Mohammad Reza Mortazavi EinfĂźhrungstext von / Program Note by Annette Zerpner
MOHAMMAD REZA MORTAZAVI Donnerstag
11. April 2019 19.30 Uhr
Mohammad Reza Mortazavi Tombak, Daf, Komposition
Das Programm besteht aus Originalkompositionen und Improvisation.
Keine Pause
Herzschlaginstrumente Mohammad Reza Mortazavi über Klang, Rhythmus und die Liebe zur Musik
Annette Zerpner
„Der Klang der Tombak richtet sich eher nach innen, das Spielen auf der Daf bedeutet, dass man aus sich herausgeht. Es ist wie einatmen und ausatmen – eine schöne Balance.“ Wenn Mohammad Reza Mortazavi über seine Musik spricht, fehlt es ihm nicht an plastischen Bildern. Doch letztendlich geht es dabei gar nicht um seine Trommeln. Auch nicht um Schulen und Traditionen oder um die zahlreichen Spieltechniken, mit denen der weltweit auf Festivals gefeierte 41-Jährige aus dem iranischen Isfahan die traditionelle Kunst des Spiels auf der Bechertrommel Tombak und der Rahmentrommel Daf bereichert hat. Und erst recht nicht, fügt er gleich hinzu, um Virtuosität – seinen Ruf, die „schnellsten Finger der Welt“ (so das ZDF-Magazin Aspekte) zu haben oder um die Aufmerksamkeit, die das Publikum ihm, dem Solisten im Rampenlicht, entgegenbringt. „Es geht nicht darum, was ich machen kann. Das zu zeigen, zwingt mich im Grunde nur die Bühne.Virtuosität steht im Widerspruch zu dem, was ich eigentlich will. Musik ist keine Show, nichts, was man sehen sollte, nur Klang.“ Den sucht er, immer neu und immer wieder, seit mehr als 30 Jahren. Bereits als Sechsjähriger begann Mortazavi, das Hand trommelspiel bei einem Freund seines Vaters zu lernen. „Im Iran war es damals – und das gilt bis heute – sehr prestigeträchtig, Klavier zu spielen“, erklärt er. Für die westlich orientierte urbane Oberschicht gehörte klassische Musik zum Bildungskanon. Die Tombak dagegen galt als einfaches, 5
traditionelles Instrument, das viele „nur“ mit Volksmusik in Verbindung brachten. „Für mich existierte aber immer eine Motivation, zu zeigen: Das ist Musik, es geht hier nicht um Fell und Holz!“ Bald wurde der junge Mohammad in eine Musikschule aufgenommen, im Alter von neun Jahren gewann er den ersten von vielen Wettbewerben und bereits mit 12 fing er an, sein Können weiterzugeben – „und die Begeisterung“. Begeisterung ist ein Stichwort, das im Laufe eines Gesprächs mit Mohammad Reza Mortazavi auffällig oft vor kommt, viel häufiger, als es bei Musikerinnen und M usikern normalerweise der Fall ist. Es steht für alles, was den Kern seines Wesens als Mensch und Künstler ausmacht, ein Synonym für Liebe. Wenn die Begeisterung fehlt, bleibt die ungeheure Kontrolle über die hochsensiblen Finger, mit denen er zwischendurch unbewusst immer wieder mal einen winzigen Rhythmus auf den Tisch tupft, bleiben die enorme Merk- und Analysefähigkeit, aber auch das jahrelange Üben eigentlich bedeutungslos. Ohne sie bewegt man sich „nur im Rahmen des Vorgegebenen, der Tradition. Wenn man Grenzen überschreitet, hört man oft: ‚Das darfst Du nicht!‘ Aber ich war immer davon überzeugt, dass die Musik mich führt, nicht ich die Musik. Sie kommt durch mich, nicht von mir. Ich liebe diese Momente, in denen ich spiele und keine Kontrolle mehr über meine Hände habe. Ich höre die Musik gemeinsam mit dem Publikum, und die Hände spielen – ich weiß manchmal gar nicht wie.“ Mortazavi kann so etwas sagen, ohne dass es eine Spur aufgesetzt wirkt. Wenn er von Musik spricht, haben seine Worte eine Art heilige Ernsthaftigkeit. Marketing-Strategen würden wohl am ehesten den Begriff „Charisma“ verwenden, um seine Wirkung zu beschreiben, nur um gleich noch den Stempel „Weltmusik“ dazuzusetzen, damit niemand Angst bekommt, dass es Mortazavi um tiefe und ernsthafte Ideen geht – die im Grunde aber ganz einfach sind. Dass seine Musik weltumspannend, ja universell ist, würde er jedenfalls nie bestreiten. Was aber passiert praktisch, wenn der iranische Hand trommler, der seit 18 Jahren in Deutschland lebt, mit seinen beiden Instrumenten auf der Bühne Platz nimmt? Wie stellt er sich auf die Atmosphäre eines Saals ein? Tatsächlich betritt er die Bühne mit einem kompositorischen Grundkonzept, dass er als „sicher, offen und rund“ charakterisiert. Doch entwickelt sich jeder Auftritt anders, da Mortazavi alles absorbiert, was im Moment geschieht. Dabei bewegt er 6
