MAX JOSEPH Nr. 4 2014/15 Festspiel-Ausgabe

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Freude am Fahren

KLASSIK TRIFFT JEDEN GESCHMACK.

Anziehend, traditionsreich, hochkarätig besetzt – seit mehr als 130 Jahren stellen die Opernfestspiele den Höhepunkt des Münchner Opernjahres dar. Sie sorgen für Augenblicke, die große Gefühle erzeugen. Sie stehen für pure Eleganz und Qualität, die man mit allen Sinnen spüren kann. Genau das ist es, was auch wir bei BMW so schätzen. Daher unterstützt die BMW Niederlassung München seit vielen Jahren die Opernfestspiele. Denn unsere Fahrzeuge stehen für Virtuosität, Grandezza und natürlich Freude am Fahren.

BMW IST PARTNER DER MÜNCHNER OPERNFESTSPIELE.

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Bayerische staatsoper Münchner  Opernfestspiele 24.6. – 31.7. 2015 Blicke Küsse Bisse

Das Magazin der Bayerischen Staatsoper

Max Joseph 4  2014 – 2015

Dank an

Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele.











Fotografie S. 2 bis S. 10: Andy Massaccesi, Is Getting Over, 2011/12

EDITORIAL Der Zauber von außergewöhnlichen Festen ist: Es liegen Blicke, Küsse und vielleicht auch manche Bisse in der Luft – jene drei Arten, einander näher zu kommen, mit denen wir frei nach Heinrich von Kleist diese Spielzeit über­ schrieben haben. „Küsse, Bisse / Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, / Kann schon das eine für das andre greifen“, lässt Kleist seine Amazonen­ königin Penthesilea feststellen, nachdem sie ihren Geliebten Achill aus ­Raserei zerrissen hat. Und so haben uns eine ganze Spielzeit lang Frauenfiguren in extremen Situationen in ihren Bann gezogen: Elina Makropulos, Manon Lescaut, Lucia di Lammermoor und Lulu in ihrem Glück, ihrer Verzweiflung und ihrer ­fatalen Stärke. In den beiden Festspielpremieren erleben wir nun die Sehn­ süchte von Arabella in Richard Strauss’ gleichnamiger Oper und stehen vor dem tiefen Geheimnis einer Liebe in Claude Debussys Pelléas et Mélisande. Anja Harteros, die die Arabella verkörpern wird, Dirigent Philippe Jordan und Regisseur Andreas Dresen kommen in dieser Festspielausgabe von MAX JOSEPH zu Wort. In Mélisande begegnet uns eine ganz eigene Frauengestalt, scheinbar aus einer anderen Welt. Die Regisseurin dieser Neuproduktion im Prinzregententheater, Christiane Pohle, sowie die Sänger der Titelpartien, Elena Tsallagova und Elliot Madore, bringen uns diese auf den ersten Blick rätselhafte Figur näher. Opern zeigen emotionale Kräfte, denen wir mit den heutigen Formen von Kalkül und Berechnung in Beziehungen zu entkommen versuchen, schreibt Barbara Vinken in ihrem Essay. Die Vorstellung, das Verhalten eines Menschen genau berechnen zu können, verändert gegenwärtig unser Bewusstsein grund­ legend. Drei Frauenfiguren, die sich dieser Form von Berechnung entziehen, setzen in drei Produktionen der Festspiel-Werkstatt den Schlusspunkt der ­Saison: Selma Ježková, basierend auf der Filmheldin in Lars von Triers Dancer in the Dark; eine namenlos in das Alte Testament eingegangene Tochter, die von ihrem Vater Jephtah Gott geopfert wird; und Francesca da Rimini, deren Schicksal Dante in seiner Göttlichen Komödie erzählt. Sie alle werden am Ende getötet – durch den Ehemann, den Vater oder eine selbstgewisse Justiz, deren obskure Motive die drei Werkstattprojekte in sehr unterschiedlichen Zugriffen untersuchen. Besonders danken möchten wir auch in diesem Jahr der Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele, die diese Festspielausgabe von MAX JOSEPH großzügig unterstützt hat. Ebenso gilt besonderer Dank unserem langjährigen Partner BMW München, der wieder das eindrückliche Erlebnis von Oper für alle bei freiem Eintritt auf dem Max-Joseph-Platz ermöglicht – zugleich auf ein weiteres Vorhaben verweist: Mit vielen prominenten was ­ Unter­stützern hat die Bayerische Staatsoper die Initiative EIN PLATZ FÜR ALLE zur Neugestaltung des Max-Joseph-Platzes ins Leben gerufen. Blicke, Küsse und auch Bisse liegen schließlich auch zwischen der Bühne und ihrem Gegenüber in der Luft – dem Publikum, ohne das es das Theater nicht gäbe. Und so möchte ich vor allem Ihnen, liebes Publikum, für Ihre ­Leidenschaft danken, und wünsche außergewöhnliche Opernfestspiele 2015!

Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper


Sehen Sie Wasserstoff. In einer Weltpremiere von Linde. Am Anfang stand eine Idee: unsichtbare Gase sichtbar zu machen. Wir haben einen faszinierenden, einzigartigen Ansatz entwickelt. Numerische Grafiken, errechnet aus den spezifischen Stoffeigenschaften der Gase. Mehr unter www.fascinating-gases.com. Wir unterst端tzen die Bayerische Staatsoper als Spielzeitpartner.

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Vorstellungsank端ndigung



MAX JOSEPH 4 SPIELZEIT 2014/15 MÜNCHNER OPERNFESTSPIELE 2015

Cover Das Coverfoto des französischen Fotografen Philippe Jarrigeon, geboren 1982, stammt aus einer größeren Serie von Gesichtern. Jarrigeon gehört zu einer neuen Generation von Fotografen im Bereich Style & Food. Ein Gesicht wird bei ihm zur Leinwand und zur Feier der Farbe. Bei MAX JOSEPH trägt das Gesicht – natürlich – eine Maske.

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Editorial Von Nikolaus Bachler

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Contributors/Impressum

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Meine Begegnung mit … Künstler erzählen von einer Begegnung, die sie verändert hat

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Lucia, Mélisande, Lulu Was Opern über die Liebe erzählen und warum wir ihnen heute erst recht Gehör schenken. Ein Essay von Barbara Vinken

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„Die Tiefe muss man verstecken. Wo? An der Oberfläche“ – FESTSPIELPREMIERE Die Sopranistin Anja Harteros und der Dirigent Philippe Jordan über Richard Strauss‘ Arabella

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Der uns kennt – FESTSPIELPREMIERE Andreas Dresen, Regisseur der neuen Arabella, im Porträt

„Mélisande provoziert ihr Glück“ – FESTSPIELPREMIERE Eine Begegnung mit der Regisseurin Christiane Pohle, die Claude Debussys Pelléas et Mélisande inszeniert

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Eine schlechte Feministin? Die amerikanische Feministin Roxane Gay antwortet auf dringende Fragen des Alltags und des Lebens überhaupt

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Wie ein Spinnennetz zwischen den Händen – FESTSPIELPREMIERE Ein Doppelinterview: Die Sopranistin Elena Tsallagova und der Bariton Elliot Madore wurden getrennt voneinander über das Liebespaar Pelléas und Mélisande befragt

Foto Andy Massaccesi

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Collage ­Sebastian Hammwöhner & Gabriel Vormstein

Feiern Bilder der Serie Is Getting Over von Andy Massaccesi

Max Joseph Festspielausgabe 2015

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Inahlt

Philippe Jarrigeon, sans titre, 2009


Oper für alle 2015 Das Festspiel-Konzert und Giacomo Puccinis Manon Lescaut unter freiem Himmel

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Ein Platz für alle Der Architekt Albert Speer über die Initiative der Bayerischen Staatsoper Ein Platz für alle zur Neugestaltung des Max-Joseph-Platzes The Undoing of Women – oder: Dreimal die Freiheit der Unvernunft PREMIEREN FESTSPIEL-WERKSTATT Die Festspiel-Werkstatt zeigt Poul Ruders‘ Oper Selma Ježková, das Musiktheaterprojekt Francesca da Rimini von Anna-Sophie Mahler und die Performance Jephta’s Daughter von Saar Magal

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Stadt der Frauen – Ein Kongress: Ein Wimmelbild Gäste und Themen des Kongresses im übersichtlichen Aufklappbild

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Wir sind mehr Penthesilea als Käthchen Der Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer über Liebesdramen aus heutiger Sicht

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Comic Claudio Monteverdis L’Orfeo, erzählt von Kiersten Essenpreis

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„Reibungslos in die neue Zeit“ Arabella von Richard Strauss in München von 1933 bis 1968. Ein Auszug aus dem „Forschungsprojekt Bayerische Staatsoper 1933 – 1963“ von Jürgen Schläder

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MUNA oder Über die Sehnsucht Eine Erzählung von Terézia Mora

Illustration Sany

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Zwei Monate David J. Levin über ein Detail der biblischen Erzählung von Jephtah und seiner Tochter

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Agenda

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Plakate der Spielzeit 2014/15

157

Die Künstler der Münchner Opernfestspiele 2015

175

Produktionen der Münchner Opernfestspiele 2015

209

Spielplan

Spielzeit 2014 – 2015

Illustration Julien Savioz

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Gefangen Über den Alltag und die Situation von inhaftierten Frauen. Von Dirk Liesemer

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Wertvolle Förderung, verdiente Anerkennung Der Festspielpreis der Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele

223

English Excerpts

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Schöne Ferien! Urlaubstipps von Festspielkünstlern

Illustration Christina Gransow

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98

Illustration Kiersten Essenpreis

„Gäbe es bei uns einen Maidan, wären die Homosexuellen als Erste auf den Barrikaden“ Fünf Mitglieder der Moskauer Gay-Community schildern ihre Situation. Von Artem Galustyan

Inahlt

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Spielzeitpartner

Partner

Die Bürgerinnen und Bürger des Freistaates Bayern

Hauptsponsoren BMW Niederlassung München – Opernfestspiele Dr. h.c. Irène Lejeune – Bayerisches Staatsballett Sal. Oppenheim – Bayerisches Staatsorchester Projektsponsoren Roland Berger Strategy Consultants, BMW Niederlassung München, HypoVereinsbank – Member of UniCredit, Linde AG, Siemens AG, Rudolf Wöhrl AG Premium Circle American Express Deutschland, Atlantik Networxx AG, BayernLB, Ludwig Beck AG, Roland Berger Strategy Consultants, LA BIOSTHETIQUE PARIS, BMW Group, BR-KLASSIK, Clifford Chance Deutschland LLP, Gibson Dunn, HERMES ARZNEIMITTEL GmbH, Robert Hübner – Private Vermögensverwaltung, HypoVereinsbank – Member of UniCredit, Knorr-Bremse AG, Linde AG, Linklaters LLP, Merck Finck & Co Privatbankiers, Munich Re, Siemens AG, Stadtsparkasse München, Süddeutsche Zeitung, Oliver Wyman Patron Circle Dr. Kirsten und Florian Aigner, Akris, ALR Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Baker & McKenzie, Beck et al. Services GmbH, BBH – Becker Büttner Held, Blue Ribbon Partners, Willy Bogner, Bürklin GmbH & Co. KG, Rolf und Caroli Dienst, EVISCO AG, Herbert und ­Claudia Graus, Marianne E. Haas, Dr. Peter und Iris Haller, Hauck & Aufhäuser Privatbankiers KGaA, Iris und Kurt Hegerich, Andrea und Christian Karg, Nikolaus und Ingrid Knauf, ­leasing.de AG, Klaus Josef und Martina Lutz, M.M.Warbung & CO, Gisela und Ulfried Maiborn, Zubin und Nancy ­Mehta, Nachmann Rechtsanwälte, Edelgard und Axel Pape, Riedel Holding GmbH & Co. KG, PD Dr. Dr. Hans und Monika Rinecker, Nina und Alexander Rittweger, Rudolf und Rosemarie Schels, Dr. Schnell Chemie GmbH, St.Galler Kantonalbank Deutschland AG, Dr. Susanne und Dr. Karl Heinz Weiss

Jutta und Andi Biagosch, Böhmler Einrichtungshaus GmbH, Chris und Veronika Brenninkmeyer, Astrid Bscher, Bucherer Deutschland GmbH, Clariant AG, Nicole Drechsel, Stephanie und Constantin von Dziembowski, Konsul Otto Eckart, Dr. Günther Engler und Sabina Tuskany, Christa Fassbender, Franz und Reinhilde Fassl, Günter Fleischmann, Hans-Peter und Marianne Frericks, Genossenschaftsverband Bayern, Robert und Barbara Glauber, Dr. Konrad Göttsberger, gr_consult gmbh, Dr. h. c. Rudolf und Angelika Gröger, Christa B. Güntermann, Hannover Leasing Investment GmbH, ­Dr. Bernhard und ­Dr. Kira Heiss, Hofbräu München, Dorothea und Hans Huber, Dirk und Marlene Ippen, Sir Peter Jonas, Feinkost Käfer Verwaltungs- und Beteiligungs KG Michael Käfer, Wolf-Otto und Renate Kranzbühler, Jutta und Bernd Kraus, Traudi Kustermann, Marta und Peter Löscher, Dr. Joachim und Annedore Maiwald, Jutta und Dr. Karl Mayr, Heinrich Nabholz Autoreifen GmbH, Prof. Dipl.-Ing. Georg und Ingrid ­Nemetschek, nova reisen GmbH, Oberbank AG, ­ ertrud ­Obermeyer, Orpheus Opernreisen, Dr. Leonhard und G Franz und Katharina von Perfall, Peters, Schönberger & Partner, H. und A. Petritz, Pomellato, Riedel Immobilien GmbH, Roeckl Handschuhe & Accessoires, Dr. Helmut ­Röschinger, Sacher GmbH Ingenieure und Sachverständige, Schaeffler Holding GmbH & Co. KG, Dr. Bernhard und Jacqueline Schaub, Dr. Alois Schneck, Christian und Michael F. Schottenhamel, Dr. Stefan Schulz-Dornburg, Dr. Jürgen und Dr. Elisabeth Staude, Juana und Otto Steinmetz, Dr. Martin und Eva Steinmeyer, Stetter Rechtsanwälte, Umzüge Braun, UTC Aerospace Systems, Valentino, Wacker Chemie AG, Marianne Waldenmaier, Hannelore Weinberger, Juwelier Wempe, Wickenhäuser & Egger AG, Wirsing Hass Zoller, Xenium AG Campus Circle Anjuta Aigner-Dünnwald, Dr. Arnold und Emma Bahlmann, Dieter und Elisabeth Boeck Stiftung, Rolf und Caroli Dienst, Vera und Volker Doppelfeld Stiftung, Dr. Joachim Feldges, Wilhelm von Finck Stiftung, Dirk und Marlene Ippen, Christine und Marco Janezic, Ligne Roset FÜNF HÖFE, Klaus Luft Stiftung, Eugénie Rohde, ­ Dr. Helmut Röschinger, Dr. Kurt und Chiona Schwarz, Dr. Jürgen und Dr. Elisabeth Staude, Dr. James Swift, TALBOT RUNHOF, The Opera Foundation, Georg und Swantje von Werz

Inner Circle Marlene Ippen, Eugénie Rohde, Marion Schieferdecker, Swantje von Werz, Adelhaid Winterstein

Förderer Campus Freunde, Freunde des Nationaltheaters München e.V., Freunde und Förderer der Musika­lischen Akademie des Bayerischen Staatsorchesters e.V., Freundeskreis des Bayerischen Staatsballetts, Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opern­festspiele e.V.

Ballet Circle Dr. Peter und Iris Haller, Michaela Heilbronner, Integra Treuhandgesellschaft mbH, Dr. h.c. Irène und Dr. phil. h.c. mult. Erich J. Lejeune

Werden Sie Partner! Die Bayerische Staatsoper bedankt sich bei ihren Partnern für die ­großzügige finanzielle Unterstützung und das damit verbundene ­kulturelle Engagement.

Classic Circle Anjuta Aigner-Dünnwald, Alexander Apsis und Dr. Mokka Henne-Apsis, Bank Julius Bär Europe AG,

Informieren Sie sich unter: Development / Prof. Maurice Lausberg, Melanie Firley T 089 – 21 85 10 16, F 089 – 21 85 16 40, development@staatsoper.de


Bürger und Wirtschaft engagieren sich für die Festspiele – Die Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele

Die Geschichte der Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele reicht zurück bis ins Jahr 1958. Damals begann der Wiederaufbau des im Krieg zerstörten Münchner Nationaltheaters. Im selben Jahr, am 11. April 1958, grün­ deten mehrere Einzelpersönlichkeiten und Unternehmen die Gesellschaft. Sie vereint derzeit 440 Opernfreunde in dem Gedanken, dass die Münchner Opern­ festspiele nicht nur ein hochkulturelles „Event“ für wenige sind, sondern auch vom Bewusstsein der Allgemeinheit getragen werden sollen. Dafür setzt sich die Gesellschaft sowohl ideell wie gesellschaftlich, publizistisch und, nicht zuletzt, fi­ nanziell ein. In ihren Gremien sind Persönlichkeiten des politischen, wirtschaft­ lichen und kulturellen Lebens vertreten, die beispielgebend die mäzenatische Grundeinstellung der Gesellschaft verkörpern und aktiv nach außen tragen. Mit den gesammelten Spenden und Mitgliedsbeiträgen (steuerlich absetzbar) fördert die Gesellschaft gezielt Neuproduktionen und andere künstlerische Projekte der Bayerischen Staats­oper im Rahmen der Festspiele. Gesellschaftlicher Höhepunkt des Vereinslebens ist der Staatsempfang zur Eröffnung der Opernfestspiele. Die Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele ist zusammen mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten Gastgeber dieses glanzvollen Ereignisses in den Räumen der Münchner Residenz. Eine weitere Möglichkeit zu Information und freundschaftlichem Miteinander bietet die jährliche Mitgliederversammlung; dabei informiert der Intendant über Programm und Pläne seines Hauses, und Mitglie­ der der Staatsoper gestalten ein festliches musikalisches Begleitprogramm. Darüber hinaus bietet die Gesellschaft ihren Mitgliedern die Möglichkeit zu exklusiven Führungen „hinter die Kulissen“ der Staats­oper sowie eine Einladung zum Emp­ fang anlässlich der Verleihung des jährlichen Festspielpreises. 1965 wurde ­erstmals der Festspielpreis verliehen. Die Gesellschaft will damit Persönlich­ keiten des Münchner Opernlebens auf und hinter der Bühne auszeichnen, die sich besonders um die Festspiele verdient gemacht haben. Der Preis war 2014 mit insgesamt 24.000 Euro dotiert und ist zu einer Tradition geworden. Eine lange Tradition hat auch die jährlich herausgegebene Festspielpublikation. Je mehr Mitglieder die Gesellschaft hat, desto wirkungsvoller kann sie dazu bei­ tragen, die ­Attraktivität und künstlerische Qualität der Münchner Festspiele weiter zu festigen und fortzuentwickeln. Vorstand und Kuratorium der Gesellschaft wollen Sie, lieber Festspiel­ ­ eitritt ernsthaft und aufgeschlossen zu besucher, deshalb ermuntern, einen B prüfen. Einen ­B eitrittsantrag finden Sie in diesem Heft auf Seite 220.

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Nähere Infos erhältlich über die ­Geschäftsstelle der Gesellschaft (T 089 – 37 82 46 47) oder unter www.opernfestspielgesellschaft-muenchen.de


Schirmherr Der Bayerische Ministerpräsident

Nachstehende Persönlichkeiten und Firmen unterstützen als fördernde ­Mitglieder die Arbeit der Gesellschaft in besonderem Maße:

Ehrenpräsidium Der Bayerische Staatsminister für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst Der Bayerische Staatsminister der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat Die Bayerische Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, ­Energie und Technologie Der ehemalige Vorsitzende der Gesellschaft, Dr.-Ing. Dieter Soltmann

Ursula van Almsick Dr. Rolf Badenberg Christian Bahner Erben Karin Berger Birgit Birnstil Michael Bonacker Hans Günther Bonk und Elisabeth Bonk-Eberle Joachim Bringfried Brunckhorst und I. Julia Brunckhorst Dr. Herbert Conrad Hanns-Jörg Dürrmeier Dr. Hans Fonk Peter Gain Rolf Garday Jan Geldmacher Dr. Konrad Göttsberger Dr. Altrud Ute Gottauf Olga Haindl Peter Prinz zu Hohenlohe Oehringen Ulrike Hübner Marlene Ippen Helga Kreitmair Rainer Krick Doris Kuffler Dr. Klaus von Lindeiner-Wildau Dagmar Lipp Dr. Jörg Mittelsten Scheid Stefan-Ulrich Müller und Anja Müller Dr. med. Margret Rembold Dr. Christine Reuschel-Czermak Dr. Helmut Röschinger Marianne Schaefer Dr. Friedrich K. Schieferdecker Andreas Schiller Dr. Dr. h. c. Albrecht Schmidt Hans Schreiber Dr. Roland Schulz Dr. Matthias Schüppen Prof. Dr. Wilhelm Simson Dr.-Ing. Dieter Soltmann Ursula Soltmann Andrea M. Spielmann Ursula Steiner-Riepl Bernhard Tewaag Stefan Vilsmeier Christine Volkmann Swantje von Werz

Vorstand Dieter Rampl, 1. Vorsitzender Nikolaus Bachler Hans Günther Bonk Friedgard Halter, Schriftführerin Dr. Ingo Riedel Dr. Alfred Rührmair Toni Schmid Dr. Wolfgang Sprißler, Schatzmeister Dr. Jörg D. Stiebner, 2. Vorsitzender Kuratorium Prof. Dr. Clemens Börsig, Vorsitzender Karin Berger Dr. Wolfgang Büchele Prof. Dr. Laurenz Dominik Czempiel Hanns-Jörg Dürrmeier Olga Haindl Franz Haniel Dr. Walter Hohlefelder Marlene Ippen Dr. Klaus von Lindeiner-Wildau Dr. Jörg Mittelsten Scheid Dr. Michael Möller Frank Reichelt Dr. Helmut Röschinger Michael Schneider Jeanette Scholz Prof. Dr. Wilhelm Simson Stefan Vilsmeier Manfred Wutzlhofer Dr. Werner Zedelius

Airbus Defence and Space GmbH Allianz SE Bayerische Landesbank Bayerische Landesbausparkasse Burda Creative Group GmbH Commerzbank AG Deutsche Bank AG Donner & Reuschel AG Frohwitter, Bernhard Kunert Holding GmbH & Co.KG LfA Förderbank Bayern LHI Leasing GmbH Molkerei Meggle Wasserburg GmbH & Co.KG Messe München GmbH Riedel Holding GmbH & Co.KG Swiss Re Europe S.A. UniCredit Bank AG Wacker-Chemie AG

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Magazin der Bayerischen Staatsoper www.staatsoper.de/maxjoseph Max-Joseph-Platz 2 / 80539 München T 089 – 21 85 10 20 / F 089 – 21 85 10 23 maxjoseph@staatsoper.de www.staatsoper.de Herausgeber Staatsintendant Nikolaus Bachler (V.i.S.d.P.) Redaktionsleitung Maria März Gesamtkoordination Christoph Koch Redaktion Miron Hakenbeck, Rainer Karlitschek, Malte Krasting, Daniel Menne, Julia Schmitt, Heilwig Schwarz-Schütte, Benedikt Stampfli Mitarbeit: Sabine Voß Bildredaktion Yvonne Gebauer Gestaltung Bureau Mirko Borsche Mirko Borsche, Johannes von Gross, Moritz Wiegand, Jana Bär Autoren Jörg Böckem, Sarah-Maria Deckert, Artem Galustyan, Florian Heurich, Eva Karcher, David J. Levin, Dirk Liesemer, Saar Magal, Terézia Mora, Hans Neuenfels, Jürgen Schläder, Wolfgang Schmidbauer, Daniel Schreiber, Małgorzata Szczęśniak, Barbara Vinken, Anna Volkland, Stefan Wirth Fotografen & Bildende Künstler Manuel Birnbacher, Ivan Gaev, Louis Granet, Christina Gransow, Kiersten Essenpreis, ­Sebastian Hammwöhner & Gabriel Vormstein, Wilfried Hösl, Tomer Ifrah, It’s Raining Elephants, Philippe Jarrigeon, Harriet Lee-Merrion, Jonas Lindstroem, Berto Martínez, Andy Massaccesi, Sany, Julien Savioz, Eric Yahnker

Terézia Mora Seite 132

Artem Galustyan Seite 68

Christina Gransow Seite 104

Die Erzählung von Terézia Mora über Blicke, Küsse und Bisse enthält einen famosen Satz, der Schlüsselsatz für jede Art von Aufbäumung sein könnte. Die Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Übersetzerin aus dem Ungarischen wuchs zweisprachig auf. Ihr Roman Das Ungeheuer wurde 2013 mit dem Deutschen Buchpreis prämiert. Zuletzt erschienen ihre Frankfurter Poetikvorlesungen unter dem Titel Nicht sterben. Wie der Satz lautet? Natürlich wird das nicht verraten.

Der Moskauer Journalist Artem Galustyan war auf Anfrage von MAX JOSEPH sofort bereit, Mitglieder der Moskauer Gay-Community nach den Auswirkungen des “Anti-Homo­sexuellen-­ Gesetzes” zu befragen. Man vergisst zu leicht, wie viel Mut das sowohl für den Journalisten als auch für die Interview-Partner erfordert. Galustyan ist für Web-Projekte bei dem russischen Nachrichtenportal Kommersant.ru verantwortlich, für das er auch über die Ukraine-Krise berichtet.

Mit ihren witzig treffenden Zeichnungen schafft ­Christina Gransow ­Orientierung im vielfältigen Programm des Festspiel-­ Kongresses Stadt der Frauen. Die Hamburger Illustratorin und Absolventin der dortigen Hochschule für Angewandte Wissenschaften war bereits in zahlreichen Ausstellungen vertreten und publiziert ihre Arbeiten in den unterschied­lichsten Magazinen und in ­Zeitungen, u.a. der New York Times.

It’s Raining Elephants Seite 78

Barbara Vinken Seite 30

Kiersten Essenpreis Seite 113

Hinter dem Elefantenregen verbirgt sich das ganz und gar zarte Illustratorinnen-Duo Evelyne Laube und Nina Wehrle. Für MAX JOSEPH hat Evelyne Laube die besondere Atmosphäre von Oper für alle eingefangen. Die beiden Schweizerinnen arbeiten besonders gern für die Bereiche Bühnenbild und Kostüm oder Bilderbuch. International bekannt wurden sie mit Die grosse Flut, einem Bilderbuch, das die alttestamentarische Geschichte der Arche Noah neu erzählt.

Lucia di Lammermoor, Mélisande und Lulu fesseln uns bis heute aus gutem Grund, schreibt Barbara Vinken in dieser Ausgabe. Die Themen der schillernden Professorin für Allgemeine und Französische Literaturwissenschaft der Münchner Ludwig-Maximi­liansUniversität sind Kunst und Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Mythen, Mode und Feminismus. Am 27. Juni eröffnet sie den Kongress Stadt der Frauen, den sie mit kuratierte.

Dass Oper in großen ­sy ­ mbolischen Bildern erzählt, zeigt einmal mehr Kiersten Essenpreis‘ Comic zu Claudio Monteverdis L’Orfeo. Ganz klar ist der Moment, der Orfeo von Euridice für immer trennt. Die Künstlerin aus Chicago studierte Illustration am New Yorker Pratt Institute. Seit elf Jahren arbeitet sie für Zeitungen und Magazine, u.a. für die New York Times, das Wall Street Journal und Martha Stewart Living, und stellt in Galerien weltweit aus.

Übersetzungen Ed Einsiedler, Brigitte Resnik, Ute Spengler Marketing Laura Schieferle T 089 – 21 85 10 27 / F 089 – 21 85 10 33 marketing@staatsoper.de Schlussredaktion Nikolaus Stenitzer Anzeigenleitung Imogen Lenhart T 089 – 21 85 10 06  imogen.lenhart@staatsoper.de Lithografie MXM Digital Service, München Druck und Herstellung Gotteswinter und Aumaier GmbH, München ISSN 1867-3260 Nachdruck nur nach vorheriger Einwilligung.­ Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu ­erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Foto Terézia Mora: Peter von Felbert

Contributors

Foto Barbara Vinken: Claudio di Lucia

Impressum


M端nchen Residenzstrasse 6 089 238 88 50 00 D端sseldorf Martin-Luther-Platz 32 0211 135 40 92 Frankfurt Grosse Bockenheimerstr. 13 069 219 96 700 Hamburg Neuer Wall 39 040 430 94 90 Wien Tuchlauben 8 01 535 30 53 Akris Boutique auf www.akris.ch

Rubrikentitel

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Meine Begegnung mit …

In der Spielzeit 2014/15 erzählen ­ Künstler in MAX JOSEPH von einer ­Begegnung, die sie verändert hat.


… einem kleinen ­Mädchen. ­ arjane Die ­Comiczeichnerin M Satrapi ­erzählt aus ihrer ­Kindheit.

Eine Begegnung aus meiner Kindheit beschäftigt mich bis heute. Als kleines Mädchen, mit ungefähr sechs Jahren, habe ich mir einmal in die Hose gekackt. Ich stank, deshalb wollten die anderen Kinder in der Schule nicht mit mir spielen. Aber da war ein anderes Mädchen, das auch abseits stand und mit dem niemand spielen wollte, sie hatte überall Pickel auf der Haut. Ich nahm ihre Hand und habe mit ihr gespielt. Irgendwann kamen meine ­Eltern und zogen mir eine neue Hose an. Dieses Mädchen mit den Pickeln kam danach wieder zu mir, nahm meine Hand und wollte mit mir spielen. Ich habe sie angesehen, meine Hand weggezogen und gesagt: „Ich rieche nicht mehr nach Kaka, also spiele ich auch nicht mehr mit dir.“ Im selben Moment habe ich mich dafür geschämt. So sehr, dass ich danach nie mehr jemanden so schlecht behandelt habe. Sicher, ich bin kein Engel und werde auch schon mal böse, wie jeder andere auch. Aber so gemein zu sein, jemandem so ohne Not und kalten Herzens das Herz zu brechen ist etwas anderes, etwas Schreckliches. Ich will nicht, dass so ein Verhalten Teil meiner Persönlichkeit ist. Ich hasse es! Noch heute, 38 Jahre später, schäme ich mich dafür. Immer, wenn ich an dieses Mädchen denke, bricht mir der kalte Schweiß aus, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als sie ausfindig zu machen und mich bei ihr zu entschuldigen. Diese Begegnung ist ein Grund dafür, dass ich versuche, mein Bestes zu geben und anderen mit Freundlichkeit zu begegnen. Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit sind meiner Meinung nach die wichtigsten Eigenschaften eines menschlichen Wesens, sie sind Ausdruck der Menschlichkeit.

Illustration Manuel Birnbacher

Eine andere prägende Begegnung fand ebenfalls in meiner Kindheit statt. Mit ungefähr neun Jahren sah ich zusammen mit meinen Eltern den Film The Deer Hunter. Sicher, das war kein Kinderfilm, aber meine Eltern ließen mich alles sehen und lesen, sie wollten mich auf das Leben vorbereiten. Sie wollten mich die Welt sehen lassen, wie sie wirklich war, dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Der Film erzählt in erster Linie von den Auswirkungen des Krieges auf die Menschen und den Verwüstungen, die das Töten in ihrer Psyche anrichtet. Das hat mich extrem beeindruckt, mit neun ist man ja nicht dumm. Es war eine Zeit, bevor der Krieg real in mein Leben einzog, aber schon dieser Film hat in mir die tiefe Überzeugung geweckt, dass Krieg eine dreckige Sache ist und keine Lösung für irgendein Problem darstellt, nie. Ich bin beileibe kein Peace & Love-Hippie. Wenn ich auf der Straße angegriffen würde, wüsste ich mich zu wehren, und ich kann nachvollziehen, wenn jemand aus der Wut heraus zuschlägt, wenn ein anderer ihn bis aufs Blut gereizt hat. Das ist menschlich. Aber die nüchtern geplante und durchgeführte Gewalt eines Krieges, kaltblütig Bomben auf fremde Menschen zu werfen, das kann ich nicht begreifen, ich hasse es zutiefst. Einige Jahre danach musste ich feststellen, wie eng dieser Film mit meinem Leben verknüpft war. Als der Krieg in meine Heimat Iran kam, habe ich bei jeder Explosion, bei jeder Gewehrsalve darüber nachdenken müssen, welchen verheerenden Effekt dieser Krieg auch langfristig auf das Leben der Menschen haben würde. Meine Befürchtungen haben sich leider ­bewahrheitet.

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Marjane Satrapi wurde 2007 international bekannt, als sie ihre Graphic Novel Persepolis, die auf ihren Kindheitserlebnissen im Iran basiert, selbst verfilmte und für den Oscar nominiert wurde. Die Autorin, Illustratorin und Filmregisseurin wuchs in Teheran und Wien auf, heute lebt sie in Paris. Im Frühjahr 2015 startete ihr Kinofilm The Voices.

Aufgezeichnet von Jörg Böckem


Ungefähr ein halbes Dutzend Begegnungen in meinem Leben waren von großer Bedeutung für mich; zwei davon waren die entscheidenden. Das war zum einen natürlich die Begegnung mit meinem Mann David Rankin. Die andere fand einige Jahrzehnte früher statt: Mit elf oder zwölf Jahren habe ich Bücher für mich entdeckt. In dem Haushalt, in dem ich aufwuchs, gab es nur sehr wenige Bücher. Meine Eltern waren Flüchtlinge, die in Fabriken arbeiteten. Wir lebten zu dritt in einem Zimmer. Das Haus hatte acht Zimmer, in jedem lebte eine jüdische Familie. Wir teilten uns eine Küche und ein Bad. Es gab keinen Raum und keine Zeit für Bücher. Erst recht nicht in den Köpfen meiner Eltern. Sie hatten die Vernichtungslager der Nazis überlebt, aber beinahe alle ihre Angehörigen waren getötet worden. Für sie ging es ums Überleben. Eines der ersten Bücher, die ich las, war The Twins at St. Clare’s von Enid Blyton. Es war großartig! Ihre Bücher zeigten mir, dass es noch eine andere Welt gab, eine, die nicht wie unsere von Trauer, Verlust und nächtlichen Albträumen geprägt war, eine Welt der Pyjamapartys, der Streiche und Süßigkeiten. Damals wünschte ich mir nichts sehnlicher, als eine Zwillingsschwester zu haben und auf ein Internat zu gehen. Ein Buch mit einer ganz besonderen Bedeutung für mich ist One ­Hundred Poems from the Chinese. Diese ­vollkommenen Gedichte aus dem 8.–10. Jahrhundert

sind zeitgemäß und tiefgreifend. Ich war damals so überwältigt wie heute, dass Menschen vor so langer Zeit in einem so fernen Land etwas geschrieben hatten, das von derart fundamentaler Bedeutung für mein Leben sein konnte. Ich wurde in der tiefen Überzeugung bekräftigt, dass es gefährlich ist, andere Menschen auf ihr Anderssein, auf ihre Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder Religionszugehörigkeit zu reduzieren. Eine ähnliche Bedeutung haben für mich die ­Werke der russischen Dichterin ­Marina Zwetajewa. Als ich ­diese Gedichte zum ersten Mal las, musste ich weinen. Das geht mir bis heute so. Ihre Kämpfe und Qualen, aber besonders die Lebensfreude, die Sanftheit und leuchtende Leidenschaft in ihren Worten ­berühren mich in vielerlei Hinsicht. Es geschieht so schnell, dass der Alltag unsere Leidenschaften erdrückt. In einem idealen Leben wäre ich gern so begeisterungsfähig wie diese Dichterin. Sie ist eine große­Inspiration für mich. Menschen, ­denen nichts wichtig ist, machen mir dagegen Angst. Mein Mann ist ein ähnlich leidenschaftlicher Mensch. Als ich ihn das erste Mal traf, waren wir beide verheiratet. Ich arbeitete in Australien als Journalistin und führte ein Interview mit seiner ersten Frau, einer Dichterin, die an Krebs erkrankt war und im Sterben lag. Nach ihrem Tod trafen wir uns wieder. Er sah mich an und sagte: „Ich habe mein ganzes Leben von dir geträumt. Ich wurde geboren, um mit dir zusammen zu sein.“ Er war überzeugt davon, obwohl er mich kaum kannte – vielleicht war das aber auch ganz gut so … Ich lachte und sagte, ich sei verheiratet, wir könnten ja Freunde sein. Er antwortete: „Nein, nein. Das spielt keine Rolle. Du gehörst zu mir. Du wirst deinen Mann verlassen und mich ­heiraten.“ Einer solchen inneren Überzeugung begegnet man Nicht oft im Leben. Es ist schwer, davon nicht überwältigt zu werden.

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Foto Bettina Strauss / Suhrkamp Verlag

… Büchern und dem richtigen Mann. Die New Yorker Schriftstellerin Lily Brett erzählt von Literatur als Fluchtpunkt und einem ­ungewöhnlichen Heiratsantrag.


Nach einiger Zeit stellte ich fest, dass ich ihn bewunderte und dass er womöglich Recht hatte: In seiner Gegenwart bekam ich weiche Knie, ein Gefühl, das ich seit meiner Jugend nicht mehr kannte. Das war kein gutes Zeichen für meine Ehe. Ich wusste, ich musste meinen Mann verlassen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas tun könnte. Meine Eltern hatten mich in der Überzeugung erzogen, dass Wichtigste im Leben sei, ein guter Mensch zu sein. Eine Ehe zu beenden war etwas Falsches, das durfte man nicht tun. Als meine Mutter von der Trennung erfuhr, sagte sie: „Ich wünschte, ich wäre in Auschwitz gestorben.“ Sie war eine Freundin klarer Worte.

Die Entscheidung mich zu trennen war sehr, sehr schwierig für mich. Aber ich habe sie noch keine Sekunde bereut. David hat mein Leben völlig verändert, er treibt mich an und ermutigt mich. Er überzeugte mich davon, eine Auszeit vom Journalismus zu nehmen und Bücher zu schreiben. Er sagte: „Du bist so viel interessanter als die Menschen, über die du schreibst!“ Er ermunterte mich auch, mein erstes Theaterstück zu schreiben. David glaubt, ich könne alles tun! Und meine Kinder lieben ihn. Es ist ein großes Glück, mit ihm zusammenzuleben. Das sagt mir auch jeder in New York, der ihn kennt – ­ llem die Frauen. Ich finde, es könnte auch mal vor a jemand sagen, dass er großes Glück hat.

Die Romane und Gedichte der Schriftstellerin Lily Brett sind meist autobiografisch gefärbt. Für ihren Roman Lola Bensky wurde sie 2014 mit dem französischen Prix Médicis Étranger (für fremdsprachige Literatur) ausgezeichnet. Zuletzt erschienen auf Deutsch ihre gesammelten Kolumnen Immer noch New York und der Gedichtband Wenn wir bleiben könnten. Sie lebt mit ihrem Mann, dem Maler David Rankin, in New York.

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Aufgezeichnet von Jörg Böckem


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Foto Stefan Lucks

… Konstanze Vernon am Bildschirm. Der Künstler Norbert Bisky erzählt, warum er das Strahlen ­ der Tänzerin und Choreographin unbedingt malen wollte.

Persönlich traf ich sie nie. Doch dann, letztes Jahr an einem grauen Herbsttag, erlebte ich sie in meinem Berliner Atelier zum ersten Mal. Auf meinem Computer blickte mir ein mitreißend lebensfrohes Gesicht entgegen. Ihre braunen Mandelaugen unter den mond­ sichelförmigen Brauen leuchteten und sie lächelte. Sie lächelte und lachte auf fast allen Bildern und Videos, die ich in den kommenden Monaten immer wieder lange und intensiv betrachtete. Denn man hatte mich gefragt, ob ich sie, die weltberühmte Primaballerina und erste Ballettdirektorin des Bayerischen Staatsballetts, für die Porträtgalerie der Bayerischen Staatsoper malen wollte. Ich sagte sofort zu. Ballett hatte mich schon immer begeistert. Vor zwei Jahren, als ich den Bühnenraum für das Gastspiel Masse des Staatsballetts Berlin im ­dortigen Techno-Club Berghain entwarf, lernte ich die Anstrengungen und Härten kennen, denen sich die Tänzer Tag für Tag ausliefern. Doch offensichtlich macht Tanzen euphorisch. Unmengen Endorphine werden ausgeschüttet, die die physischen Schmerzen vergessen lassen. Für mich verkörpert das Ballett wie keine andere Kunstform den positiven Wahnsinn einer Existenz für den schönen Augenblick. Konstanze war eine Ausnahmetänzerin. Schon auf den ersten Aufnahmen aus den 1960er Jahren, die ich mir ansah, scheint sie komplett im Tanz aufzugehen. Ihr Gesicht ist das einer jungen Frau, die ganz bei sich ist, erfüllt und glücklich. Und sie konnte sich dieses Glück bis ins hohe Alter bewahren. So etwas schaffen nur wenige. So eins zu sein mit dem Leben, das wünsche ich mir auch für mich. Darum wollte ich dieses Strahlen unbedingt malen; das war die Herausforderung. Der Arbeitsprozess dauerte. Die Fotos und Dokumente von Konstanze begleiteten mich ins Atelier nach Tel Aviv, wo ich eine große Ausstellung vorbe­ reitete, und wieder zurück nach Berlin. Was hat diese Frau alles geschafft in ihrem Leben! Höchste Disziplin als Tänzerin bewiesen, eine Compagnie aufgebaut,

sie gegen Widerstände durchgesetzt, eine Akademie gegründet, unterrichtet und München in einen internatio­nalen Ballettmagneten verwandelt. Darin, wie aus­dauernd und hartnäckig sie über Jahrzehnte bei der Sache blieb, ist sie mir ein großes Vorbild. Ihre Energie muss grenzenlos und sehr ansteckend gewesen sein. Grandios finde ich, wie sie sich um das Vermächtnis ihres früheren Tänzerkollegen Heinz Bosl kümmerte. Um ihr eigenes Andenken hat sie sich weit weniger bemüht; das ist jetzt unsere Aufgabe. Ein wenig hoffe ich, mit meinem Gemälde dazu beitragen zu können.

