Aus der neuen Welt Musik von Bach bis Gourzi
Wo l f g a n g S t ä h r
Am liebsten die Bratsche Als „Deutschlands größter Kirchenkomponist“, als „Erzkantor“ und „Spielmann Gottes“ sollte Johann Sebastian Bach in die Geschichte der Musik eingehen. Nicht von ungefähr: Den Maßstab setzte das Amt des Leipziger Thomaskantors, das er am längsten, wenngleich nicht am liebsten innehatte. Seine musikalisch anspruchsvollste und gewiss auch dankbarste Aufgabe aber fand Bach als Hofkapellmeister im anhaltischen Köthen, als er dort eine Elite der exzellentesten Virtuosen und „CammerMusici“ um sich versammelte. In Köthen schuf Bach um 1720 die sechs Suiten für Violoncello solo: Sie dienten als Lehr- und Studienwerke, Exempel und Exerzitium, zur Selbstprüfung und Selbstüberwindung. Die Idee dieser sechs Suiten erscheint ebenso radikal wie unerhört kühn: Musik für eine Stimme, die gleichwohl allen Klangraum und Reichtum der Mehrstimmigkeit in sich trägt. Dabei setzt Bach die Doppel-, Tripel- und Quadrupelgriffe auf dem Violoncello nur sparsam ein. Ihm genügt die einfache Linie, um polyphone Verflechtungen zu suggerieren, Mittel- und Gegenstimmen anzudeuten, harmonische Zauberbilder in Kadenzen und gebrochenen Akkorden zu projizieren, Standorte zu wechseln und Perspektiven zu schaffen. Die Musik ist niemals reicher geworden in ihrer Geschichte, selbst wenn Hundertschaften das Konzertpodium bevölkerten. Bachs Suiten gründen ausnahmslos auf der seit den 1670er Jahren in Deutschland etablierten Standard-Satzfolge Allemande – Courante – Sarabande – Gigue. Überdies rückte Bach, wie es
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