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Impf-licht am Ende des Tunnels?

Wie und warum Impfungen seit Jahrhunderten effektiv zur Prävention eingesetzt werden

Ist Impfen gefährlich? Wenn Zweifel und diffuse Ängste sich breitmachen und man nicht mehr weiß, wem man glauben kann, ist das Sammeln von solider, vertrauenswürdiger Information immer noch die klügste Handlungsoffensive. Im Interview beleuchtet Dr. med. Irene Brunhuber, Fachärztin für Innere Medizin und Mayr-Ärztin im Gesundheitszentrum Park Igls, das Thema Impfung aus verschiedenen Blickwinkeln – von historischen Impferfolgen über Wirkung und Verträglichkeit von Impfungen bis hin zur umfassenden medizinischen Aufklärung.

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Blicken wir ein wenig zurück in der Geschichte der Impfungen: Welche Impfung/en war/en Ihrer Meinung nach jene, die den bahnbrechendsten Erfolg hatte/n? Dr. Irene Brunhuber: Eine der bedeutendsten Personen in der Geschichte der Impfung war Edward Jenner, der 1796 in einem riskanten Experiment einen Jungen absichtlich mit den wesentlich harmloseren Kuhpocken infizierte und ihn damit erfolgreich vor der Erkrankung mit Menschenpocken schützte. Noch heute erinnert das Wort Vakzine, das sich vom lateinischen Wort vacca für Kuh ableitet, an die Ursprünge der Impfung. Bis jetzt gelang die vollständige Ausrottung des Krankheitserregers (= Eradikation) beim Pocken- und beim Rinderpestvirus.

DR. IRENE BRUNHUBER »Man darf sich nicht darauf verlassen, dass man indirekt geschützt ist, weil andere geimpft sind.«

Ein weiterer Meilenstein in der Impfhistorie war das 1988 von der WHO ausgerufene Eradikationsziel des Poliovirus, das besser unter dem Namen Kinderlähmung bekannt ist. Inzwischen gelten zwei der drei Poliovirus-Variationen (= Serotypen) als ausgerottet. Die Polio-Impfung gilt auch als Beispiel für eine gelungene Impfkampagne in Österreich.

Welche Impfungen werden nach dem Österreichischen Impfplan von Ärzten dringend für Kinder, Jugendliche und Erwachsene empfohlen? Dr. Brunhuber: Inzwischen verfügen wir über viele verschiedene Impfstoffe gegen Viren und Bakterien, die in erster Linie vor einer Infektionskrankheit und damit verbundenen – eventuell sogar tödlichen – Komplikationen schützen sollen; andere Impfstoffe wurden vorrangig zur Krebsprävention entwickelt. Laut Österreichischem Impfplan werden im Säuglings- und Kleinkindesalter neben der bekannten Sechsfach-Impfung (Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, Haemophilus influenzae B, Hepatitis B) auch eine Impfung gegen schwere Durchfallerkrankungen (Rotaviren) sowie die Masern-Mumps-Röteln-Impfung empfohlen. Inzwischen wurde auch die Impfung gegen Pneumokokken, die als Verursacher von bakteriellen Lungenentzündungen gelten, in das Gratis-Impfprogramm aufgenommen.

Nicht kostenfrei, aber empfohlen ist die Impfung gegen Meningokokken. Auch wenn eine schwere Erkrankung, etwa Hirnhautentzündung, mit diesen Erregern sehr selten ist, verläuft diese in vielen Fällen dramatisch. Weitere empfehlenswerte Impfungen stellen die Varizellen-Vakzine zum Schutz gegen Windpocken sowie die Impfung gegen Hepatitis A (akute Entzündung der Leber) dar. Nicht zu vergessen sind die sogenannte Zeckenimpfung (FSME-Impfung), die HPV-Immunisierung zur Krebsvorsorge (vor allem Gebärmutterhalskrebs) und die Grippeimpfung (Influenza).

Im Erwachsenenalter spielen vor allem die Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und Polio sowie gegen Pneumokokken, Herpes Zoster, FSME und Influenza eine wichtige Rolle.