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Norbert Bisky lebt und arbeitet in Berlin. Seine Bilder waren in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen und ­gehören u.a. zur Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art. Von 2008 bis 2010 war Norbert Bisky Gastprofessor an der Genfer Kunstakademie HEAD. Die Einzelausstellung Norbert ­Bisky: Zentrifuge war 2014 in der Kunsthalle Rostock zu sehen. Für die Porträtgalerie der Bayerischen Staatsoper malte er posthum die ehemalige Primaballerina und Gründerin des ­Bayerischen Staatsballetts Konstanze Vernon.

Aufgezeichnet von Eva Karcher


… Michael Jackson. Die Mode­­de­signerin Odély Teboul über ihre Zuneigung zu dem tragischen Genie als Kind, im Traum und für alle Zeiten.

Er begegnete mir, als ich sechs Jahre alt war. Meine Mutter hatte mir sein erstes Soloalbum Got to be there geschenkt. Als er es aufnahm, war er 13 Jahre alt. Ich erinnere mich genau an das Cover: ein kleiner schokoladenbrauner Junge mit übergroßer Schirmmütze und Cordsamtjacke strahlt sehr glücklich in die Kamera. Ein Wunderkind. Dann tauchte er für sehr lange Zeit in meinem Bewusstsein unter und erst letztes Jahr wieder auf, als ich darüber nachdachte, wie Musik, die man als Kind hört, einen später beeinflusst. Ich lernte schon früh Klavier spielen, und zu meinem letzten Geburtstag habe ich mir eine elektrische Gitarre gewünscht. Jetzt nehme ich Stunden. Für mich ist Michael Jackson die Verkörperung eines Genies ohne Grenzen. Er erfand sich selbst auf einzigartige Weise, er ist keine Kopie von irgendjemand. Seine Musik, sein Stil, die Erscheinung, wie er sich auf der Bühne bewegte, seine Stimme, das Leben, das er führte, all das macht ihn zu einem universellen, unvergänglichen Pop-Phänomen. Besonders aufregend finde ich es, mitzuerleben, wie jemand, der global so allgegenwärtig war, zum Klassiker wird. Überall auf der Welt tanzen die Menschen wie elektrisiert zu seinen Songs. Und das wird auch immer so bleiben. Der Preis, den er zahlte, war allerdings mit genau dieser extremen Popularität verbunden: Die Tragik seines Schicksals wurde auf verstörende Weise sichtbar, je älter er wurde. Mit seinen ästhetischen Operationen hat er sich geradezu selbst verstümmelt. Jemand mit seiner Sensibilität muss sehr unter dem Verfall seines Gesichts und Körpers gelitten haben. Ich stelle mir vor, dass er am Ende seines Lebens sehr einsam und unglücklich war – voller Drogen, voller Schmerzen. Aber als er 2009 mit nur 50 Jahren starb, hatte er längst alles erreicht. Inspiriert mich seine Musik, wenn ich zeichne oder entwerfe? Nicht mehr oder weniger als vieles andere. In unserem Atelier hören wir ständig irgendeinen Sound – Klassik, Rock ’n’ Roll, Rap, Soul, R&B –

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you name it. Es ist eher dieser diffuse, atmosphärisch -rhythmische Klangteppich, der mich anregt. Einmal träumte ich von Michael Jackson. Das werde ich nie vergessen. Ich traf ihn in einem Zimmer, er schien sehr stark zu frieren. Zitternd vor Kälte überreichte er mir ein kleines Geschenk und sagte dabei sehr langsam und leise mit seiner wunderbar sanften Stimme: „This is for you.“ Dann verblasste seine schmale Silhouette; sie löste sich einfach auf. Keine Ahnung, was der Traum bedeutet. Jedenfalls ist Michael Jackson in meinem Leben immer präsent: Als King of Pop und als meine ganz persönliche, zeitlose Ikone.

Odély Teboul ist eine der beiden Designerinnen des internationalen Modelabels Augustin Teboul. Das Duo absolvierte die Hochschule für Mode ESMOD in Paris, wo Odély Teboul bereits für Jean Paul Gaultier arbeitete. 2014 gewann das Label den International ­Woolmark Prize.

Aufgezeichnet von Eva Karcher


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Lucia, Mélisande, Lulu Was Opern über die Liebe ­er­zählen und warum wir ihnen heute erst recht Gehör schenken Opern erzählen ­Geschichten von der Liebe, die mit heutigen Formen von Optimierung und ­freier Wahl in ­Paarbeziehungen nichts zu tun haben. Auch im Zeitalter ­neoliberal ­verwalteter Gefühlsökono­ mie konfrontieren sie uns mit einer grund­sätzlichen Frage: Rettet die Liebe oder verwüstet sie? Ein ­Essay von Barbara Vinken.

Viele bedeutende Opern tragen wie die großen Romane des 19. Jahrhunderts – Madame Bovary, Anna Karenina, Effi Briest, Nana – Frauennamen im Titel: Lucia di Lammermoor, Manon Lescaut, Carmen, Pelléas et Mélisande. So noch, kurz wie verheerend, Lulu. Um starke Frauen geht es jedoch nicht, sondern um den weiblichen Typ, des­ sen Spielarten die zweite Hälfte des Jahrhunderts prägten: femme fragile und femme fatale. Sie zerstören durch Liebe, zerbrechen an der Liebe. Sie illustrieren die Doppelgesichtigkeit der Liebe, von Engel oder Tier, Himmel oder Hölle. Rettet Liebe oder verwüs­ tet sie? In dem Jahrhundert entstan­ den, das die Liebesehe zur Norm ­gemacht und wie kein anderes eine vernünftige, bürgerliche Ehemoral

durchgesetzt hat, stellen diese Opern diese Frage heute mit neuer Ein­ dringlichkeit. „Liebe ist kein Zufall“, werben Partneragenturen, und „alle 18 Sekun­ den verliebt sich ein Single“. Nach­ weislich effizient, aufbauend produktiv. Stupid Cupid, der seine Pfeile mit ver­ bundenen Augen zufällig abschießen­ de Knabe Cupido, soll ausgeschaltet werden. Statt von bittersüßen Wun­ den des Eros, der uns ohne Ansicht der Person in Fesseln schlägt und un­ terwirft, so dass wir uns selbst verlie­ ren und gebannt verzehren, sprechen wir von einer Partnerbörse und einem Markt, der rational nach Vor- und Nachteilen, nach messbaren und nach­ vollziehbaren Kriterien verfährt: nach Herkunft, Vermögen, Einkommen, Bil­ dung, Körpermaßen, Alter. Die inves­ tierte Zeit, das investierte Geld sollen sich lohnen und der optimale, passen­ de Partner für ein absehbares, belast­ bares Glück gefunden werden. Dem Eros selbst gesteht man nichts Zer­ störerisches, nichts Extremes mehr zu. Bloß nicht himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, den Kopf verlieren. Bloß keine fatalen Verstrickungen, kein un­ ter die Haut gehen, kein Verlust der Selbstbeherrschung. Dem Selbstbe­ stimmten scheint es unerträglich, dass

Blicke Küsse Bisse

ihm etwas zustößt, und er übermannt außer sich unter ein Joch gerät. Kon­ trolle statt Selbstaufgabe und -verlust, und das gilt genauso bei Datingdiens­ ten für schnellen Sex, wofür der Hö­ henflug des Sadomasochismus, der kontrollierte Kontrollverlust, den bes­ ten Beweis liefert; Eros, zum Sex ­mutiert, soll wie Wellness weder für Zerrüttung noch für Überschreitung anfällig sein, sondern für das ganze Subjekt und dessen sexuelle Identität, den Aufbau von Egos und die Stabi­ lität der Gesellschaft in Dienst genom­ men werden. Im Sex wird der Eros gekonnt diszipliniert zu einer Technik: gut für die Gesundheit, die Ausgegli­ chenheit, die gute Laune ist er in Ma­ ßen genossen – Stichwort sexsüchtig – fast eine hygienische Maßnahme. In fröhlich serieller Monogamie wird zur nächsten Option geeilt. Es muss bes­ ser werden, mehr Spaß bringen, und das nicht ganz passende Objekt wird entsorgt. Nicht aus der Bahn in den siebten Himmel geworfen werden, in dem man nicht weiß, wie einem ge­ schieht, sondern aufbauender, abseh­ barer, übersichtlicher Sex, der einen in seiner sexuellen Identität bestärkt, ergänzt, ganz zu einem Mann und ei­ ner Frau und damit zu einem wert­ vollen, belastbaren, funktionstüchtigen

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Gesellschaftsmitglied macht. Austrei­ bung der Leidenschaften – und des drohenden Leidens – aus dem, was wir heute „Liebe“ nennen. Opern erzählen eine andere Ge­ schichte, die mit Optimierung und frei­ er Wahl nichts zu tun hat. Hier sind andere Kräfte am Werk, die von fern­ her kommen und uns hinter unserem Rücken wider alle Vernunft bestim­ men. Man nannte sie vor Zeiten wie der unseren, ratlos und fasziniert, Schicksal. Es sind nicht Geschichten einer freien Wahl aus einer fast unbe­ grenzten Kohorte, die zwecks Lustop­ timierung vorsortiert werden muss, die durchprobiert und ausgetestet wer­ den kann, sondern Geschichten von himmlisch-blinden Leidenschaften, Geschichten von Mord und Opfer: Gat­ tenmord, Schwesternmord, Bruder­ mord, Opfertod. Vereinigung heißt dort immer auch schon Trennung. Ein Wim­ pernschlag, und der kleine Liebestod wird in Mord und Selbstmord zum großen Tod. Opern erzählen von Ge­ sellschaften, die in sich, jeder gegen sich, im Zwiespalt liegen. In der Oper des bürgerlichen Zeitalters finden wir uns nicht in der neoliberalen, bürger­ lichen Gegenwart, sondern in der ­attischen Tragödie, im Hause der At­ riden wieder. Drei Werke, die in der Blicke Küsse Bisse-Spielzeit 2014/15 neu inszeniert wurden, spiegelten die „Liebesverhältnisse“ ihrer Zeit so, dass sie bis heute ins Mark gehen: Lucia di Lammermoor von Gaetano ­Donizetti (1835); Pelléas et Mélisande von ­Claude Debussy (1902); Lulu von ­Alban Berg (1937). Während in Lucia und Pelléas die himmlische, erlösen­ de Macht leidenschaftlich hingebungs­ voller Liebe vor dem Hintergrund ­einer mörderischen Gegenwart auf­ scheint, ist Lulu ein Monument der Abwehr, das aus Angst, den Kopf zu verlieren, mit der Leidenschaft alles Weibliche diffamiert. Leidenschaft ist eine Seuche, die alle vertiert und al­ les in den Dreck zieht. Symptom die­ ser Abwehr ist die femme fatale, ein

männliches Hirngespinst, das das Weibliche zu einem fatal faszinieren­ den Idol stilisiert. Wie alle Götzen wird es nicht von wahrer Liebe, son­ dern vom ansteckenden Tod bewohnt.

Gaetano Donizetti, Lucia di Lammer­ moor Die alte unumschränkte Macht der Leidenschaft ertönt in wenigen Opern so herzzerreißend wie in Gaetano ­Donizettis Lucia di Lammermoor. Die Oper spielt zur Zeit der schotti­ schen Religions- und Erbfolgekriege des 16. Jahrhunderts. Der Krieg zwi­ schen Bruder und Schwester, zwischen Gatten und Gattin, die Austausch­ barkeit von Sex und Mord ist die Wei­ terführung dieser Bürgerkriege. Ed­ gardo wurde von Lucias Familie um sein Erbrecht betrogen, ruiniert, in die Verbannung getrieben. Dieser „Todfeind meines Geschlechtes“, wie Lucias Bruder Enrico ihn bezeichnet, ist die heimliche Herzensliebe der Schwester. Lucia verweigert die ihr von Enrico aus politischen Gründen zugedachte Hochzeit mit Arturo, die den sinkenden Stern des Bruders wie­ der zu neuem Glanz bringen würde: „Ach, Schwester war sie mir nie“, klagt der Bruder. Hingerissen von Wut will er die Flammen dieser per­ fiden Liebe mit dem Blut der Schwes­ ter und dem seines Todfeindes lö­

schen. Um den Retter zu gewinnen, muss die Schwester geopfert werden. Gegen die infame Blutrache über die Generationen der Familien hinweg stellt Lucia das reine, erlösende Lie­ besopfer, das Sakrament der Ehe, nicht der aufgezwungenen Heirat wohlge­ merkt: „Tempel und Altar ist ein lie­ bendes Herz“. Die vom Himmel ge­ stiftete, im Himmel besiegelte Liebe kann nur der Tod auslöschen. Selten ist die alte kosmische, ekstatische Lie­ be, die im Himmelsaufschwung ver­ eint und Zwietracht und Blut hinter sich lässt, so wunderbar besungen wor­ den wie in Lucia di Lammermoor. Die kosmische, durch Liebe versöhnte Ord­ nung, zerstört durch Wut, Hass, Herrschsucht und Blutvergießen, glänzt in ihren Arien ein letztes Mal auf. Die Luft trägt Liebesseufzer, das Murmeln der See ist Sehnsuchtsklage. Nun ist es aber nicht so, dass der politische Untergrund versänke vor dieser Liebe. Lucia erklärt sich ex­ plizit zum Opfer der Bürgerkriegspo­ litik. Das ihr aufgezwungene Hoch­ zeitsbett wird sie in den Altar eines Schlachtopfers verwandeln: Nicht sie wird in der Hochzeitsnacht süß durch­ bohrt, sondern durchbohren wird sie den ihr aus Familienraison aufgezwun­ genen Mann. Der sich verraten ge­ glaubte Edgardo sieht Lucia hingegen über seinen blutigen Leichnam fröh­ lich zum Traualtar schreiten. Tatsäch­ lich stirbt Lucia, von Sinnen, an ge­ brochenem Herzen, und Edgardo durchbohrt sich mit dem Dolch, um sich mit ihrer schönen Seele im Him­ mel vereinigen zu können: Noch eine Hochzeit im Blut. Immerhin erkennt Enrico den Verrat am eigenen Blut. Doch den Zwang des Familienschick­ sals bricht diese Einsicht nicht, sie kommt zu spät. An Lucia erfüllt sich eine Weltla­ ge, in der Sex und Mord austauschbar sind. Eine Liebe, die nicht von dieser Welt ist, entrückt sie aus der Zwangsin eine Himmelshochzeit. Im Ange­ sicht des Schreckens offenbart sich

Dem Eros gesteht man nichts Zerstörerisches, nichts Extremes mehr zu. Dem Selbstbestimmten scheint es unerträglich, dass ihm etwas zustößt, und er übermannt außer sich unter ein Joch gerät.


die engelsgleiche Macht der Musik in den schönsten Arien überhaupt. In ihnen ist für den Moment der Kunst gebunden, was in der Welt blutig ent­ zweit ist.

Claude De­bussy, Pelléas et Méli­ sande Claude Debussys Pelléas et Mélisande spielt in einer fernen Zeit, an ei­ nem nicht bestimmbaren Ort, in ei­ nem Echoraum voll prägender My­ then. Debussy bringt diese Ordnung der Dinge, in der Liebe nichts als rohe Gewalt ist und Brudermord und Bürgerkrieg an der Tagesordnung sind, auf einen historisch allgemei­ neren Punkt: Dies ist ein eisernes, ein blutiges Zeitalter. Konsequent verzichtet diese von Rezitativen be­ herrschte Oper darauf, dem unter­ gründigen Horror die verklärende Macht der Musik in sublimen Arien entgegenzustellen. Gegen die blutige männliche Ordnung mit ihren tyran­ nischen Geschlechterhierarchien bleibt die reine, engelsgleiche, ­leidenschaftlich hingegebene Liebe unschuldig, kindlich, erotisch-müt­ terlich; ohne wortreich Melodie zu werden, tönt sie nur noch in den Glis­ sandos. Diese Liebe von Pélleas und Mélisande ist so wenig von dieser Welt wie die von Lucia; aus einer unvordenklichen Vorzeit, einer Zeit vor dem Sündenfall ragt sie in die gewalttätige Welt hinein, die sich nicht erlösen lässt.

Das Grundthema dieser Oper ist das Erkennen. Verstrickt und blind ge­ fangen im dunklen Mythenwald, er­ füllt sich das Verhängnis, von alters als Verderben in den Sitten eingela­ gert, hinter dem Rücken der Leben­ den, die nicht wissen und zu reden – in Opern: zu Arien – nicht, noch nicht, nicht mehr, nie mehr die Stim­ me haben. Im Wiederholungszwang sind sie blinde Erfüller eines verhee­ renden Schicksals: „nur weil’s der Brauch ist, weil’s der Brauch ist“, ist der Refrain. In scheinbar naiver Simplizität bie­ tet Pelléas et Mélisande ein Hybrid aus ver-rückten und ver-kehrten My­ then, aus Märchen und Legenden – Rapunzel, Froschkönig, Hero und Léander, den Königskindern – aber auch aus klassischen Motiven wie dem Aufstand der Titanen, Aktaion, Ödi­ pus und Orpheus, sowie Paolo und Francesca aus Dantes Hölle. Mit Ab­ salom wird die biblische Quelle für Inzest und Vergewaltigung, Bruder­ mord und Bürgerkrieg explizit. Im Wald der Motive breitet sich die schwer zu entwirrende Wildnis aus. Diese eiserne Zeit lässt die fried­ fertige Liberalität des goldenen Zeit­ alters verblassen, in dem weder ­Menschen- noch Tierblut vergossen wurde, es weder Tod noch Krankheit gab. Ein gewisser Golaud betritt die Szene, ein riesiger alter Mann mit grauem Haar – so erscheint er dem Mädchen Mélisande – ein Jäger, der sich bei der Verfolgung eines zu Tode verletzten Tieres im Wald verirrt hat. Als Mann ist er für die Liebe nicht gemacht; sein grauer Bart sticht. Er tritt als verwundeter und verwunden­ der Jäger auf, ein Mann aus Blut und Eisen, ein Mann des Schwertes. Sei­ nem Sohn, der ganz nach dem Vater kommt und auch ein Riese werden wird, schenkt er Pfeile für die Jagd. In dem lichtlosen Wald, in dem sein Schloss steht, sieht man den Himmel nicht. Lieben heißt für Golaud Ge­ walt antun, töten.

Essay Barbara Vinken

Das Mädchen, das er im tiefen Wald auf der Flucht antrifft, scheint bereits von einer unaussprechlichen Gewalt traumatisiert, und die traumatisieren­ de Erfahrung wiederholt und steigert sich in der neuen Ehe, die sie mit ihm eingeht. Wie sie die Krone nach ihrer ersten Liaison in den Brunnen wirft, so lässt sie den Ring Golauds in den Brunnen fallen, als sie sich in den Halbbruder ihres Mannes, in Pelléas verliebt. Sie kann nicht mit Golaud sprechen; sie weint oder sie lügt schlicht. Diese Ehe wird wie alles in diesem seelenlosen Zeitalter mit Mord enden. Golaud ersticht Pelléas, als dieser und Mélisande sich einander bei einem ersten Kuss hingeben. Ihre Liebe ist nicht von dieser Welt. Méli­ sande – war sie je von dieser Welt? – gebiert ein Mädchen, bevor sie stirbt. Aber ihre Unschuld lässt sie auch als Mutter zur Frau nicht mehr werden: sie sieht aus wie die Schwester ihres Kindes. Vom blutigen Erbübel kön­ nen weder die Haarwogen der Méli­ sande, die Herzen überschwemmen, noch die „himmlischen Engel“, die „hier unaufhörlich Taufe halten“, rein­ waschen. Die Liebe zwischen Pélleas und Mélisande fällt der eisernen, blu­ tigen Ordnung der Dinge zum Opfer.

Alban Berg, Lulu Siedeln diese beiden Opern die ­sublime Liebe in der Vergangenheit an, dann sind wir mit Alban Bergs Lulu in der Gegenwart angekommen: Lulu streift sich einen Automantel über. Lulu bringt das Drama von ­Inzest und Mord als obszöne Gro­ teske auf die Opernbühne. Mit dem Dithyrambus, dem Versmaß der ­

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­wild­schwär­merischen, ekstatischen Gesänge zum Preis des Dionysos, ist die hohe Gattung der Tragödie auf­ gerufen, die in Bergs Oper übererfüllt und in den Kot gezogen wird. So hat­ te Nietzsche sich den dionysischen Rausch nicht vorgestellt. Das Theater wird zur Me­nagerie, die Leute im Pu­ blikum und auf der Bühne zu reißen­ den, läufigen Bestien. Als „Urgestalt des Weibes“ entpuppt sich die ver­ führerische, giftige Schlange, die aus dem Paradies vertreibt. Lulu ist In­ begriff der femme fatale; aus dem Nichts kommend vernichtet sie alles. Sie zerstört das, was das Bürgertum zur Grundlage jeder zivilisierten Ge­ sellschaft erklärt hat, das Ideal der wohltemperierten, bürgerlichen Ehe. Dies aber nicht im Namen der Lei­ denschaft, sondern durch Appell an das Tier im Mann. Als blendendes Idol ist Lulu das Negativ der zeitge­ nössischen weiblichen Ideale: des rei­ nen, unschuldigen Mädchens, der see­ lenvollen Gattin, des Engels im Haus. Ein ausgepichtes Gegenstück ist sie aber auch zum bürgerlichen Subjekt, das in ständiger Arbeit am Selbst ein wertvolles Innenleben entwickelt. Der seelenlosen Lulu, die unverwüstlich alles verwüstet, geht nichts mehr zu Herzen: ­alles, Sex wie Blut, perlt an ihr ab. Sie ist eine Kunstfigur, in der wie unbewusst weiter singt, was in Lucia und noch in Mélisande eine Stimme, und sei es eine Stimme von weither, gefunden hatte. Lulus Stim­ me findet ihre ­Tragik im Nichts einer nichtigen ­Gegenwart. Die von einem Dr. Schön aus der Gosse gefischte Kindhure erscheint den Männern wenn nicht als Madon­ na, so als ideale Gattin. „Sie trugen ein dunkelblaues Kleid“, erzählt der Sohn des Doktors, Alwa: „Ich sah et­ was so unendlich hoch über mir Ste­ hendes in Ihnen. Ich hegte eine hö­ here Verehrung für Sie als für meine kranke Mutter.“ Auch der Prinz, der sie mit nach Afrika nehmen will, ist von ihrer Vornehmheit überzeugt. Er

hat ihr „Seelenleben aus ihrem Tanz studiert“ und ist zum Schluss gekom­ men, sie müsse das „verkörperte Le­ bensglück“ sein. „Als Gattin wird sie einen Mann über alles glücklich ­machen“, schließt er: „Als meine Gat­ tin“. Man sieht und hört alle misogy­ nen Klischees auf einmal, die Hypo­ krisie des bürgerlichen Publikums eingeschlossen, das sich an den Rand seines Verstands gebracht sieht und glatt einstimmen möchte. De facto sind Ehe und Sex mit Lulu für alle tödlich. Wie Zolas Nana ist sie als Geißel der Menschheit „ge­ schaffen, Unheil anzustiften, Zu lo­ cken, zu verführen, zu vergiften – Und zu morden, ohne dass es einer spürt.“ Sie wütet wie eine Revolution, die alle Werte auf den Kopf stellt, die vor nichts zurückschreckt und der nichts heilig ist. Sie verheert wie Pest und Cholera; Leichen säumen ihren Weg. Waren Lucia und Mélisande in einem letzten glänzenden Stimmauf­ wand ganz Seele, so hat Lulu weder Herz noch Seele bei größter, unge­ nierter Stimmfreiheit. Sie weiß nicht was Liebe, was Gott, was Familie ist. Als „Wunderkind“ aus dem Nichts, mutterlos, vaterlos, zerstört sie die sie an sich fesselt. Von der Langewei­ le, die der Luxus betäubt, wird sie, Lulu wie die Oper, deren letzte, durch­ kreuzte Allegorie sie ist, wie vom Tod bewohnt. Ihre Tage verbringt sie, in­ dem sie liegt und schläft und sich streckt, „bis es knackt“. Diese na­ menlose, infame Frau, die wie die leichten Mädchen klingende Kose­ namen trägt, ist eine manipulative Intrigantin leerer Zwecke, die kalt­ blütig, wie sonst nur der große ­Libertin Valmont der Liaisons dan­ gereuses, Briefe diktiert, die Todes­ urteile sind. Der scheinheilige Dr. Schön, der in schönster Doppelmoral gehofft hat­ te, eine reine Ehe und gute Partie mit seiner infamen Lust unter einen Hut zu bringen, erliegt der femme fatale: „Du Kreatur, die mich durch den Stra­

ßenkot zum Martertode schleift. Du Würgeengel. Du unabwendbares Ver­ hängnis! Du Freude meines Alters! Du Henkerstrick!“ Sein trautes Heim wird zum Hurenhaus, unter jedem Tisch, hinter jedem Vorhang lauert ein Liebhaber. Denn Lulu treibt es jederzeit und coram publico mit al­ len, ob Mann ob Frau, ob jung ob alt. Das Obszöne wird aus dem Off der Szene auf die Bühne gezerrt, Frau, Sohn und Freunde werden zu Schlacht­ opfern auf dem durch wahllosen SexMord besudelten Altar der Ehe. Lulus Paradestück ist die Verfüh­ rung des Sohnes Alwa, der ihr wie ein Bruder gewesen ist. Großartig wirft sie sich in Schale: „Als ich mich im Spiegel sah, hätte ich ein Mann sein wollen ... mein Mann!“ Sie hat, lässt sie den Sohn, die Hände in sei­ nen Locken, wissen, die Mutter ver­ giftet, und er wird Zeuge der Erschie­ ßung des Vaters. Schließlich wird Lulu es mit ihm im Blut des Vaters ma­ chen. Der Inzest geschieht in der Stadt von Revolution, Bürgerkrieg und Hurerei, in Paris. In dieser „Schauderoper“ wird kein misogynes Klischee ausgelassen, um die Him­ melsmacht Liebe als Farce darzustel­ len. Lulu zeigt eine Ordnung, in der „Liebe“ nur verdeckt, dass Sex und Mord de facto dasselbe sind. Heute haben wir so viel obszöne Dras­ tik, so viel rhetorischen Aufwand nicht mehr nötig. Unsere Sozialtech­ niken haben Bedrohung und Verspre­ chen der Leidenschaft besser in den Griff bekommen: in Sex als ichstabi­ lisierender Leistung und der Ehe als einem vernünftigen, aufbauenden Glück. Auf der Strecke geblieben sind dabei weder der schmutzige noch der saubere Sex, und auch nicht die ­ ­bürgerlichen, vernünftigen, aufbau­ enden Liebesehen, auf der Strecke ­geblieben ist die Ekstase unberechen­ barer ­Leidenschaft. Mehr über die Autorin auf S. 20

Fotografie Jonas Lindstroem


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„Die Tiefe muss man ­v­erstecken. Wo? An der ­Oberfläche“ … sagte Hugo von Hofmannsthal, der ­Librettist von Richard Strauss‘ Arabella. Das Werk ist ­ bei den diesjährigen Festspielen in einer Neuinszenierung zu erleben, mit Anja Harteros als Arabella und Philippe Jordan am Pult des Bayerischen Staatsorchesters. Die Künstler sprachen mit MAX JOSEPH-Autor Florian Heurich über Höhen und Untiefen dieser oft als leicht bezeichneten Oper.

Auf den ersten Blick wirke Arabella sympathisch, auf den zweiten vielleicht nicht mehr ganz so sehr, meint Anja Harteros. Und auf den dritten Blick könne man dann wieder Sympathie und vor allem Verständnis für sie empfinden, für diese letzte große Frauenrolle, die Richard Strauss und Hugo von H ­ ofmannsthal gemeinsam erschaffen haben. In den wunderbarsten, beseeltesten Tönen singt Arabella vom „Richtigen“, der „einmal dastehn“ wird: „Und wird mich anschaun und ich ihn.“ Sie glaubt noch an die Liebe auf den ersten Blick und ist von Anfang an fasziniert von Mandrykas „großen, ernsten, festen Augen“, wenn sie ihn auf der Straße sieht. Dieser wiederum hat sich bereits beim Anblick einer Fotografie in Arabella verliebt – „in dem stahlblauen Ballkleid mit Schwanenbesatz“. „Die überirdische Musik steht für Arabellas Sehnsucht nach einer besseren Welt, in der sie nicht lebt. Das ist nicht die Realität, die man da hört und spürt. Und keiner konnte das besser rüberbringen als Strauss“, sagt der Dirigent Philippe Jordan, der überzeugt davon ist, dass Mandryka nur auf den ersten Blick der Richtige ist. Dieser aus dem fernen, wilden, exotischen Slawonien angereiste Naturbursche gibt sich zunächst einmal in männlich protziger Manier: mein Wald, mein Haus, mein Dorf, mein Geld! Und als klassischer Macho könnte er noch hinzufügen: meine Frau! Das alles bekommt Arabella jedoch nicht mit.

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In denselben ätherischen Tönen, in denen sie sich zuvor ihr Ideal zurechtgeträumt hat, singt sie später auch von ihrer ­Unterwerfung: „Und du wirst mein Gebieter sein, und ich dir untertan.“ Anja Harteros erklärt sich diesen radikalen Liebesschwur, diese fragwürdige Sehnsucht, möglicherweise durch Arabellas Jugend. „Sie ist noch ein junges Mädchen, sie denkt sich die Dinge, wie sie sie haben will. Doch diesem Schwur liegt eine unbedingte Vertrautheit zugrunde, der Grundstock einer echten Beziehung oder Hingabe. Und gerade das macht Arabella zu einer so besonderen Figur.“ In Wirklichkeit, im späteren Ehealltag, so denkt ­Philippe Jordan, wäre Mandryka durchaus fähig, seine Frau sogar zu schlagen. „Seine brutale Seite und seine Gewaltbereitschaft sind auch in der Musik hörbar.“ Das würde sich Arabella aber keinesfalls gefallen lassen, wenn es denn so kommen sollte, entgegnet Anja Harteros. Als unterwürfig empfindet sie diese Frau nämlich nicht. Im Gegenteil. „Sie fühlt sich angezogen von Mandrykas etwas rauer, ungeschliffener, aber auch unsicherer Art. Er imponiert ihr vielleicht, sie kann ihn erkennen, sich dadurch möglicherweise überlegen fühlen, ihn erfühlen und vielleicht beeinflussen wie niemand sonst.“ Und mit einem Augenzwinkern fügt sie hinzu: „Wir müssen die Männer nehmen, wie sie sind, aber wir dürfen sie nicht so lassen.“

Festspielpremiere Arabella


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Anja Harteros


Strauss wollte von Hofmannsthal „einen zweiten Rosenkavalier ohne dessen Fehler und Längen.“ Schauplatz Wien, Adelskreise, Walzer und eine melancholische Grundstimmung waren seinerzeit die Ingredienzien, die den Rosenkavalier zum großen Wurf machten. Die verstörende Radikalität einer Salome oder Elektra hatte der Komponist bereits über Bord geworfen zugunsten einer harmonisch stilisierten Ästhetik in Musik und Sujet. Der Gipfel der Modernität, den Strauss in seinen beiden großen Einaktern erreicht hatte, bezeichnete zugleich den ­Umschwung in den Klassizismus. „Ein zweiter Rosenkavalier ist aber noch keine erste Arabella“, sagt Philippe Jordan, der ein zusätzliches Problem dieser Oper darin sieht, dass ­Hofmannsthal­­noch vor Beendigung des Stücks gestorben ist. Aus Respekt hat Strauss den Text dann so vertont, wie ihn ­Hofmannsthal hinterlassen hatte, ohne etwas daran zu ändern. Dies wirft Fragen auf, insbesondere in Bezug auf den Schluss der Oper. Warum kann Arabella Mandryka trotz aller Beleidigungen sofort verzeihen? Löst sich alles wirklich so einfach wieder auf? Warum kommt es so schnell zu einem Happy End? Für Philippe Jordan sogar viel zu schnell. Fragen, die sich rein logisch wohl nicht beantworten lassen. Auf den ersten Blick sei diese Oper, die ihre Schöpfer als „lyrische Komödie“ bezeichnet haben und der sogar das Klischee des Operettenhaften anhaftet, ein Gute-Laune-Stück mit glücklichem Ausgang. Auch Mandryka, der mit seiner von südslawischen Weisen inspirierten Musik für den anderen Teil der Donaumonarchie auf dem Balkan steht, könne man durchaus mit einem Danilo aus der Lustigen Witwe vergleichen. „Der vielleicht etwas zu einfach gestrickten Operetten-Liebesgeschichte wird aber durch die Handlung um Zdenka, die von ihren Eltern als Bub verkleidet und unterdrückt wird und die sich als Frau erst emanzipieren muss, eine weitaus tiefere Dimension verliehen“, so Philippe Jordan. Und rein musikalisch sei vor allem das Finale des ersten Aktes, wenn Arabella sich plötzlich am Abgrund sieht, sich dann aber doch im Walzerrhythmus ins Vergnügen stürzt, ganz großer Strauss. Wie zutreffend ist hier doch einer der Aphorismen aus Hofmannsthals Sammlung Buch der Freunde (1922): „Die Tiefe muss man verstecken. Wo? An der Oberfläche“. Gerade deshalb findet Anja Harteros, dass man die Titelrolle mit einer gewissen Leichtigkeit und Raffinesse spielen kann. „Solange man alles Echte ernst nimmt und der Tiefe den Raum lässt, den sie braucht … “ „Ein etwas ordinäres und gefährliches Wien umgibt diese Figuren“, schreibt Hofmannsthal an Strauss. Und das Dekadente, Verkommene, Verlebte, eben das Ordinäre, ist überall präsent. Das unterscheidet den abgewrackten, verschulde-

„Arabella ist von Beginn an eine Revoluzzerin und spürt sehr genau, was gut für sie ist und was nicht.“ – Anja Harteros

„Die überirdische Musik steht für Arabellas Sehnsucht nach einer besseren Welt, in der sie nicht lebt. Das ist nicht die Realität, die man da hört und spürt.“ – Philippe Jordan

ten Adel des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Arabella, der sich mangels Bleibe im Hotel einmieten muss und auf dem kaum gesellschaftsfähigen Fiakerball vergnügt, von der ­Noblesse der Maria-Theresia-Zeit im Rosenkavalier. „Auch der Walzer ist in Arabella kein inspirierter, klassischer Walzer mehr, sondern ein vulgärer Abklatsch. Der Tanz auf dem ­Vulkan, dem man die Patina der Zeit und damit auch den ­Niedergang der k. u. k. Monarchie anmerkt“, so Jordan. „Und die F ­ amilie von Arabella findet sich orientierungslos wie in eine falsche Zeit verirrt wieder.“ Vor diesem Hintergrund ­erscheint Arabella als leuchtende Ausnahme, die sich von ihrem Umfeld abhebt – durch ihren Charakter und ihre Musik. „Es adelt sie, dass sie trotz dieser verkommenen Umgebung an das Gute glauben kann“, sagt Anja Harteros. „Die Marschallin im Rosenkavalier verhält sich in ihrem edlen, eleganten Milieu ja nicht gerade sehr adlig, wenn sie sich einen Liebhaber hält. Im G ­ egensatz zur Marschallin wehrt sich Arabella gegen eine Heirat mit einem Mann, den sie nicht liebt. Sie ist die Edle in einem verdorbenen Umfeld.“ Und es sei eben eine ihrer ­Sehnsüchte, diesem Umfeld zu entfliehen. Die Natur und das Landleben seien ihre vielleicht etwas naive Vorstellung vom Paradies. In diesem Sinne ist Arabella auch nur zu gerne bereit, den schalen Champagner der abgetakelten Wiener Gesellschaft gegen das klare, reine Wasser zu tauschen, als symbolische Besiegelung ihrer Verlobung. Und am Ende dieses ­Rituals steht laut Strauss‘ Regieanweisung der längst überfällige Kuss. Küsse hat es im Laufe des Stücks zwar schon einige gegeben, aber immer zwischen den Falschen. Arabella küsst ihren liebestollen Bewerber auf die Stirn, und Mandrykas erster Kuss gilt gar der derb jodelnden Fiakermilli, einer Frau von eher zweifelhaftem Ruf. „Allerdings hat auch Arabella “, findet Anja Harteros, „manchmal etwas Katzenhaftes an sich und fährt ihre Krallen aus, aber nur gegen ihre lästigen Bewerber.“ Die Bisse, Beleidigungen und falschen Verdächtigungen gegen sie hingegen hinterlassen auch Spuren. „Das zuerst ganz intuitive, positive Verhältnis zwischen Arabella und Mandryka hat dadurch einen Knacks bekommen. So etwas kann man nicht einfach vergessen. Dadurch wird Arabella aber auch ein Stück weit erwachsener, versteht und verzeiht.“

Text Florian Heurich


Philippe Jordan


Eine Endzeitstimmung liegt über Arabella. Es ist ein Abgesang auf die Donaumonarchie, eine Epoche, in der vor allem ­Hofmannsthal tief verwurzelt war, und zugleich Spiegel der neuen Zeit, in der er und Strauss nun leben. Der Erste Weltkrieg ist vorbei, die Weltwirtschaftskrise bahnt sich an. In den Goldenen Zwanzigerjahren stürzt man sich orientierungslos ins rauschhafte Vergnügen und tanzt seinem Untergang entgegen. „Die Atmosphäre der Arabella“ sei, schrieb Hofmannsthal an Strauss, „unserer Zeit schon sehr nahe, ist gewöhnlicher, natürlicher, ordinärer.“ Philippe Jordan sieht in dieser Oper aber auch, dass sich das Ende der einst so fruchtbaren, durch regen Austausch bestimmten Zusammenarbeit zwischen Komponist und Librettist anbahnt. „Allein schon, dass die beiden einen Zweitaufguss des Rosenkavaliers machen wollten, zeigt, dass es keine neuen Themen mehr gab. Trotzdem denke ich, dass im zweiten und dritten Akt der A ­ rabella noch sehr viel entwickelt und verändert worden wäre, wenn Hofmannsthal nicht gestorben wäre.“ Kaum gewandelt hat sich im Laufe der fast 25 Jahre, die zwischen Elektra, der ersten Strauss-Oper nach einem Hofmannsthal-Text, und Arabella, der letzten, liegen, der Blick auf die Frauen: zur Passivität verdammte Geschöpfe, die sich weit mehr durch den Mann definieren als durch sich selbst und die in ihrer Rolle als Ehefrau, Hausherrin und Mutter die Erfüllung finden. Philippe Jordan versteht dies aus dem traditionellen Frauenbild jener Zeit heraus, das sich über Jahrhunderte so erhalten hat. „Das erklärt aber auch, warum Arabella so lange auf einen Ehemann wartet, da das ihre einzige Chance ist, selbst zu entscheiden, welchen Mann sie will. Dennoch fügt sie sich am Schluss wie alle anderen in dieses Bild.“ Anja Harteros hat für sich den Schlüssel zu dieser R ­ olle in einem kleinen musikalischen Motiv gefunden, einer absteigenden Sechzehntelbewegung, die immer dann erklingt, wenn irgendetwas gegen Arabellas Natur geht. „Sie möchte es nämlich gerne aufgeräumt haben. Sie möchte es gerne schön und richtig haben, und fügt sich eben so ganz und gar nicht in das Bild der zur Passivität verdammten Frau. Sie ist von Beginn an eine Revoluzzerin und spürt sehr genau, was gut für sie ist und was nicht. Wen sie nicht liebt, den kann sie nicht heiraten, das ist ganz einfach. Und der, den sie lieben kann, wird genau geprüft und er muss sie nehmen wie sie ist!“ In einem genialen Kunstgriff verwebt Strauss am Schluss Mandrykas protzige „Mein sind die Wälder“-Melodie mit Arabellas Motiv vom „Richtigen“, Letzteres jedoch nicht mehr im elegisch schwärmerischen Tonfall wie zuvor, sondern als auftrumpfende Bläserfanfare. Frau und Mann, Liebe und Geld, Stadt und Natur, Sehnsucht und Realität verschmelzen – mit einem Ausrufezeichen dahinter. Oder doch eher mit einem Fragezeichen?

Florian Heurich ist Musikjournalist. Für die B ­ ayerische Staatsoper ­gestaltet er die Video-Magazine und Audio-Podcasts zu den ­Neuproduktionen, für BR-Klassik produziert er Radiofeatures und ­Reportagen.

