MONTAGSSTÜCK VI: DIE WELT BEWEGEN | Programmheft

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BAYERISCHES STAATSORCHESTER MONTAGSSTÜCK VI: DIE WELT BEWEGEN 2. AKADEMIEKONZERT SPIELZEIT 2020 / 2021 NATIONALTHEATER


Bayerisches Staatsorchester MONTAGSSTÜCK VI: DIE WELT BEWEGEN 2. AKADEMIEKONZERT Nationaltheater Montag, 7. Dezember 2020, 20:00 Uhr (20.15 Uhr Live-Stream auf www.staatsoper.de) Dienstag, 8. Dezember 2020, 20:00 Uhr Musikalische Leitung Krzysztof Urbański Solist Thomas Hampson Bariton

Vorstand Florian Gmelin, Daniela Huber, Ruth Elena Schindel


Ludwig van Beethoven (1770–1827) Ouvertüre (zu H. J. v. Collins Trauerspiel Coriolan) op. 62 Allegro con brio Gustav Mahler (1860–1911) Kindertotenlieder (Text: Friedrich Rückert) 1. „Nun will die Sonn’ so hell aufgehn“. Langsam und schwermütig; nicht schleppend 2. „Nun seh’ ich wohl, warum so dunkle Flammen“. Ruhig, nicht schleppend 3. „Wenn dein Mütterlein“. Schwer, dumpf 4. „Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen“. Ruhig bewegt, ohne zu eilen 5. „In diesem Wetter“. Mit ruhelos schmerzvollem Ausdruck Antonín Dvořák (1841–1904) Symphonie Nr. 7 d-Moll op. 70 1. Allegro maestoso 2. Poco adagio 3. Scherzo. Vivace – Poco meno mosso – Vivace 4. Finale. Allegro

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Programm


BEETHOVEN

Coriolan-Ouvertüre

MAHLER

Kindertotenlieder

„Die Composition ist ganz dazu geeignet, die bestimmte Idee zu erwecken: eine grosse, tragische Begebenheit werde der Inhalt des folgenden Stücks seyn. Ohne den Comödienzettel gelesen zu haben, kann niemand etwas anderes erwarten.“ E. T. A. Hoffmanns Rezension bringt zum Ausdruck, was das Paradox dieser Komposition ausmacht: Als womöglich erste „Konzertouvertüre“ tritt sie emanzipiert von einem anschließenden Bühnenwerk auf – verliert damit jedoch nicht an Inhalt, sondern gewinnt. Die Anlage von Haupt- und Seitenthema ist äußerst prägnant, ersteres akkordisch gebrochen, letzteres um eine diatonisch absteigende Melodielinie gebildet. In ihrer Gegensätzlichkeit gehorchen sie geradezu beispielhaft den Spielregeln der Sonatenform, gleichzeitig trägt aber die aus ihrer Verarbeitung gewonnene Wucht den musikalischen Fluss ohne weiteres über die Grenzen von Exposition, Durchführung und Reprise hinweg. Aus dem Inneren der Musik heraus wird von einem Ringen mit sich selber erzählt, das weit über das des Coriolan in Collins Tragödie hinausweist und doch dank der Wirkung der musikalischen Mittel nicht beliebig wird – mit Worten Wolfram Steinbecks verlangt die Musik weiterhin nach „verbaler Konkretion“. So eröffnet die erste „Konzertouvertüre“ auch die Welt des programmatischen Konzertstücks.

Neben seinen Liedern eines fahrenden Gesellen lassen sich am ehesten wohl Mahlers Kindertotenliedern als ein Liedzyklus im klassischen Sinne verstehen: In fünf thematisch verbundenen Liedern drückt ein lyrisches Ich seine Gefühle angesichts eines plötzlichen Unglücks aus – wie sich langsam herauskristallisiert, handelt es sich um den Tod der eigenen Kinder. Mit großem, aber über weite Strecken kammermusikalisch behandeltem Orchester zeichnet Mahler plötzliche Ausbrüche von Verzweiflung, Selbstanklage, schließlich auch Verklärung und Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ebenso nach wie den alltäglichen bedrückenden Schmerz, wenn das Leben weiter seinen normalen Gang gehen muss. „Du musst nicht die Nacht in dir verschränken, / musst sie ins ew’ge Licht versenken!“ fordert das lyrische Ich im ersten Lied von sich selbst, doch bleibt unklar, ob es sich um seine eigenen Worte oder einen gutgemeinten Rat von außen handelt. Mahler indes hielt es umgekehrt und schrieb – was schon seine Frau Alma verwunderte – die Kindertotenlieder in einer der glücklicheren Phasen seines Lebens. So spielen die Kindertotenlieder gleich doppelt in einem Spannungsfeld zwischen persönlichem Ausdrucksbedürfnis und gesellschaftlichen Erwartungen, warfen und werfen immer wieder die Frage nach Mahlers Motivation auf – womöglich ist es aber nicht die Verarbeitung von persönlichem Leid, sondern die Lust am musikalischen Ausdruck, die sich in ihnen niederschlägt; beispielsweise in ihren Tristan-Anleihen im zweiten Lied oder auch im Rückgriff auf den Saltus duriusculus, den im Barock als Ausdruck von Schmerz kodierten Abwärtssprung (hier eine verminderte Quinte), im Oboenmotiv des ersten Liedes. Das Nachdenken über das Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen durchdringt auch die Form der Lieder: So sind Strophen zwar erkennbar, doch wird musikalisch kein Gedanke einfach wiederholt, so wie auch das lyrische Ich in seinen Gedanken zunächst keinen Halt findet, „als hinge“ – so eine Charakterisierung Mahlers durch Theodor W. Adorno – „vom Wechsel kleiner und großer Terz die Welt ab“.