sich durch innere Räume und bleibt doch enorm wach für das Geschehen um ihn: „Zeit ist das Metronom, das immer weiter läuft und fließt. Wenn ich komplett loslasse, verliere ich sogar sie. Der Puls aber schlägt jeden Moment anders, ist verbunden mit dem, was ich spiele und aufnehme. Ich fokussiere einen Punkt, dem ich mich immer weiter annähere. Zwischen den beiden Händen existiert eine natürliche Balance in der Resonanz, in der Harmonie – dorthin versuche ich zu kommen. Konzentration und Loslassen zugleich, das ist für mich dieser schönste Moment. Wenn man nur loslässt, ist man noch nicht in Balance, und wenn man sich zu sehr konzentriert, ist alles blockiert. In einem Konzertsaal kann ich die Dinge ja nicht festlegen wie beim Spielen in meinem Wohnzimmer, denn ich bin anderen Gedanken und Gefühlen ausgesetzt, die zwischen mir und dem Publikum hin- und hergehen.“ Vor langer Zeit schon hat er gelernt, mit der Distanz umzugehen, die die Bühne zwischen ihm und den Zuhörern herstellt, so dass er sich inzwischen nicht mehr von ihnen abgeschnitten fühlt: „Wir sind in einem Raum und es ist unsere gemeinsame Musik. Ich fühle mich nicht als Solist. Ich fühle die Energie des Raumes und aller Menschen darin und strahle sie in meinem Spiel wieder zurück.“ Am liebsten sitzt er dabei nicht genau im Zentrum, sondern „ein wenig seitlich“, wie vergangene Saison, als er zum ersten Mal im Pierre Boulez Saal zu Gast war. Dessen Architektur, so sagt er, trägt enorm dazu bei, eine Verbindung zum Publikum herzustellen, sowohl durch die elliptische Form als auch durch die große Nähe zu den Zuhörern. Wenn er zusammen mit einem Orchester auftritt, wie etwa 2016 mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, fließt jene Energie zusätzlich zwischen den Musizierenden – für Mortazavi die Basis jeden Zusammenspiels. Dass für das gemeinsame Musizieren in einem größeren Ensemble Noten unabdingbar sind, ist ihm natürlich klar, auch wenn er sich (nur halb scherzhaft) wünscht, dass alle Musiker jeden Komponisten so liebten, dass sie in einer Art tele pathischer Verbundenheit ganz frei miteinander spielen könnten. Als Kind hat er selbst zunächst gelernt, nach Noten zu musizieren. Doch die starke Fixierung darauf in der Musikausbildung macht ihm Sorgen: „Noten gehören zur Sphäre des Auges und nehmen sehr viel von unserer Wahrnehmung in Anspruch. Für mich ist die Energie der Musik heutzutage oft blockiert. Seit ich ohne Noten mit 7
Schülern arbeite, geben sie sich mehr den Ohren hin, fühlen genauer, was ein bestimmter Rhythmus ist, was er bedeutet.“ Nach sechs Jahren in München erhielt Mohammad Reza Mortazavi die Einladung, ein großes Konzert im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu geben. Das gab für ihn 2007 den Anstoß, in die Hauptstadt zu ziehen: „Hier kann ich freier atmen, es ist leichter für mich. Berlin hat sich im Laufe der Jahre zwar verändert, aber es bleibt kreativ.“ Für seine Musik interessieren sich hier viele Menschen, nicht nur im Konzertsaal. Nach einer längeren Pause hat er vor drei Jahren wieder begonnen, in Kreuzberg Gruppenunterricht auf Tombak und Daf zugeben: „Diese Begegnung mit begeisterten Menschen, die angeregt sind von Konzerten und die selbst spielen wollen, tut mir sehr gut – ohne den Abstand, den ich sonst von der Bühne aus zu ihnen habe.“ Das Alter spielt dabei keine Rolle: In der Mutter-Kind-Klinik in Buckow in der Märkischen Schweiz hat er mit Müttern und ihren kleinen Kindern gearbeitet. Trommeln war Teil ihres Genesungsprozesses. Er erinnert sich genau an einen Moment, den er zu seinen schönsten musikalischen Erlebnissen überhaupt zählt und der zeigt, wie die Trommel, dieses uralte Herzschlaginstrument der Menschheit, bis heute auf uns wirkt: „Ich habe zusammen mit den Kindern gespielt, und auf einmal waren alle auf ihren kleinen Trommeln vollkommen im Takt und im Rhythmus. Sie hatten die Augen geschlossen. Zu Beginn des Unterrichts waren sie oft aggressiv untereinander, unkonzentriert, haben gestritten. Am Ende haben sie eineinhalb Stunden gemeinsam verbracht, ohne überhaupt zu sprechen. Wir haben zwischendurch nur eine kurze Pause in Stille gemacht. Ihre Gesichter werde ich nie vergessen. Musik kann in der Gesellschaft ungeheuer stark und positiv wirken, wenn die richtige Balance erreicht ist.“ Auch die tiefe Verbundenheit zwischen Müttern und Kindern hat er bei dieser Arbeit beobachtet. „Wenn die Mütter im gemeinsamen Spiel loslassen konnten, konnten die Kinder es auch – es war wie Telepathie. Wenn aber die Mütter festhielten, haben die Kinder sich beschwert. Sie brauchten diese freiere Art des Spiels.“ Eine Freiheit, die sich nicht nur im übertragenen Sinn auch auf ganz praktische musikalische Gegebenheiten bezieht: „Ein 17-Achtel-Takt entspricht meiner inneren Balance viel mehr als ein Viervierteltakt.“ Für Mohammad Reza Mortazavi scheinen Grenzen tatsächlich kaum zu existieren. „Wenn ich meine 8
