Turner, Mitglied des American Horn Quartet und höchst produktiver Schöpfer von Werken für sein Instrument. Die Spanne reicht dabei vom Twelve-Tone Waltz für Solohorn bis zum Bronze Triptych für 12 Hörner, Pauken und Schlagzeug. „Mein Ziel ist es, ein musikalisches Bild, einen Gedanken, einen Eindruck so deutlich wie möglich auszumalen“, beschreibt Turner seinen kompositorischen Ansatz, „und sie dann dem Hörer wie dem Interpreten zu vermitteln, so dass das Ergebnis in ihrer Vorstellung so lebendig wirkt, als sähe man es auf einer Kinoleinwand.“ Farewell to Red Castle entstand 1995 als Auftragswerk für Soichiro Ohno und das Japanisch-Deutsche Horn Ensemble. Das Originalthema basiert auf einem mittelalterlichen schottischen Volkslied mit einer typischen Jagdmelodie. In jeder der vier ganz unterschiedlichen Variationen bleibt es deutlich erkennbar. Eine Verklammerung wird auch dadurch erzielt, dass etwa in der dritten Variation die poetisch-traurige 16


Melodie wie eine Fortsetzung des Originalthemas erscheint. Im brillanten Finale bringt Turner nicht nur alle technischen Raffinessen des Hornspiels zum Einsatz, sondern gibt dem schottischen Thema auch noch ein texanisches Flair mit.

Per aspera ad astra

Im letzten Teil der „Nacht der Hörner“ stehen Bearbeitungen im Mittelpunkt – der Reiz liegt hier in besonderer Weise darin, bekannte Kompositionen in einem ungewohnten Klanggewand wahrzunehmen. Dies gilt noch am wenigsten für die Werke des Venezianers Giovanni Gabrieli, wie etwa die Canzon per sonar septimi toni aus dem Jahr 1597, die einst von den Balkons im Innern der Basilika von San Marco ­erklangen, vorzugsweise musiziert auf Blasinstrumenten. Stereophonie live, kombiniert mit Echoeffekten – diese Idee ist vor allem Gabrieli und der chorischen Aufteilung seiner Bläser- bzw. Chorensembles zu verdanken und findet sich auch in diesem Werk. Zu seiner Schauspielmusik zu Egmont ließ sich der freiheits­begeisterte Ludwig van Beethoven in den Jahren 1809/10 von Goethes Tragödie um den flämischen Grafen inspirieren. Die Ouvertüre, als letzte der zehn Nummern entstanden, folgt dem bewährten Prinzip „per aspera ad astra“ – durchs Dunkel zum Licht. Die gesamte Partitur ist geprägt von ständigem Aufruhr, von Chromatik und schroffen Akzenten. Doch der Tod Egmonts ist nicht umsonst: Die Musik wendet sich von Moll nach Dur und endet mit einer visionär siegesgewissen Coda. Zu hören ist das packende Stück heute abend in einem Arrangement des legendären englischen Hornisten Alan Civil. Noch eine Stufe grandioser fällt das Finale des Konzerts mit dem ersten Satz aus Anton Bruckners Neunter Symphonie aus. Sein musikalisches Material setzt sich aus drei sehr gegensätzlichen Gedanken zusammen: Monumental gibt sich das erste, scharf punktierte Thema, das in mächtigen Unisonopassagen dem Zuhörer entgegentritt; dagegen schwingt sich das sehr sangliche zweite in großen Bögen immer weiter auf. Das dritte Thema schließlich besteht aus einer herben Dreiklangsbrechung in der Grundtonart ­d-moll, weicht aber schon sehr bald in entferntere Tonarten aus. Bruckner kombiniert und kontrastiert all dies in ­unterschiedlichster Weise, um die Musik dann dramatisch 17


kulminieren zu lassen, bevor mit der Reprise allmähliche Entspannung eintritt. Man darf die Behauptung wagen, dass der Komponist selbst von der Bearbeitung durch Miloš Bok durchaus angetan gewesen sein dürfte – gerade aufgrund der Kombination von Hörnern, Wagnertuben und Orgel. Und damit schließt sich auf zwingende Weise auch der Kreis, den diese „Nacht der Hörner“ durchschreiten möchte. Noch einmal wird – in achtfacher Verstärkung – die von Radek Baborák ­beschworene „Seele des Horns“ zum Klingen gebracht, in der sich der Kosmos eines Instruments manifestiert, das seit Jahrhunderten Komponisten und Hörer gleichermaßen f­asziniert.