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Anja Harteros begann ihre internationale Karriere 1999 mit dem Gewinn des Cardiff Singer of the World-Wettbewerbs, s­ ie gastierte an allen bedeutenden Bühnen der Welt und arbeitete mit den namhaften Orchestern und Dirigenten unserer Zeit zusammen. 2007 wurde sie zur Bayerischen Kammersängerin ernannt, zudem ist sie Trägerin der Europamedaille. Bei den diesjährigen Münchner Opernfestspielen singt sie an der Bayerischen Staatsoper die Titelpartie in Arabella und die Elisabeth von Valois (Don Carlo). In der Spielzeit 2015/16 wird sie als Amelia in der Neuinszenierung von Un ballo in maschera sowie als Ariadne, Arabella, Tosca und Marschallin (Der Rosenkavalier) zu erleben sein.

Philippe Jordan ist Musikdirektor der Opéra ­National de Paris und Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Er studierte in ­Zürich Klavier, V ­ ioline und Dirigieren. Seine Karriere als ­Kapellmeister begann 1994 am Stadttheater Ulm. Von 2001 bis 2004 war er Chefdirigent des Grazer Opernhauses und des Grazer Philharmonischen Orchesters. In den Jahren 2006 bis 2010 war er Principal Guest Conductor an der ­Berliner Staatsoper. Bereits seit 1995 ist er Gast an ­verschiedenen Opernhäusern, u.a. in New York, London, ­Berlin, Mailand und Rom sowie bei den Festspielen von Aix-en-Provence, Salzburg und Bayreuth. Zudem gastiert er bei zahlreichen O ­ rchestern, darunter die Berliner, Münchner und Wiener Philharmoniker.

Arabella Oper in drei Aufzügen Von Richard Strauss Premiere am Montag, 6. Juli 2015, Nationaltheater Weitere Termine im Spielplan ab S. 209

Illustration Berto Martínez


Glücksgefühle

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An den Fünf Höfen

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Er vermag auf leichte Weise vom Existenziellen zu erzählen – und trifft mit seinen Filmen immer wieder einen Nerv der Zeit. Nun inszeniert der Regisseur Andreas Dresen bei den Münchner Opernfestspielen Richard Strauss’ Arabella. Ein Porträt von Daniel Schreiber.

Der uns kennt

Festspielpremiere Arabella


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„Die Welt, in der Arabella spielt, ist eine Welt im Zerfall – in der es, wenn man ehrlich ist, nur um Geld geht.”

Andreas Dresens Arbeitszimmer könnte nicht unprätentiöser sein: Eine Zimmer­ pflanze, die schon einmal bessere Tage gesehen hat. Schreibtisch und weinrotes Sofa, voll mit Arbeitsmaterialien. Und zwei große Besetzungstafeln, die mit den Fotos ­verschiedener Schauspieler und Opernsänger vollhängen, in verschiedenen Kombi­ nationen, strategisch so platziert, dass Dresen immer wieder daran vorbeigehen muss. Seit 20 Jahren lebe er in dieser Wohnung, in einem einfachen Mietshaus im Zentrum Potsdams, Deutschlands amtierender Villenhauptstadt. „Ich mag es hier“ sagt er. „Für Potsdamer Verhältnisse ist die Wohnung extrem preiswert. So bin ich weniger ab­ hängig und muss nicht jede Arbeit annehmen.“ Wenn man Sicherheit wolle, sei man in der Kunst falsch, wird er später noch erklären. Künstler zu sein bedeute immer auch, seinen ganzen Einsatz zu geben, mit ganzer Seele. Dresen, 1963 im thüringischen Gera geboren, ist einer der wirklich Großen des deutschen Kinos. Seit 20 Jahren dreht er unaufgeregte, zärtliche Filme über Men­ schen, die durch den Alltag gehen, dabei straucheln, hinfallen und wieder aufstehen. Filme, die zumeist schon bei Erscheinen als Meisterwerke gehandelt werden. Nachtgestalten (1999), Halbe Treppe (2002), Sommer vorm Balkon (2005), Wolke 9 (2008), Halt auf freier Strecke (2011) und Als wir träumten (2015) gehören zu den bekanntes­ ten, aber die Liste ist lang. Alleine Sommer vorm Balkon, die Geschichte über die Le­ benskrise und die Freundschaft zweier alleinstehender Frauen im Berliner Prenzlau­ er Berg, wurde von einer Million Kinobesuchern gesehen. Der Regisseur hat den ­Bayerischen, den Hessischen und Deutschen Filmpreis erhalten, wurde mit dem Preis der deutschen Filmkritik und dem Grimme Preis ausgezeichnet, und beim Filmfesti­ val in Cannes mit dem Prix Un Certain Regard. Die Liste seiner Preise ist noch länger als die seiner Filme. Wollte man internationale Vergleiche heranziehen, fielen einem die britischen Erzähler und Realisten Mike Leigh und Ken Loach ein. Kaum ein ande­ rer Regisseur kommt so nah an seine Figuren heran wie Dresen, hat ein so sicheres Gespür für psychologische Grenzsituationen, kann so berühren, ohne ins Klischee zu verfallen. Kein anderer deutscher Regisseur erzählt auf so leichte Weise vom ­Existenziellen. Eine der beiden Besetzungstafeln in Dresens Arbeitszimmer ist mit den Fotos der Sänger seiner Neuinszenierung von Arabella an der Bayerischen Staatsoper be­ hängt. In Hugo von Hofmannsthals und Richard Strauss’ letzter gemeinsamer Oper geht es um eine junge Frau aus einer verarmten Adelsfamilie im Wien der 1860er Jah­ re, die versucht, der Welt, in der sie lebt, durch eine glückliche Heirat zu entkommen. Nach Don Giovanni in Basel (2006) und Le nozze di Figaro in Potsdam (2011) ist es Dresens dritte Operninszenierung. Anja Harteros wird die Arabella singen, Hanna-­ Elisabeth Müller ihre Schwester Zdenka, Thomas J. Mayer den Grafen Mandryka, den Auserwählten Arabellas. Eine beeindruckende Besetzungsliste. Zum Produktions­ team gehören neben dem Dirigenten Philippe Jordan auch zwei seiner langjährigen künstlerischen Partner, der Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau und die Kostüm­ bildnerin Sabine Greunig. Zusammen mit ihnen arbeitet Dresen seit drei Jahren an der Vorbereitung dieser Inszenierung. „Was das Handwerkliche betrifft, ist die Arbeit an der Oper natürlich eine völ­ lig andere als beim Film“, sagt er. Hier gäben schließlich die Musik und ihre vielen Subtexte den Ton an. „Andererseits geht es letztlich auch auf der Opernbühne um Menschen. Man muss sich für ihre Geschichten interessieren und sich genau an­ schauen, was sie antreibt, in welche inneren Konflikte und welche Widersprüche sie verwickelt sind.“ Dresen weiß, wovon er spricht. Das Handwerk der Bühne ist ihm von Kindesbeinen an vertraut. Schon als Zehnjähriger führte er den Faust als Puppen­ spiel für seine Familie auf. Seine Mutter, Barbara Bachmann, ist Schauspielerin. Sein Ziehvater Christoph Schroth war einer der einflussreichsten Regisseure und Inten­ danten der DDR. Und sein Vater war niemand anderes als der bekannte Theater- und


Opernregisseur Adolf Dresen, der 1977 in den Westen gegangen war und in den 1980er und 1990er Jahren mit seinen Inszenierungen in der ganzen Welt glänzende Erfolge feierte. Statt im Wien der Habsburgermonarchie lässt Dresen seine Arabella, expres­ sionistisch angehaucht, Ende der 1920er Jahre und Anfang der 1930er Jahre spielen, in der Entstehungszeit der Oper, der Zeit der Weltwirtschaftskrise und der großen gesellschaftlichen Umbrüche. Was für ihn im Werk von Hofmannsthal und Strauss besonders heraussticht, sind die Lebenslügen der Protagonisten, ihre verzweifelte Sehnsucht nach Glück und die fatale Rolle, die das Finanzielle in dieser Konstellati­ on spielt. „Das ist eine Geschichte, die sehr viele Extreme hat“, erzählt er. „Die Welt, in der sie spielt, ist eine Welt im Zerfall. Eine Welt, in der es, wenn man ehrlich ist, nur um Geld geht. Von Anfang an droht der soziale Abstieg. Die Figuren sind mit Panik erfüllt, die nackte Angst des Existenzkampfes treibt sie an. Arabella will weg aus die­ ser Welt voll von Lüge, falschen Werten und falschen Idealen.“ Wenn Dresen über Arabella spricht, wird nicht nur deutlich, dass er sich heim­ lich wünscht, die Titelheldin würde nicht der Illusion erliegen, ein reicher Mann kön­ ne sie aus diesem Leben retten. Es wird auch deutlich, dass er gleichzeitig noch über etwas anderes redet, nämlich darüber, wie wir heute leben, über unsere Zeit. Eine Zeit, in der wir vor allem Geld meinen, wenn wir über Werte sprechen, eine Zeit, die zuneh­ mend vom gesellschaftlichen Imperativ zum Erfolgreich-, Reich- und Schönsein ­bestimmt wird. Tanzen wir heute nicht genauso am Rand des Abgrunds wie die Prot­ agonisten von Arabella? Amüsieren uns, klammern uns an Eitelkeiten, während rings­ herum alles zusammenbricht? Dresen ist es ernst. In gewisser Hinsicht ist sein sozialpolitischer Anspruch einer der größten Motivatoren für sein Schaffen. Er durchzieht sein gesamtes Werk, jeden einzelnen seiner Filme. „Wir leben pragmatisch in unserer Welt und haben uns mit ihren Unzulänglichkeiten arrangiert“, sagt er. „Dabei beschäftigen wir uns zu we­ nig damit, ob es nicht auch Alternativen geben könnte. Der politisch-philosophische Diskurs, wie man die Gesellschaft anders gestalten könnte, findet leider kaum statt.“ Dabei hat Dresen nie etwas Didaktisches, seine gesellschaftlichen Anliegen thematisiert er selten direkt und nie mit erhobenem Zeigefinger. Selbst nicht in den beiden inzwischen legendären Dokumentarfilmen Herr Wichmann von der CDU (2003) und Herr Wichmann aus der dritten Reihe (2012) über einen Politiker in Brandenburg, in denen es ganz konkret um die Untiefen und Probleme der Regionalpolitik geht. Dre­ sen geht sehr viel subtiler, sehr viel gelassener vor. Er doziert nicht, er zeigt. Am meis­ terhaftesten setzte er diesen Anspruch in seinen Filmen Wolke 9 und Halt auf freier Strecke um. Beide Arbeiten beruhten nicht auf herkömmlichen Drehbüchern, sondern auf der Improvisation zwischen dem Regisseur, seinem Team und den Schauspielern. Mit großer Natürlichkeit konnte Dresen so Themen angehen, über die zumeist große Sprachlosigkeit herrscht. In Halt auf freier Strecke erzählt Dresen von einer Kleinfamilie, die damit kon­ frontiert wird, dass der Vater plötzlich an einem bösartigen Gehirntumor sterben muss und dabei seine Persönlichkeit, seine Sprache und sein Gedächtnis verliert. Es ist un­ möglich, nicht zutiefst erschüttert aus diesem Film zu gehen. In jeder Szene wird deut­ lich, wie sehr wir den Tod aus unserer Gesellschaft verdrängt haben und wie sehr sich diese Verdrängung rächt, wenn er tatsächlich über uns hereinbricht. In Wolke 9 ging Dresen das Thema Liebe und Sexualität im Alter an, ein Thema, über das in der Ge­ sellschaft fast noch weniger gesprochen wird als über den Tod. Eine Änderungsschnei­ derin, Ende sechzig, verliebt sich hier noch einmal und verlässt ihren Partner für einen anderen Mann. In einer Gesellschaft, die immer älter wird, schien dieser Film zu sagen, brauchen wir auch Bilder, die das in Würde reflektieren. Als der Film bei den Filmfest­ spielen in Cannes Premiere feierte, hielt der Applaus zehn Minuten lang an.

Andreas Dresen

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Es fällt schwer, Andreas Dresens soziales Verantwortungsbewusstsein nicht als Re­ aktion auf die Grenzsituationen und Brüche seiner Biografie zu lesen. Nach einem längeren Volontariat bei der DEFA, dem Filmstudio der DDR, studierte er zwischen 1986 und 1991 an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Pots­ dam-Babelsberg. Sein Abschluss fiel genau in die Wendezeit. Wenn er heute an jene Zeit zurückdenkt, hat er den Eindruck, relativ viel Glück gehabt zu haben. Doch das Chaos jener Ära ist heute für die wenigsten noch vorstellbar. Für die meisten von ­Dresens­Babelsberger Kollegen war mit dem Fall der Mauer schlichtweg auch die Film­ karriere zu Ende. Die jungen Filmhochschüler wie Dresen hatten wenn auch nicht gro­ ße, so doch schon etwas bessere Chancen, im gesamtdeutschen Filmmarkt Fuß zu fassen. Dresen gab nie auf, obwohl es oft so aussah, als wäre das vielleicht nicht das Unklügste. Es folgte eine lange Zeit der Verausgabung. Bei der Produktion seines Films Nachtgestalten schließlich – ein stimmungs- und kunstvolles Ensemblestück über die Wege verschiedener Menschen während einer Nacht in Berlin – standen Dresen und sein Produzent Peter Rommel kurz vor dem Bankrott. Beide waren so hoch verschul­ det, dass das Ende der Filmarbeit drohte. Der Film wurde glücklicherweise zum großen Hit der Berlinale des Jahres 1999 und zum Durchbruch für den damals 35-jährigen Filmemacher. Bis heute, 25 Jahre nach dem Mauerfall, nennen Kritiker Dresen immer wieder einen „ostdeutschen“ Regisseur. Natürlich käme niemand auf die Idee, seine Kollegen Tom Tykwer oder Florian Henckel von Donnersmarck als „westdeutsche“ Regisseure zu bezeichnen. Inzwischen finde er dieses Label erheiternd, sagt er. Und wenn man will, kann man es allen distinktionsfreudigen Untertönen zum Trotz sogar als eine Art Auszeichnung lesen. „Es ist eine tolle Erfahrung, in zwei Systemen gelebt und einen kompletten Umbruch durchlebt zu haben“, sagt Dresen. „Ich empfinde das als eine große Bereicherung für mich und zehre von den damaligen Erlebnissen.“ Ohne jene Erlebnisse, möchte man hinzufügen, wäre die Welt heute um einige beeindruckende Filme ärmer. Neben der Besetzungstafel für Arabella in Dresens Potsdamer Arbeitszimmer steht die Besetzungstafel für seinen nächsten Film. Als freischaffender Regisseur sei man permanent beschäftigt. Alles gehe Schlag auf Schlag. Beim nächsten Projekt handelt es sich um eine Neuverfilmung von Timm Thaler und Das verkaufte Lachen von James Krüss, es wird Dresens erster Kinderfilm werden. Der Waisenjunge Timm ver­ kauft darin einem nebulösen, teuflischen Baron sein Lachen und erhält im Gegenzug die Fähigkeit, jede Wette zu gewinnen. Er wird darüber zum reichsten Mann der Welt – und zum unglücklichsten. Auch in dieser Geschichte geht es also um falsche Hoff­ nungen, um Geld, und das, was es, wenn man nicht bei sich bleibt, mit einem machen kann. Der Film könnte nicht besser in unsere Zeit passen.

Daniel Schreiber ist Journalist und lebt in Berlin und London. Er schrieb die erste Biografie über die US-amerikanische ­Intellektuelle Susan Sontag und ist heute u.a. für die ZEIT, DU, das ­Philosophie Magazin und Deutschland­radio Kultur tätig. 2014 erschien sein Buch Nüchtern. Über das Trinken und das Glück.

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Andreas Dresen gehört zu den renommier­ testen deutschen Filmregisseuren der ­Gegenwart. Doch zunächst arbeitete er als Tontechniker am Theater in Schwerin. Von 1986 bis 1991 studierte er Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen­ ­„Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg und war anschließend Meisterschüler von Günter Reisch an der Akademie der Künste in Berlin. Er führte Regie u.a. bei den ­Filmen Stilles Land, Sommer vorm Balkon und Wolke 9. Mit Filmpreisen wurde er etwa bei den Filmfestspielen in Cannes und der Berli­nale ausgezeichnet, ­au­ßerdem erhielt er u.a. den Deutschen ­Filmpreis und den Grimme-Preis. Als ­Theaterregisseur ins­zenierte er u.a. am Staatstheater Cottbus, am Schauspiel Leipzig oder am Deutschen Theater in ­Berlin. 2006 führte er am Theater Basel Regie bei Don Giovanni, 2011 am ­Pots­damer Schlosstheater bei Le nozze di ­Figaro. Zudem ist er seit 2012 als ­juristischer Laie Verfassungsrichter im Land Brandenburg.

Arabella Oper in drei Aufzügen Von Richard Strauss Premiere am Montag, 6. Juli 2015, Nationaltheater Weitere Termine im Spielplan ab S. 209

Zeichnung Louis Granet



„Mélisande provoziert ihr Glück” Claude Debussy erzählt in Pelléas et Mélisande von einer verbotenen, todgeweihten Liebe. Regisseurin Christiane Pohle findet im Interview Worte für die scheinbar rätselhafte Oper, und deutet den Genuss am Unglück.

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Festspielpremiere Pelléas et Mélisande


Ein Holztisch in der Brasserie Ganymed, einem Restaurant in einem alten Eckhaus am Schiffbauerdamm, schräg vor dem Berliner Ensemble. Unter einer burgunderroten Markise schaut man hinweg auf die Spree. Die Sonne steht da, wo sie um die Mittagszeit meistens steht, während der abgekühlte, wolkenzerpflückte Himmel über Berlins Mitte in unruhigem Märzblau strahlt. Drinnen tragen die handverlesenen Kellner ­gestärkte, weiße Schürzen bis zum Boden, die dumpf rascheln, wenn sie über die knarzenden Dielen laufen. Hinterm Tresen faucht ein Dampfhahn. Christiane Pohle sitzt vor ­einem Glas Tee, sie trägt einen matt-schwarzen Trenchcoat, den sie anbehält, das dunkle Haar im Nacken gebunden. Am Haargummi leuchtet eine rote Plastikkugel.

MAX JOSEPH Frau Pohle, im Juni feiern Sie mit Pelléas et M ­ élisande an der Bayrischen Staatsoper Premiere. Ein rätselhaftes Stück. Wie viele Fragen sind noch offen? Christiane Pohle Einige. MJ Gibt es kritische Leerstellen? CP Die gibt es immer. Sie sind wichtig. Wenn es sie nicht gäbe, wäre die Probenphase das Allerlangweiligste. In der Vorbereitung weiß ich nie genau, wie eine Szene funktioniert. Wäre ja auch schrecklich. Man muss sich vorher maximal aufladen. MJ Sie arbeiten im Jahr an zwei bis drei Projekten gleichzeitig. Wie kann man sich „maximal aufladen“, wenn die Konzentration gespalten ist? Kurze Pause. Pohle wirkt sehr konzentriert. Wenn sie etwas sagt, will sie es ganz genau sagen. Vor sich hat sie ein ledergebundenes Notizbuch aufgeschlagen. Immer wieder drückt sie im Gespräch mit einem Kugelschreiber eilig Halbsätze und Wortfetzen auf eine frische Seite. Draußen nieselt es jetzt. Das Zuckerpäckchen auf ihrer Untertasse ist unversehrt. CP Manchmal habe ich das Gefühl, dass alles unterirdisch miteinander verbunden ist. In verschiedenen Projekten spiegeln sich bestimmte Themen, setzen sich fort, wiederholen sich. Es gibt eine Art Grundgeflecht. Das hat viel mit einem selbst zu tun. Aber natürlich ist es auch anstrengend, an unterschiedlichen Stellen gleichzeitig konkret zu sein. Das führt bei mir dazu, dass ich versuche, meine Projekte zeitlich weiter auseinanderzuziehen. MJ Ist das Theater dann der Raum für die maximale Entladung? CP Unter Umständen. Aber das Gegenteil kann genauso richtig sein. Der Theaterraum ist kein realer Raum. Ein Arbeitsort, sicher. Aber ein undefinierter Ort – im besten Fall. Ein Freiraum. Es ist ein großes Glück, immer wieder auf die Bühne gehen zu können und da ist nichts außer einer Möglichkeit. Alles hängt von dir ab, ob du es schaffst, etwas zu kreieren, das dir wichtig ist. Manchmal ist der Druck sehr hoch, weil vorausgesetzt wird, dass eine Kommunikation stattfindet, mit dem Ensemble, dem Publikum. Es ist wichtig, auf den Punkt zu kommen.

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MJ Wie kommt man auf den Punkt? CP Manchmal gar nicht. Manchmal ringt man acht Wochen miteinander und findet keine gemeinsame Sprache. Und manchmal haben die Qualen der Arbeit dann glücklicherweise trotzdem nichts mit dem Ergebnis zu tun. Man kann auch eine wunderbare Probenzeit haben und am Schluss kommt etwas sehr Lauwarmes dabei heraus. Das lässt sich schwer vorhersehen. Man kann nur versuchen, mit der größtmöglichen Sensibilität, Leidenschaft und Offenheit an die Sache zu gehen. Manchmal ist es nichts als Leiden. Aber die Vermeidung wäre schlimmer. Christiane Pohle ist eine der gefragtesten Regisseurinnen des Landes, 46 Jahre alt, ausgebildete Schauspielerin, Theater­mensch. Zweimal war sie bereits für den Nestroy ­nominiert. Gerade kommt sie von einem Arbeitstreffen mit ­ihrem langjährigen künstlerischen Partner Malte Ubenauf, mit dem sie regelmäßig Projekte entwickelt, auch Pelléas et ­Mélisande. Über welche Ideen sie gesprochen hätten, würde ich gerne wissen. Mysteriöses Schweigen. CP Ich mag es einfach nicht, wenn Dinge überdefiniert werden, sagt sie. Pohle hat große, klare Augen, die beim Denken nach oben wandern und die keinerlei Regung verraten. Ihr Lächeln verteilt sie sparsam und portionsweise. Was Pohle mag sind Brüche und Widersprüche. Unangepasst sein, uneindeutig. Sie mag „Schichten“, viele Schichten. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Realitäten. Ihre Arbeitsweise beschreibt sie als „assoziativ“, sie spricht von „diffusen Ideenräumen“, in die sie sich mit Vorliebe begibt, von „gekoppelten Gedanken“ und „Punkten der Kristallisation“, um die sie oszilliert. Es geht um „ständige Konkretion“, ohne je konkret zu werden oder besser: um das Konkrete gleich wieder zu brechen. CP Es liegt an einem selbst, ob man die Zwischenräume wahrnimmt oder ob man die Umwelt dafür verantwortlich machen will, dass einem selbst nichts einfällt. MJ Widersprüche statt Überdefiniertheit. Ist es das, was Sie am Text von Maeterlinck, der dem Libretto zugrunde liegt, angezogen hat? CP Ich mag Autoren, die permanent Widersprüche suchen und darin das Fantastische und Unmögliche zu finden, wie Gerd Jonke, Thomas Bernhard oder Ödön von Horváth. Wir leben in einer Gesellschaft, in der man sich sehr stark über die Zugehörigkeit zu etwas definiert. Zu einer Politik, einer Mode, einer Religion, einer Sexualität. Was mich bei Pelléas et Mélisande am Text genauso fasziniert wie an der Komposition Debussys ist, dass es eben nicht darum geht, die Dinge zu konkretisieren. Sie verschwimmen, bis irgendwann nicht mehr unterscheidbar ist, ob man sich in Sehnsucht, im Traum oder Wahn befindet – oder auch in der scheinbaren Realität. MJ Wie ist diese „scheinbare Realität“ dieser Oper ohne Anfang und ohne Ende, in der die Gefühle ständig kulminieren, für Sie beschaffen?

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CP Ich kann Pelléas et Mélisande nur schwer auf ein Familiendrama zusammenkochen. Oder auf eine Dreiecksliebesgeschichte mit tragischem Ausgang. Musik und Text folgen keiner stringenten Dramaturgie mit nacherzählbarer Psychologie. Mélisande sagt: „Ich bin nicht glücklich hier.“ Was Raum bekommt, ist die Sehnsucht nach Glück im gleichzeitigen Wissen, dass man es nicht finden wird. Interessant daran ist, dass das Bewusstsein über das eigene Unglück nicht zu Stillstand oder Depression führt. Im Gegenteil: Bei allen Figuren kommt es zu einem leidenschaftlichen Hineinwerfen in diesen Zustand mit größter Intensität. Eine fast schon fiebrige Suche nach dem Unglück. MJ Das heißt, die Figuren tragen ein destruktives Moment in sich? CP Ich weiß nicht, ob ich das destruktiv nennen würde. Ich habe sogar das Gefühl, dass es einen Genuss am ­Unglück gibt. Oder ein intuitives Wissen um die unmittelbare Nähe von Glück und Katastrophe. Mélisande provoziert ihr Glück, indem sie mit dem Ring über dem Brunnen spielt. Golaud schickt seine Frau mit Pelléas weg, um den Ring zu suchen. Alle Figuren führen Situationen herbei, die unmittelbar mit der Ahnung von Katastrophe verknüpft sind. Dabei geht es nicht um rationale Logik. Und das hat für mich mit dem Leben zu tun. MJ Die große Ode vom Streben nach Glück wird zum Streben nach Unglück? Mit Vorsatz? CP Das ist visionär! Es ist ein großer Trugschluss, anzunehmen, dass das Leben zu bewältigen ist. Es gibt etwas Schicksalhaftes in dieser Geschichte, aber nicht in Form einer übergeordneten Macht. Es gibt keine Götter, die die Strippen ziehen. Das Schicksal ist in den Figuren selbst begründet. Und da gibt es keine Eindeutigkeit, kein Ankommen und damit auch keine Zufriedenheit. MJ Deprimiert Sie das nicht? CP Nein. Mich erleichtert, dass es keine eindeutige Wahrheit gibt. Die Unauflösbarkeit, die hier beschworen wird, weder irgendwo herzukommen, noch irgendwo anzukommen wird zur Grundbedingung des Lebens. Niemand ist souverän. Die Frage, warum der Mensch da ist, wird zwar gestellt, beantwortet wird sie aber nicht. Weil sie nicht zu beantworten ist. Weil es darum auch gar nicht geht. MJ Aber worum geht es? CP Es geht um die Suchbewegung im Raum. Und meine Aufgabe ist es, diese Seelenbewegungen zu beschreiben und auf die Bühne zu übersetzen.

Pohle bittet einen der Weißschürzenkellner jetzt, die Musik, die aus der Box über ihr schallt, etwas leiser zu drehen. Sie hat sich warmgesprochen. Im Staccato geht es weiter: Man dürfe sich auf keinen Fall vom Offensichtlichen verführen lassen. In dieser Oper sei immer alles möglich. Was für ein Wesen Mélisande ist? Pohle versteht die Frage nicht. Eine Nymphe vielleicht? Natürlich nicht, eine Frau aus Fleisch und Blut. Welche unterschiedlichen Konzepte von Liebe sie sieht? Mit dem Wort „Konzept“ ist Pohle sehr uneinverstanden. Sie sehe unterschiedliche Sphären. Und in den Sphären Versuche. Und in jedem Versuch ein Scheitern. Und die Symbole, lassen die sich deuten? Jetzt überfällt Pohle eine Form von kontrollierter Rage: CP Für mich ist Maeterlinck in dem Sinne kein Symbolist! Die Zwischenbereiche, die Uneindeutigkeit, das Traumhafte – das ist alles sehr konkret beschrieben. Sehr detailliert. Es wäre falsch zu glauben, hier werde Diffusität mit Diffusität beschrieben. Ein Satz wie ein Kinnhaken. An Selbstvertrauen mangelt es ihr nicht. MJ Aber sein Ansatz ist ein symbolistischer. Die Seelenschau, das nach innen gewandte. Dazu strotzt sein Text vor Andeutungen und Aussparungen? CP Interessant ist in dem Zusammenhang, dass ­Debussy­­ seine Oper mit der Gattungsbezeichnung „drame lyrique“ versehen hat. Lyrische Bilder werden aufgetan, wenn es heißt: „Gib mir deine Hand.“ / „Meine Hände sind voll Blumen.“ Es gibt auch keinen eigentlichen Dialog. Die Gespräche scheinen vielmehr ineinandergeschobene, sich selten wirklich direkt aufeinander beziehende Monologe zu sein. Fast als wäre es gar nicht möglich, dass sich die Gesprächspartner in ein und demselben Gedanken- und Empfindungsraum befinden. MJ Im ausgehenden 19. Jahrhundert gewann die Psychoanalyse durch die Forschung Sigmund Freuds an Bedeutung, und dadurch das menschliche (Unter-)Bewusstsein als Wiege einer größeren Wahrheit. Macht es Sinn, die Oper vor diesem Hintergrund zu lesen, um die Symbole, die keine sind, zu deuten? CP Die Psychoanalyse als Wissenschaft versucht Dinge einzuordnen, sichtbar zu machen, um Bewusstsein und Erkenntnis und damit Veränderung zu schaffen. Natürlich kann man das auf diesen Stoff anwenden, ob man ihn dadurch wesentlicher erfasst, und ob es darum überhaupt geht, um diese Form der Ausdeutung und Ausleuchtung, weiß ich nicht. Man kann sich sicher fragen, wofür bestimmte Symbole stehen. Die Hände, der Brunnen, die Kälte. Interessant scheint mir aber, dass die

„Es liegt an einem selbst, ob man die Zwischenräume wahrnimmt oder ob man die Umwelt dafür verantwortlich machen will, dass einem selbst nichts einfällt.“ Christiane Pohle

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Symbole nicht verlässlich sind, ständig werden sie neu aufgeladen und sind entsprechend anders zu lesen. MJ Die kryptische Lesart dieser Oper macht es bis heute schwer, den Inhalt zu greifen und die Motivation der Figuren nachzuvollziehen. Wir leben in einer streng durchrationalisierten Welt, in der kaum Raum bleibt für Vages und Rätselhaftes. Was kann uns Pelléas et Mélisande deshalb heute noch sagen? CP Wenn diese Oper nichts mit uns zu tun hätte, würde ich sie nicht inszenieren. Dem Rätselhaften, Unsicheren, Uninterpretierbaren Raum zu geben, das als einen kostbaren Bestandteil des Lebens anzuerkennen, ist uns ja kaum noch möglich. Unterschiedlichkeit, Differenz, ­Widerspruch auszuhalten, die Tatsache der Trauer, der Einsamkeit, die Sehnsucht als Zentrum und nicht die ­Erfüllung, all das. Wenn man sich dem öffnen kann in der Arbeit, das macht was mit dir. In Pelléas et Mélisande gibt es verschiedenste Arten von Anziehung, Verstrickung, Projektion und Sehnsucht, Glück und Katastrophe. Es gibt nur kein Konzept. Und vielleicht ist das der Punkt. Wie das mit ihr selbst und dem Genuss am Unglück ist, ­würde ich zum Schluss noch gerne wissen, bevor sie gleich zurück nach München fliegt. Doch das Taxi wartet bereits. Sie legt ein paar Münzen auf den Tisch, und schon ist sie aus der Tür. Diese Frage müssen wir wohl offen lassen. Vorerst. Das macht Sinn.

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Sarah-Maria Deckert ist Journalistin und lebt in Berlin. Sie schreibt ­regelmäßig für Cicero und den Tagesspiegel. In München studierte sie ­Theaterwissenschaft, Literatur und Kunstgeschichte.

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Christiane Pohle, geboren in Berlin, studierte Schauspiel in Hamburg. Aus ihrer ersten Regiearbeit 1999 entstand die freie Theatergruppe Laborlavache. Oft entwickelt die Regisseurin Abende selbst, und inszeniert daneben auch bestehende Werke. Ihre Arbeiten wurden u.a. in den Sophiensælen Berlin, am Thalia Theater und auf Kampnagel in Hamburg, am Wiener Burgtheater, am Schauspielhaus Zürich, am Theater Basel, am Staatsschauspiel Stuttgart und an den Münchner Kammerspielen sowie im Rahmen der Ruhrtriennale und der Salzburger Festspiele gezeigt. In München, wo Pohle auch lebt, und in Ludwigsburg unterrichtet sie Schauspiel und Regie. Bei den Münchner Opernfestspielen 2009 brachte sie Jay Schwartz’ Kammeroper Narcissus und Echo zur Uraufführung, 2013 inszenierte sie mit dem Opernstudio Hans Werner Henzes Elegie für junge Liebende.

Pelléas et Mélisande Oper in fünf Akten und zwölf Bildern Von Claude Debussy Premiere am Sonntag, 28. Juni 2015, Prinzregententheater STAATSOPER.TV: Live-Stream der Vorstellung auf www.staatsoper.de/tv am Samstag, 4. Juli 2015 Weitere Termine im Spielplan ab S. 209

Text Sarah-Maria Deckert

Illustration Harriet Lee-Merrion


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E i n e

s c h l e c h t e

F e m i n i s t i n ?

Selbstbestimmten Frauen gehörte die Bühne der Bayerischen Staatsoper in dieser Spielzeit namens Blicke Küsse Bisse. Unklar ist im Jahr 2015 aber vieles. Darf eine selbstbestimm­ te Frau Cinderella bewundern, Pink lieben und Fernsehshows wie Der Bachelor unterhaltsam finden? Ein paar Fragen an die amerikanische Feministin Roxane Gay. MAX JOSEPH Ihr Essayband trägt den Titel Bad Feminist. Was ist der Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Feministin? ROXANE GAY Der Begriff bad feminist ist ein bisschen ironisch gemeint. Zuerst hielt ich es für ganz witzig und auch ein bisschen provokant. Ich will damit vor allem sagen, dass ich zwar ­ eine ernsthafte Feministin bin, aber eben auch Fehler habe oder schwach sein kann. MJ Gibt es den feministischen Mann? Wie müsste er sich verhalten – in der Liebe, im Alltag? ­ RG Jeder kann feministisch sein, solange man der festen Überzeu­ gung ist, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind und sich eine solche Überzeugung auch in Worten und Handlungen ausdrückt. MJ „Pink stinks!“ und „Pinkification“ – eine Kampagne und ein Schlagwort im Kampf gegen eine Farbe, die angeblich Kindern schadet, weil sie Geschlechterstereotype produziert. Stimmt das? RG Leider wird die Farbe Pink häufig verwendet um anzuzeigen, dass ein Produkt speziell für Mädchen oder Frauen bestimmt ist. Als ob eine Farbe nötig wäre, um Frauen von irgendetwas zu überzeugen. Ich lehne so etwas ab, obwohl ich Pink wahnsinnig gut finde und dagegen bin, dass Leute eine Farbe verachten, nur weil andere sie zu niedrigen Zwecken einsetzen. MJ Kinder lieben Märchen. Aber hat zum Beispiel Cinderella das Potenzial zum Vorbild? RG Natürlich kann Cinderella ein Vorbild sein. Cinderella überstand unglaublich harte Lebensumstände, und das ist doch ­ b ­ ewundernswert. MJ In Videospielen werden Frauen meist als schöne Opfer dargestellt. Dürfen Frauen diese Spiele spielen? ­

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RG Ja. Die Frauen sind hier nicht das Problem, sondern die Spieleentwickler. Und wir sollten keinesfalls auf unterschied­ ­ liche Unterhaltungsformen verzichten müssen, nur weil diese Entwickler eine sehr begrenzte Vorstellungskraft und eine ­ bescheidene Er­ ­ findungsgabe besitzen. MJ Welchen Einfluss haben Model-Casting-Shows und Shows wie Der Bachelor oder Die Bachelorette auf junge Frauen und ­Männer? RG Auch wenn es Spaß macht, diese Shows anzusehen, so verbreiten sie doch sehr problematische Vorstellungen von Liebe, dem Streben danach und davon, wer es verdient, geliebt zu werden. Diese ­Sendungen tun so, als wäre das wirkliche Leben wie ein Märchen, was es ganz entschieden nicht ist, zumindest nicht im traditio­ nellen Sinn. MJ Instagram hat Bilder von stillenden Frauen und Menstruations­ flecken zensiert, mit der Begründung, dass diese Bilder gegen die Richtlinien des Netzwerks verstoßen. Was ist der Grund dafür? RG Eine tiefgreifende Angst vor weiblichen Körpern, die unan­ ständige Dinge tun wie bluten oder Milch produzieren. Manche Menschen wollen vor der Realität unserer Körper geschützt werden. Leider. MJ Was halten Sie von E. L. James’ Roman-Trilogie Fifty ­Shades of Grey? Ist das Pornografie? Ist die weibliche Hauptfigur eine emanzipierte Frau? ­ RG Ich habe einen Essay über diese Trilogie geschrieben. Die Bücher sind eigentlich sehr unterhaltsam und manchmal sogar sexy. Aber sie verbreiten auch eine völlig falsche Vorstellung von BDSM („Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & ­Masochism“, d. Red.) und lassen Christian Greys Kontrollaktionen und manchmal missbräuchliches und demütigendes Verhalten ro­ mantisch erscheinen. Ich möchte nicht beurteilen, ob Anastasia eine emanzipierte Frau ist. Trotzdem denke ich, dass das Buch ihr nicht einmal die Möglichkeit bietet, sich selbst zu verwirklichen. MJ Warum täuschen Frauen einen Orgasmus vor? Hat das mit dem Mann zu tun oder mit der Frau? RG Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal sind wir müde und wollen nicht so viel Energie auf den Orgasmus verwenden. Manchmal ­

Blicke Küsse Bisse

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schafft es auch unser Partner nicht, uns zum Höhepunkt zu brin­ gen, egal, wie ausdauernd die Versuche sind, und wir wollen dann die Sache zu einem gnädigen Ende bringen. Manchmal ist auch der Sex schauderhaft und wir wollen es einfach schnell beenden. Auf jeden Fall hat es sowohl mit Frauen als auch mit Männern zu tun. Menschen jeden Geschlechts und jeder sexuellen Orientierung täuschen aus den unterschiedlichsten Gründen Orgasmen vor. ­ MJ Nach heftigen Kontroversen und auch vielen weiblichen Gegnern wurden in Deutschland mit Bundestagsbeschluss vom 6. März 2015 große Unternehmen verpflichtet, Aufsichtsräte mit mindestens 30 Prozent Frauen zu besetzen. In den USA gibt es keine Frauenquote, aber was halten Sie davon? RG Frauen sind in vielen Unternehmen stark unterrepräsentiert und verpflichtende Quoten sind ein großartiges Mittel, um dieses Ungleich­ gewicht zu beheben. Es gibt unzählige hochqualifizierte Frauen, denen lediglich nicht die Möglichkeit geboten wird, ihre Fähigkeiten voll einzusetzen. MJ Was halten Sie von Angela Merkel? RG Kanzlerin Merkel ist eine sehr beeindruckende Frau. Ich be­ wundere sie und ihre Art, Deutschland zu regieren wirklich sehr. MJ Wann gibt es die erste amerikanische Präsidentin? RG Ich hoffe 2016. MJ Wird es jemals eine Päpstin geben? RG Das bezweifle ich. Bis heute dürfen Frauen in der katholischen Kirche ja noch nicht einmal Priester werden. Die Fragen stellte Sabine Voß.

Die US-amerikanische Autorin und Englisch-Professorin Roxane Gay setzt sich in ihren Texten für geschlecht­ liche und ethnische Gleichberechtigung ein. Sie wurde bekannt für ihren ­ wilden und zugleich präzisen und klaren Stil, vor allem im Internet und in ihren Kolumnen für den britischen ­uardian. 2014 erschienen ihr Roman An Untamed State und der G Essay-Band Bad Feminist.


böhmler im tal führt die großen Marken dieser Welt – zum Beispiel den Sessel Jason von Walter Knoll. Fotografiert im Münchener Staatstheater am Gärtnerplatz.


Wie ein ­Spinnennetz zwischen den Händen 60

Festspielpremiere Pelléas et Mélisande


Die Liebe zwischen Pelléas und Mélisande scheint verborgen, ­geheimnisvoll und entrückt. Die Sopranistin Elena ­Tsallagova und der Bariton Elliot Madore singen die Titelpartien in ­Debussys Oper. MAX J ­ OSEPH hat die beiden getrennt voneinander befragt. Und über das Liebespaar zwei Wahrheiten gefunden.