Vergangenheit betrachte, ob nun die Musik oder das Leben – das ist für mich dasselbe –, kommt mir alles wie ein Traum vor“, sagt er. „Ich war und bin offen und immer wieder am Anfang eines großen Kreises. Das gibt mir Energie. Ich habe viel vor!“
Annette Zerpner hat im Laufe ihrer journalistischen Tätigkeit unter anderem für die FAZ, Die Zeit, GEO Saison, das Magazin der Berliner Philharmoniker und die Zeitschrift mare geschrieben. Sie ist Textredakteurin am Konzerthaus Berlin.
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Heartbeat Instruments Mohammad Reza Mortazavi on Sound, Rhythm, and His Love for Music
Annette Zerpner
“The sound of the tombak is directed inward, while playing the daf means turning outward. It’s like breathing in and out—a beautiful balance.” When Mohammad Reza Mortazavi talks about his music, there is no lack of vivid images. But ultimately it is not about his drums. Nor about schools and traditions and the multiple playing techniques that the 41-year-old from Isfahan in Iran, a celebrated guest at festivals worldwide, has contributed to the traditional art of playing the goblet-shaped tombak and the frame drum daf. Above all, he immediately adds, it is not about virtuosity— his reputation of having “the fastest hands on earth” (as the ZDF show Aspekte put it) or the attention audiences devote to him, the soloist in the spotlight. “It’s not about what I can do. It’s only the stage that essentially forces me to show that. Virtuosity is contrary to what I actually want to do. Music is not a show, nothing one should see; it’s only sound.” And it is sound he has been searching for, again and again, for more than 30 years. At the early age of six, Mortazavi began to learn to play hand drums from a friend of his father. “In Iran at that time—and to this day—the prestigious thing was to play the piano,” he explains. For the Western-oriented, urban upper class, classical music was considered part of a complete education. The tombak, on the other hand, was thought of as a simple, traditional instrument that many associated “only” with folk music. “I always had a motivation to show: this is music, it’s not about hides and wood!” Soon, young Mohammad was accepted at a music school; at the age of nine he won the first of many competitions, and when he 11
was only 12, he began passing his knowledge on to others— “and the passion too.” Passion is a word that crops up remarkably often in conversation with Mohammad Reza Mortazavi: much more frequently than is usually the case with musicians. It stands for everything that makes up the core of his being as a human and as an artist, a synonym for love. When passion is absent, the incredible control over his highly sensitive fingers—which occasionally, subconsciously, dab a tiny rhythm onto the table while he is talking—remains meaningless, as does his enormous capacity for memorizing and analyzing, but also the many years of practicing. Without passion, the orbit “never exceeds the familiar, the tradition. If you break boundaries, people will often say, ‘You can’t do that!’ But I’ve always been convinced that music leads me, not the other way around. It comes through me, not from me. I love those moments when I play and no longer have control over my hands. I hear the music with the audience, and the hands play—sometimes I don’t even know how.” Mortazavi can say such things without sounding even the least bit pretentious. When discussing music, he chooses his words with a kind of sacred earnestness. M arketing strategists would probably use the word “charisma” to describe his effect and quickly add the label “world music” to prevent anyone from fearing that Mortazavi is after p rofound and serious ideas—ideas that are, in the end, quite simple. At any rate, he would never deny that his music spans the world and has universal appeal. But what happens in practical terms when the Iranian hand drummer, who has lived in Germany for 18 years, takes a seat on stage with his two instruments? How does he adapt to the atmosphere of a hall? In fact, he enters the stage with a basic compositional concept that he describes as “secure, open, and round.” Each performance develops differently, since Mortazavi absorbs everything happening around him in the moment. Moving through inner spaces, he remains highly aware of the events that surround him: “Time is the metronome that keeps ticking and flowing. When I let go completely, I lose even time. But the pulse has a different beat every moment, in connection with what I play and perceive. I focus on a point and then keep approaching it. There is a natural balance between the two hands, in resonance, in harmony—that’s what I try to attain. Concentrating and letting go at the same time, that’s the 12