Der Berliner Musikjournalist Michael Horst arbeitet als Autor und Kritiker für ­Zeitungen, Radio und Fachmagazine. Außerdem publizierte er Opernführer über Puccinis Tosca und Turandot und übersetzte Bücher von Riccardo Muti und Riccardo Chailly aus dem Italienischen.

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One Soul—Many Colors From Solo to Octet: The Horn in Original Works and Arrangements

Michael Horst

From a canzone by Giovanni Gabrieli dating back to around 1600 to a veritable world premiere: the historical spectrum covered by the compositions of this “Night of the Horns” spans roughly 400 years. Among them, there are old and new works, familiar and unfamiliar ones, solo and ­ensemble pieces, originals and arrangements. “I tried to divide the evening into three parts, introducing the sound of the horn from different perspectives,” Radek Baborák, curator of the program and a faculty member at the Barenboim-­ Said Akademie, describes the idea behind the musical ­selection. “In the first part, we find the sounds of the forest, hunting calls and hunting masses. The second part features original works for horn ensemble from the 20th century, and for the finale, we have chosen famous compositions ­arranged for horns. I would like to show how the sound of the horn has changed throughout the various epochs, but also that one thing has remained the same: the soul of the horn.” The evening begins with the Frenchman Charles Koechlin. A student of Gabriel Fauré and classmate of Maurice Ravel, he is known primarily for his exquisite orchestral music, in which impressionism and church modes left their traces, as did excursions into atonality. His symphonic poems inspired by Rudyard Kipling’s The Jungle Book, which occupied him for 40 years, are especially charming. In Koechlin’s oeuvre, which includes 226 opus numbers, we also find a great many chamber music works, including a series of monodies for various wind instruments, short solo pieces from his later 20


years. The Monody for horn is particularly intriguing—not least because Koechlin himself was an accomplished horn player. The Twelve Duets K. 487 by Wolfgang Amadeus Mozart take us back to the Classical period: simple works for two voices that despite their economy of means betray the melodic ­inventiveness of the genius. The autograph gives July 27, 1786 as the date of composition for some of these duets— though not the combination of instruments ­Mozart had in mind. For many years, the assignment to horns was debated. But neither the use of chromatics—a skilled horn player certainly knew how to produce these, even then—nor the tessitura, which is extremely high at some points, argue against the execution by two horns; in the latter case, Mozart chose the practical solution of embedding these notes in scale-like runs, making them more easily playable. Like Mozart, the composer Anton Reicha was closely ­associated with Vienna, where he enjoyed the company of colleagues such as Haydn and B ­ eethoven. Later, he moved his residence to Paris, where he was a highly esteemed ­professor at the Conservatoire and counted Liszt and Berlioz among his students. It is mainly his work for winds that has kept Reicha’s memory alive as a composer; his 24 Trios for Three Horns were published in 1815. Their pedagogical ­approach can hardly be missed, for the composer not only made liberal use of different types of movements and forms such as minuets and rondos, but also introduced horn players to counterpoint and fugues. Reicha himself was a flutist, but presumably consulted on technical matters with his famous horn-playing colleague Louis-­François Dauprat. At the time, Dauprat was considered one of the pre-­ eminent horn players in Paris. Renowned as the principal of the Opéra orchestra and at the court of King Louis Philippe, he also passed on his expertise to the next generation as a professor at the Conservatoire. As a composer, he dedicated himself fully to the horn as well: in addition to his Six Sextets for Horn Op. 10, from which a selection will be played ­tonight, he wrote duos, trios, and five horn concertos. An ardent champion of the natural horn, he rejected the use of valves: “This method, which has already been applied in the case of the trumpet, changes the instrument’s timbre and lends it a special character, which corresponds neither to the trumpet nor to any other known instrument. The horn would suffer the same fate were such changes to be made: 21