Können Sie uns erklären, was genau bei einer Impfung in unserem Körper passiert? Dr. Brunhuber: Bei einer Impfung wird – vereinfacht ausgedrückt – eine Infektion des Körpers mit dem jeweiligen Erreger simuliert. Dadurch kommt es zu einer Immunantwort. Unser Immunsystem ist in der Lage, sich derartige Reaktionen zu merken, sodass es bei einer späteren Infektion zu einer auf der Immunisierung beruhenden raschen Abwehr der Infektionserreger kommt. Das heißt, der Körper kann sich rechtzeitig ausreichend gegen die Erreger wehren und wir werden nicht krank.

Welche Unterschiede gibt es bei den Arten von Impfstoffen, z. B. zwischen Tot- oder Lebendimpfstoff? Was unterscheidet diese? Dr. Brunhuber: Im Rahmen von Impfungen bedient man sich verschiedener Techniken. Klassisch wird zwischen Tot- und Lebendimpfstoffen unterschieden. Bei Totimpfstoffen handelt es sich um inaktivierte bzw. abgetötete Erreger, die dem Impfling verabreicht werden. Lebendimpfstoffe hingegen

sind über langwierige Kultivierungsverfahren adaptierte Erreger, die ihre ursprüngliche Gefährlichkeit eingebüßt haben. So wurde z. B. um 1900 von Albert Calmette und Camille Guérin im Rahmen eines Experiments, das eigentlich der vereinfachten Anzucht von Tuberkulosebakterien auf Glycerin-/ Kartoffel-Nährmedien dienen sollte, herausgefunden, dass die Zugabe von Ochsengalle zu einer Abschwächung des Bakteriums führt. Über Jahre hinweg wurde auf diesem Wege der nicht mehr krankmachende (apathogene), aber dennoch immunisierende Stamm Bacillus-Calmette-Guérin entwickelt, der mit etwa vier Milliarden Verabreichungen der meistapplizierte Impfstoff der Welt ist.

Neuere Lebendimpfstoffe bedienen sich gentechnischer Verfahren, um den Effekt einer Abschwächung zu erreichen. So werden für den Grippeimpfstoff Fluenz Tetra Grippeviren in der Weise verändert, dass sie sich nur mehr in den oberen Atemwegen (Respirationstrakt) vermehren können und so – wenn überhaupt – nur zu einer milden Symptomatik führen. Die dabei entstehende Schleimhaut-Immunität schützt äußerst effektiv gegen eine Infektion mit krankmachenden Grippeviren. Von dieser aktiven Immunisierung abzugrenzen ist die sogenannte passive Impfung, bei der Antikörper gegen einen bestimmten Erreger verabreicht werden, um einen raschen (aber nur kurz anhaltenden Schutz) aufzubauen. Passive Impfstoffe bzw. Kombinationen aus aktivem und passivem Vakzin werden bei drohender Tetanus- oder Tollwut-Infektion zur Vermeidung verwendet.

DR. IRENE BRUNHUBER »Die mit einer Impfung verknüpften Nebenwirkungen sind heutzutage generell sehr mild. Es handelt sich dabei um Zeichen einer Immunantwort.«

Die Entwicklung des Covid-19-Impfstoffes hat gezeigt, dass es Pharma-Herstellern möglich ist, in relativ kurzer Zeit unterschiedliche Produkte auf den Markt zu bringen. Worin unterscheiden sich die Produkte? Dr. Brunhuber: Die sehr potenten neuen mRNAImpfstoffe und Vektorvakzine gegen SARS-CoV-2

POCKENEPIDEMIE

Pockenepidemien traten bis ca. 1970 weltweit immer wieder auf. Um 1870 herum starben bei einer Pockenepidemie in Deutschland fast 200.000 Menschen. Bereits im neunzehnten Jahrhundert wurde in einigen Staaten eine Pocken-Impfpflicht erlassen. Im Jahr 1967 startete die WHO schließlich ein großangelegtes Programm zur Ausrottung der Pocken – seit 1980 gilt die Welt als pockenfrei.

