Online-Programmbuch: DER ROSENKAVALIER

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BAYERISCHE STAATSOPER Richard Strauss (Bearbeitung von Eberhard Kloke*)

Der Rosenkavalier Komödie für Musik in drei Aufzügen – 1911 Libretto von Hugo von Hofmannsthal In deutscher Sprache Mit Untertiteln in deutscher und englischer Sprache aler digit zettel r h I gs tzun Bese

ONLINE-PREMIERE Sonntag, 21. März 2021 Nationaltheater

Musikalische Leitung Vladimir Jurowski Inszenierung Barrie Kosky Bühne Rufus Didwiszus Kostüme Victoria Behr Licht Alessandro Carletti Chor Stellario Fagone Dramaturgie Nikolaus Stenitzer

2020

Mit freundlicher Unterstützung Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V.

2021


BESETZUNG

Die Feldmarschallin Marlis Petersen Der Baron Ochs auf Lerchenau Christof Fischesser Octavian Samantha Hankey Herr von Faninal Johannes Martin Kränzle Sophie Katharina Konradi Jungfer Marianne Leitmetzerin Daniela Köhler Valzacchi Wolfgang Ablinger-Sperrhacke Annina Ursula Hesse von den Steinen Ein Polizeikommissar Martin Snell Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin / Ein Wirt Manuel Günther Der Haushofmeister bei Faninal Caspar Singh Ein Notar Christian Rieger Ein Sänger Galeano Salas Drei adelige Waisen / Kinder Juliana Zara, Sarah Gilford, Daria Proszek Eine Modistin / Ein Kind Eliza Boom Ein Tierhändler / Ein Kind George Vîrban

Beginn: 15.30 Uhr Pause zwischen dem 1. und 2. Akt sowie zwischen dem 2. und 3. Akt Ende: ca. 19.05 Uhr

Anfertigung der Bühnenausstattung und der ­Kostüme in den eigenen Werkstätten. © mit freundlicher Genehmigung von Verlag Fürstner Mainz STAATSOPER.TV: Die heutige Vorstellung wird auf www.staatsoper.tv, BR-KLASSIK Concert und arte übertragen. Kostenloses Video-on-Demand ab 22. März, 19.00 Uhr Die heutige Premiere wird live auf BR-KLASSIK übertragen.

Bayerisches Staatsorchester Chor der Bayerischen Staatsoper Statisterie der Bayerischen Staatsoper

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* In der Online-Premiere wird das Werk in der Bearbeitung des Komponisten und Dirigenten Eberhard Kloke zur Aufführung kommen. Klokes Bearbeitung nimmt den Charakter des Rosenkavaliers als Konversationsstück zum Ausgangspunkt, um seine Partitur in die Orchesterbesetzung von Strauss’ darauffolgender Oper Ariadne auf Naxos zu transkribieren – ihrerseits ein Werk, das aus der Schnittmenge von Schauspiel und Musiktheater entstanden ist. Dabei geht es um eine Veränderung des Klangbildes und damit der klanglichen Struktur innerhalb des Orchesters sowie der Balance zwischen Bühne und Orchester, mit der sowohl eine Erweiterung wie auch eine Verdichtung des Klangs erzielt wird; die Instrumentation bevorzugt anstelle des Mischklangs eine Bandbreite kontrastreicher Spaltklänge. So drückt sich der Bezug zum Ariadne-Orchester zum Beispiel im häufigen Einsatz von Klavier, Harfe, Celesta und Harmonium aus.


Online-Matinee Nikolaus Bachler spricht mit Regisseur Barrie Kosky, Dirigent Vladimir Jurowski, Marlis Petersen und Dramaturg Nikolaus Stenitzer über die Neuproduktion.

Video-Magazin Die Protagonisten der Produktion geben Einblicke in die Inszenierung und Erarbeitung des Werks.


MAX JOSEPH 2020-2021 No 2 Der Dirigent Vladimir Jurowski setzt sich mit seinem schwierigen Weg zum Rosenkavalier auseinander Von Benedikt von Bernstorff

„JEDER SPRICHT FÜR SICH SELBST, JEDER SPRICHT ETWAS ANDERES UND JEDER IST FÜR SICH ALLEIN“

Collage: Lewis Giles  / Porträt © Sheila Rock Collage: Ben Ben Lewis Giles  / Porträt © Sheila Rock

Sein Weg zum Rosenkavalier war kein einfacher: Der designierte Generalmusikdirektor der weiterlesen Bayerischen Staatsoper, Vladimir Jurowski, über ein Werk, das er lange Zeit nicht verstanden hat.

Interview Benedikt von Bernstorff Collage Ben Lewis Giles Premiere Der Rosenkavalier 25

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Was uns das barocke Bühnenbild des Rosenkavaliers erzählt. Und wie ein Film von Alain Resnais den Blick auf Strauss‘ Oper verändert Von Niklas Maak Auflösung der Identität, Zerfall der Zeit: Was uns das Bühnenbild des Rosenkavaliers erzählt – und was der Barock von Alain Resnais’ Film Letztes Jahr in Marienbad mit Richard Strauss’ Oper macht.

VERLUST UND BEFREIUNG

Man kann die Geschichte des Rosenkavaliers so unterschiedlich erzählen wie kaum eine andere Oper von Richard Strauss: Oft wird sie als Geschichte einer bürgerlich-moralischen Ordnungsanstrengung inszeniert, in der der Baron Ochs auf Lerchenau als alternder Wüstling entlarvt wird und die schöne junge Sophie den schönen jungen Octavian bekommt, der dafür seine an damaligen Moralvorstellungen gemessen grenzwertige Affäre mit einer deutlich älteren, verheirateten Frau aufgeben muss. Man kann die Oper, die, wie viele Komödien seit William Shakespeares Was ihr wollt, im Kern von einem Spiel mit Geschlechteridentitäten handelt, aber auch anders erzählen. Als Geschichte von Emanzipation und Selbstermächtigung, in der die Menschen die ihnen von der herrschenden Gesellschaft zugedachte Rolle nicht hinzunehmen gedenken: die Feldmarschallin nicht, die sich einen jungen Liebhaber nimmt; Sophie – Tochter eines frisch geadelten Bürgers – nicht, die sich nicht aus Standesgründen einer korrupten Elite aussetzen will; und Octavian nicht, dessen Verkleidung als „Mariandel“ zwar nur strategisch ist, der aber – als ein von einer Frau gespielter Mann, der sich als Frau verkleidet – das Publikum mit einer fluiden sexuellen Identität konfrontiert und in einen Strudel sich überlagernder Fiktionen reißt. Wenn man diese Grenzauflösungen und Infragestellungen im Rosenkavalier betonen will, ist das Ambiente eines Rokokopalastes mit seinen Raumverschmelzungen und Spiegelbrüchen, in dem Normen programmatisch zugunsten neuer Freiheiten ausgehebelt werden, ein idealer architektonischer Rahmen. Züge davon waren schon in früheren Bühnenbildern des Rosenkavaliers zu erkennen, wo die spätbarocken Spiegel und Wandgemälde die Raumgrenzen förmlich auseinanderfallen ließen und so dem wilden Wechsel Octavians von Mann zu Frau ein Pendant und gewissermaßen einen ästhetischen Schallverstärker schufen. Niemand jedoch hat die Auflösung sicherer Identitäten im Bild einer barocken Festarchitektur so radikal inszeniert wie Alain Resnais 1961 in seinem Film Letztes Jahr in Marienbad. Er wurde – nach einer Romanvorlage von Alain Robbe-Grillet – nicht im tschechischen Marienbad,

Alain Resnais, Letztes Jahr in Marienbad (1961)/  ddp/interTopics/Capital Pictures Alain Resnais, Letztes Jahr in Marienbad (1961)/  ddp/interTopics/Capital Pictures

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Text Niklas Maak Premiere Der Rosenkavalier 30

sondern im Schloss Nymphenburg, in der Amalienburg und im Schloss Schleißheim gedreht. Resnais schwebte ein wilderer, gleichzeitig anarchischerer und düsterer Barock vor als der, den französische Schlösser boten, und so entschied er sich für diese drei Münchner Orte, die er zu einem fiktiven Schauplatz amalgamierte. Letztes Jahr in Marienbad erzählt die Geschichte eines Mannes, der in einem luxuriösen Hotel einer Frau begegnet. Er behauptet, man habe sich schon einmal getroffen, hier oder anderswo, vor einem Jahr, und die Frau habe ihm versprochen, wiederzukommen – und sich bis dann von ihrem Ehemann getrennt zu haben. Die Frau jedoch kann sich an nichts erinnern – zumindest behauptet sie das. Es ist ein Charakteristikum des Films, dass man die Wahrheit nicht erfährt (selbst Robbe-Grillet und Resnais waren sich nicht einig, was wohl „wirklich“ vorgefallen ist). Man weiß auch nie, ob man eine Rückblende zu einem realen Geschehen oder eine Traumvorstellung sieht – alles ist so unentwirrbar wie die Orte. Nur die Menschen sind wirklich, was Resnais mit einem Kunstgriff inszeniert: Beim Blick in den Schlossgarten werfen die eigens dort aufgestellten dreieckigen Bäume keine Schatten, das tun seltsamerweise nur die reglos umherstehenden Menschen; ihnen ließ Resnais ihre Schatten auf den Kies malen. Der Mensch ist real, alles andere, die Dinge, die Zeit, löst sich auf. Die Welt rund um die beiden Protagonisten zerfällt. Was man als Verlust oder als Befreiung lesen kann. Der Film beginnt als surreales Zersplitterungswerk: Die Kamera gleitet am Wuchern der Rocaillen vorbei, in den Glanz dunkler Marmorsäulen und Augen und in die Prismen tausendfach gebrochener Spiegelungen, man hört eine Stimme, die erzählt von „stillen Räumen, die das Geräusch der Schritte mit tiefen Teppichen schlucken … Ich ging wieder durch diese Korridore, durch dieses Haus, das zur Vergangenheit gehört, dieses barocke Hotel, in dem Korridor auf Korridor folgt, Korridore voller Marmor, Bilder und Dunkelheit … die Decken voller Äste und Girlanden, wie klassisches Blattwerk … voller falscher Türen und irreführender Blicke.“ Menschen werden so gefilmt, dass sie im Spiegel in zwei Hälften zerfallen. Man

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Bayerische Staatsoper

2020–2021

Der Rosenkavalier

Richard Strauss


Richard Strauss (1864–1949)

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Der Rosenkavalier

Bayerische Staatsoper Spielzeit 2020–2021 Komödie für Musik in drei Aufzügen von Hugo von Hofmannsthal Musik von Richard Strauss Musikalische Leitung

Vladimir Jurowski Inszenierung

Barrie Kosky Bühne

Rufus Didwiszus Kostüme

Victoria Behr Licht

Alessandro Carletti Chor

Stellario Fagone Dramaturgie

Nikolaus Stenitzer

Uraufführung am 26. Januar 1911 im Königlichen Opernhaus Dresden Münchner Erstaufführung am 1. Februar 1911 im Nationaltheater Premiere am 21. März 2021 im Nationaltheater München


Inhalt

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Die Handlung The Story L’Argument

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Die Zeit kontrollieren. Ein Gespräch mit dem Regisseur Barrie Kosky

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Barbara Zuber

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Der Rosenkavalier und die Kunst, aus Altem Neues zu machen Wille, Werk und Vorstellung. Der Rosenkavalier in Dokumenten

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Vladimir Jurowski

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Vollkommene Unvollkommenheit Ruth Klüger

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Freuds Ödipus im androgynen Rosenkavalier Kristina Höfer

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Zwischen Träumen und Wirklichkeit. Überlegungen zum Traummotiv in Hugo von Hofmannsthals Libretto zum Rosenkavalier Pastelle von Mary Herbert

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Katrin Dillkofer

82

Der romantische Abgrund. Sophie und die Präraffaeliten Nikolaus Stenitzer

86

Die Zeit ändert was an den Sachen. Über den Zeitkern in der Figur der Feldmarschallin von Werdenberg Libretto

96

Fotos der Klavierhauptprobe

154

Nachweise / Impressum

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Die Handlung

Erster Aufzug Die Feldmarschallin Maria Theresa Fürstin Werdenberg und ihr junger Liebhaber, der Graf Octavian Rofrano, genießen den Morgen nach einer Liebesnacht. Als im Vorzimmer Lärm zu hören ist, fürchtet die Marschallin, ihr Mann sei verfrüht von der Jagd zurückgekehrt. Sie scheucht Octavian in ein Versteck. Die Aufregung legt sich, als die Marschallin die Stimme ihres Vetters, des Barons Ochs auf Lerchenau, erkennt. Octavian hat sich inzwischen als Kammerzofe verkleidet. Es gelingt ihm allerdings nicht, unbemerkt aus dem Zimmer zu gelangen, weil sich der eintretende Baron Ochs sehr für die junge Zofe, die ihm als Mariandel vorgestellt wird, interessiert. Ochs ist als Bräutigam in der Stadt und bittet die Marschallin um die Vermittlung eines Brautwerbers, der der Jungfer Sophie Faninal die silberne Rose seiner Liebe überbringen soll. Die Marschallin schlägt ihren Vetter Octavian Rofrano vor. Als sie dem Baron ein Bild von Octavian zeigt, ist er verblüfft über die Ähnlichkeit mit der Kammerzofe Mariandel. Die Marschallin deutet an, es handle sich um eine uneheliche Schwester des Grafen. Baron Ochs ist begeistert von dieser Geschichte, führt er in seinem Gefolge doch ebenfalls einen unehelichen Sohn mit sich. Beim anschließenden Morgenempfang, dem Lever, kann der verkleidete Octavian vor dem zudringlichen Baron flüchten. Neben dem Notar, mit dem der Baron seinen Ehevertrag aufsetzt, sowie verschiedenen Bittstellern und Dienstleistern treten die italienischen Intriganten Valzacchi und Annina ein, die dem Baron ihre Dienste anbieten. Der Baron fragt zur Probe ihrer Fähigkeiten nach der Kammerzofe Mariandel. Valzacchi und Annina versprechen Vermittlung. Nach der Verabschiedung des Barons macht die Marschallin sich Gedanken über Zeit und Vergänglichkeit. Der in Männerkleidung zurückkehrende Octavian kann ihre Stimmung nicht heben. Die Marschallin spricht davon, dass Octavian sie bald für eine jüngere Frau verlassen werde. Die folgende Auseinandersetzung lässt sich nicht beilegen, die Marschallin verabschiedet Octavian, der sich bedrückt entfernt. Als die Marschallin ihn für einen Abschiedskuss zurückrufen lässt, ist er bereits außer Reichweite.


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Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Im Palais des frischgeadelten reichen Herrn von Faninal kann dessen Tochter Sophie ihre Aufregung über ihre bevorstehende Hochzeit nicht zügeln. Gemeinsam mit der Duenna Marianne Leitmetzerin begeistert sie sich für den Tumult, den der Zug des Brautwerbers auf der Straße auslöst. Als Octavian als Rosenkavalier vorspricht, erstarren die beiden jungen Leute vor Begeisterung füreinander. Im freundschaftlichen Gespräch kommen sie sich näher. Der Bräutigam, den ihr Vater ihr vorstellt, nimmt Sophie dagegen schnell alle Illusionen. Ochs auf Lerchenau benimmt sich grob und vulgär, er erscheint als das genaue Gegenteil von Octavian, der wütend den ungehobelten Baron betrachtet. Als Ochs mit Faninal den Raum verlässt, um den Ehevertrag zu unterzeichnen, wendet sich die verzweifelte Sophie an Octavian. Er möge sie vor der Hochzeit bewahren. Octavian sagt Hilfe zu, Sophie müsse aber ihrerseits für sie beide einstehen. In einem Moment der Vertrautheit werden die beiden von Annina und Valzacchi überrascht, die den Baron Ochs herbeirufen. Es kommt zur Konfrontation zwischen Ochs und Octavian. Octavian zieht seinen Degen und verletzt den Baron leicht. Sein Geschrei ruft die Dienerschaft, Ochs’ Gefolge und Faninal auf den Plan. Sophie erklärt dem Vater ihren Unwillen, den Baron zu heiraten. Faninal stellt die Alternativen Heirat oder Kloster zur Wahl und verweist Octavian in aller Höflichkeit des Hauses. Octavian verspricht Sophie, sie werde von ihm hören. Ochs wird verarztet und zur Ruhe gebettet. Nach dem Genuss einiger Gläser Wein weicht sein Zorn auf Octavian Amüsement über die Szene und Freude an Sophies Trotz. Annina überbringt eine Einladung der Kammerzofe Mariandel zu einem Rendezvous. Ochs gratuliert sich zu seinem Lerchenauschen Glück.

Im Hinterzimmer eines Gasthauses sind Valzacchi, Annina und der wieder als Mariandel verkleidete Octavian mit hektischen Vorbereitungen beschäftigt, in die verschiedene zwielichtige Gestalten involviert sind. Valzacchi präsentiert dem Baron Ochs, der das vermeintliche Mariandel hereinführt, das vorbereitete Zimmer. Ochs ist vor allem daran interessiert, Kosten verursachende Faktoren wie Kellner, Kerzen und Musik loszuwerden. Das Rendezvous verläuft nicht nach den Wünschen des Barons. Erst ziert sich Mariandel, seinen Annäherungen nachzugeben, dann erscheinen plötzlich unheimliche Gestalten, die nur er zu sehen scheint. Die verkleidete Annina tritt auf, sie bezichtigt den Baron, ihr Ehemann zu sein, zum Beweis läuft eine schreiende Kinderschar ins Zimmer. Wütend ruft Ochs nach der Polizei. Der eintreffende Polizeikommissar stellt unangenehme Fragen nach dem Mädchen, mit dem sich der Baron im Hinterzimmer aufhält. Ochs erklärt, es handle sich um seine Verlobte Sophie. Faninal, von Valzacchi unbemerkt herbeigerufen, ist außer sich über diese Unterstellung. Er ruft Sophie herauf und präsentiert ihr die skandalösen Umstände ihres Verlobten. Sophie ist schockiert, aber auch erleichtert angesichts der Voraussicht, dass die ungeliebte Heirat verhindert werden könnte. Octavian bittet den Komissar, eine Aussage machen zu dürfen, und verschwindet mit ihm. Die Marschallin trifft ein. Der Komissar, in dem die Marschallin einen ehemaligen Untergebenen ihres Mannes, des Feldmarschalls, erkennt, zieht sich auf ihr Geheiß zurück. Octavian kehrt ohne Verkleidung zurück. Sophie lässt dem Baron von ihrem Vater ausrichten, dass die Verlobung aufgelöst und er im Faninalschen Palais nicht mehr willkommen sei. Der Baron will sich noch nicht geschlagen geben. Erst als die Marschallin ihm erklärt, er sei Opfer einer Farce geworden, und er Octavian, Annina und Valzacchi erkennt, zieht Ochs mit seinem Gefolge ab. Die Marschallin nimmt das Ende ihrer Liebesaffäre mit Melancholie und Fassung zur Kenntnis. Faninal akzeptiert die Verbindung, Sophie und Octavian realisieren vorsichtig ihr gemeinsames Glück.


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The Story

First Act The Feldmarschallin Maria Theresa, Princess of Werdenberg and her young lover Count Octavian Rofrano are enjoying the morning after a night of passion. A noise is heard from outside and the Marschallin fears her husband has returned early from the hunt. She bustles Octavian into a hiding place. The tension eases when the Marschallin recognises the voice of her cousin, Baron Ochs auf Lerchenau. Meanwhile, Octavian has disguised himself as a chambermaid. However, he fails to slink out of the room unnoticed, due to attracting the attention of Baron Ochs as he arrives. Octavian is introduced to the Baron as Mariandel, with Ochs taking immediate interest in the young maid. Ochs has come to town as a bridegroom and asks the Marschallin to arrange a matchmaker who will deliver his silver rose of love to the young Sophie Faninal. The Marschallin proposes her cousin Octavian Rofrano. When she shows the Baron a picture of Octavian he is bewildered at his similarity to the chambermaid Mariandel. The Marschallin leads him to believe that Mariandel is the Count’s illegitimate sister. Baron Ochs is delighted by the story, owing to him also having a bastard son as a member of his entourage. During the subsequent morning reception, or levee, Octavian, still in disguise, is able to flee the ever more familiar Baron. Along with the notary, charged with finalising the marriage contract, as well as various supplicants and merchants, the Italian schemers Valzacchi and Annina enter and offer the Baron their services. As a test for their skills, the Baron asks for Mariandel, the chambermaid. Valzacchi and Annina promise to arrange a rendezvous. After the Baron has left, the Marschallin ponders questions of time and the transcience of life. Octavian, who returns in men’s clothing, is unable to lift her from her melancholic state. The Marschallin suggests that Octavian will soon leave her for a younger woman. The ensuing argument fails to result in reconciliation and the Marschallin dismisses Octavian who leaves deeply distressed. When the Marschallin summons him back for a goodbye kiss, he is already gone.


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Second Act

Third Act

In the palace of the newly ennobled and wealthy Herr von Faninal his daughter Sophie can hardly contain her excitement at her approaching nuptials. Together with the duenna Marianne Leitmetzerin she revels in the commotion outside as the matchmaker’s procession passes. When Octavian, as Cavalier of the Rose, delivers his salutation to her there is an instant spark of attraction. The two engage in conversation and grow closer. The bridegroom, however, after being introduced by her father, soon robs Sophie of any illusions. Ochs auf Lerchenau behaves in an abrasive and vulgar fashion and appears to be the exact opposite of Octavian, who observes the crude Baron in disgust. When Ochs leaves the room with Faninal in order to sign the marriage contract, Sophie turns to Octavian in desperation, begging him to save her from the wedding. Octavian agrees to help her, if Sophie will defend their relationship when the time comes. In a moment of intimacy, the two are surprised by Annina and Valzacchi, who call Baron Ochs. There is a confrontation between Ochs and Octavian. Octavian draws his dagger and lightly wounds the Baron whose cries cause the servants, Ochs’s entourage and Faninal to come running. Sophie announces to her father her unwillingness to marry the Baron. Faninal offers her the choice of either marrying or entering a convent and politely requests that Octavian leave the house. Octavian promises Sophie that she will hear from him. Ochs receives medical treatment and is put to bed to rest. After enjoying several glasses of wine, his anger at Octavian gives way to amusement at the whole situation and joy at Sophie’s defiance. Annina delivers an invitation from Mariandel the chambermaid to a rendezvous. Ochs congratulates himself on his „Luck of the Lerchenaus“.

In the back room of an inn Valzacchi, Annina and Octavian (once again disguised as Mariandel) are busy with hectic preparations involving a variety of shadowy figures. Valzacchi presents the prepared room to Baron Ochs who shows ‘Mariandel’ in. Ochs’s chief concern is the removal of costly elements such as waiters, candles and music. The rendezvous does not proceed as the Baron would have wished. Firstly, Mariandel coyly resists his advances and then suddenly a number of sinister figures appear which only he seems to be able to see. Annina enters in disguise and accuses the Baron of being her husband. As proof, a herd of screaming children bursts into the room. Furious, Ochs calls for the police. On arrival, the police superintendent asks uncomfortable questions about the girl in the back room with whom the Baron is involved. Ochs explains that she is his fiancée Sophie. Faninal, sent for unnoticed by Valzacchi, is outraged at this deception. He calls for Sophie and informs her of her fiancé’s scandalous circumstances. Sophie is shocked but also relieved at the thought that this could help prevent their loveless marriage. Octavian asks the superintendent for permission to make a statement and disappears with him. The Marschallin enters. The superintendent, whom the Marschallin recognises as a former subordinate of her husband, the Feldmarschall, withdraws at her behest. Octavian returns in his usual outfit. Sophie informs the Baron on behalf of her father that the engagement is called off and that he is no longer welcome at the Faninal palace. The Baron is still unwilling to admit defeat, until the Marschallin explains that he has been tricked in a farce and he recognises Octavian, Annina and Valzacchi. Only then do Ochs and his entourage finally take their leave. The Marschallin acknowledges the end of her love affair with melancholy and composure. Faninal accepts the union, while Sophie and Octavian cautiously pursue a happy future together.


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L’Argument

Premier acte La Maréchale Maria Theresia, Princesse von Werdenberg, et son jeune amant, le comte Octavian Rofrano, profitent de la matinée après une nuit d’amour. On entend un vacarme et la Maréchale redoute que son mari ne soit rentré prématurément de la chasse. Elle pousse Octavian dans une cachette. L’affolement cesse lorsque la Maréchale reconnaît la voix de son cousin, le baron Ochs auf Lerchenau. Entre-temps Octavian s’est déguisé en femme de chambre. Il ne parvient cependant pas à quitter la pièce incognito, car le baron Ochs, qui s’est déjà introduit, s’intéresse beaucoup à la jeune servante qu’on lui présente sous le nom de Mariandel. Ochs s’est fiancé et c’est l’objet de sa visite en ville. Il prie la Maréchale de lui recommander un jeune homme qui, selon la tradition, portera à la jeune Sophie Faninal la rose d’argent en gage de son amour. Elle lui propose son cousin, Octavian Rofrano. Lorsqu’elle lui montre un portrait d’Octavian, le baron est stupéfait de sa ressemblance avec Mariandel, la femme de chambre. La Maréchale laisse entendre qu’il s’agirait d’une sœur illégitime du comte. Le baron Ochs est enchanté de cette histoire, car il a lui-même aussi dans ses gens un fils illégitime. Ensuite, lors de la réception matinale de la Maréchale, le lever, Octavian toujours travesti parvient à fuir le baron et ses assiduités. Outre le notaire avec lequel le baron établit son contrat de mariage, sont présents divers requérants et fournisseurs, ainsi que les intrigants italiens Valzacchi et Annina qui offrent leurs services au baron. Pour les mettre à l’épreuve, le baron leur demande d’aller quérir la femme de chambre Mariandel. Valzacchi et Annina s’engagent à servir l’entremise. Après le départ du baron, la Maréchale se perd dans ses pensées sur le temps et son caractère éphémère. Octavian, qui revient vêtu en homme, ne parvient pas à la sortir de sa mélancolie. La Maréchale lui confie ses craintes de se voir bientôt abandonnée au profit d’une femme plus jeune. L’explication qui s’ensuit les laisse dans l’incompréhension et la Maréchale fait ses adieux à Octavian qui s’éloigne le cœur lourd. Lorsqu’elle le fait rappeler pour un baiser d’adieu, il est déjà loin.


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Deuxième acte

Troisième acte

Au palais du riche seigneur de Faninal, récemment anobli, sa fille Sophie ne peut réfréner son enthousiasme à l’idée de ses noces prochaines. Avec Marianne, la maîtresse des duègnes, elle est ravie du tumulte provoqué dans la rue par le cortège de son prétendant. Lorsqu’Octavian se présente en qualité de Chevalier à la rose, les deux jeunes gens se figent dans une admiration réciproque. Une aimable discussion les rapproche encore. Le futur époux, présenté à Sophie par son père, lui ôte en revanche toutes ses illusions. Ochs auf Lerchenau se comporte de manière rustre et vulgaire, apparaissant comme l’exact opposé d’Octavian, lequel observe avec fureur le grossier baron. Quand Ochs quitte la pièce avec Faninal pour signer le contrat de mariage, Sophie, désespérée, se tourne vers Octavian. Elle le supplie de la sauver de cette union. Octavian lui promet son aide, mais Sophie, de son côté, doit s’engager pour tous les deux. Dans un moment d’intimité, les deux sont surpris par Annina et Valzacchi, qui appellent le baron Ochs. Octavian entre en confrontation avec lui. Octavian dégaine son épée et blesse légèrement le baron. Les cris de ce dernier provoquent l’intervention des domestiques, de la suite d’Ochs et de Faninal. Sophie oppose à son père son refus d’épouser le baron. Faninal lui présente les alternatives : ce sera ce mariage ou le couvent, et il prie aimablement Octavian de quitter sa maison. Octavian promet à Sophie de ne pas la laisser sans nouvelles. Ochs reçoit des soins et il est prié de se reposer. Après quelques verres de vin, sa colère contre Octavian fait place à l’amusement au souvenir de la scène et à une certaine gaîté devant la bravade de Sophie. Annina lui remet une invitation à un rendez-vous galant de la part de Mariandel, la femme de chambre. Ochs se félicite de la chance que lui apporte son patronyme de « Lerchenau ».

Dans l’arrière-salle d’une auberge, Valzacchi, Annina et Octavian – à nouveau travesti en Mariandel – sont occupés à de fébriles préparatifs impliquant divers étranges personnages. Valzacchi montre au baron, qui introduit la supposée Mariandel, la pièce qui a été préparée pour lui. Ochs est surtout occupé à se défaire de tout ce qui pourrait lui engendrer des frais : les serviteurs, les bougies et la musique. Le rendez-vous ne se déroule pas selon ses vœux. Tout d’abord Mariandel fait des manières pour céder à ses avances, puis surgissent soudainement de sinistres créatures que lui seul semble voir. Revêtue d’un déguisement, Annina fait son entrée et accuse le baron d’être son époux, laissant pour preuve s’élancer dans la pièce une ribambelle d’enfants hurlants. Furieux, Ochs appelle la police. Le commissaire de police arrive et pose des questions embarrassantes sur la fille avec laquelle le baron se trouve dans l’arrière-salle. Ochs explique qu‘il s‘agit de sa fiancée Sophie. Cette médisance met en rage Faninal, lequel a été convoqué par Valzacchi et reste inaperçu. Il fait venir Sophie et lui révèle la scandaleuse conduite de son fiancé. Sophie est choquée, mais aussi soulagée de voir que ce mariage tant redouté pourrait être évité. Octavian demande au commissaire la permission de faire une déposition et disparaît avec lui. La Maréchale fait irruption. Elle reconnaît en le commissaire un ancien subordonné de son mari, le Feld-maréchal, et lui ordonne de se retirer. Octavian revient, il s’est débarrassé de son déguisement. Sophie fait savoir au baron, par l’intermédiaire de son père, que les fiançailles sont rompues et qu’il n’est plus le bienvenu au palais Faninal. Le baron ne veut pas encore s’avouer vaincu. Ce n’est que lorsque la Maréchale lui explique qu‘il a été victime d’une farce, et qu’il reconnaît Octavian, Annina et Valzacchi, qu’Ochs se retire avec sa suite. Avec mélancolie et dignité, la Maréchale prend acte de la fin de son histoire d’amour avec Octavian. Faninal consent à cette union, Sophie et Octavian réalisent prudemment leur bonheur d’être ensemble.


Die Zeit kontrollieren

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Die Zeit kontrollieren. Ein Gespräch mit dem Regisseur Barrie Kosky


Ein Gespräch mit dem Regisseur Barrie Kosky

NiS

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Du erzählst den Rosenkavalier in Träumen. Was bedeutet das, und woher kam die Idee? BK  Man kann sagen, dass wir von Hofmannsthal und Strauss mit den drei Akten gewissermaßen drei unterschiedliche Opern bekommen haben. Der erste Akt, der „Marschallin-Akt“, ist in seiner Klangsprache und in seiner theatralen Sprache perfekt gebaut, und mit der Szene um den ZeitMonolog endet er auch theatralisch perfekt. Wenn dann der zweite Akt beginnt, ist es fast schockierend, wie anders das plötzlich ist – szenisch, aber auch klanglich. Es ist wie eine neue Oper. Ähnlich im dritten Akt, in dem Strauss am stärksten mit einer zeitgenössischen Klangsprache spielt und mit der Pantomime am Anfang ein Spiel im Spiel etabliert wird. Nachdem die drei Akte so stark für sich stehen, lag es für mich nahe, den Perspektiven zu folgen, die darin angelegt sind, und ich habe mich entschieden, ihnen als drei Träumen zu folgen. Wir entfernen uns damit auch von einer naturalistischen Interpretation des Werkes. Wenn wir den ersten Akt aus der Perspektive der Marschallin sehen, sind wir Zeugen ihrer Emotionen, ihrer fragmentarischen, gebrochenen Gedanken. Der zweite Akt ist wie ein Märchen: Es war einmal ein Mädchen, das hieß Sophie. Sie wacht auf und denkt: Heute ist der beste Tag meines Lebens. Und dann geht alles schief. Ein Albtraum. Der dritte Akt ist schon von Hofmannsthal wie eine Inszenierung von Octavian angelegt, also folgen wir seiner Perspektive wie einem Wunschtraum, in dem er das Geschehen kontrolliert. In der wunderbaren Schlussszene mit dem Terzett kommen die drei Perspektiven, die drei Träume, dann zusammen, die Ebenen verschwimmen. Zwei Filme mit starken surrealistischen Elementen waren vor allem für den ersten und den dritten Akt Inspirationsquellen, L’Année dernière à Marienbad von Alain Resnais und Le charme discret de la bourgeoisie von Luis Buñuel. Auch hier haben wir traumartige Welten, in die Menschen hineingeraten, und die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen. So wird es auch in unserem Rosenkavalier sein. Das erlaubt mir als Regisseur, mit inszenatorischen und technischen Mitteln zwischen den Ebenen von Traum und Realität zu wechseln. Ich kann durch diesen Zugang das Stück vom Staub befreien, den es vielleicht angesetzt hat, und dabei sehr nah an dem bleiben, was die Musik und der Stoff vorgeben. NiS  Im Traum erscheint es uns gar nicht merkwürdig, wenn Dinge nebeneinander stehen, die eigentlich nicht zusammengehören. Beim Rosenkavalier ist es auch so, dass wir etwa Musik aus verschiedenen Epochen, unterschiedliche Klangsprachen nebeneinander hören. Du hast gesagt, ein Wort, das den Rosenkavalier gut beschreiben würde, wäre „fake“. Wie ist das gemeint? BK  Sehr positiv. Mit „fake“ meine ich artifiziell. Oder auch gefälscht, wie ein perfekt gemachter Rembrandt, den nicht Rembrandt gemalt hat. Die künstliche Rokoko-Welt, die Strauss aufbaut, ist eine fabelhafte Fälschung. Der Wiener Walzer, den Strauss benutzt, ist die charakteristische musikalische Form des 19. Jahrhunderts, wie er im Wien von Johann Strauss geprägt wurde. Bei einem Stück, das eigentlich im 18. Jahrhundert spielen sollte, ist das der deutlichste Anachronismus, den man sich ausdenken kann. Dazu kommt der Einfluss der Schriften Sigmund Freuds auf den Rosenkavalier. Die Traumdeutung erschien zehn Jahre vorher, und auch wenn sich Hofmannsthal teils ablehnend über Freud geäußert hat, ist die spezifische Psychologie Freuds im Libretto unübersehbar. Gerade diese Lehre ist aber wiederum charakteristisch für das 20. Jahrhundert. Wir


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haben es also mit der Behauptung eines Rokoko-Ambientes mit Musik aus dem 19. Jahrhundert und einem psychologischen Verständnis aus dem 20. Jahrhundert zu tun. Das ist „fake“ – und zwar im allerbesten Sinne. Strauss schreibt wunderbare Walzer für den Rosenkavalier, definitiv auf dem Niveau der Walzer von Johann Strauß. Die Melodien, die er operettenhaft anlegt, sind absolut auf dem Niveau von Franz Lehár. Und Strauss war sehr eifersüchtig auf Franz Lehárs Erfolg mit der Lustigen Witwe, besonders wegen der Tantiemen. In keinem seiner Werke spielt Strauss so sehr mit Artifizialität wie im Rosenkavalier. Und darin liegt die wunderbare Herausforderung: Den verschiedenen Schichten aus drei Jahrhunderten mit der Auseinandersetzung für unsere Gegenwart eine weitere hinzuzufügen. Ich muss sagen, dass ich lange mit diesem Werk gekämpft habe. Ich war immer fasziniert davon, aber ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll, dass diese Art von Stück auf Salome und Elektra folgte. Wir haben dann über drei Jahre ein Konzept entwickelt, von dem ich denke, dass es gut funktioniert. Aber in den Wochen der Proben habe ich eine ganz neue Bewunderung für Hofmannsthal und Strauss entwickelt. Wie klug ist doch dieses Spiel mit Form, mit Narrativen, mit Geschichte, die Komposition für Text. Von Salome und Elektra weiß jeder, dass das tolle Stücke sind. Aber nach der intensiven Arbeit in den Proben ist mir noch einmal neu klargeworden, dass Der Rosenkavalier ein imperfektes Meisterstück ist. Man könnte ihn als die erste postmoderne Oper bezeichnen. All die Schlagworte, die für die Postmoderne ab den 1980er Jahren geprägt wurden, passen auf das Werk: Dekonstruktion, Rekontextualisierung, Ironisierung. NiS  Susan Sontag hat 1964 einen inzwischen legendären Aufsatz geschrieben: Notes on “Camp”. Sie definiert Camp darin ungefähr als eine überpointierte, oft übertriebene Ästhetisierung, die dabei ihre Gegenstände nicht vorführt, sondern schätzt. Man könnte es vielleicht mit ehrlich gemeintem Kitsch übersetzen. Sie nähert sich der Definition über Vergleiche: Nicht Camp sind die Opern von Wagner. Camp sind die Opern von Strauss. Die einzige Oper, die sie explizit nennt und als camp bezeichnet, ist der Rosenkavalier. BK  Sie hat vollkommen recht. Der Begriff „Camp“ ist heute kommerzialisiert und eigentlich tot, aber so, wie Susan Sontag ihn 1964 verwendet, stehe ich absolut dahinter. Man muss sich vorstellen, dass der vielleicht heteronormativste, kleinbürgerlichste, spießigste Komponist des 20. Jahrhundert solche Opern wie Salome, Elektra, Der Rosenkavalier, Ariadne auf Naxos und Die Frau ohne Schatten schreibt – fünf der campsten Opern des 20. Jahrhunderts. Und der Rosenkavalier ist die campste von allen. Supercamp. NiS  Sontag betont den Zusammenhang zwischen Camp und Travestie, also das Element, das wir heute vielleicht mit queer in Verbindung bringen würden. BK  Das hat eine riesige Tradition. Vom griechischen Theater über Shakespeare bis ins 20. Jahrhundert. Der Rosenkavalier entstand aus der Zusammenarbeit von Harry Graf Kessler, einem homosexuellen Mann, Hugo von Hofmannsthal, einem mutmaßlich unausgelebt bisexuellen Mann – und ich glaube, sie projizierten viel von ihrer Sexualität auf die Octavian-Figur. Es geht nicht nur um das Cross-Dressing, auch darum, wie es gemacht wird. Es gibt eine Verbindung zu Shakespeares As you like it und The twelth night, aber vor dem Hintergrund des 20. Jahrhunderts und mit der Frauenstimme wirkt es im Rosenkavalier noch viel stärker. Und ich glaube, es gibt


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noch mehr Projektionen im Rosenkavalier. Für Kessler kommt die Figur der Marschallin, der einsamen Aristokratin in einem melancholischen Moment, seiner eigenen Biographie sehr nahe. Vielleicht könnte Ochs für beide, Kessler und Hofmannsthal, als Vater-Projektion stehen. Das alles zusammengenommen bedeutet: Wenn wir Susan Sontags Begriff von Camp wir für unsere Zeit zu queer erweitern, dann ist Der Rosenkavalier definitiv eine der campsten und queersten Opern aller Zeiten. NiS  Harry Kessler steht für den kosmopolitischen Einfluss auf das Rosenkavalier-Projekt, er reiste pausenlos durch die Welt, war mit bedeutenden Künstlern, Schriftstellern, Politikern und dem Hochadel bekannt. Ohne ihn hätte Strauss von L’Ingenu libertin, der Operette, auf deren Grundlage das erste Rosenkavalier-Szenario entstanden ist, vielleicht nie erfahren. Kessler hatte das Stück in Paris gesehen und Hofmannsthal davon erzählt. Wieviel französische Operette steckt noch im Rosenkavalier? BK  Fast keine. Es ist wie mit aller großen Kunst: Die Ursprünge, die Quellen entwickeln sich und gehen im neuen Ganzen irgendwann unter. Natürlich war es für Strauss eine wichtige Frage, was nach Salome und Elektra kommen sollte. Strauss und Hofmannsthal haben ja auch viel darüber diskutiert, und beide hatten ein gutes Gespür für das Theater. Als Kessler mit der Idee kam, wusste Hofmannsthal, was daraus zu machen war, und Strauss lieferte entscheidende Hinweise. Ich finde es unglaublich, dass Kessler jahrelang gewissermaßen aus der Entstehungsgeschichte herausgeschrieben worden ist. Was am Ende herauskam, war natürlich keine französische Operette wie die, die Kessler gesehen hatte. Aber es gibt einen Hauch französischer Operette in der DNA des Rosenkavalier. Und was davon in meine Inszenierung einfließt, ist Leichtigkeit. Die Arbeit an der Oberfläche. Unter der Oberfläche ist die Tiefe, aber man spielt nicht die Tiefe. Es ist ein Missverständnis, Operette als bloße Oberflächenkunst zu sehen. Es geht darum, mit der Leichtigkeit des Oberflächlichen die Tiefe zu zeigen, die darunterliegt. Das zweite Element aus der französischen Operette, das ich verwendet habe, ist die Farce. Die ist eigentlich auch viel älter, wir finden sie in der griechischen Komödie, bei Aristophanes, aber die Operette des 20. Jahrhunderts entwickelt eine besondere Meisterschaft in Farce und Übertreibung, die für mich wichtig war. Das dritte sind die Typen – sie begegnen uns die ganze Geschichte der abendländischen Komödie hindurch, von der Antike über das mittelalterliche Puppenspiel und die morality plays bis zu den Sternstunden bei Molière und Goldoni. Der Aristokrat, der dirty old man, der junge Prinz, das Mädchen. NiS  In den ersten Gesprächen über das Werk haben gerade Kessler und Hofmannsthal die Figuren erst einmal nur nach den Typen genannt. Die Intriganten, der buffo oder auch Pourceaugnac, nach der Molière-Figur. Natürlich fiel auch der Name Cherubino. BK  Le nozze di Figaro fällt einem natürlich als erstes ein, die Gräfin und Cherubino. Aber es ist nicht nur das. Strauss kannte Gaetano Donizettis Don Pasquale, er kannte die italienische Opera buffa. Und er liebte Verdis Falstaff. Was aus diesen vielen unterschiedlichen Einflüssen letztlich wurde, die die drei Herren mitbrachten, das erstaunt mich immer wieder aufs Neue. Es ist virtuos – textlich, strukturell, psychologisch und musikalisch. NiS  Psychologie und Typenspiel sind zwei Pole im Rosenkavalier. Es gibt die Molière- oder Commedia-dell’arte-Typen, aber es gibt auch die Psychologie der Figuren. Allerdings nicht aller Figuren.


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Die Marschallin ist genau gezeichnet, aber Sophie bekommt nicht diese Tiefe. Sie verliert im Vergleich zur französischen Operette deutlich an Profil. Die Sophie in der Vorlage L’Ingenu libertin verkleidet sich als Küchenjunge, um das Rendezvous zwischen Faublas und der Marquise zu sabotieren. Strauss und Hofmannsthal entscheiden sich für eine deutlich passivere Mädchenfigur. Woran liegt das? BK  Wir wissen, dass Hofmannsthal und Strauss nach der Premiere nicht recht zufrieden mit dem Werk waren, Hofmannsthal hat sich in Briefen über die Musik beschwert, Strauss hat gesagt, er hätte vielleicht doch im Libretto streichen sollen. Vielleicht hätten sie das Stück erst einmal drei Monate liegen lassen sollen und dann noch einmal überarbeiten, eine zweite Fassung machen, wie Jean-Philippe Rameau oder Jacques Offenbach das zu tun pflegten. Vielleicht hätten sie dann ein paar andere Entscheidungen getroffen. Wenn ich Dramaturg beim Rosenkavalier gewesen wäre, hätte ich gesagt: Sophie muss im dritten Akt viel früher auftreten. Binden wir sie in die Intrige ein! Man fühlt auch in vielen Dingen, die Sophie im zweiten Akt sagt, dass sie Anteile hätte, aus denen eine stärkere Frauenfigur werden könnte. Man muss aber auch bedenken, dass der Titel einmal Ochs von Lerchenau werden sollte. Der buffo sollte eigentlich der Faden durch das Stück sein. NiS  Strauss hat Hofmannsthal 1916 brieflich gedrängt, eine Operette mit ihm zu machen. Er hat sich in dem betreffenden Brief als zum Offenbach des 20. Jahrhunderts berufen bezeichnet. Hofmannsthal schrieb ihm einen sehr bösen Brief, in dem er die Stellen im Rosenkavalier aufzählte, an denen Strauss seine Dichtung mit „dicker Musik“ vernichtet habe. Den Brief hat er dann nicht abgeschickt, aber vergleichbare Kritik hat er gegenüber Strauss durchaus geäußert. Zur Operette kam es dann nicht mehr. Hätten die beiden 1911 einen „Offenbach“ schreiben können, wenn Hofmannsthal seine Kritik früher zu äußern gewagt hätte? BK  Es hätte vielleicht mehr in Richtung Operette gehen können. Strauss wollte ja eine Spieloper schreiben, und er hat auch viele wunderbare parodistische Stellen geschaffen. Aber der kompositorische Rausch ist wohl mit ihm durchgegangen. Wie mit Wagner, als er ein deutsches Singspiel schreiben wollte und dann die Meistersinger dabei herauskamen. Wenn man eine Operette schreibt, wird man keine Besetzung von 100 Musikern veranschlagen. Strauss wusste, dass seine Partitur für den geplanten Konversationsstil Probleme bereiten würde, aber im Kompositionsprozess konnte er sich nicht bändigen und hat diesen großen Klangteppich geschaffen. Nun liegt es an Orchester und Dirigent, diese Musik leicht klingen zu lassen. Die Selbstkritik und die gegenseitigen Vorwürfe sind eine Geschichte für sich. Die Kritik von Hofmannsthal, dass Strauss ihm schreibt, „wir haben seit dem Rosenkavalier viel gelernt, jetzt können wir es richtig machen“. Kessler ist unzufrieden, weil er seine Mitarbeit nicht gewürdigt sieht. All das gehört für mich zum Rosenkavalier dazu. Es gibt nicht so viele Stücke, bei denen es so interessant ist, was die Urheber selber nach der Uraufführung darüber geschrieben haben. Dass es eine gewisse Unzufriedenheit gab, spricht auch für den Anspruch von Strauss und Hofmannsthal. Es ist keine Operette, es ist ein Experiment, das mehrheitlich erfolgreich war. NiS  Du hattest schon angesprochen, dass das Stück beinahe Ochs von Lerchenau geheißen hätte. Der endgültige Titel stand dann erst sehr spät fest, und es gab auch eine Menge anderer Ideen: Mariandel etwa, Kesslers Favorit Quin-Quin oder Der Grobian in Liebesnot. Was dabei auffällt: Die Titelfigur ist immer entweder Ochs oder Octavian. Warum hatte niemand die Idee, die Oper Die Marschallin zu nennen? Ist es nicht eigentlich ihr Stück?


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Strauss hat geniale Musik für die Marschallin geschrieben, und Hofmannsthal genialen Text. Allein das Bild, dass diese Frau nachts durchs Haus geht und alle Uhren anhält. Sie ist eine interessante, komplexe Frau des 20. Jahrhunderts. Was sie über Männer sagt, über sich selbst, dass sie über sich auch lachen kann – sie könnte aus einer Fritzi-MassaryOscar-Straus-Leo-Fall-Operette stammen. Eine selbstbewusste Frau, die Fragen über das Älterwerden stellt, über Männer. Nach dem ersten Akt sieht man sie anderthalb Stunden nicht, erst am Ende kommt sie wieder, als Dea ex machina. Und man vermisst sie in dieser Zeit, weil Strauss und Hofmannsthal den Charakter so gut und interessant erschaffen hatten. Aber natürlich war es nicht möglich, sie in den zweiten Akt zu integrieren oder sie am Beginn des dritten Aktes auftreten zu lassen. Das hätte das Narrativ des zweiten und dritten Aktes zerstört, und dieses Narrativ ist ebenfalls hervorragend gebaut. Darum ist die Marschallin auch nicht die Titelfigur. Sie ist die Hauptfigur des ersten Aktes. NiS  Es gibt eine lange Tradition der leidenden Marschallin. Oft wurde sie so interpretiert und dargestellt, als wäre ihr Leben mit dem Abschied von Octavian gewissermaßen zu Ende, wenigstens der gute Teil. BK  Das ist ein Problem der Interpretationsgeschichte. Vor dem Zweiten Weltkrieg, auf den älteren Aufnahmen, ist das ganze Werk mit viel mehr Leichtigkeit gesungen, und auch diese Partie. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg bringen ältere Sängerinnen, die die Marschallin singen, diese Schwere mit, die Darstellung des Lebensendes. Für mich ist die Melancholie der Marschallin eine Wolke an einem Sommertag. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne, man denkt, vielleicht wird es regnen, aber die Wolke zieht vorbei. Es ist fatal zu denken, die Marschallin werde nie mehr Liebe oder Sex erleben, dass Octavian der beste Liebhaber ihres Lebens war. Diese Frau wird wieder Liebe und Liebhaber finden. Sie wird in der dysfunktionalen Beziehung mit ihrem Mann bleiben, sie wird weiterleben, und sie wird weiter lieben. Das Ende so zu spielen, als würde sie sich gleich umbringen, ist schrecklich. Ihr „Ja, ja“ bedeutet nicht, ich akzeptiere, dass ich alt und einsam bin. Es ist amüsiert, mit einem Hauch Melancholie. Strauss hat selbst geschrieben, man müsste sie „mit einem nassen und einem trockenen Auge“ spielen. Natürlich denkt sie auch über Sterblichkeit und Altern nach. Sie ist ja klug. Aber man darf sie nicht als ausschließlich leidend zeichnen. Auch nicht als höfliche, kühle Aristokratin. Ich habe eher an die verrückten englischen Aristokraten gedacht, die einen exzentrischen Lebensstil pflegen. NiS  Hofmannsthal und auch Strauss wussten, dass adeliges Leben im 18. Jahrhundert nichts mit einem bürgerlichen Eheleben aus der Romantik zu tun hatte. BK  Ich glaube, die Marschallin hatte schon viele Liebhaber. Sie hat großartigen Sex. Sie hat einen exquisiten, modernen Geschmack. Sie liest alle wichtigen Romanautoren und Philosophen, geht ins Theater, in die Oper, sie liebt gutes Essen und ist unglaublich neugierig auf das Leben. Sie ist nicht der Sopran aus Vier letzte Lieder. NiS  Baron Ochs ist nicht einfach darzustellen. In seiner sogenannten Mägdearie brüstet er sich unverhohlen mit Vergewaltigungen. Wenn man ihn auf der Bühne den Mann spielen lässt, als den er sich in Worten und Tönen darstellt, kommen Bilder heraus, die man nicht sehen will. Wie bist du an die Figur herangegangen?