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Die Werke in Kürze


DVOŘÁK

Symphonie Nr. 7

Antonín Dvořáks siebte Symphonie, uraufgeführt 1885 durch die Philharmonic Society in London, markiert in gewisser Hinsicht eine Wende in seinem Schaffen. Der „einfache böhmische Musikant“ Dvořák ist Vergangenheit: Ein ernster Tonfall nimmt den Platz von folkloristischen Anklängen ein, und wenn auf slawisch-tschechische Themen Bezug genommen wird, dann haben sie eine inhaltliche Bedeutung. Das Stück fängt schon unkonventionell an: Harmonisch unbestimmt (und darin Ludwig van Beethovens „Neunter“ ähnlich) beginnt eine leise Melodie von Bratschen und Celli, die ohne wirklichen Höhepunkt wieder abebbt – erst in der Rückschau erschließt sich diese Melodie als das erste Thema. Nach dem als Hommage an Johannes Brahms zu verstehenden langsamen Satz überlagert der Komponist im Scherzo Zweier- und Dreier-Metren: ein rhythmisch intrikates Spiel, von dem sich der harmonisch changierende Mittelteil reizvoll abhebt. Den furiosen Finalsatz eröffnet ein Oktavsprung, der in verwegenen Modulationen mündet, um in strahlendem Dur seinen Schluss zu finden. Neben einem immanenten musikalischen Sinnzusammenhang vermittelt diese Symphonie Dvořáks Überzeugung, dass die Zukunft der Musik in der Idee einer Symbiose liegt, die die verschiedensten Stile, Formen und Auffassungen in sich einschließt. Darin lag für ihn der Weg in eine neue Welt.

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Wie gelähmt bewegt sich der Stoff der trostlosen Erinnerung auf der Stelle, um den Trost der Großen Form zu gewinnen; sie ist unerreichbar wie er. Aber gerade indem er die ästhetische Ohnmacht in sich hineinnimmt und sein Dichten damit bricht, gelangt er zu seiner einzig möglichen Wahrheit –: Mit ihr sind die Kindertodtenlieder die größte Totenklage der Weltliteratur geworden, eine Verlustmeldung und Todesanzeige von gewaltigster Dimension. Rückert hat sie unveröffentlicht gelassen; erst sein Sohn Heinrich gab sie „aus seinem Nachlasse“ 1872 heraus. Erst jenseits seiner Zeit auch, 30 Jahre später, wartete auf sie die Musik Gustav Mahlers, durch die sie aus ihrer Verborgenheit freikamen und die endgültige Sprache wiederfanden: einen Menschenlaut, der zu den größten Ereignissen der Geistgeschichte gehört. Mahler, der in der eigenen „Natur“ den Panischen Schrecken kannte, hat ihn auch in der Natur Rückerts erspürt und in ihrem Sprechen freigesetzt, indem er dessen Glätte wiederauflöste. Seine Musik umgibt den Text mit dem surreal Zeitlosen des Todes, in dem der Kindertod selber nur eine Metapher war; ihre Linearität verlässt die Epoche, und im letzten Lied scheinen die Klagelaute aller Kulturen kontaminiert: als Schmerzsprache eines Schicksals über allen Schicksalen, jetztlos und nie endend. Hans Wollschläger


Ludwig van Beethoven (1770–1827) Ouvertüre (zu H. J. v. Collins Trauerspiel Coriolan) op. 62 Allegro con brio Komponiert 1807 Uraufführung Wien, Palais Lobkowitz, März 1807; Orchester des Fürsten Lobkowitz Widmung Heinrich Joseph v. Collin Orchesterbesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 2 Hörner, 2 Trompeten – Pauken – Streicher Erste belegte Aufführung im Nationaltheater außer Abonnement am 25. Dezember 1822 (Dirigent unbekannt), zuletzt im 1. Akademiekonzert 1984/85 am 21./22. Oktober sowie bei einem Gastspiel in der Meistersingerhalle Nürnberg am 31. Oktober 1984 (Dirigent: Carlos Kleiber); vom Bayerischen Staatsorchester zuletzt gespielt am 5. April 1996 im Stadttheater Ingolstadt und (zum 70. Geburtstag von Leo Kirch) am 21. Oktober 1996 im Münchner Herkulessaal (Dirigent: Carlos Kleiber)

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Ludwig van Beethoven


Susanne Ziese Dunkle Flammen Zu Ludwig van Beethovens Ouvertüre op. 62 In Rache entbrannt „Wir rufen laut um Hilfe! / Denn großes Unglück droht dem Haus.“ Vor der lodernden Flamme des Opferherdes beschwört Veturia, Mutter des römischen Feldherrn Coriolan, die Hausgötter. Doch das tragische Schicksal ihres Sohnes ist unabwendbar. Einst vom Volk glühend verehrt, erweist sich der Patrizier Coriolan bald als überheblich gegenüber den Plebejern. Als man ihn aus seiner Heimatstadt verbannt, verbündet er sich wutentbrannt mit den Feinden Roms, um blutige Rache zu üben. In seiner Raserei lässt sich der Verstoßene mit niemandem auf Verhandlungen ein – bis man seine Frau und seine Mutter vor die Tore Roms zu ihm schickt. Ihr eindringliches Flehen lässt ihn innehalten und an seinen Taten zweifeln. Zerrissen zwischen tiefer Heimatliebe und unbeugsamem Hochmut sieht Coriolan den einzigen Ausweg in seinem Freitod. Er stürzt sich ins eigene Schwert mit den Worten: „Rom ist versöhnt – O gerne sterb’ ich! […] Die Meinen tröste! – Ha, wie heiß!!“

Schwerthiebe und Totenstille Herrisch und mit schneidender Wucht verschafft sich das Stück in düsterem c-Moll Gehör. Schwerthieben gleich durchfahren wuchtige Tuttiakkorde das kraftstrotzende Streicher-Unisono im Fortissimo. Was folgt, ist buchstäblich Totenstille – auch ohne die Kenntnis des Collin’schen Textes prophezeit dieser Anfang unmissverständlich eine Tragödie. Dem ersten Schock entspringt ein nervös getriebenes Motiv, Akkordschläge peitschen es an, bis endlich eine sanfte Kantilene – man erahnt das Flehen der Frauen – anhebt. Mehrfach muss sie ansetzen, um schließlich über die hörbare Zerrissenheit aus pochenden Zweifeln und trotzigen Einwürfen zu siegen. Die Wiederholung der grimmigen Anfangstakte besiegelt das prophezeite Schicksal, und so, wie Coriolans letzte Worte stockend verstummen, erlischt auch Beethovens Musik mit dem sich taumelnd auflösenden Unruhemotiv.