most beautiful moment for me. If you only let go, you are not in balance yet, and if you concentrate too hard, everything is blocked. In a concert hall, I can’t determine things the same way I would when playing in my living room since I’m subjected to other thoughts and feelings that swing back and forth between the audience and me.” He learned long ago to deal with the distance the stage creates between him and his listeners, so that now he no longer feels cut off from them: “We are in one room, and the music belongs to us jointly. I don’t feel like a soloist. I feel the energy of the room and all the people in it, and I reflect them in my playing.” He prefers not to sit dead-center, but “slightly to the side,” as he did last year when he was first invited to play at the Pierre Boulez Saal. Its architecture, he says, contributes enormously to the connection he forges with the audience, both due to the elliptic form and the closeness of the listeners. When he performs with an orchestra, as he did in 2016 with the Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, that energy also flows between the musicians—to Mortazavi, this is the basis of any shared music-making. He realizes of course that making music together in a larger ensemble requires scores, even if his wish would be (as he says, only half-jokingly) for all musicians to love every composer in such a way that would allow them to play entirely freely, in a kind of telepathic connection. As a child, he learned to make music according to written parts. The fixation of music education on the printed score, however, worries him: “Printed music belongs to the sphere of the eye and claims a large part of our attention. Today I often find that the energy of music is blocked. Since I began working with students without sheet music, they trust their ears more, intuiting more precisely what a certain rhythm is, what it means.” After living in Munich for six years, Mohammad Reza Mortazavi was invited to play a major concert at Berlin’s Haus der Kulturen der Welt. This inspired him to move to the German capital in 2007: “Here I can breathe more freely; it’s easier for me. Berlin has changed over the years, but it remains creative.” Many people here are interested in his music, not only in the concert hall. After a lengthy hiatus, he began giving group lessons for tombak and daf again in Kreuzberg three years ago: “These encounters with enthusiastic people who are inspired by concerts and want to play 13
themselves do me a world of good—they eliminate the distance that the stage usually imposes between us.” Age is of no consequence: at a hospital for mothers and children in Buckow in Brandenburg, he worked with mothers and their small children. Drumming was part of their healing process. He remembers one moment very well that he refers to as one of his most dearly-held musical memories of all and that also shows how the drum, that ancient heartbeat instrument of humanity, still influences us profoundly: “I played together with the children, and suddenly they were all perfectly in time and rhythm on their small drums. They had their eyes closed. At the beginning of the class, they were often aggressive, unfocused, fighting. At the end, they spent an hour and a half together without speaking at all. We only took a short break in the middle, in silence. I will never forget their faces. Music can have an incredibly strong and positive effect on society, if the right balance is struck.” He has also observed a deep connection between mothers and children in this work. “When the mothers could let go while playing together, the children could, too—it was like telepathy. But when the mothers were trying to retain control, the children complained. They craved this unrestricted way of playing.” It is a kind of freedom that also applies to other, entirely practical musical issues: “A 17/8 measure is much closer to my inner balance than 4/4 time.” Indeed, for Mohammad Reza Mortazavi, boundaries hardly seem to exist. “When I look at my past, whether in music or in life —to me, they are the same—it seems like one big dream to me,” he says. “I was and I remain open, and find myself at the beginning of a large circle, again and again. This gives me energy. There’s lots left to do!” Translation: Alexa Nieschlag
Over the course of her journalistic career, Annette Zerpner has written for Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit, GEO Saison, the magazine of the Berliner Philharmoniker, and mare magazine. She is an editor at the Konzerthaus Berlin.
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