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BK  Man kann über die Ochs-Problematik nicht hinweggehen. Man muss sie benutzen. Ich glaube, dass es zum Einen wichtig ist zu verstehen, dass wir am Theater nicht über Männer und Frauen reden, sondern über Figuren in einem historischen Kontext. Figuren sind Charaktere, sie sind nicht repräsentativ für reale Männer und Frauen. Sie sind zugespitzt, in die eine oder andere Richtung idealisiert. Mit Ochs hat man Probleme. Er spricht seine Gedanken aus. In der Regieanweisung und in der Rezeptionsgeschichte verbringt er den größten Teil seiner Bühnenzeit mit dem Versuch, eine Frau zu jagen, zu packen, festzuhalten. Sie ist ein verkleideter Mann, aber das weiß er ja nicht. Was macht man damit? Es ist sehr einfach, ihn als grob, vulgär und gewalttätig zu zeigen. Ich möchte nicht dasitzen und einem Mann dabei zusehen, wie er vier Stunden lang erfolglos versucht, eine Frau ins Bett zu bekommen. Wir müssen uns die Figur genau ansehen. Er hat nicht nur keine Manieren. Er hat auch keine Selbstzensur. Er spricht viel zu viel. Warum spricht er zu viel? Weil er nervös ist. Und warum ist er nervös? Weil er Angst vor Frauen hat. Ich glaube, er hatte seit Jahren keinen Sex. Das ist kein Casanova, das ist jemand, der über etwas redet, das er nicht ausagieren kann. Und darum berührt Ochs in unserer Produktion das Mariandel im ganzen ersten Akt nicht. Er schaut sie an, läuft hinter ihr her. Aber anfassen kann er sie nicht. Und damit ist auch klar, dass im dritten Akt Mariandel-Octavian die Kontrolle hat. Octavian begreift, was mit Ochs los ist. Und was mit ihm los ist, ist ein freudianisches Lehrbeispiel. Das Stück entstand zwischen 1909 und 1911. Wenn man Ochs mit Freud betrachtet, dann sind die Antworten sehr klar, und dann findet man eine andere Auflösung für die grauenhaften Sachen, die Ochs in seiner Arie sagt. Wenn wir ihn als den beschädigten Charakter begreifen, der er zu sein scheint, dann ist er weit vielschichtiger und interessanter. Der Kern von Ochs ist, dass er geliebt werden will. Er ist einsam. Ganz genau wie die Marschallin, nur mit völlig anderen Voraussetzungen und anderem Ausgang. Wenn man es so betrachtet, dann hat man zwei Pole von Einsamkeit, die im Stück beide nicht aufgelöst werden. Aber wenn man am Ende zeigen würde, was aus den Charakteren geworden ist, 30 Jahre später: dann hätte die Marschallin immer noch junge Liebhaber, bis hoch in ihre Sechziger oder Siebziger. Sie hätte ein wenig Schönheitschirurgie in Anspruch genommen, aber sie wäre immer noch fabelhaft und hätte ein großartiges Leben. Sie würde Ski fahren, ein Ticket für einen Flug zum Mond kaufen. Sie wäre ein Adventure Girl. Und Ochs wäre einsamer und einsamer und einsamer. NiS  In Freuds Traumdeutung enthält jeder Traum einen Wunsch. Was wünschen sich die drei Charaktere in den drei Träumen? BK  Ich glaube, sie wünschen sich alle, sie könnten die Zeit kontrollieren. Wir wissen, dass die Marschallin die Zeit anhalten will. Als Sophie Octavian zum ersten Mal sieht, singt sie: „Ist Zeit und Ewigkeit in einem sel’gen Augenblick.“ Ich glaube, sie wünscht sich, zu diesem Augenblick zurückzukehren und für immer darin zu bleiben. Und Octavian will die Uhren nach vorne drehen. Er will älter sein, mehr Erfahrung, mehr erlebt haben. Aber was die drei verbindet, ist, dass sie die Zeit kontrollieren möchten. Wie wir alle. Das Gespräch führte Nikolaus Stenitzer


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Der Rosenkavalier und die Kunst, aus Altem Neues zu machen


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Ein maria-theresianisches Wien, das es so nie gegeben hat – ein Intrigenstück, gemixt aus noblen Allüren des Ancien Régime, neureichem Bürgermilieu und wienerischen Vorstadtderbheiten – ein melancholisches Spiel über Vergänglichkeit und Abschiednehmen – ein irritierendes Drama um Tiefe und Oberfläche – raffiniert getüftelte Figuren-Sprachkostüme, die den Eindruck erwecken, so habe man um 1740 gesprochen: Wenn man die nostalgische Österreicherei im Rosenkavalier von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss leicht nehmen will, dann wird es schwer. Was ihre „Komödie für Musik“ vorführt, ist nicht allein der Traum eines Wunsch-Wienertums. Geschrieben und komponiert in den Jahren 1909/1910 ist sie ein Produkt der Moderne und ihrer Krisen nach 1900. Ein Endzeit-Stück, in dessen Konfigurationen Auflösungserscheinungen der Habsburgischen Monarchie und die Seelenlandschaften des frühmodernen Wien durchscheinen.

Kombinieren, Überschreiben, Transformieren Man könnte diese Österreicherei, wie es der französische Germanist Jacques Le Rider in seinem Hofmannsthal-Buch vorgeschlagen hat, umschreiben als „Erfindung einer Tradition“ des alten Habsburgischen Reiches, die in einer Umbruchsituation die Leerstelle des Verlorenen füllen soll. Doch nicht als antiquierte historistische Restauration. Für Hofmannsthal konnte kein Zweifel daran bestehen, dass man dem großen „Auseinanderfallen“, das Friedrich Nietzsche dem Historismus attestierte, einen kreativen, reflexiv gebrochenen Umgang mit Traditionen entgegenstellen müsse. Eine exquisite literarische Bildung und ein enormes Wissen über die europäischen Literaturen des 17. und 18. Jahrhunderts machten es dem Dichter leicht, mit dem Rosenkavalier ein stilistisches und dramatisches Experiment zu wagen. In Zusammenarbeit mit dem Freund Harry Graf Kessler und nach vielen Diskussionen mit dem Komponisten Strauss, der immer wieder korrigierend in die Dramaturgie und Figurenkonzeption der Oper eingriff, entstand etwas bis dahin Einzigartiges. In Anlehnung an einige Figuren aus dem Roman Les aventures du chevalier de Faublas (Paris 1787) von Jean-Baptiste Louvet de Couvray (1760-1797) und mittels einer grundlegenden Verwandlung von Molières Ballettkomödie Monsieur de Pourceaugnac (1669), um zwei wichtige Quellen zu nennen, gelang das Crossover, die Fusion, der Sprung über Genregrenzen und Zeiten. Dabei darf man nicht vergessen, dass Hofmannsthal und Strauss eine Oper „aus dem Geiste Mozarts“ anvisierten. Man denke an die Konfigurationen Gräfin Almaviva-Cherubino und Marschallin-Octavian. Man kann auch Richard Wagners Meistersinger und Giuseppe Verdis Falstaff ins Spiel bringen, und natürlich ein Bild aus William Hogarths Gemäldeserie Mariage A-laMode (1743), das den Dichter zur Szene des Levers im ersten Akt inspirierte. Kurzum: Teile des Stoffes werden aus völlig heterogenen Quellen ausgewählt, aus Kontexten herausgelöst und auf das Äußerste verknappt. Das Selektierte, kompiliert und umgeschrieben, wird mit neuen Lesarten überschrieben. Hugo von Hofmannsthals „Erfindung einer Tradition“ erfolgt mittels einer Bricolage comme il faut, die das Alte zu einem neu erfundenen Ganzen fügt.


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Das posttraditionelle Konzept dieser Oper gehört zu den künstlerischen Spielarten der Moderne, die in einem hochselektiven Verfahren Traditionselemente kombiniert, spannungsvoll verkreuzt, transformiert und neu formuliert. Man muss dies ausdrücklich hervorheben. Denn schon der Transfer der Molière-Ballettkomödie über einen heiratswilligen Krautjunker aus Limoges, aufgeführt auf Schloss Chambord „pour le divertissement du Roy“ (Ludwig XIV.), in das Milieu eines fiktiven maria-theresianischen Wien überschreitet die Grenzen einer Adaption, wie sie in der Opernlibrettistik gang und gäbe war. Wohl plant der frisch geadelte bürgerliche Aufsteiger Herr von Faninal wie Molières Bürger Oronte mit einer arrangierten Verheiratung seiner Tochter blaues Blut in die Adern seiner Familie zu träufeln. Der hochadelige Bräutigam, der seine leeren Kassen mit einer saftigen Mitgift füllen will, wird schon bei Molière in einem mordsmäßig aufgezogenen Täuschungstheater der Bigamie beschuldigt. Und das Intrigantenpaar, das Octavian bei seiner Intrige behilflich ist, findet sich ebenso in Molières Komödie wie die eigens engagierte Kinderschar, die plärrend ihren vermeintlichen Papa begrüßt. Tatsächlich aber verwandelte Hofmannsthal Molières Komödie mittels einer Fusion heterogener Quellen so einschneidend, dass ein Gesellschaftsbild entstand, das dem Zeitalter Ludwig XIV. völlig fremd ist. In der Hoffnung, ein Idealbild des maria-theresianischen Wien zu konservieren, lässt er die Rosenkavalier Figuren individuelle Empfindungen, Seelenzustände und Gedanken kommunizieren, die mit der sprachlichen Maske des Als-Ob eines täuschend echt Konservierten das gewandelte Antlitz der Gegenwart reflektieren. Hofmannsthal hat dies im Ungeschriebenen Nachwort zum „Rosenkavalier“ (1911) angedeutet: „Es könnte scheinen, als wäre hier mit Fleiß und Mühe das Bild einer vergangenen Zeit gemalt, doch ist dies nur Täuschung und hält nicht länger dran als auf den ersten flüchtigen Blick.“ Gleichwohl erschien Der Rosenkavalier vielen Zeitgenossen von Hofmannsthal und Strauss als eine einzige Demontage historisch-stilistischer Selbstverständlichkeiten. Sir Claude Phillips, der Direktor der Londoner Wallace Collection, war fassungslos. „Stellen Sie sich“, schrieb er 1910 in einem Brief, „jene frischen (kräftig) breiten Walzermelodien mit ihrem großzügigen freien Rhythmus vor, gesungen von einem gepuderten Herrn in Louis XV Tracht?“ Unmöglich! Strauss müsse „den zeitlichen Hintergrund (nicht die Musik)“ unbedingt ändern. Wenn das Stück „etwa gegen 1820 spielte, so wäre die ganze Schwierigkeit beseitigt.“ Und dennoch: Mochte auch Thomas Mann mit Entsetzen auf solch eine „Stylwidrigkeit“ in einem „Musikdrama anspruchvollsten Kalibers“ reagieren, die Ironie der Geschichte wollte es, dass Libretto und Musik „heute als eines der Erkennungszeichen der kulturellen Identität Österreichs gelten.“ (Jacques Le Rider). Und es waren ausgerechnet die Walzer, komponiert vom Sohn eines Münchner Hofmusikers, die zur Erfolgsgeschichte der Oper beigetragen haben.

Allusionen an Mozart, Belcanto und Wiener Walzer Die Schokolade ist serviert, die Marschallin zitiert Octavian neben sich auf das Sofa (erster Akt): „Philosophier’ Er nicht, Herr Schatz, und komm Er


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her. Jetzt wird gefrühstückt. Jedes Ding hat seine Zeit“. Sogleich wiegt sich die Orchestermusik im ruhigen Walzertempo. Doch kaum sind die genretypischen Begleitformeln eines Walzers von den Streichern gezupft und gestrichen, setzen Holzbläser mit einer Divertimento-Musik ein, die unverkennbar melodisch-rhythmische und harmonische Merkmale eines Menuetts aus dem 18. Jahrhundert aufweist. Der kleine Frühstücks-Walzer im ersten Akt ist ein Zwitter. Ob Walzer oder Menuett, die Reverenz an Mozart ist nicht zu überhören. Ebenso im Gesang der drei Waisen während des Levers („Glück und Segen allerwegen“), der eine Nähe zum Beginn des Terzetts der drei Knaben aus der Zauberflöte suggeriert („Bald prangt den Morgen zu verkünden“). Auch in Sophies und Octavians Duett „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“ (Finale, dritter Akt) scheint die Musik ihre Fühler nach der Zauberflöte auszustrecken, zum Duett „Könnte jeder brave Mann“. Und wie von fern scheint auch der „Abendsegen“ aus Humperdincks Hänsel und Gretel durch. Immerhin hat Richard Strauss 1893 die Weimarer Uraufführung dieser Oper dirigiert. Obwohl diese Reverenzen mehr oder weniger harmonisch und melodisch verbogen sind, kann von einer ironischen Brechung (noch) nicht die Rede sein. Gleichwohl sind sie stilistisch ambivalent. Sie blicken nach zwei Richtungen – so wie Hofmannsthals Figuren unter der Maske eines erfundenen antiquierten Redestils Stimmungen und Seelenzustände der Moderne reflektieren. Doch schon in der italienischen Arie des Sängers, der während des Levers im ersten Akt auftritt, folgt der Komponist einer anderen Spur, die nicht ins 18. Jahrhundert führt. Der Text dieses Bravourstücks aller Tenöre („Di rigori armato il seno“) stammt aus dem 17. Jahrhundert, aus dem „Ballet des nations“, das Molières Balletkomödie Le Bourgeois gentilhomme abschließt. Die Belcantomelodik hingegen überschreibt die galante Diktion der Ariette mit dem Schmelz einer emphatischen, parodistisch übertriebenen Italianità des 19. Jahrhunderts. Die Verfahren des Komponisten, gespickt mit Reverenzen und Anspielungen, streifen bereits im frühen 20. Jahrhundert musikalische Phänomene, die man Jahrzehnte später unter dem Etikett der Postmoderne versammelte. „Nur mit gebrochenen Traditionen kann man frei umgehen. Das gilt allgemein und nicht nur für Hofmannsthal.“ (Christoph König: Hofmannsthal. Ein moderner Dichter unter den Philologen, 2001). Vor allem den Wiener Walzer hat Strauss nicht allein imitiert, sondern dessen Traditionselemente mit aller Freiheit und Artifizialität entwickelt, mit der Virtuosität seines Könnens verschleiert, ironisch unterlaufen, zersplittert und sogar entstellt. Im dritten Akt, der in einem heruntergekommenen Vorstadt-Beisl spielt, setzt der Komponist die Walzerfolge in eine weiträumige Anlage, in welche Störungen und Unterbrechungen mehrmals hineinfahren, bis schließlich die Schreckladung einer dissonanten expressionistischen Klangattacke explodiert. Solcherlei Brechungen sind freilich auch vor der Folie zusammenhangstiftender, formbildender Strategien wahrzunehmen. Sie sorgen etwa mit leitmotivischen Rekurrenzen und ihrer motivisch-thematischen Verwandlung für einen aktübergreifenden Zusammenhalt der musikdramatischen Komposition. Zu Beginn des dritten Aktes herrscht im Orchester die ausgelassene Spiellaune einer Tarantella, durch die emsige Achtelketten im 12/8-Takt


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flitzen. Sie fungieren als Zeichen der italienischen Intriganten Valzacchi und Annina, die im ersten Akt Ochs ihre Dienste anbieten, im zweiten Akt den Eklat herbeiführen, als sie das Liebespaar Octavian und Sophie überraschen und den Baron herbeirufen. Die Orchestereinleitung mit anschließender Pantomimenmusik ist mehrschichtig angelegt. Zum ersten als sinfonischer Prozess, der Einleitung und Pantomime mit der dreimaligen Wiederkehr eines thematischen Hauptgedankens und seiner Durchführung zusammenhalten soll. Zum zweiten ist sie als theatralisierte Komposition zu hören. Sie dient einer Vorbereitung jener Schreck-Spektakel, die Baron Ochs beim Wirtshaus-Souper mit dem „Zofel“ Mariandel (alias Octavian) ängstigen sollen, bevor ihn noch Schlimmeres erwartet. Gleichzeitig wird das aufspringende Octavian-Motiv der Hörner, welche die Oper eröffneten, mehrmals nach dem Modus einer frei adaptierten Choralbearbeitung eingeblendet, bis es sich schließlich in dem Augenblick, als Octavian in Frauenkleidern und mit Häubchen die Szene der Pantomime betritt, in jenen Walzer verwandelt, der im ersten Akt seine Verwandlung in die Kammerzofe der Marschallin ankündigte. „Man sollte sich“, schrieb die Musikwissenschaftlerin Roswitha Schlötterer in ihrem Aufsatz Die musikalische und szenische Bedeutung der Rosenkavalier-Walzer (1985), „die kompositionstechnische Bedeutung klarmachen: welch merkwürdige musikalische Montagetechnik nämlich das kaleidoskopartige Zusammensetzen so heterogener Satzweisen mit sich bringt.“ Tatsächlich sind die Risse und Bruchstellen im Gefüge der Pantomimen-Musik die Vorboten dessen, was der Walzermusik im dritten Akt während der Ochs-Mariandel-Episode widerfährt. Das szenische Arrangement eines Geisterbahn-Theaters auf dem Theater, das man während der Pantomime unter der Regie des Intriganten Valzacchi probte, kommt nun zum Einsatz. So wie es aus geheimen Schiebetüren, blinden Fenstern und Bodenluken hervorspukt, erinnert es ein wenig an die barocken Maschinenspektakel, die auf den Bühnen des Wiener Volkstheaters weiterlebten. Während sich eine Walzerepisode nach der anderen ablöst, ist das Ziel der Attacken die psychische Demontage des Barons, der sich außerdem von schlimmen Erinnerungen an die missglückte Brautwerbung, ja von regelrechten Wahnvorstellungen bedrängt fühlt. Wann immer er sich dem Mariandel zu nähern sucht, glaubt er in ihrem Antlitz das Gesicht seines Erzfeindes zu erkennen. Dies signalisieren das Octavian-Motiv im Walzertakt und wirre Sechzehntelfiguren, die an den Eklat im zweiten Akt erinnern, als der Baron von Sophie eine Erklärung für ihr skandalöses Verhalten verlangte: „Eh bien, Mamsell, was hat Sie mir zu sagen?“. Bald aber rückt in der sentimentalen Wirtshausluft, geschwängert mit Mariandels vorgetäuschten Tränen der Rührung, alkoholisierten MelodieSeufzern und Hick-Ups das Orchester erst sekundenschnell, dann mit massiveren Irritationen, schließlich mit einem katastrophenartigen Überfall aller musikalischen Gemütlichkeit auf den Leib. Wie hier dem Baron Ochs musikalisch mitgespielt wird, als er sich endlich am Ziel seiner sexuellen Wünsche glaubt, das übersteigt alle Wiener Vorstadt-Parodien des barocken Theaters. Gerade noch hat eine aufblühende Walzerphrase der Streicher und Holzbläser dem Baron den Himmel versprochen, da fährt


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ein gewaltiger Schock durch die Musik. Das Teatro grotesco, das man Ochs bereitet, erreicht seinen Höhepunkt. Die Wucht, mit der ein gewaltiger c-Moll-Akkord zur fürchterlichen Dissonanz explodiert, wenn ihm die Trompeten eine Akkordfolge in fis-Moll, f-Moll, h-Moll, und C-Dur beimischen, und sodann ins Schrille umschlägt, sprengt den Walzer regelrecht in die Luft. Dazu läßt Strauss in der Tiefe der rumorenden Hörner, Blechbläser und Streicherbässe schweres Geschütz auffahren. Noch gewaltiger, aggressiver führt er das Orchester zum letzten katastrophenartigen Umbruch der Satzstruktur, aus der die letzten Walzerfloskeln gefegt werden. Mitten im gellenden verminderten Septakkord des Fortissimo-Orchesters, der in seiner vollen Lautstärke von Flöten, Oboen, Englischhorn, Hörnern, Basstuba und Celli gnadenlos gehalten wird, lässt er die Trompeten noch massiver die höllisch dissonierende Substanz ihrer Moll-Akkorde ertönen. Die Schlagzeuger dürfen mit Becken, großer Trommel und Rührtrommel wirbeln, lärmen und rasseln, was das Zeug hält. Und auf dem Gipfel des Höllenspektakels, nun im dreifachen Forte, repetiert das Orchester mit aller Härte einen fünftönigen Ganzton-Akkord. Die Dialektik der spielerischen Brechungen, angesiedelt zwischen Tradition und Moderne, kippt in das äußerste Extrem, ins Handgreifliche brutaler Klanggewalt.

Gebrochene Traditionen als Signaturen der Moderne In den Walzern, mit denen Richard Strauss seine ganz persönliche Sezession weg vom Wagnerschen Typus des Musikdramas betrieben hat, will das Stimmige nicht mehr ausschließlich gelingen. Nicht permanent, aber doch recht massiv sind in der Walzerkette des dritten Aktes die geschärften Klangspektren der musikalischen Moderne gegenwärtig, inmitten einer zunehmenden Ruinierung des Klanggeländes. Da werden wunderbare Melodien abrupt abgebrochen, von schrillen Attacken gestört, wie man sie aus der Elektra kennt. Als sollten sie ein für allemal der Übermittlung trügerischer Illusionen bezichtigt werden, wird das letzte Glied ihrer Kette, kurz vor dem Auftritt von Annina als verlassene Ehefrau mit großer Kinderschar, regelrecht demoliert und von einer – fast möchte man sagen futuristischen – Attacke schriller, rabiat gehämmerter Orchesterakkorde abgelöst. Gleichwohl hält sich noch heute die Behauptung, das Mixtum aus Walzern und Ancien Régime sei wie die Melange aus musikalischen Idiomen der Moderne und einer Musik à la Mozart ein unpassender Anachronismus. Doch ist der Begriff unangemessen. Eher sollte man von einer außerordentlichen Theatralität der musikalischen Komposition sprechen, einer Theatralität, die jene von Richard Wagners Musikdramen weit hinter sich läßt. Sie entspringt einem im Musiktheater ungewöhnlichen Modus einer zersplitterten Wahrnehmung dessen, was der Komponist (beim Komponieren) an Bühnenereignissen auf der Bühne imaginiert. Zu nennen wäre in erster Linie eine virtuelle Räumlichkeit der Klangstrukturen, welche die Ereignisse seltener als ein Ganzes fokussieren. Letzteres wäre noch die Wagnersche Perspektive des Musikdramas. Hingegen wählt Strauss wie etwa während des Levers im ersten Akt oder zu Beginn des zweiten Aktes


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(bis zum Auftritt von Octavian) sowie während der Walzer-Partien im dritten Akt verschiedene Perspektivierungen, die sich im blitzschnellen Wechsel der Fokussierung ablösen und die Wagnersche Totale quasi zersplittern. Wollte also die Moderne das Alte „für ihre neuen Zeiten richten“ und „es auf die letzte Stunde bringen“, wie der österreichische Schriftsteller Hermann Bahr in seinen Studien Zur Kritik der Moderne (1890) sagte, dann war davon, zumindest für Strauss, auch das Wagnersche Musikdrama nicht ausgenommen. Im Übrigen hat sich schon Heinrich Heine in der Harzreise darüber lustig gemacht, dass Anachronismen tunlichst zu vermeiden seien: „Trüge einmal Maria Stuart eine Schürze, die schon zum Zeitalter der Königin Anna gehört, so würde der Banquier Christian Gumpel sich mit Recht beklagen, daß ihm dadurch alle Illusion verloren gehe“. Nun. Perücke, Degen und Reifrock sind austauschbar, nicht aber die Musik. Sie ist intertextuell involviert, bis in die letzte Note der Partitur, die Strauss in einer Spannung von tradierten Mustern im bunten Nebeneinander und ihrer sinfonischen Überspielung, auch ironischen oder gar gewaltsamen Brechung hält. Musikalisch signalisiert Der Rosenkavalier subtil gebrochene, vielgestaltige Anspielungen auf Formen und Stile der alten Nummernoper, die der Komponist mit einer sehr eigenen Leitmotivtechnik, raffinerten Klangstrukturen und mit der Kultivierung eines neuen musikalischen Konversationsstils anreicherte.

Postscriptum Nur sechs Jahre nach der Uraufführung des Rosenkavalier kombinierte ein russischer Komponist im Schweizer Exil – es war Igor Strawinsky – für die Komposition der szenischen Moritat L’histoire du soldat (Die Geschichte vom Soldaten) ein völlig polyglottes, schräg verfremdetes Material aus russischer Folklore, Walzer, Tango und Pastorale, Ragtime, Marsch und Choral. Das kleine Musiktheaterstück entstand in einer entscheidenden Phase des Umbruchs in Strawinskys Werkbiographie. Es führte ihn zum Neoklassizismus. Richard Strauss ist diesen Weg nicht gegangen. Nicht einmal mit der Ariadne auf Naxos, in deren zweiter, völlig umgearbeiteten Fassung (1916) verschiedene Zeiten und Stile noch mehr als im Rosenkavalier ineinanderspielen. Was aber alle drei Opera in einer etwas seltsamen Nachbarschaft zusammenrückt, ist das moderne Bewusstsein der Komponisten, dass alle bisher gewonnenen musikalischen Mittel und historischen Stile frei verfügbar sind.

Barbara Zuber promovierte an der Freien Universität Berlin über das Spätwerk Anton Weberns. Sie war wissenschaftliche Angestellte im Studiengang Dramaturgie / Schwerpunkt Musiktheater am Theaterwissenschaftlichen Institut der LMU und Lehrbeauftragte für Geschichte und Dramaturgie der Oper an der Bayerischen Theaterakademie August Everding. Zu ihren Spezialgebieten zählt das Musiktheater des 20. Jahrhunderts.


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Prolog (1908) Das Leben ist manchmal so überströmend schön, dass mir die Tränen in die Augen kommen wie ich daran denke. Ich dank dir so sehr, dass du auf der Welt bist. Hugo von Hofmannsthal an Harry Graf Kessler, Semmering, 13. Februar 1908 Ich bleibe noch die Woche in Paris, bin Sonnabend oder Sonntag in Berlin und dann auch gleich im Savoy, um dich zu suchen. Wehe wenn du nicht da bist. Harry Graf Kessler an Hugo von Hofmannsthal, Paris, 24. Februar 1908 Liegt dagegen eine Komödie vor, hat sie sich auf dem Theater bewährt und existiert jede ihrer Figuren sozusagen wie etwas Wirkliches schon, so hat man auch die notwendige Frechheit, dann eventuell alles sehr en raccourci zu behandeln. Sie sind so sehr Künstler und verstehen auch von meinem Metier so viel, dass Sie sich meinen Argumenten gewiss nicht verschließen werden. Und warum auch einen Modus verlassen, der sich bei Salome so schön bewährt hat und bei Elektra, wie wir hoffen dürfen, bewähren wird. Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss, Rodaun, 4. Juli 1908 Sie sind der geborene Librettist, in meinen Augen das schönste Kompliment, da ich es für viel schwerer halte, eine gute Operndichtung zu schreiben als ein schönes Theaterstück. Richard Strauss an Hugo von Hofmannsthal, Garmisch, 6. Juli 1908

Faublas und Pourceaugnac (Februar–März 1909) Hofmannsthal fragte mich nach Claude Terrasse’s Travaux d’Hercule, die ihm Elias als so gut bezeichnet habe. Ich erzählte ihm im Anschluss daran Terrasses Faublas Operette. Hofmannsthal entzückt. Das sei gerade Etwas, wie er es für Strauss machen möchte; er wolle gleich den Faublas wieder vornehmen und suchen, ob er einen Stoff hergebe. Wenn das gelinge, dann sei er auf Jahre hinaus materiell geborgen. Mit dem Gelde, das so eine lustige Spieloper ihm und Strauss eintrage, könne er seine ganzen Kinder erziehen. Er werde dann viel freier, um Anderes zu schaffen. Harry Graf Kessler, Tagebuch, Weimar, 9. Februar 1909 Hofmannsthal erwähnte, dass er mit der Faublas Episode, die ich ihm gestern erzählt hatte, und die er inzwischen nachgelesen hatte, die Pourceaugnac Figur verbinden möchte, um aus der Verschlingung dieser beiden Motive eine Spieloper für Strauss zu machen. Er möchte, dass Pourceaugnac durch ein Stelldichein mit Faublas kompromittiert werde. Wir entwarfen dann zusammen im Hin u Herreden das Scenario. Morgen. Faublas steigt bei der Marquise aus d. Bett. Pourceaugnac, ein Verwandter der Marquise, kommt aus der Provinz an, um sich mit Sophie, der eigent-


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lichen Geliebten von Faublas, zu verloben, und lässt sich bei der Marquise melden. Faublas wird schnell als Kammerzofe verkleidet. Pourceaugnac tritt ein und wird von der Marquise im Bett empfangen. Lever der Marquise: viele Friseure, Lakaien, Geldverleiher u. s. w. (Hogarths Lever aus den Marriage à la mode.) Am Ende giebt Pourceaugnac Faublas, den er für ein Mädchen hält, ein Stelldichein. Zweiter Akt bei Sophie im Treppenhaus. Liebeszene zwischen Faublas u. Sophie. Faublas holt einen „Intriganten“ und eine „Intrigantin“, die Pourceaugnacs Plan vereiteln sollen. Pourceaugnac kommt; macht Sophie seine Antrittsvisite. Einzug von P. mit sehr viel Gepäck, Leuten u. s. w. Dritter Akt. Esshaus, in dem Pourceaugnac Faublas das Stelldichein gegeben hat. Im entscheidenden Moment werden sie auf Betreiben der Intriganten von der Sittenpolizei überrascht. Ausserdem führen die Intriganten eine ganze Anzahl Lumpe, die sie als „grands seigneurs“ kostümiert haben, herein. Pourceaugnac, der glaubt, dass es lauter Fürsten sind, ist verhaftet und vernichtet. […] Beim Anziehen fiel mir Rettung ein, die ich Hofmannsthal im Wagen sagte: nämlich Stellung von Akt I u II wie zuerst. Faublas kennt Sophie noch garnicht, sondern wird durch die Marquise im Auftrag von Pourceaugnac, um P. bei ihr anzumelden, zu ihr hingeschickt. Hier tritt die Peripetie des Stückes ein, indem 1) Faublas sich in Sophie verliebt, 2) Sophie Pourceaugnac kennen lernt und gleich hasst. […] So stehen sich Faublas und Pourceaugnac nicht nur wie Jugend und Alter, Schönheit und Hässlichkeit, schlechte und gute Manieren, sondern auch wie Täppischkeit und Geist gegenüber; dieses Antithetische kommt ganz rein heraus. Die Dummheit ist, wie in der Welt, das treibende Motiv, Geist macht sich die Bewegung aber zu Nutze. Ausserdem wird die Linie des Stückes ganz rein: Erster Akt: Liebesszene, Aufzug (der Bedienten), vielleicht Ballett. Zweiter Akt: Liebe des Faublas. Aufzug (Einzug des Pourc.) Liebesszene. 3. Akt. Clownsszene (Einkleidung der „Hochadligen“), groteske Liebesszene zwischen Pourc. und Faublas, der Pourceaugnac immer mehr zu animieren sucht (Grazie), Aufzug (Entlarvung, Einzug der falschen Adligen), Faublas’ Anerbieten u Liebesszene Sophie X Faublas. Hofmannsthal nahm Alles gleich an. Kessler, Tagebuch, Weimar, 10. Februar 1909


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Sophie nannte mich ihren jungen Cousin, ich nannte Sophie meine hübsche Cousine. Die Zärtlichkeit, die uns beseelte, schimmerte aus unseren kleinsten Bewegungen, sie strahlte aus unseren Blicken; noch hatte mein Mund das entscheidende Wort nicht gewagt, und meine Schwester erriet das Geheimnis nicht, oder aber sie hütete sich, an das ihrer Herzensfreundin zu rühren. Dem ersten Drängen der Natur blindlings preisgegeben, war ich weit entfernt, das verborgene Ziel zu ahnen. Von meinen Gesprächen mit Sophie befriedigt, beseligt, sie nur zu hören und hie und da ihre Hand küssen zu dürfen, kannte ich keine höheren Wünsche – auch hätte ich nicht sagen können, was ich eigentlich wünschte. Der Augenblick nahte, da eine der scharmantesten Damen der Hauptstadt das Dunkel, das mich umgab, lichten und mich in die süßesten Mysterien der Venus einweihen sollte. Aus: Jean-Baptiste Louvet de Couvray: Die Liebesabenteuer des Chevalier Faublas, deutsche Fassung nach der anonym erschienenen Übersetzung von Christoph Martin Wieland. Leipzig/Weimar: Kiepenheuer 1979, S. 21. Drei Kinder Papa! Papa! Papa! Herr von Pourceaugnac Zum Teufel mit diesen Bankerten. Lucette Oh, du Bube, du Betruge, du bist nix außer dich, zu sein im Angesichte von Sprößlinge, du versperr Gehöre der vaterlich Zärtlichkeite? Aber du wirst nix entwisch, du Rabenpapa! Io geh mit dir überalle immer und reibe dir deine Ruchelose unter dein Nas bis ich bin gerochen und du im Galgen. Aus: Molière: Herr von Pourceaugnac, Deutsch von Hans Weigel, Zürich, Diogenes 1964, S. 214. Wieder mit Hofmannsthal über die Komödie. Er hat das Motiv gefunden, warum Faublas zu Sophie geschickt wird: als Brautwerber, um ihr nach alter Wiener Sitte den Besuch des Bräutigams anzukündigen und ihr eine silberne Rose zu überreichen. Damit würde der zweite Akt anfangen, was pantomimisch sehr hübsch ist und Etwas Zartes als Kontrast zum Groben des Pourceaugnac giebt. Kessler, Tagebuch, Weimar, 11. Februar 1909 Ich habe hier in drei ruhigen Nachmittagen ein komplettes, ganz frisches Szenar einer Spieloper gemacht, mit drastischer Komik in den Gestalten und Situationen, bunter und fast pantomimisch durchsichtiger Handlung, Gelegenheit für Lyrik, Scherz, Humor und sogar für ein kleines Ballett. Ich finde das Szenarium reizend, und Graf Kessler, mit dem ich es durchsprach, ist entzückt davon. Zwei große Rollen für einen Bariton und ein als Mann verkleidetes graziöses Mädchen à la Farrar oder Mary Garden. Zeit: Wien unter Maria Theresia. Hofmannsthal an Strauss, Weimar, 11. Februar 1909 Vormittags und Nachmittags in Reinhardts Speisezimmer Unter den Zelten mit Hofmannsthal das Scenario des Faublas weiter ins Einzelne bearbeitet, den ersten und zweiten Akt. Ich hatte für diese beiden Akte Dinge aufnotiert, die H. akzeptierte. So das Gegenspiel zwischen Pourceaugnac, der Marquise und Faublas im ersten Akt, das darauf beruht, dass Faublas


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möglichst schnell fortwill, während P., der ihn für ein Mädchen hält, ihn festzuhalten sucht. Die Marquise, die P.’s Verliebtheit merkt und den Spass sehr goûtiert, zieht schliesslich eine Miniatüre von Faublas heraus und macht selber P. auf die Ähnlichkeit aufmerksam, indem sie sagt, die Kammerzofe sei eine natürliche Schwester ihres Neffen Faublas; ob P. vielleicht dieser junge Herr als Brautwerber recht sei? Durch diesen tollen Übermut der Marquise wird motiviert, dass F. Brautwerber wird. Im zweiten Akt, statt des Banketts, um Pourc. und Géronte [Vaterfiguren dieses Namens treten in Molières Komödien Les Fourberies de Scapin und Le médecin malgré lui auf, Anm.] von der Bühne wegzubringen und Sophie und Faublas allein zu lassen, Notare, die mit P. und G. den Ehekontrakt aufsetzen müssen und dazu mit ihnen in den Nebenraum gehen: beim Bankett hätten Faublas und Sophie zugegen sein müssen. Hierzu der weitere Vorteil, dass das Auftreten der „Antichambre“ im ersten Akt, auf das H. dekorativ großen Wert legt, mit der Handlung verknüpft wird, indem die Marquise sie hereintreten lässt, um P. ihren Notar, der mit antichambriert, vorzustellen. So kann denn im ersten Akt Pourc. dem Notar seine Weisungen geben, während rechts die Marquise frisiert wird und ein Flötist schmelzend die Flöte spielt. Kessler, Tagebuch, Berlin, 15. Februar 1909 Ich hatte auf Strauss Bitte den ersten Act der Spieloper möglichst vollständig zu textieren, brachte auch Anfang und Ende zustande, nur ein Stück in der Mitte fehlt noch, las es ihm und hatte die Freude dass es ihm sehr, und ohne Einschränkung, gefiel. Ich selber betrachte es noch nicht als die definitive Niederschrift, doch glaube ich den Ton für die Figuren, aristokratisch-wienerisch-familiär, mit einem Firnis von Carl VI-Allongeperückenceremonial, getroffen zu haben. Ich hoffe, ich kann eine gewisse Einwirkung auf ihn nehmen, dass er auch sich von Salome und Elektra energisch differenciert. Gewiss ist bei diesem eigentümlichen Verhältnis meine Pflicht, ihn auch in gewissem Sinn zu führen. Denn Kunstverstand habe ich mehr als er, oder höheren, auch besseren Geschmack. (Im Übrigen mag er mir an Kraft oder eigentlichem Talent überlegen sein, das gehört ja nicht hierher.) Hofmannsthal an Kessler, Rodaun, 26. März 1909

Ochs von Lerchenau und Quin-Quin (1909–1910) Meine Arbeit fließt wie die Loisach, ich komponiere alles mit Haut und Haar. Morgen beginne ich schon mit dem Lever. Die Szene des Barons ist schon fertig; nur müssen Sie mir noch etwas nachdichten. Am Schluß der Arie des Barons nach der Stelle: „und ein Heu muss in der Nähe dabei sein“ brauche ich eine große musikalische Konklusion in Form eines Terzetts: der Baron wiederholt in schnellstem Parlando: „Dafür ist man kein Auerhahn und kein Hirsch, sondern man ist der Herr der Schöpfung. Wollt ich könnt sein wie Jupiter selig in tausend Gestalten, Wär Verwendung für jede.“


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Nun soll er sich in immer weiteren Prahlereien dessen, was er alles leisten kann, unaufhörlich steigern, Womöglich in daktylischem Rhythmus: 16 bis 20 Verse in Buffo-Charakter. Darüber ein Duett mit der Marschallin, Fortsetzung des Inhalts „Er agiert mir gar zu gut, laß er mir doch das Kind, er verdirbt mir das Mädchen, schweig er doch still“ etc. Dazu Octavian, den ich nach den letzten Worten des Barons „Nur ein Heu muss dabei sein“. in eine große Lache herausplatzen lassen möchte und der sich in Glossen über den Baron lustig macht. Das gibt eine famose Terzettsteigerung bis zu dem Moment, wo der Baron sich besinnt und einlenkt mit den Worten: „Geb sie mir doch den Grasaff da etc.“ Wollen Sie mir dazu noch etwas nachdichten: die Musik ist schon fertig, ich brauche nur Worte zur Begleitung und zum Ausfüllen? [Diese Nachdichtung beginnt im Libretto mit der Zeile „Weiß mich in Heu und Stroh zu bequemen“ vgl. S. 107, Anm.] Sehr schön wäre es, wenn Sie für den 2. Akt an ein kontemplatives Ensemble dächten, nach dem Moment, wo vielleicht gerade eine dramatische Bombe geplatzt ist, die Handlung stillesteht und alles sich in Betrachtungen verliert. Solche Ruhepunkte sind sehr wichtig. Beispiele: 2. Akt Lohengrin, das große Ensemble, das sogenannte „dumpfe Brüten“. Meistersingerquintett. Auch Barbier von Sevilla, Schluss des ersten Aktes: As-dur-Ensemble: „Seht nur den Bartolo und den Basilio“. Jeder Musiker kennt die Sachen und kann sie ihnen vorspielen. Strauss an Hofmannsthal, Garmisch, 16. Mai 1909 Vor einer Stunde kam dein Paket und ich habe es gleich in einem Atemzug durchgelesen. Ich habe viel gelacht, finde den Dialog sehr geglückt, in den komischen Partien so prickelnd und geistreich wie man es sich nur wünschen kann, der Gang der Handlung rapide, und sicher; und sicher nicht einen Augenblick langweilig. […] Etwas ernster ist mein Bedenken gegen die lyrischen Partien, die ja gewiß notwendig sind, die mir aber namentlich beim Baron doch etwas aus dem Charakter der Person herausfallen. (Auch bei der Marschallin nachher etwas). Man hört Hofmannsthal-Oedipus. Der Baron wird plötzlich ein großer Dichter, etwa von S. 22 unten: „Da hats Nächte“ an, aber besonders einige Zeilen weiter p. 23 von „Und bis wie sich das mischt“ bis „und spielt und plätschert im Bach und in der Pferdeschwemme“. Das ist reiner, unverfälschter, lyrischer Hofmannsthal: man wird ganz irre an der Figur. Ich finde, hier müsste sich der Baron viel derber, roher, Jordaensscher [Jacob Jordaens, flämischer Barockmaler, Anm.] geben, nicht wie ein verkappter junger Dichter. Kessler an Hofmannsthal, Marseille, 17. Mai 1909


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Bitte Harry lies die ganze Arie jetzt neben mir sitzend ruhig durch, ob da ein Dichter redet, ein Oedipus-Hofmannsthal –‚ oder ein glouton, ein goulu von seiner Lieblingsspeise redet. Lies es und denk dir es von einem fetten lüsternen Gesicht, halb Fuchs halb Schwein, buffonesk gesungen, wie ich unterm Arbeiten immer singe und agiere. Die Stelle: da hats Nächte ist doch, Herr Gott, mehr cynisch als lyrisch – denk dir sie mit einem entsprechenden Gesicht gesungen – dann weiter: und überall sucht was … ist doch nur enumeration seines embarras de richesse nicht „Stimmung“. Hofmannsthal an Kessler, ohne Ort, 20. Mai 1909 Es handelt sich um Ausdrucks Nuancen, ohne Veränderung der Worte, die du dir sogar wahrscheinlich schon so gedacht hast, die aber in der Musik durchaus klar und scharf markiert werden müßten. Nämlich das „mauvais genre“, familiäre, das Ochs in seiner Erzählung (Arie), das er gegen die Marschallin hervorkehrt, und das sich in einem ordinären ins Ohr füstern seiner Anzüglichkeiten markiert (dieses „ins Ohr flüstern“ musikalisch durch jeweiliges obligates Piano und Herausheben der Stelle aus dem Fluß des Ganzen, etwa durch eine andere Klangfarbe oder ein neues Motiv oder Ähnliches zu dokumentieren). Ich habe mir die zu dieser Nuance auf fordern, notiert. p. 22 von der drittletzten Zeile an „und sind auch ansonsten anstellig und gut ihrer zweie, dreie etc bis „mir im Haus.“ p. 25 „Muss halt ein Heu in der Nähe dabei sein“ (Ochs hält bei dieser Stelle die Hand an den Mund und neigt sich vertraulich der Marschallin ans Ohr). Kessler an Hofmannsthal, Paris, 5. Juni 1909 Strauss ist halt ein so fabelhaft unraffinierter Mensch. Hat eine so fürchterliche Tendenz zum Trivialen, Kitschigen in sich. Was er von mir verlangt an kleinen Änderungen, Verbreiterungen etc. geht immer nach dieser Richtung. Z. B. bei der Arie des Ochs hatte ich genau dieselbe Mimik vor Augen, die du mir schriebst. Er lässt ihn das alles prestissimo herunterbrüllen, so unnuanciert, dass die Veränderungen des Textes gar nichts ausmachen, so wenig schmiegt sich die Musik ans Wort. Und die Zeile „Muss halt ein Heu in der Nähe dabei sein“ statt zu flüstern lässt er ihn brüllen: Muss halt ein Heueueueueu (ff!) in der Näh’ dabei sein. Darüber werd ich ihm noch extra schreiben. Sonst ist im ersten Act vieles Hübsches, vieles Witzige, vieles Melodiöse selbst am Clavier ohne den Glanz des Orchesters. Eine merkwürdig gemischte Natur, aber das ordinäre so gefährlich leicht aufsteigend wie Grundwasser. Hofmannsthal an Kessler, Starnberg, 12. Juni 1909 Noch eines – erlauben Sie mir da ganz aufrichtig zu sein: in der Arie des Ochs störte mich ein Detail ganz ungeheuer. Die Zeile: „muss halt ein Heu in der Nähe dabei sein“, ist nur in einem Ton, schauspielerisch ebenso wie musikalisch, denkbar. Nämlich vertraulich plump, pfiffig geflüstert. Als eine dumm-schlaue Intimität zu der Marschallin, mit vorgehaltener Hand geflüstert, aber um Gottes willen nicht gebrüllt! Dass er ff brüllt: „Heuuu“ hat


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mir geradezu einen Stich gegeben. Ich bitte vielmals, ändern Sie das, nicht mir zuliebe natürlich, sondern um des Ganzen willen. Wie wundervoll nuanciert Wagner solche Dinge in der Deklamation. Ich schicke Ihnen morgen die unwesentliche Umfassung dieser Arie. Hofmannsthal an Strauss, Starnberg, 12. Juni 1909 [Für das „Heu“ des Barons hat Strauss schließlich Piano vorgeschrieben, Anm.] Für den Schluss des dritten Aktes, das ausklingende Duett von Sophie und Octavian, habe ich eine sehr hübsche Melodie: Wäre es Ihnen möglich, mir circa 12 bis 16 Verse zu schreiben in folgendem Rhythmus: Süße / Eintracht, du / holdes / Band Voll treuer / Liebe / Hand in / Hand Fest ver / eint für / alle / Zeit Fest ver / eint in / Ewig /keit Mir fällt gerade nichts Besseres ein, handelt sich nur um den Rhythmus. So ein recht populäres Vaudeville-Gedicht: etwa 3 Strophen, 12 Verse. Nach obigem Schema! Strauss an Hofmannsthal, Garmisch, 26. Juni 1909 Bitte nicht böse sein und alles ruhig überlegen, was ich Ihnen jetzt sage. Schon bei der ersten Lektüre des II. Aktes fühlte ich, dass daran etwas nicht stimmte, dass er matt und flau sei und die richtige dramatische Steigerung entbehre. Heute weiß ich auch ungefähr, was fehlt. Der erste Akt als Exposition mit seinem beschaulichen Schluß ist ausgezeichnet. Der zweite entbehrt des notwendigen Gegensatzes und der Steigerung, die unmöglich erst der III. Akt bringen kann. Der III. muss die Steigerung des II. noch übertrumpfen, das Publikum kann nicht bis dahin warten: mit einem flauen Erfolg des II. Aktes ist die Oper verloren. Auch ein guter dritter kann dann nichts mehr herausreißen. Nun hören Sie zu, wie ich mir den II. Akt denke. Fällt Ihnen noch was Besseres ein, tant mieux! Also bis zum Auftritt des Baron ist alles famos. Aber von hier ab muss es anders werden. Die zwei Szenen des Barons mit Sophie sind falsch disponiert. Alles Wichtige dieser beiden Szenen muss gleich in die erste Szene hinein, in der sofort der Baron Sophie so unsympathisch werden muss, dass sie den Entschluss fasst, ihn nie zu heiraten. Octavian muss Zeuge der ganzen Szene bleiben, innerlich immer wütender werden, wenn der Baron, sich vor ihm gar nicht genierend, im Gegenteil ihm als jungen Dachs mit seinem Glück bei Weibern vorrenommierend, mit Sophie seine Kapriolen macht. Dann Abgang des Baron zur Unterschrift nebst seinen Abschiedsworten an Octavian, wo er ihm rät, Sophie etwas zu „degourdieren“. Dann Erklärung zwischen Octavian und Sophie nebst dem Knalleffekt der Überraschung durch die beiden Italiener. Aber von jetzt ab: auf das Geschrei der Italiener kommt der Baron selbst herbei, die Italiener erzählen ihm alles. Der Baron, anfangs mehr belustigt als wütend, zu Octavian: na, mein Bürschchen, du hast ja rasch von mir


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gelernt. Der Disput zwischen Octavian und dem Baron wird immer heftiger; Duell, worin Baron von Octavian am Arm verwundet wird. Auf des Barons Geschrei: „er hat mich ermordet“ stürzt alles herbei, großes Tableau, Skandal: „der Rosenkavalier hat den Bräutigam verwundet!“ Faninal entsetzt, des Barons Gefolge verbindet seinen Herrn, Sophie erklärt, sie werde den Baron nie heiraten. Nun kann die Rolle Faninals auch etwas pointierter werden, er weist den Octavian fort, erklärt Sophie, dass der Heiratspakt durch Unterschrift fix und fertig sei, dass er sie ins Kloster schicke, wenn sie den Baron nicht nehme. Octavian wütend ab, zu dem Baron: wir sehen uns wieder, Baron. Sophie wird ohnmächtig aus dem Saal getragen. Baron bleibt allein, diesmal noch als Sieger, zurück. Kleiner Monolog, worin er teils auf Octavian schimpft, teils über seine Wunde stöhnt, teils sich seines Glückes von Lerchenau freut. Dann schleichen die Italiener herbei und überbringen die Einladung zum Rendezvous mit Mariandel. Dies kann für das Publikum noch gut als Überraschung wirken. Nicht vorbereiten. […] Jedenfalls muss es schon im zweiten Akt zum Krach kommen, der ausklingende Schluß wirkt dann famos. Jetzt wirkt er nicht, da die Steigerung vorher zu schwach ist. Habe ich mich deutlich ausgedrückt! Bitte überlegen Sie sichs. Wenn Sie wollen, komme ich auch nach Aussee, mich mit Ihnen zu beraten. So kann ich den zweiten Akt unmöglich gebrauchen. Er ist nicht gut disponiert und matt. Glauben Sie mir, mein Gefühl trügt mich nicht. Das Lied: „Mit dir, mit dir keine Nacht mir zu lang“ kann schon in der ersten und einzigen Szene zwischen Baron und Sophie gebracht werden. Wirkt dann am Schluß als Reminiszenz famos. Strauss an Hofmannsthal, Mürren, 9. Juli 1909 Sie werden nicht im Ernst glauben, dass ich Sie in einer solchen Situation im Stiche lassen oder Ihnen Schwierigkeiten machen könnte. Was Sie fordern, ist für Ihren (musikdramatischen) Standpunkt unerläßlich; es widerspricht weder der Anlage der Hauptfiguren, noch – im großen und ganzen – der Linie des Stückes, also werde ich es ausführen, und zwar sobald wie möglich. Hofmannsthal an Strauss, Rodaun, 11. Juli 1909 Gewiss, Strauss hat recht, der Akt ist so viel besser, ja ausgezeichnet! Sehr gefällt mir auch das Motiv der „verfluchten Visage“, das so für den III. Akt entsteht. […] Ich finde übrigens, dass wir zu dreien, du, Strauss und ich, einen ganz ordentlichen Sardou abgäben [Victorien Sardou (1831–1908) schrieb u. a. Libretti für Jacques Offenbach, Anm.] Doch, Scherz beiseite, natürlich wird Quin-Quin viel besser als der Artus’sche Faublas, weil der dichterische „Charme“, das Individuelle und Seltene deiner Vision hinzukommt. Kessler an Hofmannsthal, Arles, 3. August 1909 Hoffe, Sie haben an dem 2. Akt nun Freude, die Sie in erster Linie sich selber verdanken. Ich habe an diesem einen Fall für dramatische Arbeiten für Musik etwas Fundamentales und nicht zu Vergessendes gelernt. Hofmannsthal an Strauss, Aussee, 3. August 1909


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Bekomm ich für die Schlussszene des II. Aktes (Baron allein) noch einige drollige Verse: Flucherei auf Octavian, Triumph über den Sieg, Schmerzen im Arm, so ein Gemisch von Kater und Lustigkeit? Strauss an Hofmannsthal, Garmisch, 15. September 1909 Der Titel Quin-quin ist Strauss und mir gleich unsympathisch und absolut unacceptabel wegen des fatalen Anklanges an zahllose französ. Possen und Operetten To-to, Rip-rip etc. etc. Wir fragen uns, ob das Mariandel, mit irgend einem Adjektiv (aber welchem?) nicht den richtigen Titel hergeben würde. Oder der Rosencavalier, was sagst du dazu? Hofmannsthal an Kessler, München, 8. Oktober 1909 Mariandel nicht übel. Wie wäre etwa Der Grobian in Liebesnot oder Der Grobian im Liebesspiel? Kessler an Hofmannsthal, Paris, 11. Oktober 1909 Ich bin ziemlich fest für den Titel Ochs von Lerchenau entschlossen, der den buffo in die Mitte stellt, das derbe Element andeutet und ganz gut klingt und aussieht. Hofmannsthal an Kessler, Berlin, 18. Dezember 1909 Nachmittags mit Hofmannsthals zu Richard Straussens, wo Tee getrunken, und Strauss uns den 2ten Akt der Spieloper Duellszene, Briefszene und Schluss vorspielte. Frau Strauss tanzte und sang zum Walzer mit hochgehobenen Röcken. Kessler, Tagebuch, Berlin, 21. Februar 1910 In aller Kürze: das letzte Stück (anbei!), das Sie mir schickten, gefällt mir in der Disposition gar nicht. Zu breit, zu zerflatternd, alles hintereinander, statt aufeinander platzend. Der Eintritt der Marschallin und die folgende Szene muss der Brennpunkt der Handlung und Spannung und äußerst konzentriert sein. Wenn der Baron und der ganze Trubel fort, dann muss sich erst alles allmählich in Lyrik auflösen und in weichen Linien zurückgehen. Der Brennpunkt ist die enorme Verlegenheit des Baron, als er sich plötzlich den drei starr ihm gegenüber stehenden Gesichtern gegenüber sieht: Marschallin, Octavian, Sophie. Wie er nun zwischen den drei hin und her taumelt, muss äußerst drastisch sein. Strauss an Hofmannsthal, Garmisch, 20. Mai 1910 Für das allerletzte Duett, Quinquin-Sophie, war ich ja durch das von Ihnen gegebene Versschema sehr gebunden, doch ist eine solche Gebundenheit an eine Melodie mir eigentlich sympathisch gewesen, weil ich darin etwas Mozartisches sehe und die Abkehr von der unleidlichen Wagnerischen Liebesbrüllerei ohne Grenzen, sowohl im Umfang als im Maß, – eine abstoßend barbarische, fast tierische Sache, dieses Aufeinander losbrüllen zweier Geschöpfe in Liebesbrunst, wie er es praktiziert. Ich hoffe also, Sie sind zufrieden – mir war die Arbeit an dieser Sache so sympathisch, dass es mich fast traurig machte, Vorhang darunter schreiben zu müssen. Hofmannsthal an Strauss, Rodaun, 6. Juni 1910