Hinweis der Redaktion: Die Aussagen basieren auf dem zum Zeitpunkt des Interviews aktuellsten Forschungsstand und auf objektiven Fakten.

basieren auf modernen Verfahren, die darauf ausgelegt sind, dass sie keine antigenen Teile des Erregers enthalten. Bei mRNA-Impfstoffen wie von Moderna und Pfizer-BioNTech wurde ein Abschnitt der Erbinformation des Virus kopiert, modifiziert und in Transportvesikel verpackt, sodass es in den Zellen des Impflings zu einem Nachbau eines Teils des Virus kommt. Mit der Impfung wird also dem Körper ein Bauplan verabreicht, mit dem unser Körper ein Antigen herstellt, gegen das dann wiederum Antikörper gebildet werden. Diese mRNA wird nirgends eingebaut, schon gar nicht im Zellkern in unsere Erbinformation, sondern nach wenigen Tagen wieder abgebaut. Bei jeder Infektion, z. B. mit harmlosen Erkältungsviren, wird so eine mRNA in unsere Zellen eingebracht. Dadurch verändert sich unser Erbgut nicht.

Auch die von AstraZeneca und Johnson&Johnson vertriebenen SARS-CoV-2-Impfstoffe lassen sich nur bedingt in das oben genannte Schema einordnen. Es handelt sich dabei um sogenannte Vektorvakzine. Hier wurden Teile des Erbguts von SARSCoV-2 in ein ungefährliches Virus eingebaut. Das harmlose Virus ist also Träger eines Antigens eines potenziell krankmachenden Erregers, sozusagen ein Schaf im Wolfspelz. Nach Verabreichung des Impfstoffs schützt die gegen diesen Bereich gerichtete Immunantwort im Falle eines Kontakts mit SARS-CoV-2 vor einer Infektion.

Eine ganze Reihe von weiteren Impfstoffen ist noch in der Entwicklungsphase, sodass damit zu rechnen ist, dass im Laufe dieses Jahres noch einige zusätzliche Vakzine auf den Markt kommen.

Warum braucht es die Langzeitstudien? Dr. Brunhuber: Sie sind notwendig, um die Sicherheit in der Anwendung von Impfstoffen aufzuzeigen. Wir erleben in diesen Tagen häufig, dass Bedenken zu den aktuell zur Verfügung stehenden Covid-19-Impfungen geäußert werden, weil noch keine Langzeitdaten vorliegen. Dazu muss vorweg festgehalten werden: Echte Impfnebenwirkungen treten fast ausschließlich in den ersten beiden Monaten nach der Impfung auf. Späte Impffolgen sind nahezu immer Restzustände früherer Nebenwirkungen der Impfung.

Bei der Entwicklung der in Europa erhältlichen Covid-19-Impfstoffe wurden alle in einem Zulassungsverfahren geforderten Phasen – wie das auch bei anderen Medikamenten üblich ist – eingehalten. Der wohl maßgebliche Treiber in der Herstellung eines wirksamen Impfstoffs (Vakzin) waren die rasche Ausbreitung der Erkrankung und die mit der Pandemie assoziierten wirtschaftlichen Folgen – und natürlich die bereitgestellten finanziellen Mittel.

Welche unerwünschten Nebenwirkungen können bei einer Impfung ganz allgemein auftreten? Weiß man bereits etwas über Nebenwirkungen bei der Covid-19-Impfung? Dr. Brunhuber: Die mit einer Impfung verknüpften Nebenwirkungen sind heutzutage generell recht mild. Durch die Erfahrungen, die im Rahmen der Impfstoffentwicklungen in vergangenen Jahrzehnten gesammelt wurden, beschränken sich diese meistens auf temporäre Schmerzen an der Einstichstelle, lokale Rötungen, erhöhte Temperatur, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Schüttelfrost oder Gelenksschmerzen. Das gilt nach momentanem Wissensstand auch für die Covid-19-Impfungen. Es handelt sich dabei um Zeichen einer Immunantwort. Diese Symptome verschwinden aber meistens innerhalb weniger Tage. Bei einigen Impfstoffen besteht die Gefahr einer allergischen Reaktion, so auch bei einer Covid-19-Impfung. In erster Linie sind davon bereits allergisch vorbelastete Menschen betroffen. Eine Impfung sollte deshalb immer von einem Arzt vorgenommen werden.

DR. IRENE BRUNHUBER »Die Gerüchte über Unfruchtbarkeit nach Covid-19-Impfung gehören ins Reich der Märchen.«

Muss man sich vor Langzeitschäden fürchten? Ist an Gerüchten wie »Die Impfung macht unfruchtbar« etwas dran? Dr. Brunhuber: Gerüchte, die derzeit bezüglich der SARS-CoV-2-Impfstoffe kursieren, basieren zum größten Teil auf den Meinungen von fachfremden Menschen, die Sachverhalte unrichtig darstellen. Die Gerüchte über Unfruchtbarkeit nach Covid19-Impfung sowie das Gerücht, dass sich die im mRNA-Impfstoff enthaltene RNA in das Genom des Impflings einbaut, sind wissenschaftlich in keiner Weise haltbar und gehören ins Reich der Märchen. Zurzeit müssen wir auf die aktuelle Datenlage vertrauen; nach der Meinung zahlreicher Experten handelt es sich um äußerst sichere Impfstoffe.