Eröffnung ohne Folge Die antike Tragödie in der Textfassung des k. k. Hofsekretärs Heinrich Joseph v. Collin, seinerzeit ein „weit bekannter, talentvoller Dichter“ (Theodor v. Frimmel) in Wien, wurde 1802 erstmals in der Donaumetropole gespielt und hielt sich bis 1805 im Repertoire. Ludwig van Beethoven kannte das Stück, traf sich zudem mehrfach mit Collin auf der Suche nach geeigneten Opernstoffen. Doch erst 1807, nachdem Beethoven mit der ersten und zweiten Fassung von Leonore einen ersten musikdramatischen Anlauf genommen hatte und Collins Tragödie bereits seit zwei Jahren von den Spielplänen verschwunden war, schrieb der Komponist eine Ouvertüre Zum Trauerspiel „Coriolan“. Dem Eröffnungsstück sollte jedoch kurioserweise keine Schauspielmusik folgen. Als auch Beethoven sich dessen sicher war, tilgte er in der autographen Überschrift den Hinweis auf die Tragödie, sodass die Ouvertüre zu einer der ersten Konzertouvertüren wurde, wenn nicht sogar zu der ersten überhaupt. Dass diese kleine musikgeschichtliche Sensation jedoch heute meist übersehen wird, ist dem Forschungseifer der Nachwelt geschuldet, die dem Stück dann doch wieder den griffigen Coriolan-Stempel aufdrückte.

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Ludwig van Beethoven


Heinrich Joseph v. Collin, der Autor von Coriolan, einem „Trauerspiel in fünf Aufzügen“

Der düstere, schauerliche Ernst der vorliegenden Composition, die Grausen erregenden Anklänge aus einer unbekannten Geisterwelt, lassen mehr ahnen, als nachher erfüllt wird. Man glaubt wirklich, jene Geisterwelt, durch unterirdischen Donner furchtbar angekündigt, werde im Stück näher treten, vielleicht Hamlets geharnischter Schatten über die Bühne schreiten, oder die verhängnisvollen Schwestern würden Makbeth in den Orcus hinabziehen. E. T. A. Hoffmann 6

Ludwig van Beethoven


Das Palais Lobkowitz am Lobkowitzplatz in Wien; dort wurde mit dem Privatorchester des Fürsten Franz Joseph Max v. Lobkowitz auch die Eroica zum ersten Mal aufgeführt (Stich von Vincenz Reim)

Veturia Nun stille! stille!! – Schon beginnt die Weihe. Die Flamme lodert. Heilig ist es hier – Und heilig sei das Wort! Ihr guten Laren, freundliche Beschützer Des Marcischen Geschlechts, Und dieses Hauses! Seid wachsam! – Höret! Wir rufen laut um Hilfe! Denn großes Unglück droht dem Haus. Der Anfang von Coriolan

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Ludwig van Beethoven


Gustav Mahler (1860–1911) Kindertotenlieder (Text: Friedrich Rückert) 1. „Nun will die Sonn’ so hell aufgehn“. Langsam und schwermütig; nicht schleppend 2. „Nun seh’ ich wohl, warum so dunkle Flammen“. Ruhig, nicht schleppend 3. „Wenn dein Mütterlein“. Schwer, dumpf 4. „Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen“. Ruhig bewegt, ohne zu eilen 5. „In diesem Wetter“. Mit ruhelos schmerzvollem Ausdruck Komponiert 1901-04 Uraufführung Wien, 29. Januar 1905, Kleiner Musikvereinssaal; Solist: Friedrich Weidemann (Bariton), Mitglieder des k. k. Hofopernorchesters, Dirigent: Gustav Mahler Orchesterbesetzung: Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, Kontrafagott – 4 Hörner – Pauken, Schlagzeug (Glockenspiel, Tamtam) – Harfe – Celesta – Streicher Zum ersten Mal im Rahmen der Musikalischen Akademie im 2. Abonnementkonzert 1910/11 am 25. November 1910 (Solistin: Margarete Preuse-Matzenauer, Dirigent: Felix Mottl), dann im 4. Akademiekonzert 1958/59 am 12. Januar 1959 (Solistin: Marijana Radev, Dirigent: Lovro v. Matačić), zuletzt im 5. Akademiekonzert 1992/93 am 22. März 1993 im Prinzregententheater (Solistin: Agnes Baltsa, Dirigent: Giuseppe Sinopoli)

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Susanne Ziese Alpha und Omega der Kunst Zu Gustav Mahlers Kindertotenlieder Erloschenes Freudenlicht Funkelnden Sternen gleich spiegelte sich die Sommersonne in den kleinen Wellen des türkisblauen Wörthersees. Die wenige Wochen alte Anna im Arm und die knapp zweijährige Maria zu ihren Füßen blickte Alma Mahler aus dem Fenster der frisch bezogenen Ferienvilla auf das idyllische Sommerpanorama. Doch die Schönheit des Anblicks wurde getrübt von den Gedanken an ihren Mann Gustav, der sich in seinem nahegelegenen Komponierhäuschen verschanzte. Ausgerechnet die 1901 begonnene Vertonung der Kindertotenlieder hatte er wieder hervorgeholt. Die bedrückenden Gedichte hatte Friedrich Rückert verfasst, nachdem er zwei seiner Kinder durch Scharlach verloren hatte. „Ich kann es wohl begreifen, dass man so furchtbare Texte komponiert, wenn man keine Kinder hat, oder wenn man Kinder verloren hat“, empörte sich Alma später, „ich kann es aber nicht verstehen, dass man den Tod von Kindern besingen kann, wenn man sie eine halbe Stunde vorher, heiter und gesund, geherzt und geküsst hat. Um Gottes willen, du malst den Teufel an die Wand!“ Was für Alma wie eine morbide Prophezeiung anmutete – die sich drei Jahre später mit dem Diphterietod Marias tatsächlich erfüllen sollte –, erscheint im Kontext des Mahler’schen Œuvres alles andere als ungewöhnlich. Mahlers Beschäftigung mit dem Tod war keine punktuelle, sondern eine fortwährende, wie sein Freund Ferdinand Pfohl zu berichten wusste: „In dem Glauben an das Jenseits fand er Trost; in der dauernden Betrachtung der letzten Dinge wurde es ihm zur vollkommenen Gewissheit und war endlich das Alpha und Omega seines Lebens, seiner Kunst.“

ersten beiden Doppelverse gestaltet er als analoge Strophen in gedeckter Klanglichkeit. Erst im dritten Paar bricht die Musik zum Vers „Musst sie [die Nacht] ins ew’ge Licht versenken!“ mit einem ausdrucksvoll gedehnten Melodiebogen aus ihrer Dämmerstimmung aus, stößt ein aufgewühltes Nachspiel an, das sich stetig steigert und in einen leidenschaftlichen Ausbruch mündet. Unter dem Klang des Glöckchens beruhigt die Musik sich wieder und findet für das letzte Verspaar zurück in die verhangene Atmosphäre des Beginns. Einen Moment lang scheint die Verheißung des ewigen Lichts den Schmerz zu lindern, doch die letzten Worte „Heil sei dem Freudenlicht der Welt!“ erklingen in tiefer Erschütterung. Im mit zwei tiefen Seufzern anhebenden Lied „Nun seh’ ich wohl, warum so dunkle Flammen“ entpuppt sich das mysteriöse „Freudenlicht“ als Kinderaugenpaar, das sich am Schluss in leuchtende Sterne verwandelt. Subtil verbindet Mahler durch ein Zitat der Oboe die Verse „Doch ahnt’ ich nicht, weil Nebel mich umschwammen / gewoben vom verblendenden Geschicke“ mit der verhangenen Milchglas-Atmosphäre des ersten Liedes.