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Schluss des Rosenkavaliers erhalten, scheint mir perfekt. Bahr, den ich in München den III. Akt lesen ließ, findet Sophie nicht naiv und reizvoll im Ausdruck. Er wird Ihnen selbst darüber schreiben. Strauss an Hofmannsthal, Garmisch, 1. Juli 1910 Mein Lieber, da die Musikcomödie dir gefiel, vielleicht mehr als sie verdient, so möchte ich sie dir widmen, wenn ich darf (Natürlich die Buchausgabe, nicht das rein merkantilisch gedachte Textbuch.) Mir schwebte vor, dich nur mit deinen Initialen zu bezeichnen, als den „verborgenen Helfer“. Aber vielleicht ist der volle Name richtiger – dann freilich ohne Attribut. Mir scheint das erste fast sympathischer, das zweite entspricht mehr der bürgerlich-realen Formulierung, deren wir uns ja entgegen den Romantikern zu bedienen uns gewöhnt haben. Vielleicht sagst du mir ein Wort welches von beiden dir sympathischer klingt. Hofmannsthal an Kessler, Rodaun, 5. Juli 1910 Wenn Schröder mir seine Odyssee oder Dehmel seiner Zeit seine Zwei Menschen als „Helfer“ dediziert hätten, so wäre das für mich eine große Ehre und Freude gewesen. Beim Rosenkavalier stammt aber die Konzeption selber und die Ausarbeitung des Pantomimischen, Grundlegenden, d.h. also die Substanz des Werkes zu einem Teil von mir, wie sie zum andren von dir stammt. Wenn du nachher über diesen Grundriß einen luftigen und reizenden poetischen Bau errichtet hast, so bin ich dadurch ebensowenig zum bloßen „Helfer“ geworden, wie du Strauss gegenüber, dadurch dass er wieder deine Poesie mit Musik ausschmückt. Wir sind alle drei im ganz gewöhnlichen und üblichen Sinn Mitarbeiter und als solchen, und nur als solchen, kann ich mich, wenn überhaupt, in der Widmung bezeichnen lassen. Also nochmals, ich bin ganz einverstanden damit, wenn Nichts geschieht: wenn aber eine Widmung hineinsoll, so könnte ich nur eine Widmung annehmen, die mich als Mitarbeiter bezeichnet, also etwa: dem unbekannten Mitarbeiter H. K. Kessler an Hofmannsthal, Paris, 21. August 1910 Wo das Scenarium gelegentlich mich kalt ließ – hat der Gedanke an deine Teilnahme mich gespornt – die Sicherheit deiner schöpferischen Kritik mir vor mir selber den Rücken gedeckt. Dies alles auszusprechen, dir gegenüber, Strauss gegenüber, unseren gemeinsamen Freunden gegenüber, war mir Bedürfnis und Freude. Die Widmung sollte es nochmals zusammenfassen. Hierfür glaubte ich das Wort gefunden zu haben, dem discretes und reines Pathos innewohnte – und hab für dein Ohr falsch gewählt, wie sehr, darüber belehrt mich der Ton deines Briefes, der mit allen früheren eines zwölfjährigen Briefwechsels nichts als die Handschrift gemein hat. Hofmannsthal an Kessler, Aussee, 25. August 1910 Jetzt, wo die Sache eine solche Wendung ins Mäßige genommen hat, bitte ich dich, deine erste Absicht, falls sie dir nicht verleidet ist, auszuführen. Ich werde mich freuen, das Werkchen aus deiner Hand anzunehmen, und gewiss nicht an den Streit um die Bedeutung des Wortes „Helfer“ zurückdenken. Kessler an Hofmannsthal, Paris, 27. August 1909


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Ich habe mich indessen, mehr noch durch eigenes Nachdenken als durch deinen Brief, mit dem Ausdruck „Mitarbeiter“ so sehr befreundet, dass ich durchaus bitte, endgültig diesen anstatt des andern Wortes anwenden zu dürfen, der ja das tatsächliche Verhältnis am richtigsten und nettesten kennzeichnet. Hofmannsthal an Kessler, Aussee, 6. September 1910 Bitte tu in Bezug auf die Widmung, was du für richtig hältst; mir ist der Ausdruck „Helfer“ nach deinen so freundschaftlichen Auseinandersetzungen ebenso lieb wie der andre. Kessler an Hofmannsthal, Ranville, 14. September 1910

Epilog (später) Ja, ich fühle mich geradezu berufen zum Offenbach des 20. Jahrhunderts, und Sie werden und müssen mein Dichter sein. Offenbachs Helena und Orpheus haben die Lächerlichkeiten der grand opéra ad absurdum geführt. Das, was ich mit meinen aus der Luft gegriffenen Anrempelungen, die Sie so sehr übelnehmen, meine, wäre eine politisch-satirische Parodie schärfsten Stiles. Warum sollten Sie das nicht können? Sie schreiben überhaupt zu wenig; spannen Sie doch Ihren Pegasus mal feste an. Das Luder wird dann schon laufen. Vom Rosenkavalier weg geht unser Weg: Sein Erfolg beweist es, und ich habe für diese Art (Sinnlichkeit und Parodie sind die Empfindungen, auf die mein Talent am stärksten reagiert) nun mal die meiste Schneid. Strauss an Hofmannsthal, Garmisch, 5. Juni 1916 Wir werden ja sehen, ob etwas auf diesem Wege werden kann. Jedenfalls freut es mich, denn es ist der Weg, (nur weiter gegangen), den ich mit dem Rosenkavalier früher wollte. Damals sind Sie ja teilweise gar nicht darauf eingegangen, haben Manches in einem ganz falschen Stil behandelt, was mich damals sehr gekränkt hat, aber ich habe geschwiegen. Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss, Rodaun, 11. Juni 1916 [nicht abgeschickt] Nachher zu Thomas Mann, der ein paar hundert Schritt weiter eine schöne Villa bewohnt. Sehr großes, helles Arbeitszimmer mit Blick auf den See. Er sprach von meinen Erinnerungen, die ihm sehr gefallen hätten, und von denen er einzelne Stellen hervorhob. Dann von Hofmannsthal; den Rosenkavalier halte er für unsterblich wie den Figaro, den Barbier und Carmen, ein völlig geglücktes Werk. Ich erklärte ihm meinen Anteil am Szenario. Kessler, Tagebuch, Zürich, 20. Februar 1937


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Der Rosenkavalier ist, um es mit Luis Buñuel zu sagen, ein obskures Objekt der Begierde des Publikums, wie es in der Geschichte der Oper selten eines gab. Wenn man sich Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal wie eine Rockband ihrer Zeit vorstellt, dann ist Der Rosenkavalier ihr erfolgreichstes Album. Strauss hat das Stück in zahlreichen Erscheinungsformen weiter vermarktet – in Suiten, in Walzerfolgen, als Musik für den Rosenkavalier-Film von Robert Wiene aus dem Jahr 1926. Alle diese Verarbeitungen hatten mit dem eigentlichen Stück fast gar nichts mehr zu tun, und wenn man dem Rosenkavalier durch sie vermittelt begegnet, ist das so, als würde man Yellow Submarine von den Beatles erst einmal durch ein T-Shirt mit dem aufgedruckten Logo kennenlernen. Man begeistert sich für ein Abziehbild, und nach diesem Muster hat sich auch eine Art Fetischisierung des Rosenkavalier ereignet. Wenn man sich dem eigentlichen Werk nähert, dann erkennt man, dass es sich um ernste, auch um experimentelle Kunst handelt. Das zeigen schon die zahlreichen Bezüge, die Strauss und Hofmannsthal herstellen – zu Mozart, Da Ponte, Beaumarchais und Molière, seinem Monsieur de Pourceaugnac und Le Bourgeois gentilhomme, aus dem Hofmannsthal die Arie „Di rigori armato il seno“ entnommen hat. Als jüngerer Mensch hatte ich keinen Zugang zu dem Werk. Dieses Wien von 1740 hat mich völlig kalt gelassen – bis ich verstand, dass Der Rosenkavalier mit dem Wien von 1740 genauso wenig gemein hat wie Salome mit dem Biblischen Judäa. Es ist ein durch und durch modernes Stück und absolut auf der Höhe seiner Zeit. Musikalisch hat das Werk mit dem Rokoko natürlich überhaupt nichts zu tun, was schon mit dem Walzer beginnt, den es damals gar nicht gab. Dafür hört man aber die decadénce der Jahrhundertwende, die Strauss zum Beispiel in der Szene der Rosenüberreichung komponiert. In der langen Inszenierungstradition wiederholen sich Elemente, die mir den Zugang zu dem Stück erschwert haben: Zum einen die Hommagen an Alfred Roller, den Bühnenbildner der Dresdner Uraufführung von 1911. Alle Inszenierungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden entweder in Nachbauten der Roller-Ausstattung gespielt oder in Bühnenbildern und Kostümen, die sich eng an Roller anlehnen, ihn zitieren und also das Stück auf eine Ästhetik festlegen, die fast unveränderlich erscheint. Zum anderen wird Der Rosenkavalier fast immer mit umfangreichen musikalischen Strichen gespielt. Für mich war es eine richtiggehende Ent­ deckung, als ich herausfand, dass die Länge, die ich bei Rosenkavalier immer empfand, vor allem an den Kürzungen lag. Ohne Striche wirkt das Stück deutlich kürzer. Weil es viel mehr Sinn ergibt. Zum Beispiel werden die derben Stellen des Ochs, die „Mägdearie“ im ersten Akt und die Prahlerei mit seinem unehelichen Sohn gegenüber Octavian im zweiten Akt, oft übersprungen, in der „Mägdearie“ wird häufig mehrfach gesprungen. Dadurch geht aber der Rhythmus verloren, mit dem Hofmannsthal seine Figur charakterisiert hat und den Strauss musikdramaturgisch genial umgesetzt hat. Das Stück fließt besser, wenn man ihm seine innere Logik lässt. Um das Werk zu verstehen und wirklich schätzen zu lernen, muss man zuerst durch die Interpretationsgeschichte hindurch zu ihm durchdringen. Ich habe eine Weile die Position vertreten, dass man den Versuch unternehmen sollte, Musik und Musiktheaterwerke gewissermaßen interpreta-


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tionsfrei zu spielen. Damals habe ich versucht, Susan Sontags Ansatz aus ihrem berühmten Text Against Interpretation auf die Musik zu übersetzen. Ich habe darüber mit einem befreundeten Regisseur diskutiert, der sagte: es ist unmöglich, ein Stück nicht zu interpretieren. Schon wenn du es liest, indem du es mit deiner Stimme vorliest, interpretierst du es. Auch wenn du dabei gar nichts im Schilde führst. Und ich glaube, er hat recht. Das heißt, auch eine bewusste Nicht-Interpretation ist eine Interpretation. Für unsere Auseinandersetzung versuchen wir, den originalen Text von Strauss und Hofmannsthal als Vorlage zu nehmen und daraus ein zeitgemäßes Verständnis dieses Werks zu entwickeln. Die Interpretationsgeschichte des Werks, die sogenannte Tradition, spielt dabei eine wichtige informative, aber wirklich nur informative Rolle. Dabei hilft es, über Zeit nachzudenken, auf verschiedenen Ebenen. Das Stück handelt davon, wie die Zeit verläuft. Und 1911 hatte man davon ein ganz anderes Verständnis. Was damals unter schnelleren Zeitabläufen verstanden wurde, erscheint uns heute wie ein Schneckentempo. Dabei schreibt Strauss für die Musik ein sehr schnelles Tempo vor, aber es geht nicht um Zahlen, es geht um das innere Rhythmusgefühl, das wir an einem Theaterabend empfinden. Für die Entstehung des Rosenkavalier haben Autoren wie Beaumarchais und Molière eine Rolle gespielt, aber wir sehen das Werk heute mit der Erfahrung des 20. Jahrhunderts, nach Beckett und Pirandello. Wenn wir uns dieser Erfahrung bedienen, dann können wir das Werk in einem neuen Licht betrachten, das einige Überraschungen zutage fördert. Der Rosenkavalier wurde oft als ein rückwärtsgewandtes Werk betrachtet. Für mich ist die vielleicht wichtigste Erkenntnis nach der Auseinandersetzung mit dem Werk, dass es sich um ein nach vorne blickendes Stück handelt. Richard Strauss hat damit eigentlich alle an der Nase herumgeführt. Alle, die ihm vorgeworfen haben, mit dem Rosenkavalier einen Verrat an der Moderne begangen zu haben, haben ihn missverstanden, auch Arnold Schönberg oder Alban Berg. Strauss hat in seiner Entscheidung, nicht auf dem Weg weiterzugehen, auf den er sich mit Elektra begeben hatte, eigentlich über seine Generation hinaus in die Zukunft gesehen. Er hat gesehen, dass dieser Weg zum schnellstmöglichen Zerfall der tonalen Struktur führt. Und wir wissen heute, dass der Zerfall der tonalen Struktur, der mit dem TristanAkkord eingeleitet wurde und sich dann in der Freien Atonalität, der Dodekaphonie, dem Serialismus fortsetzte, keineswegs das Ende der Musik bedeutete, sondern nur das Ende der sogenannten Moderne. Und dann kam die Postmoderne. Strauss landete mit seiner Vorliebe für Dur- und Moll-Akkorde und für stilistische Zitate und Anspielungen sozusagen direkt in der Postmoderne. Er ist damit moderner als die Modernsten seiner Zeit. In Strauss’ Späten Aufzeichnungen gibt es sehr interessante Anmerkungen zum Rosenkavalier, aber auch zur ganzen Geschichte der europäischen Musik, als deren Erbe er sich eigentlich zurecht ansah. Ein Fehler, den er im Alter gemacht hat, war, dass er wirklich dachte, es gäbe nach ihm keine Zukunft mehr. Er hatte nach seiner eigenen Einschätzung mit Capriccio und den Metamorphosen sozusagen die letzte Seite der Musikgeschichte aufgeschlagen. Als knapp 50-Jähriger, der sich nach Elektra und Salome für den Weg des Rosenkavalier entschied, war er sicherlich visionärer als in dieser letzten Phase seines Lebens.


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Was Strauss im Rosenkavalier überhaupt nicht erkennen lässt, ist Sentimentalität. Er bediente sich der musikalischen Formen der Vergangenheit und der Gegenwart und, wie ich behaupten würde, der Zukunft, je nach Bedarf. Die Melancholie, von der so oft geschwärmt wird und die zu dem gehört, was ich als den Rosenkavalier-Fetisch bezeichnen würde, gibt es in dem Stück eigentlich gar nicht. Wir dürfen nicht vergessen, dass uns von der Entstehungszeit des Rosenkavalier zwei Weltkriege trennen. Sentimentalität nach einem „Früher“ hat Strauss danach, am Ende seines Lebens entwickelt, und diese Sentimentalität richtet die Rezeption im Nachhinein auf den Rosenkavalier. Die schönen Harmonien der Rosenüberreichungsszene oder des finalen Terzetts verbindet man mit SchwarzWeiß-Fotografien der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Aber im Stück geht es nicht darum. Sein Kern ist eine Pariser Farce, eine Operette. Strauss hatte durchaus das Ziel, Lehár auf dem Feld der Operette zu übertreffen, und das bedeutet auf dem Feld der Populärmusik seiner Zeit. Die goldene Epoche der Operette wurde erst später zu einem Sentimentalitätskult verklärt. Zur Zeit von Strauss und Hofmannsthal waren Operetten leichtes, zeitgemäßes Entertainment, und Strauss und Hofmannsthal verbanden dieses Entertainment mit einer komplexen Psychologie der Personen und einer Mozartschen, Da Pontschen Klarheit der Figurenzeichnung. Und sie haben auch Fallen gestellt, etwa mit dem berühmten Thema „Hab mir’s gelobt ihn lieb zu haben“ im letzten Terzett. Das Thema kommt aus dem gemeinsten Persiflage-Walzer, der in der Wirtshausszene mit Mariandel und Ochs erklingt. Erst kommt die sehr platte und offensichtlich parodistische Variante dieses Walzers, die dann in diese scheinbar himmlische Erlösung überführt wird. Die gar keine Erlösung ist, sondern ein Gegenüberstellen von drei Figuren, drei Lebenseinstellungen, ohne Auflösung. Das „In Gottes Namen“ und „Ja, ja“ der Marschallin ist keine Auflösung. Der Happy-End-Musik, die an Humperdincks Hänsel und Gretel denken lässt, steht eine relativ ironische und leicht kritische Einstellung zu den beiden jüngeren Protagonisten Octavian und Sophie von Seiten Strauss’ und Hofmannsthals gegenüber. Sie haben nämlich nicht geglaubt, dass Octavian die richtige Wahl getroffen hat. Und auch nicht unbedingt daran, dass Sophie und Octavian eine glückliche Zukunft vor sich haben. Sie täuschen uns beinahe eine Apotheose der Liebe wie in Romeo und Julia oder Tristan und Isolde vor, teils mit poetischen, teils mit musikalischen Mitteln. Aber im Endeffekt glauben sie selber nicht daran. Und das ist der große Unterschied. Shakespeare hat an Romeo und Julia geglaubt, Wagner hat in Tristan und Isolde seine eigene Lebenserfahrung zu transzendieren versucht. Bei Strauss und Hofmannsthal ging es um eine relativ abstrakte Vorstellung einer Figurenkonstellation. Beide waren reife Männer mit Familie und Kindern, und es waren nicht die romantischen Gefühle, die sie dazu bewogen haben, diese Figuren zu erschaffen, sondern eher ein Interesse am Theater, auch ein rein pragmatisches Interesse. Und dazu kommt seitens Hofmannsthal möglicherweise eine uneingestandene sexu­ elle Ambivalenz. Er und Graf Kessler müssen ihre helle Freude daran gehabt haben, Octavian mal als Frau, mal als Mann erscheinen zu lassen. Ein bisschen wie bei Cherubino in Mozarts Le Nozze di Figaro, aber noch viel weiter getrieben.


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Durch die Musikerbiografie von Strauss zieht sich der Kampf zwischen dem Mozartschen und dem Wagnerschen Geist. Er ist im Rosenkavalier vor allem als Meister der Orchesterfarben noch nicht vollständig befreit vom Wagnerischen. Spätestens mit Ariadne auf Naxos ist der Bruch passiert. Wenn er dann in der Frau ohne Schatten zum Wagnerschen zurückkommt, dann zelebriert er das auf eine andere Art und Weise viel kunstvoller. Das meint nicht den Theaterkomponisten, sondern den Orchesterkomponisten. Die Frau ohne Schatten ist quasi eine Zwillingsschwester seiner Alpensinfonie, die gleichzeitig entstanden ist. Der Rosenkavalier steht den früheren Tondichtungen wie Ein Heldenleben, teilweise Don Quixote und Till Eulenspiegel noch näher, die noch von der wagnerischen Orchesterfarbe gezeichnet sind. Im Rosenkavalier kann man eine Wendung mitten im Stück hin zu einer reinen Konversationsoper feststellen, etwa ab der Mitte des zweiten Aufzuges. Das Orchester fängt dann an, wie in einer Konversationsoper eine reine Rezitativbegleitung zu geben. Noch mehr davon findet man im dritten Aufzug. Und irgendwann schreibt Strauss, es sei dem Kapellmeister gänzlich überlassen, wie viele Pulte er spielen lässt, damit die Textverständlichkeit gewährleistet wird. Das heißt, er hatte bei all dem schönen orchestralen Material die Schwierigkeit der Textverständlichkeit im Blick. Unsere modernen Orchesterinstrumente, die teils bedeutend klangvoller und lauter als die von 1910 sind, vergrößern diese Schwierigkeit. Strauss komponierte für die Instrumente seiner Zeit, etwa für Streichinstrumente mit Darmsaiten. Strauss selbst hat das Problem im Verhältnis von Text und Musik mit Ariadne auf Naxos ziemlich radikal überwunden. Die Hinwendung zum Rokokostil, die im Rosenkavalier nur an einzelnen Stellen vor allem des zweiten und dritten Aufzuges und vielleicht bei „Di rigori armato il seno“ angedeutet wird, kommt in der Ariadne und fast noch mehr in der Orchestersuite Der Bürger als Edelmann zur Entfaltung. Da bewegt sich Strauss in diese neoklassizistische Richtung, in die auf seine ganz eigene Art Strawinsky mit Pulcinella ein paar Jahre später gegangen ist. Strawinsky musste sich auch von dem Einfluss seines Lehrers Rimski-Korsakow und seiner jugendlichen Verehrung gegenüber Richard Wagner befreien, bis er zu der Schlichtheit und einer ganz anderen Schärfe des Klangbildes von L’histoire du soldat oder von Werken wie Pulcinella kam. Das ist bei Strauss etwas früher geschehen, und das führt mich zu der Idee, dass Der Rosenkavalier in seiner Vollkommenheit als ein geniales Orchesterwerk insofern unvollkommen ist, als zu viel Gewicht auf dem Orchester liegt und zu wenig Flexibilität für das Bühnengeschehen gewährleistet wird. Vor diesem Hintergrund ist das Stück auch zu einem Dirigentensteckenpferd geworden. Strauss selbst und dann Größen wie Clemens Krauss, Karl Böhm, Erich Kleiber und sein Sohn Carlos Kleiber – sie alle haben, jeder auf seine Art, versucht, das Theatralische, das Komödiantische, das Schräge aus diesem Stück gleich dem ästhetisch Schönen und dem Kulinarischen herauszukitzeln. Ich finde, es muss ein gesundes Mittelmaß gefunden werden. Ganz ohne Orchesterschmelz lebt das Stück nicht. Aber so schwer und süffig orchestral, wie das oft erklingt, damit werden wir Strauss, dem Dramatiker der Musik, und vor allem Hofmannsthal auch nicht gerecht. Man muss sich irgendwo in der Mitte treffen. Es muss Lebensnahes ge-


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nauso wie künstlich Parfümiertes dabei sein. Das Bild von der Rose, die wie eine Rose duftet, weil sie mit persischem Rosenöl bearbeitet wurde, die aber eigentlich aus Silber gemacht ist, und dass diese ganze Tradition mit der Überreichung der silbernen Rose eine pure Erfindung von Hofmannsthal ist – das alles bringt das Stück sehr gut auf den Punkt. Aufgezeichnet von Nikolaus Stenitzer


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Der Rosenkavalier heißt im Untertitel nicht Oper, sondern „eine Komödie für Musik“. Und tatsächlich ist es mehr als ein Libretto, es ist eine der besten Komödien, die Hofmannsthal geschrieben hat. Und trotzdem denkt man beim Rosenkavalier eher: Als Komödie ist ja gedanklich nicht viel dahinter. Wenn man sie mit den kanonisch großen deutschen Komödien vergleicht (ihrer viel zu wenige, wie wir wissen), fällt uns das potenziell tragische Motiv der gefährdeten Ehre in Lessings Minna von Barnhelm ein, Kleists Zerbrochner Krug mit seinem Vertrauensmotiv und sein Amphitryon, in dem das menschliche Wahrnehmungsvermögen und Identitätsbewusstsein auf eine harte Probe gestellt werden; dann noch vielleicht das Wahrheitsproblem in Grillparzers Weh dem, der lügt, ein Lustspiel, das man sogar als Beispiel für Grundsätze von Immanuel Kant gedeutet hat. Dagegen hat der Rosenkavalier eine Handlung zu bieten, die vielen als trivial, wenn nicht gleich als unmoralisch vorkommt. Letzteres, weil die sympathischste Gestalt der Komödie, die Marschallin, eine Ehebrecherin ist, der es nicht einfällt, sich unter einen Eisenbahnzug zu werfen wie Anna Karenina, oder sich mit Rattengift den Magen und das Dasein zu verderben wie Emma Bovary oder sich zumindest wie die Heldin des amerikanischen Klassikers The Scarlet Letter von Nathaniel Hawthorne ein großes A (für „adulteress“ – Ehebrecherin) aufs Kleid zu stecken und ihr Leben lang damit herumzulaufen. Nein, die Marschallin, so wie sie ist, kann man sich gut mit einem weiteren Liebhaber vorstellen, nachdem sie am Ende des Stücks den siebzehnjährigen Octavian an die fünfzehnjährige Sophie abgegeben hat. Ganz konsequent lehnte auch ursprünglich eine Sängerin diese Rolle ab, wegen der „zweideutigen Atmosphäre“ mancher Szenen. Trotzdem legt ihr der Dichter, als sei sie eine ehrenwerte Frau, die schönsten Verse über Zeit und Vergänglichkeit in den Mund. Und was die Trivialität angeht, so kann man noch hinzufügen, dass alle Handelnden so reich sind, dass sie sich ihres Luxuslebens schämen müssten, nur sind sie auch in dieser, wie in erotischer Hinsicht, ganz unverschämt, und genießen den Glanz, der sie umgibt. Niemand hat ein ordentliches Familienleben, es gibt ziemlich grobe sexuelle Zoten und im Kontrast äußerst romantische Liebespassagen, das heißt, das junge Liebespaar ist derartig füreinander bestimmt, als seien sie einem Kitschroman entsprungen. Die Handlung selbst dreht sich um ein merkwürdiges und ansonsten nicht bekanntes Hochzeitsritual. Ich möchte nun zeigen, dass diese Komödie neue gedankliche Anstöße aufnahm, die damals in der Luft lagen. Freuds Hauptwerk, Die Traumdeutung, erschien in Wien im Jahr 1900, ungefähr zehn Jahre vor unserem Text. Hofmannsthal begann den Rosenkavalier 1909 zu schreiben. Die Erstaufführung fand 1911 in Dresden statt. Hofmannsthal gibt vor, eine Tradition fortzusetzen, die er in Wirklichkeit auf den Kopf gestellt hat und hinter sich lässt. Es ist die Tradition eines hochzivilisierten Europa, die zwar dekadent geworden war, aber in Hofmannsthals Kreisen war auch die Dekadenz modisch und willkommen. Er träumte sich ein 18. Jahrhundert, das zwar eine Übergangszeit gewesen war, in der die Macht vom Adel an die aufstrebende Mittelklasse überging – und das wird im Rosenkavalier auch bühnenfest gemacht –, das aber doch unter der Herrschaft der von Hofmannsthal hoch geschätzten Kaiserin Maria Theresia einen verehrungs-


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würdigen Brennpunkt für die nationale Erinnerung abgab. Seiner Heldin, der Marschallin, gab er den Namen der Kaiserin: im Stück wird mehrmals überdeutlich „Marie Theres“ gerufen. Doch war sich Hofmannsthal wohl bewusst, dass historische Fiktionen keine Rekonstruktionen, sondern Interpretationen sind und sein müssen. In seinem Ungeschriebenen Nachwort zum Rosenkavalier von 1911 heißt es: „Es könnte scheinen, als wäre hier mit Fleiß und Mühe das Bild einer vergangenen Zeit gemalt, doch ist dies nur Täuschung und hält nicht länger dran als auf den ersten flüchtigen Blick. Die Sprache ist in keinem Buch zu finden, sie liegt aber noch in der Luft, denn es ist mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart, als man ahnt ...“ Dieser letzte Nebensatz könnte auch ein Leitsatz der neuen Wiener Wissenschaft, der Psychoanalyse, sein. Individuell sprachschöpferisch seien sie nicht, diese pseudohistorischen Komödiengestalten. Völlig befangen in ihren gesellschaftlichen Rollen, sind sie in ihrer Ausdrucksweise ein Teil von einem Wien, das es ebenso wenig je gegeben hat, wie im wirklichen Leben gesungen statt gesprochen wird. Ein idealisiertes Wien, das sich dem Leser und Zuhörer als Idee von Wien anbietet, daher auch Anachronismen verträgt, wie der bekannte „Schnitzer“ des Walzers zu einer Zeit, als es ihn noch nicht gab. Hofmannsthals erhaltene Notizen zeigen, dass er, wenn immer er eine Stelle sprachlich veränderte, von der Hochsprache zum Dialekt hin wechselte, dass er jede Änderung, jede Revision seines Textes zum umgangssprachlichen Wienerisch hin korrigierte. Zum Beispiel statt „wiegen“ schreibt er in der späteren Fassung „schupfen“, „und überall singt was und schupft was die Hüften“. Die Absicht war nicht realistische oder gar naturalistische Genauigkeit, vielmehr ging es darum, uns vor Augen zu halten, dass es ihm um den Spiritus Loci, die Identität eines Ortes, zu tun war, wie eben auch um die Idee, nicht die Spezifität dessen, was im einzelnen Menschen vorgeht, und daher um das Wesen, das Wesentliche der menschlichen Psyche. So wie die Sprache sollen auch die Figuren nicht individualisiert erscheinen. Die unwichtigeren stehen ein für ihre Klasse oder ihren Stand, ihre Beschäftigung. Die Hauptfiguren entwarf Hofmannsthal am Anfang einfach als Typen, die er dementsprechend benannte: die Dame, der Buffo, die Junge, der Cherubino. Die Namen kamen später in der Entstehung des Textes. Sophie und Octavian, also das Liebespaar, sind nicht wie die großen Liebhaber und Liebhaberinnen des 19. Jahrhunderts unverkennbar in ihrer Eigenständigkeit, sondern, wie Hofmannsthal mit achselzuckender Herablassung schreibt, „Dutzendmenschen“. Das hat seine Vorteile. Es erlaubt dem Dichter, diese Menschen zu mythologisieren, und zwar in der Form, die sich im psychologisierenden Wien seiner Zeit, der Jahrhundertwende, anbot, nämlich in tiefenpsychologischer Hinsicht. Indem er sie zu Dutzendmenschen machte und sie tief in ihrem Sozialmilieu verankerte, verwurzelte, konnte er aus Sophie eine Art Psyche für Octavians Eros machen, und aus der Marschallin Psyches Rivalin, die Aphrodite. Allerdings eine Aphrodite, die der Psyche nicht nachstellt. Sie verliert den Geliebten, aber sie überwindet die Eifersucht. […] Ich erwähnte schon, dass Hofmannsthal von der ersten Planung an die Gestalt des Octavian einen Cherubino nannte, in Anspielung auf Mozarts


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Hochzeit des Figaro. In beiden Fällen wird eine Männerrolle von einer Frauenstimme gesungen. Octavian sollte immer ein Sopran sein, und wurde es nicht erst durch den Zufall, dass Strauss angeblich Tenöre nicht besonders mochte. Octavian, ein fiktionaler Mann, gespielt und gesungen von einer Frau, wirft sich im ersten Akt in weibliches Kostüm und wird sofort von einem Mann bedrängt, der sich als ein gewiefter Weiberkenner sieht und ausgibt. Dadurch wird der Machismo des Ochs auf Lerchenau gleich entlarvt und ins Lächerliche gezogen, da er ja einen Transvestiten nicht von einer Frau unterscheiden kann. Ochs auf Lerchenau singt Arien über Sex und Liebeslieder auf sich selbst, an denen niemand, also keine andere Stimme, teilnimmt. Keine Duette für ihn. Er liebt nur sich selbst. Octavian andererseits, der von beiden Frauen, der Marschallin und Sophie, geliebt wird, hat selbst eine Frauenstimme. Und so finden alle Liebesszenen in der Oper zwischen Frauen statt, und alle Liebesduette werden von Frauenstimmen gesungen. So wie es nie ein Wien wie dieses gegeben hat und uns dieses Wien doch glaubwürdig erscheint, so hat es wohl nie die sorgfältig gespaltene Erotik gegeben, mit der uns diese erotische Komödie konfrontiert. Denn im Rosenkavalier gibt es zwei Sorten Erotik, eine männliche und eine weibliche. In der Liebesaffäre Octavian/Marschallin ist die ältere Frau ganz offensichtlich die Überlegene und auch die Dominierende. […] Der Reiz der ehebrecherischen Beziehung besteht gerade darin, dass sie der Marschallin erlaubt, von der untergebenen Stellung der Ehefrau in die der autoritativen Mutter/Geliebten zu wechseln, die Ansprüche stellen darf. Das geht deutlich aus dem ersten Akt hervor, wo sie dem jungen Octavian pausenlos sagt, was er zu tun und zu lassen hat, zärtlich und liebevoll und befehlshaberisch – eben mütterlich: Er Katzenkopf, Er unvorsichtiger! Läßt man in einer Dame Schlafzimmer den Degen herumliegen? Hat er keine besseren Gepflogenheiten? Dieser Degen, ein unmissverständlich phallisches Objekt, wird im nächsten Akt eine noch unmissverständlichere Rolle spielen. Danach befiehlt sie ihm, sich nicht in Weisheiten zu ergehen, sondern jetzt lieber zu essen, wobei sie gleich selbst in philosophische Verallgemeinerungen verfällt: Philosophier Er nicht, Herr Schatz, und komm Er her. Jetzt wird gefrühstückt. Jedes Ding hat seine Zeit. Dieser Satz („Jedes Ding hat seine Zeit“) ist das Leitmotiv der Marschallin, die zwar selbst keine Kinder hat, aber den Namen der Kaiserin trägt, der Landesmutter Maria Theresia, und deren gesteigerte Mütterlichkeit vertritt. Hofmannsthal hat in einem Essay seine glühende Verehrung für die Kaiserin bezeugt. Die Verbindung von Mütterlichkeit und Autorität hatte es ihm besonders angetan, und das sind die Eigenschaften, die er seiner Marschallin mitgibt. Der militärische Titel mit der weiblichen Endung, Marschallin, hat eben diese Aura, obwohl er ja zunächst nur Beruf und


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Rang des Ehemanns konnotiert. Wäre es aber nur eine Frage von Stand und Rang, so wäre die Anrede „Fürstin Werdenberg“ genauso gut. […] Die Marschallin ihrerseits ist aber mehr als nur eine Adelige, sie ist mehr als eine Angehörige einer absteigenden Kaste. Zwar gibt uns der „Rosenkavalier“ ein Wien, in dem sich die Machtstruktur verlagert vom Adel auf die Mittelklasse – also von den Lerchenaus auf die Faninals –, doch die Marschallin ist Repräsentantin einer höheren Ordnung als der Klassenhierarchie, sie ist Mutter und Kaiserin zugleich. Und daher hat es seine Richtigkeit, dass sie es ist, die Octavian entlässt und seine Ehe stiftet, als er aufhört, sich wie ein verwöhntes Kind zu benehmen und in seiner neuen Liebe zum Mann wird. Von Octavians Eltern sehen und hören wir nichts. Irgendwo gibt es einen älteren Bruder, doch er tritt nicht auf und mischt sich nicht in Octavians Leben ein. So wie sich das Stück auf der Bühne entfaltet, ist die Marschallin die Mutter. Eine Mutter, die mit ihrem Sohn schläft? Und wer sonst in Wien kam damals auf solche Ideen? War da nicht noch einer? Wir werden darauf zurückkommen. Das Gebiet, auf dem die Marschallin ihren Einfluss ausübt, ist das einer humanen und, im besten Sinne des Wortes, einer verspielten Erotik, geprägt von Intuition und Einfühlung, Eigenschaften, die am stärksten zu Tage treten in ihrer Bereitschaft, Octavian aufzugeben. Im Kontrast dazu steht der Bereich der patriarchalen Männer, geprägt von Geld und Gewalt. Schattenhaft und in absentia ist der Feldmarschall schon im ersten Akt präsent. Octavian sieht sich als den erfolgreichen Rivalen des Ehemanns und singt: „Der Feldmarschall sitzt im krowatischen Wald, und jagt auf Bären und Luchsen/ und ich sitz hier, ich junges Blut, und jag auf was?/ Ich hab ein Glück, ich hab ein Glück!“ Die Jagd als Bild der Liebesbeziehung stellt Octavians Zugehörigkeit zu der kruden, animalisch-maskulinen Welt des Baron Ochs auf Lerchenau und eben auch des Feldmarschalls her. Gleichzeitig ist es der Anfang seiner Entwicklung vom Kind zum Mann. Der Feldmarschall spukt im ganzen ersten Akt. Dieser Mann hat Macht, er ist einer, vor dem man sich hüten muss. Er gefährdet das Liebesleben sowie das Wertesystem seiner Frau, unserer Heldin. Ein Wertesystem, das weniger mit standesgemäßem Benehmen zu tun hat als mit Gottergebenheit in die unheimliche und unaufhaltsame Kraft der Vergänglichkeit und dem Verrinnen der Zeit. Die Lebenshaltung der Marschallin, ihre Botschaft, wenn man so will, ist die, dass es eine Zeit gibt für die guten Dinge der Welt, einschließlich der Liebe, und eine Zeit, sie alle fahren zu lassen und Abschied zu nehmen. Das war auch schon immer das Thema ihres Dichters, der ja schon im Alter seines Octavian die„Terzinen über Vergänglichkeit“ verfasste. („Wie kann das sein, dass diese nahen Tage/ Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?// Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,/ Und viel zu grauenvoll als dass man klage:/ Dass alles gleitet und vorüberrinnt ... “) Zurück zum Feldmarschall. Seine Frau hat in der Nacht, die dem zärtlichen Frühstück der ersten Szene vorausgeht, von ihm geträumt, und es war kein angenehmer Traum. Octavian traut seinen Ohren nicht. Geplagt von Eifersucht und Eitelkeit fragt er zweimal: „Heut nacht hat dir von deinem Mann geträumt?“ Und sie darauf: „Ich schaff mir meine Träum nicht


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an.“ Oder vielleicht doch? Das Zeitalter der Traumanalyse ist gerade angebrochen. Die beiden Zeitebenen, die gespielte und die erlebte des ersten Publikums, überschneiden sich. Der Erwähnung des Marschalls als Traumgefahr folgt auch gleich die Furcht wirklicher Bedrohung. Die Marschallin glaubt, ein Lärm im Hofe bedeutet seine Ankunft. Eine unangenehme Vorgeschichte fällt ihr ein. Sie erinnert sich, dass ihr Gatte sie schon einmal ertappt hat, wohl in einer ähnlichen Situation, verschweigt ihrem Liebhaber jedoch die Einzelheiten. Nicht mehr als eine Andeutung, doch sie genügt: Die Ehe ist die Schattenseite im Leben dieser Frau und Octavian, ihr lieber kleiner Quin-quin, ist nicht der erste Geliebte. Aber sie ist kein scheues Wesen, sondern Gebieterin auf ihrem Gebiet und sie ist kämpferisch bereit, sich zu verteidigen, Matriarch gegen Patriarch. Nachdem sie Quin-quin versteckt hat, spricht sie „mit blitzenden Augen“: Das möcht ich sehn, ob einer sich dort hinüber traut, wenn ich hier steh. Ich bin kein napolitanischer General: Wo ich steh, steh ich. „Kein napolitanischer General“ bedeutet, ich bin kein Feigling. General gegen Feldmarschall, eine klare Kriegserklärung der Geschlechter. […] Und nun stellt sich heraus, dass der Mann, der den Krawall im Hof gemacht hat und den wir mit der bedrohlichen Gestalt des Feldmarschalls assoziiert haben, doch nur der komische Ochs auf Lerchenau ist. Sicher ist der Ochs eine Karikatur des Macho, aber ein Macho ist er nichtsdestotrotz. Und er tritt in die freigelegte Stelle des strotzenden Feldmarschalls, den die Angst der Marschallin in unseren Erwartungen erstellt hat. So wird er, möchte ich vorschlagen, von seinem ersten Auftritt an die komische Vaterfigur dieser Komödie und der ödipalen Konfrontationen, die noch folgen. Er spricht sofort mit der Marschallin von seiner Verlobung mit der minderjährigen Sophie von Faninal, die nun ihrerseits eine unglückliche Ehe eingehen wird. So sieht es jedenfalls die Marschallin, die sich mit der ahnungslosen Sophie identifiziert, denn sie „kann mich auch an ein Mädel erinnern/ die frisch aus dem Kloster ist in den heiligen Ehestand kommandiert word’n“. Aber das bedeutet ja, dass sie im Baron weiterhin eine Verwandtschaft mit ihrem Ehemann sieht. Ochs und die junge Sophie, das ist wie der Marschall Werdenberg und die junge Theres. Darüber hinaus, wenn Octavian am Ende des Aktes jubelnd und sie umarmend feststellt: Und es war kein Feldmarschall. Nur ein spaßiger Herr Vetter und du gehörst mir, so wird uns ja gerade in der Ablehnung die Assoziation nochmals vor Augen geführt und wir werden daran erinnert, dass hier, wo eine autoritäre männliche Stimme fehlt, der Baron diesen Platz ausfüllen will. Und Vetter Ochs ist ja gar nicht so harmlos wie es scheint. In der sogenannten „Mägdearie“, in der er seine verschiedenen Eroberungen und Abenteuer feiert, ist er öfter ein Vergewaltiger als ein Verführer. In einer


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dieser Episoden vergleicht er den Widerstand des Mädchens, nachdem er mit ihr fertig ist, mit einem abgeschlagenen Karpfen, und einer Melkerin zieht er gewaltsam den Melkstuhl von hinten weg, sodass sie „taumelt und hinschlägt“, während sich der Kavalier nach einem geeigneten Heuhaufen umsieht, wo er sich ihrer bemächtigen kann. Zu Hause auf seinem Gut ist er der Herr aller weiblichen Wesen, wie der Freud‘sche Urpatriarch. Dabei sieht er keineswegs, dass er diese Frauen etwa geschädigt oder übervorteilt hat, sondern er beschreibt sie als Glückspilze, weil er sich ihnen in seiner machtvollen Körperlichkeit widmet. Die Beschreibung seiner Eroberungszüge widerspricht jedoch inhaltlich dem fröhlich prahlerischen Ton, in dem er sie präsentiert. Das kann man auf zweierlei Art deuten: Entweder ist der Baron ein satirischer Ersatz für den wahren Patriarchen oder aber er dient dazu, das Patriarchat an sich zu entlarven, als zu gewalttätig, zu autoritär. So oder so, Hofmannsthal fordert uns auf, hier eine wenn auch komische Auseinandersetzung mit Leid und gewissenloser Ausbeutung von Frauen zu suchen. Das Liebespaar, Marschallin und Octavian, reagiert auf die Sexualprahlerei des Barons teils amüsiert, teils entrüstet. Wenn wir ihnen zuhören, wird uns nachhaltig klar, wie anders geartet ihre Beziehung ist als die des Barons zu seinen diversen Weibern mit seinem ausschließlichen Ziel sexueller Erfüllung. Seine beiden Gegenspieler indessen freuen sich an den ästhetischen, sentimentalen und verspielten Eigentümlichkeiten ihrer Liebe. Die Musik gibt uns auf der einen Seite einen Mezzosopran und einen Sopran, auf der anderen den Bass des Barons und betont dementsprechend die Trennung der weiblichen und der männlichen Bereiche, in einer Sache, die doch naturgemäß beide einschließen sollte. Über die Unterschiede lässt sich der Baron denn auch ausdrücklich aus. Dass auch die Marschallin weiß, wovon die Rede ist, lässt er gelten. Jedoch: Ich muß Euer Gnaden sehr bedauern, daß Euer Gnaden nur – wie drück ich mich aus – nur die verteidigenden Erfahrungen besitzen! Parole d‘honneur! Es geht nichts über die andere Seite! Dieser Meinung schließen wir uns als Zuschauer nicht an, nach allem, was wir über die Freuden des Liebeslebens der Marschallin schon erfahren haben, von denen der Ochs nichts weiß. „Verteidigende Erfahrungen“ kann man diese ja kaum nennen, wenn man absieht von ihrer Bereitschaft, sie gegen die Ansprüche der Ehe zu „verteidigen“. Doch die beiden, Marschallin und Baron, bewegen sich nun auch auf paradigmatischer, um nicht zu sagen mythologischer Ebene: Aphrodite und Jupiter. Denn der Ochs auf Lerchenau hat eine übermenschliche Dimension, wie er auch eine animalische hat. Die mythologischen Anspielungen treten gehäuft auf. Er ist halb Tier, halb Heidengott. Er singt: Wollt ich könnt sein wie Jupiter selig in tausend Gestalten, wär Verwendung für jede.


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Die Marschallin fragt provozierend: Wie, auch für den Stier? So grob will Er sein? und spielt somit deutlich auf die Verschmelzung des höchsten Wesens, der Gottheit, mit dem untermenschlichen, dem Tier an, da der Gott in Tierform beim Menschengeschlecht erscheint, besonders beim weiblichen Geschlecht. (Als Stier hat Jupiter ja Europa geraubt und vergewaltigt.) […] Ich komme nun zu einem springenden Punkt. Ich möchte nämlich zeigen, wie auf dieser unterschwelligen Ebene die Vater-Sohn-Beziehung bestimmend ist für die Begegnung Ochs/Octavian. Im zweiten Akt, im Hause der Faninal, muss der junge Mann den alten ernster nehmen als im Hause der Marschallin im ersten Akt. Da konnte der junge Mann den alten Affen einfach auslachen, solange er sich noch innerlich des Triumphs seiner Liebesnacht bewusst war. Im zweiten Akt liefert uns Hofmannsthal einen Handlungsstrang, der in der europäischen Komödientradition verankert ist, wenn nämlich ein Mann einen anderen bittet, die Brautwerbung für ihn zu übernehmen, mit dem Resultat, dass die Erwählte und der Botschafter erkennen, dass sie füreinander bestimmt sind. Das berühmteste Beispiel kommt gar nicht aus der Komödie. Es ist die alte irische Geschichte von Tristan und Isolde, im Deutschen eingemeindet durch Gottfried von Strassburg und Richard Wagner. In der Renaissancekomödie gibt es dazu Macchiavellis Alraune, die Hofmannsthal sicher gekannt hat. Vor allem wird er selber das Motiv in seiner späten Komödie Der Schwierige anwenden, wo ein älterer Mann für einen jüngeren wirbt und trotz seines Alters „der Richtige“ ist, also die umgekehrte Situation vom Rosenkavalier. Und so verliebt sich Octavian, der Gesandte, in die für ihn von den höheren Mächten der Liebe bestimmte Sophie. Die Liebe und die Ewigkeit ergänzen einander wie in der Blütezeit der Romantik (Hofmannsthal wird nicht umsonst häufig als Neoromantiker bezeichnet), wenn die beiden ihr Duett singen: „Wo war ich schon einmal und war so selig?“ Es sind Worte, die reine Ekstase ausdrücken, weit über die einfachen Einzelmenschen in ihren kleinlichen gesellschaftlichen Funktionen und ihren beschränkten Erfahrungen. Gerade darum werden sie von lieben Dutzendmenschen, das heißt hier paradigmatischen Menschen, gesungen. Die silberne Rose, ursprünglich ein Statussymbol, wird ihnen unter den Händen zur Paradiesblume. Da sie metallen ist, kann sie nicht verblühen, aber ein betäubend süßer sinnlicher Geruch geht dennoch von ihr aus: Dauer und Sinnlichkeit in einem. Blume und Duft sind das Ambiente für die beiden Liebenden, während Ochs auf Lerchenau konsequent mit Essen und Trinken assoziiert ist. Im ersten Akt verlangt er Schokolade und „ein Biskoterl“, und was er damit macht, beschreibt die Bühnenanweisung schlicht als „er frisst“. Im zweiten Akt trinkt er Tokaier und isst Süßigkeiten. Im dritten gibt es ein großes Abendessen mit der angeblichen Mariandl, alias Octavian. In dem Paradiesgarten, wo Sophie und Octavian ihre Blume genießen und einander in die Augen schauen, ist der Baron der Platzhirsch, der sich


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einbildet, dass ihm alle Frauen gehören und daher diese auch. Besonders diese, mit der er ja schon verlobt ist. Und der verliebte junge Mann muss danebenstehen und sich anschauen, wie der Baron seine Geliebte erniedrigt, indem er sie als Sexualobjekt behandelt, wie wir heute sagen, und wie er es bei allen Frauen tut. Und Sophie, die sich vorher noch zur Demut ermahnt hatte und vom aristokratischen Stammbaum ihres Zukünftigen tief beeindruckt war, durchschaut ihn jetzt mühelos, als sie sich in ihrer weiblichen Menschlichkeit entehrt fühlt. Ihr Vater hingegen, der alte Faninal, auch ein Einzelgänger ohne Ehefrau, gehört in die Männerwelt des Ochs und des abwesenden Feldmarschalls, kann nicht zwei Schritte weit sehen, wenn es sich um den Bereich der Gefühle handelt, bemerkt nicht, wie sich seine Tochter vor dem ihr Zugeteilten ekelt, und freut sich nur, weil ein so Hochadeliger sich intim, das heißt schlicht „schlecht“, in seinem Haus benimmt. Dabei behandelt Ochs auch seinen Schwiegervater mit gezielter Herablassung: Mußt denen Bagatelladeligen immer zeigen, daß nicht für unseresgleichen sich ansehen dürfen. Ochs, wie Faninal, ist zu dickschädelig, um zu bemerken, dass sie beide im Begriff sind, die Macht über Braut und Tochter zu verlieren. Er sieht zwar Sophies Abneigung, doch da eine kräftige Dosis Sadismus in ihm steckt, hat er seinen Spaß am Widerstand, zumindest dort, wo er die Oberhand behält. Er ist eben ein Vergewaltiger, kein Verführer. Dasselbe lässt sich über Jupiter sagen, aber der Baron ist halt nur eine Imitation von Jupiter, der nicht alles kriegt, was er haben möchte. Auf der realistischen Ebene ist er, in den Worten der Marschallin, „ein aufgeblasner Kerl“, zu alt, zu brillenbedürftig, zu glatzköpfig (er verliert seine Perücke im letzten Akt) für ein junges Mädel. Sophies Widerstand zeigt ihn uns von seiner unsympathischsten Seite, als einen, der den autonomen Willen und das eigenständige Glücksbedürfnis eines anderen gar nicht wahrnimmt. Und dann ist da noch sein Lieblingslied. Statt „Ohne dich, ohne dich jeder Tag mir so bang“ zu singen, singt er „ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang / mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang!“ Dagegen sind die ersten Worte der Komödie vom „du“ geprägt: „Wie du warst! Wie du bist!“ und „Du, du – was heißt das ‚du‘? Was ‚du und ich‘?“ Eine Frage, über die sich der Ochs, in seiner Ichbezogenheit, nicht den Kopf zerbricht. Zwar ist der unsensible Vater der heiratsfähigen Tochter ein Klischee der Komödie, aber hier dient dieses Motiv auch dem Aufhellen der unsinnigen falschen Männlichkeit des Barons. Zu der ungerechten Männermachtgesellschaft gehört auch der alte Faninal, Sophies Vater, der auf der Eheschließung besteht, obwohl er seine Tochter vermutlich liebt. Doch auch er leidet an dem Mangel an Einfühlungsvermögen, der in dem Stück alle Männer ergriffen hat – mit Ausnahme von Octavian, der von einer weiblichen Stimme gesungen wird. Und sogar Octavian wird von der Marschallin zurechtgewiesen: „Nein, bitt schön, sei Er nicht wie alle Männer sind.“ Worauf er etwas zweideutig mit seiner Mezzosopranstimme antwortet: „Ich weiß nicht, wie alle Männer sind.“ Sophie sagt ihrem Vater


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in aller Deutlichkeit, was sie alles bereit ist zu unternehmen, um dieser Heirat zu entgehen: Sich in die Kammer sperren, aus der Kutsche zu springen, dem Pfarrer am Altar „nein“ zu sagen, aber er besteht ganz egoistisch auf seinem väterlichen Vorrecht, denn er fürchtet den Spott der Wiener, wenn die Ehe platzt und droht Sophie: „Ich steck dich in ein Kloster starrte pede.“ Das Fazit ist, dass hier keine glaubwürdige väterliche Autorität auftritt, nicht in dieser Szene und nirgendwo im Stück. Vater Faninals Machtgehabe geht bis zur Absurdität, wenn er sagt: Sie heirat’ ihn! Und wenn er sich verbluten tät, so heirat’ Sie ihn als Toter. Und tatsächlich blutet er. Ohne Ironie tut Ochs auf Lerchenau kund: Ich kann ein jedes Blut mit Ruhe fließen sehen, nur bloß das meinig nicht! Octavian hat seinen Rivalen zum Duell und damit zur ödipalen Konfrontation gefordert. In Freuds Modell einer primitiven Gesellschaft muss der Sohn den Vater erschlagen, um an irgendeine Frau heranzukommen. Der Baron behandelt den Herausforderer zunächst mit väterlicher Herablassung, wobei er ausdrücklich den Generationsunterschied zwischen ihnen betont (während er sonst gern über sein eigenes „jung und hitzig Blut“ spricht). Hier aber sagt er: Was so ein Bub mit siebzehn Jahr schon für ein vorlaut Mundwerk hat! Doch wenn Octavian ihm schließlich eine leichte Fleischwunde am Arm zufügt, ist der edle Baron überzeugt, er liege in den letzten Zügen und schreit: Mord! Mord! mein Blut! zu Hilfe! Mörder! Mörder! Mörder! Damit hat ein Vatermord, wenn auch, wie es heißt, „im Spaß“ stattgefunden. Aufschlussreich ist der Vers über Octavian: Nit trocken hintern Ohr und fuchtelt mitn Spadi! „Spadi“, Dialekt für Degen, ist eindeutig phallisch im Kontext, wie ja auch am Anfang im Schlafzimmer der Marschallin. Die Nestnässe („Nit trocken hintern Ohr“) betont ebenso eindeutig den Altersunterschied, den der Baron zu seinen Gunsten deutet. In seiner Fantasie, der Fantasie eines Feiglings, ist er von einer Sorte Sohn getötet worden und diese Fantasie erlaubt ihm, während er sich von seinem Schrecken erholt, nun weitere väterliche Machtfantasien. Wällischer Hundsbub das! Wart, wenn ich dich erwisch! In Hundezwinger sperr ich dich, bei meiner Seel, in Hühnerstall! In Schweinekofen!