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„Pelléas weiß instinktiv, wie er sich ihr nähern muss.“

„Sie mag das Mondlicht mehr als den Sonnenschein.“

Der Bariton Elliot Madore über Pelléas

Die Sopranistin Elena ­Tsallagova über Mélisande

MAX JOSEPH Herr Madore, die Rolle des Pelléas ist speziell, denn es ist keine Tenorrolle, wie sonst üblich in einer Liebesgeschichte der Oper. Pelléas ist ein eher hoher Bariton, befindet sich also genau in der Grenzzone zwischen den zwei Fächern. Ist das besonders schwierig für Sie? ELLIOT MADORE Für mich fühlt es sich sehr natürlich an, diese Rolle zu singen. Es geht ja darum, die richtigen Färbungen hinzubekommen, wie ­Debussy sie im Kopf hatte. Ein Bariton trifft das besser. Ich beschäftige mich nun seit ungefähr fünf Jahren mit dieser Rolle und habe beinahe das Gefühl, es war mir bestimmt, sie zu singen; diese spezielle Lage ist wie für meine Stimme gemacht. MJ Die Oper gilt ja als sehr geheimnisvoll und symbolistisch. Was denken Sie über Pelléas und Mélisande als Paar? EM Es ist sicherlich keine normale, konventionelle Liebesgeschichte von zwei Menschen, die zusammenfinden. Pelléas und Mélisande haben eine eigene Sprache für ihre Liebe. Die beiden kommunizieren auf eine Art, die wir nicht verstehen können. Was sie zusammenbringt, ist genau diese eigene Sprache, dieses Geheimnis, dieses mysteriöse Band, das sie zusammenhält. Es ist genau deswegen so schön, weil wir es so wenig verstehen. MJ Glauben Sie, es gibt einen Moment, in dem Pelléas das Gefühl hat, Mélisande endlich zu besitzen? EM (lacht) Das ist eine gute Frage! Ich würde s­ agen, ­Mélisande ist einfach sehr schwer zu fassen. Es ist schwer, einen Moment zu finden, wo er sich ihrer sicher sein kann, wo sie die Seine ist. Ein solcher Moment ist vielleicht das Ende des vierten Akts, als sie zusammen sind und hören, wie Golaud kommt. Sie erschrecken, und Pelléas glaubt, Golaud wird sie beide töten. Aber anstatt zu fliehen, ­fordert er von Mélisande: „Ta bouche!“ – Schenk mir deine Lippen, deinen Mund, damit ich dich küssen kann! Er riskiert sein und ihr Leben, er weiß, er wird sterben, aber er will bei ihr bleiben. Und diese Entscheidung bedeutet für mich, dass sie ihm hier endlich für einen Augenblick gehört. MJ Nach dem vierten Akt ist Pelléas tot. Mélisande wird auch sterben. Ist es keine Liebe für diese Welt? EM Ja, ich habe so ein Gefühl, dass das sein kann. Es ist uns nicht möglich, eine solche Liebe an so

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MAX JOSEPH Frau Tsallagova, was ist ihre Lieblingsszene in Pelléas et Mélisande? ELENA TSALLAGOVA Das ist schwierig. Die Szenen sind so unterschiedlich, und für mich fließen sie ineinander. Ich sehe sie nicht isoliert. Aber das Ende, den fünften Akt, mag ich eigentlich am liebsten, denn dann ist es am intensivsten. MJ Also den Moment, in dem Mélisande sterben wird. Was bedeutet ihr Tod für Sie? ET Ich mag diesen fünften Akt besonders, weil es nicht ihr tatsächlicher Tod ist. Es weiß ja niemand, woher sie kommt, und wohin sie am Ende geht. Es scheint mir eine Wiedergeburt, eine Wiederholung einer bereits gemachten Erfahrung zu sein. Für mich ist Mélisande nicht irdisch, sie ist schwebend. Sie unterscheidet sich substanziell von den anderen Figuren, den Menschen. MJ Das Thema der Wiederholung ist überhaupt in diesem Werk sehr wichtig, auch strukturell. Mélisandes Schlussworte richten sich ja auch an ihre Tochter. Vielleicht entsteht eine neue Mélisande, vielleicht hat jeder eine Mélisande in sich? ET Ja, vielleicht. Aber der Punkt ist: Sie versteht ihre Tochter nicht. Sie denkt, ein Teil von ihr hat das gleiche Schicksal, weint wie sie selbst. Ich glaube nicht, dass Mélisande glücklich ist, oder glücklich werden kann, also wiederholt sich immer ihre eigene Traurigkeit. Vielleicht wird es hin und wieder Glück für sie geben, aber kein dauerhaftes. MJ Vor Mélisandes Tod stirbt bereits am Ende des vierten Akts Pelléas. Glauben Sie, es gibt eine Verbindung zwischen den beiden im Tod? ET Ja, unbedingt. Sie lebt vielleicht für diesen Liebesmoment. Und deswegen muss sie womöglich auch verschwinden. Es gibt nichts mehr, das sie auf der Welt hält. Es erinnert vielleicht ein bisschen an Tristan und Isolde, womit dieses Werk immer wieder verglichen wird, wo eine Liebe auf Erden nicht möglich ist. MJ Hilft uns Debussys Musik dabei, die Figuren besser als in Maeterlincks Text zu verstehen? ET Im Libretto und auch in Maeterlincks Drama ist natürlich alles sehr symbolisch, es sind lange Sätze, und die Bedeutung ist gewissermaßen verschleiert. Jedes Wort ist bedeutsam. Es ist ein schwieriges Werk, für

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„Pelléas und Mélisande haben eine eigene Sprache für ihre Liebe, die wir nicht verstehen können. Genau diese eigene Sprache, dieses Geheimnis, dieses mysteriöse Band hält sie zusammen. Es ist genau deswegen so schön, weil wir es so wenig verstehen.“ – Elliot Madore

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„Ich glaube nicht, dass Mélisande zu Bissen fähig ist. Vielleicht könnte man die Tatsache, dass sie und Pelléas sich trotz aller Nähe und ­Zu­neigung, trotz aller Versuche, den anderen zu ergründen, nicht vollständig verständigen können, als den Biss bezeichnen.“ – Elena Tsallagova

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Vorstellungsankündigung


e­ inem dunklen, düsteren Ort zu leben, versteckt und im Schatten. Ich glaube, das trifft in gewisser Weise auch auf die anderen Charaktere zu. Sie alle versuchen, das Glück zu finden, Liebe und Licht zu finden. Was es so schmerzlich und so schön zugleich macht, ist, dass es nur ihr eigenes Schicksal gibt, sie können keinen Ausweg aus ihrer Lage finden. Es berührt mich sogar jetzt, in diesem Moment. Es ist für mich einfach die schönste Musik, die je geschrieben wurde. Und eine der großartigsten Geschichten aller Zeiten, mit Worten nicht zu beschreiben. Debussy ist ein Genie, ein Meister darin, so viele Farben im Orchester zu zeigen, so viel Geheimnis und so viel Schönheit. Die Geschichte und die Musik sind so zart und zerbrechlich, als hielte man ein Spinnennetz zwischen den Händen. MJ Gibt es Momente in Pelléas et Mélisande, die Sie an heutige Beziehungsformen erinnern? Geht uns das, was zwischen ihnen passiert, heute immer noch an? EM Ja, unbedingt! Wir gehen heute doch durch die gleichen Probleme, jeden Tag. Schauen Sie, Golaud und Mélisande sind ein Paar, sind verheiratet, und doch sprechen sie nicht die gleiche Sprache, sie verstehen sich nicht. Ich sehe Golaud nicht als schreckliche Person oder als bösartig. Ich sehe ihn als ­jemanden, der einen anderen Menschen verzweifelt zu verstehen versucht. Und dabei scheitert er. Und das, worin er scheitert, das schaffen Pelléas und ­Mélisande.­Sie sind zwei junge verliebte Menschen, die wissen, wie man einander zuhört, wie man auf den ­anderen reagiert, offen und ehrlich. Es ist eine Beziehung, die funktioniert, wohingegen die Be­ziehung zwischen Golaud und Mélisande beschädigt ist. Die Tragik für Golaud besteht auch darin, dass er den Schlüssel zu diesem Verständnis zwischen beiden auch nicht einfach nachleben kann, keine Regel ­ableiten kann; das Geheimnis bleibt verschlossen. Wir heute fühlen uns doch auch oft festgefahren und fragen uns, wie wir aus solchen Situationen wieder rausfinden können. MJ In der Oper findet man viele Stellen, an denen Pelléas versucht, Mélisande zu berühren. Sie eröffnet das Werk ja sozusagen mit dem Berührungsverbot oder dem Flehen „Ne me touche pas!“. Zuerst ist es Golaud, von dem sie sich nicht berühren lassen will. Aber dann verweigert sie das auch Pelléas. Er will sie berühren, zuerst die Hände, dann den Arm, dann den Mund, will sie küssen. Sind diese Versuche der Berührung wichtig? Bedarf es noch einer Berührung, um die ungeheure Nähe zwischen ihnen zu besiegeln, zu verstärken … zu steigern? EM Also … jetzt würde ich am liebsten meine Noten holen, warten Sie. Es gibt da nämlich eine Stelle in der letzten gemeinsamen Szene, wo Pelléas über Berührungen spricht. Und ich glaube, er sagt da so

das Publikum nicht leicht zu verstehen. Man muss sich in diese Zauberwelt von Debussy und Maeterlinck ­hineinversetzen. MJ Der Dirigent und Komponist Pierre Boulez sah in Pelléas et Mélisande eine „ständige Überkreuzung von Realismus und Symbolismus“, nicht nur im Text von Maeterlinck, sondern auch in Debussys Musik. ET Ja, ich kann das auf jeden Fall von Mélisande sagen: Sie ist eine Mischung aus Mensch und symbolischer Figur. Es geht um eine Art Minimalismus, ein Minimalismus in den Details und auf der realistischen Handlungsebene. Als Figur ist sie nicht ganz aufzuschlüsseln, aber sie ist definitiv ein positiver Charakter, nur sehr losgelöst von der realen irdischen Handlung. Ja (lacht), es ist schwer zu erklären, aber das sind meine Gedanken. MJ Gibt es eine spezielle Szene von Mélisande, vor der Sie besonderen Respekt haben, weil sie sehr anspruchsvoll ist? ET Ja, diese leidenschaftliche, gewalttätige Szene mit Golaud, bei der Mélisande trotzdem gewissermaßen unberührt bleibt von allem, was ihr zustößt. Es hat ja keine Bedeutung für sie, wie andere handeln, weil sie vorhersieht, wie alles enden wird. MJ Diese Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper ist überschrieben mit Blicke Küsse Bisse – verschiedene Stadien zwischenmenschlicher Beziehungen. Können Sie diese magischen Momente einer Liebesbeziehung auch zwischen Pelléas und Mélisande entdecken? ET Blicke auf jeden Fall. Wenn Pelléas und Mélisande sich das erste Mal sehen, dann wusste sie ja schon vor diesem Zusammentreffen, dass etwas Schönes geschehen würde. Und dann passiert dieser erste Blick, und mit ihm genau das, was sie suchte: diese Reinheit, diese Ruhe. Sie kommen sich das erste Mal näher. Der Ort ist nicht besonders schön, eher düster. In solchen Stimmungen fühlt sich Mélisande übrigens am wohlsten. Sie mag das Mondlicht mehr als den Sonnenschein. Aber sie mag auch die völlige Dunkelheit nicht, sie hat Angst davor. MJ Glauben Sie, dass die Liebe zwischen Mélisande und Pelléas immer konstant bleibt? Auch im dritten Akt in der Turmszene? Es scheint, dass sie manchmal sehr allein ist und glaubt, niemand könne sie verstehen. ET Ja, das ist interessant. Denn sie ist ja immer allein. Diese Liebe ist keine, die zwei normale Menschen miteinander haben können. Mit Golaud war es eine menschliche Liebe. Er liebt sie als Frau, als Ehefrau, das ist sehr stabil und greifbar für ihn. Für Pelléas dagegen ist die Liebe zu Mélisande etwas ganz Neues. Mélisande aber fühlt sich immer allein; sie weiß, dass es keine leidenschaftliche Liebe ist, dass sie immer einsam, allein sein wird. Auch wenn sie versucht, ihm zu schmeicheln, wenn sie mit dem Ring spielt, bleibt sie doch immer entfernt von Pelléas, unberührt. Ich

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etwas wie: Ich fürchte mich beinah, dich zu berühren … (holt seine Noten und blättert) Hier, ich habe es gefunden! Noch ein paar andere Stellen: Im dritten Akt ruft er: „Ta main, ta main!“ Und sie gibt ihm nicht ihre Hand, sie gibt ihm ihr Haar! Das finde ich doch sehr interessant. Im 4. Akt kommt sie dann einmal durch die Tür und sagt, dass ihr Kleid auf dem Weg zu ihm gerissen ist. Und Pelléas’ Antwort ist: „Meine arme Mélisande! Ich habe fast Angst, dich zu berühren.“ Anders als Golaud weiß Pelléas instinktiv, wie er sich ihr nähern muss, mit ihr sprechen muss, für ihn ist sie so schön, so besonders, so zerbrechlich, dass er Angst hat, sie zu berühren, obwohl er es will. Er spürt diese faszinierende Energie zwischen ihnen, aber er ist vorsichtig, da sie für ihn etwas so Kostbares ist. Und er würde nie etwas tun, das das beschmutzen könnte, eine negative Energie zwischen sie bringen könnte. MJ Haben Sie bei einem Debüt einen Talisman bei sich oder ein bestimmtes Ritual? EM Oh nein, das habe ich nicht. Aber vor einer Vorstellung bin ich wirklich ein Eremit. Ich ziehe mich zurück und will den ganzen Tag mit niemandem sprechen und niemanden sehen. Ich bin einfach ganz konzentriert auf die Oper und die Musik, mein Leben wird davon vollständig okkupiert. MJ Dann hatten wir ja Glück, dass wir heute schon mit Ihnen sprechen konnten!

Elliot Madore studierte am Curtis Institute of Music in Philadelphia. Sein Europa-Debüt gab er beim Glyndebourne Festival. Seit 2013 ­gehört er zum Ensemble des Opernhauses Zürich und gastierte an zahlreichen Opernhäusern, u.a. an der Metropolitan Opera in New York. Zu seinem Repertoire gehören etwa der Harlekin (Ariadne auf Naxos), Silvio (Pagliacci) sowie die Titelpartie in Don Giovanni. Im Frühling 2015 sang er das erste Mal die Partie des Pelléas am ­Kro­atischen Nationaltheater in Zagreb. Mit dieser Rolle debütiert er nun auch an der Bayerischen Staatsoper.

Die Gespräche führten Benedikt Stampfli und Maria März.

weiß nicht, ob es wirklich Bisse gibt zwischen ihnen. Küsse, ja, natürlich. Aber ich glaube nicht, dass ­Mélisande zu Bissen fähig ist. Vielleicht könnte man die Tatsache, dass sie und Pelleás sich trotz aller Nähe und Zuneigung, trotz aller Versuche, den anderen zu ergründen, nicht vollständig verständigen können, als den Biss bezeichnen. Wenn Pelléas sagt, dass er gehen muss und sie nicht versteht, wovon er spricht, warum er gehen muss, da klafft diese große Distanz zwischen ihnen. MJ Sie kehren jetzt zurück nach München, nachdem Sie von 2008 bis 2010 Ensemblemitglied an der Bayerischen Staatsoper waren. Mit welchen Gefühlen kommen Sie wieder? ET Es ist sehr aufregend für mich, denn ich bin wirklich glücklich, gerade für diese Rolle zurückzukommen. Sie ist so ganz anders als die Partien, die ich früher dort gesungen habe. Ich freue mich schon sehr darauf.

Elena Tsallagova, geboren in Vladikavkaz/Russland, studierte u.a. am Konservatorium in St. Petersburg. Von 2008 bis 2010 war sie Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper und wechselte anschließend ins Ensemble der Deutschen Oper Berlin. Zudem gastierte sie an zahl­ reichen Opernhäusern, u.a. in Madrid, Lille und Antwerpen sowie bei den Festivals von Glyndebourne, Salzburg, Luzern und Pesaro. Zu ihren Partien gehören u.a. Pamina (Die Zauberflöte), Nannetta (Falstaff) und Sophie (Der Rosenkavalier). Die Partie der Mélisande sang Tsallagova erstmals 2012 an der Opéra National de Paris.

Pelléas et Mélisande Oper in fünf Akten und zwölf Bildern Von Claude Debussy Premiere am Sonntag, 28. Juni 2015, Prinzregententheater STAATSOPER.TV: Live-Stream der Vorstellung auf www.staatsoper.de/tv am Samstag, 4. Juli 2015 Weitere Termine im Spielplan ab S. 209

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Saints M端nchen


„Gäbe es bei uns einen Maidan, wären die Homosexuellen als Erste auf den Barrikaden“ Fünf Mitglieder der Moskauer Gay-Community schildern ihre Situation.

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Im Jahr 2007 inszenierte Krzysztof Warlikowski an der Bayerischen Staatsoper Peter I. Tschaikowskys Eugen Onegin als die Tragödie einer versteckten und verhinderten schwulen Liebe: der des ­Titelhelden zu seinem Freund Lenski. Die Produktion sorgte ­bereits damals – im vergleichsweise liberalen München – für einen Skandal und für Schlagzeilen wie „Homosexueller Regisseur ­vergewaltigt heterosexuelle Oper“. Zu den Festspielen ist die ­I nszenierung in spektakulärer Besetzung erneut zu sehen. Ihr Thema ist aktueller denn je. In Tschaikowskys Heimat Russland verabschiedete die Regierung Putin im Jahr 2013 das „Gesetz über das Verbot der Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ (im Russischen Sprachgebrauch: Anti-Homosexuellen-­ Gesetz). Seither haben Übergriffe gegen Homosexuelle massiv zugenommen. Über Gewaltexzesse wurde auch international breit berichtet. Weniger bekannt ist, wie sich seither das alltägliche Leben und die Stimmung für Homosexuelle verändert haben. Der russische Journalist Artem Galustyan hat fünf Personen gebeten, von ihrer Situation zu erzählen. Ihre Meinungen unterscheiden sich. Allen Sprechern gemeinsam aber ist, dass sie das Gesetz als Werkzeug des Populismus wahrnehmen. Sie beschreiben, wie es seine fatale Wirkung entfaltet. Alexander, ein zwanzigjähriger Moskauer, trifft sich mit seinem geliebten Damian, der in Prag wohnt. Er bezeichnet sich als offen schwul, seine Eltern wissen jedoch nichts von seiner sexuellen Orientierung. Während eines Spaziergangs durch das Zentrum der russischen Hauptstadt bat Damian ihn einmal, seine Hand zu nehmen, was er aber ablehnte. „Ich glaube nicht, dass wir so unbehelligt durch die Stadt gehen können. Ich weiß nicht, wie die Leute darauf reagieren werden“, erklärte Alexander seinem Freund. Er gibt zu, dass er, selbst wenn er in ein Café geht, ein Lokal auswählt, in dem die Tische weit auseinander stehen. Der junge Russe befürchtet, dass die anderen Gäste des Cafés, sobald sie bemerken, dass neben ihnen Homosexuelle sitzen, sie anfeinden könnten. Das Paar trifft sich bevorzugt fernab von fremden Blicken: bei Freunden oder im Hotel. Alexander sagt, er habe früher ein solches Unbehagen nicht verspürt. Seine Ängste und Befürchtungen sieht er im Zusammenhang mit der schwu-

Apropos Eugen Onegin

lenfeindlichen Kampagne der russischen Regierung, gipfelnd im Anti-Homosexuellen-Gesetz aus dem Jahr 2013. Nachdem die strafrechtliche Verfolgung sexueller Beziehungen zwischen Männern am 3. Juni 1993 abgeschafft wurde, gab es seit den 2000er Jahren sowohl auf föderaler als auch auf regionaler Ebene immer wieder Versuche, ein Verbot der „Propaganda“ von Homosexualität in Russland gesetzlich zu verankern. Dem föderalen Verbot gingen zunächst zahlreiche gleichlautende regionale Verbote voraus. Am 11. Juni 2013 schließlich verabschiedete die Staatsduma ein Gesetz, das „Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ verbietet. Diese wird definiert als „Verbreitung von Informationen zur Entwicklung einer nicht-traditionellen sexuellen Orientierung, der Attraktivität derartiger Beziehungen und der fälschlichen Auffassung von gesellschaftlicher Gleichstellung der traditionellen und der nicht-traditionellen Beziehungen“. Vor allem das Wort

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„Gleichstellung“ ruft bei den Gegnern des Gesetzes Empörung hervor. Ver­ arauf, weist doch das Gesetz praktisch d dass Homosexuelle und Heterosexuelle nicht gleichgestellt sind. Es wurde auch im Ausland gleich nach seiner Verabschiedung kritisiert. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Markus Löning forderte damals Präsident Putin auf, das Gesetz nicht zu unterschreiben, weil es seiner Meinung nach „die ­ gesellschaftliche Isolierung der Vertreter sexueller Minderheiten verstärkt und die freie ­Meinungsäußerung einschränkt“. Der russische Präsident erklärte damals als Antwort auf die Angriffe, dass­ Gesetz „in keiner Weise die das ­ ­Homosexualität verbietet“, sondern le­ inder vor Informationen diglich „die K darüber schützt“. Er hob besonders hervor, die ausländischen ­Kollegen mögen sich bitte „in die Regelung dieser ­Frage“ nicht einmischen. Etwas später, im Sommer 2013, kam es in Moskau zu einigen Aktionen zum Schutz der LGBT-­ Community (für ‚Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender‘, d. Red.). Bei diesen Veranstaltungen kam es zu Übergriffen, als Schwulen-Gegner mehrere Homo­ sexuelle verprügelten. Auf den zentralen Fernsehkanälen verstummten die Diskussionen zu diesem ­Thema nicht. Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche erklärten im Großen und Ganzen ­ nterstützung für das neue Gesetz. ihre U In den Medien erschienen immer häufiger Meldungen über Vorfälle an Schulen, in denen homosexuelle Lehrer oder jene, die sie unterstützten, entlassen wurden. Größte Resonanz in der russischen Öffentlichkeit, vor allem in der Szene und bei Menschenrechtsorganisationen, rief aber die Ermordung des 23-jährigen Vladislav Tornovoy in Wolgograd hervor. Ihm wurden drei Bierflaschen in den Anus geschoben, danach haben die Täter mit einem Stein noch seinen Kopf zerschmettert. Die Mörder, die zu 21 bzw. 19 Jahren Haft verurteilt wurden, gaben zu, Vlad getötet zu haben, weil sie Schwule hassen. Gespräche und Dispute um dieses

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Thema reißen bis heute nicht ab. Viele Homosexuelle verlassen Russland, andere kämpfen weiterhin für ihre Rechte, und Dritte ziehen es vor, ihre sexuelle Orientierung zu verheimlichen. Die Frage, wie schwer es die Lesben und Schwulen im heutigen Russland haben, wird von den Mitgliedern der LGBT-Community ganz unterschiedlich beantwortet.

Igor Yasin, 35 Jahre, einer der führenden Aktivisten der ­Homo­sexuellenbewegung in Russland

Die Fotos auf diesen und den folgenden Seiten zeigen das „International LBGT Film Festival Side by Side“, das vom 23. bis 26. April 2015 in Moskau zum vierten Mal seit 2012 stattfand. Gezeigt wurden über 20 Filme, darunter ­Teilnehmer-Filme der Festivals von Cannes und Berlin und des Sundance Festivals. Zudem wird der Gewinnerfilm des drei Jahre älteren „Schwester-Festivals“ Side by Side St. Petersburg gezeigt, das den sogenannten Bobik Award für LGBT-sensible Filme vergibt. Dazu zählte zum Beispiel 2014 der deutsch-­litauische Dokumentarfilm Julia, und 2013 Blau ist eine warme Farbe von Abdellatif Kechiche, Gewinner der Goldenen Palme von Cannes.

„Die drei Hauptprobleme für Homosexuelle in Russland sind heute: Gewalt, Diskriminierung (vor allem am Arbeitsplatz und bei der Strafverfolgung) und die Einschränkung der freien Meinungsäußerung. Auch früher gab es diese Probleme, aber sie waren nicht so ausgeprägt. Wir haben bis zum Schluss nicht geglaubt, dass das schwulenfeindliche Gesetz verabschiedet wird. Ende 2011, als dieses Gesetz diskutiert wurde, dachten die meisten, dass nach den Wahlen alles in Vergessenheit geraten würde. Uns erschien es als Wahlkampf-Populismus der Regierung. Als es dann aber zu oppositionellen Protestaktionen kam und diese ein gewisses ernstzunehmendes Potenzial entwickelten, beschloss die Regierung, die LGBT-Karte auszuspielen. Es war ein Werkzeug, um die Gesellschaft zu spalten und um damit auf die Popularität der liberalen toleranten Opposition Einfluss zu nehmen. Dieser Schritt ging einher mit einer konservativen Politik des Staates und seiner Anbiederung an die Russisch-Orthodoxe Kirche. Das Gesetz selbst ist nichts weiter als eine Formalität. Es wird, grob gesagt, auch gar nicht angewendet, aber der Staat brauchte diese Hetze und die ganze antihomosexuelle Kampagne.


Die Regierung hat die Verabschiedung des Gesetzes hinausgezögert und so die Diskussion und die Hetze angeheizt, bis sie mit der Zeit richtig zunahm. Es ist weniger ein Gesetz als vielmehr ein Signal, ein Impuls aus dem Kreml, der radikalen Kräften und politischen Randgruppen das Recht gibt, gegen Homosexuelle vorzugehen. Homosexuelle haben sich daran gewöhnt, dass sie Opfer homophober Übergriffe und Objekte von Gewalttaten werden können. Dagegen fühlen sich diejenigen, die sie angreifen, sicher. Und dann stellt die Regierung diese als Vertreter der Meinung des Volkes hin. Viele russische Bürger hatten im Alltag zwar Vorurteile, waren aber nicht wirklich aggressiv eingestellt. Unsere Menschen sind nicht schlechter und nicht besser als die Westeuropäer. Die ganze Perfidität besteht jedoch darin, dass sich unsere Regierung die Vorurteile der Menschen zunutze macht, diese künstlich auf ein neues Niveau hebt und zu ihren Zwecken Hass schürt. Damit sammelt sie politisch Punkte bei der konservativen Bevölkerung. Ungeachtet dessen sehe ich aber auch einen positiven Effekt. Dank dessen, was geschehen ist, sind wir zusammengerückt. Wir haben nicht tatenlos zugesehen, sondern haben unsere Haltung zum Ausdruck gebracht. Dass wir Aktivisten wie ein Häufchen Verrückter wirken, mag für manchen ein Reizfaktor sein, aber es normalisiert die LGBT-­ Community als politisches Subjekt. ­Unser Zusammenhalt als Gruppe hat Einfluss auf jene, die auf uns schauen. Die Situation zwingt jene, die sich früher neutral verhalten haben, da­ rüber nachzudenken. Darum ist das, was wir machen, zweifelsohne wichtig. Es hilft anderen, sich sicherer zu fühlen. Früher, noch vor der Verabschiedung des Gesetzes, gab es keine offene Diskussion zum Thema Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle und Transgender. Jetzt gibt es diese Diskussion, wenn auch mit

Text Artem Galustyan

Eine der Besucherinnen des Festivals war Olga Kuracheva (im Bild oben), die in diesem ­Artikel zu Wort kommt. Ein russischer ­Filmemacher drehte gemeinsam mit ausländischen Produzenten zwei Jahre lang einen ­Dokumentarfilm über Olga und ihre Partnerin.

eher negativem Akzent. Aber wir sind zu ernstzunehmenden, agierenden Bürgern geworden. Wenn das auch ein schmerzhafter Prozess ist, so ist es doch ein Prozess der Normalisierung – wir sind endlich sichtbar. Wir haben früher wie in einem Schrank gesessen und keine Luft bekommen. Jetzt öffnet sich der Schrank, und es tun sich andere Probleme auf. Aber langsam treten wir nun aus diesem Schrank heraus. Seltsamerweise fühle ich mich heute freier als früher. Wir verstehen, dass jeglicher Aktivismus für den konservativen Teil der Gesellschaft immer ein Reizfaktor sein wird. Aber die Emanzipation und der Kampf um die Rechte sind nirgendwo leicht gewesen. Ich bin überzeugt, dass die Homosexuellen, wenn es bei uns einen eigenen Maidan gäbe, als Erste auf den Barrikaden wären. Weil sie zu denen gehören, die am stärksten unter dem Regime leiden. Die wichtigste Frage bei der Lösung der Probleme der Homosexuellen ist jetzt der Zugang zu Informationen. Wenn sich progressive, bildungspolitische und aufklärende Initiativen entwickeln können, dann ist das schon ein großer Schritt nach vorn. Und sollte es gelingen, den reaktionären Einfluss der Kirche in Russland zu verringern, dann kann noch viel mehr erreicht werden.“

Elena Kostyuchenko, 28 Jahre, Journalistin „Meine Familie besteht aus meiner Partnerin und mir, zusammen erziehen wir zwei Kinder. Ich lebte mit meiner Partnerin bereits drei Jahre zusammen, als mir klar wurde, dass ich das Leben meiner Familie so nicht gut organisieren kann. Als wir zum Beispiel über ein gemeinsames Zuhause nachdachten, ging ich zu

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verschiedenen Banken, um eine Hypothek aufzunehmen, aber mir wurde gesagt, dass gleichgeschlechtlichen Paaren kein Kredit gewährt wird. Nur zwei Banken waren bereit, unser Anliegen zu prüfen, aber die Zinsen wären sehr hoch gewesen. Als ich den Grund für diese schlechten Bedingungen wissen wollte, antwortete man mir: ‚Sie haben doch gar keine Wahl.‘ Mich beunruhigte auch noch eine andere Frage. Mit meiner Gesundheit steht es nicht zum Besten. Ich habe Angst, dass ich das durchschnittliche Lebensalter nicht erreichen werde. Deshalb machte ich mir Gedanken über Erbschaftsfragen und darüber, wer sich um meine Kinder kümmern wird, wenn ich einmal nicht mehr lebe. Da begriff ich, dass man meine Kinder nicht bei meinem geliebten Menschen lassen wird, denn der Staat wird sie meiner Partnerin wegnehmen und in ein Kinderheim stecken. Ich begann darüber nachzudenken, warum niemand meine Rechte verteidigt und was die LGBT-Aktivisten machen. Ich hatte keine Wahl und beschloss, für meine Rechte zu kämpfen. Jeder hat seine Vorstellungen von Liebe. Für mich heißt Liebe: den Menschen, den du liebst, beschützen. So musste ich meine geliebte Frau vor unserem Staat beschützen und für die Rechte unserer Familie kämpfen. Als wir aktiv wurden nahmen die bis dahin seltenen Anfeindungen schlagartig zu. Meine Partnerin Anja wurde einmal nach einer Demons­ tration im U-Bahnhof verprügelt. Auf der ersten Gay Pride wurde ich überfallen. Man schlug mir so sehr auf den Kopf, dass ich beinahe das Gehör verloren hätte. Die Untersuchungsrichterin sagte zu meinem Verteidiger: ‚Was für einen Schutz erwartet sie? Sie ist doch Lesbe und von sich aus auf die Straße gegangen.‘ Das Verfahren wurde dreimal eingestellt, aber jetzt wird meine Klage vor dem Europäischen

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­Gerichtshof verhandelt. Die Gesellschaft selbst ist es, die uns den Schutz verweigert. Sie gibt uns zu verstehen: Ihr seid doch selbst daran schuld, habt es nicht anders gewollt. Ich erfahre ständig, dass Lehrer entlassen werden, weil sie schwul sind oder Homosexuelle unterstützen. Auch erhalte ich oft Briefe von Jugendlichen, die sich wegen ihrer sexuellen Orientierung plötzlich in der Rolle von Staatsfeinden wiederfinden. Sie werden diskriminiert und in der Schule von den Lehrern gemobbt. Viele meiner mir bekannten Regenbogenfamilien sind ins Ausland gegangen, weil sie Angst haben, dass ihnen die Kinder weggenommen werden. Denn der Staatsduma liegt ein Gesetzentwurf vor, der vorsieht, homosexuellen Eltern die Kinder wegzunehmen. Mir sind Fälle von sogenannter korrigierender Vergewaltigung bekannt, in denen eine Familie einen Bekannten bezahlt oder ihn bittet, ihre lesbische Verwandte zu vergewaltigen, um aus ihr eine heterosexuelle Frau zu machen. Ich habe einigen lesbischen Mädchen geholfen, vor ihren Verwandten, zum Beispiel aus Dagestan und Tschetschenien, zu fliehen, weil diese sie umbringen wollten. Das St. Petersburger LGBT-Netzwerk berichtet, dass sich Vergewaltigungen und Ermordungen von Homosexuellen häufen. In anderen Regionen nimmt die Zahl neofaschistischer Gruppen zu, die Jagd auf Schwule und Lesben machen. Ich meine, dass diejenigen, die uns schlagen und demütigen, nicht allein unser, sondern das Problem der gesamten russischen Gesellschaft sind. Der LGBT-Aktivismus hat sich zurzeit zurückgezogen. Viele gebildete Schwule und Lesben gehen ins Ausland, um dort ihr Leben aufzubauen. Die jugendlichen Homosexuellen haben festgestellt, dass sie als Feinde des Staates betrachtet werden. Jeder erlebt das auf seine Weise. Wir werden von unserer Op-


position nicht unterstützt. Unsere Oppositionellen – das sind in den meisten Fällen feige Hunde. Wenn unsere Aktivisten zur Antiregierungsdemonstration gehen, sagen deren Organisatoren oft verärgert zu uns: Schon wieder ihr mit euren Regenbogenfahnen. Ich habe immer gesagt, dass das Anti-Homosexuellen-Gesetz alle angeht. Jetzt können wir das beobachten. Homophobie hat es immer gegeben. Aber jetzt erlaubt das Gesetz vielen, ihre Homophobie und ihren Hass aktiv auszuleben und stärker zum Ausdruck zu bringen. Das Regime hat einen inneren Feind mit einem bestimmten Gesicht gesucht, und das sind nun wir. Natürlich betrachtet der Staat die ganze Opposition als Feind, aber wir bilden den Kern dieses Hasses. Damit soll erreicht werden, dass das Propaganda-Modell ‚Russland und seine Feinde‘ funktioniert und sich das Volk vor dem Hintergrund der allgemeinen Wirtschafts- und Vertrauenskrise, die bereits vor den Ereignissen in der Ukraine begann, um die Regierung schart. Die Abschaffung des Artikels über das Verbot sexueller Beziehungen zwischen Männern nach dem Zerfall der Sowjetunion war nicht das Ergebnis des Eintretens der Homosexuellen für ihre Rechte, sondern lediglich eines der Elemente der beginnenden Demokratisierung. Heute, unter den Bedingungen der Anfeindungen und der Anti-Schwulen-Kampagne, wird die junge Generation aktiv, und sie wird kämpfen. Die heutigen LGBT-Jugendlichen sind im Vergleich zu uns unverfrorener, draufgängerischer und offener. Als wir so alt waren wie sie, vergnügten wir uns in Clubs und erkannten nicht, dass wir handeln müssen. Ich möchte nicht eine der führenden Aktivistinnen der Homosexuellenbewegung sein. Das widerspricht der Ethik meines Berufes. Der Aktivismus aber gibt uns die Möglich-

Fotografie Ivan Gaev

keit, von den Medien und somit von der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Solange wir nicht von der Mehrheit gehört werden, werden wir nichts erreichen. Ich meine, dass eine der effektivsten Methoden des Kampfes für unsere Rechte darin bestünde, dass sich alle Lesben, Schwulen und Transsexuellen an den Aktionen beteiligen und sagen: „Ja! So sind wir!“ Ein ganz offener Umgang damit – das ist in vielerlei Hinsicht der Schlüssel zur Lösung unserer Probleme. Davor haben manche Angst, und natürlich kann es für uns auch schlecht ausgehen. Aber wir müssen es tun. Die staatliche Propaganda arbeitet, solange die Schwulen und Lesben, Bisexuellen oder Transsexuellen nicht ­offen sind. Und sie alle sind nicht ­offen, solange die staatliche Propaganda arbeitet. Das ist ein Teufelskreis. Nach der Verabschiedung des Gesetzes bat mich meine Mutter, Russland im Interesse meiner eigenen Sicherheit zu verlassen. Ich sagte ihr aber, dass ich nirgendwohin ausreisen werde. Ich habe selten Angst. Manche meinen, das sei eine Besonderheit von mir. Ich lebe nach eigenen Vorstellungen. Wie es aber mit uns weitergeht – das weiß niemand.“

Sergey Khazov, 35 Jahre, Schriftsteller und Journalist „Schwulsein ist in Russland im Großen und Ganzen etwas Normales. In Argentinien geht es den Schwulen gut, in Saudi-Arabien ganz schlecht, wir liegen irgendwo dazwischen. Die eine Sache ist, auf welchem Niveau die Politik des Staates ist (gleichgeschlechtliche Ehen usw.), und die andere die Ablehnung durch die Gesellschaft oder einen Teil davon. Denn wenn man es genau nimmt, werden überall die Rechte

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der Homosexuellen verletzt. Man kann in jedem Land furchtbare Geschichten über homophobe Übergriffe finden, weil die Gesellschaft im Grunde genommen den Lesben und Schwulen gegenüber nirgendwo tolerant ist. Ich meine damit sogar Westeuropa, nicht Asien. Ich stieß dreimal auf homophobe Übergriffe: zweimal in Frankreich und einmal in Sydney. Das eine Mal schlugen sie meinem Mann aufs Auge, und in den anderen Fällen beschimpften sie ihn. Dabei waren zweimal Migranten aus asiatischen Ländern daran beteiligt, wo die Gesellschaft besonders konservativ ist. Einmal kam es sogar so weit, dass Engländer in einem Restaurant in Nizza den Notarzt riefen und sagten, mein Mann und ich seien krank und müssten behandelt werden. Der Unterschied zwischen Russland und Westeuropa besteht in dieser Frage lediglich darin, dass die Regierungen in Westeuropa nicht konservativ sind, die russische dagegen durchaus. Wenn du homosexuell bist und in Nowosibirsk, Moskau oder Samara wohnst (und du bist kein Gay-Aktivist oder schwuler Regisseur), hast du einen entsprechenden Bekanntenkreis, in dem du dich bewegst: der Freundeskreis, eine Bar, das Hornet (ein soziales Netzwerk, d. Red.), Treffen zu Hause. Und so hast du es nicht sonderlich schwer. Oft bin ich in anderen Regionen Russlands unterwegs und treffe dort homosexuelle Paare, die ganz normal zusammen leben. Sie verheimlichen ihre Orientierung. Aber sie haben sich angepasst. Es sei hier auch gesagt, dass vor allem Jugendliche unter dem Anti-Homosexuellen-Gesetz zu leiden haben. Sie haben in diesem Alter ohnehin Probleme mit ihrer Identität und sind nicht so selbstbewusst wie Erwachsene. Und nun kommen noch Anfeindungen wegen ihrer sexuellen Neigung hinzu. Sie sind dem Risiko, nicht verstanden zu werden und einsam zu sein, stärker ausgesetzt. Gerade sie können zu

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Opfern von Gewalttaten werden. In Russland homosexueller Jugendlicher zu sein, ist schlecht. Homosexueller Erwachsener zu sein, ist in Russland dagegen normal. Bis zur Diskussion des Anti-Homosexuellen-Gesetzes wussten viele in Russland nicht einmal, was Schwule sind. Wenn dir dieses Problem aber ständig negativ präsentiert wird, beginnst du natürlich auch, schlecht darüber zu denken. Die Gesellschaft verhielt sich bis dahin indifferent, war nicht homophob. Jetzt aber ist die Einstellung dazu meist negativ, selten positiv. Vor zehn Jahren, so kann man sagen, herrschte bei uns Anarchie. Jene, die damals die Avantgarde der homosexuellen Szene bildeten, machten alles, was sie wollten: Sie waren zum Beispiel in der Künstler-Szene zu finden und fühlten sich dort frei. Aber nun schränkt der Staat ihre Tätigkeit ein, nimmt Homosexuelle auf Protestaktionen fest und hetzt gegen sie. Im Ausland gehen die Homosexuellen der Avantgarde mit dem Strom, in Russland – gegen den Strom. Mein Mann Philippe und ich leben offen schwul. Wir haben zehn Jahre zusammen gelebt und unlängst geheiratet, und zwar in Frankreich, um die bürokratischen Hindernisse zu überwinden. Hier in Russland eine Familie zu gründen und Kinder aufzuziehen, ist keine besonders gute Idee. Schon gar nicht für Schwule. Ich habe ein Buch geschrieben (Drugoe detstvo – dt.: Die andere Kindheit, d. Red.), das davon handelt, wie ein Schwuler seine Kindheit, das Heranwachsen und die Pubertät erlebt. Das Sujet beruht im Wesentlichen auf realen Ereignissen, zumeist sind es meine eigenen Erfahrungen. Ich bin sicher der Erste, der mit so etwas aus dem Schatten herausgetreten ist und es veröffentlicht hat. Ich bin aber überzeugt, dass es Menschen gibt, die viel inte­ ressantere Bücher geschrieben haben,


sie aber aus Angst nicht veröffentlichen. Die Reaktion auf mein Buch ist allgemein positiv. In einem einschlägigen kleinen Laden in Moskau wurde es 2014 zum Bestseller, obgleich es erst im September herausgekommen war. Die Auflage von 1000 Exemplaren ist fast vollständig verkauft. Ich bekomme immer wieder Post von Lesern, auch von vielen Jugendlichen. Einer von ihnen fragte mich sogar, wo man das Buch im Internet finden kann, denn er wohnt im Wohnheim, und wenn man das gedruckte Buch bei ihm finden würde, hätte er einiges auszustehen.“

Olga Kuracheva, 28 Jahre, Gay-Aktivistin „Wie schwer es die Homosexuellen in Russland haben? Diese Frage kann ich nicht eindeutig beantworten. In Moskau oder in der Provinz? Das ist ein Unterschied. Das Alter spielt auch eine Rolle. Überhaupt hängt viel vom Umfeld ab. Da gibt es zum einen die Heranwachsenden, die heute schon weit entwickelt sind, Internet haben und sich anders entwickeln als die ältere Generation seinerzeit. Zum anderen gibt es einen Teil der Bevölkerung, der nur vor der Zombie-Kiste (Fernseher) sitzt und die Homosexuellen nicht akzeptieren will. In den 1990er Jahren und Anfang der 2000er war es den Menschen völlig egal, welche sexuelle Neigung jemand hatte. Denken wir nur an das populäre Moskauer Pop-Duo t.A.T.u., das sich als lesbisches Paar präsentierte. Einen aggressiven Diskurs mit Meinungsäußerungen wie ‚die Homos muss man plattmachen‘ gab es damals überhaupt nicht. Aber jetzt hat das Anti-Homosexuellen-Gesetz die Homophobie in der Gesellschaft hervorgelockt und geweckt. Die Menschen denken, dass die Lesben

und Schwulen Feinde und eine ­ efahr für ihre Kinder sind. Dieses G Bild vom bösen Sodomiten wurde vom Staat erschaffen. Ich persönlich glaube an die heutigen Heranwachsenden. Auch wenn in den Schulen Homophobie oder Biphobie vorkommen, so doch nicht sonderlich ausgeprägt. Es gibt unterschiedliche Formen der Homophobie: Meine Mutter etwa ist der ­Meinung, dass es eine gewisse Normalität gibt – die Heteronormativität, und alles andere ist eben nicht normal. Und dann gibt es eine Homophobie, die ihren Ausdruck in Gewalt und Hass findet. Ich kann als offene Bisexuelle sagen, dass wir es auf unsere Weise schwer haben. Die Bisexuellen sind überhaupt eine unsichtbare Community. Sie haben es sowohl unter Homosexuellen als auch unter Heterosexuellen schwer: überall fremd und nirgendwo zugehörig. Verteidigen müssen wir uns aber alle gemeinsam. Ich rücke nicht von meinem Standpunkt ab: Ich bin für die volle Freiheit des Menschen und der Gesellschaft.“

Vladimir Khorosheev, 38 Jahre, Besitzer von Moskauer S ­ chwulen-Bars „Zu Sowjetzeiten wollte man mich nach Artikel 121 des Strafgesetzbuches für Sex zwischen Männern einsperren. Ich war erst 14 Jahre alt. Ich wurde bei der Miliz registriert. Damals hat sich meine Familie schützend vor mich gestellt und mich unterstützt. Danach habe ich vor nichts mehr Angst gehabt. Alle meine Geschäftspartner wissen, dass ich schwul bin. Die sexuelle Orientierung hat keinen Einfluss auf mein Geschäft. Da geht es immer nur ums Geld. Moskau ist eine Stadt des Geldes, nicht der Orientierung. In

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der Hauptstadt gibt es zwölf Lokale für Homosexuelle, von denen einige mir gehören. Ich kann übrigens­ mit voller Gewissheit sagen, dass sich das Anti-Homosexuellen-Gesetz nicht auf das Club-Leben der Homosexuellen ausgewirkt hat, niemand hat sich verkrochen. Solange es für sie die Möglichkeit gibt, problemlos zu relaxen und zu leben, wirft ­niemand von ihnen einen Stein. Und das gelingt bisher in der Hauptstadt. Was aber die Regionen außerhalb Moskaus anbetrifft, da sieht es finster aus. Da haben es die Lesben und Schwulen sehr schwer. Häufig sind sie leichte Opfer für Kriminelle. Aber das ist keine direkte Homophobie, das geschieht einfach nur vor dem Hintergrund der allgemeinen Homophobie. Die Verbrecher lernen viele Homosexuelle über das Internet kennen, anschließend rauben sie sie aus und töten sie – der Beute wegen, nicht weil sie Homosexuelle hassen. Aber diese Verfahren werden von der Polizei oft eingestellt oder gar nicht erst verfolgt. Einige meiner Freunde fanden so den Tod. Das kann überall passieren. Von solchen Fällen habe ich vor einiger Zeit auch in Europa gehört. Das Anti-Schwulen-Gesetz ist in meinem Verständnis reiner Populismus. Es gibt nichts, woran sich der Staat festhalten kann außer am Schüren von Hass gegen jemanden. Wichtig war nur, einen Feind aus­ zumachen. Wenn der Staat wirtschaftlich erfolgreich ist, hat er diese Probleme nicht. Solange die Regierung aber keine akzeptable Wirtschaftspolitik hat, wird sich das Land nicht entwickeln. Je mehr wir, die LGBT-Gruppen, auf die Barrikaden gehen und mehr Rechte fordern, umso mehr wird der Staat uns in die Enge treiben. Ich meine, wir sind genauso wie alle anderen. Wir unterscheiden uns in nichts von den Heterosexuellen und ihren Rechten. Wenn du dich als ­Opfer fühlst, werden dich die anderen auch als Opfer wahrnehmen.

