„Respekt vor der Druckerschwärze“ Brahms und das Streichquartett
Michael Kube
Mitunter ist der Komponist selbst sein schärfster ritiker. So umfasst das von Johannes Brahms in Druck geK gebene kammermusikalische Schaffen zwar nicht weniger als 24 gewichtige Werke nahezu aller Gattungen und Besetzungen, vom Streichquartett bis zum Streichsextett, vom Klaviertrio bis zum Klavierquintett, von Violin- und Cellosonaten bis zu Werken mit Klarinette und Horn. Dass einst aber noch weit mehr Werke existierten, die der überaus strengen Selbsteinschätzung nicht standhielten und von Brahms vernichtet wurden, ist nicht nur dokumentarisch durch Hinweise auf konkrete Partituren belegt – schon in den frühen Hamburger Jahren gelangten einige Werke unter dem Pseudonym Karl Würth zur Aufführung –, sondern auch durch entsprechende Mitteilungen aus dem persönlichen Umkreis. So berichtet Max Kalbeck in seiner Biographie, Brahms habe seinem Jugendfreund Alwin Cranz später anvertraut, dass er vor seinem Opus 51 bereits „über zwanzig Streichquartette und mehrere hundert Lieder komponiert hatte.“ Wie penibel er diese frühen Versuche dann kassierte, geht aus einer an gleicher Stelle überlieferten Bemerkung hervor: „Es ist nicht schwer, zu komponieren, aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen.“ Diese radikale Sorgfalt dem eigenen Schaffen gegenüber ist unter anderem jener Bürde geschuldet, die Robert Schumann dem jungen Komponisten 1853 mit seinem über schwänglichen Essay Neue Bahnen auflud. Unter dem unmittelbaren Eindruck einer mehrtägigen persönlichen Begegnung in Düsseldorf wurde Brahms darin als musikalischer Heilsbringer apostrophiert: „Er trug, auch im Aeußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: das ist ein Berufener. 7