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Hofmannsthals letztes Stück, die Tragödie Der Turm, handelt von so einem Sohn, der im Zwinger und im Stall aufwächst, weil sein Vater in ödipaler Angst lebt, sein Sohn könnte ihn töten – eine Angst, die sich in der Tragödie als nicht ungerechtfertigt erweist. Mit „wällischer Hundsbub“ spielt Ochs auf Lerchenau auf Octavians Nachnamen Rofrano an: Der Adel ist multinational, obwohl österreichisch. (Hofmannsthal hat den Namen übrigens auch in seiner Reitergeschichte verwendet.) Octavian und Ochs auf Lerchenau sind Rivalen, und nicht nur für Sophie. Denn schon einmal, am Anfang, hat sich der Baron ungewollt in des jüngeren Mannes Liebesleben gemischt, als er das Frühstück mit der Marschallin unterbrach. Damals musste Octavian Zuflucht hinter dem großen Bett der Marschallin nehmen, dem Hauptrequisit dieses Aktes. Hinter diesem Bett tauchte er dann in seiner Verkleidung als Mariandl auf, die im dritten Akt zum Scheitern der Lerchenauischen Wiener Unternehmung führt. Wenn man sich vor Augen hält, was für eine Vorrangstellung das Ehebett der Eltern, laut Freud, in der Fantasie der Kinder einnimmt, als der Locus des ersten, des Urgeheimnisses, so wirken Octavians Verkleidungs- und Verstellungskünste, die von diesem Bett ausgehen, wie die Wunscherfüllungen eines frustrierten Kindes. Auch im letzten Akt, wo Octavian seine uneheliche Schwester, das Mariandl, spielt, ist ein solches Riesenbett das Hauptrequisit und wird zum Spott des befreiten „Buben“, der ja mit seinem Rivalen schon in der vorigen Szene fertig geworden ist und sich nun als „Madl“ scheinbar naiv, in perfektem Dialekt, über das Bett mokiert: Jesus Maria, steht a Bett drin, a mordsmäßig großes. Ja mei, wer schlaft denn da? Die verkleidete Mariandel wird zum Gespenst des lebendigen Octavian und rächt sich zum zweiten Mal am Rivalen, der sie, beziehungsweise ihn, erkennt und dann auch wieder nicht, sodass er plötzlich psychischen Qualen ausgesetzt ist, Qualen des Erkennens und Verkennens, Übereinstimmungen von Fremdem und Bekanntem, ein Labyrinth der Ähnlichkeiten. Wie er ihn physisch überwunden hat, so macht Octavian ihn nun auch noch psychologisch fertig und zwar an der Stelle, wo der Baron am empfindlichsten ist, nämlich in seiner vermeintlichen Weiberkenntnis und seinem Sexualtrieb. Seine Männlichkeit ist infrage gestellt, wenn er selber merkt, dass er zwischen Mann und Frau nicht recht unterscheiden kann. Der falsche Vater muss sich, erniedrigt, am Ende unverrichteter Dinge in sein Provinznest zurückziehen. In dem Ödipusdrama Ödipus und die Sphinx, das Hofmannsthal wenige Jahre vor dem Rosenkavalier schrieb, behandelte er den frühen Teil der Legende, wo Ödipus seine Adoptiveltern verlässt und den Mord am biologischen Vater begeht. In Hofmannsthals Drama findet der Kampf zwischen Vater und Sohn direkt auf der Bühne statt, und das Stück endet mit einer großen, unheilschwangeren Liebesszene zwischen Iokaste und ihrem Sohn, kurz bevor die beiden heiraten. Hofmannsthal beschäftigte sich also nicht, wie Sophokles, mit der Anagnorisis, mit Selbsterkenntnis und Schuldbewusstsein, sondern mit dem Mythos und seiner modernen


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Bedeutung in der Beziehung Eltern-Kind. Im Rosenkavalier fand er ein Happy End und eine komische Heilung für das tragische Schicksal, das die Götter uns auferlegt haben, beziehungsweise das in unserer Psyche verankert ist. Denn in dieser Komödie schläft der „Bub“ mit der Mutter und bringt den Vater um, aber es sind keine echten Eltern und der Liebesakt hat keine Dauernachwirkungen und das Töten war nur eine leichte Verletzung. Man könnte auch sagen, eine erfolgreiche Therapie hat stattgefunden und der Behandelte kann nun ein normales Eheleben mit einer passenden Gleichaltrigen beginnen. Die zwei sind ja Durchschnittsmenschen! Die beiden schweren männlichen Ödipustragödien Ödipus und die Sphinx sowie Der Turm finden so ihre komische Entsprechung, sozusagen durch das Gegenprojekt erfüllter Erotik im Magnetfeld der Frauenstimmen. Man könnte einwenden, eine solche Interpretation sei am Ende noch feministischer als psychoanalytisch. Das mag sogar stimmen. Waren es doch Hofmannsthal und Strauss selbst, die einander versicherten, Der Rosenkavalier sei eine Oper für Frauen. Und was sie sonst noch ist, sagt uns mit bescheidener Arroganz ein Vers gegen Ende des Spiels: „War eine wienerische Maskerad und weiter nichts.“ Doch „wienerisch“ war auch, was damals in der Berggasse 19 erforscht wurde.


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Zwischen Träumen und Wirklichkeit. Überlegungen zum Traummotiv in Hugo von Hofmannsthals Libretto zum Rosenkavalier


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Nahezu alle Klassiker der europäischen Traumtheatergeschichte haben eine grundlegende Gemeinsamkeit: Träume im engeren Sinne, also „echte“, von den Figuren tatsächlich geträumte (Schlaf-)Träume, die entweder erzählt oder szenisch dargestellt werden, finden sich in diesen Stücken kaum bis gar nicht. Stattdessen verwenden sie das Traummotiv vorrangig in einem übertragenen Sinne. Ein solcher Klassiker des Traumtheaters ist beispielsweise William Shakespeares A Midsummer Night’s Dream (1600). Die Liebeswirren, in die Lysander, Helena, Demetrius und Hermia darin durch den Zauberblumensaft des Kobolds Puck geraten, werden von den Betroffenen anschließend als Traum deklariert. Auch Nick Bottom erklärt seine wundersamen Erlebnisse mit der Feenkönigin Titania zum Traum, der sich zum Theaterstoff eigne. Und schließlich fordert Puck das Publikum auf, das Gesehene insgesamt als Traum zu verstehen, sollte es missfallen haben. Ein weiterer Traumklassiker der frühen Neuzeit ist Pedro Calderón de la Barcas Barockdrama La vida es sueño (Das Leben ein Traum, 1636). Auch in diesem Stück wird der Traum inszeniert, nicht aber tatsächlich geträumt: Der vermeintlich Träumende ist hier der Königssohn Segismundo, der – seit seiner Geburt in einem Turmverlies eingesperrt – für einen Tag zur Probe regieren soll und zu diesem Zweck von seinem Vater Basilio mithilfe eines inszenierten Traums getäuscht wird. Dazu wird Segismundo zunächst mit einem speziellen Trank betäubt und im Palast über seine königliche Herkunft in Kenntnis gesetzt. Weil er sich als ein genauso grausamer Herrscher erweist, wie Basilio von den Sternen einst weisgesagt wurde, wird er am Ende des Tages erneut eingeschläfert und in sein Verlies zurückgebracht, wo ihm nach dem Erwachen suggeriert wird, alles am Tag davor Erlebte sei lediglich ein Traum gewesen. Ähnlich verhält es sich in Heinrich von Kleists Prinz Friedrich von Homburg (1821), in welchem dem ohnehin verträumten Titelhelden ein Streich gespielt wird, der dessen Fähigkeit, zwischen Wachen und Träumen zu unterscheiden, außer Kraft setzt: Der Kurfürst entwendet dem nachtwandelnden Homburg zu Stückbeginn den Lorbeerkranz, den dieser sich im Traum flicht, und reicht ihn seiner Nichte Nathalie, die der entrückte Homburg als seine Braut ansieht. Er greift ihren Handschuh, den er – wieder erwacht – verwundert in seiner Hand hält. An dieses Moment wird wieder angeschlossen, wenn der aufgrund einer Befehlsverweigerung zum Tode verurteilte Homburg am Ende des Stücks doch begnadigt wird: Homburg, der eigentlich die Vollstreckung des Urteils erwartet, wird der Kranz aufgesetzt und Nathalie zur Frau gegeben, woraufhin er in eine Ohnmacht fällt. Daraus wieder zu sich gekommen, erweist er sich erneut nicht in der Lage, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden, sodass die Realität des Geschehenen auch über das Ende und die Auflösung hinaus in der Schwebe bleibt: Auf seine Schlussfrage „Nein, sagt! Ist es ein Traum?“ erhält Homburg die berühmte Antwort „Ein Traum, was sonst?“. Die genannten Stücke verwenden das Traummotiv leitmotivisch und verweisen zugleich auf die metaphorische Gleichsetzung von Traum, Leben und Theater, wenn sich das, was als Traum erlebt und wahrgenommen wird, am Ende als eine bloße Inszenierung herausstellt. Diese


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Analogie von Traum und Theater besteht über die Zeiten und Epochen hinweg. Sie entfaltet auch um 1900 bei Hugo von Hofmannsthal und den zeitgenössischen Vertretern antinaturalistischer Strömungen ihre Wirkung, etwa bei dem belgischen Symbolisten Maurice Maeterlinck, der das Theater in seinen Überlegungen zu einem „Androidentheater“ von 1890 als einen „Tempel des Traums“ entwirft, oder bei dem schweizerischen Schriftsteller Robert Walser, für den – wie er 1907 in Das Theater, ein Traum schreibt – das Theater nicht nur einem Traum ähnelt, sondern sich diesem auch immer weiter anzugleichen scheint. Hugo von Hofmannsthal selbst betrachtet in seinem Essay Die Bühne als Traumbild von 1903 diese als den „Traum der Träume“, zu dem sie vor allem durch die (Licht-)Gestaltung des Bühnenraumes werde. Nach diesen Vorgaben wurden Hofmannsthals eigene Stücke vor allem von Max Reinhardt in Szene gesetzt, der auch den Probenprozess zur Uraufführung des Rosenkavaliers begleitet hat. Hugo von Hofmannsthals Libretto zu Richard Strauss’ Der Rosenkavalier (1910) taucht in der Theater- und Literaturgeschichte des Traums nur am Rande auf. Wie in den eingangs angeführten Klassikern des Traumtheaters begegnen uns darin kaum explizit als solche markierte Träume. Dennoch zieht sich der Traum als ein wichtiges Moment und Motiv durch den Text: in Form eines erzählten Traums, in Form einer inszenierten Traumillusion und in Form von mehreren Traumanspielungen, die – nimmt man sie ernst – zeigen, dass der Traum im Text sogar ein Leitmotiv ist.

Traum als Vorahnung Der einzige „echte“, also von einer der Figuren explizit geträumte Traum ist der Traum der Feldmarschallsgattin Maria Theresia Fürstin Werdenberg. Schon bald nach Beginn des ersten Aktes erwähnt sie beim Frühstück mit ihrem jugendlichen Liebhaber Octavian einen Traum, ausgelöst durch Octavians freudige Bemerkung, der Feldmarschall weile „im krowatischen Wald“ bei der Jagd, während er selbst dagegen die Feldmarschallin in ihrem Schlafzimmer jage. Daraufhin ergibt sich folgender Dialog: Marschallin: indem ein Schatten über ihr Gesicht fliegt Laß Er den Feldmarschall in Ruh’! Mir hat von ihm geträumt. Octavian: Heut nacht hat dir von ihm geträumt? Heut nacht? Marschallin: Ich schaff’ mir meine Träum’ nicht an. Octavian: Heut nacht hat dir von deinem Mann geträumt. Heut nacht? Marschallin: Mach’ Er nicht solche Augen. Ich kann nichts dafür. Er war auf einmal wieder zu Haus. Octavian: leise Der Feldmarschall? Marschallin: Es war ein Lärm im Hof von Pferd’ und Leut’ und er war da,


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Vor Schreck war ich auf einmal wach, nein, schau’ nur, schau’ nur, wie ich kindisch bin: ich hör’ noch immer den Rumor im Hof. Ich bring’s nicht aus dem Ohr. Hörst du leicht auch was? In ihrer Wiener Vorlesung mit dem Titel Freuds Ödipus im androgynen Rosenkavalier (2012) hat Ruth Klüger den Text einer psychoanalytischen Lesart unterzogen und dabei bereits Zweifel an der Behauptung der Marschallin geäußert, sich ihre Träume nicht „anzuschaffen“. In Sigmund Freuds Traumdeutung (1989/1900) sind Träume zumeist Ausdruck von Verdrängtem, seien es Wünsche oder auch Ängste, die auf bereits Erlebtem oder Erinnertem basieren. Dass die Feldmarschallin die Wirklichwerdung ihres Angsttraums nicht zu Unrecht fürchtet, erfahren wir im Gespräch über den Traum mit Octavian: Die Marschallin deutet an, dass sie ihr Ehemann schon „einmal“ mit einem ihrer früheren Geliebten ertappt hat. Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, dass der Ort, an dem sie Octavian von ihrem Angsttraum berichtet, ausgerechnet das Sofa (oder in der Freud’schen Terminologie: die Couch) in ihrem Schlafzimmer ist. Literarische Träume (auch im Zeitalter der Traumdeutung) sind allerdings selten nur Ausdruck der individuellen Psyche einer Figur. Insbesondere dramatischen Träumen kommt in der Regel eine dramaturgische Funktion zu: Sie beeinflussen den Fortgang und Verlauf der Handlung oder weisen wie ein Orakel voraus, und dies umso mehr, werden sie – wie auch der Traum der Fürstin Werdenberg – zu Handlungsbeginn erzählt oder dargestellt. Nun erhält die Marschallin in ihrem Traum keine ausdrückliche Handlungsanweisung, die unmittelbar Auswirkungen auf den Handlungsverlauf hätte; und gewiss ist ihr Angsttraum auch keine Prophezeiung. Zwar werden sie und Octavian kurz nach dem Traumbericht überraschend gestört – der unerwartete Besucher ist jedoch nicht der Ehemann, sondern nur der Baron Ochs von Lerchenau, der „spaßige Herr Vetter“, von dem keine Gefahr ausgeht. Eine vorausdeutende Funktion kann der Traum allerdings gleichwohl einnehmen, denn er lässt sich in Zusammenhang bringen mit einer Art Vorahnung der Marschallin: Die Heiratsabsichten von Ochs mit der 15-jährigen Sophie von Faninal erinnern sie daran, wie sie selbst als junges Mädchen unglücklich mit einem älteren Mann verheiratet wurde. Dies gibt ihr Anlass zu ihrer berühmten Reflexion über die Zeit und die Vergänglichkeit und lässt sie dabei auch das Ende ihrer Liebesaffäre mit Octavian vorausahnen. Ihre Vorahnung wird am Ende in Erfüllung gehen; und wie zum Beweis erinnert die Marschallin am Schluss des dritten Aktes noch einmal daran: „Heut oder morgen oder den übernächsten Tag. / Hab’ ich mir’s denn nicht vorgesagt?“ Der Traum, aus dem ihre Vorahnung erwächst, weil er dieses Ende – unter anderen Vorzeichen – bereits andeutet, erweist sich damit als weitaus bedeutender, als seine knappe Schilderung zu Beginn des ersten Aktes vermuten ließ. Neben der Fürstin Werdenberg lassen sich im dritten Akt nun auch die drei übrigen Hauptfiguren – Ochs, Octavian und Sophie – in ein Verhältnis


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zum Traum setzen. Wenngleich keine dieser drei Figuren im eigentlichen Sinne träumt, scheinen sie dem Traum dabei doch näher zu stehen als die Feldmarschallin, die damit die einzige Figur bleibt, die – wenn auch nur kurz – tatsächlich geträumt beziehungsweise von einem Traum berichtet hat.

Traum als (Des-)Illusionierung Schon in der sehr ausführlichen Szenenanweisung zu der Pantomime, die den dritten Akt eröffnet, deuten sich die surreal anmutenden Ereignisse an, die folgen werden. Sie beschreibt, wie der Intrigant Valzacchi das Hinterzimmer in einem Wirtshaus für ein Treffen vorbereitet, zu dem Octavian in seiner Rolle als Mariandel Ochs am Ende des zweiten Akts eingeladen hat. Hintergrund der Einladung ist ein raffinierter Plan Octavians: Als Rosenkavalier für Ochs hat er sich zuvor selbst in dessen Braut Sophie verliebt, nun will er Ochs als ungeeigneten Ehemann überführen. Dazu inszeniert er gemeinsam mit Valzacchi eine „wienerische Maskerad’“. Dass dieser Mummenschanz traumhafte Züge tragen wird, zeichnet sich bereits bei seiner Vorbereitung ab: Pantomimisch, leise und mit größter Vorsicht findet unter Anleitung Valzacchis eine Art Generalprobe für die Traum­ illusion statt, die mit dem Auftritt von Ochs ihren Anfang nimmt. Als Merkmale fiktiver traumhafter Welten nennt Stefanie Kreuzer in ihrer Studie zu Traum und Erzählen in Literatur, Film und Kunst (2014) vor allem instabile Identitäten, eine unsichere Raum- und Zeitwahrnehmung, die Außerkraftsetzung von Kausalzusammenhängen und widersprüchliche, unlogische Handlungsverläufe. Am „traumhaftesten“ erscheint anhand dieser Kriterien die von Octavian und Valzacchi inszenierte Wirtshausszene in der Wahrnehmung von Ochs. Allerlei Ungereimtheiten und zumindest für Ochs unerklärliche Geschehnisse kennzeichnen diese Szene. So etwa der Auftritt Faninals, der behauptet, Ochs selbst habe ihn holen lassen, woraufhin sich Ochs – völlig perplex – nicht nur sprichwörtlich an den Kopf fassen muss. Die wichtigsten „Traumelemente“ dieser inszenierten Szene sind aber wohl die zu Beginn geprobten geisterhaften Erscheinungen. Einen ersten albtraumartigen Höhepunkt erreicht die Wirtshausszene hier mit dem Erscheinen Anninas als Ochs’ angeblicher Ehefrau hinter dem von Ochs für blind gehaltenen Fenster: „[A]ußer sich vor Angst“ wiederholt Ochs „Da und da und da und da!“, und „nach allen Richtungen [zeigend]“ fragt er „Was will der dort und der und der und der?“ Charakteristisch für diese Szene sind Ochs’ Zweifel an der Wirklichkeit des Geschehens und der Realität der Anwesenden, aber auch an seiner eigenen. Dafür sprechen sowohl Szenenanweisungen wie jene, die beschreibt, dass Ochs Annina „ganz scharf [mustert], um sich über ihre Realität klar zu werden“, aber auch Repliken von Ochs, in denen er vermutet, in einem „Narrenturm“ zu stecken und daraufhin eine Art Realitätscheck durchführt:

Bin ich der Baron von Lerchenau oder bin ich es nicht? Bin ich bei mir? Fährt mit dem Finger ins Licht.


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Ist das ein Kerzl? Schlägt mit der Serviette durch die Luft. Is das ein Serviettl?

Immer wieder meint Ochs, in den Gesichtern der Anwesenden Parallelen zu ihm bekannten Personen zu entdecken: Sie scheinen „doppelte Gesichter alle miteinander“ zu haben. Vor allem trifft das natürlich auf den als Kammerzofe Mariandel verkleideten Octavian zu. Mehrmals und immer dann, wenn Ochs versucht, sich dem vermeintlichen Mariandel zu nähern, schrickt er jäh zurück – überzeugt, das Gesicht Octavians vor sich zu haben. Der Wechsel zwischen Mariandel und Octavian wird von Ochs als ineinanderfließend wahrgenommen. Octavian/Mariandel erscheint hier somit als ein für Träume charakteristisches „Mischwesen“, sodass Ochs sogar selbst beim Blick auf das vermeintliche Mariandel eine Verbindung zum Traum zieht: „Ist ein Gesicht! Verfluchter Bub’! / Verfolgt mich alser wacher und im Traum!“ Bei der Inszenierung ihrer „wienerischen Maskerade“ bedienen sich Octavian und Valzacchi also der Techniken und Funktionsweisen des Traums. Aber auch Inszenierungsweisen des Traums, etwa aus den oben genannten Traumklassikern, klingen hier an: So ist der Auftritt von „Geistern“ ein zentrales Element im Traumtheater Shakespeares, und die bewusste Irreführung eines vermeintlich Träumenden kennen wir von Calderón und Kleist. Octavian und Valzacchi erschaffen für Ochs eine Situation voller Trug, Täuschung und Schein, womit sie ein doppeltes Ziel verfolgen: Zum einen möchten sie Ochs an seiner Wahrnehmung zweifeln machen, um ihn in ihre Falle zu locken. Zum anderen dient ihr inszeniertes Traumspiel dazu, Ochs bloßzustellen und seine schlechten Charaktereigenschaften offenzulegen – vor der Gesellschaft, insbesondere aber vor Faninal. Dem frisch geadelten Bürgerlichen soll eindringlich vermittelt werden, dass der Baron trotz seines „hochadeligen Blutes“ ganz und gar keine gute Partie für seine Tochter ist. Faninals Desillusionierung deckt sich mit einer der Hauptfunktionen dramatischer Traumszenen, die häufig eingesetzt werden, um – wie Theater auch generell – Probleme und Missstände zu benennen und aufzudecken.

Traum oder Wirklichkeit Neben Ochs bewegen sich im dritten Akt auch Octavian und Sophie zwischen Traum und Wirklichkeit. Dies geschieht aber nicht wie bei Ochs aufgrund einer spezifischen Bizarrerie der Situation, sondern aufgrund ihrer potenziellen Unwirklichkeit. Sophie und Octavian, die sich im zweiten Akt ineinander verlieben – bezeichnenderweise unter dem Einfluss einer „wie himmlisch, nicht irdisch“ duftenden künstlichen Rose –, feiern nach der Auflösung der wienerischen Maskerade am Ende des dritten Aktes ihre Liebe mit ihrem berühmten Traumduett. Insgesamt besteht das Traumduett aus je zwölf Versen, wobei sich die auf den Traum anspielenden ersten vier Verse am Ende des Duetts noch einmal wiederholen. Auffällig ist, dass Sophie und Octavian zwar gleich-


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zeitig, dabei jedoch nicht dasselbe singen. Die einzige Ausnahme ist der zweite Vers, der zumindest so große Überschneidungen aufweist, dass er als annähernd gleich bezeichnet werden kann. Blickt man auf das Reimschema, bilden im gesamten Duett nur die ersten beiden Verse der ersten und dritten Strophe in beiden Repliken einen gemeinsamen Reim. Die gegeneinander gerichteten Reime konterkarieren damit das zentrale Moment des Traumduetts: die einzigen beiden inhaltlich und formal zusammenklingenden Wörter, nämlich das „beieinander sein“. Inhaltlich wird das zentrale „beieinander sein“ durch die Kopplung an den Traum aufgelöst. Sowohl Octavian als auch Sophie stellen in der ersten Strophe eine Verbindung zum Traum her. Dabei kann Octavians (Wunsch-)Traum, nämlich „dass wir beieinander sein“, am Ende und dank seiner gelungenen „wienerischen Maskerade“ nun Wirklichkeit werden. In seiner zweiten Strophe erweist er sich daher auch eher als beglückt, im Gegensatz zu Sophie, deren Freude ambivalenter wirkt. Zwar ist auch sie froh, Ochs nicht heiraten zu müssen, bemerkt nach der Auflösung der ganzen Farce jedoch durchaus gekränkt das enge Verhältnis Octavians zur Feldmarschallin: „Wie er bei ihr steht und ich bin die leere Luft für ihn.“ Vor diesem Hintergrund betrachtet nimmt sie gerade das, was für Octavian nun Wirklichkeit werden kann, selbst als einen Traum wahr – oder anders gesagt: Nur in einem Traum könne es überhaupt wahr und Wirklichkeit sein, dass sie beide „beieinander sein […] für alle Zeit und Ewigkeit“. Damit pendeln Octavian und Sophie zwischen Traum und Wirklichkeit, und ihr Happy End wird womöglich weder ganz das eine noch ganz das andere sein. Am Ende bleibt der Text in dieser Hinsicht mehrdeutig – wie dies eben auch ein Traum bliebe. In dieser Uneindeutigkeit des Traums liegt sein literarisches Potenzial, das schon die eingangs angeführten Klassiker der Traumliteraturgeschichte für sich nutzen und das auch in Hugo von Hofmannsthals Libretto zum Rosenkavalier ausgeschöpft wird. Auch wenn sich die inszenierte Traumillusion am Ende zum Guten auflöst, bleibt die Zukunft der Figuren, insbesondere der Liebenden, weiterhin in der Schwebe. Die einzige Figur, deren Zukunft in dieser Hinsicht gewiss scheint, ist zugleich die einzige wirklich Träumende im Stück – die Marschallin, die zwar schweren Herzens auf Octavian verzichtet, sich damit zugleich aber auch als fest in der Wirklichkeit verankert erweist, weil sie erkannt hat, wie man nichts halten soll, wie man nichts packen kann, wie alles zerlauft zwischen den Fingern, alles sich auflöst, wonach wir greifen, alles zergeht wie Dunst und Traum.

Kristina Höfer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Cluster für Europaforschung an der Universität des Saarlandes. Sie studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Germanistik und Slavische Kulturen und promovierte mit einer Arbeit zu Traumdarstellungen in der Dramatik des 19. und 20. Jahrhunderts.


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Longing, 2020


Wait A While Here, 2020


Roots, 2020


I See You III, 2020


A Flying Dream, 2020


A Feeling of Flying, 2021


The Blanket (Two Things Which Are Gone), 2020


I See You, 2020


The Hug, 2020


Underneath This Dusk, 2020


What The Light Says We Are (After Ocean Vuong), 2020


Care, 2020


Hush Hush, 2021


A Keyhole, 2020


Untitled, 2019


To See Through, 2021


Katrin Dillkofer

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Zu den Pastellen von Mary Herbert

Mary Herbert wurde 1988 geboren und studierte am Goldsmith College und an der Royal Drawing School in London. Dort lebt und arbeitet sie auch heute. Die jüngsten, kleinformatigen Pastelle der Künstlerin oszillieren zwischen fremdvertrauten und phantastischen Welten, in denen sich unbewusste Beobachtungen mit gelebten Emotionen vermengen. Die magisch-zarte Farbigkeit und die Unschärfe der Konturen lassen alles wie in einem matten Dunst erscheinen. Die Menschen, Dinge, Gegenstände und Orte sind da, scheinen sich aber im selben Moment zu entziehen. Diese Erfahrung gleicht dem Verlangen einen Traum luzide zu erinnern. Das Sichtbare zeichnet sich in Mary Herberts Bildern dadurch aus, dass es sich nicht dingfest machen lässt: Es ist wunderschön, geheimnisvoll und flüchtig.


Katrin Dillkofer

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Der romantische Abgrund. Sophie und die Präraffaeliten


Der romantische Abgrund. Sophie und die Präraffaeliten

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Sophie ist ein junges Mädchen von fünfzehn Jahren. Nach dem Tod der Mutter lebt sie mit ihrem Vater, dem vermögenden, erst jüngst geadelten Herrn von Faninal allein. Die Eheschließung mit dem Baron Ochs auf Lerchenau soll den Rang der Familie Faninal im Adelsstand festigen. Umgekehrt könnte sich der Baron durch die Ehe seiner Schulden entledigen. Diesen zweckmäßigen Bedingungen für die Eheschließung mit dem Baron zum Trotz ist die Hochzeit für Sophie ein Ereignis, das sie innig verklärt. Sie beschreibt sich beinahe unterwürfig als eine Frau, die niemanden hat (außer ihrem alten Vater) und deswegen eines Ehemannes bedarf: „In dieser feierlichen Stunde der Prüfung, da du mich, o mein Schöpfer, über mein Verdienst erhöhen und in den heiligen Ehestand führen willst, […] opfr’ ich dir in Demut, mein Herz in Demut auf. Die Demut in mir zu erwecken, muss ich mich demütigen.“ Sie will den Konventionen entsprechen und sich als tugendhafte, brave Frau ihres zukünftigen Ehemannes als würdig erweisen. Doch in die blanke Aussage ihrer Worte ist eine tiefe Sehnsucht verwoben, die musikalisch und melodisch spürbar wird. Sophie überhöht die Hochzeit als Ereignis, das doch mit Liebe zu tun haben müsse, und erhofft ein romantisches Szenario, das auch emotionale und erotische Phantasien birgt. So blättert sie allabendlich im Ehrenspiegel Österreichs und sucht sich in dem Buch ihre „zukünft‘ge, gräflich‘ und fürstlich‘ Verwandtschaft“ zusammen – als sei die Habsburger Dynastiegeschichte ein Staralbum mit begehrenswerten Klebebildern. Kurz: Sophie ist eine Schwärmerin, die ganz naiv ihre Rolle an der Seite des zukünftigen Gatten entwirft. So ist die Lage, bevor der bezaubernde Octavian, seinerseits hochadligen Geblüts, als Ro­senkavalier eintrifft und Sophies Herz erobert, bevor der zudringliche, ruppige Baron von Lerchenau mit einem Schlag die ordentlichen Hochzeits-Träume entzaubert, bevor alle Verhältnisse durcheinandergewirbelt werden und sich neu figurieren. Der zweite Akt der Oper beginnt im Hause Faninal. Sophie erwartet die Ankunft des Rosenkavaliers als Überbringer der silbernen Rose und Vorbote des Bräutigams. In der Inszenierung von Barrie Kosky trägt sich die Szene in der ungewöhnlichen Variante eines Mädchenzimmers zu. In der Mitte steht ein schmales Bett mit metallenem Kopf- und Fußteil. Die Wände bestehen aus großformatigen, golden gerahmten Gemälden – die Petersburger Hängung, bei der die Bilder die Wände fast vollständig ausfüllen, ist hier mit dem Raum identisch geworden. Matt, aber farbenreich leuchten sie aus der Dunkelheit des Raumes hervor. Es handelt sich um literarische Begebenheiten, in denen überlebensgroße Figuren agieren. Einige Protagonistinnen sind nackt oder nur spärlich bekleidet. Mit Darstellungen als Liebesgöttinnen, Nymphen, Nereiden, Najaden und Allegorien haben deren Hervorbinger die motivischen Möglichkeiten der akademischen Aktmalerei ausgeschöpft. Es gibt allerdings auch prächtige männliche Körper zu bestaunen – etwa jenen des griechischen Berserkers Aias, welcher die trojanische Warnerin Kassandra auf der leichten Schulter davonträgt (Ajax and Cassandra, gemalt 1886 von Solomon Joseph Solomon, 1860–1827), oder den des barocken Genius (um 1690) von Giuseppe Crespi (1665–1747), der als geflügelter Knabe mit Pfeil und Bogen wie ein Liebesgott seinen jugendlichen Oberkörper präsentiert.


Katrin Dillkofer

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Die meisten Gemälde in diesem Bühnenbild stammen aus einer Zeit zwischen 1850 und dem angehenden 20. Jahrhundert. Einige französische Klassizisten und Historienmaler sind vertreten, darunter die Franzosen Alexandre Cabanel (1823-1889), Jean-Léon Gérôme (1824-1904) und William-Adolphe Bouguereau (1825-1905). Sie repräsentierten zu ihrer Zeit den akademischen Geschmack und stellten in den Pariser Salons aus. Im Bühnenbild werden diese allegorischen und idealisierten Motivwelten des Eros und der Liebe durch eine Malerei desselben Zeitraumes konterkariert, die in England ihren Ursprung hat. Auf den ersten Blick sind die Unterschiede zu den klassizistischen Sujets der Nachbarbilder kaum bemerkbar. Hier wie dort sind erotische Themen dominant. Doch treten diese in den englischen Gemälden in subtil symbolischer und mitunter auch abgründiger Weise in Erscheinung. Die Natur spielt eine bedeutende Rolle. Sie leuchtet in ungetrübter Farbigkeit, beispielsweise in Gestalt detailliert dargestellter, prächtiger Blumenwiesen oder pflanzenreicher Uferzonen, in denen die Maler ihre Protagonistinnen verorten – als gehörten Natur und Mensch unzertrennlich zusammen. Diese Besonderheiten weisen auf die Präraffaeliten als Urheber der Gemälde hin. Die „Pre-Raphaelite Brotherhood“ wurde im Jahr 1848 von sieben Künstlern in London gegründet, darunter William Holman Hunt (1827–1910), Dante Gabriel Rossetti (1828– 1882) und John Everett Millais (1829–1896). Die Präraffaeliten signierten zunächst anonym mit den Buchstaben P.R.B. und lösten das Rätsel des Kürzels erst zwei Jahre nach ihrer Gründung auf. Vergleichbar und zeitlich parallel mit den Impressionisten in Frankreich läuteten sie in England durch eine völlige Neuordnung der malerischen Prioritäten die Moderne ein. Die Namensgebung verweist auf das Programm: Vorbild sollte die Malerei vor Raffael sein, besonders die Kunst des Mittelalters und der Frührenaissance. Dabei ging es um eine Rückkehr zum Ursprünglichen, zu einer reinen Malerei und damit um eine radikale Abkehr von den Kompositionsregeln und Techniken des Bildaufbaus, die seit der Renaissance ungebrochen die akademische Lehrmeinung geprägt hatten. Der englische Kunstkritiker, Kunsthistoriker und Philosoph John Ruskin (1819–1900) wurde zum theoretischen Kopf der präraffaelitischen Bewegung. Ruskins Engagement gilt einer ethischen Kunst mit gesellschaftlicher Relevanz: Die Natur soll detailgetreu und wahrhaftig dargestellt werden, ohne ihr mystisches und poetisches Wesen preiszugeben. Deshalb lässt sich der präraffaelitische Künstler auf die Reize des Mikrokosmos ein, ohne sich dabei in Details zu verlieren. Er spielt mit den Verführungen insoweit es die Notwendigkeiten und Möglichkeiten des Bildes erfordern. Ruskins Auffassung nach können die unendlichen visuellen Möglichkeiten der Natur vom menschlichen Bewusstsein nur als Vision der Kunst erfahrbar werden. Wenn also Sophies Blicke über die Wände gleiten, erblickt sie Verheißungsvolles aus den Sphären mythischer Liebe und abenteuerlichen Eros’. Beinahe typisch für einen 15-jährigen verträumten Teenager, möchte man meinen: so eine Sammelleidenschaft, so eine Schwärmerei, so ein Kitsch. Man denke an die Poster, mit denen die Wände im eigenen Mädchenzimmer zugepflastert waren. Bemerkenswert ist jedoch, dass es sich bei den Gemälden, die Sophie umgeben, einerseits um etablierte Ikonographien im Sinne des gehobenen akademischen Geschmacks handelt, anderer-


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seits aber um motivische Rebellionen der Präraffaeliten, die einem innigen Begehren nach Natürlichkeit und Ungezwungenheit Ausdruck verleihen. Tatsächlich scheint Sophie in Sachen Liebe auf einem doppelten Boden zu stehen und zu handeln: Einerseits will sie den Konventionen entsprechen, andererseits scheint sie auch bereit, auszubrechen, sobald sich eine Gelegenheit bietet. Dass sie ein Faible für das Unheimliche und auch das Rühren an der Endlichkeit hat, ist ihr vermutlich selbst gar nicht bewusst. Sophies Bilderwelt besteht vor allem aus Arbeiten von John William Waterhouse (1849–1917), der zur zweiten Generation der Präraffaeliten zählt. Literarische und poetische Inspirationen findet Waterhouse bei englischen Schriftstellern wie William Shakespeare (1564–1616), Robert Herrick (1591–1674) oder Alfred Tennyson (1809–1892). Ein Gemälde zeigt Ophelia (1889) noch lebend, aber liegend auf einer Blumenwiese, ein anderes zwei Mädchen mit langem Haar in mittelalterlichen Gewändern beim Rosenpflücken (Gather Ye Rosebuds While Ye May, 1909), ein weiteres präsentiert die Lady of Shalott (1888), deren Liebe zu Ritter Lancelot unerwidert bleibt. Andernorts wiederum entdecken Nymphen den Kopf des Orpheus samt seiner Leier in einer verwunschenen Quelle. Auch Hylas (1896), der junge Gefährte des Herkules, ist zu beobachten, als er vom Ufer aus von Nymphen ergriffen wird. Kurz darauf verschwindet er für immer in den Tiefen des Wassers. Bei der Darstellung all dieser Szenen geht es nicht darum, den „fruchtbaren Augenblick“ einer dramatischen Handlung zu fixieren, wie Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) es im Jahr 1766 in seiner Schrift Laokoon von einer zur Erzählung begabten Bildkunst gefordert hatte. Vielmehr legt Waterhouse den Fokus auf die Inszenierung von Übergangsmomenten, indem er formal wie inhaltlich die Vergänglichkeit alles Seienden ins Bild bringt. Ein Abgrund der Endlichkeit, wie jener, der Sophie gleichermaßen zu berühren und zu beleben scheint. Carpe diem!

Katrin Dillkofer wurde in München geboren und studierte Kunst- und Kulturwissenschaften in Berlin. Nach ihrer Promotion über Henri Matisse und die Ästhetik des östlichen Bildes arbeitete sie als Tutorin an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Sie kuratierte Ausstellungen u. a. an der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München sowie am Museum Frieder Burda in Baden-Baden. Berufliche Erfahrungen in der Dramaturgie sammelte sie an der Komischen Oper und an der Schaubühne in Berlin. Seit Dezember 2019 ist sie Bilddramaturgin an der Bayerischen Staatsoper.


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Die Zeit ändert was an den Sachen. Über den Zeitkern in der Figur der Feldmarschallin von Werdenberg


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Die Zeit ein sonderbar’ Ding, die Uhren alle still, ist halt der Lauf der Welt. Die Zeitbilder, die Hugo von Hofmannsthal für die Figur der Feldmarschallin Maria Theresia Fürstin Werdenberg gefunden hat, sind vielleicht die eindringlichsten in dem Libretto, das Hofmannsthals Freund und Co-Autor Harry Graf Kessler schon früh als das beste bezeichnete, was Hofmannsthal je geschrieben habe. Dass mit dem Rosenkavalier abgesehen vom Patchwork eines Walzer-Rokoko vor allem die Topoi des Vergehens von Liebe und Lebenszeit in Verbindung gebracht werden, hängt mit der Prägnanz der Sprachbilder ebenso zusammen wie mit den kompositorischen Entscheidungen von Richard Strauss. Ein Beispiel von vielen sind die Glockenschläge im Orchester, die die Marschallin bei ihren nächtlichen Wanderungen durch ihr Palais daran erinnern, dass sie die Uhren stehen lassen kann, nicht aber die Zeit. Die Metaphorik ist deutlich – so deutlich, dass die Interpretation der Figur oft eine dunklere Schlagseite erhält, als es den Urhebern lieb war. So warnte Richard Strauss noch 1942 in seinen Erinnerungen an die ersten Aufführungen meiner Opern dringlich vor zu viel Tragik in der Darstellung der Marschallin. Er verlangte vielmehr „Leichtigkeit“ und wies darauf hin, dass „Octavian weder der erste noch der letzte Liebhaber der Marschallin“ sei. Hofmannsthal äußerte sich in der Entstehungsphase des Librettos ähnlich. Beide Künstler wussten, dass sie eine komplexe Figur geschaffen hatten, die viel Spielraum für inszenatorische Entscheidungen ließ. Was wiederum mit Zeit zu tun hat – mit dem so berüchtigt wie genial großzügigen Umgang mit Historizität, womöglich das eigentliche Zeit-Thema im Rosenkavalier. Melancholie und Schwermut bedeuten zu verschiedenen Zeiten Unterschiedliches, Liebe und Vergänglichkeit ebenfalls. Die hundertjährige Rezeptions- und Interpretationsgeschichte der Marschallin-Figur singt ein Lied davon.

Der Erklärungsbedarf der Freiheit „Mit einem nassen und einem trockenen Auge“ lautet ein Zitat aus den erwähnten Erinnerungen von Richard Strauss, die seine Anleitung zur Anlage der Feldmarschallin-Figur enthalten. Es ist eine Regieanweisung, die an den Ton in Strauss’ Briefen an Hofmannsthal im Entstehungsprozess des Rosenkavalier gemahnt. Der Komponist weiß, was er will, aber die Lakonie seiner Forderungen täuscht über die Schwierigkeit der Umsetzung hinweg. Der Sprach- und Musikwissenschaftler Oswald Panagl hat auf die von Hofmannsthal vorgenommene Aufspaltung der Figur zwischen kairós, dem erfüllten Augenblick, und chrónos, der Zeitspanne hingewiesen. Die Feldmarschallin hat das Vergehen der Zeit im Blick, als die keineswegs alte, aber lebenskluge und erfahrene Frau, die sie ist; zugleich lebt sie in erfüllten Momenten, die sich mit dem Abgang des 17-jährigen Liebhabers nicht erschöpft haben werden. Wenn Strauss warnt, die Marschallin dürfe „auch ihren ersten Aktschluss durchaus nicht sentimental als tragischen Abschied fürs Leben spielen“, so lohnt ein Blick ins Libretto, um Gründe für diese Warnung zu finden. Der Fürstin Werdenberg hat Hofmannsthal verschiedene kleine Abhandlungen gedichtet, die sie als die Philosophin unter den handelnden


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Personen des Werkes ausweisen. Der Altersunterschied zu Octavian macht sich in ihren Konversationen bemerkbar: Die Marschallin teilt Gedanken, die sie sich offenbar schon früher gemacht hat, Octavian reagiert impulsiv und immer wieder überrascht. Auf der anderen Seite stehen der Baron Ochs auf Lerchenau und Sophie von Faninal, die miteinander stärker verbunden sind, als Sophies Antipathie ahnen lässt. Beide wiederholen gleichermaßen schablonenhaft, was das Protokoll der Standesgesellschaft sie gelehrt hat: Ein Baron hat sich gegenüber einem Bagatell-Edlen nichts zu vergeben und schon gar nicht auf die Befindlichkeiten irgendwelcher Bürgerlichen (vor allem Frauen) Rücksicht zu nehmen; eine Frau – und erst recht eine, die sich als Nutznießerin einer „Mésalliance“ über ihren bisherigen Stand erhebt –, wird grundsätzlich erst durch den Mann zu etwas, weswegen sie ihm dann auch zu Dank verpflichtet beziehungsweise „gar sehr verschuldet“ ist. Auch diese Figuren werden überrascht – nicht, weil sie, wie Octavian, mit etwas konfrontiert werden, worüber sie bisher nicht nachgedacht haben, sondern weil die Koordinaten, nach denen sie ihr Denken und Handeln ausgerichtet haben, sich als nicht oder nicht mehr anwendbar erweisen. Die Gründe dafür sind verschieden: Auf der einen Seite waren die Vorstellungen wohl unprotokollarisch romantisch (und damit bürgerlich); auf der anderen Seite hat sich die Lage für einen Spross hochadeligen Blutes geändert. Hofmannsthal exerziert an diesen beiden Figuren den Bedeutungsverlust des Adels, was für ein Wien um das Jahr 1740 einen weniger starken Anachronismus als die Straussschen Walzer darstellt, vermutlich aber doch eher eine Hofmannsthals eigener Zeit gemäße Betrachtung ist, in der sich der (Erste) Weltkrieg und das Ende der Habsburger-Monarchie schon ankündigten. Die Marschallin ist im Vergleich zu den anderen Charakteren im Rosenkavalier als die originellere Denkerin und als die eigenständigere Person gezeichnet. Das manifestiert sich schon in dem Umstand, dass sie ihre ersten Überlegungen zum Komplex des Alterns zu sich selbst (und zum Publikum) spricht. Mit dem Unwillen darüber, dass der unflätige Ochs mit einem reichen, sehr jungen Mädchen verheiratet wird, erinnert sie sich an ihre eigene, ganz ähnlich verlaufene Biografie: Auch sie sei frisch aus dem Kloster „in den heiligen Eh’stand kommandiert“ worden. Der Gegenstand der Überlegungen Maria Theresia von Werdenbergs ist nicht eine ihr unbekannte Sophie von Faninal, sondern sie selbst:

Aber wie kann das wirklich sein, dass ich die kleine Resi war, und dass ich auch einmal die alte Frau sein werd’ … Die alte Frau, die alte Marschallin! „Siegst es, da geht die alte Fürstin Resi!“ Wie kann denn das geschehn? Wie macht denn das der liebe Gott? Wo ich doch immer die gleiche bin.

In den beiden Polen „kleine Resi“ – „alte Marschallin“ erzeugt Hofmannsthal für seine Protagonistin eine gewisse naive Bildhaftigkeit, die er mit dem schnell eingeführten und dann weiter ausgebauten Bezug auf die göttliche Vorsehung verfestigt:


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Und wenn er’s schon so machen muss, warum lasst er mich zuschau’n dabei, mit gar so klarem Sinn? Warum versteckt er’s nicht vor mir? Das alles ist geheim, so viel geheim, und man ist dazu da, dass man’s ertragt. Und in dem „Wie“– da liegt der ganze Unterschied.

In diesen Versen lässt sich der Rahmen nachvollziehen, den Hofmannsthal für das Stück abgesteckt hat: „Das ganze Stück ist vor voltairisch, die Marschallin im Kloster erzogen, dabei gleichzeitig frei und fromm, das Ganze verstanden durch eine offene österreichische Natur und Vornehmheit.“ (Hofmannsthal an Harry Graf Kessler am 20. Mai 1909). Die intendierte Gleichzeitigkeit von Freiheit und Frömmigkeit der Figur wird zur Herausforderung für Interpretation und Rezeption. Auch hier liegt in dem „Wie“ der ganze Unterschied. Die „Freiheit“ des Charakters ist in der zitierten Stelle durchaus auszumachen: Immerhin verweist die Marschallin auf die Kontinuität ihres Subjektes über die Lebensalter hinweg und stellt sich damit als cartesianische Denkerin ihrer selbst vor. Das cogito ergo sum entschwindet aber schnell dem Blick, wird es doch von einem leisen Zweifel, vor allem aber in einem seufzenden Sich-Fügen in Gottes Wege verstellt. Das abschließende „Wie“ formuliert wiederum nachdrücklich den Spielraum, möglicherweise auch den freien Willen, der die erträgliche Gestaltung des „Ertragens“ ermöglicht. Es fällt aber auf, dass diejenigen Verse, die die selbstbewusste Marschallin zeichnen, der Aufmerksamkeit und Rationalisierung bedürfen. Die intuitiver wirksamen Sprachbilder lassen den Eindruck der Frömmigkeit zurück, die nicht ganz ohne naive Anteile auskommt. Wenn die Marschallin im Anschluss Octavian ihre Gedanken über die verfließende (Lebens-)Zeit auseinandersetzt, wird Hofmannsthals genaue und komplexe Charakterisierung der Figur sichtbar. Das beginnt mit ihrer Poetik der Vergänglichkeit:

Oh, sei Er gut, Quinquin. Mir ist zu Mut, dass ich die Schwäche von allem Zeitlichen recht spüren muss. Bis in mein Herz hinein, wie man nichts halten soll, wie man nichts packen kann. Wie alles zerläuft, zwischen den Fingern, wie alles sich auflöst, wonach wir greifen, alles zergeht wie Dunst und Traum.

Die Fürstin entwindet sich aus Octavians Umarmung, indem sie an ihre vorangegangenen Gedanken über das Vergehen der Lebenszeit anschließt. Die Einsicht, dass sich das Ich der kleinen Resi einst im Körper der alten Marschallin wiederfinden wird, ist schon geäußert, und ebenso das Bewusstsein um die Gestaltungsmöglichkeiten im Umgang mit dieser Einsicht. Im Gespräch mit dem jungen Liebhaber ist die Schwäche alles Zeitlichen aber auch die Vergänglichkeit des Liebesverhältnisses. Die Marschallin als Figur kann sich dabei nicht in der pragmatischen Darstellung erschöpfen, wonach sie weiß, dass jedes Liebesverhältnis ein Ende hat (im Gegen-


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satz zu Octavian hat sie diese Erfahrung schon gemacht) und man darum kein großes Aufhebens zu machen braucht. Vielmehr nutzt sie ihre Erfahrung, die Überlegenheit ist, um Octavian mit Pragmatismus zu kränken:

Jetzt muss ich noch den Buben dafür trösten, dass er mich über kurz oder lang wird sitzen lassen.

Hofmannsthal lässt die Marschallin ruhig das dramaturgisch Unvermeidliche aussprechen. Die Gefasstheit steigert die Empathie mit der Figur, die durch die Gleichzeitigkeit von Gelassenheit und Traurigkeit, Einsicht und Unglück überlebensgroß erscheint. Wieviel hilft es da, wenn der Dichter seiner Figur offen widerspricht? „… sie wird nicht sitzen gelassen, sondern schiebt mit einer überlegenen Geste Octavian zu Sophie hin“, schrieb Hofmannsthal an Harry Kessler, während Richard Strauss seine Glockenschläge womöglich schon komponiert hatte. Das Bedürfnis der Schöpfer der Marschallin, die Figur zu besprechen, zu interpretieren und auch noch Jahre später zu erklären, spricht Bände.

Das Ringen um die Libertinage Harry Graf Kesslers Rolle in der Entstehung des Rosenkavalier änderte sich mit dem Fortgang von Hofmannsthals Arbeit am Libretto. Aus den Tagebuchaufzeichnungen Kesslers ist zu sehen, wie viel von der späteren Gestalt der Komödie für Musik schon „im Hin- und Herreden“, wie Kessler schrieb, in Weimar entstanden war. Im Verlauf der Ausarbeitung des Librettos berücksichtigte Hofmannsthal nur noch vereinzelt die detaillierten brieflichen Vorschläge Kesslers und verließ sich eher auf die musikdramatische Erfahrung Richard Strauss’. Komponist und Librettist pflegten von April 1909 an einen raschen, geschäftsmäßigen Austausch zum Werk, der sich fast ausschließlich mit praktischen Fragen des Verhältnisses von Musik und Text und der Stückdramaturgie befasste. Kessler hingegen kommentierte das Libretto in seitenlangen Anmerkungen oft mit kunst- und literaturgeschichtlichen Verweisen. Das entsprach wesentlich der Korrespondenz, die Hofmannsthal und Kessler 1898 zu führen begonnen hatten und die über weite Strecken in einem angeregten Austausch über Literatur, bildende Kunst, kulturgeschichtliche und ästhetische Fragen bestand. Über die Figur der Marschallin schrieb Kessler am 24. Mai 1909 an Hofmannsthal: „Ich kann dir übrigens eine Zeitgenossin von ihr nennen, die viel Ähnlichkeit mit ihr gehabt hat, Jeanne d’Albert de Luynes, Comtesse de Verrue, eine wunderschöne Freundin des Régent, die sich ihre Grabschrift selbst in folgende Worte dichtete:

Ci gît dans une paix profonde Cette dame de volupté Qui, pour plus grande sûreté Fit son paradis dans ce monde.