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Auch der Staat. Alles hängt davon ab, wie wir uns selbst geben. Ich bin überzeugt, dass wir heute keine Gay Revolution und keine Gay Pride brauchen, weil wir dann nur etwas auf die Finger bekommen und das die Sache nur schlimmer macht.“ Aus dem Russischen von Brigitte Resnik Mehr über den Autor auf S. 20


MÜNCHEN

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„Sowohl das Festspiel-Konzert als auch die Live-Übertragung bieten auch in diesem Jahr eine einzigartige Besetzung und Inszenierung – doch der eigentliche Höhepunkt von Oper für alle ist die ganz besondere Stimmung, wenn tausende Münchnerinnen und Münchner gebannt auf die Leinwand blicken.“ Peter Mey, Leiter der BMW Niederlassung München

„Das Programm von Oper für alle wird einer der ­ öhepunkte der Spielzeit werden. Und einmal mehr H Ausdruck der erfolgreichen Partnerschaft zwischen der Bayerischen Staatsoper und BMW München.“ Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper


Eröffnet wird das diesjährige Festspiel-Konzert von ATTACCA, dem Jugendorchester des Bayerischen ­ ­Staatsorchesters, mit Antonín Dvořáks Konzertouvertüre ­Karneval A-Dur op. 92. Dvořák hatte sie vor seinem dreijährigen Amerika-Aufenthalt komponiert, als mittlere von drei Konzertouvertüren. Nach einem fulminanten Orchestertutti, das an die Slawischen Tänze erinnert, entführen die Klänge der Harfe den Zuhörer in eine neue Welt. Das Englischhorn zeichnet eine pastorale, aber auch nachdenkliche Atmosphäre, die von den übrigen Holzbläsern und der Solovioline aufgenommen wird – eine Vorwegnahme des berühmten Englischhorn-Solos im langsamen Satz der Symphonie Nr. 9 „Aus der neuen Welt“. Der Titel des zweiten Stücks ist weithin bekannt, weniger die Umstände seiner Entstehung: Zum Gedenken an den in Russland sehr beliebten Maler Wiktor H ­ artmann, der im Vorjahr verstorben war, gestaltete die Akademie der Künste in St. Petersburg im Frühjahr 1874 eine Ausstellung mit Werken des Künstlers. Modest P. Mussorgsky, der mit Hartmann befreundet gewesen war, ließ sich durch einige Gemälde und Zeichnungen aus der Ausstellung in­ spirieren. Daraus entstand der Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung: Zehn Sätze, die von einigen Zwischenspielen (Mussorgsky nannte sie Promenaden, es handelt sich also gewissermaßen um die musealen Wege zwischen den Bildern) unterbrochen werden. Jeder Satz trägt einen eigenen Charakter: Nach der ersten Promenade wird klangmalerisch ein grotesker Gnom skizziert, dann rennen quick­ lebendig die quirligen halbgeschlüpften Küken umher, bevor mit dem Großen Tor von Kiew ein musikalisch-­ ­ pathetischer Schlusspunkt gefunden wird. Doch erst als Maurice Ravel aus dem Klavierwerk eine mustergültige Symphonische Dichtung arrangierte, gelang dem Werk der Durchbruch: durch die vielfältige Instrumentation erscheinen die musikalischen Bilder noch farbenfroher. Ravel und Mussorgsky arbeiteten auch bei anderer Gelegenheit zusammen: Unter anderem ergänzte Ravel die Orchestrierung von Mussorgskys unvollendeter Oper ­Chowanschtschina – und wurde dabei von Igor Strawinsky unterstützt. Dessen Ballett Le Sacre du printemps wiede­ rum wurde im selben Jahr, 1913, von den Ballets Russes in

OPER FÜR ALLE Festspiel-Konzert Oper für alle Antonín Dvořák – Konzertouvertüre Karneval A-Dur op. 92 ATTACCA – Jugendorchester des Bayerischen Staatsorchesters Modest P. Mussorgsky – Bilder einer Ausstellung Igor Strawinsky – Le Sacre du printemps Bayerisches Staatsorchester Musikalische Leitung: Philippe Jordan Mehr über die Illustratorinnen auf S. 20

Oper für alle bietet auch in diesem Jahr wieder ein vielfältiges Programm: Am 18. Juli 2015 spielt das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Philippe Jordan Werke von Modest Mussorgsky und Igor Strawinsky. Und der letzte Tag der Festspiele endet mit einem Höhepunkt der ­Spielzeit: Auf dem Max-Joseph-Platz ist die Live-Übertragung der Festspielaufführung von Giacomo Puccinis Manon Lescaut zu erleben. Dank der BMW Niederlassung München wie immer bei freiem Eintritt!

Illustration It’s Raining Elephants

Oper für alle

einer Choreographie von Sergei Djagilew in Paris uraufgeführt. Es sorgte für einen Paukenschlag. Der Protest und die daraus resultierenden Tumulte während der Uraufführung waren derart heftig, dass sie als einer der größten Skandale in die Musikgeschichte eingegangen sind. Das Werk beginnt mit einem Fagott-Solo, das in hoher Lage den Ton A umspielt. Diese musikalische Urzelle, die dann von zusätzlichen Bläsern weitergesponnen wird, beschwört eine archaische, rituelle Atmosphäre herauf. Herkömmliche Tonarten mit ihren Kadenzen werden zugunsten von bitonalen Strukturen und Tonzentren, wie beispielsweise beim Umspielen eines Tones, abgelöst. Eingängig im Sacre sind aber auch die höchst komplexen Rhythmen: Im Tanz der jungen Mädchen beispielsweise spielen die Streicher eine ostinate Struktur, die mit Akzenten in unregelmäßigen Abständen durchsetzt ist. Durch die einfallsreichen Rhythmen, die teilweise noch 100 Jahre später überraschend wirken, entstand eine bis heute anhaltende energetische Kraft und Faszination. Und die Klangfarben im O ­ rchester erzeugen verblüffend expressive Bilder vom wilden russischen Frühling. Mit seiner dritten Oper Manon Lescaut gelang ­Giacomo Puccini der internationale Durchbruch. In Hans Neuenfels’ Inszenierung stehen die einzelnen emotionalen Ausbrüche der Protagonisten im Vordergrund. Manon ist hier alles andere als naiv; vielmehr werden innere Brüche und erregte Zustände sichtbar. Die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer im dunkel gehaltenen und geometrischen, symmetrischen Bühnenraum von Stefan Mayer unterstreichen dies. Mit Sängern wie Jonas Kaufmann und Kristine Opolais ist ein einzigartiges musikalisches Erlebnis garantiert, in dem die immer aktuelle Frage mitklingt: Ist Liebe berechenbar, oder unterliegt sie allein dem Dik ̴BS tat der Emotionen?

Samstag, 18. Juli 2015, 20:00 Uhr, Marstallplatz

Manon Lescaut ­ Oper in vier Akten Von Giacomo Puccini Freitag, 31. Juli 2015, 20:30 Uhr, Max-Joseph-Platz Audiovisuelle Live-Übertragung aus dem Nationaltheater Die Vorstellung wird zusätzlich im Rahmen von STAATSOPER.TV live im Internet übertragen. EINTRITT FREI


EIN FÜR

PLATZ ALLE

Im April dieses Jahres startete die Bayerische Staatsoper die Initiative EIN PLATZ FÜR ALLE zur ­Neugestaltung des Max-­­JosephPlatzes. Der Stadtplaner Albert Speer zählt zu den vielen

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­prominenten Unterstützern der Initiative. Im Interview warf der Experte einen kritischen Blick auf den Platz, dem MAX JOSEPH seinen Namen ­verdankt.

So sieht der Max-Joseph-Platz an den 364 Tagen im Jahr aus, an denen nicht Oper für alle stattfindet: eine Steinwüste voller parkender Busse und Autofahrer auf dem Weg zur Tiefgarage.


MAX JOSEPH Herr Professor Speer, was ist das beste Schuh­ werk, um über den Max-Joseph-Platz zu laufen? ALBERT SPEER Turnschuhe! Aber die trägt man in der Oper ja eher selten. MJ Aber man braucht sie wegen des Kopfsteinpflasters. AS Das ist schlimmer als Kopfsteinpflaster! Das sind Flusskiesel aus der Isar, die besonders rund sind. Frauen mit Stöckelschuhen hassen diesen Platz, weil man nicht darüber laufen kann. MJ Ja, das bekommen wir hier auch mit: Nur wer es eilig hat, be­ tritt ihn. Und eine der wichtigsten Ursachen für die Leblosigkeit des Platzes ist sicherlich die Tiefgarage mit ­ihrer einnehmenden Zufahrt. Braucht man die Tiefgarage unter dem Platz? AS Damals, als sie gebaut wurde, war man stolz auf ­diese Tiefgarage. Sie hat ja direkten Anschluss an das ­Nationaltheater und an das Residenztheater. MJ Wobei der Großteil unserer Zuschauer die Tiefgarage gar nicht nutzt. AS Und die Einfahrt zu diesem Parkhaus befindet sich auch noch am falschen Ende des Platzes! Denn jeder, der in diese Tiefgarage hinein- oder herausfährt, muss über den ganzen Platz fahren. Benutzerfeindlicher kann man eigentlich gar nicht mehr werden. Und das Zweite ist der Verkehr: In allen Weltstädten sind Reisebusse aus der Innenstadt oder zumindest aus der Altstadt­ ­verbannt. Die müssen draußen parken. MJ Dann würden die Touristen auf ihren Erinnerungsfotos auch keine Busse haben, wenn sie eigentlich die Oper fotografieren wollen. AS Ja, das ist doch eine Katastrophe! Man wundert sich, dass eine Stadt wie München die Umgestaltung nicht schon vor zehn Jahren angepackt hat. Die Initiative EIN PLATZ FÜR ALLE, die jetzt vom Intendanten Nikolaus Bachler gestartet worden ist, die ist prima. MJ Die Trostlosigkeit des Platzes kommt auch von der fehlen­ den Grünfläche. Die Leute können sich im Sommer nirgends aufhalten, nicht picknicken oder sich austauschen. Hier ist eine Steinwüste. AS Trotzdem würde ich nicht gleich für Bäume und Rasen plädieren. Denn das ist eine wunderschöne, maximal innerstädtische Situation, und die erfordert eigentlich einen steinernen Platz. Der kann schon Bäume und Grün haben. Aber über einen solchen Platz muss man auch kreuz und quer laufen können, was man jetzt nicht kann. Und vergessen Sie nicht das Denkmal für König Max I. Joseph in der Mitte. Das ist doch ein schönes Mo­nument, das man sich auch mal aus der Nähe ansehen möchte. Welche Aufenthaltsqualität kann man also schaffen? Ob es sinnvoll ist, die Sommernutzung mit Restaurants auf den Platz zu verlagern, ist fraglich, denn dort auf der Westseite gibt es ja genug Läden und Restaurants. Und sitzen kann man in der Stadt ja an vielen Orten. Außerdem sitzen die Leute doch gerne in der Sonne und die ist auf der Seite der Oper und der Residenz.

Initiative der Bayerischen Staatsoper

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Das Interview führten Daniel Menne und Benedikt Stampfli. Informationen und Entwürfe der Studierenden siehe www.staatsoper.de/platzfueralle

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„Diese riesigen Betonflächen braucht wirklich niemand. Man weiß auch gar nicht, wo man auf dem Platz laufen soll. Angehupt wird man sowieso ständig.“ – Albert Speer

Fotos Wilfried Hösl

MJ Und die Zukunft der Tiefgarage? AS Das ist die wesentliche Frage. Es gibt in München ja inzwischen ein ganzes Netz an Tiefgaragen. Ist eine in der Innenstadt also überhaupt noch nötig? Das muss man untersuchen. Vielleicht braucht man auch Knowhow von außen. Man muss schauen, wie das in Paris, in New York oder Stockholm gelöst wird. MJ Können Sie in wenigen Worten sagen, was München von ­anderen Städten unterscheidet? AS Man muss mit der Landschaft beginnen: dem Isartal und dem Fluss in der Mitte der Stadt. Damit ist eine ganz spezielle Situation gegeben. Das Zweite ist die Geschichte der Stadt, und die wird im Wesentlichen bestimmt von den Wittelsbachern und den Königen sowie überhaupt vom 19. Jahrhundert. Und das Dritte sind die Menschen dieser Stadt mit ihrem ganz besonderen, ­unverwechselbaren Charakter, und der hohe Stellenwert der unterschiedlichen Feste und Bräuche. MJ Sollte sich die Historie dann auch in der Architektur des Platzes widerspiegeln? Müsste man bei der Neugestaltung gleich mitbedenken, dass er hier an der Residenz, am National­ theater liegt? AS Ich würde immer versuchen, eine Platzgestaltung zu entwickeln, die das respektiert, dabei aber immer im Blick behalten, dass wir im 21. Jahrhundert leben. Der Platz kann auch Elemente haben, die von heute sind. Ich bin nicht der Meinung, dass das ein historisierender Platz sein muss. Wichtig ist, dass er bespielbar ist, von der Kunst, in den unterschiedlichsten Bereichen. MJ Da ist also noch viel zu tun. AS Ja. Deswegen haben Studenten der TU München angefangen, Beispiele aufzuzeigen, was hier werden könnte. Die Stadt wird hoffentlich einen Gestaltungswettbewerb ausschreiben, damit Künstler, Architekten und Stadtplaner Entwürfe machen können. Und es sollte ohne Scheu alles in Frage gestellt werden – auch die Tiefgarage. Das kann sogar zu dem Ergebnis führen: Die brauchen wir in München dringend! Aber in der heutigen Form: Man sieht sofort, wie schlecht der Platz geflickt ist. Diese riesigen Betonflächen braucht wirklich niemand. Man weiß auch gar nicht, wo man auf dem Platz laufen soll. Angehupt wird man sowieso ständig. Dass die Residenz und die gegenüberliegende Alte Post frisch renoviert sind, das ist toll. Aber umso wichtiger ist es, den Platz selbst wieder zu einem Lebensmittelpunkt zu machen. Das Potenzial dazu hat er auf jeden Fall.

Der Frankfurter Stadtplaner Albert Speer, 2006 mit dem ­Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, arbeitet an Großprojekten in Deutschland, China und Nahost. Speer ist emeritierter Professor sowie ehemaliger Dekan des Fach­ bereichs Raum- und Umweltplanung an der Universität ­Kaiserslautern. Über seinen Vater, den unter den National­ sozialisten tätigen „Architekten Hitlers“ Albert Speer, hat er sich immer wieder öffentlich geäußert.


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Premiere Jephta’s Daughter Premiere Selma Ježková

Selma, Francesca und eine namenlose Tochter – drei ­Frauen werden umgebracht und leisten dabei erstaunlich­wenig Widerstand. Was das mit Freiheit zu tun hat? Drei Projekte aus der ­Festspiel-Werkstatt der Münchner Opernfestspiele haben diesen Konflikt um weibliche Opferrollen und freie Entscheidungen zum Thema. Ein ­Werkstatt-Bericht.

Premiere Francesca da Rimini

The Undoing of Women – oder: Dreimal die Freiheit der Unvernunft

English Excerpt Page 228

Festspiel-Werkstatt


Festspiele und Werkstatt – zwei Orte oder auch Zeiträume, die man in der Regel an entgegengesetzten Enden einer Skala positioniert: zum Beispiel als Genuss versus Arbeit. Festspiele klingen nach Repräsentation, Opulenz, Ohrenschmaus und Augenweide, teurem Sekt. All das mögen die Münchner Opernfestspiele ihren Besuchern auch bieten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, wenn wie auf einer theatralen Leistungsschau bis zu zwanzig Inszenierungen des laufenden Repertoires in herausragenden Besetzungen präsentiert werden: angeführt von meist zwei Neuproduktionen, erweitert um Konzerte, Liederabende und andere künstlerische Formate. Der Begriff Werkstatt wiederum, der die Tendenz, Neues zu zeigen, schon andeutet, ist ein Zwitter aus Produktions- und Präsentationsstätte. Wie in einem Atelier wird auf die Herstellung des Gezeigten deutlich verwiesen, wo einerseits noch Unfertiges, in Arbeit Befindliches zu besichtigen ist, ­andererseits aber auch von Grund auf Neuentwickeltes, das ungewohnt, aber nicht weniger sorgfältig hergestellt ist. Mancher liebt ein solches Risiko des Noch-nicht-Bewährten; andere schätzen vor allem die beinahe unendlichen Möglichkeiten im Umgang mit dem Repertoire – und sind dennoch neugierig. Für all diese Entdeckungsfreudigen gibt es die Festspiel-Werkstatt. Sie wechselt jeden Sommer die Themen und Spielorte und bringt – immer unter etwas anderem Namen – die Treuen und die Neuen zusammen. Die diesjährigen Produktionen des Werkstatt-Programms der Münchner Opernfestspiele scheinen inhaltlich so etwas wie die radikale Essenz der zu Ende gehenden Spielzeit zu sein: Ganz im Zeichen der leidenden Frau stehend, fügen sie dem Dreiklang Blicke Küsse Bisse nun die finalen „Todesstöße“ hinzu. In der Tat enden Opern nur allzu häufig mit dem Niedergang der Protagonistin – in dieser Spielzeit zu erleben in P ­ remieren wie Die Sache Makropulos, Manon Lescaut, Lucia di Lammermoor, Lulu, Pelléas et Mélisande ebenso wie in vielen weiteren bekannten Repertoirestücken: N ­ orma, Tosca, La traviata oder La bohème. Das Ableben aller drei titelgebenden Frauenfiguren der Werkstatt-Produktionen aber lässt sich noch drastischer präzisieren: sie wurden ermordet – von Männern. Selma muss in den 1960er Jahren das Todesurteil eines (selbstverständlich männlich besetzten) US-amerikanischen Gerichts hinnehmen, Francesca wird von ihrem eigenen, sich betrogen fühlenden Ehemann umgebracht, die Tochter wird von ihrem Vater Jephta, vorsätzlich, ohne Not und in Berufung auf den einen Gott JHWH getötet. Diese Geschichten sind sicher nicht der Mordlust männlicher Autoren zuzuschreiben. Es sind vielmehr Geschichten aus drei Jahrtausenden, in denen Frauen zu „Opfern des Patriarchats“ wurden. ­Zumindest von autoritären Männern getötet, die sich selbst als vollkommen mordberechtigt empfanden. Und was ist mit den Frauen selbst? Was taten Selma, Francesca und die namenlose Tochter? Sie ließen sich mehr oder weniger freiwillig umbringen. Sie nahmen den Tod wissend in Kauf oder kamen sogar selbstständig zum v ­ erabredeten Tötungstermin. Das wirft etliche Fragen auf, und fürs ­Fragenaufwerfen fühlen sich Saar Magal, Anna-Sophie ­Mahler und Andreas Weirich grundsätzlich zuständig. Die drei Künstler, die die Werke inszenieren, treibt auf je eigene Weise vor allem das Unverständliche ihrer ­Geschichten an: Warum nur lässt sich jemand töten oder einsperren und leistet nicht etwa erbitterten Widerstand? Im Kern aller drei Produktionen steht ein ähnlicher Konflikt, der aber durch sehr verschiedene Situationen motiviert ist, wie auch die drei Projekte darüber hinaus vollkommen für sich stehen und ganz verschiedene ästhetische Wege gehen. Die ­beiden Regisseurinnen Saar Magal und Anna-Sophie Mahler benutzen alte und sehr alte ­Musik und Texte als Ausgangsbasis eigener Recherchen und konfrontieren sie mit neuem Material. Ihre Abende komponieren sie dabei quasi selbst – jeweils in

Mancher liebt das Risiko des Noch-nicht-Bewährten; andere schätzen die Möglichkeiten im Umgang mit dem Repertoire – und sind dennoch neugierig. Für diese Entdeckungsfreudigen gibt es die Festspiel-Werkstatt.

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Zusammenarbeit mit musikalischen und dramaturgischen Partnern und den Darstellern. Regisseur Andreas Weirich, seit einigen Jahren Spielleiter an der ­Bayerischen Staatsoper, geht dieses Mal den vergleichsweise klassischen Weg – ­allerdings mit zeitgenössischem Material. Poul Ruders, Selma Ježková Die Oper Selma Ježková, der Weirich sich annimmt, komponierte der Däne Poul Ruders 2007, nachdem er im Film eines Landsmannes sofort die ideale Grundlage für ein zeitgenössisches und doch emotional hochwirksames Libretto erkannt hatte: „Das Schicksal der fast blinden Selma in Lars von Triers Dancer in the Dark ist so ungerecht, hart und hoffnungslos, dass man es kaum erträgt“, schrieb 2013 anlässlich der deutschen Erstaufführung der Oper am Theater Hagen Die Welt, und fügte nostalgisch hinzu: „Ein Opernstoff, hätte man früher gesagt.“ Der 1949 geborene Poul Ruders findet auch heute noch, dass Opern zu Tränen rühren dürfen. In seiner Komposition verdichtete er die Geschichte der alleinerziehenden, fast erblindeten Einwanderin und Fabrikarbeiterin Selma, die in den USA schließlich fälschlich als Mörderin zu Tode verurteilt wird, weil sie nicht einen Anwalt, sondern die Augenoperation ihres sonst auch erblindenden Sohnes bezahlen will, auf die emotionalen Kernszenen. Im Film flüchtete sich Selma, dargestellt von der isländischen Popsängerin Björk, singend und tanzend in eine schöne, heile Musical-Welt. Die spielt in Ruders’ Oper musikalisch kaum eine Rolle, lediglich drei Lieder, Traumsequenzen meist, muten an wie aus einem Musical. Es sind tonal schlicht g ­ ehaltene Lichtblicke inmitten langsamer akustischer Verdüsterung und Ausdünnung des Orchesters. Ein O ­ rchester, das zwischen hartem Schlagwerk-­Realismus (Selma in der metallverarbeitenden Fabrik) und spätromantisch g ­ eprägten Gesangspassagen immer dissonanter und ruppiger agiert. Musikalisch sind also in der Neuinszenierung, deren musikalische Leitung in den Händen von Oksana Lyniv liegt, eher dezente Herausforderungen für schönklangverwöhnte Ohren zu erwarten. Die Provokation liegt vor allem in Selmas Geschichte, die bewegt, aber keine einfachen Schuldzuweisungen ermöglicht. Andreas Weirich ist wichtig, dass die Todesstrafe, die Selma am Ende widerfährt, weder selbstverschuldet noch allein der Gesellschaft anzulasten ist. Selma (gesungen von Ausrine Stundyte) hat ihre Verurteilung zweifellos riskiert, und man kann ihre Entscheidung gegen einen Anwalt, mit der sie das Geld für die Operation des Sohnes retten will, für falsch halten. Scheinbar ­opfert sich die fast erblindete Mutter für die Sehkraft ihres Kindes. Sie stirbt aber nicht als Heldin, sondern als verurteilte Mörderin, die das Kind allein zurück lässt. Wobei dies auch nur in einem Land geschehen kann, in dem die Todesstrafe als legitimes Mittel der Justiz gilt. Die USA sind daher für Andreas ­Weirich und die Bühnenbildnerin Marie Pons als Schauplatz der Handlung bindend. Auch auf die frühen 1960er Jahre, in denen sowohl Lars von Trier als auch Poul Ruders die Handlung ansetzen, lässt sich der Regisseur ein: Sie finden ein zeithistorisches Echo im holzvertäfelten, schmucklosen Aufführungsraum in der Alten Kongresshalle, gebaut im retro-futuristischen Stil der späten Nachkriegszeit der BRD. Der Saal, der heute eher beengend und freudlos wirkt, ist ein b ­ eklemmend passender Ort für den in der Inszenierung zentralen Schauprozess an einer Blinden. Wie in einem Gericht sitzend folgt das Publikum dem Prozess, in dem sich Realität und Fiktion, Vergangenheit und Zukunft, USA und BRD plötzlich zu überlagern scheinen.

Dass die drei Titelfiguren ihren eigenen Tod in Kauf nahmen, das wirft etliche Fragen auf, und fürs Fragenaufwerfen fühlen sich Saar Magal, Anna-Sophie Mahler und Andreas Weirich ­grundsätzlich zuständig.

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Nach Dante, der ihr in der Hölle begegnet sein will, zeigte die ­Ehebrecherin Francesca sich aber wenig reumütig: Die wenigen ­Augenblicke des er­lebten Glücks wogen für sie schwerer als die ewige Verdammnis.

Anna-Sophie Mahler, Francesca da Rimini

Verurteilungen spielen auch in Anna-Sophie Mahlers Beschäftigung mit der Ehebrecherin Francesca da Rimini eine Rolle, die in Dantes Göttlicher Komödie als im zweiten Höllenkreis ewig wandelnd beschrieben wird; bei Mahler in Form von ewiger Verdammung und Gefangenschaft, beziehungsweise deren zeitgenössischer Spielart vor dem Tod, der Justizvollzugsanstalt. Die Regisseurin arbeitet seit etwa 2005 sowohl mit dem losen Kollektiv CapriConnection an experimentellen Formen des Musik- und Dokumentartheaters, als auch an großen Inszenierungen an festen Opernhäusern. Und es gibt mindestens ein drittes Arbeitsfeld: Während für CapriConnection das Interesse an kleineren Aufführungsformaten mit zunehmend eigenen Texten ins Zentrum rückt, möchte die frühere Marthaler-Assistentin auch in den experimentelleren Arbeiten die Musik nicht aus dem Blick verlieren. So sucht sie in ihren ­eigenen musiktheatralen Rechercheprojekten vor allem nach inhaltlichen Verbindungen zwischen Altem und Heutigem. Das Alte ist in diesem Fall zum einen die spätmittelalterliche Geschichte der Francesca da Rimini. Francesca, so erzählte es zuerst ihr Zeitgenosse Dante und nach ihm in verschiedenen Ausschmückungen weitere Autoren und Librettisten, erlebte mindestens eine intime Begegnung mit dem Bruder des Mannes, den sie ehelichen musste. Diesen „Verrat“ bezahlte sie mit dem Tod. Nach Dante, der ihr in der Hölle begegnet sein will, zeigte Francesca sich aber wenig reumütig: Die ­wenigen Augenblicke des erlebten Glücks wogen für sie schwerer als die ewige Verdammnis. Die Tat, die doch zum eigenen größten Unglück geführt hatte, sollte also in Wahrheit glücklich gemacht haben? Oder anders gesagt: Die Freiheit des Tuns war wichtiger als die darauffolgende Bestrafung? ­Anna-Sophie Mahler will Francescas Geschichte von diesen Fragen her erzählen, und auch uns heute nach unseren Begriffen von Freiheit und Unfreiheit, eigener Wahrheit und Grenzüberschreitung fragen, nicht nach Schuld und Sühne. Ein Ort, an dem diese Themen hier und jetzt in hochkonzentrierter Form zu finden sind, ist für Mahler das Münchner Frauengefängnis. Ihrer bereits erprobten dokumentarischen und doch sehr persönlichen Arbeitsweise folgend, sprach die Regisseurin dort mit drei Gefangenen über deren ­Verständnis für Francesca und ihre eigenen Geschichten. Das gewonnene Interviewmaterial wurde zum wichtigen Teil des neu entstandenen Textes zu der oft pompösen bis düsteren Musik von Franz Liszts Dante-Symphonie. Es trägt auch maßgebend zum Intimen und Ambivalenten der Neukomposition des Schweizer Komponisten Stefan Wirth bei, die Liszt flankiert. Wirth wird die Aufführung gemeinsam mit Bendix Dethleffsen an zwei Flügeln begleiten. Was aber fragt man die, die als Verurteilte vor einem sitzen und über deren Taten nicht gesprochen werden darf? Anna-Sophie Mahler berichtet von der großen Aufgeschlossenheit der inhaftierten Frauen, von deren Lust zu erzählen, als sie bemerkten, dass es der Zuhörerin nicht um eine Bewertung ihrer Ansichten und ihres Verhaltens ging. In Francesca sahen sie vor allem diejenige, die dem eigenen Bedürfnis nach Liebe und Glück gefolgt sei, entgegen allen gesellschaftlichen Zwängen. Die Interviewten selbst beschrieben sich ebenfalls nicht etwa als Opfer finanzieller Not, die sie womöglich zu Verbrechen gezwungen hätte. Vielmehr wurden emotionale Schwierigkeiten, große Sehnsüchte, aber auch Drogenabhängigkeit und die Suche nach „Lebendigkeit“ als Motive für eine Lebensweise genannt, die sie nun mit Freiheitsentzug bezahlen. Drei der Frauen werden tatsächlich als Figuren in Anna-Sophie

Text Anna Volkland

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Das junge Mädchen geht in die Berge und tut vielleicht all das, was sie niemals sonst im ­Leben getan hätte. Illustration Julien Savioz

Mahlers Francesca-Projekt auftauchen. Verkörpert werden sie von drei Schauspielerinnen, die die transkribierten Interviewtexte nicht als Psychogramme, sondern als Partituren behandeln, indem sie sehr genau mit der Sprechweise und den Leitmotiven der Erzählungen umgehen. An die Welt eines Gefängnisses will auch der ­Bühnenbildner Duri Bischoff erinnern, indem er im Haus der Kunst ein von oben einsehbares System sich automatisch verschließender und öffnender Türen errichtet: einen geschlossenen Kosmos, „bewacht“ von den beiden Pianisten und der Sängerin Iulia Maria Dan. Im Gegensatz zu Francesca, die bis in alle Ewigkeit gefangen bleibt, immerhin ein Ort mit Perspektive in die Freiheit ... oder? Saar Magal, Jephta’s Daughter Sind wir am Ende am freiesten, wenn wir mit Gewissheit den Tod vor Augen haben? Die Geschichte der einzigen Tochter, die der Vater dem einen Gott JHWH brandopfert, nimmt im alttestamentarischen Buch der Richter nur sechs Sätze ein. Aber die Fragen, die dieser so unverständliche Kern der Jephta-Erzählung aufwirft, treffen und betreffen uns heute noch ganz direkt, glaubt die israelische Choreographin und Regisseurin Saar Magal. Dem von seinen Stammesgenossen als Sohn einer Prostituierten ausgestoßenen Jephta wird eines Tages die Führung der Streitkräfte seines einstigen Landes angetragen, das es zurückzugewinnen gilt. Auf dem Weg in die Schlacht verspricht er, JHWH im Fall eines Sieges das Erste zu opfern, was ihm bei seiner Rückkehr begegnen wird. Er siegt; es begrüßt ihn die Tochter. Obwohl schon die Mosaischen ­Gesetze Menschenopfer verboten, widerruft Jephta seinen Schwur nicht, und selbst die Tochter meint, dass man sein Wort halten müsse. Sie erbittet sich lediglich „zwei Monate in den Bergen“, in denen sie mit ihren Freundinnen ihre Jungfräulichkeit ­beweinen möchte. Danach kehrt sie wie versprochen zurück und lässt sich als Brandopfer darbringen. Nie mehr zu klären wird sein, warum die beiden tun konnten, was sie taten. Aber, fragt Saar Magal, geschieht es nicht auch heute, dass sich Menschen freiwillig opfern, ihr Leben für eine „höhere Sache“ geben? Und, könnte man hinzufügen, fordert „Vater Staat“ nicht immer noch dazu auf? Und neben ihm weitere, immer eindringlicher befehlende Stimmen? Aber die Geschichte der namenlosen Tochter verweist auch auf etwas anderes: Das junge Mädchen geht in die Berge, das heißt, sie geht erst einmal in die Freiheit und sie tut vielleicht – diese Möglichkeit immerhin gibt es – all das, was sie niemals sonst im Leben getan hätte. Sie genießt vielleicht all das, was ihr im Tod, aber vielleicht auch in einem zukünftigen Leben als Ehefrau und Mutter für immer verwehrt geblieben wäre. Diese Gedanken sollen den grausamen Vorgang nicht beschönigen, aber Saar Magal möchte in ihrer Auseinandersetzung mit Jephta’s Daughter vor allem über das Leben nachdenken, nicht allein über den Tod. Welche Sehnsüchte und nie gemachten Erfahrungen trägt eigentlich jeder von uns in sich?, fragte die Choreographin auf der Suche nach zeitgenössischen Antworten auch ihr Umfeld. Die Zeit „in den Bergen“, diese „zwei Monate“, die, so vermuten Wissenschaftler, auch für eine bestimmte andere Dauer gestanden haben könnten, wird schließlich als eine Art rauschender „Farewell-Party“ ungelebter Fantasien im Zentrum des Abends stehen. Giacomo Carissimis betörend schönes Barockoratorium Historia di Jephte von 1647 wird dabei mit Arrangements der Jazzmusiker Haggai Cohen Milo, Mateo Lugo und James Shipp konfrontiert. Carpe Diem! Neben den live performenden Musikern, die gemeinsam ein kleines Orchester bilden, und zwei Sängerinnen und zwei Sängern der Bayerischen Staatsoper, hat Saar Magal auch acht zeitgenössische Tänzerinnen und Tänzer eingeladen – wie schon 2012 für Hacking Wagner bei den Münchner Opernfestspielen, einem performativ-diskursiven „Gesamtkunstwerk“ aus Musik, Gesang, Text, Video, Installation und Choreographie, das sich mit

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der Tabuisierung des einstigen Lieblingskomponisten der Nazis in Israel auseinandersetzte. In einem offenen Probenprozess, in dem Sänger auch tanzen, Tänzer Musik machen oder Musiker singen, setzen sie die biblische Geschichte von Jephta und seiner Tochter neu zusammen. Hier spätestens v ­ erbinden sich im wahrsten Sinne der Worte Werkstatt und Festspiel.

Anna Volkland ist freie Dramaturgin für Theater und Tanz, und schreibt u.a. für Theater der Zeit oder Die Deutsche Bühne. Seit Oktober 2014 ist sie ­wissenschaftliche Mitarbeiterin am ­Lehrstuhl für Geschichte und Theorie des Theaters ­an der Universität der Künste Berlin.

Saar Magal studierte Tanz in ihrer Heimatstadt Tel Aviv sowie in London. Sie entwickelte Choreographien mit der Batsheva Dance Company in Tel Aviv und dem ­Peridance Capezio Center in New York, für die Berliner Sophien­ saele­und die Rote Fabrik in Zürich. Daneben arbeitete sie viele Jahre mit dem Regisseur Krzysztof Warlikowski zusammen, so sorgte die von ihr ­choreographierte Cowboy-­Polonaise bei dessen ­Inszenierung von Eugen Onegin an der Bayerischen Staatsoper für einen Großteil des Premierenbuhkonzerts. Im Sommer 2012 realisierte sie für die Münchner Opernfestspiele das Projekt Hacking Wagner, dieses Mal ­untersucht sie die biblische ­Geschichte von Jephta.

Oksana Lyniv, geboren in der ­Ukraine, ist nach En­gagements als Dirigentin an den Opernhäusern von Lviv und Odessa seit der Spielzeit 2013/14 an der ­Bayerischen Staatsoper als ­musikalische Assistentin des Generalmusik­direktors Kirill Petrenko engagiert. Bei den letzten Münchner Opernfestspielen debütierte sie mit ­Boris Blachers Die Flut. Nach ihrem Le Comte Ory-­Dirigat im Cuvilliés­-Theater wird sie diesen ­Sommer neben ­Selma Ježková auch ­Lucia d ­ i ­Lammermoor und La ­traviata dirigieren.

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Andreas Weirich ist seit 2008 Spielleiter an der Bayerischen Staatsoper, wo er mit Regisseuren wie Andreas Kriegenburg, Christof Loy und Dmitri Tcherniakov ­zusammenarbeitete. Neben seiner ­Tätigkeit als Regieassistent tritt er auch selbst als Regisseur in Erscheinung, wie 2010 bei der Kinder­oper Nepomuks Nacht, 2013 bei Peter Maxwell ­Davies’ Eight Songs for a Mad King im Cuvilliés­-Theater und bei den diesjährigen Opernfestspielen mit Selma Ježková.

FESTSPIEL-WERKSTATT Selma Ježková Oper in einem Akt nach Lars von Triers Film Dancer in the Dark Von Poul Ruders Premiere am Freitag, 26. Juni 2015, Alte Kongresshalle Francesca da Rimini Musiktheaterprojekt von Anna-Sophie Mahler

Anna-Sophie Mahler, geboren in Kassel, studierte Musiktheater­ regie in Berlin. Nachdem sie bei ­Christoph Marthaler und ­Christoph Schlingensief u.a. bei den Bayreuther ­Festspielen ­assistiert hat, ins­zeniert sie nun seit 2004 sowohl Schauspiele als auch Opern, u.a. in Zürich, Berlin, Basel, Bern, ­Düsseldorf und Bremen. 2006 gründete sie ihre ­eigene freie Gruppe CapriConnection, mit der sie sich in musiktheatralen Projekten mit selbstge­wählten Themen ausei­ nandersetzt. Am Theater ­Bremen erarbeitete sie den Abend Blick der Tosca, für den sie in Altersheimen recherchierte. Diesen Sommer entwickelt sie für die Münchner Opern­festspiele eine Auseinandersetzung mit dem Stoff von Francesca da Rimini.