Leuchtende Sterne Schwermütig klagend gebärdet sich die einleitende Oboenmelodie zu „Nun will die Sonn’ so hell aufgehn“. Wärmende Morgenröte ist in der von kontrapunktischer Kargheit geprägten Musik nicht zu hören. Vom zarten Harfenklang begleitet und gedämpft, als dürfe es nicht laut ausgesprochen werden, ist nun in schmerzlicher Chromatik von einem nächtlichen Unglück die Rede. Das Unglück bleibt schaurig vage Andeutung. Am Ende des dunklen Zwischenspiels erklingt auf einmal ein helles Glöckchen, bevor neuerlich die Oboenklage anhebt. Während Rückert in zwei Strophen mit je vier Versen gliederte, gruppiert Mahler vier Verspaare. Die

Keine Gewissheit Vollends offenbart sich der Schmerz des Verlusts im Lied „Wenn dein Mütterlein“, in dem erstmals das Englischhorn elegisch über schwer-dumpfer Begleitung erklingt. Düster und von Seufzern geschwängert ist der kammermusikalische Satz, durch den die bittere Klage des Vaters dringt, als er sich an die Tochter erinnert. Zu schnell erlosch der „Freudenschein“ ihres Lebenslichts. Hoffnungsvoll hebt hingegen „Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen“ an, geradezu unwirklich „schön ist der Tag“ im harmonisch entrückten „Sonnenschein“ – jenseitige Episoden wie diese finden sich in Mahlers Symphonien immer wieder, man denke an das Posthornsolo der Dritten. Doch Gewissheit, dass diese bessere Welt existiert, kann das Endes des Liedes nicht schenken; die ausladenden Freudenjauchzer des Nachspiels tragen den verzweifelten Ton des Seufzens ins sich. Das letzte Lied „In diesem Wetter, in diesem Braus“ reißt ein musikalisches Inferno auf, ähnlich katastrophisch klangen die Finalsätze von Mahlers ersten beiden Symphonien: aufgewühlte Tremoli, Triller, Paukenwirbel, dramatische melodische Sprünge, ungestüme Akzente, dazu die dumpfen Schläge des Tamtams, das in Mahlers Musik stets mit dem Tod assoziiert ist. Erst jetzt, am Schluss des Zyklus’, wird das Unglück benannt. Doch mit einem Mal reißt die Sturmmusik ab, das Glöckchen aus dem ersten Lied erklingt, und es hebt ein sanft von der „himmlischen“ Celesta und einer zarten

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Gustav Mahler


Geigenmelodie begleitetes Wiegenlied von verklärter Schönheit an. Endlich kann kein Zweifel mehr bestehen, die Kinder „ruh’n als wie in der Mutter Haus“ – für immer. Denn während das Tamtam den Tod ankündigt, verheißt das Glöckchen die ewige Ruhe, wie Mahler 1900 seiner Vertrauten Natalie Bauer-Lechner über eine ähnliche Stelle im Urlicht erläuterte: Er denke sich „von dem Schlag des Glöckleins an die Seele im Himmel […], wo sie im ‚Puppenstand‘ als Kind wieder anbeginnen muss.“

Friedrich Weidemann, der Solist der Uraufführung

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Gustav Mahler


Während sich die Musikalische Akademie in den ersten zwei diesjährigen Konzerten hauptsächlich auf klassischem Boden bewegte, hat sie bei ihrem letzten Konzert diese Bahn überschritten, und außer Beethovens erster Symphonie das Programm der Neuzeit gewidmet. Es waren drei Erstaufführungen zu verzeichnen. Zunächst die Kinder­ totenlieder von Gustav Mahler, ein Zyklus von fünf Gesängen nach Rückert für eine tiefe Stimme mit Begleitung von kleinem Orchester. Hier zeigt sich Mahler von einer Gemüts­ tiefe und inneren Empfindung, wie man sie in seinen Symphonien vergebens sucht, ja man darf sagen, daß diese Lieder vielleicht das bedeutendste sind, was Mahler als Komponist geschaffen hat. Wohl macht sich auch hier manchmal ein Hauch von Trivialität bemerkbar, aber der Gesamteindruck ist ein erhebender, wozu die stimmungsvolle, von Eigenart zeugende Orchesterbehandlung nicht wenig beiträgt. Mit ihrer anerkannt hohen Künstlerschaft sang Frau Preuse-Matzenauer die Lieder in jeder Beziehung bewundernswert, und auch die Ausführung des ­instrumentalen Parts war von großer Klangschönheit. Allgemeine Zeitung („–ltz.“), 3. Dezember 1910

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Gustav Mahler


Mahlers Wunderhorn-Lieder sind wunderbar. Die Melodik ist volkstümlich, das zwischen den Zeilen Schwebende genial erfasst und überzeugend zum Ausdruck gebracht. – Seine Lieder nach Rückert-Texten haben mich weniger befriedigt. Ich fand manches sentimental, ich kann mir diese gelegentlichen Sentimentalitäten Mahlers, die ja gegenüber seiner großen, echten Persönlichkeit unbegreiflich erscheinen, nur so erklären, dass seine Kompositionen unmittelbare Gefühlsergüsse sind, die dann im Überschwang hie und da einen sentimentalen Einschlag erhalten … Was ich an allen Liedern bewundere, ist der großartige Ausdruck seiner Singstimme, der oft von einer überwältigenden Innig­ keit ist. Ich denke da besonders an das vierte der Kinder­ totenlieder oder „Ich atmet’ einen linden Duft“! Der Klang seines Orchesters ist durchwegs wahr. Anton von Webern, Tagebuch, über einen Mahler-Abend der „Vereinigung schaffender Tonkünstler“ in Wien am 3. Februar 1905