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Ich kann mir die Marschallin als Verfasserin dieser Zeilen auch denken.“ Dieser Verweis ist mehr als eine weltgewandte Assoziation. Durch die Verbindung mit der Comtesse de Verrue führt Kessler die Marschallin-Figur auf den kulturellen Kontext zurück, aus dem er selbst die Anregung und das Material für die ersten Skizzen zum späteren Rosenkavalier entnommen hatte. Die Wiedergabe des Grabspruchs – zu Deutsch: „Hier ruht in einem tiefen Frieden / Jene Dame der Lust / Die, um sicher zu gehen / Ihr Paradies schon auf Erden geschaffen hat“ – ist damit ein Kommentar zu Kesslers Verständnis der Figur ebenso wie ein Hinweis auf dessen Rolle bei der Entstehung des Werks, ein Thema, das zum Konflikt und zur langfristigen Entfremdung zwischen ihm und Hofmannsthal führen sollte. Jeanne d’Albert de Luynes, Comtesse de Verrue, war zunächst offizielle Mätresse des Königs von Piemont-Sizilien, später eine Vertraute des französischen Königs Ludwig XV. In ihrem Haus verkehrten Künstler, Literaten und Politiker, sie hinterließ eine umfangreiche Bibliothek und Kunstsammlung. Die Zeitgenossenschaft mit der Marschallin ist etwas großzügig gerechnet, nachdem Der Rosenkavalier „in den ersten Jahren der Regentschaft Maria Theresias“, also kurz nach 1740 spielt, und die Comtesse de Verrue 1736 mit 66 Jahren starb. Kessler stellt aber eine Verbindung zu einer französischen Literaturtradition her, die für die Entstehung des Rosenkavalier von größter Bedeutung war. Die Gewichtung dieses Einflusses ist dann wiederum entscheidend für die Interpretation der facettenreichen Figur der Marschallin. Denn mit dem Verweis auf die Comtesse, die sich ihr Paradies auf Erden geschaffen hatte, statt auf das Jenseits zu warten, erinnert Kessler auch an die Marquise de Bay aus der Operette (bzw. „conte galante“) L’Ingénu libertin ou la Marquise et le marmiton von Louis Artus und Claude Terrasse, das frühe Vorbild für die Marschallin. Von der Operette hatte Kessler Hofmannsthal erzählt, und auf ihrer Grundlage entwarfen die beiden das erste Szenario für die Oper, die später Der Rosenkavalier heißen sollte (zu Kesslers Enttäuschung, der Quin-Quin vorgeschlagen hatte – wiederum eine Reminiszenz an die französische Operette, was Hofmannsthal auch gleich negativ aufgefallen war). Kessler hatte die Operette in Paris gesehen, Hofmannsthal kannte zunächst nur die Vorlage, den Roman Une année de la vie du chevalier de Faublas von Jean-Baptiste Louvet de Couvray aus dem Jahr 1787. Als Hofmannsthal am 28. Juli 1909 an Kessler schrieb, er habe nun Louis Artus’ Textbuch zu L’Ingenu libertin gelesen und finde es „reizend“, hatte Strauss schon weite Teile des Rosenkavalier komponiert und außerdem die entscheidende Änderung des zweiten Aufzuges vorgeschlagen. Der Hofmannsthal bekannte Faublas exerziert meisterhaft die Chimäre des im 18. Jahrhundert beliebten Libertinage-Romans: Im Zentrum steht (vermeintlich) die wahre und „reine“ Liebe des Chévalier Faublas zu Sophie, die er kennenlernt, als er seine Schwester Adelaide im Kloster besucht. Dieser Liebe stehen jene zahlreichen Szenen gegenüber, die mutmaßlich den durchschlagenden Erfolg des Romans und seiner Fortsetzungen begründeten: Nach seiner Initiation durch die Marquise de B. erlebt Faublas zahlreiche Liebesabenteuer, die detailliert beschrieben werden.


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Die Zeichnung der Marquise de B. ist entscheidend für die Atmosphäre von Une année de la vie du chevalier de Faublas. Sie ist als atemberaubend elegante und schöne Frau von 25 Jahren beschrieben, zu deren standesgemäßen Vergnügungen Liebschaften ebenso selbstverständlich zählen wie Ballbesuche. Die Reibung der routinierten Rendezvous und Boudoirbesuche der Marquise mit der Wahrung von Etikette und Diskretion verarbeitet der Autor dabei zu komischen Momenten. Als der Marquise auf einem Ball der als Mädchen verkleidete Faublas vorgestellt wird – als die Schwester ihres Geliebten Rosambert –, durchschaut sie die Verkleidung offensichtlich und erkennt sie als gute Gelegenheit, um das „liebreizende Kind“ zum späten Souper in ihr Palais einzuladen, dem eine weitere Einladung folgt – zur Übernachtung im Bett der Marquise, es ist sehr spät geworden. Der Chévalier hat der Marquise schon auf dem Ball aus Angst, entdeckt zu werden, wiederholt flüsternd beteuert, dass er ein verkleideter Mann sei, was sie empört als absurd zurückgewiesen hat. Als sie bei der Umarmung im Bett genau das feststellt, ruft sie schockiert aus: „Allerdings, ja, Sie haben es mir gesagt, aber war es denn glaubhaft?“ In der Operette L’Ingénu libertin, zu der Librettist Louis Artus den Faublas-Stoff verarbeitet hat, weiß die Marquise, hier Marquise de Bay, ebenfalls die Form zu wahren, in einem noch viel weiter gefassten Sinn als im Roman, was die Figur als aktiv und unabhängig erscheinen lässt. Im Schlussterzett – eine Vorschau auf das Finale des Rosenkavalier – fordert sie Faublas auf, sich zwischen ihr und Sophie zu entscheiden. Faublas wählt Sophie und bittet die Marquise um Verzeihung. Sie erteilt der Liebe der beiden lächelnd ihre Zustimmung. Als Hofmannsthal an Kessler über die Marschallin schrieb, „sie schiebt mit einer überlegenen Geste Octavian zu Sophie hin“, referierte er unwissentlich die Regieanweisung in dem ihm zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Libretto des Ingénu libertin: die Marquise führt Sophie zu Faublas. Die Marquise ist, wie man nach der Aussage der Marschallin sein soll: „leicht, mit leichtem Herz und leichten Händen“. Die Intention, eine an die Galanterie des 18. Jahrhunderts angelehnte, selbstbewusste Marschallin zu zeichnen, brachten also Hofmannsthal, Kessler und Strauss gleichermaßen zum Ausdruck. Worauf Hofmannsthal bei seiner Figur weitgehend verzichtete und was auch Strauss nicht komponierte, war der komische Bruch. Die Marschallin im Rosenkavalier lebt ihre Affäre letztlich souverän, aber sie bringt auch Traurigkeit und Ernst zum Ausdruck. Wenn sie sich mit „in Gottes Namen“ verabschiedet, so haben sich die Herren, die sie „mit Leichtigkeit“ sehen wollten, der Nachwelt eventuell zu viele Möglichkeiten gegeben, der österreichischen Variante der Marquise de Bay die Libertinage auszutreiben.

Wenn es Abend wird „Leicht muss man sein, mit leichtem Herz und leichten Händen, halten und nehmen, halten und lassen. Die nicht so sind, die straft das Leben, und Gott erbarmt sich ihrer nicht.“ Wenn Octavian auf das bekannte Credo der Marschallin am Ende des ersten Aufzugs antwortet, sie spreche „wie ein


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Pater“, erscheint das einigermaßen erstaunlich: Welcher Pater im katholischen Österreich des 18. Jahrhunderts wäre zu der Originalität einer Predigt fähig, nach der sich Gott derer erbarmt, die das Leben leichtnehmen und im Umgang mit außerehelichen Liebesaffären die Umsicht haben, zu „halten und nehmen, halten und lassen“? Diese Religion ist nicht unbedingt rätselhaft, sie ist eher zweckmäßig. Nachdem die Marschallin ihren persönlichen Leichtigkeitskatechismus gepredigt hat, wird sie „in die Kirchen gehen“, ein Vorgang, der in diesem Zusammenhang ebenso routiniert erscheint wie der Verweis auf den „heiligen Eh’stand“. Die Marschallin beratschlagt ganz praktisch mit Octavian, wie schnell der Feldmarschall von der krowatischen Jagd zurück sein könnte, auf dass die beiden nicht erwischt werden. Dass sie sich in dieser Weise mit ihrem Liebhaber bespricht, hat gleichzeitig zum Inhalt, was eigentlich selbstverständlich ist: Die Ehe mit dem Feldmarschall steht nicht zur Disposition. Sie ist das Faktum, vor dessen Hintergrund die Affäre mit Octavian erst möglich wird. Denn die Ehe ist für eine Aristokratin des 18. Jahrhunderts eine Institution, die einerseits unzweifelhaft, andererseits aber auch funktional ist. Der vagen Erinnerung über den Schock ihrer Verheiratung steht die Gegenwart gegenüber: Wenn die Fürstin Werdenberg den Morgen mit ihrem Geliebten genießt, während im Vorzimmer die Antichambre wartet, dann ist das kein Irrtum und kein Fehltritt, sondern die Ausübung eines ständischen Privilegs. Die braven Lakaien, die „sagen, dass ich schlaf“, sind nur einer von zahlreichen Hinweisen darauf, wie selbstverständlich dieses Privileg ausgeübt wird. Die Etikette verlangt lediglich, sich nicht dabei erwischen zu lassen. Das hätte unangenehme Folgen – und würde doch nicht den Untergang bedeuten, deutet die Marschallin doch an, dass es schon „einmal“ geschehen ist. Dass Octavian nicht der erste Liebhaber der Marschallin ist, dabei handelt es sich nicht um eine Erfindung von Richard Strauss, sondern um eine Selbstverständlichkeit, auf die hinzuweisen auch Hugo von Hofmannsthal ein Bedürfnis war. Dass er nicht der letzte sein werde, ist im weitesten Sinne Strauss’ Regieanweisung. Wenn in ihrem letzten Auftritt die Marschallin auf Faninals „Sind halt aso, die jungen Leut“ ihr „Ja, ja“ antwortet, dann liegt hier die finale Entscheidung über die Einordnung der Affäre zwischen Octavian Rofrano und der Fürstin Werdenberg – oder auch, einmal mehr, „der ganze Unterschied“. Dass es hier um Leben und Tod geht, scheint drastisch ausgedrückt – aber nicht zu drastisch, wie eine seltene Blüte des Rosenkavalier-Nachlebens zeigt. Das Büchlein Marschallin, es ist Abend … etwa, das 1956 mit dem Untertitel Aufzeichnungen der Fürstin Werdenberg nach dem Abschied Octavians und dem Hinweis „Herausgegeben von Jacoba von Stettendorf“ erschien, entscheidet sich etwa für den Tod. Diese skurrile Schrift, unter Pseudonym verfasst von Hulda Hofmiller, Schriftstellerin und Ehefrau des konservativen Münchner Literaturkritikers, Philologen und Übersetzers Josef Hofmiller (1872–1933) setzt laut eigener Angabe ein, „nachdem sich der Vorhang über dem Hofmannsthal’schen Rosenkavalier geschlossen hat“. In einem ländlich-österreichischen Idiom, das von Hofmannsthals Kunstsprache so weit entfernt ist wie das Raitzenland von Wien, lässt Hofmiller die Marschallin in Tagebucheinträgen ihr Leben beschließen. Der zweite Eintrag etwa lautet: „Ich


Nikolaus Stenitzer

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will mein zugekommnes Loos annehmen mit den beid Händen, und alles was noch sein wird in der letzten ausgehenden Zeit, das will ich für wert finden.“ Diese Marschallin scheint vergessen zu haben, dass sich Gott ihrer nicht erbarmen wird, wenn sie derartigen Verrat an der Leichtigkeit begeht. Wie aber kommt es zu der Entscheidung, die Figur, die Richard Strauss als eine „junge, schöne Frau von höchstens 32 Jahren“ beschrieb, nach dem Abgang ihres Teenager-Liebhabers mit dem (weltlichen) Leben abschließen zu lassen? Wie ist der Weg von der Marquise de Bay, deren Alter bei Louvet de Couvray mit 25 Jahren angegeben wird, zu einer Figur zu verstehen, die in Anbetracht der ehrbaren Avancen eines Grafen Lichnowsky seufzt „Tut mir ganz weh im Herzen, wenn einer mir gut ist außer dem Buben“? Die Antwort liegt in der Transformation, die Figur und Stoff durch die Arbeit von Hofmannsthal und Strauss durchgemacht haben – und, einmal mehr, in der Zeit, die zwischen dieser Transformation und dem Erscheinen von Marschallin, es ist Abend … vergangen ist. Die Marschallin ist keine Marquise de Bay mehr, wie der Ochs kein Monsieur de Pourceaugnac mehr ist. Hofmannsthal schreibt an Kessler noch während der Arbeit am zweiten Aufzug, er habe im Verhältnis zu Molières Figuren einen „gemischteren Ton“ angeschlagen, „mit mehr Realität“. Diese „Realität“ besteht in einer gewissen psychologischen Zeichnung der Figuren gegenüber den Typen aus Molières Komödien und den stark überzeichneten Operettenfiguren. Die Marschallin handelt immer noch wie eine standesbewusste Hocharistokratin des 18. Jahrhunderts, aber an die Stelle theatraler Überzeichnung ist ein gewisser Anteil an Empfindsamkeit getreten, eben so, dass sie jetzt „die Schwäche von allem Zeitlichen recht spüren muss“. So wird es möglich, der Figur in der Interpretation eine Richtung zu geben, die die „Dame de volupté“, mit der Kessler sie in Verbindung bringen wollte, gänzlich zum Verschwinden bringt. Natürlich ist die Dichtung Hulda Hofmillers ein obskures Extrembeispiel dieses Verschwindens, aber sie ist eines, das auf der Ebene der Interpretation zu verorten ist. Und Interpretation geschieht nicht im zeitlosen Raum. Der Rosenkavalier wurde drei Jahre vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs uraufgeführt (nach dessen Ende Strauss an Hofmannsthal schrieb, dass ihm „nach diesem Kriege Tragik auf dem Theater vorläufig ziemlich blöde und kindlich“ erscheine und er als Nächstes eine Operette schreibe wolle). Seine Gestaltungshinweise für die Marschallin-Figur formulierte Strauss mitten im Zweiten Weltkrieg, Hulda Hofmillers Dichtung erschien elf Jahre nach dessen Ende. Betrachtet man das „In Gottes Namen“ diverser Marschallinnen in der Mitte des 20. Jahrhunderts – ein Beispiel wäre Elisabeth Schwarzkopf in Paul Czinners Rosenkavalier-Film (1962) – kann Marschallin, es ist Abend … durchaus in einer Tradition gesehen werden, die die Figur gegen die Intention ihrer Schöpfer der „Leichtigkeit“ weitgehend entledigt und ihr stattdessen eine Feierlichkeit des Leidens anheimgibt, deren Fortschreibung in Richtung verstärkter Religiosität zumindest nachvollziehbar erscheint. Walter Benjamin schrieb im Passagen-Werk, die Wahrheit sei „an einen Zeitkern, welcher im Erkannten und im Erkennenden zugleich steckt, gebunden.“ In anderen Worten: Wenn die Marschallin in ihrer dringlichen Rätselhaftigkeit sagt „Die Zeit im Grunde, Quin-Quin, die Zeit, die ändert


Die Zeit ändert was an den Sachen

95

doch nichts an den Sachen“, dann liegt sie falsch. Es ist auch eine Frage des gesellschaftlichen und historischen Hintergrundes, vor dem die Marschallin ihr „Ja, ja“ singt, ob man diese abfallende Sept von d’’ auf e’ als die Melodie des Hofmiller’schen „Heimgangs“ versteht, oder ob man die Heurigenmelancholie eines Johann Strauß darin hört, die so wehmütig wie diesseitig daherkommt. Wer sich für Letzteres entscheidet, wird in der Lage sein, dasselbe Intervall im ersten Akt wiederzufinden. „Und Nachmittag“, singt die Marschallin dort, und lässt sich dabei in genau derselben Weise von d’’ auf e’ fallen. Sie wird wohl nicht in die Kirchen gehen. Sie wird in den Prater fahren. Mit Dank an Malte Krasting für den Hinweis auf Marschallin, es ist Abend … Aufzeichnungen der Fürstin Werdenberg nach dem Abschied Octavians.

Nikolaus Stenitzer studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Philosophie in Wien und Hamburg und schloss sein Studium 2006 mit einer performancetheoretischen Arbeit über die Situationistische Internationale ab. Anschließend war er Büroleiter im Österreichischen Filmmuseum in Wien, ab 2009 Lektor, Redakteur und Journalist zunächst in Hamburg, dann in Berlin. In den Spielzeiten 2013 / 14 und 2016 / 17 leitete er die Redaktion von Max Joseph, dem Magazin der Bay­ erischen Staatsoper. Seit der Spielzeit 2017 / 18 ist er Dramaturg an der Bayerischen Staatsoper.


Richard Strauss (1864–1949)

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Libretto

Der Rosenkavalier Komödie für Musik in drei Aufzügen von Hugo von Hofmannsthal Musik von Richard Strauss, Op. 54

Meinen lieben Verwandten, der Familie Pschorr in München, zugeeignet. [Widmung von Richard Strauss, Partitur von 1910] Ich widme diese Komödie dem Grafen Harry Kessler, dessen Mitarbeit sie so viel verdankt. H. H. [Widmung von Hugo von Hofmannsthal, Buchausgabe von 1911]


Libretto

97

Personen:

Orchesterbesetzung:

Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg – Sopran

3 Flöten (3. auch Piccolo), 3 Oboen (3. auch Englisch Horn),

Der Baron Ochs auf Lerchenau – Bass Octavian, genannt Quinquin, ein junger Herr aus großem

Klarinette in D (auch in Es und 3. Klarinette in B), 2 Klarinetten in B (auch Klarinetten in A und C)*,

Haus – Mezzosopran

Bassetthorn (auch Bassklarinette), 3 Fagotte (3. auch

Herr von Faninal, ein reicher Neugeadelter – Hoher Bariton

Kontrafagott), 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen,

Sophie, seine Tochter – Hoher Sopran

Basstuba, Pauken, Schlagzeug (3 Spieler; Glockenspiel,

Jungfer Marianne Leitmetzerin, die Duenna – Hoher Sopran

große Trommel, Becken, Triangel, Tamburin, große Ratsche,

Valzacchi, ein Intrigant – Tenor

große Rührtrommel, kleine Militärtrommel, Schellen, Kastagnetten), Celesta, 2 Harfen, 16 erste Violinen**,

Annina, seine Begleiterin – Alt Ein Polizeikommissar – Bass

16 zweite Violinen**, 12 Violen**, 10 Violoncelli**,

Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin – Tenor

8 Kontrabässe**

Der Haushofmeister bei Faninal – Tenor Ein Notar – Bass

Bühnenmusik im 3. Aufzug: 2 Flöten, Oboe, Klarinette in C,

Ein Wirt – Tenor

2 Klarinetten in B, 2 Fagotte, 2 Hörner, Trompete,

Ein Sänger – Hoher Tenor

kleine Trommel, Harmonium, Klavier, erste und zweite Violinen***, Violen, Violoncelli, Kontrabässe

Ein Gelehrter Ein Flötist Ein Friseur Dessen Gehilfe Eine adelige Witwe Drei adelige Waisen – Sopran, Mezzosopran, Alt Eine Modistin – Sopran Ein Tierhändler – Tenor Vier Lakaien der Marschallin – 2 Tenöre, 2 Bässe Vier Kellner – 1 Tenor, 3 Bässe Mohammed, ein junger schwarzer Diener bei der Feldmarschallin, Lakaien, Lauffer, Haiducken, Küchenpersonal, Gäste, Musikanten, zwei Wächter, vier kleine Kinder. Verschiedene verdächtige Gestalten. In Wien, in den ersten Jahren der Regierung Maria Theresias

* Wo C-Klarinetten vorgeschrieben sind, ist es absolut unzulässig, dieselben durch A- oder B-Klarinetten zu ersetzen. ** Es ist dem Ermessen des Dirigenten überlassen, an Stellen, wo die vorgeschriebene Streicherbesetzung die Deutlichkeit des auf der Bühne gesprochenen Wortes beeinträchtigt, die Anzahl der spielenden Pulte zu ermäßigen. *** Die Streicher auf der Bühne entweder 5 gute Solisten mit klangvollen Instrumenten, oder in reichlicher Verdpoppelung (nur nicht je zwei).


Erster Aufzug

98

Erster Aufzug

(sehr innig) Ich hab’ dich lieb! (Umarmung)

Das Schlafzimmer der Feldmarschallin. Links im Alkoven das große zeltförmige Himmelbett. Neben dem Bett ein

Octavian (fährt auf)

dreiteiliger chinesischer Wandschirm, hinter dem Kleider

Warum ist Tag? Ich will nicht den Tag! Für was ist der Tag!

liegen. Ferner ein kleines Tischchen und ein paar Sitzmö-

Da haben dich alle! Finster soll sein!

bel. Auf einem kleinen Sofa links liegt ein Degen in der

(Er stürzt ans Fenster, schließt es und zieht die Vorhänge

Scheide. Rechts große Flügeltüren in das Vorzimmer. In

zu. – Man hört von fern ein leises

der Mitte kaum sichtbare kleine Türe in die Wand eingelas-

Klingeln.)

sen. Sonst keine Türen. Zwischen dem Alkoven und der kleinen Türe steht ein Frisiertisch und ein paar Armsessel

Marschallin (lacht leise)

an der Wand. Die Vorhänge des Bettes sind zurückgeschlagen. – Durch das halbgeöffnete Fenster strömt die

Octavian

helle Morgensonne herein. Man hört im Garten die Vöglein

Lachst du mich aus?

singen. – Octavian kniet auf einem Schemel vor dem Bett und hält die Marschallin, die im Bett liegt, halb umschlun-

Marschallin (zärtlich)

gen. Man sieht ihr Gesicht nicht, sondern nur ihre sehr

Lach’ ich dich aus?

schöne Hand und den Arm, von dem das Spitzenhemd abfällt.

Octavian Engel!

Octavian (schwärmerisch) Wie du warst! Wie du bist!

Marschallin

Das weiß niemand, das ahnt keiner!

Schatz du, mein junger Schatz. (wieder ein feines Klingeln)

Marschallin (richtet sich in den Kissen auf)

Horch!

Beklagt Er sich über das, Quinquin? Möcht’ Er, dass viele das wüssten?

Octavian Ich will nicht.

Octavian (feurig) Engel! Nein! Selig bin ich,

Marschallin

dass ich der Einzige bin, der weiß, wie du bist!

Still, pass auf!

Keiner ahnt es! Niemand weiß es. Du, du, du! Was heißt das „du“? Was „du und ich“?

Octavian

Hat denn das einen Sinn?

Ich will nichts hören! Was wird’s denn sein?

Das sind Worte, bloße Worte, nicht? Du sag’!

(das Klingeln näher)

Aber dennoch: Es ist etwas in ihnen,

Sind’s leicht Lauffer mit Briefen und Komplimenten?

ein Schwindeln, ein Ziehen, ein Sehnen und Drängen,

Vom Saurau, vom Hartig, vom portugieser Envoyé?

ein Schmachten und Brennen:

Hier kommt mir keiner herein! Hier bin ich der Herr.

Wie jetzt meine Hand zu deiner Hand kommt,

(Die kleine Tür in der Mitte geht auf und Mohammed in

das Zudirwollen, das Dichumklammern,

Gelb, behängt mit silbernen Schellen, ein Präsentierbrett

das bin ich, das will zu dir,

mit der Schokolade tragend, trippelt über die Schwelle.

aber das Ich vergeht in dem Du …

Die Tür hinter ihm wird von unsichtbaren Händen ge-

Ich bin dein Bub – aber wenn mir dann Hören und Sehen

schlossen.)

vergeht – wo ist dann dein Bub?

Marschallin Schnell, da versteck’ Er sich! Das Frühstück ist’s.

Marschallin (leise) Du bist mein Bub, du bist mein Schatz!

Octavian (gleitet hinter den Schirm.)


Libretto

99

Marschallin

Marschallin

Schmeiß Er doch Seinen Degen hinter’s Bett!

Quinquin!

Octavian (fährt nach dem Degen und versteckt ihn.)

Octavian Mein Schatz!

Marschallin (legt sich zurück, nachdem sie die Vorhänge zugezogen hat.)

Marschallin Mein Bub!

Mohammed (stellt das Servierbrett auf das kleine Tisch-

(Sie frühstücken weiter.)

chen, schiebt dieses nach vorne, rückt das Sofa hinzu, verneigt sich dann tief gegen das Bett, die

Octavian (lustig)

kleinen Arme über die Brust gekreuzt. Dann tanzt er

Der Feldmarschall sitzt im krowatischen Wald und jagt auf

zierlich nach rückwärts, immer das Gesicht dem Bette

Bären und Luchsen

zugewandt. An der Tür verneigt er sich nochmals und

und ich, ich sitz’ hier, ich junges Blut, und jag’ auf was?

verschwindet.)

(ausbrechend) Ich hab’ ein Glück, ich hab’ ein Glück!

Marschallin (tritt zwischen den Bettvorhängen hervor. Sie hat einen leichten, mit Pelz verbrämten Mantel umgeschla-

Marschallin (indem ein Schatten über ihr Gesicht fliegt)

gen.)

Lass Er den Feldmarschall in Ruh! Mir hat von ihm geträumt.

Octavian (kommt zwischen der Mauer und dem Wandschirm heraus.)

Octavian Heut’ Nacht hat dir von ihm geträumt? Heut’ Nacht?

Marschallin Er Katzenkopf, Er unvorsichtiger!

Marschallin

Lässt man in einer Dame Schlafzimmer seinen Degen

Ich schaff’ mir meine Träume nicht an.

herumliegen? Hat Er keine besseren Gepflogenheiten?

Octavian Heute Nacht hat dir von deinem Mann geträumt?

Octavian

Heute Nacht?

Wenn Ihr zu dumm ist, wie ich mich benehm’ und wenn Ihr abgeht, dass ich kein Geübter in solchen

Marschallin

Sachen bin,

Mach’ Er nicht solche Augen. Ich kann nichts dafür.

dann weiß ich überhaupt nicht, was Sie an mir hat!

Er war einmal wieder zu Haus.

Marschallin (zärtlich auf dem Sofa)

Octavian (leise)

Philosophier Er nicht, Herr Schatz, und komm’ Er her.

Der Feldmarschall?

Jetzt wird gefrühstückt. Jedes Ding hat seine Zeit. Marschallin Octavian (setzt sich dicht neben sie. Sie frühstücken sehr

Es war ein Lärm im Hof von Pferd und Leut, und Er war

zärtlich. Octavian legt sein Gesicht auf ihr Knie. Sie

da.

streichelt sein Haar. Er blickt zu ihr auf. Leise.)

Vor Schreck war ich auf einmal wach.

Marie Theres!

Nein, schau nur, schau nur, wie ich kindisch bin, ich hör’ noch immer den Rumor im Hof.

Marschallin Octavian! Octavian Bichette!

Ich bring’s nicht aus dem Ohr. Hörst du leicht auch was?


Erster Aufzug

100

Octavian

Da sitzen meine Lieferanten und ein halbes Dutzend

Ja freilich hör’ ich was, aber muss es denn dein Mann sein! Denk’ dir doch, wo der ist: im Raitzenland*

Lakaien. Da!

noch hinterwärts von Esseg.** Octavian (läuft hinüber zur kleinen Türe) Marschallin Ist das sicher sehr weit?

Marschallin

Na dann wird’s halt was anders sein. Dann is ja gut.

Zu spät! Sie sind schon in der Garderob’! Jetzt bleibt nur eins! Versteck Er sich!

Octavian

Dort!

Du schaust so ängstlich drein, Theres? Octavian (nach einer kurzen Pause der Marschallin

Ratlosigkeit)

Weiß Er, Quinquin, wenn es auch weit ist –

Ich spring’ ihm in den Weg! Ich bleib’ bei dir!

der Feldmarschall ist halt sehr geschwind. Einmal –

Marschallin

(Sie stockt.)

Dort hinter’s Bett! Dort in die Vorhäng’! Und rühr’ dich nicht!

Octavian

Octavian (zögernd)

Was war einmal?

Wenn er mich dort erwischt, was wird aus dir, Theres?

Marschallin (zerstreut, horcht)

Marschallin (flehend) Versteck Er sich, mein Schatz!

Octavian (eifersüchtig) Was war einmal? Was war einmal? Bichette,

Octavian (beim Wandschirm)

Bichette! Was war einmal?

Theres!

Marschallin

Marschallin (ungeduldig aufstampfend)

Ach sei Er gut. Er muss nicht alles wissen.

Sei Er ganz still! (mit blitzenden Augen)

Octavian

Das möcht’ ich seh’n,

So spielt Sie sich mit mir! (Er wirft sich verzweifelt aufs Sofa.)

ob einer sich dort hinüber traut, wenn ich hier steh’. Ich bin kein napolitanscher General***: Wo ich steh’, steh’ ich.

Ich bin ein unglücklicher Mensch.

(Sie geht energisch gegen die kleine Tür los und horcht.) Sind brave Kerl’n, meine Lakaien. Wollen ihn nicht hereinlas-

Marschallin

sen, sagen, dass ich schlaf’. Sehr brave Kerl’n!

Jetzt trotz’ Er nicht. Jetzt gilt’s.

(Der Lärm in der Garderobe wird immer größer. Aufhor-

(horcht)

chend.)

Es ist der Feldmarschall.

Die Stimm’!

Wenn es ein Fremder wär’, so wär’ der Lärm da draußen in

Das ist ja gar nicht die Stimm’ vom Feldmarschall!

meinem Vorzimmer.

Sie sagen „Herr Baron“ zu ihm. Das ist ein Fremder.

Es muss mein Mann sein, der durch die Garderob’ herein will

(lustig)

und mit den Lakaien disputiert –

Quinquin, es ist ein Besuch.

Quinquin, es ist mein Mann.

(Sie lacht.) Fahr’ Er schnell in Seine Kleider,

Octavian (fährt nach seinem Degen und läuft nach rechts)

aber bleib’ Er versteckt, dass die Lakaien Ihn nicht seh’n.

Marschallin

Die blöde große Stimm’ müsste ich doch kennen.

Nicht dort. Dort ist das Vorzimmer.

Wer ist denn das? Herrgott, das ist ja der Ochs,


Libretto

101

das ist mein Vetter, der Lerchenau, der Ochs aus Lerche-

Marschallin

nau.

Du, Schatz!

Was will denn der? Jesus, Maria!

Und nicht einmal mehr als ein Busserl kann ich dir geben.

(Sie muss lachen.)

(Sie küsst ihn schnell. Neuer Lärm draußen.)

Quinquin, hört Er?

Er bricht mir ja die Tür ein, der Herr Vetter.

Quinquin, erinnert Er sich nicht?

Mach Er, dass Er hinauskomm’.

(Sie geht ein paar Schritte nach links hinüber.)

Schlief Er frech durch die Lakaien durch.

Vor fünf, sechs Tagen den Brief –

Er ist ein blitzgescheiter Lump! Und komm’ Er wieder, Schatz.

Wir sind im Wagen gesessen,

Aber in Mannskleidern und durch die vordre Tür, wenn’s

und einen Brief haben sie mir an den Wagenschlag

Ihm beliebt.

gebracht. Das war der Brief vom Ochs.

Octavian (geht schnell gegen die kleine Tür und will

Und ich hab’ keine Ahnung, was drin gestanden ist.

hinaus. Im gleichen Augenblick wird die Tür aufgerissen

(lacht)

und Baron Ochs, den die Lakaien vergeblich abzuhalten

Daran ist Er allein schuldig, Quinquin!

suchen, tritt ein. Octavian, der mit gesenktem Kopf rasch entwischen wollte, stößt mit ihm zusammen, dann drückt

Stimme des Haushofmeisters (draußen gesprochen)

er sich verlegen an die Wand links an der Tür. Drei Lakaien

Belieben Euer Gnaden in der Galerie zu warten!

sind gleichzeitig mit dem Baron eingetreten, stehen ratlos.)

(Die kleine rückwärtige Tür wird während des Folgen­den

Marschallin (setzt sich mit dem Rücken gegen die Türe

mehrmals bis zum Spalt geöffnet und wieder geschlossen,

und beginnt, ihre Schokolade zu trinken.)

als wollte von außen jemand eindringen, dem von anderen der Eintritt verwehrt wird.)

Baron (mit Grandezza zu den Lakaien) Selbstverständlich empfängt mich Ihro Gnaden.

Stimme des Barons (draußen)

(Er geht nach vorne, die Lakaien zu seiner Linken suchen

Wo hat Er Seine Manieren gelernt?

ihm den Weg zu vertreten.)

Der Baron Lerchenau antichambriert nicht. Baron (zu Octavian mit Interesse) Marschallin

Pardon, mein hübsches Kind.

Quinquin, was treibt Er denn? Wo steckt Er denn? Octavian (dreht sich verlegen gegen die Wand) Octavian (in einem Frauenrock und Jäckchen, das Haar mit einem Schnupftuch und einem Bande wie in einem

Baron (mit Grazie und Herablassung)

Häubchen, tritt hervor und knickst.)

Ich sag’: Pardon, mein hübsches Kind.

Befehl’n fürstli’ Gnad’n, i bin halt noch nit recht lang in fürstli’n Dienst.

Marschallin (sieht über die Schulter, steht dann auf und kommt dem Baron entgegen.)

* Die Bezeichnung „Raitzen“ geht auf die historische Region Raszien im heutigen Südwesten Serbiens und Kosovos zurück und wurde generell auf serbische Siedlungsgebiete in der Habsburgermonarchie angewendet. Hier könnte die Vojvodina gemeint sein, die östlich des heutigen Osijek (Esseg) beginnt. Novi Sad, die heutige Hauptstadt der Vojvodina, hieß auf serbisch Racka Varoš und auf deutsch Raitzenstadt oder Ratzenstadt, ehe sie 1848 von Kaiserin Maria Theresia in Nova Plantia umbenannt wurde. ** Osijek (Slawonien) *** Neapel erklärt sich im österreichischen Erbfolgekrieg 1792 für neutral. Ein anachronistischer Bezug wäre der

österreichisch-neopolitanische Krieg, der 1815 mit dem Friedensansuchen General Carrascosas endete.


Erster Aufzug

102

Baron (galant zu Octavian)

Marschallin

Ich hab’ Ihr doch nicht ernstlich wehgetan?

Ich bin auch jetzt noch nicht ganz wohl. Der Herr Vetter wird darum vielleicht die Gnade haben –

Die Lakaien (zupfen den Baron. Leise.) Ihre fürstlichen Gnaden!

Baron Natürlich.

Baron (macht die französische Reverenz mit zwei Wieder-

(Er dreht sich um, um Octavian zu sehen.)

holungen) Marschallin Marschallin

Meine Kammerzofe, ein junges Ding vom Lande.

Euer Liebden sehen vortrefflich aus.

Ich muss fürchten, sie inkommodiert Euer Liebden.

Baron (verneigt sich nochmals. Zu den Lakaien.)

Baron

Sieht Er jetzt wohl, dass Ihre Gnaden entzückt ist,

Ganz allerliebst!

mich zu sehn.

Wie? Nicht im Geringsten! Mich? Im Gegenteil!

(Auf die Marschallin zu, mit weltmännischer Leichtigkeit,

(winkt Octavian mit der Hand, dann zur

indem er ihr die Hand reicht und sie vorführt. Ruhig.)

Marschallin)

Und wie sollten Eure Gnaden nicht.

Euer Gnaden werden vielleicht verwundert sein,

Was tut die frühe Stunde unter Personen von Stand?

dass ich als Bräutigam –

Hab’ ich nicht seinerzeit wahrhaftig Tag für Tag

(sieht sich um)

unsrer Fürstin Brioche meine Aufwartung gemacht,

indes – inzwischen –

da sie im Bad gesessen ist, mit nichts als einem kleinen Wandschirm zwischen

Marschallin

ihr und mir.

Als Bräutigam?

(zornig umschauend) Ich muss mich wundern,

Baron

wenn Euer Gnaden Livree –

Ja, wie Euer Gnaden denn doch aus meinem Brief genugsam –

Octavian (ist an der Wand gegen den Alkoven hin geschlichen, macht sich möglichst unsichtbar beim Bett zu

Marschallin (erleichtert)

schaffen. Auf einen Wink der Marschallin haben die

Der Brief, natürlich, ja der Brief, wer ist denn

Lakaien ein kleines Sofa und einen Armstuhl nach vorne

nur die Glückliche,

getragen und sind dann abgegangen.)

ich hab’ den Namen auf der Zunge.

Marschallin

Baron (für sich)

Verzeihen Sie, man hat sich betragen, wie es befohlen.

Ein Grasaff, appetitlich, keine fünfzehn Jahr. Wie?

(Setzt sich auf das Sofa, nachdem sie dem Baron den

(nach rückwärts)

Platz auf dem Armstuhl angeboten hat.)

Pudeljung! Gesund! Gewaschen! Allerliebst!

Ich hatte diesen Morgen die Migräne. Marschallin Baron (versucht sich zu setzen, äußerst occupiert von der

Wer ist nur schnell die Braut?

Anwesenheit der hübschen Kammerzofe. Für sich.) Ein hübsches Ding! Ein gutes, saubres Kinderl!

Baron Das Fräulein Faninal.

Marschallin (aufstehend, ihm zeremoniös aufs Neue

(mit leisem Unmut)

seinen Platz anbietend)

Habe Euer Gnaden den Namen nicht verheimlicht.

Baron (setzt sich zögernd und bemüht sich, der hübschen Zofe nicht völlig den Rücken zu kehren)


Libretto

103

Marschallin

Marschallin

Natürlich! Wo hab’ ich meinen Kopf.

Gewiss! O sicherlich, dem Vetter seine Kinder,

Bloß die Famili. Sind’s keine Hiesigen?

die werden keine Don Quichotten.

Baron

Octavian (will mit dem Servierbrett rückwärts zur Tür hin)

Jawohl, Euer Gnaden, (mit Nachdruck)

Baron

es sind Hiesige.

Warum hinaus die Schokolade! Geruhen nur!

(leicht)

Da! Pst, pst, wieso denn!

Ein durch die Gnade Ihrer Majestät Geadelter. Er hat die Lieferung für die Armee, die in den Nieder­

Octavian (steht unschlüssig, das Gesicht abgewendet)

landen steht. Marschallin Octavian (macht sich mit dem Servierbrett zu tun,

Fort, geh’ Sie nur!

wodurch er mehr hinter den Rücken des Barons kommt.) Baron Marschallin (bedeutet Octavian ungeduldig mit den

Wenn ich Euer Gnaden gestehe,

Augen, er soll sich fortmachen)

dass ich so gut wie nüchtern bin.

Baron (missversteht der Marschallin Miene vollständig)

Marschallin (resigniert)

Ich seh, Euer Gnaden runzeln Dero schöne Stirn ob der

Mariandel, komm Sie her. Servier Sie seiner Liebden.

Mesalliance. Allein, dass ich es sage, das Mädchen ist für einen Engel

Octavian (kommt, serviert.)

hübsch genug. Kommt frischwegs aus dem Kloster. Ist das einzige Kind,

Baron (nimmt eine Tasse, bedient sich.)

(stärker)

So gut wie nüchtern, Euer Gnaden.

dem Mann gehören zwölf Häuser auf der Wied’n,

Sitz’ im Reisewagen seit fünf Uhr früh,

nebst dem Palais am Hof,

(recht ein gestelltes Ding!)

und seine Gesundheit

(zu Octavian)

(schmunzelnd)

(Bleib’ Sie hier, mein Herz. Ich hab’ Ihr was zu sagen.)

soll nicht die beste sein.

(zur Marschallin, laut) Meine ganze Livree, Stallpagen, Jäger, alles –

Marschallin

(Er frisst.)

Mein lieber Vetter, ich kapier’ schon, wieviel’s geschlagen

Alles unten im Hof zusammt meinem Almosenier.

hat. (Sie winkt Octavian, den Rückzug zu nehmen.)

Marschallin (zu Octavian) Geh’ Sie nur.

Baron Und mit Verlaub, fürstliche Gnaden,

Baron (zu Octavian)

ich dünke mir, gut’s adeliges Blut genug im Leib zu haben

Hat Sie noch ein Biscoterl? Bleib’ Sie doch.

für ihrer Zwei,

(leise)

man bleibt doch schließlich, was man ist, corpo di Bacco!

(Sie ist ein süßer Engel, Schatz, ein sauberer)

Den Vortritt, wo er ihr gebührt, wird man der Frau Gemahlin

(zur Marschallin)

noch zu verschaffen wissen, und was die Kinder anlangt,

– sind auf dem Wege zum „Weißen Rosse“,

wenn sie denen

wo wir logieren, heißt bis übermorgen –

den gold’nen Schlüssel nicht konzedieren werden –

(halblaut zu Octavian)

Va bene!

(Ich gäb’ was Schönes drum, mit Ihr –)

Sie werden sich mit den zwölf eisernen Schlüsseln

(zur Marschallin, sehr laut)

zu den zwölf Häusern auf der Wied’n zu getrösten wissen.

bis übermorgen –


Erster Aufzug

104

(schnell zu Octavian)

Baron

(unter vier Augen zu scharmutzieren! Wie?)

Dies liegt in Euer Gnaden allerschönsten Händen.

Marschallin (muss lachen über Octavians freches Komö-

Marschallin

dienspiel.)

Ganz gut. Will Er mit mir zu Abend essen, Vetter? Sagen wir morgen, will Er? Dann proponier’ ich Ihm einen.

Baron (zur Marschallin) Dann ziehen wir ins Palais von Faninal.

Baron

Natürlich muss ich vorher den Bräutigams-

Euer Gnaden sind die Herablassung selber.

aufführer – (wütend zu Octavian)

Marschallin (will aufstehn)

will Sie denn nicht warten? –

Indes …

an die wohlgeborne Jungfer Braut deputieren, der die Silberrose überbringt

Baron (halblaut)

nach der hochadeligen Gepflogenheit.

Dass Sie mir wiederkommt! Ich geh’ nicht eher fort!

Marschallin

Marschallin (für sich)

Und wen von der Verwandtschaft haben Euer Liebden

Oho!

für dieses Ehrenamt ausersehn?

(laut) Bleib’ Sie nur da! Kann ich dem Vetter

Baron

für jetzt noch dienlich sein?

Die Begierde, darüber Euer Gnaden Ratschlag einzuholen,

Baron

hat mich so kühn gemacht, in Reisekleidern bei Dero heutigem Lever* –

Ich schäme mich bereits: an Euer Gnaden Notari eine Recommandation wäre mir lieb.

Marschallin

Es handelt sich um den Eh’vertrag.

Von mir? Marschallin Baron

Mein Notari kommt öfter des Morgens. Schau Sie doch,

Gemäß brieflich in aller Devotion getaner Bitte.

Mariandel,

Ich bin doch nicht so unglücklich, mit dieser devotesten

ob er nicht in der Antichambre ist und wartet.

Supplik Dero Missfallen – Baron Marschallin

Wozu das Kammerzofe!?

Wie denn, natürlich! Einen Aufführer

Euer Gnaden beraubt sich der Bedienung

für Euer Liebden ersten Bräutigamsbesuch

um meinetwillen.

aus der Verwandtschaft – wen denn nur? –

(hält sie auf)

Baron (lehnt sich zurück, zu Octavian.) Sie könnte aus mir machen, was Sie wollte.

Marschallin

Sie hat das Zeug dazu!

Lass Er doch, Vetter, sie mag ruhig geh’n.

Marschallin

Baron (lebhaft)

Den Vetter Preysing? Wie? Den Vetter Lamberg?

Das geb’ ich nicht zu. Bleib’ Sie hier zu Ihrer Gnaden Wink.

Ich werde –

Es kommt gleich wer von der Livree herein.

* Morgendliche Ankleidezeremonie mit Empfang.


Libretto

105

(wiegend)

Haushofmeister (ab)

Ich ließ ein solches Goldkind, meiner Seel’, nicht unter das infame Lakaienvolk.

Baron (setzt sich möglichst unbefangen zurecht)

(streichelt sie) Marschallin (lachend) Marschallin

Der Vetter ist, ich seh’ es, kein Kostverächter.

Euer Liebden sind allzu besorgt. Baron (erleichtert) Haushofmeister (tritt ein.)

Mit Euer Gnaden (aufatmend) ist man frei daran. Da gibt’s keine Flausen

Baron

und keine Etiquette

Da, hab’ ich’s nicht gesagt?

(Er küsst der Marschallin die Hand.)

Er wird Euer Gnaden zu melden haben.

und keine spanische Tuerei.

Marschallin (zum Haushofmeister)

Marschallin (amüsiert)

Struhan, hab’ ich meinen Notari in der Vorkammer war-

Aber wo Er doch ein Bräut’gam ist?

ten? Baron (halb aufstehend, ihr genähert) Haushofmeister

Macht das einen lahmen Esel aus mir?

Fürstliche Gnaden haben den Notari,

Bin ich da nicht wie ein guter Hund auf einer guten

dann den Verwalter, dann den Kuchelchef,

Fährte?

dann, von Exzellenz Silva hergeschickt,

Und doppelt scharf auf jedes Wild, nach links, nach

ein Sänger mit einem Flötisten.

rechts!

(trocken) Ansonsten das gewöhnliche Bagagi.

Marschallin Ich sehe, Euer Liebden betreiben es als Profession.

Baron (hat seinen Stuhl hinter den breiten Rücken des Haushofmeisters geschoben, ergreift zärtlich die Hand der

Baron (ganz aufstehend)

vermeintlichen Zofe. Zu Octavian.)

Das will ich meinen.

Hat Sie schon einmal

Wüsste nicht, welche mir besser behagen könnte.

mit einem Kavalier im tête-à-tête

Ich muss Euer Gnaden sehr bedauern,

zu Abend gegessen?

dass Euer Gnaden nur – wie drück’ ich mich aus – die verteidigenden Erfahrungen besitzen.

Octavian (tut sehr verlegen)

Parole d’honneur! Es geht nichts über die von der anderen Seite.

Baron Nein? Da wird Sie Augen machen. Will Sie?

Marschallin (lacht) Ich glaube Ihm, dass die sehr mannigfaltig sind.

Octavian (leise, verschämt) I weiß halt nit, ob i dös derf.

Baron So viel Zeiten das Jahr, so viel Stunden der Tag, da ist

Marschallin (dem Haushofmeister unaufmerksam zuhö-

keine –

rend, beobachtet die beiden, muss leise lachen) Marschallin Haushofmeister (verneigt sich, tritt zurück, wodurch die

Keine?

Gruppe für den Blick der Marschallin frei wird) Baron Marschallin (lachend zum Haushofmeister) Warten lassen.

Wo nicht –


Erster Aufzug

106

Marschallin

Marschallin

Wo nicht?

Wie, auch für den Stier? So grob will Er sein? Oder möcht’ Er die Wolken spielen und dahergesäuselt

Baron

kommen als ein Streiferl nasse Luft?

Wo nicht dem Knaben Cupido ein Geschenkerl abzulisten wär’.

Baron (sehr munter)

(immer sehr schnell und deutlich)

Je nachdem, all’s je nachdem.

Dafür ist man kein Auerhahn und kein Hirsch,

Das Frauenzimmer hat gar vielerlei Arten,

sondern ist man Herr der Schöpfung,

wie es will genommen sein.

dass man nicht nach dem Kalender forciert ist, halten zu

Da ist die demütige Magd.

Gnaden!

Und da: die trotzige Teufelskreatur,

Zum Exempel der Mai ist recht lieb für’s verliebte Geschäft,

haut dir die schwere Stalltür an den Schädel –

das weiß jedes Kind,

und da ist, die kichernd und schluchzend den Kopf verliert –

aber ich sage:

die hab’ ich gern –

Schöner ist Juni, Juli, August.

und jener wieder, der sitzt im Auge ein kalter rechnender

Da hat’s Nächte.

Satan.

Da ist bei uns da droben so ein Zuzug

Aber es kommt eine Stunde,

von jungen Mägden aus dem Böhmischen

da flackert dieses lauernde Auge

herüber:

und der Satan,

Ihrer zweie, dreie halt’ ich oft

indem er ersterbende Blicke dazwischen schießt,

bis im November mir im Haus.

(mit Gusto)

Dann erst schick’ ich sie heim!

der würzt mir die Mahlzeit unvergleichlich.

Zur Ernte kommen sie und sind auch ansonsten anstellig und gut. –

Marschallin

(schmunzelnd)

Er selber ist einer, meiner Seel’!

Dann erst schick’ ich sie heim! – Und wie sich das mischt,

Baron

das junge, runde böhmische Völkel, schwer und süß,

Und wär eine, haben die Gnad’, die keiner anschaut:

mit denen im Wald, mit denen im Stall,

im schmutzigen Kittel schlumpt sie her,

dem deutschen Schlag scharf und herb

hockt in der Asche hinterm Herd –

wie ein Retzer Wein –

die, wo du sie angehst zum richtigen Stünd’l –

wie sich das mischen tut!

Die hat’s in sich!

Und überall steht was und lauert und schielt durch den

Ein solches Staunen –

Gattern,

gar nicht begreifen können

und schleicht zueinander und liegt beieinander,

und Angst und Scham;

und überall singt was

und auf die letzt so eine rasende Seligkeit,

und schupft sich in den Hüften

dass sich der Herr,

und melkt was

der gnädige Herr

und mäht was

herabgelassen gar zu ihrer Niedrigkeit.

und plantscht und plätschert was im Bach und in der Pferdeschwemm.

Marschallin Er weiß mehr als das A-B-C!

Marschallin (sehr amüsiert) Und Er ist überall dahinter her?

Baron Da gibt es welche, die wollen beschlichen sein,

Baron

(alles nur in halblaut vertraulichem Ton)

Wollt’, ich könnt’ sein wie Jupiter selig

sanft wie der Wind das frischgemähte Heu beschleicht.

in tausend Gestalten!

Und welche

Wär’ Verwendung für jede.

(stark)


Libretto

107

da gilt’s –

Lass’ Er mir doch das Kind.

wie ein Luchs hinterm Rücken heran

Er ist ganz wie die andern dreiviertel sind.

und den Melkstuhl gepackt,

Wie ich Ihn so sehe, so seh ich hübsch viele.

dass sie taumelt und hinschlägt!

Das sind halt die Spiele, die euch convenieren!

Muss halt ein Heu

Und wir, Herr Gott! Wir leiden den Schaden,

(behäbig schmunzelnd)

wir leiden den Spott,

in der Nähe dabei sein.

und wir habens halt auch net anders verdient. (mit gespielter Strenge)

Octavian (platzt lachend heraus)

Und jetzt sakerlott, und jetzt sakerlott, jetzt lass’ Er das Kind.

Marschallin Nein, Er agiert mir gar zu gut!

Baron (nimmt wieder würdevolle Haltung an)

Lass Er mir doch das Kind.

Geben mir Euer Gnaden den Grasaff’ da zu meiner künft’gen Frau Gemahlin Bedienung.

Baron (sehr ungeniert zu Octavian) Weiß mich in Heu und Stroh zu bequemen,

Marschallin

weiß in Alkoven galant mich zu benehmen.

Wie, meine Kleine da? Was sollte die?

Hätte Verwendung für tausend Gestalten,

Die Fräulein Braut wird schon versehen sein

tausend Jungfern festzuhalten.

und nicht ansteh’n auf Euer Liebden Auswahl.

Hirsche und Hahnen geben mir Laune, seh’ ich Fasanen sauber sich paaren,

Baron

juckt’s mich, gefiedert dazwischenzufahren.

Das ist ein feines Ding! Kreuzsakerlott!

Tät’ auf’m Baum und im Korn mich bequemen,

Da ist ein Tropf gutes Blut dabei.

seh’ ich was Lieb’s, ich muss mir’s nehmen. Tät’ auf’m Baum und im Korn mich bequemen,

Octavian (für sich)

seh’ ich was Lieb’s: ich muss, ich muss mir’s nehmen.

Ein Tropf gutes Blut!

Octavian (sofort wieder in seiner Rolle)

Marschallin

Na, zu dem Herrn, da ging i net,

Euer Liebden haben ein scharfes Auge!

da hätt’ i an Respekt, da hätt’ i an Respekt,

Baron

na was mir da passieren könnt’,

Geziemt sich.

da wir i gar zu g’schreckt.

(vertraulich)

I waß net, was er meint,

Find’ in der Ordnung, dass Personen von Stand

i waß net, was er will.

in solcher Weise von adeligem Blut bedienet werden.

Aber was z’viel is, das ist zuviel.

Führ’ selbst ein Kind meiner Laune mit mir –

Na was mir da passieren könnt’. Aber was z’viel is, das ist zuviel.

Octavian (stets sehr belustigt zuhörend, für sich)

Na was mir da passieren könnt’.

Ein Kind seiner Laune?

Das is ja net zum sagen, zu so an Herrn, da ging i net,

Marschallin

mir tat’s die Red’ verschlagen.

Wie? Gar ein Mädel? Das will ich nicht hoffen!

Da tät’ sich unsereins mutwillig schaden. (zur Marschallin)

Baron (stark)

Ich hab’ solche Angst vor ihm, fürstliche Gnaden.

Nein, einen Sohn.

Marschallin

Octavian

Nein, Er agiert mir gar zu gut!

Einen Sohn?

Er ist ein Rechter! Er ist der Wahre!


Erster Aufzug

108

Marschallin

Octavian (bringt das Medaillon.)

Einen Sohn? Marschallin Baron

Wollen Euer Gnaden leicht den jungen Herren da

Trägt lerchenauisches Gepräge im Gesicht.

als Bräutigamsaufführer haben?

Halt’ ihn als Leiblakai.

(alles in sehr leichtem Konversationston)

Marschallin (lachend)

Baron

Als Leiblakai!

Bin ungeschauter einverstanden.

Octavian

Marschallin (etwas zögernd)

Als Leiblakai!

Mein junger Vetter, der Graf Octavian.