Premiere am Dienstag, 21. Juli 2015, Haus der Kunst Jephta’s Daughter Performance von Saar Magal Premiere am Dienstag, 7. Juli 2015, Haus der Kunst Weitere Termine zu allen Premieren im Spielplan ab S. 209

Festspiel-Werkstatt


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NEON LADIES


Zwei Monate

Charles Le Brun, Le sacrifice de Jephté, 17. Jhdt. Foto Heritage Image Partnership Ltd / Alamy

Die biblische Geschichte von Jephtah und seiner Tochter konfrontiert uns mit einer ungeheuren Ausnahme – einem Menschenopfer. Ein Detail, das in bisherigen Bearbeitungen wenig beachtet wurde, verdient ­besondere Aufmerksamkeit. David J. Levin, der mit der Choreographin Saar Magal an ihrer Performance Jephta’s Daughter arbeitet, hat am Rande der Proben notiert, warum.

Die kurze Geschichte von Jephtah und seiner Tochter ist wenig bekannt. Sie steht im 11. Kapitel des alttestamentarischen Buchs der Richter. Jephtah, der uneheliche Sohn Gileads und einer namenlosen Prostituierten, wird von seinen ehelichen Geschwistern aus Israel vertrieben. Er wächst in der Wüste auf und wird zu einem harten Burschen. Was soll man von einem brutal Verstoßenen auch anderes erwarten? Als aber das Volk Israels von den Ammonitern bedroht wird, rufen die Halbbrüder Jephtah zurück. Sie brauchen ihn als Beschützer. Er ist dazu aber nur unter der Bedingung bereit, dass er zum Oberhaupt ernannt wird. Im Verlauf der folgenden Schlacht schwört

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das neue Oberhaupt Jephtah einen Eid: Für einen Sieg über die Ammoniter will er Gott das Erste opfern, das ihm beim Heimkommen begegnen wird. Bei seiner Rückkehr läuft ihm seine einzige Tochter, seine unigenitora, tanzend und singend entgegen. Jephtah ist verzweifelt; die Tochter dagegen ist gefasst. Sie will sich gerne für ­V­ater und Land opfern, hat aber eine einzige Bitte: Sie will zwei Monate mit ihren Freundinnen in den Bergen verbringen, um ihre Jungfräulichkeit zu beweinen. J ­ ephtah­stimmt zu. Nach Ablauf dieser Zeit kehrt sie zum Vater zurück und, wie es recht sachlich in der Lutherbibel heißt, „[…] er tat ihr, wie er gelobt hatte […]“.

Premiere Jephta’s Daughter


Was an der Erzählung so faszinierend ist, sind ihre Gegensätze: Fremdheit und Vertrautheit, Ferne und Nähe. So wird zum Beispiel Jephtah als unehelicher Bruder, und somit als Gefahr für die Moral, zuerst vertrieben, und dann wieder zurückgeholt, um das Land zu verteidigen und zu beherrschen. Und die feierliche Siegesparade führt zum entsetzlichsten Unheil. Das sind Ereignisse, wie sie auch heute Schlagzeilen machen. Und doch hat die Opfergeschichte, auf die ja alles hinausläuft, etwas sehr Befremdliches. Es ist, als wollte sie von ihrem schauerlichen Kern immerzu ablenken. Kurz vor Erreichen dieses Kerns schweift die Geschichte ab, wie so oft bei traumatischen Ereignissen. Bevor wir also bei der Opfergabe ankommen, brechen die Tochter und ihre Freundinnen für zwei Monate in die Berge auf. Die biblische Geschichte wurde oft und unterschiedlich gedeutet. Doch diese zwei Monate bleiben in den meisten Auslegungen merkwürdig bedeutungslos und unreflektiert. Und gerade das ist für die Choreographin Saar Magal besonders interessant. Darüber kann sie sich dem obskuren Kern der Geschichte nähern. Die zwei Monate in den Bergen sind als Möglichkeit und Abgrenzung, Anfang und Endpunkt aufzufassen; als ein Ort, an dem das Leben neu betrachtet und erfahren werden kann – angesichts des unmittelbar bevorstehenden Todes und ihm zum Trotz. Wir können anhand der Figur des Jephtah auch eine Geschichte des Oratoriums schreiben. An deren Anfang steht Giacomo Carissimi, der mit seiner Historia di Jephthe um 1650 die römische Form der Gattung begründet. Ein Jahrhundert später schließt dann Georg Friedrich Händel seine Laufbahn als Oratorienkomponist mit seinem Jephtha-Oratorium ab. Der Stoff geht eigenartige und wendungsreiche Wege im Bereich des Dramas, des Liedes und der Malerei. Es ist eine Geschichte, die wiederkehrt, in überraschend unterschiedlichen Formen. Noch überraschender aber sind die Auslassungen: Wer spart welches Detail aus? Und wozu? Carissimis verdichtete, kaum 25 Minuten lange Bearbeitung ist wahrscheinlich die umfassendste. Er verzichtet auf narrative Erfindungen und arbeitet eng am biblischen Text. Seine Geheimnisse sind also nicht ergänzt oder hinzugedichtet; es sind die Geheimnisse des Quellenmaterials, für die Carissimi überraschende Mittel erfindet. Durch eine erfindungsreiche Variation der Ensembles und einen stetigen Wechsel der musikalischen Konstellationen vermittelt er den Hörern eine expressive Vielfalt. So verzichtet Carissimi letztendlich auf eine nachahmende, dramatisierende, also auf eine opernhafte Darstellung; stattdessen erfindet er epische, distanzierende Erzählformen. Sein Oratorium endet in den Bergen mit einem tief bewegenden chorischen Klagegesang für Jephtahs Tochter. Das Ende des Oratoriums ist in seiner Schicklichkeit jedoch etwas unbefriedigend: Carissimi weigert sich, auf die kommende Katastrophe einzu-

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gehen; eine Weigerung, die im Rückgriff auf die in sich kreisende Form des Lamento-Basses figuriert wird und herauszuhören ist. Die Melodie dieses Klagegesangs bildet – mitsamt den Dissonanzen und den harmonischen Bewegungen, die von ihr ausgehen – einen Ausgangspunkt für die kompositorische Arbeit von Haggai Cohen Milo und seinem Ensemble für unser Stück.

Wir wollen wissen, wer diese Figur ist, die da geopfert wird. In der Bibel bleibt sie namenlos. Ein bekanntes Schicksal von Nebenfiguren. Doch wie zweit­ rangig kann sie sein? Georg Friedrich Händels Bearbeitung ist im Vergleich sehr viel versöhnlicher. Händel und sein Librettist ­Thomas Morell schenken der Tochter einen Namen: Iphis – vermutlich, um sie in die Nähe von Iphigenie zu rücken, ihrer Opferschicksalsgefährtin. Dazu bekommt sie noch einen Geliebten und sogar eine lebende, sich sorgende Mutter. Schließlich wird Iphis von einem Engel gerettet, der sie in ein Leben frommen Singens verbannt; zu ihrer Erleichterung und der ihrer Mutter, ihres Geliebten und der Israeliten, ganz zu schweigen von Händels Zuhörern. Händel und Morell glätten also das Material. Die grundlegenden Fragen, vor die uns der Bibeltext stellt – wie sollen wir dieses Opfer verstehen? Wie seine Einmaligkeit, seine Anonymität und das eindeutig Unabgeschlossene begreifen? – werden hier sauber aufgelöst: Ein Engel erscheint, und alles wird gut. Mit Händels Bearbeitung begibt sich der Stoff auf eine bekannte Reise: Eine Erzählung, die in ihrer ­ursprünglichen Form von Geheimnis und Gewalt durchtränkt ist, wird formelhaft pathetisch und mit einer konventionellen Lösung ausgestattet. Natürlich gibt es Ausnahmen. Ein Jahrhundert nach Händels Oratorium dann, im Jahr 1849, verleiht Robert Schumann der Tochter eine geballt enthusiastische Stimme. Im ersten von Schumanns drei Liedern op. 95 zu Texten von Lord Byron preist die Tochter ihren bevorstehenden Tod mit hemmungsloser Lust. Ihr Vater und wir sollen nicht reumütig sein. Er soll nicht zögern, sich nicht schuldig fühlen. Das Lied ist verwirrend und beunruhigend. Die Tochter verkündet ihren Sterbewunsch dabei voller Hingabe. Doch die Dame, dünkt’s den Hörer, sie gelobt zuviel. Ihr Lied zeugt von einem grimmigen, hermetischen Glauben. Wieder ein Jahrhundert später, 1957, veröffentlicht Lion Feuchtwanger mit seinem letzten historischen Roman Jefta und seine Tochter eine zutiefst ernsthafte und

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kitschige Version der Geschichte. Hier steht die Zärtlichkeit des Vaters gegenüber seiner Tochter in starkem Kontrast zu seiner Grausamkeit auf dem Schlachtfeld. Für die Tochter und den Erzähler verbindet die Kraft der Rache den Vater mit dem Gott Jahweh. Der Tod bedeutet dann eine endgültige Bindung der Tochter an beide. Als ihr Opfertod bevorsteht, weist sie – bei Feuchtwanger heißt sie Ja’ala – ein Betäubungsmittel zurück, das ihr der Vater anbietet: „Ich möchte dich sehen, mein Vater, wenn du dich in Jahwe verwandelst. Ich habe dich in deinem Zorn gesehen, ich habe das große, furchtbare Licht des Zornes aus deinen Augen ausstrahlen sehen und mich nicht gefürchtet. Ich werde mich auch jetzt nicht fürchten. Ich gehöre zu dir.“ Feuchtwangers Darstellung historisiert und psychologisiert damit die Erzählung: Jeftas brutales Verhalten als Erwachsener auf dem Schlachtfeld wird als Symptom des Traumas seiner Vertreibung als Kind dargestellt. Vaterschaft und Göttlichkeit verschmelzen in Feuchtwangers Opferszene auf peinliche Weise. Wie dieser kurze Streifzug durch drei Jahrhunderte zeigt, spannt sich der Bogen der Jephtah-Bearbeitungen von der Erlösung in letzter Minute in Händels Oratorium über das Heraufbeschwören der offenkundig unbewältigten Leidenschaft der Tochter in Schumanns Lied bis zu Feuchtwangers tollpatschig ironischer Darstellung der ewigen Wiederkehr unbewältigter patriarchalischer Gewalt. Indem sie den Stoff nun für die Münchner Opernfestspiele aufgreifen, wollen Saar Magal und ihr Ensemble den vielen verschiedenen Fragen nachgehen, die der ­Bibeltext aufwirft und die in den Neufassungen der Geschichte seit Carissimi weithin unbehandelt bleiben,­ ­unterdrückt oder nicht überzeugend gelöst werden. Ausgangspunkt ist dabei die Opferung der Tochter. Wir ­nehmen den Faden dort auf, wo Händel und Morell sich verabschieden. Genauer gesagt, wir setzen dort ein, wo sich die beiden aus der Bibelgeschichte eines Menschenopfers eine Heilsgeschichte erfinden. Wir wollen wissen, wer diese Figur ist, die da geopfert wird, und was es bedeutet, dass sie geopfert wird. In der Bibel bleibt sie namenlos. Ein bekanntes Schicksal von Nebenfiguren. Doch wie zweitrangig kann sie sein? Schließlich ist sie das einzige menschliche Wesen im Alten Testament, das geopfert wird. Isaak kommt diesem Schicksal im ersten Buch des Alten Testaments schon sehr nah. Doch im Fall von Jephtahs Tochter gibt es keine plötzliche Begnadigung, keine Stimme, die eingreift. Es gibt weder Lamm noch Widder, die ihren Platz einnehmen würden, und keinen erlösenden Engel. Was kommt heraus, wenn man diese Opferszene und die Wege, die zu ihr führen, ihre möglichen Formen und Konsequenzen erkundet? Nicht um sie als Vorwand zu nehmen für Brutalo-Szenen, einen Engel oder eine Hintergrundgeschichte, die alles in psychologisches Wohlgefallen auflöst; sondern um die Szene auszuschreiten, in ihrer Vielfalt von Gefühlen und Erfahrungen,

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wie Ritus, Liebe, Feierlichkeit, Brutalität, Hingabe, Zurückgezogenheit und Jungfräulichkeit sie darstellen. Wie ist eine solche Szene mit den Mitteln des heutigen Theaters zu bauen? Und wie soll sie von einem gegenwärtigen Publikum erlebt werden? Was würde aus einer solchen Szene folgen? Und was würde ihr vorangehen? Steht der Endpunkt der Geschichte von Jephtahs Tochter fest, so bleibt der Weg dorthin radikal unbestimmt. Denn was zwischen dem Eid Jephtahs und dem Opfertod der Tochter liegt, ist im Wesentlichen schleierhaft. Es ist ein Weg, der für diese zwei Monate in die Berge führt. So konkret und abgemessen dieser Zeitraum ist, so offen und unbeschrieben ist, was in dieser Zeit passiert. Diese zwei Monate sind also auch eine verborgene Zeit, eine dem Vater abgerungene und ihm vorenthaltene. Eine Zeit, die seinem Einfluss wie auch dem Schreiben darüber entzogen ist. Der Weg, der in die Berge führt, ist wie eine autonome Zone. Sie gehört der namenlosen Tochter und ihren Freundinnen. Während ich diesen Aufsatz schreibe, in München im April, machen Saar Magal und ihr Ensemble erste Schritte auf diesem Weg. Sie versuchen, dieser Zone aus verschiedenen Perspektiven, mit verschiedenen Mitteln, Gesten, Tonarten und Vorgehensweisen Formen zu verleihen. Der Aufenthalt in den Bergen spielt sich in Vorahnung der Katastrophe ab und schiebt sie gleichzeitig auf. Es ist daher ein Unternehmen mit berauschenden und erschütternden Elementen. Die Szene in den Bergen, der Stoff überhaupt, birgt das besondere Finden und Erfinden, das aufkommt im Vorfeld des Todes.

Aus dem Amerikanischen von Ute Spengler

David J. Levin ist Inhaber des Addie Clark Harding Lehrstuhls in den ­Fachbereichen Theater- und Performancewissenschaften, Germanistik und ­­Filmund Medienwissenschaften an der ­University of Chicago. Er ist zudem als Dramaturg für Oper und Ballett in Deutschland und den USA tätig und ­arbeitete u.a. mit William Forsythe und Robert Altman.

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Festspiel-Werkstatt


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Gefangen Wie leben Frauen im Gefängnis? Der Journalist Dirk Liesemer erkundete ihren Alltag hierzulande. Dieser unter­scheidet sich deutlich von dem der Männer und ist um vieles schwieriger.

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Apropos Selma Ježková, Francesca da Rimini


Wenn eine Frau in ein bayerisches Gefängnis kommt, tritt sie in eine andere Welt ein: in eine Gesellschaft von inhaftierten Straftäterinnen, Wärterinnen, Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen. An der Spitze der Anstalt steht meist ein Mann, den die Gefangene allerdings selten sehen wird, weil er vor allem für Verwaltungsaufgaben zuständig ist. Die Haft beginnt an einem Wochentag, der vom Gericht festgelegt worden ist. Die Gefangene muss sich an der Pforte melden und ihren Lichtbildausweis vorzeigen. Dann öffnen sich die Tore. Wie der Alltag von inhaftierten Frauen aussieht, ist wenig bekannt. Unser Bild ist allenfalls bestimmt von Filmen und Serien wie Hinter Gittern oder Der Knastarzt: Dort herrscht eine gutmütige, aber straffällig gewordene Amazone, die ihre Mitgefangenen vor übergriffigen Wärtern schützt und die lesbische Liebe für sich entdeckt. Es wird mit Klischees jongliert, die sich zu kurzweiligen Storys verdichten lassen. Als sich inhaftierte Frauen einmal bei einem Privatsender beschwerten, erhielten sie eine freundliche Antwort: Es gehe um Massenunterhaltung und nicht um ein Abbild des Realen. Doch selbst Medien, die sich als Chronisten des Alltags sehen, greifen allzu gern zu drastischen Metaphern. „Wärter schwängert Todesmutter“, titelte ein Revolverblatt und schreibt ansonsten von „Folterhexen“ und „Schwarzen Witwen“. Tatsächlich ist die Realität bitterer und banaler als in Filmen und vom Boulevard dargestellt. Der Arzt Karlheinz Keppler, der seit zwei Jahrzehnten im Frauengefängnis im niedersächsischen Vechta arbeitet, sieht sich – trotz manch heiterer und komischer Momente – täglich „knietief in einer Melange aus Tragik, Drama und schlimmsten Lebensgeschichten“. Damit grenzt er den Frauenvollzug vom Männervollzug ab. Denn dort wate man vor allem „knöcheltief in der Scheiße“, wie sein Kollege Joe Bausch sagt, der nicht nur als Schauspieler im sonntäglichen Tatort, sondern auch im wirklichen Leben als Gefängnisarzt arbeitet. Laut Statistik ist nur jede vierte tatverdächtige Person weiblich. Frauen begehen seltener Straftaten, und wenn, dann weniger schwerwiegende Delikte als Männer. Oft handelt es sich um Betrug, Diebstahl, Urkundenfälschung oder Prostitution im Sperrbezirk. Die wenigsten Frauen stehen für einen Mord oder eine räuberische Erpressung vor Gericht. Am Ende eines Prozesses werden 75 Prozent der angeklagten Frauen freigesprochen, zu einer Bewährung oder Geldstrafe verurteilt. Nur jede vierte Angeklagte muss ins Gefängnis. Oft haben sich mehrere Straftaten addiert, oder es wurde gegen Auflagen verstoßen. Im Gefängnis sind Frauen und Männer getrennt unterzubringen. Die Europäischen Strafvollzugsgesetze empfehlen eigene Gebäude und eine eigene organisatorische Führung im Frauenvollzug. Nicht immer wird dies umgesetzt. Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Stadelheim in München etwa hat für Frauen ein eigenes Gebäude, aber keine

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unabhängige Anstaltsleitung (insgesamt gibt es 37 JVAs in Bayern, nur in Stadelheim und Aichach sind auch Frauen untergebracht). So werden Kosten gespart; das Vollzugsregime richtet sich aber nach den Männern, die zahlreicher und gewalttätiger sind. Ausgangsregeln, Besuchszeiten, Bildungsangebote und Freizeitbeschäftigungen, die an den Männern ausgerichtet sind, gelten für alle – auch für die Frauen. „Inhaftierte Frauen sind in diesen Anstalten übersichert“, kritisiert Eva-Verena Kerwien, Referentin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe e.V. In den deutschlandweit sieben eigenständigen Frauengefängnissen sind die Sicherungen hingegen deutlich lockerer. Auf den Mauern fehlt oft der Nato-Draht. Jährlich müssen in Deutschland ungefähr 3200 Frauen ins Gefängnis. Sie machen nur fünf Prozent aller Inhaftierten aus. Doch was gut klingt, wirkt nachteilig: Während Männer je nach Alter oder Straftat in eine ­bestimmte Anstalt kommen, leben im Frauenknast alle zusammen: junge Drogensüchtige, notorische Schwarz­ fahrerinnen, skrupellose Menschenhändlerinnen und ältere Damen, die ihre Gatten vergiftet haben. Nachdem sich eine Verurteilte an der Pforte angemeldet hat, geht es als nächstes zur Gepäckkontrolle, wie Karlheinz Keppler in seinem Buch Frauenknast (2014) schildert: Die Frauen müssen ihre Koffer öffnen, Büstenhalter und Slips werden vom Personal kritisch befingert und nach Drogen untersucht. In vielen Anstalten ist der Schmuck zur Aufbewahrung abzugeben. Nur Ehering und eine Uhr darf die Frau behalten. Piercings werden auf einem Formblatt vermerkt. Dildos sind ein- und auszuschalten oder in einem Röntgengerät zu prüfen. Danach folgt der Aufenthalt in einer Aufnahmestation, wo bald ein Gespräch mit einem Vollzugsbediensteten stattfindet: Es wird über Delikt und Haftdauer gesprochen, der Name des Rechtsanwaltes und der Angehörigen notiert. Gibt es Bewährungshelfer, gesetzliche Betreuer, ist eine Therapie gewünscht, liegt eine Abhängigkeit vor? Viele Frauen, die ins Gefängnis kommen, brauchen Geld, um Drogen zu kaufen. „In einigen Anstalten ist ein Drittel der Inhaftierten drogenabhängig, in anderen 60 Prozent“, schätzt Rita Haverkamp, Professorin für Kriminalprävention und Risikomanagement an der Universität Tübingen. Sie forscht seit 13 Jahren zum Thema und hat inhaftierte Frauen in der bayerischen JVA Aichach und der JVA Willich II nahe Düsseldorf interviewt. Schmuggel und Handel von Drogen kämen bei Frauen weniger oft vor, in erster Linie komme es zu Diebstählen und Betrügereien, um sich Drogen zu beschaffen. In Bayern werden grundsätzlich alle Frauen, die in Haft müssen, zunächst entgiftet. Manchen gelingt es auch in dieser Zeit, ihre Sucht zu verheimlichen. Anders als vor zwanzig Jahren konsumieren Drogenabhängige heute nicht mehr nur Heroin oder Kokain. „Vor allem jüngere Inhaftierte nehmen alles, was einen Rausch erzeugt, auch große

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Mengen Alkohol“, sagt Rita Haverkamp. In den JVAs sind Drogen natürlich schwieriger zu bekommen als draußen. Doch manchmal fliegen an einer verabredeten Stelle zu einer bestimmten Uhrzeit einfach kleine Tütchen über die Mauer in den Hof. Dass Menschen aufgrund von Drogensucht ins Gefängnis kommen, hält Gefängnisarzt Karlheinz Keppler für eine Katastrophe. „Das Betäubungsmittelgesetz gehört auf den Mülleimer der Geschichte“, fordert er und wird leidenschaftlich: Coco Chanel habe viele Jahre reinstes Heroin konsumiert, das an sich sauber sei. Im heutigen Straßenheroin seien vielleicht noch fünf Prozent Heroin vorhanden, der Rest setze sich aus Strychnin, Scheuerpulver, zerbröselten Tabletten und sonstigem Zeug zusammen. Wäre das Gesetz abgeschafft, würden viele Probleme im Frauen­ vollzug verschwinden. Eine Inhaftierte bleibt meist 14 Tage in der Aufnahmestation. Sie lernt dort den psychologischen Dienst kennen, die Suchtberatung, die Krankenabteilung, die Schule und die Gefangenenvertretung – meist sind es „Langjährige“, die sich um die Interessen der Gemeinschaft kümmern. Dann kommt sie in ihre Zelle: neun Quadratmeter, verputzte, gestrichene Wände, hohe, vergitterte Fenster, ein Schrank, ein Stuhl, ein Tisch, eine durchgelegene, harte Matratze, zudem ein „Schambereich“ mit Toilette, abgetrennt durch einen Vorhang. Ein Fernseher ist nur zugelassen, wenn er von einer zertifizierten Werkstatt durchgesehen und versiegelt worden ist. Die Gefangene darf nun eigene Fotos aufhängen und ihre Zelle mit Deckchen dekorieren. Um Feuer zu verhindern, ist nur eine geringe Zahl von Büchern und Zeitschriften gestattet. „Wie viele genau, das ist eine Wissenschaft für sich“, sagt Karlheinz Keppler. Dafür gebe es präzise Vorschriften und ein speziell ausgebildetes Sicherheitspersonal. Weil viele Frauen es nachts warm liebten, schlössen sie die Fenster. Schon nach wenigen Tagen rieche es dann in einer Zelle penetrant nach Schweiß und Exkrementen. „Man sollte sich ein Gefängnis nicht als einen ‚gesunden Ort‘ vorstellen“, sagt die Soziologin Eva-Verena Kerwien und zitiert aus einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation, darin heißt es: „Frauen zahlen in der Haft einen höheren gesundheitlichen Preis als Männer.“ Schon vor der Haft seien sie häufig misshandelt oder missbraucht worden, hätten Drogenprobleme, seien für Kinder verantwortlich und litten an psychischen Störungen. „Es braucht eine frauenspezifische Gesundheitsfürsorge“, fordert Kerwien. Welche Frau gehe freiwillig zu einem männlichen Frauenarzt, wenn sie vergewaltigt wurde? Frauen müssen mit Ärztinnen sprechen können, was nicht überall gewährleistet sei. „Darüber hinaus zahlen Frauen einen höheren gesellschaftlichen Preis als Männer“, sagt Kerwien. Aus Sicht ihres Umfeldes hätten sie nicht nur eine Straftat begangen, sondern auch als Frauen versagt, während kriminelle Männer gängigen Männlichkeitsbildern

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Frauen zahlen in der Haft nicht nur einen höheren ­gesundheitlichen Preis als Männer, weil es an einer ­frauenspezifischen Gesundheitsversorgung fehlt. Sie zahlen auch einen höheren ge­sellschaftlichen Preis. Aus Sicht ihres ­Umfeldes haben sie nicht nur eine Straftat ­begangen, ­sondern auch als Frauen versagt.

entsprächen. Deshalb schämten sich Frauen für ihre Straffälligkeit, fühlten sich selbst schuldig und würden von anderen Menschen stärker moralisch verurteilt und stigmatisiert als Männer. Im Gefängnis passten sich Frauen den Bedingungen an, zeigten sich passiv und litten unter Ohnmachtsgefühlen. In der Folge richteten sie ihre Aggressionen gegen sich selbst, was zu Depressionen führe. Die Tage, die nun beginnen, sind immer gleich: Allgemeines Wecken, Aufstehen, Frühstück in der Zelle, Aufschluss der Zellen, Vergabe der Medikamente, Arbeit, Mittagessen, Arbeit, Abendessen, Ausgabe des Frühstücks für den nächsten Tag, Einschluss in der Zelle, später noch gemeinschaftliches Fernsehen, dann der Nachteinschluss. Wer schon eine Zeit da ist, darf sich mit einer anderen Gefangenen einschließen lassen. Nachts hören die Gefangenen, wenn Schlüssel klappern oder die Frau in der Nachbarzelle schnarcht. Sie hören Streit und Lustschreie, wenn zwei Gefangene miteinander schlafen. Eine neue Gefangene lernt rasch ihre Mitgefangenen kennen, erfährt, welche Cliquen existieren, wer das Wort führt und wer eine „Ladykillerin“ ist. Ausländerinnen bleiben oft unter sich. Und vor allem Drogensüchtige finden sich schnell. Sie müssen ihre Sucht organisieren. „Als die Haftanstalten noch überbelegt waren, ließ sich aus den Gefangenenakten ablesen, wer bereits miteinander eingesessen hatte“, erzählt Haverkamp. Da Frauen in der Regel für ein bis zwei Jahre einsitzen – und damit im Schnitt deutlich kürzer als Männer – sind die Hierarchien weniger klar als im Männerknast.


Wenn ein Mensch tagaus, tagein mit einem anderen eingesperrt ist, sind Konflikte absehbar. Man streitet über schmutzige Toiletten und stinkende Mitgefangene. Es wird geschrien und gemobbt, zuweilen geschubst und an den Haaren gezogen. Mit der Faust wird eher im Männergefängnis zugeschlagen. Der Frauenknast wird deshalb gern als Kuschelvollzug bespöttelt. „Manche Vollzugsangestellte wollen trotzdem lieber im Männergefängnis arbeiten“, erzählt Rita Haverkamp. Sie stöhnten über Zickenkrieg. Ein typisches Beispiel: Wenn eine Frau in der Gefängnisküche einen Kuchen backt, dreht jemand in einen unbeaufsichtigten Moment die Temperatur hoch, damit der Kuchen verbrennt. Solche Boshaftigkeiten lassen sich nicht zuordnen und nagen am Selbstvertrauen. Doch auch im Frauenknast herrscht ein erstaunliches Maß an Gewalt: Bei einer Untersuchung des Krimi-

nologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen sagte ein Viertel der befragten Frauen, dass sie in den letzten vier Wochen geschlagen oder getreten worden seien. Vier Prozent berichteten von sexuellem Missbrauch durch Mitgefangene. Wie gut eine Anstalt geführt wird, hängt von der Leitung und dem Personalschlüssel ab. Mal kommt ein Vollzugsbediensteter auf zwei, mal einer auf fünf Gefangene. Um Hafterleichterungen zu erhalten, verwickeln Frauen die Anstaltsleitung in Gespräche. „Die Methode führt fast nie zum Ziel“, sagt Rita Haverkamp. Wenn sich Männer über zu wenig Privatsphäre oder stinkende Toiletten beschwerten, dann würden sie die Entscheidung der JVA-Leitung abwarten – und dann vor Gericht klagen. Ein Mann beschwerte sich sogar vor dem Bundesverfassungsgericht, weil er sich gegenüber dem Frauenvollzug diskriminiert

Die Fotografien zu diesem Text stammen aus der Serie Women’s Prison von Tomer Ifrah. Sie zeigen Alltagsmomente aus Neve Tirza, dem einzigen Fraugefängnis in Israel, wohin Ifrah drei ­Monate lang einmal pro Woche ging. Die meisten Frauen beachteten den Fotografen kaum. Das macht die Serie so realistisch.

Text Dirk Liesemer

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fühlte. Im Männergefängnis, argumentierte er, gäbe es weniger Telefone und Kosmetikartikel. Er bekam Recht. Noch existiert kein Ranking der besten JVAs, aber auf der Internetseite knast.net können ehemalige Gefangene berichten, lästern, motzen und Sternchen vergeben. Und es werden wenig Sternchen vergeben. Trotz aller Kritik hat sich der Frauenvollzug in den vergangenen Jahrzehnten enorm verbessert. Die größte Reform begann in den 1960er Jahren in Frankfurt: Damals wurden die ersten Mutter-Kind-­Einrichtungen gegründet, die heute im offenen wie geschlossenen Vollzug etabliert sind. Säuglinge und Kleinkinder können bis zum dritten Lebensjahr bei der Mutter bleiben, sofern nicht das Kindeswohl dagegen spricht. Doch ausgerechnet Familien, die es am nötigsten hätten, sind von diesem Angebot ausgenommen: Suchtkranke Mütter sowie kranke und behinderte Kinder. Sie sind weiter die mitbestraften Dritten. Eva-Verena Kerwien fordert ein „Family Mainstreaming“: Kinderbeauftragte in den JVAs, Schulungen für das Personal, das mehr Sensibilität lernen müsse, mehr offener Vollzug für straffällige Eltern, lieber Hausarrest und elek­ tronische Fußfessel statt Gefängnis, mehr Besuchstermine, die auch flexibler und länger sein sollten als bisher. Ein Bündel von Maßnahmen sei notwendig: Spielecken in den Besuchsräumen, mehr Telefone und Möglichkeiten zum Skypen. Und schließlich sei der Ausgang zu strikt geregelt: Bei Taufe, Einschulung und wenn das Kind schwer erkrankt, sollte mehr Großzügigkeit walten. Bislang entscheidet die Anstaltsleitung, welche Strafgefangene eine Lockerung bekommt. Zu selten, sagt Kerwien, würden dabei auch die Interessen der Kinder und Partner berücksichtigt. Es klingt wie eine Utopie. Sie ist jedoch nicht frei erfunden, sondern wird bereits erprobt: im Familienhaus Engelsborg in Dänemark, wo verurteilte Frauen (und Männer) den letzten Teil ihrer Strafe verbringen. Das Haus liegt in einem wohlhabenden Viertel in der Nähe von ­Kopenhagen. Das Grundstück ist weder durch eine Mauer noch durch einen Zaun begrenzt. Doch die Regeln sind strikt: So müssen die Aufseher jederzeit informiert sein, wo sich ein Häftling aufhält, wenn er das Haus verlässt. Jeder Gefangene hat ein Mobiltelefon und eine Liste mit Terminen. Nach Mitternacht darf niemand mehr Engelsborg verlassen. Wer sich nicht an Hausregeln hält, muss zurück ins Gefängnis. Kinder und Eltern leben zusammen und werden von Sozialarbeitern und Psychologen betreut. Zweimal im Jahr fährt das Familienhaus mit allen in die Ferien. Manche Kinder berichten anschließend, wie nahe sie ihren Eltern gekommen seien – ausgerechnet beim ­Urlaub auf dem Bauernhof.

Fotografie Tomer Ifrah

Dirk Liesemer ist Reporter und arbeitet von München aus. ­Seine Texte erscheinen in GEO, in mare und im Feuilleton der FAZ. Im Moment arbeitet er an einem Buch über Inseln für den Mareverlag.

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Die „Stadt der Frauen“ im 21. Jahrhundert – ­Festung, Open House oder Experimentierfeld?

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Stadt der Frauen – Ein Kongress


Frauen und Männer: Spielt das Geschlecht heute noch eine Rolle? Wer darf wen verführen, und gibt es eine hysterische ­ Vernunft? Auf ihrem Kongress Stadt der Frauen bittet die Bayerische Staatsoper zum Diskurs. Festspiel-Werkstatt





Es reisen an:  Barbara Vinken Professorin für Literaturwissenschaft aus München mit großem Faible für Mode. Zusammen mit der Staatsoper ist Barbara Vinken Gastgeberin des Kongresses, in dessen Rahmen sie verschiedene Konstruktionen einer Stadt der Frauen entwirft.  Elisabeth Bronfen Kulturwissenschaftlerin und Professorin für Englische und Amerikanische Literatur aus Zürich. Elisabeth Bronfen spürt Womanizern wie Don Giovanni in modernen amerikanischen TV-Serien nach.  Cynthia Chase Literaturwissenschaftlerin und Professorin für Komparatistik an der Cornell University Ithaca, New York. Cynthia Chase untersucht auf dem Kongress die Verführungskraft der Tenorstimme.  Michaela Melián Künstlerin, Komponistin und Musikerin aus München. Mit Unterstützung von Sängern sucht Michaela Melián den Dialog mit Giacomo Puccini und sampelt die letzte Szene von La bohème.  Beate Söntgen Professorin für Kunstgeschichte an der Leuphana Universität Lüneburg. Beate Söntgen spricht über Mütterbilder im Werk der Berliner Künstlerin Michaela Meise.  Klaus Theweleit Kulturtheoretiker aus Freiburg. Der Autor untersucht die Zügellosigkeit seiner einst veröffent­ lichten Männerphantasien und spricht über Königstöchter von Medea bis Pocahontas.

David J. Levin Professor für Germanistik und Film an der University of Chicago. David J. Levin sucht gemeinsam mit den Besuchern und Tänzern des Projekts Jephta’s Daughter der Zivilisation ferne, utopische Orte.  Philipp Ekardt Berliner Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker. Ausgehend von Alexander Kluges Opernfilm Die Macht der Gefühle (1984) ist Philipp Ekardt dem weiblichen Parsifal auf der Spur und debattiert in der Nacht mit Barbara Vinken über Mode.  Juliane Vogel Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Konstanz. Ihre Schlaglichter erhellen weibliche Formen des Auftritts auf der Bühne und im Alltag.  Mieke Bal Filmemacherin und Kulturwissenschaftlerin aus Amsterdam. Mieke Bal weist nach, wie der Besuch einer Vorstellung von Lucia di Lammermoor das Begehren in Gustave Flauberts Romanheldin Emma Bovary erweckte.  Cornelia Wild und Shoshana Liessmann Romanistin und Musikwissenschaftlerin aus München. Das Forscherinnenduo will herausfinden, mit welchen Stimmen Frauen sich Gehör verschaffen.  Saskia Bladt Komponistin und Musikwissenschaftlerin. Saskia Bladt unterbricht für kurze Zeit ihre Residenz an der Villa Massimo in Rom, reist nördlich der Alpen und lädt zum ­Hörquiz ein.

Illustration Christina Gransow

Klaus Walter DJ, Radiomacher und Autor aus Köln. Klaus Walter zeigt Popvideos und stellt sich die Frage, ob es darin um Inszenierung der Geschlechter oder um Pornografie geht.  Ursula Pia Jauch Professorin für Philosophie an der Universität Zürich. In einem Leseboudoir entdeckt die Philosophin mit den Besuchern die lustvolle Welt frühfeministischer Texte von Immanuel Kant bis Philippine von Knigge.  Schwester Carmen Soziologin und erste Münchner Äbtissin der Kommunität Venio. Schwester Carmen lädt zum nachdenklichen Spaziergang in den Kongress-Garten ein.  Katarzyna Kozyra Künstlerin aus Warschau. Ihre Rollen und Identitäten wechselt Katarzyna Kozyra ständig, verleiht sich folglich selbst eine Professur und hält nach weiblichen Forschungsgebieten Ausschau.  Manuela Hartel sowie Klasse für Medienkunst der Akademie der Bildenden Künste München Münchner Medienkünstlerin und ihre Studenten. Die Gruppe findet die Ansichten von Christine de Pizan und Federico Fellini extrem überholt und arbeitet mit am neuen Bau der Stadt der Frauen. Ayzit Bostan und Tanja Seitner legen sehr gute Musik auf.