Invoking the “wild chase”

it would lose its character as well as the clear distinction ­between natural tones and stopped tones.” Radek Baborák and his colleagues, however, will forego the use of natural horns: “Of course we could also play hunting horn or natural horn,” Baborák explains, “but our modern valve horn contains the hunting horn anyway, so it is much more interesting to imitate it, invoking the wild chase, so to speak.” Such “wild chases” are what was behind the St. Hubertus Masses, which were particularly popular among music lovers in 19th-century France. St. Hubertus is the patron saint of hunters; in his honor, masses are held on his feast day, November 3, in the open air (or in a chapel with an organ), and it is the sound of the horn that gives them an authentic character. They are very rarely heard in concert; Baborák, however, raves about the “incredible energy” released by the combination of four horn parts and organ. The composers of these St. Hubertus Masses were masters of their field, such as Gustave Rochard and Jules Cantin. Their French compatriot with the unusual name Tyndare Gruyer—often known simply as Tyndare—went down in the annals of music history as the author of a Méthode complete de trompe de chasse, a textbook on playing the hunting horn; he is also revered to this day as the founder of the National Association of French Horn Players. In style, the St. Hubertus Masses from France closely resemble each other; this suggests combining individual parts of the liturgy from different mass settings—in this case, Baborák has chosen as his model a selection made by his great horn-playing colleague Hermann Baumann. Thus, the Introitus is by Gruyer, the Kyrie and Offertory by Albert Sombrun, the Transubstantiation (“Élévation”) was composed by Gustave Rochard, and the final piece (“Sortie”) by Jules Cantin.

It is hardly a coincidence that in the English-speaking world, the horn is often called the French horn—after all, its roots lie in France, where it also enjoys particular popularity. There, the instrument was omnipresent early on in opera and ballet, and tonight, it also falls to a Frenchman to open the second part of the program featuring original compositions: Olivier Messiaen. A profoundly religious Catholic, a passionate ornithologist, and composer of organ music and massive orchestral scores, he wrote a short piece for solo horn in 1971, commemorating the horn player 22


Jean-Pierre Guézec, who had passed away shortly before. When Messiaen was commissioned soon thereafter to write a grand orchestral work for the 200th anniversary of the American Declaration of Independence, he decided to reuse this horn composition, now e­ ntitled Appel interstellaire (“Interstellar Call”), as an opening for the second part of Des canyons aux étoiles… (“From the Canyons to the Stars”). In only five minutes, Messiaen here concentrates many of the technical a­ dvancements of the horn in the 20th century: glissandi, flutter tongue, notes played with half-closed valves. In the lyrical moments of this invocation, one also hears the sound of two birdcalls. Messiaen subsequently spoke out against the not uncommon practice of performing Appel ­interstellaire outside of its orchestral context as an individual piece—a stance that is somewhat surprising, given the composition’s provenance. Paul Hindemith’s Sonata for Four Horns also goes back to a specific occasion: the composer wrote it in 1952 for the ensemble Salzburger Hornbläser, as a thank you to the ­musicians for a serenade they had played for him. He himself called it “a full-grown and serious piece”—an assessment Radek Baborák can only confirm: “The Sonata is quite ­difficult, especially in terms of ensemble playing.” The unmistakable seriousness of the three-movement piece is also expressed by the fact that Hindemith begins with a fugue, followed by a lively movement in which sonata form and fugato are freely combined and in which frequent changes of measure make for metrical diversity. The third movement consists of free-form variations on the late-medieval hunting song Ich schell mein Horn in Jammers Tal, written by Duke ­Ulrich of Württemberg. A sextet by the Czech composer František Šterbák will have its world premiere this evening. Šterbák is a friend of Baborák from their student days in Prague, and the piece was written 25 years ago—now it will finally be heard in public. Baborák gives a concise comment on what listeners may expect: “avant-garde to a certain degree, but with a sense for tonality as well.” De profundis by Miloš Bok, another Czech composer, introduces a kind of horn that occupies a special position, not least ­because of its name: the Wagner tuba. Conceived and “invented” by Richard Wagner for his Der Ring des Nibelungen, it looks rather like a tuba, but is part of the horn family in terms of playing technique. Its most striking feature is the 23