Baron

Baron (stets sehr verbindlich)

Wenn Euer Gnaden dann werden befehlen,

Wüsste keinen Vornehmeren zu wünschen.

dass ich die silberne Rose darf Dero Händen übergeben,

Wär’ in Devotion dem jungen Herrn sehr

wird er es sein, der sie heraufbringt.

verbunden.

Marschallin

Marschallin (schnell)

Soll mich recht freu’n. Aber wart’ Er einmal.

Seh’ Er ihn an!

(Octavian winkend)

(hält ihm das Medaillon hin)

Mariandel! Baron Baron

Die Ähnlichkeit!

Geben mir Euer Gnaden das Zofel! Ich lass nicht locker! Marschallin Marschallin

Ja, ja.

Ei! geh’ Sie nur und bring’ Sie das Medaillon her. Baron (sieht bald auf das Medaillon, bald auf die Zofe.) Octavian (leise)

Wie aus dem Gesicht geschnitten!

Theres, Theres, gib acht! Marschallin Marschallin (ebenso)

Hat mir auch schon Gedanken gemacht.

Bring’s nur schnell. Ich weiß schon, was ich tu’!

(auf das Medaillon deutend) Rofrano, des Herrn Marchese zweiter Bruder.

Baron (Octavian nachsehend) Könnt’ eine junge Fürstin sein –

Baron

Hab’ vor, meiner Braut eine getreue Kopie

Octavian? Rofrano! Da ist man wer, wenn man aus

meines Stammbaums zu spendieren

solchem Haus,

nebst einer Locke vom Ahnherrn Lerchenau, der ein

(mit Beziehung auf die Zofe)

großer Klosterstifter war

und wär’s auch bei der Domestikentür.

(etwas stärker) und Obersterblandhofmeister* in Kärnten und in der windischen Mark.**

*

Marschallin Darum halt’ ich sie auch wie was Besonderes.

Inhaber eines Erbhofamtes, Amtsträger in einem Gebiet, das sich im ererbten Besitz einer Dynastie befindet.

** Historisches Gebiet auf dem Territorium des heutigen Slowenien.


Libretto

109

Baron

Der Frisiertisch wird vorgeschoben in die Mitte. Lakaien

Geziemt sich.

öffnen die Flügeltüren rechts. Es treten ein: der Notar, der Küchenchef, hinter diesen ein Küchenjunge, der das

Marschallin

Menübuch trägt. Dann die Marchande de Modes, ein

Immer um meine Person.

Gelehrter mit einem Folianten und der Tierhändler mit winzig kleinen Hunden und einem Äffchen. Valzacchi und

Baron

Annina hinter diesen rasch gleitend, nehmen den vor-

Sehr wohl.

dersten Platz links ein. Die adelige Mutter mit ihren drei Töchtern, alle in Trauer, stellen sich in den rechten

Marschallin

Flügel. Der Haushofmeister führt den Tenor und den

Jetzt aber geh’ Sie, Mariandel, mach’ Sie fort.

Flötisten nach vorne. Baron rückwärts winkt einen Lakaien zu sich, gibt ihm den Auftrag, zeigt: „Hier durch

Baron

die Hintertür.“)

Wie denn? Sie kommt doch wieder? Die drei Waisen (schreiend) Marschallin (überhört den Baron absichtlich)

Drei arme, adelige Waisen –

Und lass’ Sie die Antichambre herein! Die adelige Mutter (bedeutet ihnen, nicht so zu schreien Octavian (geht gegen die Flügeltüre rechts)

und niederzuknien)

Baron (ihm nach)

Die drei Waisen (niederkniend)

Mein schönstes Kind!

Drei arme, adelige Waisen erflehen Dero hohen Schutz!

Octavian (an der Tür rechts) Derfts eina geh’!

Eine Modistin (laut) Le chapeau Pamela.*

Baron

La poudre à la reine de Golconde.**

Ich bin Ihr Serviteur. Geb’ Sie doch einen Augenblick Audienz!

Ein Tierhändler Schöne Affen, wenn Durchlaucht schaffen,

Octavian (schlägt dem Baron die kleine Tür vor der Nase zu)

auch Vögel hab’ ich da aus Afrika.

I komm glei. Die drei Waisen (In diesem Augenblick tritt eine alte Kammerfrau, die

Der Vater ist jung auf dem Felde der Ehre gefallen,

Waschbecken, Kanne und Handtuch trägt, durch die

ihm dieses nachzutun ist unser Herzensziel.

gleiche Türe ein. Der Baron zieht sich enttäuscht zurück. Zwei Lakaien kommen von rechts herein, bringen einen

Eine Modistin

Wandschirm aus dem Alkoven. Die Marschallin tritt hinter

Le chapeau Pamela! C’est la merveille du monde!

den Wandschirm, die alte Kammerfrau mit ihr.

* Nach der Titelfigur von Samuel Richardsons Roman Pamela; or: Virtue Rewarded (1740). Harry Graf Kessler befasste sich eingehend mit Richardsons Romanen und notierte u. a. 1906 in seinem Tagebuch: „Richardson führt die bürgerliche Liebe in die Kunst ein, macht sie kunstfähig“. ** La reine de Golconde ist eine Erzählung von Stanislas de Boufflers (1738—1815) aus dem Jahr 1761. Die Geschichte um das Bauernmädchen Aline, das zuerst Marquise und dann Königin des indischen Golkonda wird, wurde mehrfach zu Opernlibretti verarbeitet, die Version von Felice Romani vertonte Gaetano Donizetti (Alina, regina di Golconda, 1828 in Genua uraufgeführt).


Erster Aufzug

110

Ein Tierhändler

Valzacchi (mit bedauernder Verbeugung springt zurück.)

Papageien hätt’ ich da, aus Indien und Afrika.

Die drei Waisen (zuletzt auch die Mutter, haben der

Hunderln so klein, Hunderln so klein

Marschallin die Hand geküsst. Zum Abgehen bereit, etwas

und schon zimmerrein.

plärrend.) Glück und Segen allerwegen Euer Gnaden hohem Sinn!

(Die Marschallin tritt hervor, alles verneigt sich. Baron ist

Eingegraben steht erhaben er in unserm Herzen drin!

links vorgekommen.) (Gehen ab samt der Mutter. – Der Friseur tritt hastig auf, Marschallin (zum Baron)

der Gehilfe stürzt ihm mit fliegenden Rockschößen nach.

Ich präsentiere Euer Liebden hier den Notar.

Der Friseur fasst die Marschallin ins Auge; verdüstert sich, tritt zurück; er studiert ihr heutiges Aussehn. Der

(Der Notar tritt mit Verneigung gegen den Frisiertisch, wo

Gehilfe packt indessen aus, am Frisiertisch. Der Friseur

sich die Marschallin niedergelassen, zum Baron links.

schiebt einige Personen zurück, sich Spielraum zu

Marschallin winkt die jüngste der drei Waisen zu sich, lässt

schaffen. Der Flötist ist inzwischen vorgetreten und

sich vom Haushofmeister einen Geldbeutel reichen, gibt

beginnt seine Kadenz. Die Lakaien haben rechts ganz

ihn dem Mädchen, indem sie es auf die Stirn küsst.

vorne Stellung genommen, andere stehen im Hintergrun-

Gelehrter will vortreten, seinen Folianten überreichen.)

de. Nach einer kurzen Überlegung hat der Friseur seinen Plan gefasst, er eilt mit Entschlossenheit auf die Mar-

Valzacchi (springt vor, drängt ihn zur Seite, ein schwarz

schallin zu, beginnt zu frisieren. Ein Lauffer in Rosa,

gerändertes Zeitungsblatt hervorziehend.)

Schwarz und Silber tritt auf, überbringt ein Billett. Haus-

Die swarze Seitung! Fürstlike Gnade!

hofmeister mit Silbertablett ist schnell zur Hand, präsen-

Alles ’ier ge’eim gesriebe!

tiert es der Marschallin. Friseur hält inne, sie lesen zu

Nur für ’ohe Persönlikeite.

lassen. Gehilfe reicht ihm ein neues Eisen, Friseur

Die swarze Seitung!

schwenkt es: es ist zu heiß. Gehilfe reicht ihm nach

Eine Leikname in Interkammer

fragendem Blick auf die Marschallin, die nickt, das Billett,

von eine gräflike Palais!

das er lächelnd verwendet, um das Eisen zu kühlen.)

Eine Bürgersfrau mit der Amante vergiften den Hehemann

Der Sänger (hat sich in Positur gestellt, mit dem Noten-

diese Nackt um dreie Huhr!

blatt in der Hand) Di rigori armato il seno

Marschallin

contro amor mi ribellai,

Lass Er mich mit dem Tratsch in Ruh!

ma fui vinto in un baleno in mirar due vaghi rai.

Valzacchi

Ma fui vinto in un baleno

In Gnaden!

ah! in mirar due vaghi rai.

Tutte quante Vertraulikeite

Ahi! che resiste puoco

aus die große Welt.

a stral di fuoco Cor di gelo di fuoco a stral!*

Marschallin Ich will nix wissen!

(Der Friseur übergibt dem Gehilfen das Eisen und applau-

Lass Er mich mit dem Tratsch in Ruh!

diert dem Sänger, dann fährt er im Arrangement des

* Der Text der Arie stammt aus dem Finale von Molières Comédie-ballet Le Bourgeois gentilhomme (1670, Musik von Jean-Baptiste Lully). Dort wird sie von einer italienischen Sängerin vorgetragen. „Die Brust mit Strenge gewappnet / Widersetzte ich mich der Liebe. / Doch wurd’ ich durch den Blitz besiegt / Beim Anblick zweier schöner Augenstrahlen. / Ach, wie wenig widersteht / Das Herz aus Eis dem Pfeil aus Feuer.“


Libretto

111

Lockenbaues fort. – Ein Bedienter hat indessen bei der

Notar

kleinen Tür den Kammerdiener des Barons, den Almose-

Die Formen und die Präskriptionen kennen keinen

nier und den Jäger eingelassen. – Es sind drei bedenkliche

Unterschied.

Gestalten. Der Kammerdiener ist ein junger großer Lümmel, der dumm und frech aussieht. Er trägt unterm Arm ein

Baron (schreit)

Futteral aus rotem Saffian. Der Almosenier ist ein verwilderter Dorfkooperator*, ein drei Schuh hoher, aber stark

Haben ihn aber zu kennen!

und verwegen aussehender Gnom. Der Leibjäger mag,

Notar (erschrocken)

bevor er in die schlecht sitzende Livree gesteckt wurde,

In Gnaden!

Mist geführt haben. Der Almosenier und der Kammerdiener scheinen sich um den Vortritt zu streiten und steigen

Baron

einander auf die Füße. Sie steuern längs der linken Seite

Wo eines hochadeligen Blutes blühender Spross sich

auf ihren Herrn zu, in dessen Nähe sie Halt machen.)

herablässt, im Ehebette einer so gut als bürgerlichen Mamsell Faninal

Baron (sitzend zum Notar, der vor ihm steht, seine Weisun-

– bin ich verstanden? – acte de presence zu machen

gen entgegennimmt. Halblaut.)

vor Gott und der Welt und sozusagen

Als Morgengabe ganz separatim jedoch –

angesichts kaiserlicher Majestät –

und vor der Mitgift – bin ich verstanden, Herr Notar? – kehrt Schloss und Herrschaft Gaunersdorf an mich

Der Flötist (beginnt wieder zu präludieren.)

zurück! Von Lasten frei und ungemindert an Privilegien,

Baron

so wie mein Vater selig sie besessen hat.

Da wird corpo di Bacco! von Morgengabe als geziemendem Geschenk dankbarer Devotion …

Notar (kurzatmig) Gestatten, hochfreiherrliche Gnaden, die submisseste

Der Sänger (macht Miene wieder anzufangen, wartet

Belehrung,

noch, bis der Baron still wird)

dass eine Morgengabe wohl vom Gatten an die Gattin, nicht aber von der Gattin an den Gatten

Baron

(tief aufatmend)

… für die Hingab’ so hohen Blutes

bestellet und stipuliert zu werden fähig ist.

sehr wohl die Rede sein.

Baron

Der Tenor (während des Gesprächs der beiden)

Das mag wohl sein!

Ma si caro è’l mio tormento dolce è si la piaga mia,

Notar

ch’il penare è mio contento mio contento

Das ist so.

è’l sanarmi è tirannia.

(Nach längerer Rücksprache mit dem Haushofmeister

Ahi! che resiste, che resiste puoco Cor**…

beschäftigt sich die Marschallin mit der Abfassung des Menüs und fertigt dann den Küchenchef ab.)

Notar (zum Baron leise) Vielleicht, dass man die Sache separatim –

Baron Aber im besondren Fall –

* Hilfsgeistlicher ** „Doch so lieb ist mir die Qual, / So süß mir meine Wunde, / Dass das Leid mir zur Zufriedenheit gerät / Und zur Tyrannis die Gesundung. / Ach, wie wenig widersteht / das Herz“


Erster Aufzug

112

Baron (leise)

Nur der Gelehrte, vom Haushofmeister ihr zugeführt,

Er ist ein schmählicher Pedant: als Morgengabe will ich

bleibt noch im Gespräch mit der Marschallin bis zum

das Gütel!

Schluss des Intermezzos zwischen Valzacchi, Annina und dem Baron.)

Notar (ebenso) Als einen wohlverklausulierten Teil der Mitgift.

Valzacchi (zum Baron) Ihre Gnade sukt etwas. Ik seh.

Baron (halblaut)

Ihre Gnade at eine Bedürfnis.

Als Morgengabe! Geht das denn nicht in seinen Schädel?

Ik kann dienen, ik kann besorgen.

Notar

Baron (tritt zurück.)

Als eine Schenkung inter vivos oder …

Wer ist Er, was weiß Er?

Baron (schlägt wütend auf den Tisch. Schreiend.)

Valzacchi

Als Morgengabe!

Ihre Gnade Gesikt sprikt ohne Sunge.

(Der Sänger bricht jäh ab. Die Marschallin winkt den

Wie eine Hantike:

Sänger zu sich, reicht ihm die Hand zum Kuss. Sänger nebst Flöte ziehen sich unter tiefen Verbeugungen

Annina

zurück.)

Wie eine Hantike …

Notar (zieht sich erschrocken in die Ecke zurück)

Valzacchi Come statua di Giove.*

Baron (tut, als ob nichts geschehen wäre, winkt dem Sänger leutselig zu, tritt dann zu seiner Dienerschaft; Baron

Annina

streicht dem Leiblakai die bäuerisch in die Stirn gekämmten

Di Giove.

Haare hinaus; geht dann, als suchte er jemand, zur kleinen Tür, öffnet sie, spioniert hinaus, ärgert sich, schnüffelt

Baron

gegen’s Bett, schüttelt den Kopf, kommt wieder vor.)

Das ist ein besserer Mensch.

Marschallin (sieht sich in dem Handspiegel, halblaut.)

Annina (fällt auf die Knie.)

Mein lieber Hippolyte,

Erlaukte Gnade, attachieren uns an Sein Gefolge:

heut’ haben Sie ein altes Weib aus mir gemacht. Valzacchi (fällt auf die Knie.) (Der Friseur mit Bestürzung, wirft sich fieberhaft auf den

Erlaukte Gnade, attachieren uns an Sein Gefolge:

Lockenbau der Marschallin und verändert ihn aufs Neue. Das Gesicht der Marschallin bleibt traurig. – Valzacchi und

Baron

hinter ihm Annina haben sich im Rücken aller rings um die

Euch?

Bühne zum Baron hinübergeschlichen und präsentieren sich ihm mit übertriebener Devotion.)

Annina Nichte und Onkel.

Marschallin (über die Schulter zum Haushofmeister) Abtreten die Leut’!

Valzacchi

(Die Lakaien, eine Kette bildend, schieben die aufwarten-

Onkel und Nickte:

den Personen zur Tür hinaus, die sie dann verschließen.

Su sweien maken alles besser.

* Jupiter


Libretto

113

Annina

Annina

Alles besser.

An die Ecke, in die Kamin, wir sind da –

Valzacchi Per esempio: Ihre Gnade at eine junge Frau –

Valzacchi ’inter die Bette,

Baron Woher weiß Er denn das, Er Teufel Er?

Annina in die Kommode,

Valzacchi (eifrig) Ihre Gnade ist in Eifersukt: dico per dire!

Valzacchi

Eut oder morgen könnte sein. Affare nostro!

in eine Schranke, unter die Dache,

Annina

Annina

Heut oder morgen. Affare nostro.

hinter die Bette, in die Kamin,

Valzacchi

Valzacchi

Jede Sritt die Dame sie tut,

’inter die Bette,

jede Wagen die Dame steigt,

wir sind da.

jede Brief die Dame bekommt – wir sind da.

Annina wir sind da.

Annina Jeden Schritt, die Dame sie tut,

(Die Marschallin ist aufgestanden.)

Valzacchi

Annina

Jede Sritt, die Dame sie tut,

Ihre Gnade wird nicht bedauern!

Annina

Valzacchi

jeden Wagen, die Dame steigt,

Wird nicht bedauern! (Sie halten ihm die Hände hin, Geld heischend, er tut, als

Valzacchi

bemerke er es nicht. Friseur nach tiefer Verbeugung eilt

jede Wagen, die Dame sie steigt,

ab. Der Gehilfe hinter ihm.)

Annina

Baron (halblaut)

jede Brief, die Dame bekommt,

Hm! Was es alles gibt in diesem Wien. Zur Probe nur: kennt Sie die Jungfer Mariandel?

Valzacchi jede Brief, die Dame bekommt,

Annina (halblaut) Mariandel?

Annina wir sind da!

Baron Das Zofel hier im Haus bei Ihrer Gnaden?

Valzacchi wir sind da!

Valzacchi (leise zu Annina)

An die Ecke, in die Kamin,

Sai tu? Cosa vuole?

wir sind da – Annina Niente!


Erster Aufzug

114

Valzacchi (zum Baron)

und als Euer Liebden Kavalier

Sicker, sicker, meine Nickte wird besorgen,

vorfahren mit der Rosen zu der Jungfer Braut.

seien sicker, Ihre Gnade!

(leichthin)

Wir sind da!

Stellen indes nur hin. Und jetzt, Herr Vetter, sag’ ich ihm Adieu.

Annina

Man retiriert sich jetzt von hier.

Wir sind da!

Ich werd’ jetzt in die Kirchen gehn.

(hält abermals die Hand hin, Baron tut, als sähe er es nicht)

(Die Lakaien öffnen die Flügeltür.)

Baron (die beiden Italiener stehen lassend, zur Marschallin) Darf ich das Gegenstück diskret vertraulich*

Baron

zu Dero sauberm Kammerzofel präsentieren?

durch unversiegte Huld mich tiefst beschämt.

Euer Gnaden haben heut’ (Er macht die Reverenz, entfernt sich unter Zeremoniell.

Marschallin (nickt.)

Notar hinter ihm, auf seinen Wink. Seine drei Leute hinter diesem, in mangelhafter Haltung. Die beiden Italiener

Baron (selbstgefällig)

lautlos und geschmeidig, schließen sich unbemerkt an.

Die Ähnlichkeit soll, hör’ ich, unverkennbar sein.

– Haushofmeister tritt ab. – Lakaien schließen die Tür.)

Marschallin (ein bisschen lachend)

Marschallin (allein) Da geht er hin, der aufgeblas’ne, schlechte Kerl,

Baron (laut)

und kriegt das hübsche, junge Ding und einen Pinkl Geld

Leopold, das Futteral!

dazu,

(Der junge Kammerlakai präsentiert linkisch das Futteral.)

(seufzend) als müsst’s so sein.

Marschallin

Und bildet sich noch ein, dass er es ist, der sich was

Ich gratuliere Euer Liebden sehr.

vergibt. Was erzürn’ ich mich denn? ’s ist doch der Lauf der Welt.

Baron (nimmt dem Burschen das Futteral ab und winkt

Kann mich auch an ein Mädel erinnern,

ihm zurückzutreten.)

die frisch aus dem Kloster ist in den heiligen Ehstand

Und da ist nun die silberne Rose.

(etwas zögernd)

(will’s aufmachen)

kommandiert word’n. (nimmt den Handspiegel)

Marschallin

Wo ist die jetzt? Ja,

Lassen nur drinnen.

(seufzend)

Haben die Gnad’ und stellen’s dort hin.

such dir den Schnee vom vergangenen Jahr. (ruhig)

Baron

Das sag’ ich so:

Vielleicht das Zofel soll’s übernehmen?

aber wie kann das wirklich sein,

Ruft man ihr?

dass ich die kleine Resi war, und dass ich auch einmal die alte Frau sein

Marschallin

werd’ …

Nein, lassen nur. Die hat jetzt keine Zeit.

Die alte Frau, die alte Marschallin!

Doch sei Er sicher: Den Grafen Octavian bitt’ ich Ihm auf,

„Siegst es, da geht die alte Fürstin Resi!“

er wird’s mir zu lieb schon tun

(ruhig)

*

Die Regieanweisung „diskret vertraulich“ hat Strauss versehentlich vertont.


Libretto

115

Wie kann denn das geschehn?

Marschallin (ihn abwehrend)

Wie macht denn das der liebe Gott?

Taverl, umarm’ Er nicht zuviel:

Wo ich doch immer die gleiche bin.

Wer allzuviel umarmt, der hält nichts fest.

Und wenn er’s schon so machen muss, warum lasst er mich zuschau’n dabei,

Octavian (leidenschaftlich)

mit gar so klarem Sinn? Warum versteckt er’s nicht vor

Sag’, dass du mir gehörst! Mir!

mir? (immer leiser)

Marschallin

Das alles ist geheim, so viel geheim,

Oh! sei Er jetzt sanft, sei Er gescheit und sanft und gut.

und man ist dazu da, (seufzend)

Octavian (will lebhaft erwidern.)

dass man’s ertragt. Und in dem „Wie“ –

Marschallin

(sehr ruhig)

Nein, bitt’ schön, sei Er nur nicht wie alle Männer sind.

da liegt der ganze Unterschied. Octavian (misstrauisch auffahrend) Octavian (tritt von rechts ein, in einem Morgenanzug mit

Wie alle Männer?

Reitstiefeln) Marschallin (schnell gefasst) Marschallin (ruhig, mit halbem Lächeln)

Wie der Feldmarschall und der Vetter Ochs.

Ach! Du bist wieder da? Octavian (nicht dabei beruhigt) Octavian (zärtlich)

Bichette!

Und du bist traurig! Marschallin (mit Nachdruck) Marschallin

Sei Er nur nicht, wie alle Männer sind.

Es ist ja schon vorbei. Du weißt ja, wie ich bin. Ein halb Mal lustig, ein halb Mal traurig.

Octavian (zornig)

Ich kann halt meine Gedanken nicht kommandiern.

Ich weiß nicht, wie alle Männer sind. (plötzlich sanft)

Octavian

Weiß nur, dass ich dich lieb hab’.

Ich weiß, warum du traurig bist, mein Schatz.

Bichette, sie haben dich mir ausgetauscht.

Weil du erschrocken bist und Angst gehabt hast.

Bichette, wo ist sie denn?

Hab’ ich nicht recht? Gesteh’ mir nur: Du hast Angst gehabt,

Marschallin (ruhig)

du Süße, du Liebe,

Sie ist wohl da, Herr Schatz.

um mich, um mich! Octavian Marschallin

Ja, ist sie da? Dann will ich sie halten,

Ein biss’l vielleicht,

dass sie mir nicht wieder entkommt.

aber ich hab’ mich erfangen und hab’ mir vorgesagt:

(leidenschaftlich)

Es wird schon nicht dafür steh’n.

Packen will ich sie, packen, dass

Und wär’s dafür gestanden?

sie es spürt, zu wem sie gehört – zu mir! denn ich bin ihr, und sie ist mein!

Octavian (heiter) Und es war kein Feldmarschall,

Marschallin (sich ihm entwindend)

nur ein spaßiger Herr Vetter, und du gehörst mir,

Oh, sei Er gut, Quinquin. Mir ist zu Mut,

du gehörst mir.

dass ich die Schwäche von allem Zeitlichen recht spüren muss.


Erster Aufzug

116

Bis in mein Herz hinein,

Manchmal hör’ ich sie fließen, unaufhaltsam.

wie man nichts halten soll,

(leise)

wie man nichts packen kann.

Manchmal steh’ ich auf mitten in der Nacht

Wie alles zerläuft, zwischen den Fingern,

und lass’ die Uhren alle, alle stehn.

wie alles sich auflöst, wonach wir greifen,

Allein, man muss sich auch vor ihr nicht fürchten.

alles zergeht wie Dunst und Traum.

Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns alle erschaffen hat.

Octavian Mein Gott, wie Sie das sagt!

Octavian (mit ruhiger Zärtlichkeit.)

Sie will mir doch nur zeigen, dass Sie nicht an mir hängt.

Mein schöner Schatz, will Sie sich traurig machen mit

(Er weint.)

Gewalt? Wo Sie mich da hat,

Marschallin

wo ich meine Finger in Ihre Finger schlinge,

Sei Er doch gut, Quinquin!

wo ich mit meinen Augen Ihre Augen suche,

Sei Er doch gut, Quinquin!

wo Sie mich da hat – gerade da ist Ihr so zu Mut?

Octavian (weint stärker) Marschallin (sehr ernst) Marschallin (ruhig)

Quinquin, heut’ oder morgen geht Er hin

Jetzt muss ich noch den Buben dafür trösten,

und gibt mich auf um einer andern willen,

dass er mich über kurz oder lang wird sitzen lassen.

die jünger

(Sie streichelt ihn.)

(etwas zögernd) und schöner ist als ich.

Octavian Über kurz oder lang?

Octavian

(heftig)

Willst du mit Worten mich von dir stoßen,

Wer legt dir heut’ die Wörter in den Mund,

weil dir die Hände den Dienst nicht tun?

Marschallin

Marschallin (ruhig)

Dass ihn das Wort so kränkt!

Der Tag kommt ganz von selber. Heut’ oder morgen kommt der Tag, Octavian.

Octavian Bichette?

Octavian

(Er hält sich die Ohren zu.)

Nicht heut’, nicht morgen: ich hab’ dich lieb. (gesteigert)

Marschallin

Nicht heut’, nicht morgen!

Die Zeit im Grunde, Quinquin, die Zeit,

Wenn’s so einen Tag geben muss, ich denk’ ihn nicht.

die ändert doch nichts an den Sachen.

Solch schrecklichen Tag!

Die Zeit, die ist ein sonderbar’ Ding.

Ich will den Tag nicht seh’n.

Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts.

(sehr leidenschaftlich)

Aber dann auf einmal,

Ich will den Tag nicht denken.

da spürt man nichts als sie.

Was quälst du dich und mich, Theres’?

Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen. In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel da rieselt sie,

Marschallin

in meinen Schläfen fließt sie.

Heut’ oder morgen oder den übernächsten Tag.

Und zwischen mir und dir, da fließt sie wieder.

Nicht quälen will ich dich, mein Schatz.

Lautlos, wie eine Sanduhr.

Ich sag’, was wahr ist, sag’s zu mir so gut als wie zu dir …

(warm)

Leicht will ich’s machen dir und mir.

Oh, Quinquin!

Leicht muss man sein


Libretto

117

mit leichtem Herz und leichten Händen,

Zweiter Lakai

halten und nehmen, halten und lassen …

Gleich beim Tor sind aufgesessen.

Die nicht so sind, die straft das Leben und Gott, und Gott erbarmt sich ihrer nicht.

Dritter Lakai Reitknecht hat gewartet.

Octavian Sie spricht ja heute wie ein Pater.

Vierter Lakai

Soll das heißen, dass ich Sie nie, nie mehr

Gleich beim Tor sind aufgesessen wie der Wind.

werde küssen dürfen, bis Ihr der Atem ausgeht? Erster Lakai Marschallin

Waren um die Ecken wie der Wind.

Quinquin, Er soll jetzt geh’n, (sanft)

Zweiter Lakai

Er soll mich lassen.

Um die Ecken wie der Wind.

Ich werd’ jetzt in die Kirchen geh’n, und später fahr’ ich zum Onkel Greifenklau,

Dritter Lakai

der alt und gelähmt ist,

Um die Ecken wie der Wind.

und ess’ mit ihm: Das freut den alten Mann. Und Nachmittag werd ich Ihm einen Lauffer schicken,

Erster Lakai

Quinquin, und sagen lassen,

Waren um die Ecken wie der Wind.

(zögernd) ob ich in den Prater fahr’. Und wenn ich fahr’,

Vierter Lakai

und Er hat Lust,

Waren um die Ecken wie der Wind.

so wird Er auch in den Prater kommen und neben meinem Wagen reiten …

Dritter Lakai

Jetzt sei Er gut und folg’ Er mir.

Wir haben geschrien.

Octavian (leise)

Zweiter Lakai

Wie Sie befiehlt, Bichette!

Sind nachgelaufen.

(Er geht ab.) Erster Lakai Marschallin (fährt leidenschaftlich auf)

War umsonst.

Ich hab’ ihn nicht einmal geküsst! (Sie klingelt heftig. – Lakaien kommen von rechts.)

Dritter Lakai Waren um die Ecken wie der Wind.

Marschallin Lauft’s dem Herrn Grafen nach

Marschallin

und bittet’s ihn noch auf ein Wort herauf.

Es ist gut. Geht nur wieder.

(Lakaien schnell ab.)

(Die Lakaien ziehen sich zurück.)

Marschallin (sehr bewegt)

Marschallin (ruft nach.)

Ich hab’ ihn fortgeh’n lassen und

Den Mohammed!

ihn nicht einmal geküsst – Mohammed (herein, klingelnd, verneigt sich.) (Die vier Lakaien kommen zurück außer Atem.) Marschallin Erster Lakai Der Herr Graf sind auf und davon –

Das da trag’ …


Zweiter Aufzug

118

Mohammed (nimmt eifrig das Saffianfutteral.)

Zweiter Aufzug

Marschallin Weißt ja nicht, wohin. Zum Grafen Octavian.

Saal bei Herrn von Faninal. Mitteltür nach dem Vorsaal.

Gib’s ab und sag:

Türen links und rechts. Rechts auch ein großes Fenster.

da drin ist die silberne Ros’n …

Zu beiden Seiten der Mitteltür Stühle an der Wand. In den

Der Herr Graf weiß ohnehin …

abgerundeten Ecken jederseits eine kleine unsichtbare Tür. Faninal, Sophie, Marianne Leitmetzerin, die Duenna,

Mohammed (läuft ab)

der Haushofmeister, Lakaien.

Marschallin (stützt den Kopf in die Hand und bleibt so, in

Faninal (im Begriff, von Sophie Abschied zu nehmen)

träumerischer Haltung bis zum Schluss.)

Ein ernster Tag, ein großer Tag, ein Ehrentag, ein heil’ger Tag.

Der Vorhang beginnt hier langsam und geräuschlos zu fallen, vom vierten Viertel der Fermate ab rasch. – Schluss

Sophie (küsst ihm die Hand.)

des ersten Aufzuges. Marianne (am Fenster) Der Josef fährt vor mit der neuen Kaross. Hat himmelblaue Vorhäng’, vier Apfelschimmel sind dran. Haushofmeister (nicht ohne Vertraulichkeit zu Faninal) Ist höchste Zeit, dass Euer Gnaden fahren. Der hochadelige Bräutigamsvater*, sagt die Schicklichkeit, muss ausgefahren sein, bevor der silberne Rosenkavalier vorfährt. (Lakaien öffnen die Tür.) Faninal In Gottes Namen. Haushofmeister Wär’ nicht geziemend, dass vor der Tür sie sich begegneten! Faninal Wenn ich wiederkomm’, so führ’ ich deinen Herrn Zukünftigen bei der Hand. Marianne Den edlen und gestrengen Herrn von Lerchenau!

* Diesen Fehler im Libretto („Bräutigamsvater“ statt „Brautvater“) hat Strauss dem Wortrhythmus entsprechend vertont. Die Stelle ist auch in sämtlichen Buch- und Notenausgaben erhalten geblieben.


Libretto

119

Faninal (geht)

Marianne In zwei Karossen.

Sophie (vorgehend, allein)

Die erste ist vierspännig, die ist leer.

In dieser feierlichen Stunde der Prüfung,

In der zweiten, sechsspännigen,

da du mich, o mein Schöpfer, über mein Verdienst

sitzt er selber, der Rosenkavalier.

erhöhen und in den heiligen Ehestand führen willst, –

Drei Lauffer (etwas näher) Rofrano! Rofrano!

Marianne (am Fenster) Jetzt steigt er ein. Der Xaver und der Anton springen

Sophie (ziemlich fassungslos)

hinten auf.

Ich will mich niemals meines neuen Standes überheben, mich überheben …

Sophie (hat große Mühe, gesammelt zu bleiben.) – opf’r ich dir in Demut mein Herz – in Demut auf.

Drei Lauffer Rofrano! Rofrano! Rofrano! Rofrano!

Marianne Der Stallpag’ reicht dem Josef seine Peitschen,

Sophie (hält es nicht aus)

alle Fenster sind voller Leut’.

Was rufen denn die?

Sophie

Marianne

Die Demut in mir zu erwecken,

Den Namen vom Rosenkavalier und alle Namen

muss ich mich demütigen.

von deiner neuen fürstlichen Verwandtschaft rufen’s aus. (mit lebhaften Gebärden)

Marianne (sehr aufgeregt)

jetzt rangier’n sich die Bedienten.

Die halbe Stadt ist auf die Füß’!

Die Lakaien springen rückwärts ab!

Sophie (sammelt sich mühsam)

Sophie

Demütigen und recht bedenken: die Sünde, die Schuld,

Werden sie mein’ Bräutigam sein’ Namen

die Niedrigkeit,

auch so ausrufen, wenn er angefahren kommt?

die Verlassenheit, die Anfechtung! Marianne (ganz begeistert) Marianne

Sie reißen den Schlag auf! Er steigt aus!

Aus dem Seminari schau’n die Hochwürdigen von die

Ganz in Silberstück’ ist er angelegt von Kopf zu Fuß.

Balkoner.

Wie ein heil’ger Engel schaut er aus.

Ein alter Mann sitzt oben auf der Latern’. Drei Lauffer (dicht unter dem Fenster) Sophie

Rofrano! Rofrano! Rofrano! Rofrano!

Die Mutter ist tot, und ich bin ganz allein. Für mich selber steh’ ich ein.

Sophie

Aber die Ehe ist ein heiliger Stand.

Herrgott im Himmel! Ich weiß, der Stolz ist eine schwere Sünd’.

Drei Lauffer (unten auf der Straße, noch von fern)

Aber jetzt kann ich mich nicht demütigen.

Rofrano, Rofrano!

Jetzt geht’s halt nicht. Denn das ist ja so schön, so schön!

Marianne (entzückt ausrufend) Er kommt, er kommt.

(Die Lakaien haben schnell die Mitteltüre aufgetan. Herein tritt Octavian, ganz in Weiß und Silber, mit bloßem Kopf, die

Drei Lauffer (hinter der Szene)

silberne Rose in der Hand. Hinter ihm seine Dienerschaft in

Rofrano! Rofrano!

seinen Farben: Weiß mit Blassgrün. Die Lakaien, die Haidu-


Zweiter Aufzug

120

cken, mit krummen, ungarischen Säbeln an der Seite, die

sterben auf dem Weg,

Lauffer in weißem, sämischem Leder mit grünen Straußen-

Allein, ich sterb’ ja nicht.

federn. Dicht hinter Octavian ein schwarzer Diener, der

Das ist ja weit. Ist Zeit und Ewigkeit

Octavians Hut, und ein anderer Lakai, der das Saffianfutteral

in einem sel’gen Augenblick,

für die silberne Rose in beiden Händen fröhlich tragen. – Da-

den will ich nie vergessen bis an meinen Tod.

hinter die Faninalsche Livree. – Octavian, die Rose in der Rechten, geht mit adeligem Anstand auf Sophie zu, aber sein

Octavian

Knabengesicht ist von einer Schüchternheit gespannt und

Ich war ein Bub,

gerötet. – Sophie ist vor Aufregung über seine Erscheinung

da hab’ ich die, die noch nicht gekannt.

und die Zeremonie leichenblass. Sie stehen einander

Wer bin denn ich?

gegenüber und machen sich wechselweise durch ihre

Wie komm denn ich zu ihr?

Verlegenheit und Schönheit noch verwirrter.)

Wie kommt denn sie zu mir? Wär’ ich kein Mann, die Sinne möchten mir vergeh’n;

Octavian (etwas stockend)

das ist ein sel’ger Augenblick,

Mir ist die Ehre widerfahren,

den will ich nie vergessen bis an meinen Tod.

dass ich der hoch und wohlgeborenen Jungfer Braut, in meines Herrn Vetters Namen,

(Indessen hat sich die Livree Octavians links rückwärts

dessen zu Lerchenau Namen,

rangiert. Die Faninalschen Bedienten mit dem Haushof-

die Rose seiner Liebe überreichen darf.

meister rechts. Der Lakai Octavians übergibt das Futteral an Marianne. Sophie schüttelt ihre Versunkenheit ab und

Sophie (nimmt die Rose)

reicht die Rose der Marianne, die sie ins Futteral schließt.

Ich bin Euer Liebden sehr verbunden.

Der Lakai mit dem Hut tritt von rückwärts an Octavian

Ich bin Euer Liebden in aller Ewigkeit verbunden.

heran und reicht ihm den Hut. Die Livree Octavians tritt ab,

(Pause der Verwirrung. Indem sie an der Rose riecht.)

während gleichzeitig die Faninalschen Bedienten drei

Hat einen starken Geruch wie Rosen, wie lebendige.

Stühle in die Mitte tragen, zwei für Octavian und Sophie, einen rück- und seitwärts für die Duenna. Zugleich trägt

Octavian

der Faninalsche Haushofmeister das Futteral mit der Rose

Ja, ist ein Tropfen persischen Rosenöls dareingetan.

durch die Türe rechts ab. Sofort treten auch die Faninalschen Bedienten durch die Mitteltüre ab. Sophie und

Sophie

Octavian stehen einander gegenüber, einigermaßen zur

Wie himmlische, nicht irdische, wie Rosen

gemeinen Welt zurückgekehrt, aber befangen. Auf eine

vom hochheiligen Paradies. Ist Ihm nicht auch?

Handbewegung Sophiens nehmen sie beide Platz, desgleichen die Duenna, im selben Augenblicke, wo der

Octavian (neigt sich über die Rose, die sie ihm hinhält;

Haushofmeister unsichtbar die Tür rechts von außen

dann richtet er sich auf und sieht auf ihren Mund)

zuschließt.)

Sophie

Sophie

Ist wie ein Gruß vom Himmel. Ist bereits zu stark, als dass

Ich kenn’ Ihn schon recht wohl, mon Cousin!

man’s ertragen kann. Zieht einen nach, als lägen Stricke um das Herz.

Octavian

(leise)

Sie kennt mich, ma Cousine?

Wo war ich schon einmal und war so selig? Sophie Octavian (wie unbewusst und noch leiser) Wo war ich schon einmal

Ja, aus dem Buch, wo die Stammbäumer drin sind. Dem Ehrenspiegel Österreichs.*

und war so selig?

Das nehm’ ich immer abends mit in’s Bett und such’ mir meine zukünft’ge, gräflich’ und fürstlich’

Sophie (mit Ausdruck) Dahin muss ich zurück, dahin, und müsst’ ich völlig

Verwandtschaft drin zusammen.


Libretto

121

Octavian

Ich aber brauch’ erst einen Mann, dass ich was bin.

Tut Sie das, ma Cousine?

Dafür bin ich dem Mann dann auch gar sehr verschuldet.

Sophie

Octavian (gerührt und leise)

Ich weiß, wie alt Euer Liebden sind:

Mein Gott, wie schön und gut sie ist.

Siebzehn Jahr’ und zwei Monat’.

Sie macht mich ganz verwirrt.

Ich weiß all’ Ihre Taufnamen: Octavian, Maria Ehrenreich, Bonaventura, Fernand, Hyacinth.

Sophie Ich werd’ ihm keine Schand’ nicht machen

Octavian,

und meinem Rang und Vortritt.

So gut weiß ich sie selber nicht einmal.

(sehr lebhaft) Täte eine, die sich besser dünkt als ich,

Sophie

ihn mir bestreiten

Ich weiß noch was.

bei einer Kindstauf’ oder Leich’,

(errötet)

so will ich, wenn es sein muss, mit Ohrfeigen ihr beweisen,

Octavian

dass ich die vornehmere bin,

Was weiß Sie noch, sag’ Sie mir’s, ma Cousine?

und lieber alles hinnehme wie Kränkung oder Ungebühr.

Sophie (ohne ihn anzusehen) Quinquin.

Octavian (lebhaft) Wie kann Sie denn nur denken,

Octavian (lachend)

dass man Ihr mit Ungebühr begegnen wird,

Weiß Sie den Namen auch?

da Sie doch immer die Schönste, die Allerschönste sein wird.

Sophie So nennen Ihn halt Seine guten Freunde

Sophie

und schöne Damen, denk’ ich mir,

Lacht Er mich aus, mon Cousin?

mit denen Er recht gut ist. (Kleine Pause. Mit Naivität.)

Octavian

Ich freu’ mich auf’s Heiraten! Freut Er sich auch darauf?

Wie, glaubt Sie das von mir?

Oder hat Er leicht noch gar nicht dran gedacht, mon Cousin?

Sophie

Denk’ Er: ist doch was andres als der ledige Stand.

Er darf mich auslachen, wenn Er will. Von Ihm lass ich alles mir gerne gescheh’n,

Octavian (leise)

weil mir nie noch ein junger Kavalier

Wie schön sie ist.

von Nähen oder Weitem also wohlgefallen hat wie Er. Jetzt aber kommt mein Herr Zukünftiger.

Sophie

(Die Türe rückwärts auf. Alle drei erheben sich und treten

Freilich, Er ist ein Mann, da ist Er, was Er bleibt.

nach rechts. Faninal führt den Baron zeremoniös über die

* Der Ehrenspiegel des Hauses Österreich ist ein historisches Verzeichnis des österreichischen Adels aus dem 16. Jahrhundert. Aktuelle „Adelskalender“ waren im 18. Jahrhundert eine beliebte Bettlektüre. In ihrer Korrespondenz über diese Librettostelle sprechen Harry Graf Kessler und Hugo von Hofmannsthal vom „Gotha“, auf den Gothaischen Adelskalender anspielend, das damals bekannteste Adelsverzeichnis im deutschsprachigen Raum, das allerdings den österreichischen Adel nicht beinhaltete. Der wurde bis 1894 im Brünner Genealogischen Taschenbuch der Adeligen Häuser verzeichnet.


Zweiter Aufzug

122

Schwelle und auf Sophie zu, indem er ihm den Vortritt

Baron (zu Faninal)

lässt. Die Lerchenausche Livree folgt auf Schritt und Tritt:

Ist gar zum Staunen, wie der junge Herr jemand

zuerst der Almosenier mit dem Sohn und Leihkammerdie-

gewissem ähnlich sieht;

ner. Dann folgt der Leibjäger mit einem ähnlichen Lümmel,

hat ein Bastardel, recht ein saubres, zur Schwester.

der ein Pflaster über der eingeschlagenen Nase trägt, und

(plump vertraulich)

noch zwei von der gleichen Sorte, vom Rübenacker her in

Ist kein Geheimnis unter Personen von Stand.

die Livree gesteckt. Alle tragen, wie ihr Herr, Myrten-

Hab’s aus der Fürstin eignem Mund,

sträußchen. Die Faninalschen Bedienten bleiben im

(gemächlich)

Hintergrunde.)

und weil der Faninal sozusagen jetzo zu der Verwandtschaft gehört,

Faninal

(immer breiter)

Ich präsentiere Euer Gnaden Dero Zukünftige.

mach’ dir kein Depit darum, Rofrano, dass dein Vater ein Streichmacher war,

Baron (macht die Reverenz, dann zu Faninal)

befindet sich dabei in guter Kompagnie,

Deliziös! Mach’ Ihm mein Kompliment.

(lachend)

(Er küsst Sophie die Hand, gleichsam prüfend.)

der sel’ge Herr Marchese.

Ein feines Handgelenk. Darauf halt’ ich gar viel.

Ich selber exkludier mich nicht.

Ist unter Bürgerlichen eine selt’ne Distinktion. Sophie Octavian (halblaut)

Jetzt läßt er mich so steh’n, der grobe Ding!

Es wird mir heiß und kalt.

Und das ist mein Zukünftiger. Und blattersteppig ist er auch, o mein Gott!

Faninal Gestatten, dass ich die getreue Jungfer

Baron (zu Faninal)

Marianne Leitmetzerin …

Seh’, Liebden, schau dir dort den Langen an,

(Marianne präsentierend, die dreimal tief knickst)

den blonden, hinten dort. Ich will ihn nicht mit Fingern weisen,

Baron (indem er unwillig abwinkt)

aber er sticht wohl hervor

Lass Er das weg.

durch eine adelige Contenance.

Begrüß’ Er jetzt mit mir meinen Herrn Rosenkavalier.

Ist aber ein ganz besondrer Kerl.

(Er tritt mit Faninal auf Octavian zu, unter Reverenz, die

Sagt nichts, weil ich der Vater bin,

Octavian erwidert. Das Lerchenausche Gefolge kommt

hat’s aber faustdick hinter den Ohren.

endlich zum Stillstand, nachdem es Sophie fast umge­ stoßen, und retiriert sich um ein paar Schritte.)

Marianne Na, wenn er dir von vorn nicht gefallt, du Jungfer

Sophie (mit Marianne rechts stehend, halblaut)

Hochmut,

Was sind das für Manieren? Ist da leicht ein Rosstauscher

so schau’ ihn dir von rückwärts an:

und kommt ihm vor, er hätt’ mich eingetauscht.

da wirst was seh’n, was dir schon gefallen wird.

Marianne

Sophie

Ein Kavalier hat halt ein ungezwungenes,

Möcht’ wissen, was ich da schon sehen werd’.

leutseliges Betragen. Sag’ dir vor, wer er ist

Marianne (ihr nachspottend)

und zu was er dich macht,

Möcht’ wissen, was ich da schon sehen werd’. Dass es ein kaiserlicher Kämmerer* ist,

so werden dir die Faxen leich vergeh’n.

* Kammerherr, erkennbar an einem Schlüssel, der an der Hüfte oder rückwärtig an einem Band befestigt wurde.


Libretto

123

den dir dein Schutzpatron

Mit „mill pardon“ und „devotion“

als Herr Gemahl spendiert hat.

und „Geh’ da weg“ und „Hab’ Respekt“?

Das kannst’ seh’n mit einem Blick. (Der Haushofmeister tritt verbindlich auf die Lerchenau-

Sophie

schen Leute zu und führt sie ab. Desgleichen tritt die

Wahrhaftig und ja gefiele mir das besser!

Faninalsche Livree ab, bis auf zwei, welche Wein und Süßigkeiten servieren.)

Baron (lachend) Mir auch nicht! Da sieht Sie! Mir auch ganz und gar nicht!

Faninal (zum Baron)

Bin einer biedren offenherzigen Galanterie recht zugetan.

Belieben jetzt vielleicht – ist ein alter Tokaier. Faninal (nachdem er Octavian den zweiten Stuhl angeboten Baron

hat, den dieser ablehnt, für sich)

Brav, Faninal, Er weiß, was sich gehört.

Wie ist mir denn! Da sitzt ein Lerchenau

Serviert einen alten Tokaier zu einem jungen Mädel.

und karessiert in Ehrbarkeit mein Sopherl,

Ich bin mit Ihm zufrieden.

(stärker)

(zu Octavian)

als wär’ sie ihm schon angetraut –

Musst denen Bagatelladeligen immer zeigen,

und da steht ein Rofrano, grad’ als müsst’s so sein –

dass nicht für uns’resgleichen sich anseh’n dürfen,

ein Graf Rofrano, sonsten nix,

muss immer was von Herablassung dabei sein.

der Bruder vom Marchese Obersttruchsess.

Octavian (spitzig)

Octavian (für sich, zornig)

Ich muss deine Liebden sehr bewundern.

Das ist ein Kerl, dem möcht’ ich wo begegnen

Hast wahrhaft große Weltmanieren.

mit meinem Degen da,

Könnt’st einen Ambassadeur vorstellen heut’ oder

wo ihn kein Wächter schreien hört.

morgen.

Ja, das ist alles, was ich möcht’!

Baron (derb)

Sophie (zum Baron)

Ich hol’ mir jetzt das Mädel her.

Ei, lass Er doch, wir sind nicht so vertraut!

Soll uns jetzt Konversation vormachen, (geht hinüber, nimmt Sophie bei der Hand,

Baron (zu Sophie)

führt sie mit sich)

Geniert Sie sich leicht vor dem Vetter Taverl?

damit ich seh’, wie sie beschlagen ist.

Da hat Sie Unrecht. Hör’ Sie, in Paris,

Eh bien? Nun plauder’ Sie uns eins,

wo doch die hohe Schul’ ist für Manieren,

mir und dem Vetter Taverl.

gibt’s frei nichts,

Sag’ Sie heraus, auf was Sie sich halt in der Eh’ am

was unter jungen Eheleuten geschieht,

meisten freut.

wozu man nicht Einladungen ließ’ ergeh’n

(setzt sich, will sie halb auf seinen Schoß ziehen)

zum Zuschau’n, ja an den König selber –

Sophie (entzieht sich ihm)

Octavian (wütend)

Wo denkt Er hin?

Dass ich das Mannsbild sehen muss, so frech, so unverschämt mit ihr.

Baron (behaglich) Pah! Wo ich hindenk’? Komm Sie da ganz nah’ zu mir,

(Baron wird immer zärtlicher, sie weiß sich kaum zu helfen.)

dann will ich Ihr erzählen, wo ich hindenk’. (Gleiches Spiel, Sophie entzieht sich ihm heftiger.)

Faninal (für sich) Wär’ nur die Mauer da von Glas,

Baron (behaglich)

dass alle bürgerlichen Neidhammeln von Wien

Wär’ Ihr leicht präferabel, dass man gegen Ihrer

sie en famille beisammen so sitzen seh’n!

den Zeremonienmeister sollt’ hervortun?

Dafür wollt’ ich mein Lerchenfelder Eckhaus geben, meiner Seel’!


Zweiter Aufzug

124

Octavian

Sonst steh’ ich nicht dafür,

Könnt’ ich hinaus und fort von hier!

dass ich nicht was Verwirrtes tu. Hinaus aus diesen Stuben! Nur hinaus.

Baron (zu Sophie) Lass Sie die Flausen nur! Gehört doch jetzo mir!

Faninal (zur Duenna)

Geht all’s recht. Sei Sie gut! Geht all’s so wie am Schnürl!

Wär’ nur die Mauer da von Glas,

(halb für sich, sie cajolierend)

dass alle bürgerlichen Neidhammeln von Wien sie

Ganz meine Maßen! Schultern wie ein Henderl!

könnten en famille beisammen so sitzen seh’n.

Hundsmager noch – das macht nichts, aber weiß, weiß mit einem Glanz, wie ich ihn ästimier.

(Indessen ist der Notar mit dem Schreiber eingetreten,

Ich hab’ halt ja ein Lerchenauisch’ Glück!

eingeführt durch Faninals Haushofmeister. Dieser meldet ihn dem Herrn von Faninal leise. Faninal geht zum Notar

Sophie (reißt sich los und stampft auf)

nach rückwärts hin, spricht mit ihm und sieht einen vom Schreiber vorgehaltenen Aktenfaszikel durch.)

Baron (vergnügt) Ist Sie ein rechter Capricenschädel.

Sophie (zwischen den Zähnen)

(auf und ihr nach)

Hat nie kein Mann dergleichen Reden nicht zu mir geführt!

Steigt Ihr das Blut gar in die Wangen,

(wütend)

dass man sich die Hand verbrennt?

Möcht’ wissen, was Ihm dünkt von mir und Ihm. Was ist Er denn zu mir?

Sophie (rot und blaß vor Zorn) Lass Er die Hand davon!

Baron (gemütlich) Wird kommen über Nacht,

Octavian (in stummer Wut, zerdrückt das Glas, das er in

dass Sie ganz sanft

der Hand hält, und schmeißt die Scherben zu Boden)

wird wissen, was ich bin zu Ihr. Ganz wie’s im Liedel heißt. Kennt Sie das Liedel?

Marianne (läuft mit Grazie zu Octavian zurück, hebt die

La la la la la –

Scherben auf und raunt ihm mit Entzücken zu)

(recht gefühlvoll)

Ist recht ein familiärer Mann, der Herr Baron!

wie ich dein Alles werde sein!

Man delektiert sich, was er all’s für Einfälle hat! Der Herr

Mit mir, mit mir keine Kammer dir zu klein,

Baron!

ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang, mit mir, mit mir

Baron (dicht bei Sophie)

(frech und plump)

Geht mir nichts darüber.

keine Nacht dir zu lang, keine Nacht dir zu lang.