Festspiel-Werkstatt Stadt der Frauen – Ein Kongress Samstag, 27. Juni 2015, 13:00 Uhr bis in die Nacht, Alte Kongresshalle

Mehr über die Illustratorin auf S. 20



Wir sind mehr Penthesilea als Käthchen Hätte eine Therapie die rasende Penthesilea beruhigen können, eh sie ihren Geliebten Achill zerriss? Blicke Küsse Bisse ü ­ berschrieb die Bayerische Staatsoper die Spielzeit 2014/15 frei nach Kleist, und bat zum Saisonfinale den Paartherapeuten Wolfgang Schmidbauer um seine Sicht auf Liebesdramen. Wenn Beschreiben und Analysieren eine Form der Machtübernahme ist, gilt für unsere Gefühle und Affekte eben das, was der Psychiater Ernst Kretschmer­ 1919 in einer Vorlesung über Psychopathen sagte: „In ruhigen Zeiten diagnostizieren wir sie, in unruhigen regieren sie uns.“ In ruhigen Abschnitten unseres Lebens denken wir über unsere Emotionen nach, ordnen sie und treffen dann Entscheidungen. In der Liebe hängt die Klarheit, die wir auf diesem Weg finden, leider mit einer freundlichen Selbsttäuschung zusammen. Wir gehen davon aus, dass ein in Liebe verbundenes Paar an eine Form der Liebe glaubt und dieser folgt wie der antike Seefahrer dem Polarstern. Solange mein Gegenüber fühlt, denkt, entscheidet und erlebt wie ich – also „normal“ – ist alles gut. Und wenn nicht? Wenn sich herausstellt, dass jeder seine eigene Form der Liebe hat, dass sich diese Formen unterscheiden, dass diese Differenzen Folgen haben? Was tun, wenn sich mein Gegenüber nicht mehr „normal“ verhält, wenn es andere mehr zu lieben scheint als mich? Hier erweist sich gerade die schweigende Erwartung der „Normali-

Blicke Küsse Bisse

tät“ als Verhängnis, die nur eine Erweiterung der eigenen Liebesfantasie ist und kein Gespräch mit dem Gegenüber einleitet. Achilles und Penthesilea in Heinrich von Kleists Drama Penthesilea sind ein für einander bestimmtes Paar. Es ist die Liebe auf den ersten Blick, die einen längst im Unbewussten gespeicherten Liebestraum erfüllt. Aber auch sie können sich nicht austauschen. Sie scheitern daran, dass jeder absolut sicher ist, für zwei zu lieben und damit nicht offen ist für die innere Welt eines/einer geliebten Fremden. Wo die Projektion der eigenen Liebe die einzige Grundlage für eine Beziehung ist, wird aus dem Kuss der Biss; aus Sieg und Verschmelzung werden Untergang und Vernichtung. Lässt sich ein solcher Prozess aufhalten? Ja, wenn es eine dritte Macht gibt, die sich zwischen den Kuss und den Biss schiebt; eine Macht, die eine Grundlage schafft, einen Raum dafür öffnet, die Kränkung unseres Stolzes ertragen zu können; die Kränkung, dass auch die größte Liebe das Gegenüber nicht vollständig verwandeln kann. Hilfreich sind Distanz, Kreativität und Humor, um Einsicht zu gewinnen in

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das, was unserem Regime der Normalität widerspricht. So ließe sich das Ärgste verhindern. Wenn aber Angst und Rachewünsche die Oberhand gewinnen, ist die Not groß. Die grundlegenden Prozesse sind in den Liebesbeziehungen einer verwalteten Welt nicht anders als in den Mythen, Legenden und (Kunst-)Märchen, auf denen die Tragödien und Melodramen der Bühne beruhen. Auch im 21. Jahrhundert denkt der Kriminalist bei einem Mord zuerst an den statistisch häufigsten Fall: an den Ehemann, die Ehefrau. Auch moderne Menschen zerstören ihr Gegenüber im wütenden Versuch, die aufgebrochene Differenz auszulöschen. Liebende spielen sich nicht nur auf der Bühne in ihr Verderben hinein und manchmal im letzten Moment auch wieder heraus. Schon Heinrich von Kleist hat geahnt, unter welchen Bedingungen die (Selbst-)Zerstörung der Liebenden rückgängig gemacht werden kann. Er hat in Briefen bemerkt, dass sein Käthchen und seine Penthesilea zusammen gehören. Das Ritterschauspiel Das Käthchen von Heilbronn (1808) endet in Eintracht, weil hier Autorität und Gesetz Einfluss nehmen dürfen. Die impulsiven Affekte werden auf diese Weise in ihren Wirkungen begrenzt, obwohl Käthchen zunächst aus dem Fenster im Oberstock ihrem Grafen hinterher springt und sich einige Knochen bricht. Deswegen wurde der Graf Friedrich Wetter vom Strahl von Käthchens Vater angeklagt, seine verschwundene Tochter mit einem Liebeszauber belegt zu haben. Der Graf wird jedoch freigesprochen, denn es wird aufgeklärt, dass das Käthchen dem Grafen freiwillig und in blinder Ergebenheit nacheilte. Nachdem sie in der Folge Mut und Voraussicht bewiesen hat, verliebt sich der Graf dann selbst mit aller Macht in die junge Frau. Als schließlich ihre Gegenspielerin Kunigunde als Giftmischerin entlarvt wird und der Kaiser seine Vaterschaft gegenüber Käthchen anerkennt, kann der Graf Käthchen standesgemäß heiraten. Der Liebesfluch, mit dem sie zu Beginn geschlagen scheint, tötet sie nicht, son-

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dern erweist sich zuletzt noch als Segen. Der Kaiser symbolisiert in der Geschichte den Raum, in dem die Liebenden sich über ihre unterschiedlichen Lebenswelten austauschen und zusammenfinden können. In Kleists Tragödie Penthesilea aus dem gleichen Jahr fehlt dieser Raum. Penthesilea und Achilles sind Anführer verfeindeter Heere und siegesgewohnte Kämpfer. Es gibt niemanden, der ihnen raten, der die Macht ihrer Impulse in Liebe und Hass bändigen kann. Nachdem es Achilles gelungen ist, die Amazone Penthesilea im Zweikampf zu besiegen, fällt sie in Ohnmacht und kann sich danach an nichts mehr erinnern. Achilles verschweigt ihr, dass er sie überwältigt hat, und so kommt es dazu, dass beide sich ineinander verlieben. Nachdem Penthesilea jedoch die ganze Wahrheit erfahren hat, schlägt ihre Liebe in Zorn um, und sie tötet Achill aus verletztem Stolz. Danach vermag sie die Scham nicht zu ertragen, reißendes Tier gewesen zu sein. Nach dem Mord hat die Vernunft so wenig Macht über Penthesilea wie die Versuche der Gefährtinnen, ihr die Waffen wegzunehmen und sie so am Suizid zu hindern. Sie formt aus dem eigenen Schmerz einen tödlichen Dolch und stößt ihn sich in die Brust. Könnte eine Therapie mehr ausrichten als das gute Zureden der Freundinnen? Lässt sich ein Dialog entwerfen, in dem solche Wut gezähmt wird? Die Chance dafür hängt von einem Prozess ab, den der englische Psychologe Peter Fonagy „Mentalisierung“ nennt. Wir können unsere heftigen Gefühle sogleich in Taten umsetzen oder sie erst einmal in Gedanken destillieren. Dann versuchen wir, das Verhalten des anderen, seine inneren Zustände zu interpretieren. So wird eine unblutige Form des Dramas möglich. In einer Paartherapie geht es immer wieder darum, ob die Partner mit dem, was sie sich bisher angetan haben, spielen können oder es sogleich in (potenziell) blutigen Ernst umsetzen. Aus: „Du hast mich betrogen, das werde ich dir nie verzeihen!“ kann auch ein Dialog entstehen: „Du warst




In der Liebe hängt die Klarheit, die wir durch das Ordnen von Gedanken finden, leider mit einer freund­ lichen Selbsttäuschung zusammen. Wir gehen davon aus, dass ein in Liebe verbundenes Paar an eine Form der Liebe glaubt.

mir lange Zeit treu, dann hast du mich betrogen und ich habe gedacht, alles ist zu Ende. Aber wir sind doch zusammen geblieben. Jetzt habe ich dich betrogen. Wie machen wir weiter?“ In jeder Form von seelischer Heilung wird die zerstörerische Macht der großen Affekte von Kampf und Flucht, Wut und Panik verlangsamt. Dramatisch ist die schnelle Entscheidung; therapeutisch dagegen ist der Raum, in dem um solche schnellen Entscheidungen gewissermaßen herumspaziert werden kann, in dem es möglich ist, sie von allen Seiten zu betrachten. Dabei kommt es darauf an, sich nicht nur an den eigenen Gefühlen zu orientieren, sondern sich auch in die Gefühle des Gegenübers hineinzuversetzen. In den Liebesdramen mit gutem Ende finden sich solche Momente, in denen die Liebenden Zeit und Raum finden, ihre zerstörerischen Affekte zu bändigen. Es gelingt ihnen, sich in ­dieser Aufgabe gegenseitig zu unterstützen. Nun haben die Dichter und Komponisten der Liebestragödien von Anfang an etwas anderes gewollt als ein Therapeut. Daher sollte sich dieser nicht wundern, wenn sie sein Ärmelzupfen ab-

Fotografie Jonas Lindstroem

schütteln. Es geht ihnen darum, die Zuschauer zu erschüttern und ihnen in dieser Erschütterung auch klarzumachen, wie weise es ist, rechtzeitig innezuhalten in Wut und impulsiver Zerstörung. Die Neuerfindung der leidenschaftlichen, grenzsprengenden, schöpferischen Liebe während der Epoche der Aufklärung stellt Eros in den Dienst der Selbstbefreiung Einzelner aus dem Bann der Tradition, des Standes, der arrangierten Ehen. Kleist hat diese Gedanken in seinen sogenannten „Brautbriefen“ mit der ganzen Frische einer neuen Entdeckung entworfen und reflektiert. In seinen Dramen gestaltet er die Krisen solch leidenschaftlicher Kompromisslosigkeit. Erfolgreich ist Liebe bei ihm nur durch das Wunder, durch den Eingriff des Göttlichen, des Schicksals. Im Käthchen von Heilbronn gelingt die Ehe durch die wundersame Erhöhung der Braut durch den Kaiser und dank gesteigerter Aktivität eines Schutzengels. In Kleists Nachdichtung des Amphitryon ist Jupiter persönlich am Werk. Wo solche Mächte aber untätig bleiben, wie in der Penthesilea, droht die Liebe ihr Objekt zu verzehren. Die meisten Menschen heute reagieren mit Erschrecken und Schauder auf die Wucht einer solchen Liebe, die oft mit einem Schlag durch die Kränkung höchster Erwartungen in Hass umschlägt. Psychologisch erklären wir uns das so, dass während einer normalen Kindheit stabilisierende innere Bilder von den nahen Bezugspersonen entstehen. Diese Bilder begleiten uns ein ­Leben lang. Sie schützen uns vor Entgleisungen. Wo solche positiven Vorstellungsbilder fehlen, bei verlassenen oder misshandelten Kindern, werden später primitivere Bruchstücke davon – ganz böse, ganz gute Wesen – in die Außenwelt verlegt. Es werden quasi weniger komplexe, eindimensionale Rollenbilder auf die Umgebung projiziert, als Reaktion auf das Verhalten einzelner Personen. Um zu verdeutlichen, wie unversöhnt und ohne Verständigungsmöglichkeiten die Welt solcher Borderline-Störungen


Die narzisstisch durchtönte Leidenschaft der Verliebtheit macht das Gegenüber zu Materie, aus der Neues gebaut wird. Keine Therapie kann mit dieser Magie Schritt halten.

und die normale Welt nebeneinander bestehen, erwähne ich hier Adrian Lynes Filmklassiker Eine verhängnisvolle Affäre aus dem Jahr 1987. Dort begegnet der verheiratete Rechtsanwalt Glen Gallagher (Michael Douglas) einer faszinierend schönen Frau (Glenn Close), die ihn zuerst verrückt anbetet und dann mit ebenso verrücktem Hass verfolgt. Sie hat Fragmente ihrer zerbrochenen Ur-Bilder auf ihn projiziert, die Sehnsucht zuerst, die Panik und den Hass danach, beide ohne jedes Maß. In letzter Sekunde besiegen die Eheleute Gallagher mit vereinten Kräften die Bedrohung und erneuern in diesem Kampf auch ihre zur Routine gewordene Ehe. Kleists Penthesilea ist als Drama einer solchen Persönlichkeitsstörung viel moderner als das Käthchen von Heilbronn. Denn hier werden die guten und bösen Fragmente einer radikalen Liebe in Lichtgestalt (Käthchen) und Giftmischerin (Kunigunde) gespalten. In der Figur der Penthesilea dagegen sind diese Bruchstücke in einer Liebenden vereint. Während Käthchen niemals ohne ihr Gegenstück Kunigunde so gut, so liebreich und hingebungsvoll sein könn-

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te, kündigt Penthesilea mit ihrer Spaltung eine Schattenseite der bürgerlichen Selbstbefreiung an, die sich in den Traditionsbrüchen der Französischen Revolution manifestiert hat. Seither ist das abendländische Ich in seiner Integrität, seiner Unversehrtheit bedroht. Penthesilea erinnert sich nicht an ihr mörderisches Alter ego. Sie erwacht und weiß nicht mehr, was geschehen ist. Die Romantiker haben erkannt, wie schwierig es ist, ein einigendes, ganzheitliches Ich aufrechtzuerhalten, einen Wagenlenker im Sinne Platons, der sein Gespann zusammenzuhalten vermag. Als Achilles und Penthesilea sich begegnen, entsteht eine Liebe, die ganz dem romantischen Ideal entspricht: Sie ist augenblicklich da und verändert die Sicht auf die Welt. Die Liebenden sind umso eher bereit zu verschmelzen, je weniger sie sich kennen, je ungestörter sie glauben können, ihr Gegenüber entspreche genau ihren Erwartungen. Die narzisstisch durchtönte Leidenschaft der Verliebtheit macht das Gegenüber zu Materie, zu Stoff, aus dem Neues gebaut wird. Keine Therapie kann mit dieser Magie Schritt halten. Und nur unter günstigen Umständen wird es gelingen, den Absturz zu dämpfen und den Schrecken zu mildern, sobald sich diese Verschmelzung als Illusion erweist, die unterschiedlichen Elemente einer als tragend geglaubten Legierung auseinanderfließen.

Wolfgang Schmidbauer ist Psychoanalytiker in München. Er schreibt neben Sach­ büchern über Partnerschaft, Sexualität und Gesellschaft auch Erzählungen und ­Romane. Mit Kleist beschäftigt er sich in seinem Buch Kleist – Die Entdeckung der narzisstischen Wunde. 2014 erschien sein Buch Das Rätsel der Erotik.


Claudio Monteverdi

Erzählt von Kiersten Essenpreis

L’Orfeo


Nymphen singen und tanzen in Erwartung der Hochzeit von Orfeo und Euridice. Euridice macht sich zusammen mit anderen auf die Suche nach Blumen f端r ihren Schleier.


Doch eine Nymphe kommt zur端ck mit einer ersch端tternden Nachricht.


Euridice wurde von einer Schlange gebissen und ist tot.


Trauer überfällt Orfeo, doch er beschließt, Euridice in die Unterwelt zu folgen. Die Hoffnung leitet Orfeo auf seinem Weg in die Unterwelt. Sie verlässt ihn jedoch an den Ufern des düsteren Flusses, der als erstes überquert werden muss.


Mit der Kraft seiner Musik versucht Orfeo, den Fährmann Caronte zu überzeugen, ihn überzusetzen. Der Versuch scheitert. Aber Caronte schläft ein, und Orfeo ergreift die Gelegenheit, selbst zu den Toren der Hölle zu fahren. Dort bittet Proserpina ihren Gemahl Plutone, Orfeo zu gestatten, Euridice auf die Erde zurückzuführen, damit sie sich wieder


den Lebenden anschließen kann. Plutone stimmt zu, aber warnt, dass sie für Orfeo auf ewig verloren sein wird, sobald er sich auf ihrem gemeinsamen Rückweg nach ihr umdreht, um sie anzusehen.


Unf채hig, die gebotene Regel zu befolgen, schaut sich Orfeo tats채chlich um. Euridice wird ihm genommen und darf nicht zur체ck auf die Erde.


Orfeo versinkt in Verzweiflung. Erweicht von seinem Jammer, steigt Apollon zu Orfeo herab und bittet ihn zu sich in den Himmel. Orfeo willigt ein und steigt zusammen mit dem Gott hinauf.


C

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Forschungsprojekt Bayerische Staatsoper Folge 8 1933 – 1963

Die Bayerische Staatsoper beauftragte in der Jubiläumsspielzeit 2013/14 ein Forschungsteam des Instituts für Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München damit, die Geschichte des Hauses von 1933 bis 1963 zu untersuchen. Auch in dieser Spielzeit berichten die Forscher in MAX JOSEPH kontinuierlich von ihrer Arbeit.

„Reibungslos in die neue Zeit“ – Arabella von Richard Strauss in München ­ zwischen 1933 und 1968 Ab den späten 1930er Jahren wurde an der Bayerischen Staatsoper eine szenische Ästhetik geprägt, die sich problemlos bis in die 1960er Jahre fortschreiben ließ. Dies belegt kein Werk so nachdrücklich wie ­Arabella von Richard Strauss, das von 1933 bis 1968 in fünf Neuinszenierungen auf dem Spielplan stand. Ein Kernelement der Münchner Interpretation blieb dabei im Wesentlichen unverändert: Die luftige ­Freitreppe von Rochus Gliese aus dem Jahr 1939, auf der eine ganze Weile später das „Traumpaar des ­deutschen Wirtschaftswunders“ zusammenfand, Dietrich Fischer-Dieskau und Lisa della Casa. Welch ein Eklat, reif für einen bilderreichen Exklusivbericht in der halbseidenen Regenbogen-Presse: Ein burschikoses Mädel mutiert in einer knappen halben Stunde zur blühenden jungen Frau. Freilich zahlt sie dafür einen hohen Preis. Sie musste sowohl ihre ältere Schwester als auch den eigenen Angebeteten hintergehen. Dass sie sich dafür in der Donau ertränken will, scheint nicht mehr als recht und billig, denn zum unstandesgemäßen Schäferstündchen mit dem Offizier addiert sich auch noch die Schande eines nächtlichen Negligé-Auftritts in einem öffentlichen Hotel, unter den Augen alter wie junger Spanner. Der Lackel von Offizier versteht gar nichts vom Tausch der beiden Schwestern als Objekt seiner Begierde und ist am Ende froh, sein sexuelles Glück im Dunkeln doch noch mit einem hübschen Gesicht verknüpfen zu dürfen – auch wenn es, für den Rest seines Lebens als Ehemann, nicht die angebetete ältere Schwester ist. Dieses Offiziersleben freilich schwebt in großer Gefahr, denn der frisch mit der älteren Schwester verlobte kroatische Großgrundbesitzer

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hat zwei schwere Säbel bestellt, um die nächtliche Unzucht nach seiner heimatlichen Gewohnheit mit brachialen M ­ itteln ungeschehen zu machen. Er selber, dieser Verlobte, sieht sich im gleichen Augenblick einer Duellforderung seines künftigen Schwiegervaters gegenüber, weil er in seiner ­rasenden Eifersucht auf den Offizier beim Fiakerball, kaum verlobt mit der älteren der beiden Grafen-Töchter, die Sau rausgelassen und sich mit einer lustigen, aber kaum standesgemäßen Bordsteinschwalbe öffentlich vergnügt hatte. Und selbst die ältere Schwester, schöne Rührmichnichtan und Königin des Faschingsballs, ihrer gräflichen Familie und der ganzen miesen nächtlichen Operette im Treppenhaus des Hotels, spielt, wie es scheint, noch mit der ­Unbotmäßigkeit des Augenblicks. Sie klärt nichts auf, ­obgleich sie alles durchschaut, sondern tröstet ihre kleine Schwester und erkennt an deren Handeln mit einem Schlag, was wahre Herzensbildung ist. Dieser Augenblick von Arabellas Erkenntnis ist das dramatische Zentrum der Oper Arabella von Richard Strauss.


Arabella weiß, dass der Richtige für sie gekommen ist und dass er schuldlos ist in seiner Rage. Dieses Wissen repräsentiert ihren Abschied vom Jungmädchendasein und lässt sie endgültig reifen zur liebenden Frau. Vor dieser Kon­ trastfolie eines unauslöschlich verinnerlichten Liebesgefühls schrumpft der haarsträubende Operettenklamauk der ­voraufgegangenen Augenblicke, die Präpotenz aller Männer, auch diejenige Mandrykas, und die affirmierte Con­ tenance von Umgangsformen und Etikette zum Zerrbild einer längst nicht mehr besseren Gesellschaft. Alle Äußerlichkeiten der sogenannten zwischenmenschlichen Beziehungen und selbst die vitale körperliche Lust am Tanzen, im Wiener Walzer, gerinnen zur hohlen Fassade und ­trügerischen Glückseligkeit eines zur Farce verkommenen Lebens. Dagegen steht als neue Qualität die individuelle Sensibilität der handelnden Figuren, vor allem Arabellas sicheres Gespür für den entscheidenden Augenblick in ihrem ganzen Leben, das sie untrennbar verknüpft mit eben diesem Gespür Mandrykas für die ersehnte Gefährtin seines Glücks. So harmlos und unpolitisch das Sujet auch schien, so unverfroren wurde es vor wie nach dem Zweiten Weltkrieg zum repräsentativen Abbild politischer Doktrinen oder ­gesellschaftlichen Selbstverständnisses: eine Oper, die über einen Weltkrieg und vier Jahrzehnte hinweg die Sehnsüchte der Zuschauer zu spiegeln vermochte. Die Blickrichtungen waren freilich grundverschieden. Die Gesellschaft der dreißiger Jahre erkannte die kulturellen Werte dieser Oper als trostreiche und verklärende Rückbesinnung auf eine einstmals brillante und verzaubernd schöne Vergangenheit, die zu rekultivieren – und sei es nur für die drei Stunden einer Theateraufführung – sich allemal lohnte. Genau dieses Konzept verfolgte die neue nationalsozialistische Reichsführung in ihrem Bestreben, eine neue deutsche Oper zu propagieren, für die man Arabella schon in Dresden 1933, erst recht in München 1939 als herausragendes Exemplar erkannte. Die Nachkriegsgesellschaft der fünfziger und sechziger Jahre hingegen wandte den Blick – wohl aus Verdrängungsbestreben – nicht rückwärts, sondern alternativlos nach vorn, in die Errungenschaften des wachsenden deutschen Wirtschaftswunders und erkannte sich mit gleicher Selbstverständlichkeit in dieser Handlung um eine auf Geld gebaute Liebesheirat problemlos wieder. Die Mischung aus Wiener Walzer-Seligkeit, zauberhaftem Wiener Schmäh, auftrumpfendem Klamauk, musikalisch sensibel ausgeleuchteten Figuren und einem bisweilen himmelstürmenden musikalischen Lyrismus war schon in den Vorankündigungen zum internationalen Erfolg geschrieben worden, obgleich wegen der strengen Geheimhaltung durch Strauss und der Schwierigkeiten Hofmannsthals, den skurrilen Stoff in eine glaubwürdige Bühnenfassung zu bringen, niemand wusste, um was genau sich die Opernhandlung drehen sollte. Zwei Jahre vor der Uraufführung, ab 1931,

Text Jürgen Schläder

Viorica Ursuleac als Arabella in der Münchner Inszenierung von 1939 (Regie: Rudolf Hartmann, Bühnenbild und Kostüme: Rochus Gliese) auf einer kurzen Treppe vor dem Ballsaal im 2. Akt. Quelle: Dt. Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt

begann in den Gazetten ihre Erfolgsgeschichte, in der ­unverhohlen geäußerten Hoffnung, eine neue Strauss-Premiere werde die Dresdner Oper in altem Glanz erstrahlen lassen. Tatsächlich bedeutete Arabella für Strauss und die Semperoper einen der größten Theatererfolge überhaupt. Zugleich ereignete sich rund um die Uraufführung am 1. Juli 1933 in Dresden eines der frühesten und offen ­aggressivsten Kapitel nationalsozialistischer „Kulturpolitik“, das in seinem Publikum auf fruchtbaren Boden stieß. Knapp vier Monate vor der Arabella-Premiere verlief die „Säuberungsaktion“ der Nationalsozialisten in der Führungsetage der Semperoper sehr rasch, konsequent und beispiellos brutal. Generalmusikdirektor und Operndirektor Fritz Busch, seit 1922 mit großem internationalem ­Erfolg im Amt, wurde in einem Handstreichverfahren entmachtet: Busch, selber kein Jude, aber mit vielen Juden eng befreundet, wollte die künstlerischen Stellen in der Oper nach Fähigkeit und Leistung und nicht nach arischem Geburtsnachweis besetzen. Diese offensiv vertretene Personalpolitik wurde ihm zum Verhängnis. Als er am 7. März abends zum Dirigat einer Rigoletto-Aufführung ans Pult der

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Schlussbild 2. Akt aus der Dresdner Uraufführung am 1. Juli 1933. In der Mitte Alfred Jerger als Mandryka, über ihm (mit dem Champagnerglas in der linken Hand) Ellice Illiard als Fiakermilli. Der wuchtige Raum mit der klobigen Architektur wandelte sich in den folgenden ­Jahrzehnten vor allem in München ins Elegante und Mondäne. Copyright Reinhard Berger

­ emperoper trat, wurde er von einem organisierten SA-HauS fen niedergebrüllt, so dass eine musikalische Aufführung nicht möglich war. Busch verließ das Haus und betrat es nicht wieder, aber nur zwei Orchestermusiker folgten ihm an diesem Abend. Die übrige Staatskapelle spielte die ­Verdi-Aufführung unter der Leitung von Kapellmeister ­Hermann Kutzschbach. Nur fünf Tage später e­ rklärten ­viele Solosängerinnen und -sänger des Ensembles den Opern­ direktor in einer schriftlichen Stellungnahme für unfähig, die Semperoper künstlerisch zu leiten, unter den Unterzeichneten mit Friedrich Plaschke (Graf Waldner), Margit Bokor (Zdenka), Martin Kremer (Matteo), Ludwig Eybisch (Zimmerkellner), Rudolf Schmalnauer (Djura) und Kurt Böhme (Graf Dominik) auch ein halbes Dutzend Solisten, die dreieinhalb Monate später in der Arabella-Uraufführung sangen und spielten. Nur einen Tag nach dem Eklat im Orchestergraben wurde auch Generalintendant Alfred Reucker, seit 1921 im Amt, ohne Vorankündigung von seinen Geschäften entbunden. Ihm folgte mit dem Geheimrat Dr. Friedrich Theodor Paul Adolph ein Mann, der die linientreue kulturästhetische Zukunft der Semperoper ­ ­sicherstellte.

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Richard Strauss war an der Besetzung der Uraufführung nicht unbeteiligt. Mit der Verpflichtung von Clemens Krauss, dem damaligen Musikdirektor der Wiener Staatsoper, als Dirigenten und seiner Ehefrau Viorica Ursuleac für die Rolle der Arabella bot man in Dresden Weltspitze auf. Strauss war mit diesen Personalentscheidungen sehr zufrieden. Freilich ließ er zu Fritz Buschs Vertreibung aus Dresden kein Sterbenswörtchen verlauten, obgleich er damals seit mehr als zehn Jahren einen regen brieflichen ­Gedankenaustausch mit dem Dirigenten pflegte und ihm wie dem Intendanten Reucker die Partitur der Arabella gewidmet hatte. Die Verpflichtung des Ehepaars Krauss/ Ursuleac zeichnete, wie sich schon bald zeigen sollte, in der Struktur der überraschenden Entscheidungen den Weg der beiden Künstler auch an die Bayerische Staatsoper vor. 1936 kamen sie auf Anordnung Adolf Hitlers in München an und verliehen der Staatsoper in der „Hauptstadt der Bewegung“ fortan ein international glänzendes künstlerisches Gepräge, das sich in einer scheinbar unpolitischen Kulturszene entfaltete. Den Dresdner Erfolg der Arabella begriffen die Nationalsozialisten allerdings als Fanal für die herausragende und international bewunderte Pflege des deutschen Kulturguts Oper. Wer zwischen den Zeilen zu lesen verstand, konnte schon zwei Tage nach der Premiere, am 3. Juli 1933, aus prominenter Feder Lehrreiches über die kulturpolitische Bedeutung dieser Aufführung erfahren. Das spätere


NSDAP-Mitglied Eugen Schmitz, ein Münchner „Gewächs“, vor dem Ersten Weltkrieg Musikkritiker bei der Münchner Allgemeinen Zeitung und nach seiner Übersiedlung nach Dresden bis 1939 Musikredakteur der Dresdner Nachrichten, gab den Ton an: „Das Ereignis der Uraufführung hatte ein glänzendes Publikum im festlich mit den Reichsfarben [schwarz-weiß-rot] und dem Hakenkreuz geschmückten Semperhause versammelt.“ Eben dem Befehl zur Beflaggung mit Hakenkreuzfahnen hatte sich Fritz Busch kraft seines Amtes als Operndirektor widersetzt und war dafür entmachtet worden. Schmitz resümierte angesichts dieser festlichen Kulisse im Sinne des Regimes: „Und man hatte immer wieder den Eindruck, daß das nicht nur die gehobene Stimmung dieses einen, die Dresdner Festspielwochen glänzend einleitenden Abends sei, sondern der spontane Ausdruck eines neuen zuversichtlichen Glaubens an die Lebenskraft der deutschen Oper.“ Bis in die subtilen Details der Wortwahl wurde der Arabella-Erfolg propa­ gandistisch ausgeschlachtet, denn als Garant für diese überragende Qualität galt dem Musikredakteur der Dresdner Nachrichten der „musikalische Führer“ Clemens Krauss. NSDAP-Mitglied Hans Schnoor, in den frühen 1920er Jahren Feuilletonleiter und Musikredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten und zwischen 1926 und 1945 Musikredakteur des Dresdner Anzeigers, besaß auch den Blick für die kulturpolitischen Perspektiven und die Hilfe eines der international geachtetsten lebenden deutschen Künstler, die sich mit dieser Opernpremiere für Deutschland und das neue Regime eröffneten: „Es war die siebente Straußpremiere in Dresden, die erste im Neuen Reich der Kunst, um dessen Sinngebung wir freudig und stark ringen müssen. […] Aber zugleich heißt es eine Zukunft der deutschen Oper gestalten. Daß Strauß uns dabei in seinem tiefen deutschen Ernst, seiner Neigung zu echt menschlichem Humor und lyrischer Besinnlichkeit helfen wird, das steht nach dieser neuen Arbeit seines Genies außer Frage.“ Die von Hitler verfügte Ordre an Clemens Krauss, von 1937 an die Bayerische Staatsoper als Generalmusikdirektor und Operndirektor zu übernehmen, galt den Nationalsozialisten als wichtigste Entscheidung für die Errichtung einer international beachteten und repräsentativ nach Europa und Übersee ausstrahlenden Kunstinstitution. Krauss war zweifellos der begnadete Dirigent, der Partituren so werkgetreu zu interpretieren vermochte wie kaum ein Zweiter. Sein kongenialer Mitstreiter für die szenische Interpretation wurde Rudolf Hartmann, als Oberspielleiter und ab 1938 auch als Operndirektor mit den entsprechenden Kompetenzen ausgestattet. Der im gleichen Jahr 1938 erfolgte Wechsel in der Intendanz vom SS-Offizier Oskar Walleck zu Krauss vollzog sich in München oberflächlich geräuschlos. In Wahrheit spielte sich hinter den Kulissen ein entscheidender Machtkampf zwischen Krauss und Walleck ab um die Berufung des Chefausstatters. Krauss wollte aus Frank-

Lisa della Casa und Dietrich Fischer-Dieskau als Arabella und Mandryka – das Traumpaar des deutschen Wirtschaftswunders der späten 1950er ­Jahre, veröffentlicht im Festspielalmanach der Bayerischen Staatsoper 1961. Kostüm und Blickrichtung hatten sich 1965 geändert, nicht aber die Pose und die symbolische Zuordnung von liebesseligem Mann und abgeklärter, nahezu verklärter Frau (vgl. S. 130). Quelle: Archiv Bayerische Staatsoper

furt Ludwig Sievert für diese Position mit einem Zehn-Jahre-Vertrag verpflichten, wogegen Walleck wegen der langen Zahlungsverpflichtung und der Bevorzugung Sieverts gegenüber anderen Abteilungsleitern der Staatsoper heftigen Widerstand leistete. Nach langwierigen Verhandlungen konstatierte Walleck zu Beginn des Jahres 1938, der Staatsoperndirektion (womit Clemens Krauss gemeint war) sei eine eigene Verhandlungskompetenz von Innenminister und Gauleiter Adolf Wagner zugestanden worden, wodurch er, Walleck, als Generalintendant mit der Entscheidung nichts mehr zu tun gehabt und nur aus der Presse die Verpflichtung Ludwig Sieverts erfahren habe. Krauss hatte mit dem ihm eigenen Verhandlungsgeschick und sachlich begründeter Hartnäckigkeit vor allem im Hinblick auf das geplante neue riesige Opernhaus (das niemals gebaut wurde) diese Personalie durchgesetzt, ohne dass ein öffentlicher Skandal entstanden wäre. Der Generalmusikdirektor beherrschte brillant die Kunstgriffe, mit denen man unterschiedliche und teilweise auch konkurrierende Entscheidungsinstanzen gegeneinander ausspielte – hier den Adolf Hitler gegenüber berichtspflichtigen Innenminister B ­ ayerns

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gegen den Generalintendanten der Bayerischen Staats­ theater. Die Personalie Ludwig Sievert und ihre Entscheidung zugunsten der Sichtweise von Clemens Krauss ­bedeutete dem SS-Offizier Oskar Walleck, dass seine Zeit an der Münchner Staatsoper vorbei war. Für Krauss und Hartmann war der bewusst gesteuerte Deckmantel des Unpolitischen und öffentlich Unaufgeregten die willkommene Gelegenheit, ihrer Arbeit und ihrem künstlerischen Ideal einer werkgetreuen, im Sinne der Komponisten ­authentischen Aufführungspraxis zu frönen. Komplettiert wurde das „Triumvirat“, wie Hartmann es in seiner ­Autobiografie nannte, also durch den angesehenen und erfolgreichen Bühnenbildner Ludwig Sievert, gestartet als herausragender Expressionist auf der Theaterbühne, mit aufrüttelnden Einfällen an vorderster Front der modernen Bühnenästhetik, aber in München unter dem Einfluss von Hartmann und Krauss sehr rasch zum Repräsentationskünstler ersten Ranges mutiert. Da der angesehene Ausstattungsdirektor der Bayerischen Staatstheater, Leo P ­ asetti, im Januar 1937 verstarb, war Sievert aus Sicht des neuen Intendanten Clemens Krauss sein logischer Nachfolger zumindest am Nationaltheater. Sieverts Sinn für realistische Abbildungen von Räumen und dramatischen Augenblicken stützte Hartmanns Vorstellung vom musikalischen ­Theater

Hans Hotter (Mandryka) und Richard Strauss beim Probengespräch für die Produktion von 1939. Quelle: Dt. Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt

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als einem Stück Leben in künstlerisch anspruchsvoller Form. Die Ästhetik seiner Inszenierungen war für die aufwendige Repräsentation im Dritten Reich geradezu prädestiniert. Rudolf Hartmann erkannte die buchstäbliche Werktreue zur Partitur als moralische Verpflichtung des modernen Bühnenkünstlers. Das Inszenieren von Tradition und ­eigener Vergangenheit auf höchstem Niveau war wie geschaffen für die kulturelle Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten, die zwar den Begriff „Werktreue“ nicht als neues künstlerisches Credo formulierten, ihn aber für ihre kultur­ politischen Absichten extrem popularisierten. Freilich lässt sich kaum stichhaltig belegen, ob Hartmann und Sievert in der szenischen Ästhetik den National­sozialisten bereitwillig in die Hände arbeiteten oder ob, umgekehrt, die ­Verantwortlichen des Regimes an ihrer ­Bühnenästhetik die beiden Top-Künstler als Brüder im Geiste erkannten. An kaum einer Inszenierung trat dies so deutlich zu Tage wie an Arabella, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Die Münchner Erstaufführung vom November 1933 (Regie Kurt Barré, Bühnenbild Leo Pasetti, musikalische Leitung Hans Knappertsbusch) unterschied sich stilistisch noch wenig von den Räumen und Bildern der Dresdner Uraufführung. In München wie in Dresden ein historisch getreues Dekor mit einem eher wuchtigen Treppenaufgang und kompakter Raumarchitektur. Selbst der erfahrene und in seinen malerischen Szenenentwürfen häufig expressionistisch arbeitende Leo Pasetti beschränkte sich im National­theater­ auf das scheinbar authentisch Wienerische. Die Hotel­treppe im 3. Akt, die das Schicksal von Arabella und Mandryka repräsentiert, blieb Dekorationsteil und erreichte keine interpretatorische Qualität. Dies gelang erst Rochus Gliese­ 1939, in Hartmanns erster Arabella für München. Der ­verfeinerte Ästhetizismus des Regisseurs war mit Händen zu greifen und spiegelte sich vor allem in Glieses luftiger Treppenarchitektur für den 3. Akt. Die zweigeteilte, aus verschiedenen Geschossbereichen des Hotels herunterführende Treppe symbolisierte den Weg von Arabella und Mandryka zu gemeinsamem Leben. Das Muster war nunmehr entworfen und für optimal befunden. Danach griff Hartmann nicht mehr entscheidend in das Konstrukt des Bühnenraums ein. Die Inszenierungen bzw. Neueinstudierungen von 1952 (Dirigent Rudolf Kempe, Bühnenbild ­Helmut Jürgens), 1959 (Dirigent Joseph Keilberth, Bühnenbild ­Helmut Jürgens) und 1965 (Dirigent Joseph Keilberth, ­Bühnenbild Herbert Kern) variierten in subtiler Weise Ausstattungsdetails, ohne den interpretatorischen Zugriff auf die Arabella-Handlung zu ändern. Was den Nationalsozialisten als Ausweis einer deutschen Opernkultur und einer programmatisch positiven Konnotation der Bilder recht war, konnte der Münchner Gesellschaft unter völlig veränderten politischen wie wirtschaftlichen Bedingungen nach dem Zweiten Weltkrieg nur billig sein. Hartmann nahm Mandrykas und Arabellas „Karriere“ nach wie vor als


Die berühmte Hoteltreppe von Rochus Gliese (1939), die symbolisch die beiden Stiegen aus verschiedenen Etagen des Hotels zusammenführt und damit die steifen Lösungen der frühen 1930er Jahre aufbrach. Am Fuß der Treppe Viorica Ursuleac und Hans Hotter als Arabella und Mandryka am Schluss des 3. Aktes. Quelle: Dt. Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt

­ eschwörung einer vergangenen Lebenszeit, die sich in der B eigenen Realität schon Ende der dreißiger Jahre, erst recht der 1950er und 1960er Jahre wiedererkennen ließ. In der Verfolgung der über Jahrzehnte betriebenen ästhetischen Verfeinerung gelang Herbert Kern für 1965 und dann noch einmal, mit leicht veränderter Treppe, für die Festspiele 1968 eine luftige, in ihrem eleganten Schwung geradezu berückend schöne Freitreppe, die den verschlungenen Weg des zentralen Liebespaares auf der Bühne widerspiegelte und als Zentrum des Raum-Bildes auch das Zentrum der Handlung repräsentierte. Über die szenische Interpretation hinaus beweisen Hartmanns Arabella-Inszenierungen der Bayerischen Staatsoper zwischen 1939 und 1968 in besonderer Dichte die leitenden Kriterien, nach denen der Regisseur und spätere Intendant Oper präsentierte: auf erstklassigem, stets bewahrtem sängerischen und instrumentalmusikalischen Niveau aller Aufführungen. Mit Clemens Krauss hielt an der Bayerischen Staatsoper jene qualitätssichernde Maßnahme Einzug, jede Aufführung, ohne Ausnahme, vom selben Dirigenten leiten und von einem exklusiven Sängerensemble mit nur wenigen

Umbesetzungen singen zu lassen. Auf diese Weise dirigierten die 78 Vorstellungen von 1939 bis zu den Festspielen 1968 nur drei Dirigenten: Clemens Krauss, Rudolf Kempe und Joseph Keilberth (sowie als zweimaliger Einspringer für Kempe Kapellmeister Steinshagen). Internationale Wirkung wie im Dritten Reich war auch im neuen Freistaat frühzeitig angesagt. Zur Repräsentation Bayerns und seiner Staatsoper gastierte das Ensemble im September 1953 mit Hartmanns erster Nachkriegs-­Arabella­ sehr erfolgreich am Royal Opera House Covent Garden in London und trug gleichsam nebenbei viel zur Verständigung der ehemaligen Weltkriegsgegner bei. Hartmann s­ elber zitierte in seiner Autobiografie den damaligen Londoner Botschafter der Bundesrepublik, Hans Schlange-Schöningen, mit den Worten: „Sie wissen gar nicht, was Sie uns für ein Tor geöffnet haben. Es ist das erstemal, daß die ­Repräsentanz Englands [beim offiziellen Empfang nach der ersten Vorstellung] so vollzählig bei uns erschienen ist. Die Bayerische Staatsoper kann auf ihren Erfolg stolz sein.“ Der künstlerische Anschluss der Staatsoper an den europäischen Spitzenstandard und die internationale ­ ­Wahrnehmung Hartmanns und „seiner“ Staatsoper als ­europäische Spitzenkünstler fügte sich bruchlos ein in das ­„Wir-sind-wieder-wer-Gefühl“ der jungen bundesrepublikanischen Gesellschaft und schuf auf diese Weise eine scheinbar ­offensichtliche Kontinuität des Erfolgs aus der

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der Festspiele gestillt wurden. Zu den Festspielen 1959 trat erstmals die legendäre Besetzung mit Lisa della Casa (Arabella), Dietrich Fischer-Dieskau (Mandryka) und Anneliese Rothenberger (Zdenka) auf, die fortan das sängerische Niveau dieser Inszenierung, aber auch den mit ihr verbundenen Nimbus bestimmte. Rudolf Hartmann inszenierte im Prinzregententheater seit der Festspielpremiere von 1959 mit Lisa della Casa und Dietrich Fischer-Dieskau umstandslos das Traumpaar des deutschen Wirtschaftswunders der Adenauer-Ära und setzte diese Perspektive im wieder eröffneten Nationaltheater ab 1964 auch mit den leicht gealterten Stars unbeirrt fort. Nur die fotografische Werbung musste behutsam angepasst werden. Am 23. August 1960 durften alle Opernfans per Fernsehschirm an der Muster-Aufführung im Prinzregententheater live teilnehmen.

Lisa della Casa und Dietrich Fischer-Dieskau auf einem Werbeplakat für die beiden Produktionen des Jahres 1965 und Festspiele 1968. Die zeitliche Distanz von nahezu zehn Jahren zum früheren Foto (vgl. S. 127) hat Spuren hinterlassen, aber das Arrangement der b ­ eiden Künstler ist nahezu unverändert. Quelle: Dt. Theatermuseum München, Archiv Rudolf Betz

Vergangenheit. Während der dritten Londoner Arabella-­ Vorstellung sprang noch ein Schallplatten-Mitschnitt heraus, in dem damals Lisa della Casa (Arabella) und ­Hermann Uhde (Mandryka) sangen. Zehn Jahre später, im August 1963, folgte die zweite Schallplatten-Einspielung unter Leitung von Joseph Keilberth mit della Casa und Dietrich ­Fischer-Dieskau, der seit der Neueinstudierung von A ­ ugust 1959 die Rolle des Mandryka durchgängig übernommen hatte. Strategisch geschickt verknappte Hartmann, mit sicherem Gespür für die Zugkraft der Arabella, seine Inszenierung für zehn Jahre. Von 1958 bis 1968 wurde sie nur noch während der Festspiele im Juli bzw. August gezeigt (einzige Ausnahme waren die beiden März-Vorstellungen 1964 und zwei Dezember-Aufführungen 1966). Auf diese Weise wurde Arabella, ganz gegen die Tradition der Bayerischen Staatsoper, Festspiele mit ausgesuchten Repertoire-Opern zu bestreiten, nun zu einer wirklichen Festspiel-Inszenierung stilisiert. So schafft man Mythen, verklärt man die Vergangenheit einer als vorbildlich empfundenen Inszenierung als schöne heile Welt und weckt Sehnsüchte, die jedes Jahr neu für zwei bis vier Vorstellungen während

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Schon damals also schien der Zusammenhang von ästhetischer Tradition und staatlicher Repräsentation auch im neuen Freistaat wie selbstverständlich hergestellt und akzeptiert. Zum 65. Geburtstag des Intendanten Rudolf Hartmann, also im Jahr 1965, konzipierte Dr. Herbert Stolzenburg, Pressereferent der Bayerischen Staatsoper, im Namen des Freistaates und seiner Regierung eine Würdigung des Jubilars, in der eben dieser Zusammenhang zwischen ästhetischer Tradition und staatlicher Repräsentation präzis beschrieben wird: „Rudolf Hartmann ist sozusagen eine der Säulen, die aus einer früheren Epoche in die neue Zeit hineinragen und die sich im speziellen Fall als tragfähig genug erwies, um den Wandel der Zeiten in München so modifiziert erscheinen zu lassen, daß man hier auch heute – und zwar als einziger deutscher Stadt, in der Spitzensänger tätig sind – noch von einem Ensemble sprechen kann.“ Man wusste ihm damals schon großen Dank für eineinhalb Jahrzehnte künstlerischer Leistungen, zu denen die Jahre 1937 bis 1944 als, wie Stolzenburg formulierte, „Vorarbeiten“ gelten durften. Aus heutiger Sicht, zwei Generationen später, lässt sich kaum begreifen, wie leichtfertig und verharmlosend diese Formen der personellen wie ästhetischen Kontinuität vom Nationalsozialismus zu einer demokratischen Gesellschaft in eine historische Entwicklung eingebettet wurden – als habe es zwischen dem Dritten Reich und dem bayerischen Freistaat keinerlei Unterschiede gegeben.