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Gustav Mahler


Gustav Mahler mit seiner Tochter Anna, Toblach 1909

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Gustav Mahler


Alma Mahler mit ihrer Tochter Maria Anna (1902–1907) in Maiernigg, vermutlich im Sommer 1903

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Gustav Mahler


Kindertotenlieder 1. Nun will die Sonn’ so hell aufgehn, Als sei kein Unglück die Nacht geschehn. Das Unglück geschah auch mir allein, Die Sonne, sie scheinet allgemein. Du musst nicht die Nacht in dir verschränken, Musst sie ins ewige Licht versenken. Ein Lämplein verlosch in meinem Zelt, Heil sei dem Freudenlichte der Welt! 2. Nun seh’ ich wohl, warum so dunkle Flammen Ihr sprühtet mir in manchem Augenblicke, O Augen, gleichsam um in einem Blicke Zu drängen eure ganze Macht zusammen. Doch ahnt’ ich nicht, weil Nebel mich umschwammen, Gewoben vom verblendenden Geschicke, Dass sich der Strahl bereits zur Heimkehr schicke Dorthin, von wannen alle Strahlen stammen. Ihr wolltet mir mit eurem Leuchten sagen: Wir möchten nah dir immer bleiben gerne, Doch ist uns das vom Schicksal abgeschlagen. Sieh recht uns an! denn bald sind wir dir ferne. Was dir noch Augen sind in diesen Tagen, In künftgen Nächten sind es dir nur Sterne. 3. Wenn dein Mütterlein Tritt zur Tür herein, Und den Kopf ich drehe, Ihr entgegensehe, Fällt auf ihr Gesicht Erst der Blick mir nicht, Sondern auf die Stelle Näher nach der Schwelle, Dort wo würde dein Lieb Gesichtchen sein, Wenn du freudenhelle Trätest mit herein Wie sonst, mein Töchterlein.

Ist es mir als immer, Kämst du mit herein, Huschtest hinterdrein Als wie sonst ins Zimmer. O du, des Vaters Zelle Ach zu schnelle Erloschner Freudenschein! 4. Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen, Bald werden sie wieder nach Haus gelangen, Der Tag ist schön, o sei nicht bang, Sie machen nur einen weitern Gang. Ja wohl, sie sind nur ausgegangen, Und werden jetzt nach Haus gelangen, O sei nicht bang, der Tag ist schön, Sie machen den Gang zu jenen Höhn. Sie sind uns nur voraus gegangen, Und werden nicht hier nach Haus verlangen; Wir holen sie ein auf jenen Höhn Im Sonnenschein, der Tag ist schön. 5. In diesem Wetter, in diesem Braus, Nie hätt’ ich gesendet die Kinder hinaus; Man hat sie hinaus getragen, Ich durfte nichts dazu sagen. In diesem Wetter, in diesem Saus, Nie hätt’ ich gelassen die Kinder hinaus, Ich fürchtete, sie erkranken, Das sind nun eitle Gedanken. In diesem Wetter, in diesem Graus, Hätt’ ich gelassen die Kinder hinaus, Ich sorgte, sie stürben morgen, Das ist nun nicht zu besorgen. In diesem Wetter, in diesem Braus, Sie ruhn als wie in der Mutter Haus, Von keinem Sturme erschrecket, Von Gottes Hand bedecket. (Text: Friedrich Rückert; Wortlaut nach den Erstausgaben der Gedichte)

Wenn dein Mütterlein Tritt zur Tür herein Mit der Kerze Schimmer,

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Gustav Mahler


Antonín Dvořák (1841–1904) Symphonie Nr. 7 d-Moll op. 70 1. Allegro maestoso 2. Poco adagio 3. Scherzo. Vivace – Poco meno mosso – Vivace 4. Finale. Allegro Komponiert 1884-85 Uraufführung London, St James’s Hall, 22. April 1885; London Philharmonic Orchestra, Dirigent: Antonín Dvořák Widmung London Philharmonic Society Orchesterbesetzung: 2 Flöten (2. auch Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen – Pauken – Streicher Zum ersten Mal im Rahmen der Musikalischen Akademie im 8. Akademiekonzert 1984/85 am 2./3. Juni 1985 (Dirigent: Wolfgang Sawallisch), zuletzt im 6. Akademiekonzert 2014/15 am 1./2. Juni 2015 (Dirigent: Zubin Mehta)

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Antonín Dvořák


Susanne Ziese Eine neue Weltmusik Zu Antonín Dvořáks siebter Symphonie Im schöpferischen Zenit „Es ist riesig heiß hier und von Regen keine Spur, das Barometer fällt, so hoffe ich, werden Ihre slawischen Kartoffeln auch gedeihen. Schreiben Sie mir bitte auch, wie Sie mir den Zentner Kartoffeln verkaufen?“ Es gibt fraglos nicht viele Komponisten, die derartige Schreiben von ihren Verlegern erhielten – zumal unmittelbar nachdem sie sich ausgiebig über eine Honorarforderung gestritten hatten. Doch Fritz Simrock, der hier den launigen Knollenhandel anregt, verband mehr als eine Geschäftsbeziehung mit Antonín Dvořák. Den Grundstein dieser Bekanntschaft hatte 1877 Johannes Brahms gelegt, indem er seinem Verleger mit Nachdruck riet, einige Werke des Tschechen herauszugeben. Simrock vertraute der Empfehlung, veröffentlichte die Klänge aus Mähren und sollte seine Entscheidung nicht bereuen. Für Dvořák wiederum bedeutet die Repräsentation durch das renommierte Verlagshaus den internationalen Durchbruch – und den Beginn einer lebenslangen Freundschaft mit Simrock. Auftrag aus England 1883 erreichten Dvořák zwei Einladungen aus England, wo er in mehreren Konzerten eigene Werke, darunter sein Stabat mater, dirigieren sollte. „Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mich die Engländer ehren!“, berichtete er von seinem überragenden Erfolg, „man sagt, ich sei der Löwe der heurigen Musiksaison in London.“ Neben der öffentlichen Anerkennung hatten die Englandreisen zwei weitere positive Effekte: Zum einen ermöglichten die üppigen Honorare Dvořák den Kauf eines alten Schafstalls im idyllisch, rund 80 Kilometer von Prag gelegenen Dorf Vysoká, den er zu einem einstöckigen Landhaus ausbauen ließ. Hier genoss er die ländliche Ruhe beim Komponieren und widmete sich nach Feierabend hingebungsvoll der Gärtnerei und der Taubenzucht. Zum anderen entsprang der Anerkennung jenseits des Ärmelkanals die Ernennung zum Ehrenmitglied der London Philharmonic Society verbunden mit einem Kompositionsauftrag. Diesem – und der Inspiration durch Brahms’ dritte Symphonie, die Dvořák in dieser Zeit kennenlernte – verdanken wir die zwischen Dezember 1884 und März 1885 komponierte siebte Symphonie. Doppelt zufrieden verkündete Dvořák seinem Verlegerfreund, „dass in unserer Familie wieder ein neues Opus (ein Bube) mehr ist! Also sehen Sie, eine neue Symphonie und ein Bube dazu! Was sagen Sie zu so viel schöpferischer Kraft?“ 17