Könnt’ mich mit Schmachterei und Zärtlichkeit nicht halb so glücklich machen, meiner Seel’!

Sophie (da er sie immer fester an sich drückt, reißt sich los und stößt ihn heftig zurück)

Sophie (scharf, ihm ins Gesicht) Ich denk’ nicht dran, dass ich Ihn glücklich mach’!

Octavian (ohne hinzusehen, und doch sieht er alles, was vorgeht)

Baron (gemütlich)

Ich steh auf glüh’nden Kohlen!

Sie wird es tun, ob Sie daran wird denken oder nicht.

Ich fahr’ aus meiner Haut! Ich büß’ in dieser einen Stund’

Marianne (zu Faninal)

all’ meine Sünden ab.

Ist recht ein familiärer Mann, der Herr Baron. Man delektiert sich, was er all’s für Einfälle hat, der Herr Baron.

Marianne (jetzt zu Sophie eilend) Ist recht ein familiärer Mann, der Herr Baron!

Octavian (vor sich, blass vor Zorn)

Man delektiert sich, was er all’s für Einfäll’ hat,

Hinaus, hinaus und kein Adieu!

(krampfhaft in Sophie hineinredend)


Libretto

125

was er all’s für Einfäll’ hat! Der Herr Baron, der Herr

Octavian (mit einem Blick hinter sich, gewiss zu sein, dass

Baron!

die andern abgegangen sind, tritt schnell zu Sophie hinüber, bebend vor Aufregung)

Baron (für sich, sehr vergnügt)

Wird Sie das Mannsbild da heiraten, ma Cousine?

Wahrhaftig und ja! Ich hab’ halt ein Lerchenauisch’ Glück. Gibt gar nichts auf der Welt, was mich so enflammiert

Sophie (einen Schritt auf ihn zu, leise)

und also vehement verjüngt als wie ein rechter Trotz.

Nicht um die Welt! (mit einem Blick auf die Duenna)

(Faninal und der Notar, hinter ihnen der Schreiber, sind an

Mein Gott, wär’ ich allein mit ihm!

der linken Seite nach vorn gekommen)

Dass ich ihn bitten könnt’, dass ich ihn bitten könnt’!

Baron (sowie er den Notar erblickt, eifrig zu Sophien, ohne

Octavian (halblaut, schnell)

zu ahnen, was in ihr vorgeht)

Was ist’s, das Sie mich bitten möcht’? Sag’ Sie mir’s schnell!

Doch gibt’s Geschäfter jetzt: muss mich dispensieren: bin dort von Wichtigkeit. Indessen

Sophie (noch einen Schritt näher zu ihm)

der Vetter Taverl leistet Ihr Gesellschaft!

O mein Gott, dass Er mir halt hilft! Und Er wird mir nicht helfen wollen, weil es halt sein Vetter ist.

Faninal Wenn es jetzt belieben tät’, Herr Schwiegersohn!

Octavian (heftig) Nenn’ ihn Vetter aus Höflichkeit; Gott sei Lob und Dank,

Baron (eifrig)

hab’ ihn im Leben vor dem gestrigen Tage nie geseh’n.

Natürlich wird’s belieben. (im Vorbeigeh’n zu Octavian, den er vertraulich anfasst)

(Quer durch den Vorsaal flüchten einige von den Mägden

Hab’ nichts dawider,

des Hauses, denen die Lerchenauschen Bedienten auf den

wenn du ihr möchtest Äugerl machen, Vetter,

Fersen sind. Der Leiblakai und der mit dem Pflaster auf der

jetzt oder künftighin.

Nase jagen einem hübschen, jungen Mädchen nach und

Ist noch ein rechter Rührnichtan.

bringen sie fast an der Schwelle zum Salon bedenklich in

Betracht’s als förderlich, je mehr sie dégourdiert wird.

die Enge.)

Ist wie bei einem jungen, ungerittenen Pferd. Kommt all’s dem Angetrauten letzterdings zugut,

Der Faninalsche Haushofmeister (kommt verstört herein-

wofern er sein eh’lich Privilegium

gelaufen, die Duenna zu Hilfe zu holen)

zu Nutz’ zu machen weiß.

Die Lerchenauschen sind voller Branntwein gesoffen

(Baron geht nach links. Der Diener, der den Notar einließ,

und geh’n auf’s Gesinde los, zwanzigmal ärger

hat indessen die Tür links geöffnet. Faninal und der Notar

als Türken und Kroaten.

schicken sich an, hineinzugehen. Der Baron misst Faninal mit dem Blick und bedeutet ihm, drei Schritte Distanz zu

Marianne

nehmen. Faninal tritt devot zurück. Der Baron nimmt den

Hol’ Er von unseren Leuten, wo sind denn die?

Vortritt, vergewissert sich, dass Faninal drei Schritte

(Läuft ab mit dem Haushofmeister; sie entreißen den beiden

Abstand hat, und geht gravitätisch durch die Tür links ab.

Zudringlichen ihre Beute und führen das Mädchen ab; alles

Faninal hinter ihm, dann der Notar, dann der Schreiber.

verliert sich, der Vorsaal bleibt leer.)

Der Bediente schließt die Tür links und geht ab, lässt aber die Flügeltür nach dem Vorsaal offen. Der servierende

Sophie (nun, da sie unbeobachtet ist, mit freier Stimme)

Diener ist schon früher abgegangen.)

Zu Ihm hätt’ ich ein Zutrau’n, mon Cousin, so wie zu Niemand auf der Welt,

Sophie (rechts, steht verwirrt und beschämt.)

dass Er mir könnte helfen, wenn Er nur den guten Willen hätt’!

Marianne (neben ihr, knickst nach der Tür hin, bis sie sich schließt)

Octavian Erst muss Sie sich selber helfen,


Zweiter Aufzug

126

dann hilf ich Ihr auch.

Mir ist so selig, so eigen,

Tu Sie das erst für sich,

dass ich dich halten darf:

dann tu ich was für Sie.

Gib Antwort, aber gib sie mit Schweigen: Bist du von selber so zu mir gekommen?

Sophie (zutraulich, fast zärtlich)

Ja oder Nein? Ja oder Nein?

Was ist denn das, was ich zuerst muss tun?

Du musst es nicht mit Worten sagen – hast du es gern getan?

Octavian (leise)

Sag’, oder nur aus Not?

Das wird Sie wohl wissen!

Nur aus Not so alles zu mir her getragen, dein Herz, dein liebliches Gesicht?

Sophie (den Blick unverwandt auf ihn)

(Aus den geheimen Türen in den rückwärtigen Ecken gleiten

Und was ist das, was Er für mich will tun,

links Valzacchi, rechts Annina lautlos spähend heraus.

nun sag’ Er mir’s!

Lautlos schleichen sie langsam auf den Zehen näher.) Sag’: ist dir nicht, dass irgendwo

Octavian (entschlossen)

in irgendeinem schönen Traum

Nun muss Sie ganz allein für uns zwei einsteh’n!

das einmal schon so war? Spürst du’s wie ich?

Sophie

Sag’, spürst du’s so wie ich?

Wie, für uns zwei?

Mein Herz und Seel’ wird bei Ihr bleiben,

O sag’ Er’s noch einmal!

wo Sie geht und steht.

Octavian (leise)

Sophie (zu ihm)

Für uns zwei!

Ich möchte mich bei Ihm verstecken und nichts mehr wissen von der Welt.

Sophie (mit hingegebenem Entzücken)

Wenn Er mich so in seinen Armen hält,

Ich hab’ im Leben so was Schönes nicht gehört!

kann mich nichts Hässliches erschrecken. Da bleiben möcht’ ich, da! und schweigen,

Octavian (stärker)

und was mir auch gescheh’,

Für sich und mich muss Sie sich wehren

geborgen wie der Vogel in den Zweigen

und bleiben …

stillsteh’n und spüren: Er, Er ist in der Näh’! Mir müsste angst und bang im Herzen sein,

Sophie

stattdessen fühl’ ich nur Freud’ und Seligkeit

Bleiben?

und keine Pein, ich könnt’ es nicht mit Worten sagen!

Octavian

Hab’ ich was Unrechtes getan?

Was Sie ist.

Ich war halt in der Not! Da war Er mir nah’!

Sophie (nimmt seine Hand, beugt sich darüber, küsst sie

Da war es Sein Gesicht,

schnell, eh’ er sie ihr entziehen kann; er küsst sie auf den

Sein Auge jung und licht,

Mund)

auf das ich mich gericht’, sein liebes Gesicht –

Octavian (indem er sie, die sich an ihn schmiegt, in den

und seitdem weiß ich halt nichts, nichts mehr von mir.

Armen hält, zärtlich)

Bleib’ du nur bei mir, o bleib’ bei mir.

Mit Ihren Augen voll Tränen

Er muss mir Seinen Schutz vergönnen,

kommt Sie zu mir, damit Sie sich beklagt,

was Er will, werd’ ich können:

vor Angst muss Sie an mich sich lehnen,

Bleib’ nur Er bei mir!

Ihr armes Herz ist ganz verzagt.

(In diesem Augenblick sind die Italiener dicht hinter ihnen,

Und ich muss jetzt als Ihren Freund mich zeigen

sie ducken sich hinter den Lehnsesseln.)

und weiß noch gar nicht, wie!

Er muss mir Seinen Schutz vergönnen,


Libretto

127

was Er wird wollen, werd’ ich können –

Sophie (schmiegt sich ängstlich an Octavian)

bleib’ Er nur, bleib’ Er, bleib’ Er nur bei mir. Baron Octavian

Eh bien, Mamsell, was hat Sie mir zu sagen?

Mein Herz und Seel’ wird bei Ihr bleiben, wo Sie geht und steht,

Sophie (schweigt)

bis in alle Ewigkeit. Baron (der durchaus nicht außer Fassung ist) (Jetzt springen die beiden Italiener hervor, Annina packt

Nun, resolvier Sie sich!

Sophie, Valzacchi fasst Octavian.) Sophie Annina (schreiend)

Mein Gott, was soll ich sagen:

Herr Baron von Lerchenau, Herr Baron von Lerchenau!

Er wird mich nicht versteh’n!

Herr Baron von Lerchenau! Baron (gemütlich) Valzacchi (schreiend)

Das werden wir ja seh’n.

Herr Baron von Lerchenau, Herr Baron von Lerchenau! Herr Baron von Lerchenau!

Octavian (einen Schritt auf den Baron zu) Euer Liebden muss ich halt vermelden,

Octavian (springt zur Seite nach rechts)

dass sich in Seiner Angelegenheit was Wichtiges verändert hat.

Valzacchi (der Mühe hat, ihn zu halten, atemlos zu Annina) Lauf’ und ’ol’ Seine Gnade.

Baron (gemütlich)

Snell, nur snell! Ik muss ’alten diese ’err!

Verändert? Ei, nicht, dass ich wüsst’!

Annina

Octavian

Lass ich die Fräulein aus, lauft sie mir weg!

Darum soll Er es jetzt erfahren! Die Fräulein …

Valzacchi Herr Baron von Lerchenau!

Baron Ei, Er ist nicht faul! Er weiß zu profitieren

Annina

mit Seinen siebzehn Jahr! Ich muss Ihm gratulieren!

Herr Baron von Lerchenau! Octavian Valzacchi

Die Fräulein …

Komm, zu seh’n die Fräulein Braut, mit eine junge Cavalier!

Baron

Kommen eilig, kommen hier,

Ist mir ordentlich, ich seh’ mich selber!

kommen eilig, kommen hier! Ecco!

Muss lachen über den Filou, den pudeljungen!

Annina

Octavian

Kommen eilig, kommen hier,

Die Fräulein …

kommen eilig, kommen hier! Ecco! Baron (Der Baron tritt aus der Tür links, die Italiener lassen ihre

Ei, Sie ist wohl stumm und hat Ihn angestellt

Opfer los, springen zur Seite, verneigen sich vor dem

für Ihren Advokaten!

Baron mit vielsagender Gebärde. Baron, die Arme über die Brust gekreuzt, betrachtet sich die Gruppe. Unheilschwan-

Octavian

gere Pause.)

Die Fräulein …


Zweiter Aufzug

128

(Er hält abermals inne, wie um Sophie sprechen zu

Daran mag Sie erkennen, was ein Kavalier ist!

lassen.)

(Er macht Miene, mit ihr an Octavian vorbei zu kommen.)

Sophie (angstvoll)

Octavian (schlägt an seinen Degen)

Nein, nein, ich bring’ den Mund nicht auf,

Wird doch wohl ein Mittel geben

sprech Er für mich!

Seinesgleichen zu bedeuten!

Octavian (entschlossen)

Baron

Die Fräulein –

Ei, schwerlich, wüsste nicht! (Er lässt Sophie nicht los und schiebt sie gegen die Tür vor.)

Baron (ihm nachspottend) Die Fräulein! Die Fräulein, die Fräulein, die Fräulein!

Octavian (losbrechend)

ist eine Kreuzerkomödi, wahrhaftig!

Ich acht’ Ihn mitnichten

Jetzt echappier’ Er sich, sonst reißt mir die Geduld.

für einen Kavalier.

Octavian (sehr bestimmt)

Baron (mit Grandezza)

Die Fräulein, kurz und gut,

Wahrhaftig, wüsst’ ich nicht, dass Er mich respektiert

die Fräulein mag Ihn nicht.

Und wär’ Er nicht verwandt, es wär’ mir jetzo schwer. dass ich mit Ihm nicht übereinanderkäm’!

Baron (stets gemütlich)

(Er macht Miene, Sophie mit scheinbarer Unbefangenheit

Sei Er da außer Sorg’. Wird schon lernen, mich mögen.

gegen die Mitteltür zu führen, nachdem die beiden Italiener

(auf Sophie zu)

ihm lebhafte Zeichen gegeben haben, diesen Weg zu

Komm’ Sie da jetzt hinein, wird gleich an Ihrer sein,

nehmen.)

die Unterschrift zu geben.

Komm Sie! Geh’n zum Herrn Vater dort hinüber! Ist bereits der nähere Weg!

Sophie (zurücktretend) Um keinen Preis geh’ ich an Seiner Hand hinein!

Octavian (ihm nach, dicht an ihr)

Wie kann ein Kavalier so ohne Zartheit sein!

Ich hoff’, Er kommt vielmehr jetzt mit mir hinter’s Haus,

Octavian (der jetzt zwischen den beiden andern und der

ist dort ein recht bequemer Garten.

Tür links steht, sehr scharf) Versteht Er Deutsch? Das Fräulein hat sich resolviert;

Baron (setzt seinen Weg fort, mit gespielter Unbefangen-

sie will Euer Gnaden ungeheirat’ lassen

heit Sophie an der Hand nach jener Richtung zu führen

in Zeit und Ewigkeit!

bestrebt; über die Schulter zurück.) Bewahre, wär’ mir jetzo nicht genehm.

Baron

Lass um Alls den Notari nicht warten.

Mancari! Jungfernred! Ist nicht gehau’n und nicht gestochen.

Wär’ gar ein Affront für die Jungfer Braut.

(mit der Miene eines, der es eilig hat) Verlaub Sie jetzt!

Octavian (fasst ihn am Ärmel)

(nimmt sie bei der Hand)

Beim Satan, Er hat eine dicke Haut! Auch dort die Tür passiert Er mir nicht!

Octavian (sich breit vor die Tür stellend) Wenn nur so viel in Ihm ist

Sophie (hat sich vom Baron losgerissen und ist hinter

von einem Kavalier,

Octavian zurückgesprungen. Sie stehen links, ziemlich vor

so wird Ihm wohl genügen,

der Tür.)

was Er g’hört hat von mir. Octavian Baron (tut, als hört er ihn nicht, zu Sophie)

Ich schrei’s Ihm jetzt in Sein Gesicht:

Gratulier’ Sie sich nur, dass ich ein Aug’ zudrück’!

Ich acht’ Ihn für einen Filou,


Libretto

129

einen Mitgiftjäger,

Octavian (fährt wütend auf ihn los)

einen durchtriebenen Lügner und schmutzigen Bauer, einen Kerl ohne Anstand und Ehr’!

Baron (zieht, fällt ungeschickt aus und hat schon die

Und wenn’s sein muss, geb’ ich Ihm auf dem Fleck die Lehr’!

Spitze von Octavians Degen im Oberarm; lässt den Degen fallen. Die Lerchenauschen stürzen vor.)

Baron (steckt zwei Finger in den Mund und tut einen gellenden Pfiff)

Baron

Was so ein Bub’ in Wien mit siebzehn Jahr

Mord! Mord! Mein Blut, zu Hilfe! Mörder! Mörder!

schon für ein vorlaut’ Mundwerk hat.

(brüllend)

(Er sieht sich nach der Mitteltür um.)

Mörder!

Doch Gott sei Lob, man kennt in hiesiger Stadt den Mann, der vor Ihm steht,

(Die Diener stürzen alle zugleich auf Octavian los. Dieser

halt bis hinauf zu kaiserlicher Majestät!

springt nach rechts hinüber und hält sie sich vom Leib, indem

(Die Lerchenausche Livree ist vollzählig in der Mitteltür

er seinen Degen blitzschnell um sich kreisen lässt. Der Almo-

aufmarschiert; der Baron vergewissert sich dessen durch

senier, Valzacchi und Annina eilen auf den Baron zu, den sie

einen neuen Blick nach rückwärts.)

stützen und auf einen der Stühle in der Mitte niederlassen.)

Baron

Baron (von den Italienern und seinen Dienern umgeben

Man ist halt, was man ist, und braucht’s nicht zu beweisen.

und dem Publikum verstellt)

Das lass Er sich gesagt sein und geb’ mir den Weg da frei.

Ich hab’ ein hitzig’ Blut! Um Ärzt’! Um Leinwand!

(Der Baron rückt jetzt gegen Sophie und Octavian vor,

Verband her! Um Polizei! Um Polizei! Ich verblut’ mich auf

entschlossen, sich Sophiens und des Ausganges zu

eins, zwei, drei!

bemächtigen.)

Aufhalten den! Um Polizei! Um Polizei! Um Polizei!

Wär’ mir wahrhaftig leid, wenn meine Leut’ dahinten … Die Lerchenauschen (indem sie mit mehr Ostentation als Octavian (wütend)

Entschlossenheit auf Octavian eindringen)

Ah, untersteh’ Er sich, Seine Bedienten hineinzumischen in unsern Streit.

Den haut’s z’samm! Den haut’s z’samm! Spinnweb her, Feuerschwamm!*

Jetzt zieh’ Er oder gnad’ Ihm Gott!

Reißt’s ihm den Spadi weg!

(Er zieht. – Die Lerchenauschen, die schon einige Schritte

Schlagt’s ihn tot auf’m Fleck’.

vorgerückt waren, werden durch diesen Anblick einigermaßen unschlüssig und stellen ihren Vormarsch ein.)

(Die sämtliche Faninalsche Dienerschaft, auch das weibliche Hausgesinde, Küchenpersonal, Stallpagen, sind

Sophie,

zur Mitteltür hereingeströmt.)

Ach Gott! Was wird denn jetzt gescheh’n? Annina (auf die Dienerschaft zu, harangierend) Der Baron (tut einen Schritt, sich Sophiens zu bemächti-

Der junge Kavalier

gen)

und die Fräulein Braut, versteht’s? Waren im Geheimen

Octavian (schreit ihn an)

schon recht vertraut, versteht’s?

Zu, Satan, zieh’ Er, oder ich stech’ Ihn nieder!

Der junge Kavalier und die Fräul’n Braut!

Baron (retiriert etwas)

(Valzacchi und der Almosenier ziehen dem Baron, der

Vor einer Dame, pfui! So sei Er doch gescheit!

fortwährend stöhnt, seinen Rock aus.)

* Der Saft der Spinnweb-Hauswurz wurde als Antiseptikum verwendet, der Feuerschwamm genannte Röhrenpilz zum Blutstillen.


Zweiter Aufzug

130

Faninals Dienerschaft

Packt’s den Duellanten z’samm!

G’stochen is einer? Wer? Der dort?

Wer? Der dort im weißen G’wand?

Welcher? Der Bräutigam?

Der dort im weißen G’wand?

Welcher ist der Duellant?

Der Rosenkavalier! Der Rosenkavalier.

Wer is der Duellant?

Wegen was denn? Wegen ihr? Wegen ihr!

Wer is der Duellant?

Wegen der Braut? Wegen der Braut?

Wer? Der Rosenkavalier?

Angepackt! Niederg’haut!

Der Rosenkavalier.

Schaut’s nur die Fräulein an,

Wegen ihr? Wegen ihr, wegen ihr!

schaut’s, wie sie blass is!

Wegen ihr! Wegen der Liebschaft!

G’stochen der Bräutigam, g’stochen der Bräutigam!

Angepackt! Niederg’haut!

Niederg’haut!

Wütender Hass is, wütender Hass is! Angepackt, niederg’haut,

Sophie (links vorn)

angepackt, niederg’haut!

Alles geht durcheinand!

Niederg’haut!

Furchtbar war’s wie ein Blitz, wie er’s erzwungen hat!

G’stochen is einer? Wer? Der dort?

Ich spür’ nur seine Hand,

G’stochen is einer? Der fremde Herr?

die mich umschlungen hat!

Packt’s den Duellanten z’samm!

Ich verspür’ nichts von Angst,

Der, der dort im weißen G’wand.

ich verspür’ nichts von Schmerz,

Der dort im weißen G’wand.

nur das Feuer, seinen Blick

Der Rosenkavalier?

durch und durch bis in’s Herz!

Der Rosenkavalier, der Rosenkavalier.

(Octavian verzweifelt zurufend)

Wegen ihr? Wegen ihr! Wegen ihr!

Liebster!

Wegen der Liebschaft! Angepackt, angepackt!

Octavian (indem er sich seine Angreifer vom Leibe hält)

Niederg’haut, niederg’haut!

Wer mir zu nah kommt,

Schaut’s nur die Fräulein an,

der lernt beten!

schaut’s, wie sie blaß is!

Was da passiert ist,

G’stochen der Bräutigam, g’stochen der Bräutigam!

kann ich vertreten!

Angepackt!

(Sophie verzweifelt zurufend) Liebste!

G’stochen is einer? G’stochen is einer? Wer? Der fremde Herr? Welcher? Der Bräutigam?

Die Lerchenauschen (haben von Octavian abgelassen

Packt’s den Duellanten z’samm!

und gehen auf die ihnen zunächst stehenden Mägde

Der dort im weißen G’wand?

handgreiflich los.)

Ja, im weißen G’wand.

Leinwand her! Verband machen!

Der Rosenkavalier, der Rosenkavalier!

Fetzen aus’m G’wand machen!

Der Rosenkavalier.

Vorwärts, keine Spanponaden,

Wegen was denn? Wegen ihr? Wegen ihr!

Leinwand her für Seine Gnaden!

Wegen der Braut? Wegen der Braut?

(ganz wild)

Angepackt! Niederg’haut!

Leinwand her!

Schaut’s nur die Fräulein an, schaut’s, wie sie blass is!

Marianne (bahnt sich den Weg auf den Baron zu; alle

G’stochen der Bräutigam, g’stochen der Bräutigam!

umgeben ihn in dichten Gruppen.)

Niederg’haut! Baron G’stochen is einer? Wer? Der dort?

Ich kann ein jedes Blut mit Ruhe seh’n,

Der fremde Herr?

bloß das meinig nicht!


Libretto

131

Marianne

Baron (stöhnend)

So ein fescher Herr! So ein groß’ Malheur!

Oh, oh! Oh, oh!

So ein schwerer Schlag! So ein Unglückstag! Faninal (zum Baron hin) (Faninal kommt zur Tür links hereingestürzt,

Oh! Um das schöne freiherrliche Blut, was auf den Boden

hinter ihm der Notar und der Schreiber,

rinnt!

die in der Tür ängstlich stehenbleiben.) Baron Annina (links vorn, knicksend und eifrig zu Faninal

Oh, oh! Oh, oh!

herüber) Der junge Kavalier und die

Faninal (gegen Octavian hin)

Fräulein Braut, Gnaden,

O pfui! so eine ordinäre Metzgerei.

waren im Geheimen schon recht vertraut, Gnaden!

Baron

Wir voller Eifer

Hab’ halt so ein jung’ und hitzig’ Blut.

für’n Herrn Baron, Gnaden,

Ist nicht zum Stillen! Oh!

haben sie betreten, in aller Devotion, Gnaden!

Faninal (auf Octavian losgehend) War mir von Euer Liebden

(Die Lerchenauschen machen Miene, sich der Gewänder

(verbissen)

der jüngeren und hübscheren Mägde zu bemächtigen,

hochgräflichen Gegenwart allhier

Handgemenge, bis Faninal beginnt.)

wahrhaftig einer andern Freud’ gewärtig.

Baron (stöhnend)

Baron (abnehmend)

Oh, oh! Oh, oh!

Oh! Oh!

(Marianne anschreiend) So tu Sie doch was Gescheidt’s,

Octavian (höflich)

so rett’ Sie doch mein Leben!

Er muss mich pardonnieren. Bin außer Maßen sehr betrübt über den Vorfall.

(Marianne stürzt fort und kommt nach kurzer Zeit atemlos

Bin aber außer Schuld. Zu einer mehr gelegenen Zeit

zurück, beladen mit Leinwand; hinter ihr zwei Mägde mit

erfahren Euer Liebden wohl den Hergang

Schwamm und Wasserbecken. Sie umgeben den Baron

aus Ihrer Fräulein Tochter Mund.

mit eifriger Hilfeleistung. – Sophie ist, wie sie ihres Vaters ansichtig wird, nach rechts vorn hinüberge laufen, steht

Faninal (sich mühsam beherrschend)

neben Octavian, der nun seinen Degen einsteckt.)

Da möcht’ ich recht sehr bitten!

Faninal (anfangs sprachlos, schlägt nun die Hände überm

Sophie (entschlossen)

Kopf zusammen und bricht aus)

Was Sie befehlen, Vater. Werd’ Ihnen Alles sagen.

Herr Schwiegersohn! Wie ist Ihm denn? Mein Herr und Heiland!

Der Herr dort hat sich nicht so, wie er sollt’, betragen.

Dass Ihm in mein’ Palais das hat passieren müssen! Gelaufen um den Medicus! Geflogen!

Faninal (zornig)

Meine zehn teuren Pferd’ zu Tod gehetzt!

Ei, von wem red’t Sie da? Von Ihrem Herrn Zukünft’gen?

Ja, hat denn Niemand von meiner Livree

Ich will nicht hoffen, wär’ mir keine Manier.

dazwischenfahren mögen?! Füttr’ ich dafür ein Schock baumlange Lackeln, dass mir solche Schand’

Sophie (ruhig)

passieren muss in meinem neuchen Stadtpalais?

Ist nicht der Fall. Seh’ ihn mitnichten an dafür.

(auf Octavian zu, mit unterdrücktem Zorn) Hätt’ wohl von Eurer Liebden eines and’ren Anstand’s

Faninal (immer zorniger)

mich verseh’n!

Sieht ihn nicht an?


Zweiter Aufzug

132

Sophie

Sophie (mit einem neuen Knicks)

Nicht mehr. Bitt’ Sie dafür um gnädigen Pardon!

Spring’ aus dem Wagen noch, der mich zur Kirche fährt.

Faninal (zuerst dumpf vor sich hin)

Faninal (mit dem gleichen Spiel zwischen ihm und Octavi­

Sieht ihn nicht an. Nicht mehr. Mich um Pardon!

an, der immer einen Schritt gegen den Ausgang tut, aber

Liegt dort gestochen.

von Sophie in diesem Augenblick nicht los kann.)

(höhnisch)

Ah! Springst noch aus dem Wagen? Na, ich sitz’ neben dir,

Steht bei ihr. Der Junge.

und werde dich schon halten!

(ausbrechend) Blamage! Mir auseinander meine Eh’.

Sophie (mit einem neuen Knicks)

(allmählich in immer größerer Wut)

Geb’ halt dem Pfarrer am Altar

Alle Neidhammeln von der Wieden und der Leimgruben

Nein anstatt Ja zur Antwort!

auf! in der Höh’! Der Medicus. Stirbt mir womöglich. (auf Sophie zu, in höchster Wut)

(Der Haushofmeister indessen macht die Leute abtreten.

Sie heirat’ ihn!

Die Bühne leert sich. Nur die Lerchenauschen bleiben bei ihrem Herrn zurück.)

(Der Arzt tritt ein und begibt sich sofort zum Baron, um ihn zu verbinden.)

Faninal (mit dem gleichen Spiel) Ah! Gibst Nein anstatt Ja zur Antwort.

Faninal (auf Octavian zu, indem der Respekt vor dem

Ich steck’ dich in ein Kloster. Stante pede.

Grafen Rofrano seine Grobheit zu einer knirschenden

Marsch! Mir aus meinen Augen! Lieber heut’ als morgen!

Höflichkeit herabdämpft.)

Auf Lebenszeit!

Möcht’ Euer Liebden recht in aller Devotion gebeten haben, schleunig sich von hier zu retirieren,

Sophie (erschrocken)

und nimmer wieder zu erscheinen!

Ich bitt’ Sie um Pardon! Bin doch kein schlechtes Kind!

(zu Sophie)

Vergeben Sie mir nur dies eine Mal.

Hör’ Sie mich! Sie heirat’ ihn, und wenn er sich verbluten tät’,

Faninal (hält sich in Wut die Ohren zu)

so heirat’ Sie ihn als Toter!

Auf Lebenszeit! Auf Lebenszeit!

(Er macht Octavian eine Verbeugung, übertrieben höflich,

Octavian (schnell, halblaut)

aber unzweideutig. – Octavian muss wohl gehen, möchte

Sei Sie nur ruhig, Liebste, um Alles!

aber gar zu gern Sophie noch ein Wort sagen; er erwidert

(Marianne stößt Octavian, sich zu entfernen.)

zunächst Faninals Verbeugung durch ein gleich tiefes Kompliment. – Der Arzt zeigt durch eine beruhigende

Octavian

Gebärde, dass der Verwundete sich in keiner Gefahr

Sie hört von mir!

befindet. – Octavian sucht nach seinem Hut, der unter die Füße der Dienerschaft geraten war. Eine Magd überreicht

Faninal

ihm knicksend den Hut. Zweite und dritte Verbeugung des

Auf Lebenszeit!

wütenden Faninal, die Octavian prompt erwidert.) Marianne (zieht Sophie mit sich nach rechts) Sophie (beeilt sich, das Folgende noch zu sagen, solange

So geh’ doch nur dem Vater aus den Augen!

es Octavian hören kann)

(zieht sie zur Tür rechts hinaus, schließt die Tür)

Heirat’ den Herrn dort nicht lebendig und nicht tot! Sperr’ zuvor in meine Kammer mich ein.

Faninal Auf Lebenszeit!

Faninal

(eilt dem Baron entgegen.)

Ah! sperrst dich ein! Sind Leut’ genug im Haus,

Bin überglücklich! Muss Euer Liebden embrassieren!

die dich in Wagen tragen werden.


Libretto

133

Baron (dem bei der Umarmung der Arm wehgetan)

(sehr devot)

Oh, oh, oh, oh! Jesus, Maria!

Weiß, was ich Satisfaktion Ihm schuldig bin. (stürzt ab. – Es kommt bald darauf ein Diener mit einer

Faninal (nach rechts hin, in neuer Wut)

Kanne Wein und serviert dem Baron.)

Luderei! In’s Kloster! (nach der Mitteltür)

Baron (mit seiner Dienerschaft und dem Arzt allein)

Ein Gefängnis!

Da lieg’ ich. Was einem Kavalier nit all’s passieren kann

Auf Lebenszeit.

in dieser Wiener Stadt.

(schwächer)

Wär’ nicht mein Gusto hier. Da ist ein’s gar zu sehr in

Auf Lebenszeit.

Gottes Hand. Wär’ lieber daheim.

Baron

(Er will trinken, da macht er eine Bewegung, die ihm

ls gut! ls gut! Ein Schluck von was zu trinken.

Schmerzen verursacht.) Oh, oh! Der Satan! Oh, oh! Oh, oh! Sakermentsverfluchter

Faninal

Bub’!

Ein Wein? Ein Bier? Ein Hippokras* mit Ingwer.

Nit trocken hinter’m Ohr und fuchtelt mit’n Spadi.

Der Arzt (macht eine ängstlich abwehrende Bewegung)

(in immer größerer Wut) Wällischer** Hundsbub’ das! Dich sollt’ ich nur erwischen, erwischen, erwischen,

Faninal (jammernd)

in’ Hundezwinger sperr’ ich dich ein, bei meiner Seel’,

So einen Herrn, so einen Herrn zurichten miserabel!

in’ Hühnerstall – in’ Schweinekofen

So einen Herrn in meinem Stadtpalais! Sie heirat’ ihn um

tät’ dich kuranzen! Sollst alle Engel singen hör’n!

desto früher! Bin Mann’s genug!

Die Lerchenauschen (nehmen sofort eine sehr drohende und gefährliche Haltung an, mit der Richtung gegen die

Baron (matt)

Tür, durch die Octavian abgegangen. Gedämpft.)

Is gut!

Wenn ich dich erwisch’, du liegst unterm Tisch,

Faninal (nach der Tür rechts, in aufflammender Wut)

wart’, dich richt’ ich zu,

Bin Mann’s genug!

wällischer Filou!

Baron

Baron (zu dem Faninalschen Diener, der aufwartet)

Is gut!

Schenk’ Er mir ein da, schnell!

Faninal (zum Baron)

Der Arzt (schenkt ihm ein und präsentiert den Becher.)

Küss’ Ihm die Hand für seine Güt’ und Nachsicht. Gehört all’s Ihm im Haus. Ich lauf’, ich bring’ Ihm –

Baron (allmählich in besserer Laune)

(nach rechts)

Und doch, muss lachen, wie sich so ein Loder

ein Kloster ist zu gut.

mit seinen siebzehn Jahr’ die Welt imaginiert:

(zum Baron)

meint, Gott weiß, wie er mich contreveniert,

Sei’n außer Sorg’.

ha ha! umgekehrt ist auch gefahren! Möcht’ um all’s nicht,

* Gewürzwein, üblicherweise mit Zimt, Gewürznelken, Orangenblüten, Ingwer, manchmal Kardamon und Rosenwasser hergestellt. Von Manica Hippocratis (Hippocras-Sack), einem von Apothekern verwendeten textilen Filtersack, der für die Herstellung verwendet wurde. ** Abwertend für französisch, romanisch oder südländisch. Spielt hier auf eine entsprechende Abstammung des Hauses Rofrano an.


Zweiter Aufzug

134

dass ich dem Mädel sein rebellisch’ Aufbegehren nicht

(Die Lerchenauschen treten zurück, nehmen den Faninal-

verspüret hätt’!

schen ohne Weiteres die Weinkanne ab und trinken sie leer.)

(immer gemütlicher) ’s gibt auf der Welt nichts, was mich so enflammiert

Baron

und also vehement verjüngt, so enflammiert als wie ein

Zeig’ Sie den Wisch!

rechter Trotz.

(Er reißt mit der Linken den Brief auf, versucht ihn zu lesen indem er ihn sehr weit von sich weghält.)

Die Lerchenauschen (gedämpft)

Such Sie in meiner Tasch’ meine Brillen.

Wart’, dich hau’ i’ z’samm,

(sehr misstrauisch)

wällischer Filou,

Nein! such’ Sie nicht. Kann Sie Geschriebnes lesen?

wart’, dich hau’ i’ z’samm,

Da!

dass dich Gott verdamm’! Annina (nimmt den Brief und liest) Baron

„Herr Kavalier! Den morgigen Abend hätt’ i frei.

Herr Medicus, verfüg’ Er sich voraus!

Sie ham mir schon g’fall’n, nur g’schamt

Mach’ Er das Bett

hab’ i mi vor der fürstli’n Gnade,

(etwas zögernd)

weil i noch gar so jung bin. Das bewusste Mariandel,

aus lauter Federbetten!

Kammerzofel und Verliebte.

Ich komm’, erst aber trink’ ich noch! Marschier’ Er nur

Wenn der Herr Kavalier den Namen nit schon vergessen hat.

indessen.

I wart’ auf Antwort.“

(den zweiten Becher leerend) Ein Federbett. Zwei Stunden noch zu Tisch.

Baron (entzückt)

(immer gemächlicher)

Sie wart’ auf Antwort!

Werd’ Zeitlang haben.

Geht all’s recht am Schnürl so wie z’Haus und hat noch einen andren Schick dazu.

(Annina ist durch den Vorsaal hereingekommen und

(sehr lustig)

schleicht sich verstohlen heran, einen Brief in der Hand.)

Ich hab’ halt schon einmal ein Lerchenauisch’ Glück. Komm’ Sie nach Tisch,

Baron (vor sich, leise)

(sehr vergnügt)

„Ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang.

geb’ Ihr die Antwort nachher schriftlich.

Mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang.“ Annina (Annina stellt sich so, dass der Baron sie sehen muss, und

Ganz zu Befehl, Herr Kavalier. Vergessen nicht die Botin?

winkt ihm geheimnisvoll mit dem Brief.) Baron (sie überhörend, vor sich) Baron

„Ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang –“

Für mich? Annina (dringlicher) Annina (näher)

Vergessen nicht der Botin, Euer Gnade!

Von der Bewussten. Baron Baron

Schon gut.

Wer soll damit g’meint sein?

„Mit mir, mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang.“

Annina (ganz nahe)

Annina (macht nochmals eine Gebärde des Geldforderns.)

Nur eigenhändig insgeheim zu übergeben. Baron (zu Annina) Baron

Das später, All’s auf einmal. Dann zum Schluss.

Luft da!

Sie wart’ auf Antwort. Tret’ Sie ab indessen.


Libretto

135

Schaff’ Sie ein Schreibzeug in mein Zimmer hin

Dritter Aufzug

dort drüben, dass ich die Antwort dann diktier! Ein Extrazimmer in einem Gasthaus. Im Hintergrunde links Annina (geht ab, nicht ohne mit einer drohenden Gebärde

ein Alkoven, darin ein Bett. Der Alkoven durch ei­nen

hinter des Barons Rücken angezeigt zu haben, dass sie

Vorhang verschließbar, der sich auf- und zuziehen lässt.

sich bald für seinen Geiz rächen werde)

Mitte links ein Kamin mit Feuer darin. Darüber ein Spiegel. Vorn links Tür ins Nebenzimmer. Gegenüber dem Kamin

Baron (tut noch einen letzten Schluck)

steht ein für zwei Personen gedeckter Tisch, auf diesem ein

„Keine Nacht dir zu lang, keine Nacht dir zu lang, dir zu

großer, vielarmiger Leuchter. In der Mitte rückwärts Tür auf

lang –

den Korridor. Daneben rechts ein Buffet. Rechts rückwärts

(Er geht, von seinen Leuten begleitet, langsam und

ein blindes Fenster, vorn rechts ein Fenster auf die Gasse.

behaglich seinem Zimmer zu.)

Armleuchter mit Kerzen auf dem Buffet, auf dem Kamin,

mit mir – mit mir – mit mir keine Nacht dir zu lang.“

sowie an den Wänden. Es brennt nur je eine Kerze in den Leuchtern auf dem Kamin. Das Zimmer halbdunkel. – Anni-

Der Vorhang fällt langsam. – Schluss des zweiten Aufzuges.

na steht da, als Dame in Trauer gekleidet. Valzacchi richtet ihr den Schleier, zupft da und dort das Kleid zurecht, tritt zurück, mustert sie, zieht einen Crayon aus der Tasche, untermalt ihr die Augen. Die Tür links wird vorsichtig geöffnet, ein Kopf erscheint, verschwindet wieder, – dann kommt eine nicht ganz unbedenklich aussehende, aber ehrbar gekleidete Alte hereingeschlüpft, öffnet lautlos die Tür und lässt respektvoll Octavian eintreten, in Frauenkleidern, mit einem Häubchen, wie es die Bürgermädchen tragen. – Octavian, hinter ihm die Alte, geht auf die beiden andern zu, werden sogleich von Valzacchi bemerkt, der in seiner Arbeit innehält und sich vor Octavian verneigt. Annina erkennt nicht sofort den Verkleideten, sie kann sich vor Staunen nicht fassen, knickst dann tief. Octavian greift in die Tasche (nicht wie eine Dame, sondern wie ein Herr, und man sieht, dass er unter dem Reifrock Männerkleider und Reitstiefel anhat, aber ohne Sporen) und wirft Valzacchi eine Börse zu. – Valzacchi und Annina küssen ihm die Hände, Annina richtet noch an Octavians Brusttuch. Es treten auf fünf verdächtige Herren unter Vorsichtsmaßregeln von links. Valzacchi bedeutet sie mit einem Wink, zu warten. Sie stehen links nahe der Tür. Eine Uhr schlägt halb. Valzacchi zieht seine Uhr, zeigt Octavian: es ist hohe Zeit. Octavian geht eilig links ab, gefolgt von der Alten, die als seine Begleiterin fungiert. Annina geht zum Spiegel (alles mit Vorsicht, jedes Geräusch vermeidend), arrangiert sich noch; zieht dann einen Zettel hervor, woraus sie ihre Rolle zu lernen scheint. Valzacchi nimmt die Verdächtigen nach vorn, indem er mit jeder Gebärde die Notwendigkeit höchster Vorsicht andeutet. Die Verdächtigen folgen ihm auf den Zehen nach der Mitte. Er bedeutet ihrer einem, ihm zu folgen: lautlos, ganz lautlos. Führt ihn an die Wand rechts, öffnet lautlos eine Falltür unfern des gedeckten Tisches, lässt den Mann hinabsteigen, schließt wieder die


Dritter Aufzug

136

Falltür. Dann winkt er zwei zu sich, schleicht ihnen voraus

Erster Kellner

bis an die Eingangstür, steckt den Kopf heraus, vergewis-

Mehr Silber?

sert sich, dass niemand zusieht, winkt die zwei zu sich, lässt sie dort hinaus, dann schließt er die Tür, führt die beiden

Baron (eifrig beschäftigt mit einer Serviette, die er vom

letzten leise an die Türe zum Nebenzimmer voran, schiebt

Tisch genommen und entfaltet hat, alle ihm erreichbaren

sie hinaus. Winkt Annina zu sich, geht mit ihr leise links ab,

Kerzen auszulöschen)

die Tür lautlos hinter sich schließend. Er kommt wieder

Verschwindt’s! Macht mir das Madel net verruckt!

herein, klatscht in die Hände. Der eine Versteckte hebt sich

Was will die Musi? Hab’ sie nicht bestellt.

mit halbem Leib aus dem Boden hervor. Zugleich erschei-

(löscht weitere Kerzen aus)

nen ober dem Bett und an andern Stellen Köpfe. Auf Valzacchis Wink verschwinden dieselben ebenso plötzlich,

Der Wirt

die geheimen Schiebtüren schließen sich ohne Geräusch.

Schaffen vielleicht, dass man sie näher hört?

Valzacchi sieht abermals nach der Uhr, geht nach rück-

Im Vorsaal da is Tafelmusi!

wärts, öffnet die Eingangstür. Dann zieht er ein Feuerzeug hervor und beginnt eifrig die Kerzen auf dem Tisch anzu-

Baron

zünden. Ein Kellner und ein Kellnerjunge kommen gelaufen

Lass Er die Musi, wo sie ist.

mit zwei Stöcken zum Kerzenanzünden. Entzünden die

(bemerkt das Fenster rechts rückwärts im Rücken des

Lichter auf dem Kamin, auf dem Buffet, dann die zahlrei-

gedeckten Tisches)

chen Wandarme. Sie haben die Tür hinter sich offengelas-

Was ist das für ein Fenster da?

sen, man hört aus dem Vorsaal (im Hintergrunde) Tanzmu-

(probiert, ob es hereinzieht)

sik spielen. Valzacchi eilt zur Mitteltür, öffnet dienstbeflissen auch den zweiten Flügel, springt unter Verneigung zur

Der Wirt

Seite. – Baron Ochs erscheint, den Arm in der Schlinge,

Ein blindes Fenster nur.

Octavian an der Linken führend, hinter ihm der Leiblakai.

(verneigt sich)

Baron mustert den Raum. Octavian sieht herum, läuft an

Darf aufgetragen werd’n?

den Spiegel, richtet sein Haar. Baron bemerkt den Kellner

(Alle fünf Kellner wollen abeilen.)

und Kellnerjungen, die noch mehr Kerzen anzünden wollen, winkt ihnen, sie sollten es sein lassen. In ihrem Eifer

Baron

bemerken sie es nicht. – Baron ungeduldig, reißt den

Halt, was woll’n die Maikäfer da?

Kellnerjungen vom Stuhl, auf den er gestiegen war, löscht einige ihm zunächst brennende Kerzen mit der Hand aus.

Zweiter, dritter, vierter Kellner (an der Tür)

– Valzacchi zeigt dem Baron diskret den Alkoven und durch

Servier’n, Euer Gnaden.

eine Spalte des Vorhanges das Bett. Baron (winkt ab) Der Wirt (mit noch mehreren Kellnern eilt herbei, den

Brauch’ niemand nicht.

vornehmen Gast zu begrüßen.)

(als sie nicht gehen, heftig)

Hab’n Euer Gnaden noch weitre Befehle?

Packt’s Euch! Servieren wird mein Kammerdiener da: einschenken tu ich selber. Versteht Er?

Zweiter, dritter, vierter Kellner

(Valzacchi bedeutet sie, den Willen Seiner Gnaden

Befehl’n mehr Lichter?

wortlos zu respektieren. Schiebt alle zur Tür hinaus.)

Der Wirt

Baron (löscht aufs Neue eine Anzahl Kerzen aus, darunter

Ein größeres Zimmer?

mit einiger Mühe die hoch an der Wand brennenden. Zu Valzacchi)

Erster Kellner

Er ist ein braver Kerl. Wenn Er mir hilft die Rechnung

Mehr Lichter?

runterdrucken, dann fallt was ab für ihn. Kost’ sicher hier einMartergeld.

Zweiter, dritter, vierter Kellner Befehl’n mehr Silber auf dem Tisch?

(Valzacchi unter Verneigung ab. – Octavian ist nun fertig.


Libretto

137

Baron führt ihn zu Tisch, sie setzen sich. – Der Lakai am

und keinen Seifensieder:

Buffet sieht mit unverschämter Neugierde der Entwick-

ein Kavalier lässt alles,

lung des tête à tête entgegen, stellt Karaffen mit Wein

was ihm nicht konveniert,

vom Buffet auf den Esstisch. – Baron schenkt ein. Octa-

da draußen vor der Tür. Hier sitzt kein Bräutigam

vian nippt. Baron küsst Octavian die Hand. Octavian

und keine Kammerjungfer nicht:

entzieht ihm die Hand. Baron winkt den Lakaien abzuge-

hier sitzt mit seiner Allerschönsten ein Verliebter beim

hen; muss es mehrmals wiederholen, bis die Lakaien

Souper.

endlich gehen.)

(zieht ihn an sich. Octavian lehnt sich kokett in den Sessel zurück, mit halbgeschlossenen Augen.)

Octavian (schiebt sein Glas zurück) Nein, nein, nein, nein! I trink kein Wein.

Baron (erhebt sich, der Moment für den ersten Kuss scheint ihm gekommen. Wie sein Gesicht dem der Partne-

Baron

rin ganz nahe ist, durchzuckt ihn jäh die Ähnlichkeit mit

Geh, Herzerl, was denn? Mach doch keine Faxen.

Octavian. Er fährt zurück und greift unwillkürlich nach dem verwundeten Arm.)

Octavian

Ist ein Gesicht! Verfluchter Bub!

Nein, nein, nein, nein, i bleib net da.

Verfolgt mich als a Wacher und im Traum!

(springt auf, tut, als ob er fort wollte) Octavian (öffnet die Augen und blickt ihn frech und kokett an.) Baron (packt ihn mit seiner Linken)

Was meint Er denn?

Sie macht mich deschparat. Baron Octavian

Siehst einem ähnlich, einem gottverfluchten Kerl!

Ich weiß schon, was Sie glaub’n! Oh Sie schlimmer Herr! Octavian Baron (sehr laut)

Ach geh! Das hab’ i no net g’hört!

Saperdipix! Ich schwör’ bei meinem Schutzpatron. (Baron nun wieder versichert, dass es die Zofe ist, zwingt Octavian (tut sehr erschrocken, läuft, als ob er sich irrte,

sich zu einem Lächeln, aber der Schreck ist ihm nicht ganz

statt zur Ausgangstür gegen den Alkoven, reißt den

aus den Gliedern. Er muss Luft schöpfen, und der Kuss

Vorhang auseinander, erblickt das Bett. Gerät in übermäßi-

bleibt aufgeschoben. Der Mann unter der Falltür öffnet zu

ges Staunen, kommt ganz betroffen auf den Zehen zurück.)

früh und kommt zum Vorschein. Octavian, der ihm gegen-

Jesus Maria, steht a Bett drin, a mordsmäßig großes.

übersitzt, winkt ihm eifrig, zu verschwinden, der Mann

Ja mei, wer schlaft denn da?

verschwindet sofort. – Baron, der, um den unangenehmen Eindruck von sich abzuschütteln, ein paar Schritte getan

Baron (führt ihn zurück an den Tisch.)

hat und sie von rückwärts umschlingen und küssen will,

Das wird Sie schon seh’n. Jetzt komm Sie. Setz’ Sie sich

sieht grade noch den Mann. Er erschrickt heftig, zeigt hin.)

schön. Kommt gleich wer mit’n Essen. Hat Sie denn keinen

Octavian (als verstünde er nicht)

Hunger nicht?

Was ist mit Ihm?

(legt ihm die Hand um die Taille) Baron Octavian (wirft dem Baron schmachtende Blicke zu.)

Was war denn das?

O weh! Wo Sie doch ein Bräutgam tun sein!

(auf die Stelle deutend, wo die Erscheinung verschwun-

(wehrt ihn ab)

den ist) Hat Sie den nicht geseh’n?

Baron Ach lass Sie schon einmal das fade Wort!

Octavian

Sie hat doch einen Kavalier vor sich

Da is ja nix!


Dritter Aufzug

138

Baron

Baron

Da is nix?

Aus mir was Sie nur will.

(nun wieder ihr Gesicht angstvoll musternd) So?

(Der Lakai öffnet nochmals die Tür, schaut mit frecher

Und da is auch nix?

Neugierde herein und verschwindet erst auf einen neuen

(fährt mit der Hand über ihr Gesicht)

heftigen Wink des Barons gänzlich.)

Octavian

Octavian (zurückgelehnt, wie zu sich selbst sprechend,

Da is mei G’sicht.

mit unmäßiger Traurigkeit) Es is ja eh als eins, es is ja eh als eins,

Baron (atmet schwer, schenkt sich ein Glas Wein ein)

was ein Herz noch so gach begehrt,

Da is Ihr G’sicht – und da is nix – mir scheint, ich hab’ die Congestion.*

(indes der Baron ihre Hand fasst.) geh es is ja all’s net drumi wert.

(Setzt sich schwer, es ist ihm ängstlich zu Mute. Die Tür geht auf, man hört draußen wieder die Musik. Der Lakai

Baron (lässt ihre Hand fahren)

kommt und serviert.)

Ei wie denn? Is sehr wohl der Müh’ wert.

Octavian (sehr weich)

Octavian (wirft dem Baron schmachtende Blicke zu.

Die schöne Musi!

Immer gleich melancholisch.) Wie die Stund’ hingeht, wie der Wind verweht,

Baron (wieder sehr laut)

so sind wir bald alle zwei dahin.

Is mei Leiblied, weiß Sie das?

Menschen sin’ ma halt, (schmachtender Blick nach dem Baron)

Octavian (horcht auf die Musik)

richtn’s nicht mit G’walt.

Da muss ma weinen.

(ebenso) Weint uns niemand nach, net dir net und net mir.

Baron Was?

Baron Macht Sie der Wein leicht immer so? Is ganz g’wiss Ihr

Octavian

Mieder, das auf’s Herzerl Ihr druckt.

Weil’s gar so schön is. (Octavian mit geschlossenen Augen, gibt keine Antwort.) Baron Was? Weinen? Wär nicht schlecht.

Baron (steht auf und will ihm das Mieder aufschnüren)

Kreuzlustig muss Sie sein, die Musi geht in’s Blut.

Jetzt wird’s frei mir a bisserl heiß.

(sentimental)

(Schnell entschlossen nimmt er seine Perücke ab und

G’spürt Sie’s jetzt

sucht sich einen Platz, sie abzulegen. Indem erblickt er ein

(winkt dem Lakaien, abzugehen)

Gesicht, das sich wieder im Alkoven zeigt und ihn anstarrt.

auf die letzt, g’spürt Sie’s dahier,

Das Gesicht verschwindet gleich wieder. Er sagt sich:

dass Sie aus mir

Congestionen! und verscheucht den Schrecken, muss sich

machen kann alles frei, was Sie nur will.

aber doch die Stirne abwischen. Sieht nun wieder die Zofe, willenlos wie mit gelösten Gliedern dasitzen. Das ist

(Der Lakai geht zögernd ab.)

stärker als alles, und er nähert sich ihr zärtlich. Da meint er wieder das Gesicht Octavians ganz nahe dem seinigen zu erkennen, und er fährt abermals zurück. Mariandel rührt

* Blutandrang


Libretto

139

sich kaum. Abermals verscheucht der Baron sich den

Ich hab’, wahrhaft’gen Gott, das Möbel nie gesehn!