Wirkt der Impfstoff auch bei den Mutationen? Dr. Brunhuber: Ob die derzeit auf dem Markt befindlichen Impfstoffe einen Schutz gegenüber den SARS-CoV-2-Varianten bieten, ist Gegenstand zahlreicher Diskussionen.

Die aktuell zugelassenen Impfstoffe von Moderna und Pfizer-BioNTech scheinen nach bisherigen Erfahrungen auch gegen die britische und die südafrikanische Variante ausreichend wirksam zu sein, im Falle von AstraZeneca gibt es hinsichtlich der Wirksamkeit gegen den Südafrika-Mutanten (noch) Bedenken. Allerdings sind sich die Experten momentan teilweise noch sehr uneinig und es bedarf weiterer Erfahrungswerte, die wir jeden Monat dazugewinnen. Der Impfstoff von Johnson&Johnson dürfte ausreichend gegen die südafrikanische und brasilianische Variante wirken, jedoch gibt es noch keine Daten zur Schutzwirkung vor der britischen Variante.

Gibt es Personen-/Risikogruppen, denen man von einer Covid-19-Impfung abraten sollte? Gibt es Altersgrenzen? Dr. Brunhuber: Zugelassen sind die Impfstoffe für alle ab sechzehn (Pfizer-BioNTech) bzw. ab achtzehn (AstraZeneca, Johnson&Johnson und Moderna). Bei einer Impfung ist generell das Nutzen-Risiko-Verhältnis abzuwägen; es sind oft Einzelfallentscheidungen zu treffen. Derzeit gibt es zum Beispiel keine explizite Zulassung für, aber auch kein Verbot gegen die Impfung von Schwangeren, in der Stillzeit darf hingegen geimpft werden. Da es sich um inaktivierte Impfstoffe handelt, dürfen laut bisherigen Daten auch immunsupprimierte Menschen geimpft werden, das sind jene, die z. B. wegen einer Autoimmunerkrankung Medikamente einnehmen müssen, die eine Immunabwehr unterdrücken. Die Frage ist nur, ob in diesem Fall ein entsprechender Schutz aufgebaut wird, weshalb hier eine Impferfolgskontrolle zu überlegen wäre.

Mit welchen Argumenten überzeugen Sie mögliche Impfgegner*innen? Dr. Brunhuber: Ich versuche, den aktuellen Stand der Wissenschaft zu vermitteln. Wer geimpft ist, der ist mit größter Wahrscheinlichkeit vor einem tödlichen Verlauf der Erkrankung geschützt. Man darf sich nicht darauf verlassen, dass man indirekt geschützt ist, weil andere geimpft sind. Das ist wie bei der FSME-Impfung. Leider ist noch nicht ganz klar, ob man nach der Impfung eine Infektion noch an andere weitergeben kann, deshalb kann man danach auch noch nicht auf die Maske verzichten, solange diese Frage noch nicht geklärt ist. Als essenziell erachte ich die Vermittlung wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse, jeder sollte Zugriff auf dieses medizinische Hintergrundwissen haben, um so für sich die richtige Entscheidung treffen zu können.

Und sollten Bedenken zu Verträglichkeit und Wirksamkeit auftauchen, dann werfe ich gerne in die Waagschale, dass ein gut funktionierendes Immunsystem, basierend unter anderem auf einem gesunden Darm und einer ausreichenden Versorgung mit wichtigen Nährstoffen, essenziell ist – aber das ist eine andere Geschichte …

DR. IRENE BRUNHUBER »Die mRNA wird nirgends eingebaut, schon gar nicht im Zellkern in unsere Erbinformation, sondern nach wenigen Tagen wieder abgebaut.«

Dr. med. Irene Brunhuber Fachärztin für Innere Medizin, Mayr-Ärztin mit Zusatzdiplom in Orthomolekularer Medizin

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