Wer nun allerdings nach der böhmisch-musikantisch gefärbten Sechsten ein ähnliches Werk erwartete, wurde überrascht. „Ich denke mir Ihre neue Symphonie“, hatte Brahms seinem Dvořák zuvor ans Herz gelegt, „noch ganz anders als die [vorige] in D-Dur“ und tatsächlich lässt sich der Charakter der d-Moll-Symphonie vielmehr als ernst, wenn nicht gar als tragisch bezeichnen. Archaisch und in düster glühender Atmosphäre mit Orgelpunkt und bedrohlichem Paukenwirbel artikulieren erst Bratschen und Celli, dann das Klarinettenpaar das Hauptthema zu Beginn des Allegro maestoso. Anfangs will sich nur schwer ein Fluss entwickeln, Streichertremoli und schnell auffahrende Crescendi bringen eigenwillige Unruhe ins Geschehen, mehrfach brechen Gedanken schroff ab. Doch dann bündeln sich die grimmigen Kräfte, für einen kurzen Moment reißt das dunkle Geflecht auf und gibt einer warmtönenden Hornkantilene Raum, um gleich darauf umso kraftvoller den dramatischen Gestus des Anfangs wiederaufzunehmen. Nachdem das Hauptthema im mürrischen Tutti verklungen ist, setzten die Klarinetten mit einem pastoralen, unüberhörbar „Brahmsischen“ Seitenthema ein. Nur eine kurze Überleitung benötigt Dvořák, um aus der Holzbläser-Idylle mit Vogelgetriller in die bedrohliche Stimmung des Hauptthemas zurückzuführen, in der selbst das friedliche Seitenthema nun einen dunklen Anstrich erhält. Unter feurigem Drängen scheint sich zunächst eine Schlussapotheose abzuzeichnen, doch mit einem Mal verlöschen die dunklen Flammen, die Hörner sinnen gedämpft dem Hauptgedanken nach, der eigenwillig zwischen Dur und Moll changiert, und anstelle eines triumphalen „Durch Nacht ans Licht“ löst sich die Musik nach und nach auf, als würde sie sich entfernen und schließlich in der Weite verschwinden. Die Welt in Bewegung setzen Dem düsteren ersten Satz stellt Dvořák ein freundlicheres, gesangliches Adagio gegenüber, obgleich auch dieses immer wieder von dunklen Momenten überschattet wird, die mitunter dramatische Züge annehmen. Auch das Scherzo ist charakterlich ambivalent. Zwar trägt es die rhythmisch akzentuierten Züge eines temperamentvollen Furiants, doch sein trotziger Unterton mit gegen den Strich gebürsteten Betonungen lässt es kaum tänzerisch erscheinen. Ein wahres Naturlaut-Idyll offenbart der kontrastierende Trioteil. Mit einer dramatisch großen, eigenwillig orientalisch anmutenden Geste hebt das Finale an. Das Changieren zwischen Dur und Moll, das bereits im ersten Satz spürbar war, wird nun zum prägenden Gestaltungselement dieses kämpferischen, von einem unbeugsamen Trotz getriebenen Antonín Dvořák


Satzes. Selbst in den leisen Passagen verliert die Motivik nichts von ihrer Bedrohlichkeit, spukhaft und unheimlich klingen die auffahrenden Holzbläserfiguren hier. Nur kurze Momente des Durchatmens bietet das gesangliche Seitenthema, bevor es im dämonischen Sog des Hauptgedankens zum polternden Hymnus umgeformt wird. Erst ganz am Schluss findet Dvořák eine Auflösung des harmonischen Kräftemessens, indem er die Schlusssteigerung über Fortissimo-Paukenwirbeln in eine archaische, pathetisch gedehnte Kadenz nach D-Dur münden lässt. Dvořáks Siebte, von der er sich wünschte, „sie möge die Welt in Bewegung setzen“, wurde nicht nur bei ihrer Londoner Uraufführung im April 1885 jubelnd aufgenommen, sondern trug den Ruhm ihres Verfassers schnell über Europa hinaus bis nach Amerika. Da ihm ein englischer Verlag ein lukratives Angebot für seine Erfolgssymphonie gemacht hatte, verhandelte Dvořák mit Simrock äußerst hartnäckig über deren Preis. Simrock bezahlte ihm schließlich zähneknirschend die geforderten 6.000 Mark. Über den Preis für die Kartoffeln dürften die Freunde sich schneller geeinigt haben.