bell, which opens upwards; its very immediate, dark yet piercing sound is unmistakable. Following the master from Bayreuth, it was mainly the Wagner admirer Anton Bruckner who considered this instrumental color essential for his last three symphonies. Later, the Wagner tuba was also used by Richard Strauss in his operas Elektra and Die Frau ohne Schatten, as well as his monumental Alpensinfonie; almost at the same time, Igor Stravinsky used it in Le Sacre du printemps in 1913. Ever since, this unusual instrument has only rarely been featured in new works. Completing the group of original compositions is music by another professional horn player, the American Kerry Turner, member of the American Horn Quartet and a prolific creator of works for his instrument. These range from a Twelve-Tone Waltz for solo horn to Bronze Triptych for 12 horns, timpani, and percussion. “My goal is to paint a musical ­picture, thought, impression as clearly as possible,” Turner describes his compositional approach, “and then communicate it to the listener and the performer, that it might appear in their minds as vividly as if it were on a large movie screen.” Farewell to Red Castle was written in 1995, commissioned by Soichiro Ohno and the Japanese-German Horn Ensemble. Its theme is based on a medieval Scottish folk tune with a typical hunting melody. It remains clearly discernable in each of the four very different variations, which are also ­interconnected by the fact that in the third variation, the poetic, sad melody appears to be a continuation of the original theme. In the brilliant finale, Turner not only calls for all the technical sophistication of modern horn playing, but also adds a certain Texan flair to the Scottish theme.

The last part of the “Night of the Horns” focuses on arrangements—here, the special attraction is to hear familiar compositions in an unknown guise. This is perhaps least true for the works of the Venetian Giovanni Gabrieli, for example the Canzon per sonar septimi toni of 1597, which was originally played from the balconies inside the Basilica of San Marco, preferably by wind or brass instruments. Live stereophonics combined with echo effects—this is an idea we owe mainly to Gabrieli and the chorus-like division of his wind/brass and choral ensembles, and it is found in this work as well. 24


Per aspera ad astra

The freedom-loving Ludwig van Beethoven was inspired in 1809–10 to write his incidental music for Egmont by Goethe’s eponymous tragedy about the Flemish count. The overture, composed last of the ten numbers, follows the tried-and-true principle per aspera ad astra, “through darkness toward the light.” The entire score is marked by constant upheaval, chromatics, and abrupt accents. Egmont’s death, however, is not in vain: the music turns from minor to major, concluding in a visionary, triumphant coda. This fascinating piece is heard tonight in an arrangement by the legendary English horn player Alan Civil. Even more grand is the finale of the concert, featuring the first movement of Anton Bruckner’s Symphony No. 9. Its musical material consists of three very different ideas: the first theme is monumental, sharply syncopated, confronting the listener with massive passages in unison; in contrast, the second strives upwards in sweeping, melodious lines. The third theme, finally, consists of a harsh broken chord in the basic key of D minor, but soon moves on to more distant key signatures. Bruckner combines and juxtaposes all these elements in different ways, driving the music to a dramatic culmination before the reprise reverts gradually to calmness. It is not overly daring to venture that the composer himself would have been pleased with Miloš Bok’s arrangement—particularly because of its combination of horns, Wagner tubas, and organ. Indeed, this is a compelling way to complete the circle which this “Night of the Horns” aims to paint. Once again, the “soul of the horn” invoked by Radek Baborák resounds—amplified eight-fold—embodying the cosmos of an instrument that has fascinated composers and listeners alike for centuries. Translated from German by Alexa Nieschlag

Michael Horst is a freelance music journalist based in Berlin who writes for newspapers, radio stations, and magazines. He has also published opera guides on Puccini’s Tosca and Turandot and translated books by Riccardo Muti and Riccardo Chailly from ­Italian into German.

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