Schreck, zwingt Munterkeit in sein Gesicht zurück, da fällt

(zum Wirt)

sein Auge abermals auf einen fremden Kopf, welcher aus

Debarassier Er mich und lass Er fortserviern!

der Wand hervorstarrt. Nun ist er maßlos geängstigt, er

I hab’ Sein Beisl heut zum letzten Mal betreten!

schreit dumpf auf, ergreift die Tischglocke und schwingt sie wie rasend.)

Annina (als entdeckte sie jetzt erst die Gegenwart

Da und da und da und da …

Octavians)

(Plötzlich springt das angeblich blinde Fenster auf, Anni­na

Ah! es ist wahr, was mir berichtet wurde

in schwarzer Trauerkleidung erscheint und zeigt mit

Er will ein zweites Mal heiraten, der Infame,

ausgestreckten Armen auf den Baron.)

ein zweites unschuldiges Mädchen, so wie ich es war.

Da und da und da und da, da, da! (Sucht sich den Rücken zu decken)

Der Wirt (erschrocken) Oh! Oh! Euer Gnaden!

Annina Er ist es! Es ist mein Mann! Er ist’s! Er ist’s!

Die drei Kellner

(verschwindet)

Oh! Oh! Euer Gnaden!

Baron (angstvoll)

Baron

Was ist denn das?

Bin ich in einem Narrnturm? Kreuzelement! (schüttelt kräftig mit der Linken Valzacchi, der ihm am

Octavian

nächsten steht.)

Das Zimmer ist verhext!

Bin ich der Baron von Lerchenau, oder bin ich es nicht?

(schlägt ein Kreuz)

Bin ich bei mir? (fährt mit dem Finger ins Licht)

Annina (gefolgt von dem Intriganten, der sie scheinbar

Is das ein Kerz’l,

abzuhalten sucht, vom Wirt und drei Kellnern, stürzt zur

(schlägt mit der Serviette durch die Luft)

Mitteltür herein. Sie bedient sich des böhmisch deutschen

is das ein Serviett’l?

Akzents, aber gebildeter Sprechweise.)

(starrt Annina fassungslos an)

Es ist mein Mann! Ich leg’ Beschlag auf ihn.

Kommt mir bekannt vor.

Gott ist mein Zeuge, Sie sind meine Zeugen!

(sieht wieder auf Octavian)

Gericht! Hohe Obrigkeit! Die Kaiserin

Hab’n doppelte Gesichter alle miteinander!

muss ihn mir wiedergeben! Annina Baron (zum Wirt)

Ja, ja, du bist es und so wahr, als du es bist,

Was will das Weibsbild da von mir, Herr Wirt?

bin ich es auch und du erkennst mich wohl.

Was will der dort und der und der und der?

Leupold, Leupold bedenk:

(zeigt nach allen Richtungen)

Anton von Lerchenau, dort oben richtet dich ein Höherer!

Der Teufel frequentier sein gottverfluchtes Extrazimmer! Der Wirt Annina

Die arme Frau, die arme Frau Baronin!

Er wagt, mich zu verleugnen, ah! Tut, als ob er mich nicht täte kennen!

Vier Kinder (zwischen zehn und vier Jahren stürzen zu früh herein und auf den Baron zu.)

Baron (hat sich eine kalte Kompresse auf den Kopf gelegt,

Papa, Papa, Papa!

hält sie mit der Linken fest, geht dann dicht auf die Kellner, den Wirt, zuletzt auf Annina zu, mustert sie ganz scharf,

Annina (erschrickt zuerst heftig, dass sie in ihrer Anrede

um sich über ihre Realität klar zu werden.)

unterbrochen wird, fasst sich aber schnell.)

Ist auch lebendig!

Hörst du die Stimme deines Blutes!?

(Wirft die Kompresse weg. Sehr bestimmt.)


Dritter Aufzug

140

Die vier Kinder

Schmeiß Er hinaus das Trauerpferd! Wer? Was? Er will

Papa, Papa, Papa!

nicht? Was? Polizei! Die Lack’ln wollen nicht?

Die drei Kellner Die arme Frau Baronin!

Spielt das Gelichter leicht All’s unter einem Leder? Sein wir in Frankreich? Sein wir unter Kurutzen?* Oder in kaiserlicher Hauptstadt?

Annina

(Er reißt das Gassenfenster auf.)

Kinder, hebt die Hände auf zu ihm!

Polizei! Herauf da, Polizei! Gilt Ordnung herzustellen

Baron (schlägt wütend mit einer Serviette, die er vom

und einer Standsperson zu Hilf’ zu eilen.

Tisch reißt, nach ihnen. Zum Wirt)

Polizei! Polizei!

Debarassier Er mich von denen da,

(Man hört auf der Straße laute Rufe nach der Polizei.)

von der, von dem, von dem, von dem! (zeigt nach allen Richtungen)

Der Wirt (jammernd) Mein renommiertes Haus! Das muss mein Haus

Octavian (zu Valzacchi)

erleben!

Ist gleich wer fort, den Faninal zu holen? Vier Kinder (plärrend) Valzacchi (leise)

Papa, Papa, Papa!

Sogleich im Anfang. Wird sogleich zur Stelle sein. (Kommissarius mit zwei Wächtern treten auf. Der Wirt (im Rücken des Barons)

Alles rangiert sich, ihnen Platz zu machen.)

Halten zu Gnaden, gehn nit zu weit könnten recht böse Folgen g’spürn.

Valzacchi (zu Octavian)

Bitterböse!

Oh weh, was macken wir?

Baron

Octavian

Was? Ich was g’spürn von dem Möbel da?

Verlass Er sich auf mich! und lass Er’s gehn, wie’s geht.

Hab’s nie nicht ang’rührt, nicht mit der Feuerzang. Valzacchi Annina (schreit laut auf.)

Zu Eurer Exzellenz Befehl.

Valzacchi (zum Baron, leise)

Kommissarius (scharf)

Ik rat Euer Gnaden, sein vorsiktig.

Halt! Keiner rührt sich! Was ist los?

Die Sittenpolizei sein gar nit tolerant.

Wer hat um Hilf’ geschrien? Wer hat Skandal gemacht?

Der Wirt

Baron (auf ihn zu, mit der Sicherheit des großen Herrn)

Die Bigamie ist halt kein G’spaß,

Is all’s in Ordnung jetzt. Bin mit Ihm wohl zufrieden.

is ein Kapitalverbrechen.

Hab’ gleich erhofft, dass in Wien all’s wie am Schnürl geht. (vergnügt)

Baron

Schaff Er das Pack mir vom Hals. Ich will in Ruh’ soupieren.

Die Bigamie, die Sittenpolizei? (die Stimmen der Kinder nachahmend)

Kommissarius

Papa, Papa!

Wer ist der Herr? Was gibt dem Herrn Befugnis?

(greift sich wie verloren an den Kopf, dann wütend)

Ist Er der Wirt?

* Antihabsburgische Aufständische in Ungarn, die zwischen 1671 und 1711 gegen die kaiserlichen Truppen kämpften.


Libretto

141

(Baron sperrt den Mund auf.)

Baron Gleich bei der Hand. Da. Mein Sekretär: ein Italiener.

Kommissarius (scharf) Dann halt’ Er sich gefällig still

Valzacchi (wechselt mit Octavian einen Blick des Einver-

und wart’ Er, bis man Ihn vernehmen wird.

ständnisses)

(setzt sich)

Ick excusier mick. Ich weiß nix. Die Herr kann sein Baron, kann sein auch nit. Ick weiß von nix.

Baron (retiriert sich etwas, perplex, beginnt nach seiner Perücke zu suchen, die in dem Tumult abhandengekom-

Octavian (der bisher ruhig rechts gestanden, tut nun, als

men ist und unauffindbar bleibt.)

ob er in Verzweiflung hin und her irrend den Ausweg nicht fände und das Fenster für eine Ausgangstür hält)

Kommissarius Wo ist der Wirt?

Baron (außer sich)

(Die zwei Wächter nehmen hinter dem Kommissar Stellung.)

Das ist doch stark. Wällisches Luder, falsches! (Geht mit erhobener Linken auf ihn los. Leiblakai ist sehr

Der Wirt (devot)

betreten über die Situation. Jetzt scheint er einen rettenden

Mich dem Herrn Oberkommissarius schönstens zu

Einfall zu haben und stürzt plötzlich zur Mitteltür fort, ab.)

rekommandieren. Kommissarius (zum Baron, scharf) Kommissarius

Für’s Erste moderier Er sich!

Die Wirtschaft da rekommandiert Ihn schlecht. Bericht’ Er jetzt!

Octavian Oh mein Gott, in die Erd’n möcht’ ich sinken!

Der Wirt

Heilige Mutter von Maria Taferl!

Herr Kommissar! Kommissarius Kommissarius

Wer ist dort die junge Person?

Von Anfang! Baron Der Wirt

Die? Niemand. Sie steht unter meiner Protektion.

Der Herr Baron – Kommissarius Kommissarius

Er selber wird bald eine Protektion sehr nötig haben.

Der große Dicke da? Wo hat er sein Paruckl?

Wer ist das junge Ding, was macht sie hier? (blickt um sich)

Baron (der die ganze Zeit gesucht hat)

Ich will nicht hoffen, dass Er ein gottverdammter Debau-

Um das frag’ ich Ihn!

chierer und Verführer ist! Da könnt’s Ihm schlecht ergehn. Wie kommt Er zu dem Mädel? Antwort will ich!

Der Wirt Das ist der Herr Baron von Lerchenau.

Octavian I geh ins Wasser!

Kommissarius

(rennt gegen den Alkoven, wie um zu flüchten, und reißt

Genügt nicht.

den Vorhang auf, so dass man das Bett friedlich beleuchtet dastehn sieht)

Baron Was?

Kommissarius (erhebt sich) Herr Wirt, was seh ich da?

Kommissarius Hat Er Personen nahebei, die für Ihn Zeugnis geben?

Was für ein Handwerk treibt denn Er?


Dritter Aufzug

142

Der Wirt (verlegen)

(auf den Baron zu)

Wenn ich Personen von Stand zum Speisen oder Nacht-

Wie sieht Er aus?

mahl hab’ …

War mir vermutend nicht, zu dieser Stunde in ein gemeines Beisl depeschiert zu werden.

Kommissarius Halt’ Er den Mund. Ihn nehm’ ich später vor.

Baron (sehr erstaunt und unangenehm berührt)

(zum Baron)

Wer hat Ihn hierher depeschiert? In drei Teufels Namen.

Jetzt zähl’ ich noch bis drei, dann will ich wissen wie Er da zu dem jungen Bürgermädchen kommt!

Faninal (halblaut zu ihm)

Ich will nicht hoffen, dass er sich einer falschen Aussag’

Was soll mir die saudumme Frag’, Herr Schwiegersohn?

wird unterfangen.

Wo Er mir schier die Tür einrennen lässt mit Botschaft,

(Der Wirt und Valzacchi deuten dem Baron durch Gebär-

ich soll sehr schnell herbei und Ihn in einer üblen Lage

den die Gefährlichkeit der Situation und die Wichtigkeit

soutenieren, in die Er unverschuld’ter Weise geraten ist.

einer Aussage an.) (Baron greift sich an den Kopf.) Baron (winkt ihnen mit Sicherheit, sich auf ihn zu verlassen, er sei kein heuriger Has.)

Kommissarius

Wird wohl kein Anstand sein bei Ihm, Herr Kommissar,

Wer ist der Herr? Was schafft der Herr mit Ihm?

wenn eine Standsperson mit seiner ihm verlobten Braut um neune Abends ein Souper einnehmen tut.

Baron

(blickt um sich, die Wirkung seiner schlauen Aussage

Nichts von Bedeutung. Is bloß ein Bekannter,

abzuwarten)

hält sich per Zufall hier im Gasthaus auf.

Kommissarius

Kommissarius

Das wäre Seine Braut? Geb’ Er den Namen an

Der Herr geb’ Seinen Namen an!

vom Vater und’s Logis. Wenn Seine Angab stimmt, mag Er sich mit der Jungfer retirieren!

Faninal Ich bin der Edle von Faninal.

Baron Ich bin wahrhaftig nicht gewohnt, in dieser Weise –

Kommissarius Somit ist dies der Vater.

Kommissarius (scharf) Mach’ Er Sein’ Aussag’ oder ich zieh’ andre Saiten auf.

Baron (stellt sich dazwischen, deckt Octavian vor Faninals Blick. Eifrig.)

Baron

Beileib’ gar nicht die Spur. Ist ein Verwandter,

Werd’ nicht mankieren.

ein Bruder, ein Neveu! Der Wirkliche

(schnell)

ist noch einmal so dick.

Is die Jungfer Faninal, Sophia Anna Barbara, ehliche Tochter

Faninal (sehr erstaunt)

des wohlgeborenen Herrn von Faninal,

Was geht hier vor? Wie sieht Er aus? Ich bin der Vater, freilich!

wohnhaft am Hof im eignen Palais. Baron (will ihn fort haben) (An der Tür haben sich Gasthofpersonal, andere Gäste,

Das Weitre findet sich, verzieh’ Er sich!

auch einige der Musiker aus dem anderen Zimmer neu­ gierig angesammelt.)

Faninal Ich muss schon bitten.

Herr von Faninal (drängt sich durch sie durch, eilig, aufgeregt in Hut und Mantel.)

Baron (wütend)

Zur Stelle. Was wird von mir gewünscht?

Fahr’ Er heim in Teufels Namen!


Libretto

143

Faninal (immer ärgerlicher)

Baron

Mein Nam’ und Ehr’ in einem solchen Händel zu melieren,

Fahr Er nach Haus. Auf morgen in der Früh!

Herr Schwiegersohn!

Ich klär Ihm alles auf. Er weiß, was Er mir schuldig ist.

Baron (versucht, ihm den Mund zuzuhalten. Zum Kommissar.)

Faninal (außer sich, vor Wut)

Ist eine idée fixe.

Laut eigner Aussag’!

Benennt mich also nur im G’spaß.

(einige Schritte nach rückwärts) Meine Tochter soll herauf!

Kommissarius

Sitzt unten in der Tragchaise! Im Galopp herauf!

Ja, ja, genügt schon.

(wieder auf den Baron losstürzend)

(zu Faninal)

Das zahlt Er teuer! Bring Ihn vor’s Gericht!

Er erkennt demnach in diesem Herrn Seinen Schwiegersohn?

Baron Jetzt macht er einen rechten Palawatsch

Faninal

für nichts und wieder nichts. Ein Kavalier braucht ein’

Sehr wohl! Wieso sollt’ ich ihn nicht erkennen?

Rossgeduld,

Leicht weil er keine Haar nicht hat?

Sein Schwiegersohn zu sein, Parole d’honneur! Ich will mei’ Perückn!

Kommissarius (zum Baron)

(schüttelt den Wirt)

Und Er erkennt nunmehr wohl auch in diesem Herrn wohl

Mei’ Perückn will ich sehn!

oder übel Seinen Schwiegervater?

(Im wilden Herumfahren, um die Perücke zu suchen, fasst er einige der Kinder an und stößt sie zur Seite.)

Baron (nimmt den Leuchter vom Tisch, beleuchtet sich Faninal genau)

Die vier Kinder (automatisch)

So, so, la, la! Ja, ja, wird schon derselbe sein.

Papa! Papa! Papa!

War heut’ den ganzen Abend gar nicht recht beinand’. Kann meinen Augen heut’ nicht trau’n. Muss Ihm sagen,

Faninal (fährt zurück.)

liegt hier was in der Luft, man kriegt die Congestion davon.

Was ist denn das?

Kommissarius (zu Faninal)

Baron (im Suchen findet er wenigstens seinen Hut,

Dagegen wird von Ihm die Vaterschaft

schlägt mit dem Hut nach den Kindern)

zu dieser Ihm verbatim zugeschob’nen Tochter geleugnet. Die vier Kinder Faninal (bemerkt jetzt erst Octavian.)

Papa! Papa!

Meine Tochter? Da, der Fetzen gibt sich für meine Tochter aus?

Baron Gar nix! Ein Schwindel! Kenn’ nit das Bagagi!

Baron (gezwungen lächelnd)

Sie sagt, dass sie verheirat’ war mit mir.

Ein G’spaß! Ein purer Missverstand! Der Wirt

Käm zu der Schand’ so wie der Pontius ins Credo!

hat dem Herrn Kommissarius da was vorerzählt von meiner Brautschaft mit der Faninalschen!

(Sophie kommt im Mantel eilig herein, man macht ihr Platz. An der Tür sieht man die Faninalschen Bedien-

Wirt (aufgeregt)

ten, jeder eine Tragstange der Sänfte haltend. – Baron

Kein Wort, kein Wort, Herr Kommissarius, laut eigner Aussag’!

sucht die Kahlseite seines Kopfes vor Sophie mit dem Hut zu beschatten, indes Sophie auf ihren Vater

Faninal (außer sich)

zugeht.)

Das Weibsbild arretieren! Kommt am Pranger! Wird ausgepeitscht! Wird eingekastelt in ein Kloster!

Chor der Zuschauer

Ich – ich – ich –

Die Braut! Oh, was für ein Skandal!


Dritter Aufzug

144

Faninal (zu Sophie)

Zauberhand wieder zum Vorschein gekommen ist, stürzt

Da schau dich um. Da hast du den Herrn Bräutigam.

darauf los, stülpt sie sie auf und gibt ihr vor dem Spiegel

Da die Famili von dem saubern Herrn!

den richtigen Sitz. Mit dieser Veränderung gewinnt er

Die Frau mitsamt die Kinder! Da das Weibsbild

seine Haltung ziemlich wieder, begnügt sich aber, Annina

g’hört linker Hand dazu! Nein, das bist du, laut eigner

und den Kindern, deren Gegenwart ihm trotz allem nicht

Aussag’:

geheuer ist, den Rücken zu kehren. Hinter Herrn von

Du! Möcht’st in die Erd’n sinken, was? Ich auch!

Faninal und seiner Begleitung hat sich die Türe links geschlossen. Wirt und Kellner kommen bald darauf leise

Sophie (freudig aufatmend)

wieder heraus, holen Medikamente, Karaffen mit Wasser

Bin herzensfroh! Seh ihn mitnichten an dafür.

und anderes, das in die Tür getragen und von Sophie in der Türspalte übernommen wird.)

Faninal Sieht ihn nicht an dafür.

Baron (numehr mit dem alten Selbstgefühl auf den

(immer verzweifelter)

Kommissarius zu)

Sieht ihn nicht an dafür.

Sind desto eher im Klaren! Ich zahl’, ich geh’!

Mein schöner Nam’! Ich trau mi’ nimmer übern Graben!*

(zu Octavian)

Kein Hund nimmt mehr ein Stück’l Brot von mir!

Ich führ’ Sie jetzt nach Haus.

(Er ist dem Weinen nahe.) Kommissarius Chor (die an der Tür Stehenden)

Da irrt Er sich! Mit Ihm jetzt weiter im Verhör!

Der Skandal! Der Skandal!

(Auf den Wink des Kommissarius entfernen die beiden Wächter alle übrigen Personen aus dem Zimmer, nur

Faninal

Annina mit den Kindern bleibt an der linken Wand stehen.)

Die ganze Wiener Stadt! Die schwarze Zeitung!

Baron Lass Er’s jetzt gut sein. War ein G’spaß.

Chor der an der Tür Stehenden

Ich sag’ Ihm später, wer das Mädel ist.

Der Skandal für Herrn von Faninal!

Geb’ Ihm mein Wort: Ich heirat’ sie wahrscheinlich auch einmal.

Die Köpfe aus der Wand und Chor unter der Erde (in der

Da hinten dort, das Klumpert ist schon stad.

Wand und aus dem Erdboden auftauchend, dumpf)

(macht Miene, Octavian abzuführen)

Der Skandal, der Skandal

Da sieht Er, wer ich bin und wer ich nicht bin!

für Herrn von Faninal! Octavian (macht sich los) Faninal

I geh nit mit dem Herrn!

Da! Aus dem Keller! Aus der Luft! Die ganze Wiener Stadt! (auf den Baron zu, mit geballter Faust)

Baron (halblaut)

Oh! Er Filou! Mir wird nicht gut! Ein Sessel!

I heirat’ Sie, verhält Sie sich mit mir.

(Bediente springen hinzu, fangen ihn auf. Zwei desglei-

Sie wird noch Frau Baronin, so gut gefallt Sie mir!

chen haben vorher ihre Stange einem der Hintenstehenden zugeworfen. – Sophie ist angstvoll um ihn bemüht.

Octavian (reißt sich vom Arm des Barons los, gespro-

Wirt springt gleichfalls hinzu. Sie nehmen ihn auf und

chen.)

tragen ihn ins Nebenzimmer. Mehrere Kellner, den Weg

Herr Kommissar, ich geb was zu Protokoll,

weisend, die Tür öffnend, voran. – Baron wird in diesem

aber der Herr Baron darf nicht zuhör’n dabei.

Augenblicke seiner Perücke ansichtig, die wie durch

(Auf den Wink des Kommissars drängen die beiden

* Straße in der Wiener Innenstadt.


Libretto

145

Wächter den Baron nach vorn rechts. – Octavian scheint

(Marschallin regungslos, antwortet nicht, sieht sich

dem Kommissar etwas zu melden, was diesen sehr

fragend um. Leiblakai auf den Baron zu, stolz und selbst-

überrascht. Der Kommissarius begleitet Octavian bis an

zufrieden. Baron gibt ihm alle Zeichen seiner Zufriedenheit.)

den Alkoven. Octavian verschwindet hinter dem Vorhang.) Kommissarius (auf die Fürstin zu, in dienstlicher Haltung) Baron (zu den Wächtern, familiär, halblaut, auf Annina

Fürstliche Gnaden, melde mich gehorsamst

deutend)

als Vorstadts-Unterkommissarius.

Kenn’ nicht das Weibsbild dort, auf Ehr’. War grad beim Essen. Hab’ keine Ahnung, was es will. Hätt’ sonst nicht selber

Baron

um die Polizei –

Er sieht Herr Kommissar, die Durchlaucht haben selber sich bemüht.

(Der Kommissar scheint sich zu amüsieren und ist den

Ich denk’, Er weiß, woran Er ist.

Spalten des Vorhangs ungenierter Weise nahe.) Marschallin (zum Kommissar ohne den Baron zu beachten) Baron (bemerkt die Heiterkeit des Kommissars. Plötzlich

Er kennt mich? Kenn ich Ihn nicht auch? Mir scheint

sehr aufgeregt über den unerklärlichen Vorfall)

beinah’.

Was geschieht denn dort? Ist wohl nicht möglich das? Der Lackl!

Kommissarius

Das heißt Ihr Sittenpolizei? Ist eine Jungfer! Eine Jungfer!

Sehr wohl!

(Er ist schwer zu halten.) Steht unter meiner Protektion. Beschwer’ mich!

Marschallin

Hab’ ein Wörtel drein zu reden!

Dem Herrn Feldmarschall sein’ brave Ordonnanz gewest?

(Er reißt sich los, will gegen das Bett hin. Sie fangen und halten ihn wieder. Aus dem Alkoven erscheinen Stück für

Kommissarius

Stück die Kleider des Mariandel. Der Kommissar macht ein

Fürstliche Gnaden, zu Befehl.

Bündel draus.)

(Octavian steckt abermals den Kopf zwischen den Vorhängen hervor.)

Baron (immer aufgeregt, ringt, seine beiden Wächter loszuwerden. Sie halten ihn mühsam, während Octavians

Baron (winkt Octavian heftig, zu verschwinden, ist zugleich

Kopf aus einer Spalte des Vorhanges hervorsieht)

ängstlich bemüht, dass die Marschallin nichts merke)

Muss jetzt partout zu ihr!

Bleib’ Sie zum Sakra hinten dort!

(Kellner herein, reißen die Türe auf)

(Dann hört er, wie sich Schritte der Tür links vorn nähern, stürzt hin, stellt sich mit dem Rücken gegen die Tür, durch

Wirt (hereinstürzend)

verbindliche Gebärden gegen die Marschallin bestrebt

Ihre hochfürstliche Gnaden, die Frau Fürstin Feldmar-

seinem Gebaren den Schein völliger Unbefangenheit zu

schall!

geben. – Marschallin kommt gegen links, mit zuwartender

(Zuerst werden einige Menschen in der Marschallin Livree

Miene den Baron anblickend.)

sichtbar, dann der Leiblakai des Barons; sie rangieren sich. Die Marschallin tritt ein, Mohammed trägt ihre

Octavian (in Männerkleidung tritt zwischen den Vorhän-

Schleppe.)

gen hervor, sobald der Baron ihm den Rücken kehrt.) War anders abgemacht, Marie Theres’, ich wunder mich!

Baron (hat sich von den Wächtern losgerissen, wischt sich

(Die Marschallin, als hörte sie Octavian nicht, hat fortwäh-

den Schweiß von der Stirne, eilt auf die Marschallin zu)

rend den verbindlich erwartungsvollen Blick auf den Baron

Bin glücklich über Maßen, hab’ die Gnad’ kaum meritiert.

gerichtet, der in äußerster Verlegenheit zwischen der

Schätz’ Dero Gegenwart hier als ein Freundstück

Tür und der Marschallin seine Aufmerksamkeit teilt. –

ohne Gleichen.

Die Türe links wird mit Kraft geöffnet, sodass der Baron, der vergebens versucht hatte, sich dagegenzustemmen,

Octavian (steckt den Kopf zwischen dem Vorhang hervor)

wütend zurückzutreten genötigt ist. Zwei Faninalsche

Marie Theres, wie kommt Sie her?

Diener lassen jetzt Sophie eintreten.)


Dritter Aufzug

146

Sophie (ohne die Marschallin zu sehen, die ihr durch den

Baron (gegen die Tür brüllend)

Baron verdeckt ist)

Bin willens, alles Vorgefall’ne

Hab’ Ihm von mei’m Vater zu vermelden …

vergeben und vergessen sein zu lassen!

Baron (Sophie ins Wort fallend, halblaut)

Marschallin (ist von rückwärts an den Baron herangetre-

Ist jetzo nicht die Zeit, Kreuzelement!

ten und klopft ihm auf die Schulter)

Kann Sie nicht warten, bis dass man Ihr rufen wird?

Lass Er nur gut sein und verschwind’ Er auf eins, zwei –

Meint Sie, dass ich Sie hier im Beisl präsentieren werd’? Baron (dreht sich um, starrt sie an) Octavian (ist leise hervorgetreten, zur Marschallin halblaut.)

Wieso denn?

Das ist die Fräulein, die um derentwillen – Marschallin (munter, überlegen) Marschallin (über die Schulter zu Octavian, halblaut)

Wahr’ Er Sein’ Dignité und fahr’ Er ab!

Find’ Ihn ein bissl empressiert, Rofrano. Kann mir wohl denken, wer sie ist. Find’ sie charmant.

Baron (sprachlos)

(Octavian schlüpft zwischen die Vorhänge zurück.)

Ich? Was?

Sophie (den Rücken an der Tür, so scharf, dass der Baron

Marschallin

unwillkürlich einen Schritt zurückweicht)

Mach Er bonne mine mauvais jeu:

Er wird mich keinem Menschen auf der Welt nicht präsen-

so bleibt Er quasi doch noch eine Standsperson.

tieren,

(Der Baron starrt sie stumm an. – Sophie tritt leise wieder

dieweilen ich mit Ihm auch nicht so viel zu schaffen hab.

heraus. Ihre Augen suchen Octavian.)

(Die Marschallin spricht leise mit dem Kommissar.)

Marschallin (zum Kommissar, der hinten rechts steht, desgleichen seine Wächter)

Sophie

Er sieht, Herr Kommissar:

Und mein Herr Vater lasst Ihm sagen: wenn Er allsoweit

das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts.

die Frechheit sollte treiben, dass man Seine Nasen nur erblicken tät’ auf hundert Schritt von unserm Stadtpalais,

Kommissarius

so hätt’ Er sich die bösen Folgen selber zuzuschreiben.

Genügt mir. Retirier mich ganz gehorsamst.

Das ist’s, was mein Herr Vater Ihm vermelden lässt.

(tritt ab, die beiden Wächter hinter ihm)

Baron (zornig)

Sophie (vor sich, erschrocken)

Corpo di Bacco!

Das Ganze war halt eine Farce und weiter nichts.

Was ist das für eine ungezogne Sprache?

(Die Blicke der beiden Frauen begegnen sich: Sophie macht der Marschallin einen verlegenen Knicks.)

Sophie Die Ihm gebührt!

Baron (zwischen Sophie und der Marschallin stehend) Bin gar nicht willens!

Baron (außer sich, will an ihr vorbei, zur Tür hinein) He, Faninal, ich muss –

Marschallin (ungeduldig, stampft auf) Mon cousin, bedeut’ Er ihm!

Sophie

(kehrt dem Baron den Rücken)

Er untersteh’ sich nicht! (Die zwei Faninalschen Diener treten hervor, halten ihn auf,

Octavian (geht rückwärts auf den Baron zu,

schieben ihn zurück. Sophie tritt in die Tür, die sich hinter

sehr männlich.)

ihr schließt.)

Möcht’ Ihn sehr bitten!


Libretto

147

Baron (fährt herum)

(dann mit großer Sicherheit)

Wer? was?

Da wird Er sich halt gar nichts denken. Das ist’s, was ich von Ihm erwart’.

Marschallin (von rechts, wo sie nun steht)

(Pause)

Sein’ Gnaden, der Herr Graf Rofrano, wer denn sonst? Baron (mit Verneigung und weltmännisch) Baron (nachdem er Octavians Gesicht scharf und in der

Bin von so viel Finessse charmiert, kann gar nicht sagen wie.

Nähe betrachtet, mit Resignation)

Ein Lerchenauer war noch nie kein Spielverderber nicht.

Is schon a so!

(einen Schritt an sie herantretend)

(vor sich)

Find’ deliziös das ganze qui pro quo,

Hab’ g’nug von dem Gesicht.

bedarf aber dafür nunmehro Ihrer Protektion.

Sind doch nicht meine Augen schuld. Is schon ein Mandl.

Bin willens, alles Vorgefallene

(Octavian steht frech und hochmütig da.)

vergeben und vergessen sein zu lassen. (Pause)

Marschallin (einen Schritt näher tretend)

Eh bien, darf ich den Faninal –

Is eine wienerische Maskerad’ und weiter nichts.

(Er macht Miene, an die Tür links zu gehen)

Baron (sehr vor den Kopf geschlagen)

Marschallin

Aha!

Er darf, – Er darf in aller Still’ sich retirieren. (Baron aus allen Himmeln gefallen)

Sophie (halb traurig, halb höhnisch, für sich) Is eine wienerische Maskerad’ und weiter nichts.

Marschallin Versteht Er nicht, wenn eine Sach’ ein End’ hat?

Baron (für sich)

Die ganze Brautschaft und Affär’ und alles sonst,

Spiel’n alle unter einem Leder gegen meiner!

was drum und dran hängt, (sehr bestimmt)

Marschallin (von oben herab)

ist mit dieser Stund’ vorbei.

Ich hätt’ Ihm nicht gewunschen, dass Er mein Mariandel in der Wirklichkeit

Sophie (sehr betreten, für sich)

mir hätte debauchiert.

Was drum und dran hängt, ist mit dieser Stund’ vorbei.

Baron (wie oben, vor sich hin sinnierend)

Baron (für sich, empört, halblaut) Mit dieser Stund’ vorbei. Mit dieser Stund’ vorbei.

Marschallin (wie oben und ohne Octavian anzusehen) Hab’ jetzt einen montierten Kopf gegen die Männer –

Marschallin (scheint sich nach einem Stuhl umzusehen.

so ganz im Allgemeinen!

Octavian springt hin, gibt ihr einen Stuhl)

Baron (allmählich der Situation beikommend)

Marschallin (setzt sich rechts; mit Bedeutung, für sich)

Kreuzelement! Komm’ aus dem Staunen nicht heraus!

Ist halt vorbei.

Der Feldmarschall – Octavian – Mariandel – die Marschallin – Octavian –

Sophie (links, vor sich, blass)

(mit einem ausgiebigen Blick, der von der Marschallin zu

Ist halt vorbei.

Octavian, von Octavian wieder zurück zur Marschallin wandert)

Baron (findet sich durchaus nicht in diese Wendung, rollt

Weiß bereits nicht, was ich von diesem ganzen qui pro

verlegen und aufgebracht die Augen. – In diesem Augen-

quo mir denken soll!

blick kommt der Mann aus der Falltür hervor. – Von links tritt Valzacchi ein, die Verdächtigen in bescheidener

Marschallin (mit einem langen Blick)

Haltung hinter ihm. Annina nimmt Witwenhaube und

Er ist, mein’ ich, ein Kavalier?

Schleier ab, wischt sich die Schminke weg und zeigt ihr


Dritter Aufzug

148

gewöhnliches Gesicht. Dies alles zu immer gesteigertem

Der Hausknecht (den Baron grob anrempelnd)

Staunen des Barons. Der Wirt, eine lange Rechnung in der

Sö, für’s Aufsperrn, Sö, Herr Baron!

Hand, tritt zur Mitteltüre herein, hinter ihm Kellner, Musikanten, Hausknechte, Kutscher.)

Der Wirt Entschuld’gen Eu’r Gnaden!

Baron (wie er sie alle erblickt, gibt er sein Spiel verloren. Ruft schnell entschlossen.)

Die Kellner

Leupold, wir gehn.

Zwei Schock Kerzen, uns geh’n die Kerzen an.

(Der Baron macht der Marschallin ein tiefes, aber zorniges

Zwei Schock Kerzen, uns geh’n die Kerzen an!

Kompliment. Leiblakei ergreift einen Leuchter vom Tisch

Zwei Schock Kerzen, uns geh’n die Kerzen an!

und will seinem Herrn voran.)

Uns geh’n die Kerzen an! Uns geh’n die Kerzen an,

Annina (stellt sich dem Baron in den Weg)

uns geh’n die Kerzen an!

„Ich hab’ halt schon einmal ein Lerchenauisch Glück!“ (Auf die Rechnung des Wirtes deutend)

Der Hausknecht

„Komm’ Sie nach Tisch, geb’ Ihr die Antwort nachher

Sö, Herr Baron!

schriftlich.“

Sö, für’s Aufsperrn, Sö, Herr Baron. Sö, für’s Aufsperrn, Sö, für’s Aufsperrn, Sö, Herr Baron.

Die Kinder (kommen dem Baron unter die Füße. Er schlägt

Führag’fahr’n, außag’ruckt, Sö, Herr Baron!

mit dem Hut unter sie) Papa! Papa! Papa!

Der Wirt Entschuld’gen Eu’r Gnaden! Entschuld’gen Eu’r Gnaden!

Die Kellner (sich zuerst an den Baron drängend)

(immer die Rechnung präsentierend)

Entschuld’gen Euer Gnaden!

Entschuld’gen Eu’r Gnaden! Entschuld’gen, entschuld’gen, entschuld’gen Eu’r Gnaden!

Der Wirt (sich mit der Rechnung vordrängend)

Entschuld’gen –

Entschuld’gen Euer Gnaden!

Entschuld’gen Eu’r Gnaden!

Die Kellner

Musikanten

Entschuld’gen Euer Gnaden! Uns geh’n die Kerzen an!

Tafelmusik über zwei Stunden. Über zwei Stunden.

Annina (vor dem Baron her nach rückwärts tanzend)

Tafelmusik über zwei Stunden.

„Ich hab’ halt schon einmal ein Lerchenauisch Glück!“

Tafelmusik, Tafelmusik!

Die Kinder

Die Kutscher

Papa! Papa! Papa!

Für die Fuhr’, für die Fuhr’! Rösser g’schund’n ham ma gnua.

Valzacchi (höhnisch)

Für die Fuhr’, für die Fuhr’, für die Fuhr’,

„Ich hab’ halt schon einmal ein Lerchenauisch Glück!“

für die Fuhr’, für die Fuhr’! Für die Fuhr’, für die Fuhr’, für die Fuhr’!

Musikanten (sich dem Baron in den Weg stellend) Tafelmusik über zwei Stunden.

Baron (drängt sich mit Macht gegen die Ausgangstür, alle

(Leiblakai bahnt sich den Weg gegen die Türe hin. – Baron

dicht um ihn in einem Knäuel. Im Gedränge.)

will hinter ihm durch.)

Platz, Platz da, Kreuzmillion! Platz da, Platz da!

Die Kutscher (auf den Baron eindringend) Für die Fuhr’, für die Fuhr’!

Die Kinder

Rösser g’schund’n, Rösser g’schund’n ham ma gnua, ham

Papa, Papa, Papa!

ma gnua!

(Von hier ab schreien alle wild durcheinander. Alle sind


Libretto

149

schon in der Tür, dem Lakai wird der Armleuchter entwun-

Sophie (stockend)

den. Baron stürzt ab, alle stürmen ihm nach, der Lärm

War mir von Euer Gnaden

verhallt. Die zwei Faninalschen Diener sind indessen links

Freundschaft und Behilflichkeit

abgetreten. Es bleiben allein zurück: Sophie, die Marschal-

wahrhaftig einer andern Freud’ gewärtig.

lin und Octavian.) Octavian (lebhaft) Sophie (links stehend, blass)

Wie – freut Sie sich denn nicht?

Mein Gott! Es war nicht mehr als eine Farce. Mein Gott, mein Gott!

Sophie (unmutig)

Wie Er bei ihr steht und ich bin die leere Luft für ihn!

Hab’ wirklich keinen Anlass nicht.

Octavian (hinter dem Stuhl der Marschallin, verlegen)

Octavian

War anders abgemacht, Marie Theres, ich wunder mich!

Hat man Ihr nicht den Bräutigam vom Hals geschafft?

(in höchster Verlegenheit) Befiehlt Sie, dass ich – soll ich nicht – die Jungfer – der Vater­

Sophie Wär’ all’s recht schön, wenn’s anders abgegangen wär’.

Marschallin

Schäm’ mich in Grund und Boden. Versteh’ sehr wohl

Geh’ Er doch schnell, und tu Er, was sein Herz Ihm sagt.

mit was für einem Blick Ihre fürstliche Gnaden mich betracht’.

Sophie (verzweifelt)

Octavian

Die leere Luft. O mein Gott! Mein Gott!

Ich schwör’ Ihr meiner Seel’ und Seligkeit!

Octavian

Sophie

Theres’, ich weiß gar nicht –

Lass Er mich geh’n!

Marschallin

Octavian

Geh’ Er und mach’ Seinen Hof.

Ich lass’ Sie nicht! (fasst ihre Hand)

Octavian Ich schwör’ Ihr –

Sophie Der Vater braucht mich drin.

Marschallin Lass Er’s gut sein.

Octavian Ich brauch’ Sie nötiger.

Octavian Ich begreif’ nicht, was sie hat.

Sophie Das sagt sich leicht.

Marschallin (lacht zornig) Er ist ein rechtes Mannsbild, geh’ Er hin!

Marschallin (steht jäh auf, besinnt sich aber und setzt sich wieder. Vor sich, getragen.)

Octavian

Heut’ oder morgen oder den übernächsten Tag.

Wie Sie befiehlt.

Hab’ ich mir’s denn nicht vorgesagt?

(geht hinüber)

Das alles kommt halt über jede Frau. Hab’ ich’s denn nicht gewusst?

(Sophie wortlos)

Hab’ ich nicht ein Gelübde tan? Dass ich’s mit einem ganz gefassten Herzen

Octavian (bei ihr)

ertragen werd’ …

Eh bien, hat Sie kein freundlich Wort für mich?

Heut’ oder morgen oder den übernächsten Tag!

Nicht einen Blick, nicht einen lieben Gruß?

(Sie wischt sich die Augen, steht auf.)


Dritter Aufzug

150

Octavian

Sophie (sehr schnell)

Ich hab’ Sie übermäßig lieb.

Ich weiß nicht, was Euer Gnaden meinen mit der Frag’.

Ist mir um Sie und nur um Sie! (heftig)

Marschallin

Mag alles drunter und drüber geh’n.

Ihr blass Gesicht gibt schon die rechte Antwort d’rauf.

Hab’ keinen andern Gedanken nicht. Seh’ allweil Ihr lieb Gesicht.

Sophie (in großer Schüchternheit und Verlegenheit, immer

(Er fasst mit beiden Händen ihre beiden Hände.)

sehr schnell)

Hab’ allzu lieb Ihr lieb Gesicht.

Wär’ gar kein Wunder, wenn ich blass bin, Euer Gnaden. Hab’ einen großen Schreck erlebt mit dem Herrn Vater.

Sophie

Gar nicht zu reden von gerechtem Emportement

Das ist nicht wahr.

gegen den skandalösen Herrn Baron.

Er hat mich nicht so lieb, als wie Er spricht.

Bin Euer Gnaden in Ewigkeit verpflichtet,

Vergess Er mich!

dass mit Dero Hilf’ und Aufsicht –

Vergess Er mich! (leidenschaftlich)

Marschallin (abwehrend)

Vergess Er mich!

Red’ Sie nur nicht zu viel, Sie ist ja hübsch genug!

(schwach abwehrend)

Und gegen dem Herrn Papa sem Übel weiß ich etwa eine

Vergess Er mich!

Medizin.

(leise)

Ich geh’ jetzt da hinein zu ihm und lad’ ihn ein

Die Fürstin da! Sie ruft Ihn hin. So geh’ Er doch!

mit mir und Ihr und dem Herrn Grafen da in meinem Wagen heimzufahren – meint Sie nicht,

(Octavian ist ein paar Schritte gegen die Marschallin

dass ihn das rekreieren wird und allbereits

hingegangen, steht jetzt zwischen beiden verlegen. Pause.

ein wenig munter machen?

– Sophie in der Tür, unschlüssig, ob sie gehen oder bleiben soll. Octavian in der Mitte, dreht den Kopf von

Sophie

einer zur andern. Marschallin sieht seine Verlegenheit; ein

Euer Gnaden sind die Güte selbst.

trauriges Lächeln huscht über ihr Gesicht.) Marschallin Sophie (an der Tür)

Und für die Blässe weiß vielleicht mein Vetter da die

Ich muss hinein und fragen, wie’s dem Vater geht.

Medizin.

Octavian

Octavian (innig)

Ich muss jetzt was reden und mir verschlagt’s die Red’.

Marie Theres, wie gut Sie ist. Marie Theres, ich weiß gar nicht –

Marschallin Der Bub, wie er verlegen da in der Mitten steht.

Marschallin (mit einem undefinierbaren Ausdruck, leise) Ich weiß auch nix.

Octavian (zu Sophie)

(ganz tonlos)

Bleib’ Sie um Alles hier!

Gar nix.

(zur Marschallin) Wie, hat Sie was gesagt?

Octavian (unschlüssig, als wollte er ihr nach)

(Die Marschallin geht, ohne Octavian zu beachten zu

Marie Theres!

Sophie hinüber, sieht sie prüfend, aber gütig an. – Sophie,

(Marschallin winkt ihm, zurückzubleiben und bleibt in der

in Verlegenheit, knickst. – Octavian tritt einen Schritt

Tür stehen. Octavian steht ihr zunächst, Sophie weiter

zurück.)

rechts.)

Marschallin

Marschallin (vor sich)

So schnell hat Sie ihn gar so lieb?

Hab’ mir’s gelobt, ihn lieb zu haben in der richtigen Weis’,


Libretto

151

dass ich selbst sein Lieb’ zu einer andern

Octavian (ist dicht an Sophie herangetreten. Einen

noch lieb hab’! Hab’ mir freilich nicht gedacht,

Augenblick später liegt sie in seinen Armen.)

dass es so bald mir aufgelegt sollt’ werden.

Spür’ nur dich, spür’ nur dich allein

(seufzend)

und dass wir beieinander sein!

Es sind die mehreren Dinge auf der Welt,

Geht all’s sonst wie ein Traum dahin

so dass sie ein’s nicht glauben tät’,

vor meinem Sinn!

wenn man sie möcht’ erzählen hör’n. Alleinig, wer’s erlebt, der glaubt daran und weiß nicht wie

Sophie

–––

Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein,

Da steht der Bub und da steh’ ich und mit dem fremden

dass wir zwei beieinander sein,

Mädel dort

beieinand für alle Zeit

wird er so glücklich sein, als wie halt Männer

und Ewigkeit.

das Glücklichsein versteh’n. Octavian (stärker) Octavian (vor sich)

War ein Haus wo, da warst du drein,

Es ist was kommen und ist was g’scheh’n.

und die Leute schicken mich hinein,

(ausdrucksvoll)

mich gradaus in die Seligkeit!

Ich möcht’ sie fragen: Darf’s denn sein? Und grad die Frag’,

Die waren g’scheit!

die spür’ ich, dass sie mir verboten ist. Ich möcht’ sie fragen, ich möcht’ sie fragen: warum,

Sophie

warum zittert was in mir?

Kannst du lachen? Mir ist zur Stell’

Ist denn ein großes Unrecht gescheh’n? Und grad’ an die,

bang wie an der himmlischen Schwell’.

und grad’ an die, und grad an die, an die

Halt’ mich! ein schwach Ding wie ich bin,

darf ich die Frag’, die Frag’ nicht tun.

sink’ dir dahin.

Und dann seh’ ich dich an,

(Sie muss sich an ihn lehnen. In diesem Augenblick öffnen

Sophie, und seh’ nur dich, spür’ nur dich, spür’ nur dich,

die Faninalschen Lakaien die Tür und treten herein, jeder

Sophie, und seh’ nur dich

mit einem Leuchter. Durch die Tür kommt Faninal, die

und weiß von nichts als nur: dich, dich hab’ ich lieb.

Marschallin an der Hand führend. Die beiden Jungen stehen einen Augenblick verirrt, dann machen sie ein

Sophie (vor sich)

tiefes Kompliment, das Faninal und die Marschallin

Mir ist, wie in der Kirch’n, heilig ist mir und so bang

erwidern.)

und doch ist mir unheilig auch! Ich weiß nicht, wie mir ist. Wie in der Kirch’n so heilig – so bang.

Faninal (tupft Sophie väterlich gutmütig auf die Wange)

(ausdrucksvoll)

Sind halt aso, die jungen Leut’!

Ich möcht’ mich niederknien dort vor der Frau und möcht’ ihr

Marschallin

was antun. Denn ich spür’, sie gibt mir ihn

Ja, ja.

und nimmt mir was von ihm zugleich. Weiß gar nicht, wie mir ist.

(Faninal reicht der Marschallin die Hand, führt sie zur

Möcht’ alles versteh’n und möcht’ auch nichts versteh’n.

Mitteltür, die zugleich durch die Livree der Marschallin,

Möcht’ fragen und nicht fragen, wird mir heiß und kalt.

darunter Mohammed, geöffnet wurde. Draußen hell,

(Aug’ in Aug’ mit Octavian)

herinnen halbdunkel, da die beiden Diener mit den Leuch-

Und spür’ nur dich und weiß nur eins – dich hab’ ich lieb,

tern der Marschallin voraustreten.)

dich hab’ ich lieb. Octavian (träumerisch) Marschallin

Spür’ nur dich, spür’ nur dich allein

In Gottes Namen.

und dass wir beieinander sein!

(Sie geht leise links hinein, die beiden bemerken es gar

Geht all’s sonst wie ein Traum dahin

nicht.)

vor meinem Sinn.


Dritter Aufzug

Sophie (träumerisch) Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir zwei beieinander sein, beieinand für alle Zeit und Ewigkeit. Octavian Spür’ nur dich allein, dich allein. Sophie Spür’ nur dich allein. (Sie sinkt an ihn hin. Er küsst sie schnell. Ihr fällt, ohne dass sie es merkt, ihr Taschentuch aus der Hand. Dann laufen sie schnell, Hand in Hand, hinaus. Die Bühne bleibt leer. Dann geht nochmals die Mitteltür auf. Herein kommt Mohammed, mit einer Kerze in der Hand: Sucht das Taschentuch, findet es, hebt es auf, trippelt hinaus.) Der Vorhang fällt rasch. – Ende.

152


Libretto

153


Wilfried Hösl

154

Fotos der Klavierhauptprobe am 5. und 6. März 2021


Marlis Petersen (Feldmarschallin)


Marlis Petersen (Feldmarschallin), Samantha Hankey (Octavian)


Samantha Hankey (Octavian), Marlis Petersen (Feldmarschallin)


Christof Fischesser (Baron Ochs), Samantha Hankey (Octavian), Marlis Petersen (Feldmarschallin)


Statisterie der Bayerischen Staatsoper, Marlis Petersen (Feldmarschallin)


Christof Fischesser (Baron Ochs), Christian Rieger (Ein Notar), Galeano Salas (Ein Sänger)


Samantha Hankey (Octavian), Marlis Petersen (Feldmarschallin)


Caspar Singh (Der Haushofmeister bei Faninal), Katharina Konradi (Sophie), Johannes Martin Kränzle (Herr von Faninal), Daniela Köhler (Jungfer Marianne Leitmetzerin)


Caspar Singh (Der Haushofmeister bei Faninal), Katharina Konradi (Sophie), Daniela Köhler (Jungfer Marianne Leitmetzerin), Johannes Martin Kränzle (Herr von Faninal)


Samantha Hankey (Octavian), Katharina Konradi (Sophie), Statisterie der Bayerischen Staatsoper


Statisterie der Bayerischen Staatsoper, Daniela Köhler (Jungfer Marianne Leitmetzerin), Katharina Konradi (Sophie)


Katharina Konradi (Sophie), Samantha Hankey (Octavian)


Christof Fischesser (Baron Ochs), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Valzacchi), Ursula Hesse von den Steinen (Annina), Statisterie der Bayerischen Staatsoper


Christof Fischesser (Baron Ochs), Samantha Hankey (Octavian)


Samantha Hankey (Octavian), Eliza Boom, George Vîrban, Emily Pogorelc, Daria Proszek, Sarah Gilford (Kinder), Christof Fischesser (Baron Ochs)


Johannes Martin Kränzle (Herr von Faninal)


Ursula Hesse von den Steinen (Annina), Manuel Günther (Ein Wirt), Martin Snell (Ein Polizeikommissar), Samantha Hankey (Octavian), Christof Fischesser (Baron Ochs)


Christof Fischesser (Baron Ochs), Marlis Petersen (Feldmarschallin), Samantha Hankey (Octavian)


Chor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper, Eliza Boom, George Vîrban, Emily Pogorelc, Daria Proszek, Sarah Gilford (Kinder), Manuel Günther (Ein Wirt), Ursula Hesse von den Steinen (Annina), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Valzacchi), Christof Fischesser (Baron Ochs), Martin Snell (Ein Polizeikommissar)


Statisterie der Bayerischen Staatsoper, Katharina Konradi (Sophie), Samantha Hankey (Octavian)


Katharina Konradi (Sophie), Marlis Petersen (Feldmarschallin)


Nachweise / Impressum

176

Textnachweise

Impressum

Die Texte von Barbara Zuber (S. 18), Kristina Höfer (S. 56),

Bayerische Staatsoper

Katrin Dillkofer (S. 81 und 82), Nikolaus Stenitzer (S. 86)

Spielzeit 2020–2021

sowie die Gespräche mit Barrie Kosky (S. 10) und Vladimir Jurowski (S. 38) sind Originalbeiträge für dieses

Staatsintendant:

Programmbuch.

Nikolaus Bachler

Handlung:

Programmbuch zur Neuinszenierung

Nikolaus Stenitzer

Der Rosenkavalier von Richard Strauss Premiere am 21. März 2021

Übersetzung ins Englische: Ed Einsiedler

Redaktion: Nikolaus Stenitzer

Übersetzung ins Französische: Laurence Orgeret

Bildredaktion: Dr. Katrin Dillkofer

Ruth Klüger: Freuds Ödipus im androgynen Rosenkavalier (S. 44). Wien: Picus Verlag 2021 (Wiener Vorlesungen 136)

Mitarbeit:

© Thomas Sessler Verlag Wien

Sören Sarbeck Gestaltung:

Bildnachweise

Bureau Borsche, Mirko Borsche, Robert Gutmann, Stefan Mader

S. 65–68 Pastelle von Mary Herbert © Mary Herbert

Satz und Druck: Gotteswinter und Aumaier GmbH, München

S. 155–175 Fotos der Klavierhauptprobe am 4. und 5. März 2021 © Wilfried Hösl Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle Rechte vorbehalten.



Der Rosenkavalier

Richard Strauss


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