In Wien ist übrigens allgemein bekannt, daß einmal Brahms einem Herrn, der Dvořák scharf kritisierte, ebenso ent­ schieden, wie bescheiden entgegnete: „Ich wäre froh, wenn mir einmal als Hauptsache einfallen würde, was Dvořák nur so nebenbei einfällt.“ Josef Bohuslav Foerster, „Brahms und Dvořák“, in der Prager Presse, 5. März 1922 18

Antonín Dvořák


Das Titelblatt der Symphonie in d-Moll. Aus Dankbarkeit für die erfolgreiche Berliner Erstaufführung mit dem Philharmonischen Orchester ergänzte der Komponist die Seite mit einem Porträt des Dirigenten Hans v. Bülow und setzte (auf Tschechisch) hinzu: „Heil! Du hast dieses Werk zum Leben gebracht!“

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Antonín Dvořák


Antonín Dvořák und seine Frau Anna in London 1886, im Jahr nach der Uraufführung der Symphonie

Nun bin ich mit einer neuen Symphonie (für London) beschäftigt; wo immer ich gehe und stehe, habe ich nichts anderes im Kopf als dieses Werk, das die Welt bewegen soll und, so Gott will, auch bewegen wird. Antonín Dvořák 20

Antonín Dvořák


KRZYSZTOF URBAŃSKI

Dirigent

THOMAS HAMPSON

Solist

studierte Dirigieren bei Antoni Wit an der FryderykChopin-Universität für Musik in Warschau und war anschließend bis 2009 Assistent an der dortigen Nationalphilharmonie. Seine Karriere begann 2007 mit dem 1. Preis beim Dirigierwettbewerb des Prager Frühlings. Seit 2011 ist er musikalischer Leiter des Indianapolis Symphony Orchestra. 2015 übernahm er zudem das Amt als Erster Gastdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, mit dem er seitdem auf Tournee sowohl in Europa als auch in Asien war. Dem Trondheim Symfoniorkester stand er von 2010 bis 2017 als Künstlerischer Leiter und Chefdirigent vor und ist ihm weiterhin als Ehrengastdirigent verbunden. Als fester Gastdirigent war er zudem von 2010 bis 2016 beim Tokyo Symphony Orchestra engagiert. Konzerteinladungen führen ihn regelmäßig zu Orchestern wie den Münchner Philharmonikern, den Berliner Philharmonikern, der Staatskapelle Dresden, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem London Symphony Orchestra, dem Tonhalle Orchester Zürich, dem WDR Sinfonieorchester Köln, dem Rotterdam Philharmonic Orchestra, dem Orchestre de Paris, dem Chicago Symphony Orchestra und dem New York Philharmonic. Zahlreiche seiner Interpretationen mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester liegen auf CD vor; von Antonín Dvořáks Symphonie Nr. 9 über Igor Strawinskys Le sacre du printemps und Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 5 bis hin zu Werken von Witold Lutosławski. Eine Einspielung mehrerer Werke für Klavier und Orchester von Frédéric Chopin mit Jan Lisiecki am Klavier erhielt 2017 den ECHO Klassik. 2015 wurde ihm als erstem Dirigenten der Leonard Bernstein Award des SchleswigHolstein Musik Festivals zugesprochen. Jüngst dirigierte er ein Programm mit Ludwig van Beethovens 1. Symphonie sowie dessen 5. Klavierkonzert bzw. Friedrich Guldas Cellokonzert in Hamburg, Wismar und München. Mit dem heutigen 2. Akademiekonzert gibt er sein Debüt beim Bayerischen Staatsorchester.

aufgewachsen in Spokane (USA), ist als Opern-, Konzert-, und Liedsänger regelmäßiger Gast auf allen wichtigen Opern- und Konzertbühnen. Zudem engagiert er sich in Forschung, Ausbildung, Musikvermittlung und -technologie. Mit der 2003 gegründeten Hampsong Foundation setzt er sich für interkulturellen Dialog und Verständigung ein. Er zählt zu den führenden Interpreten des deutschen romantischen Liedes und wurde durch sein in Kooperation mit der Library of Congress entstandenes Liedprojekt Song of America als „Ambassador of American Song“ bekannt. Regelmäßig gibt er Meisterkurse sowohl im Fernstudienprogramm der Manhattan School of Music als auch während des Heidelberger Frühlings im Rahmen der Lied-Akademie, deren Gründer und künstlerischer Leiter er ist. Für seine künstlerische Arbeit und seine kulturelle Vorbildfunktion wurde er mehrfach mit dem Grammy, dem Edison Award und dem Grand Prix du Disque ausgezeichnet. 2009 wurde er zum ersten Artist in Residence des New York Philharmonic ernannt; der Atlantic Council in Washington zeichnete ihn mit dem Distinguished Artistic Leadership Award aus. 2010 wurde er mit dem Living Legend Award der Library of Congress geehrt. Mehrere Hochschulen und Konservatorien verliehen ihm die Ehrendoktorwürde, außerdem ist er Ehrenmitglied der Royal Academy of Music in London, Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und Honorarprofessor an der Fakultät für Philosophie der Universität Heidelberg. Er ist Kammersänger der Wiener Staatsoper, führt den Titel Commandeur des Arts et des Lettres des französischen Staates und erhielt das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. 2017 wurde ihm die Hugo-Wolf-Medaille der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie verliehen. An der Bayerischen Staatsoper debütierte er 1984 mit der Partie des Sharpless (Madama Butterfly). Außerdem verkörperte er hier u. a. Roald Amundsen in der Uraufführung von Miroslav Srnkas Oper South Pole. Zuletzt sang er 2019 unter der Leitung von Kirill Petrenko bei Oper für alle.

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Biografien


Das Bayerische Staatsorchester ist eines der ältesten und traditionsreichsten Orchester der Welt. Aus der Münchner Hofkapelle hervorgegangen, lassen sich seine Ursprünge bis in das Jahr 1523 zurückverfolgen; der erste berühmte Leiter des Ensembles war von 1563 an Orlando di Lasso. Stand zunächst die Kirchenmusik im Zentrum, kamen im Laufe des 17. Jahrhunderts mehr und mehr weltliche Konzerte und Opernaufführungen hinzu. In der Mitte des 18. Jahrhunderts begann der regelmäßige Operndienst, der bis heute die Hauptaufgabe des Orchesters ausmacht. Im Jahre 1811 wurde von den Musikern des Hof­opernorchesters der Verein der Musikalischen Aka­­­­­­demie gegründet, der die erste öffentliche Konzertreihe in München, die „Akademiekonzerte“, ins Leben rief. Die Musikalische Akademie mit ihren symphonischen, kammermusikalischen und musikpädagogischen Aktivitäten ist seither ein prägender Bestandteil des Münchner und des bayerischen Musiklebens. Unter den vielen großen Komponisten, mit denen das Orchester verbunden war, ragt Richard Wagner heraus. 1865 dirigierte Hans von Bülow die Uraufführung von Wagners Tristan und Isolde. Auch dessen Opern Die Meistersinger von Nürnberg, Das Rheingold und Die Walküre wurden in München uraufgeführt. Viele der bedeutendsten Dirigenten ihrer Zeit, von Richard Strauss über Bruno Walter und Hans Knappertsbusch bis zu Georg Solti, Joseph Keilberth, Wolfgang Sawallisch und Zubin Mehta, haben dem Orchester als Chef vorgestanden. Auch mit Carlos Kleiber verband das Orchester eine enge Beziehung. Auf Kent Nagano folgte als Bayerischer Generalmusikdirektor Kirill Petrenko, der dieses Amt von 2013 bis 2020 bekleidete; mit der Spielzeit 2021/22 wird ihm Vladimir Jurowski nachfolgen. 2016 war das Orchester mit Kirill Petrenko auf Europa-Tournee und gab Konzerte unter anderem in Mailand, Luzern, Berlin und Wien. 2017 fand neben dem Japan-Gesamtgastspiel der Bayerischen Staatsoper eine Asien-Tournee statt, im Jahr darauf standen Konzerte in Hamburg (Elbphilharmonie), New York (Carnegie Hall) und London (Barbican Centre) auf dem Spielplan. 2019 gastierte das Orchester im neuen Konzertsaal von Lugano und im Wiener Konzerthaus; mit dem Programm des 1. Akademiekonzerts 2020/21 war es – erstmals unter seinem künftigen Chefdirigenten – zu Gast im KKL Luzern.

Besetzung 2. Akademiekonzert

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Bayerisches Staatsorchester

1. Violine Markus Wolf (Erster Konzertmeister), Barbara Burgdorf (Konzertmeisterin), So-Young Kim, Verena-Maria Fitz, Ginshi Saito, Michele Torresetti, Felix Key Weber, Yon Joo Kang 2. Violine Michael Arlt (Stimmführer), Daniela Huber, Traudi Pauer, Isolde Lehrmann, Anna Maria HeichelePaatz, Janis Olsson, Hanna Asieieva, Anna-Maija Hirvonen Viola Dietrich Cramer (Erste Solobratsche), Clemens Gordon (stv. Solobratsche), Christiane Arnold, Johannes Zahlten, Anne Wenschkewitz, Birgitta Rose Violoncello Jakob Spahn (Solovioloncello), Christoph Hellmann, Dietrich von Kaltenborn, Clemens Müllner, Darima Tcyrempilova, Constantin Pritz** Kontrabass Blai Gumí Roca (Solokontrabass), Thomas Jauch, Reinhard Schmid, Thorsten Lawrenz Harfe Gaël Gandino Flöte Olivier Tardy (Soloflöte), Christoph Bachhuber, Andrea Ikker Oboe Frédéric Tardy (Solooboe), Simone Preuin, Emma Schied (Englischhorn) Klarinette Markus Schön (Soloklarinette), Martina Beck-Stegemann (Bassklarinette), Julius Ockert** Fagott Moritz Winker (Solofagott), Katrin Kittlaus, Gernot Friedrich (Kontrafagott) Horn Johannes Dengler (Solohorn), Franz Draxinger, Christian Loferer, Stefan Böhning Trompete Andreas Öttl (Solotrompete), Thomas Oberleitner** Posaune Sven Strunkeit (Soloposaune), Thomas Klotz, Matthias Kamleiter (Bassposaune) Pauke Sebastian Schnitzler* Schlagzeug Dieter Pöll Celesta Nobuko Nishimura-Finkentey * Gast ** Akademisten


1. AKADEMIEKONZERT Nationaltheater, 5. und 6. Oktober 2020, 20 Uhr Brett Dean Testament – Music for Orchestra Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 36 Ludwig van Beethoven Violinkonzert D-Dur op. 61 Vladimir Jurowski – Frank Peter Zimmermann Violine Gastspiel in Luzern, KKL Mittwoch, 7. Oktober 2020, 19:30 Uhr 2. AKADEMIEKONZERT Nationaltheater, 7. und 8. Dezember 2020, 20 Uhr Ludwig van Beethoven Coriolan-Ouvertüre Gustav Mahler Kindertotenlieder Antonín Dvořák Symphonie Nr. 7 Krzysztof Urbański – Thomas Hampson Bariton 3. AKADEMIEKONZERT Nationaltheater, 11. und 12. Januar 2021, 20 Uhr (Live-Stream auf www.staatsoper.de) Richard Strauss Vier letzte Lieder Franz Schubert Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944 Die Große Zubin Mehta – Anja Harteros Sopran

4. AKADEMIEKONZERT Nationaltheater, 20. Februar 2021, 20 Uhr, und 21. Februar 2021, 19 Uhr Gustav Mahler Symphonie Nr. 9 D-Dur Kirill Petrenko 5. AKADEMIEKONZERT Nationaltheater, 26. und 27. April 2021, 20 Uhr Nikolai Rimsky-Korsakow Sadko. Musikalisches Gemälde op. 5 Alexander Glasunow Violinkonzert a-Moll op. 82 Modest Mussorgsky Bilder einer Ausstellung Yuri Simonov – Alexander Rozhdestvensky Violine 6. AKADEMIEKONZERT Nationaltheater, 24 und 25. Mai 2021, 20 Uhr Gabriel Fauré Suite aus Pelléas et Mélisande op. 80 Camille Saint-Saëns Violoncellokonzert Nr. 1 a-Moll Guillaume Lekeu Adagio pour Quatuor d’orchestre Francis Poulenc Sinfonietta Joseph Bastian – Maximilian Hornung Violoncello

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Vorschau


Konzertvorschau Saison 2020–21 3. KAMMERKONZERT Allerheiligen Hofkirche Freitag, 15. Januar 2021, 20:00 Uhr Sonntag, 17. Januar 2021, 11:00 Uhr (Ersatztermine werden noch bekannt gegeben) Leoš Janáček Streichquartett Nr. 1 Kreutzersonate Anton Bruckner Streichquintett F-Dur Violine Immanuel Drißner, Michele Torresetti Viola Anne Wenschkewitz, David Ott Violoncello Dietrich von Kaltenborn

Impressum BAYERISCHES STAATSORCHESTER Programmheft zum 2. Akademiekonzert 2020/2021 Abbildungen Marco Borggreve (Porträt Krzysztof Urbański), Jiyang Chen (Porträt Thomas Hampson), Archiv Redaktion Malte Krasting Mitarbeit Sören Sarbeck Gestaltung Bureau Mirko Borsche Druck Gotteswinter und Aumaier GmbH, München Die Texte von Susanne Ziese sind Originalbeiträge für dieses Programmheft; Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. 24



Bayerische Staatsoper 2020 / 2021

Nationaltheater, 7. / 8.12.2020


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