Jürgen Schläder war von 1987 bis 2014 Professor für Theaterwissenschaft mit Schwerpunkt Musiktheater an der LMU München. Seit 2 ­ 007 leitet er dort das Forschungszentrum für Neuestes Musik­ theater Sound and Movement (SaM). Seit langem ­beschäftigt er sich mit der Geschichte der Oper in München – dem N ­ ationaltheater München und der Bayerischen Staatsoper, dem M ­ ünchner Prinz­ regententheater –, und ist Leiter des Forschungs­projekts Bayerische Staatsoper 1933 - 1963. Zu seinen jüngeren Ver­öffentlichungen zählen ­OperMachtTheaterBilder (2006), Das Experiment der Grenze (2009) und P ­ erformingInterMediality (2010), die sich mit dem zeitgenössischen ­Musiktheater in Deutschland auseinandersetzen.




Eine Erzählung von Terézia Mora

MUNA oder Über die Sehnsucht Oper in zwei Akten Als wären wir aus dem Himmel gestürzt, so sahen wir am nächsten Morgen aus. Frühester, grauester Morgen. Alles grau, der Fluss, der Nebel darüber, die Steine am Ufer, die Brücke, die Straße. Von der Straße aus hat man uns nicht sehen können, es muss von der Brücke gewesen sein, oder wer weiß. Das Bild, das ich davon vor Augen habe, ist aus einer Perspektive, die kein Mensch hätte einnehmen können. Ein Vogel, ein Gott. Wie ein hängengebliebenes Bild im Klick­kino, so steht es zitternd vor meinen Augen: zwei verdrehte Körper auf einem Feld eiförmiger Steine, von einander abgewandt, grau in grau, nur das Blut ist dunkelrot. Auf den ersten Blick sehen wir beide tot aus. Zwei schöne Leichen, zwei schöne Mörder. Mal hieß es, die Frau sei eine Greisin, mal, sie sei ein junges Mädchen gewesen. Die Wahrheit liegt diesmal im statistischen Mittel. Zum Zeitpunkt, da wir dort hingefallen waren, war ich noch nicht ganz 42 Jahre alt. Mit sieben verlor ich den Vater, mit 17 die Mutter. Muna, meine Schöne, sagte die Tante, die mich bei sich aufnahm, die Zeiten der Selbstvergessenheit sind nun vorbei. Du kannst nicht mehr durch die Stadt gehen, sonnenblind, mit schwingenden Armen, und deine üppigen Brüste, jede für sich, bewegen sich unter deinem Top in alle Richtungen, so dass dem einfachen Mann vor Staunen der Mund aufgeht. Wunderst du dich nicht, was sie dir alles hinterherrufen? Ich wunderte mich nicht, ich bemerkte es gar nicht. Mein erstes gutes Gedicht war in der Lokalzeitung erschienen und ich dachte, das wäre der Anfang einer unaufhaltsamen Karriere. Die Zeitungsredakteure waren alles Männer, das war nicht meine Schuld, und auch nicht, dass sie mich ins Herz geschlossen hatten. Mag sein, es ist nur wegen meines Aussehens, nicht wegen meines Talents, dass sie mich kleine Artikel über Schule und Kultur schreiben lassen, aber deswegen ist das noch lange keine Hurerei, sagte ich wahrheitsgemäß zur Tante. Am Tisch von Männern zu sitzen, die Wein trinken und Witze erzählen auch nicht. Eine Decke mit dem Mann der Tante zu teilen an einem bitterkalten Winterabend auch nicht, dennoch verbrachte ich das letzte halbe Jahr vor meiner Volljährigkeit besser in einem Wohnheim. Zum Abitur machten mir die Redakteure Heiratsanträge und wir lachten herzlich, denn die meisten waren bereits verheiratet. Sie füllten mein Glas mit Rotwein nach und erzählten bis tief in die Nacht Witze. Als mir übel wurde, nahm mich der, der nicht verheiratet war, mit zu sich nach Hause und stellte einen Eimer neben das Bett. Keine Sorge, sagte er am nächsten Morgen. Du bist immer noch Jungfrau. Nehme ich an. Ich verließ die Stadt am nächsten Tag. Die Zeit der Unbeschwertheit war nun tatsächlich vorbei. Ich hörte, was man mir auf der Straße hinterherrief. Ich war einsam geworden, wie es Menschen ohne Verwandte werden, ob sie üppige Frauen sind oder nicht. Ich tat so, als wäre ich taub, als ginge mich das alles nichts an. Weißt du, was du bist? fragte einer, der eine Zigarette so rauchte, als steckte sie in einer elfenbeinernen Spitze. In Wahrheit war er nur, wie ich, ein armer Student. Weißt du, was du bist? Du bist eine

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Allumeuse. Entfachst ein Feuer und läufst dann weg. Was für ein Feuer und wohin lief ich denn? Ich entfache, was ich will, ich laufe hin, wo ich will, sagte ich und wandte mich zum Gehen. Warte, sagte er, bis du einmal verliebt bist. Es gibt da eine Übung, sagte er, wenn man die absolviert, kann man sich in jeden verlieben. In jeden wollte ich mich gerade nicht verlieben, aber einsam wollte ich auch nicht länger sein. Ich willigte ein. Wir standen nachts auf einer Brücke und sahen einander in die Augen, und als die Zeit abgelaufen war, tat ich so, als hätte es funktioniert. Ich verließ ihn drei Wochen später für unseren Professor, dessen Klugheit so hell strahlte wie die Sonne. Er brachte mir bei, dass eine Dame schluckt, nicht spuckt. Es endete, als er mir für meine Arbeit nur ein „Ausreichend“ gab. Ich schrie: Ich zeige dich an! Er zuckte mit den Schultern, und alle Männer und alle Frauen im Seminar grinsten mich an. Ich dachte, ich mache nur eine kleine Pause, aber ich habe nie wieder studiert, habe keine Artikel mehr geschrieben und meine Gedichte niemandem mehr gezeigt. Ich zog in eine andere Stadt und wurde Barfrau. Gleich mit meiner ersten Stelle hatte ich Glück. Es war eine Bar, in der das Personal sang. Meine Stimmlage ist Mezzo, und ich kann singen, ohne es je gelernt zu haben. Ich sang jeden Abend ein Lied und war glücklich. Ich steckte mir jeden Abend eine frische Blume ins Haar. Ich mag deine Ironie, sagte einer der Stamm­gäste, ein Schriftsteller. Wir tranken Wein und er erzählte mir etwas über eine Geschichte, die er schrieb, dunkel, bedrohlich, über Menschen, in denen andere Menschen hausten. Er redete stundenlang und sagte dann: Du verstehst kein Wort, hab’ ich Recht? Es ist nicht deine Schuld, sagte er, legte seinen Kopf in meinen Schoss und weinte. Ich schleppte Kohlen aus dem Keller und heizte ein Zimmer von zweien, kaufte ein und kochte etwas zu essen. Er lag vor meinen Füßen auf dem Boden und sah an mir hoch. Ich liege dir zu Füßen, sagte er, und sehe zu dir hoch.

Eine neue Stadt, eine neue Bar. Ich sang nicht mehr und redete auch kaum. Später, als die Medikamente zu wirken begannen, konnte er wieder verständliche Geschichten schreiben. Er fragte mich nach meiner Meinung. Ich dachte, ich bin lieber vorsichtig und tat so, als verstünde ich nicht so viel davon. Mein Fehler, sagte er. Wieso frage ich auch. Kannst du mich jetzt bitte allein lassen? Als ich schwanger wurde, sah er mich erschrocken an. Später weinte er, vor Glück, Scham und Angst, wie er sagte. Ich versprach ihm, dass wir weiterhin nicht zusammenleben müssten. Trotzdem ging er wenige Tage später schwimmen in den Fluss und kam nicht mehr wieder. Ich sprang von Stühlen, Tischen, Mauern, bis ich endlich blutete. Als ich mich auf seiner Beerdigung seiner Mutter vorstellen wollte, drängten mich seine Freunde ab. Ich verließ auch diese Stadt.

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Als Barista findest du immer etwas. Ich malte Schaumherzen auf den Kaffee und viele Männer lagen mir zu Füßen. Ich spielte, dass ich in der Blüte meiner Jahre war und das genoss. Ich ging nicht mit dem mit, der mich fragte: Warum bist du so traurig, sondern mit einem anderen, der mich mit der Reitgerte bekannt machte. Wir fanden sie oben auf dem Schrank in dem Zimmer, das er



mietete, und es wurde ein schöner Herbst. Wir lachten viel. Ihn verlor ich an Jesus. Als er aus den Weihnachtsferien bei seiner Familie wiederkam, war er bekehrt. Er sagte, er wolle der Sünde abschwören, er wolle sich keiner Frau mehr nähern, bis er nicht der einen begegne, die er zum Traualtar führen werde. Ich gestehe, ich benahm mich gewöhnlich, ich lachte und verhöhnte ihn, breitbeinig wie eine Kutscherin, ich schämte mich schon selbst, aber ich konnte nicht aufhören, und er sah mich an, mit sanfter Fühllosigkeit, wie es Bekehrte tun, so trat er an mich heran, so stieß er mich aus der Tür. Öffnete sie noch einmal und warf auch die Gerte hinaus. Ich ließ sie auf der Schwelle liegen.

Eine neue Stadt, eine neue Bar. Ich sang nicht mehr und redete auch kaum. Selbst mein Spiegelbild erkannte ich nur mehr, weil ich wusste: die Blonde mit dem allmählich in Stücke zerfallenden Gesicht: das bin ich. Ich dachte an den Zeitungsredakteur aus meiner Heimatstadt. Vielleicht hätte ich nie etwas anderes wollen sollen? Fast hätte ich schon wieder die Koffer gepackt, als ich eine Frau kennenlernte. Ihr Name war Katia. Mit 35 fängt das Leben doch erst an, sagte sie. Sie hatte gerade ein Kind in Pflege genommen. Ich wusste nicht, dass auch Ledige ein Kind in Pflege nehmen durften. Es erwachte sofort so eine Liebe zu dem kleinen Mädchen in mir, dass ich sie einfach nicht mehr verlassen konnte. Wir lebten glücklich fast zwei Jahre zusammen. Wir waren im Viertel bekannt als das schöne lesbische Paar mit dem Kind, und obwohl das nicht stimmte, genossen wir auch das. Singend saßen wir auf Schaukeln. Wie konnte es da geschehen, dass, ab dem Moment, da ich ihn zum ersten Mal sah, nichts und niemand mehr zählte? Als wäre alles, mein ganzes Leben bis dahin, nur Zeitvergehen gewesen.

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Er war weder schön noch kräftig, es war seine Seele, die stark war. Ich ließ mich in ihn fallen, wie ich es noch nie, nicht einmal bei meinen Eltern konnte. Ich lernte ihn, natürlich, in der Bar kennen. Er sah mich einen ganzen Abend lang nur an. Wer auch immer kam und ging, er blieb und behielt mich im Auge, bis ich Feierabend hatte, und sagte dann: Komm mit mir. Wir blieben zusammen, bis ich wieder zur Arbeit musste, und bevor meine Schicht vorbei war, kam er und holte mich ab. Er trug mich auf Händen. Ich war ganz leicht. Er sagte, du brauchst nichts zu tun, ich tue alles, du sei nur hier. Deine einzige Aufgabe ist die Empfängnisverhütung. Er hatte schon mehrere Kinder mit anderen Frauen. Da lasse ich nicht mit mir handeln, sagte er. Tut mir leid, aber nein. Den ersten Streit gab es, als ich das erste Mal weinte. Ich hatte seinen Kindern Zimtschnecken gebacken, als mir das kleine Mädchen einfiel, mit dem ich zusammengelebt hatte. Drei Tage später sagte er: Wenn du nicht aufhören kannst zu heulen, geh bitte woanders hin. Ich sagte, was man in so einer Situation sagt. Was für ein fühlloser Egoist. Was hält dich dann noch hier? fragte er. Ich versuchte es mit Flehen, er solle mich doch verstehen. Er sagte: Ich lasse mich nicht manipulieren. Ich nannte ihn ein Arschloch. Er schlug mir auf den Mund: So lass ich nicht mit mir reden! Er benutzte nur die flache Hand, niemals die Faust und auch nichts

Blicke Küsse Bisse

Als ich 30 wurde, gab ich eine Annonce auf: suche Mann, um eine Familie zu gründen. Es meldeten sich vierzehn. Ich wählte den Anwalt und wir schlossen einen mündlichen Vertrag über mindestens zwei, höchstens vier Kinder. Ich will nichts Schlechtes sagen, er war ein guter Mann, nur war er so unendlich langweilig, dass ich mich irgendwann dabei ertappte, dass ich die Stunden zählte, die ich mit ihm verbringen musste. Als ich schwanger wurde, erschrak ich zu Tode, aber zum Glück wurde auch diesmal nichts daraus. Ich ließ den Verlobungsring in den Brunnen fallen und verließ wieder eine Stadt von einem Tag auf den anderen.


Ich entfache, was ich will, ich laufe hin, wo ich will, sagte ich und wandte mich zum Gehen. ­ nderes. Er kam kaum mit den Fingerspitzen auf, er winkte fast nur in meine a Richtung und schon flog ich, mir kam es so vor, als wäre es ewig. Ich fiel weich, ich stand gleich wieder auf und sah sein verwundertes Gesicht. Als müsste er allein schon aus Neugierde wieder zuschlagen, um zu sehen, ob es stimmen konnte, was er sah. Dass ich zwar ein Körper war, der fest genug für Schläge war, da war Haut, da war Fleisch, aber dann flog ich in der Wohnung hin und her, als wäre ich leichter, als es ein Mensch je sein könnte. Ich weiß nicht, wie lange es ging. Lange. Es tat weh, aber nur wie ein wilder Tanz, ein harter Ritus zwischen Zweien. Ich hörte auf zu weinen und fing zu lächeln an. Da wurde er doch noch wütend. Er machte das hier nicht zu meinem Vergnügen, er wollte nichts zelebrieren an einem Sonntagnachmittag, er wollte mich bestrafen. Er gab seine Gemessenheit auf, er hörte auf, darzustellen, wie er später sagte, und begann tatsächlich zu handeln. Mich aus der Wohnung prügeln, wenn ich nicht freiwillig ginge. Ich dachte erst, das schafft er nicht, aber dann musste ich sehen, dass er es doch schaffte. Er stieß mich vor sich her, auf die Tür zu und aus der Tür in den Hausflur, ich hätte nicht gedacht, das sich mich nicht am Türrahmen festhalten kann. Ich ging zurück zu dem kleinen Mädchen und ihrer Mutter. Als Katia meine blauen Flecken sah, wollte sie die Polizei rufen. Ich sagte nein. Später sagte sie, dass sie auf mich kotzen könnte, buchstäblich, dass jemand wie ich keine gute Gesellschaft für ihr Kind sei, und setzte mich vor die Tür. Eine Weile wohnte ich mal hier, mal da. Ich sagte, ich sei auf der Suche nach einer Wohnung, aber in Wahrheit wartete ich darauf, dass er kam, um mich abzuholen. Er ließ einen Monat vergehen, dann kam er einfach wieder in die Bar und setzte sich so, dass er mich im Auge behalten konnte. In meinen Händen zitterten die Gläser. Ich bemühte mich, nicht zu früh, nicht zu triumphierend zu lächeln. Auch als er am Ende der Schicht an mich herantrat und fragte: Kommst du mit?, nickte ich nur bescheiden. Der Winter war schön, ich ging mit seinen Kindern Schlittschuhlaufen, der Frühling war schön, ich durfte seinen Balkon bepflanzen, und der Sommer, wenn alle Welt zu den Seen fährt, war ganz unglaublich schön. Ich sah sehr wohl, dass er im Sommer jemand Neuen kennenlernte. Er erklärte es mir auch, denn er ist ein ehrlicher Mensch. Manchmal, sagte er, brauche er mich und manchmal eben diese Maja. Er brauche außerdem einen Tapetenwechsel, also werde er mit dieser Martha wegfahren, aber ich könne gerne die Wohnung benutzen, solange er und diese Anna unterwegs seien. Natürlich, jemand mit Selbstachtung wäre gegangen, aber ich liebte mittlerweile auch die Wohnung, die ich mir ohne ihn niemals hätte leisten können. Selbst wenn es nur wenige Wochen wären, in denen ich spielen könnte, dass das mein Leben sei, wäre es mir wert. Eine Karriere werde ich nicht mehr haben, und dieses Zuhause vielleicht auch nur temporär, aber so lange ich bleiben kann, bleibe ich. Mein Geliebter war auf Reisen,

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Fotografie Jonas Lindstroem

ich hütete seine Wohnung, arbeitete in der Bar und fing wieder zu singen an. Ich wurde wieder schön und ein sehr netter junger Mann interessierte sich für mich. Als Magnus schrieb, er kehre mit dieser Clara zurück, ich solle die Wohnung frei machen, zog ich bei dem jungen Mann ein. Ich kochte und buk, er küsste meine Hand. Ich ging mit ihm in Magnus’ Viertel spazieren, damit wir uns auf der Straße begegneten und ich ihm sagen konnte: Weißt du, manchmal brauche ich dich, und manchmal brauche ich ihn. Und fast so kam es dann auch, außer, dass er alleine unterwegs war, und als ich ihn sah, fuhr es mir in die Beine und ich wusste, dass ich nicht manchmal so und manchmal so, sondern für immer und egal wie: ihn. Ich verließ den netten jungen Mann noch an demselben Abend. Magnus sagte nichts, er lächelte nur. Ich erzählte ihm, wie mein Sommer war. Ich redete viel, ich war glücklich, bis er sagte: Du hast die Bananenstaude eingehen lassen. Wie hast du das geschafft? Im Sommer? Tut mir leid, sagte ich, ich kaufe dir eine neue. Aber ich kaufte keine neue. Eine große Bananenstaude ist teuer und schwer, und der Transport kostet extra. Ich hätte eine kleine kaufen können und sie pflegen, bis sie groß wird, damit er wieder eine große Bananenpflanze hätte, aber ich spürte, dass eine kleine Pflanze ihn möglicherweise wütender machen würde, als wenn ich es ganz sein ließe. Es war nicht wegen der Bananenstaude, dass es soweit gekommen ist. Er hat die Staude nie wieder auch nur mit einem Wort erwähnt. Es war so, dass ich, sobald ich wieder bei ihm lebte, anfing, hässlicher zu werden. Er brachte es zur Sprache. Warum lässt du dich so gehen, sobald du bei mir bist? Weil das hier mein Zuhause ist, sagte ich. Er lächelte erst, dann presste er die Lippen zusammen. Am nächsten Tag sagte er: Einmal möchte ich einer Frau aus dem Osten begegnen, die sich nicht aushalten lassen will. Diesmal verließ ich ihn, bevor er mich wegschickte. Und wieder: irgendwie schlägt man sich durch. Einmal kam Katia zu einem Abend, an dem ich sang. Wir schlossen einander in die Arme. Ich fand eine Wohnung im Parterre, deren Tür von der Sonne beschienen wurde. Ich stellte einen Stuhl vor die Tür und trank meinen Kaffee in der Sonne. Die alten Frauen, die in den anderen Parterrewohnungen wohnten, nickten mir freundlich zu. Katia erlaubte mir, einen Nachmittag in der Woche mit der kleinen Elena zu verbringen. Wenn wir spazieren gingen, nahm sie meine Hand. Liebst du mich? fragte sie. Ja, sagte ich. Und wen liebst du noch? Deine Mama. Und wen noch? Sonst niemanden, sagte ich und das Herz schlug mir bis zum Hals. Wir sahen uns zwei Jahre nicht. Ich hörte, er war viel auf Reisen. Er ist auf Reisen, dachte ich, und ich bin hier und es fühlt sich an, als hätte er mich hiergelassen wie einen Koffer mit alten Sachen. Ich hatte zu Hause einen, der groß genug war, dass ich mich hineinlegen konnte. Elena lachte und klatschte in die Hände. Jetzt ich, rief sie. Zieh den Reißverschluss zu! Kurz darauf sahen wir uns wieder. Wir saßen an zwei entfernten Enden eines großen Tisches auf einer Party und unterhielten uns, jeder mit seinen Tischnachbarn. Ich schaute nicht in seine Richtung. Ich trank einige Cocktails, ich redete und lachte viel. Solange, bis wir nur noch zu zweit am Tisch saßen, er plötzlich mir gegenüber, und er mit tiefer Stimme sagte: Du kannst jetzt aufhören zu labern. Ich lachte und sagte, ich würde nicht aufhören, denn mir ginge es gerade sehr gut, und wenn es mir sehr gut gehe, rede ich gerne, wenn er es nicht hören wolle, solle er sich woanders hinsetzen.

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Jetzt schweigen wir beide, andere reden über uns. Erst hat man uns beide für tot gehalten, wie es sich zum Schluss großer Dramen gehört. Später versorgten sie meine Wunden und stellten mir endlos dieselben Fragen. Was ist passiert? Wer war dieser Mann? Und wer sind Sie? Ich sage nichts, was könnte ich auch sagen und zu wem? Wer würde verstehen, von welcher Art meine Trauer ist? Er ist tot und ich habe die Hälfte meines Lebens ohne ihn noch vor mir. Im statistischen Mittel.

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Mehr über die Autorin auf S. 20

Fotografie: Jonas Lindstroem Haare, Make-up: Patrick Glatthaar @ Ballsaal Assistenz: Timothy Schaumburg, Gergana Petrova Die Bilder auf den vorigen Seiten (sowie den Seiten 30, 32/33, 106, 109 und 110) wurden fotografiert von Jonas Lindstroem. Sie ­wirken streng inszeniert und zeigen gleichzeitig eine ganz intime Nähe zwischen den Paaren, die auch im echten Leben Paare sind. Lindstroem arbeitet in Berlin und London und fotografiert für internationale Magazine, M ­ odelabels und Internetplattformen.

Und du redest dann hier für dich allein weiter? Das lass meine Sorge sein, wollte ich sagen, aber kaum hatte ich zwei Worte gesprochen, hatte er seine Hand schon an meine Kehle gelegt: Scht!, kein Wort mehr! Und ich konnte auch tatsächlich kein Wort mehr sagen. Er drückte mir die Kehle zu. Das Beste. Was du. Machen kannst. Ist. Den Mund. Zu halten. Er ließ mich los und ging weg. Ich saß da, immer noch ohne Ton, mit diesem großen Schmerz im Hals, und sah seinen Rücken, wie er wegging, durch den Raum. Am liebsten hätte ich ihm ein Messer hineingerammt, gleichzeitig spürte ich, wie ich vor Sehnsucht verging. Dass ich nichts anderes wollte, als dass alles wieder gut ist. Ich ging ihm hinterher. Ich traute mich nicht, ihn einzuholen oder anzusprechen. Ich folgte ihm bis hinunter zum Fluss. Er hatte mich natürlich längst bemerkt, aber er drehte sich erst um, als wir unten am Ufer standen. Steine und Wellen, die im Dunkeln glänzten. Auf die Knie, sagte er. Die Steine waren hart, ich fiel beinahe hin, ich musste mich mit der Hand abstützen. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich, dass auch er nun kniete, und große Dankbarkeit und Freude fluteten mich. Wir küssten uns auf den harten Steinen kniend, ich dachte, wir brechen uns sämtliche Knochen, als wir uns hinlegten, aber dann war es auch wieder so, als wären wir draußen im dunklen Weltall, schwebend, kein Oben, kein Unten, in einer vollkommenen Ewigkeit, und ich wünschte mir, ich dürfte mein ganzes Leben so verbringen, in diesem Glück, egal, dass es hart, laut und kalt ist und eng im Hals. Irgendwann begriff ich, dass er das war, er drückte mir den Hals zu und ich hätte ihm gerne gesagt, schlag mich lieber, lass uns nach Hause gehen und schlag mich, ich wische deine Fußstapfen mit meinen Haaren auf, nur, bitte, lass uns nach Hause gehen. Aber ich konnte nichts sagen, ich hatte nicht genug Raum im Hals. Ich hoffte, er würde wenigstens etwas sagen, mir erklären, warum er das tat, aber er sagte kein Wort, er hielt nur meinen Hals umklammert. Ich habe versucht, mich damit abzufinden, mich hinzugeben, ihn durch vollkommene Hingabe zu besänftigen. Wer sich unterwirft, bestimmt, wer sich unterwirft, bestimmt, aber dann begriff ich, dass das gleichbedeutend wäre mit meinem Tod, dass ich erlöst werden kann, aber dafür sterben muss, und da griff ich doch noch nach einem Stein.


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Agenda

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Plakate der Spielzeit 2014/15

157

Die Künstler der Münchner Opernfestspiele 2015

175

Produktionen der Münchner ­ Opernfestspiele 2015

209

Spielplan

218

Der Festspielpreis der Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele

223

English Excerpts

232

Urlaubstipps von Festpielkünstlern

236

Schöne Ferien!

143


Plakate der ­ Spielzeit 2014 / 15 von Ulrike Theusner Der Auftrag, die Powerfrauen der diesjährigen Spielzeit für eine Plakatserie in Farben und Bilder zu fassen, lag in den Händen der jungen Malerin Ulrike ­Theusner aus Weimar. In engem Austausch über die jeweiligen Regiekonzepte entstand im Lauf der Saison eine eigene Interpretationsreihe der Frauenfiguren von Blicke Küsse Bisse. Mit Tusche oder Feder, meist in lila oder türkis, entwarf Theusner magische, melancholische Gesichter, liebend und leidend, scheu u ­ nd pro­vokativ, verletzlich und besessen, um die Sujets dieser Opern in die Stadt zu tragen. Mit ihrer Werkserie Broken Hearts Club näherte sie sich den abstrakten Themen und Stimmungen der Akademiekonzerte des Bayerischen Staatsorchesters­ und kreierte für die Komponisten und ­Werke jeweils eine eigene Atmosphäre.

Ulrike Theusner, die an der Weimarer Bauhaus Universität sowie an der École des Beaux Arts in Nizza studierte, nutzte ihre Nebenjobs als Model bei großen ­Labels, um die Welt zu bereisen und sich für ihren Traumberuf ­Malerin inspirieren zu lassen. Inzwischen stellt sie ihre Arbeiten international aus und lebt zwischen Weimar, Leipzig und New York.

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Die K端nstler der M端nchner Opernfestspiele 2015

157


Bayerisches Staatsorchester

158


Chor der Bayerischen Staatsoper

159


Alain Altinoglu Manon Lescaut Musikalische Leitung

Ivy Amista Erste Solistin Bayerisches Staatsballett

Leila Bakhtali Jephta‘s Daughter Tanz

Mieke Bal Stadt der Frauen Ein Kongress

Patrick Bannwart L‘Orfeo Bühne

Michael Bauer Francesca da Rimini, Arabella, L’Orfeo Licht

Gustáv Beláček Die Sache Makropulos Dr. Kolenatý

Elsa Benoit Die schweigsame Frau Isotta, Festspiel-Konzert Opernstudio Solistin, L‘Orfeo Euridice

Allan Bergius Festspiel-Konzert ATTACCA  Musikalische Leitung

Adaya Berkovitzaya Jephta‘s Daughter Tanz

Leonard Bernad Festspiel-Konzert Opernstudio Solist, Madama Butterfly Der Kaiserliche Kommissär, Don Carlo Flandrischer Deputierter

Tjark Bernau Arabella Ein Zimmerkellner

Bastian Beyer Arabella Welko

Duri Bischoff Francesca da Rimini Bühne

Anna Bonitatibus L’Orfeo Proserpina/Messagiera

Nikolay Borchev Die schweigsame Frau Der Barbier

Andrea Borghini Arabella Graf Dominik, Roberto Devereux Paggio, Madama Butterfly Fürst Yamadori, Don Carlo Flandrischer Deputierter

David Bösch L’Orfeo Inszenierung

Roland Bracht Manon Lescaut Geronte di Ravoir

Michelle Breedt Tristan und Isolde Brangäne

Die Künstler der Münchner Opernfestspiele 2015


Pavol Breslik Liederabend Solist, 3. Festspiel-Kammerkonzert Solist, Lucia di Lammermoor Sir Edgardo di Ravenswood

Elisabeth Bronfen Stadt der Frauen – Ein Kongress

Wolf Busse Madama Butterfly Inszenierung

Joseph Calleja Madama Butterfly B.F. Pinkerton

Paolo Carignani Norma Musikalische Leitung

John Carpenter Festspiel-Konzert Opernstudio Solist, Don Carlo Flandrischer Deputierter

Constantinos Carydis Pelléas et Mélisande, Festspiel-Konzert der Orchesterakademie Musikalische Leitung

Pavel Černoch Die Sache Makropulos Albert Gregor

Cynthia Chase Stadt der Frauen – Ein Kongress

Maxim Chashchegorov Solist Bayerisches Staatsballett

Haggai Cohen Milo Jephta’s Daughter Musik

Kevin Conners Selma Ježková District Attorney/Guard, Die Sache Makropulos Vítek, Tristan und Isolde Hirte, Elektra Diener

John Cranko Onegin Choreographie

Lisa-Maree Cullum Erste Solistin Bayerisches Staatsballett

Cyril Pierre Erster Solist Bayerisches Staatsballett

Emanuele D`Aguanno Lucia di Lammermoor Lord Arturo Bucklaw

Diana Damrau Lucia di Lammermoor Lucia Ashton

Iulia Maria Dan Francesca da Rimini Gesang

Jeroen de Vaal L’Orfeo Pastore/Spirito/Echo

Bendix Dethleffsen Francesca da Rimini Musikalische Einstudierung, Arrangement

161


Helmut Deutsch Liederabend Jonas Kaufmann Klavier

Lea Dietrich Jephta’s Daughter Raum

Marlon Dino Erster Solist Bayerisches Staatsballett

Alexey Dolgov Roberto Devereux Roberto Devereux, Eugen Onegin Lenski

Andreas Dresen Arabella Inszenierung

Markus Eiche Pelléas et Mélisande Golaud, Madama Butterfly Sharpless, Manon Lescaut Lescaut

Philipp Ekardt Stadt der Frauen – Ein Kongress

Jasmine Ellis Jephta’s Daughter Tanz

Leonard Engel Solist Bayerisches Staatsballett

Tara Erraught Selma Ježková Kathy/ Brenda, Die Sache Makropulos Krista, Die schweigsame Frau Carlotta, Festspiel-Konzert der Orchesterakademie Solistin

Stellario Fagone Festspiel-Kinderchor-Konzert Leitung und Einstudierung

Severine Ferrolier Solistin Bayerisches Staatsballett

Asher Fisch Elektra, Don Carlo Musikalische Leitung

Mathias Fischer-Dieskau Arabella Bühne

Sonia Ganassi Roberto Devereux Sara

Christian Gerhaher L’Orfeo Orfeo

Massimo Giordano Norma Pollione

Reiner Goldberg Die Sache Makropulos Hauk-Šendorf

Javier Amo Gonzalez Erster Solist Bayerisches Staatsballett

Norbert Graf Solist Bayerisches Staatsballett

162


Sabine Greunig Arabella Kostüme

Matthew Grills Festspiel-Konzert Opernstudio Solist

Günther Groissböck Elektra Orest, Eugen Onegin Fürst Gremin/ Saretzki

Heike Grötzinger Die Sache Makropulos Aufräumfrau, Arabella Kartenaufschlägerin, Elektra Magd, Eugen Onegin Larina

Edita Gruberova Liederabend Solistin, Roberto Devereux Elisabetta

Ekaterina Gubanova Norma Adalgisa

Hervé Guerrisi Jephta’s Daughter Tanz

Friedrich Haider Roberto Devereux Musikalische Leitung

Pedro Halffter Die schweigsame Frau Musikalische Leitung

Stephanie Hancox Solistin Bayerisches Staatsballett

Barbara Hanicka Lucia di Lammermoor Bühne

Tomáš Hanus Die Sache Makropulos Musikalische Leitung

Manuela Hartel Stadt der Frauen – Ein Kongress

Anja Harteros Arabella Arabella, Don Carlo Elisabeth von Valois

Franz Hawlata Die schweigsame Frau Sir Morosus

Alan Held Tristan und Isolde Kurwenal

Evelyn Herlitzius Elektra Elektra

Falko Herold L’Orfeo Kostüme

Steven Humes Arabella Graf Lamoral

Leo Hussain Eugen Onegin Musikalische Leitung

163


Eir Inderhaug Arabella Fiakermilli

Ursula Pia Jauch Stadt der Frauen – Ein Kongress

Philippe Jordan Arabella, Tristan und Isolde, Oper für alle Festspiel-Konzert Musikalische Leitung

Frederic Jost Jephta’s Daughter Gesang

Goran Jurić Roberto Devereux Sir Gualtiero Raleigh, Madama Butterfly Onkel Bonzo, L’Orfeo Plutone, Don Carlo Mönch

Evgenij Kachurovsky Festspiel-Konzert Opernstudio Solist, Don Carlo Flandrischer Deputierter, Eugen Onegin Ein Hauptmann, Madama Butterfly Yakusidé, Manon Lescaut Un Comandante

Joseph Kaiser Arabella Matteo

Mika Kares Norma Oroveso

Christian Kass Selma Ježková Licht

Amir Katz Liederabend Pavol Breslik, 3. FestspielKammerkonzert Klavier

Jonas Kaufmann Liederabend Solist, Manon Lescaut Il cavaliere Renato Des Grieux

Sara Kittelmann Pelléas et Mélisande Kostüme

Alisa Kolosova Eugen Onegin Olga

Peter Konwitschny Tristan und Isolde Inszenierung

Julia Kornacka Lucia di Lammermoor Kostüme

Barrie Kosky Die schweigsame Frau Inszenierung

Mariusz Kwiecien Eugen Onegin Eugen Onegin

Lucia Lacarra Erste Solistin Bayerisches Staatsballett

David J. Levin Jephta’s Daughter Konzeptionelle Mitarbeit, Stadt der Frauen – Ein Kongress

Shoshana Liessmann Stadt der Frauen – Ein Kongress

164



Peter Lobert Pelléas et Mélisande Arzt, Die Sache Makropulos Theatermaschinist, Elektra Diener

Christof Loy Roberto Devereux Inszenierung

Mateo Lugo Jephta’s Daughter Musik

John Lundgren Die Sache Makropulos Jaroslav Prus

Oksana Lyniv Selma Ježková, Lucia di Lammermoor, FestspielGottesdienst Musikalische Leitung

Elliot Madore Pelléas et Mélisande Pelléas

Saar Magal Jephta’s Daughter Konzept, Choreographie

Anna-Sophie Mahler Francesca da Rimini Konzept, Regie

Margaux Marielle-Tréhouart Jephta’s Daughter Tanz

Katherina Markowskaja Solistin Bayerisches Staatsballett

Malcom Martineau Liederabend Anne Schwanewilms Klavier

Marzia Marzo Festspiel-Konzert Opernstudio Solistin, Elektra Die Vertraute, Madama Butterfly Kate Pinkerton

Friederike Mauß Jephta’s Daughter Gesang

Thomas J. Mayer Arabella Mandryka

Stefan Mayer Manon Lescaut Bühne

Christopher McMullen-Laird Eloise – An opera for young people Musikalische Leitung

Waltraud Meier Tristan und Isolde Isolde, Elektra Klytämnestra

Michaela Melián Stadt der Frauen – Ein Kongress

Nadja Michael Die Sache Makropulos Emilia Marty

Alastair Miles Pelléas et Mélisande Arkel

Die Künstler der Münchner Opernfestspiele 2015


Levente Molnár Lucia di Lammermoor Lord Enrico Ashton

Philipp Moschitz Roberto Devereux Giacomo

Christopher Moulds L’Orfeo Musikalische Leitung

Hanna-Elisabeth Müller Arabella Zdenka

Eri Nakamura Elektra Magd, Don Carlo Tebaldo, Page Elisabeths

Tareq Nazmi Die schweigsame Frau Farfallo, L’Orfeo Caronte

Petr Nekoranec Festspiel-Konzert Opernstudio Solist, Manon Lescaut Un lampionaio

Anna Netrebko Eugen Onegin Tatjana

Hans Neuenfels Manon Lescaut Inszenierung

Kristine Opolais Madama Butterfly Cio-Cio-San, Manon Lescaut Manon Lescaut

Moritz Ostruschnjak Jephta’s Daughter Tanz

René Pape Tristan und Isolde König Marke, Don Carlo Philipp II, König von Spanien

Ekaterina Petina Erste Solistin Bayerisches Staatsballett

Francesco Petrozzi Norma Flavio, Tristan und Isolde Melot, Roberto Devereux Lord Cecil, Don Carlo Der Graf von Lerma/Ein königlicher Herold

Simone Piazzola Don Carlo Rodrigo, Marquis de Posa

Adrianne Pieczonka Elektra Chrysothemis

Christiane Pohle Pelléas et Mélisande Inszenierung

Marie Pons Selma Ježková Raum

Dean Power Die Sache Makropulos Janek, Arabella Graf Elemer, Tristan und Isolde Seemann, L’Orfeo Apollo, Lucia di Lammermoor Normanno, Manon Lescaut Edmondo

Sondra Radvanovsky Norma Norma

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Brenda Rae Die schweigsame Frau Aminta

Anna Rajah Festspiel-Konzert Opernstudio Solistin, Elektra Die Schleppträgerin

Stefano Ranzani Madama Butterfly Musikalische Leitung

Alexei Ratmansky Paquita Choreographie und Inszenierung

Josephine Renelt Jephta’s Daughter Gesang

Richard Resch Jephta’s Daughter Gesang

Ulrich Reß Madama Butterfly Goro Nakodo, Elektra Aegisth, Eugen Onegin Triquet, Manon Lescaut Il maestro di ballo

Christian Rieger Die schweigsame Frau Morbio, Tristan und Isolde Steuermann, Don Carlo Flandrischer Deputierter, Manon Lescaut L`oste

Myron Romanul Onegin, Paquita, Das Triadische Ballett / ­ Le Sacre du printemps Musikalische Leitung

Jürgen Rose Don Carlo, Norma Inszenierung, Bühne, Kostüm, Lichtkonzept

Kurt Rydl Arabella Graf Waldner

Ilia Sarkisov Solist Bayerisches Staatsballett

Árpád Schilling Die Sache Makropulos Inszenierung

Wiebke Schlüter Jephta’s Daughter Kostüme

Andrea Schmidt-Futterer Manon Lescaut Kostüme

Michael Schmidtsdorff Ein Sommernachtstraum Musikalische Leitung

Erwin Schrott Cuba Amiga Solist

Golda Schultz Norma Clotilde, Elektra Magd, Don Carlo Stimme vom Himmel

Anne Schwanewilms Liederabend Solistin

Peter Seiffert Tristan und Isolde Tristan

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Rafal Siwek Don Carlo Der Großinquistor

Lukáš Slavický Erster Solist Bayerisches Staatsballett

Anna Smirnova Don Carlo Die Prinzessin Eboli

Doris Soffel Arabella Adelaide

Beate Söntgen Stadt der Frauen – Ein Kongress

Toby Spence Die schweigsame Frau Henry Morosus

Anna Stéphany L’Orfeo Speranza/La Musica

Christoph Stephinger Die schweigsame Frau Vanuzzi, Elektra Pfleger des Orest, Don Carlo Flandrischer Deputierter, Manon Lescaut Un sergente

Silvia Strahammer Madama Butterfly Kostüme

Ausrine Stundyte Selma Ježková Selma Ježková

Daria Sukhorukova Erste Solistin Bayerisches Staatsballett

Małgorzata Szczęśniak Eugen Onegin Bühne und Kostüme

Klaus Theweleit Stadt der Frauen Ein Kongress

Mikayelyan Tigran Erster Solist Bayerisches Staatsballett

Nic Tillein Francesca da Rimini Kostüme

Elena Tsallagova Pelléas et Mélisande Mélisande

Alexander Tsymbalyuk Lucia di Lammermoor Raimondo Bidebent

Malte Ubenauf Pelléas et Mélisande Mitarbeit Regie

Matej Urban Solist Bayerisches Staatsballett

Peter Valentovic Liederabend Edita Gruberova Klavier

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Ramón Vargas Don Carlo Don Carlo, Infant von Spanien

Franco Vassallo Roberto Devereux Herzog von Nottingham

Mathias Vidal L’Orfeo Spirito I/Pastore I

Irmgard Vilsmaier Elektra Aufseherin

Barbara Vinken Stadt der Frauen – Ein Kongress

Juliane Vogel Stadt der Frauen – Ein Kongress

Okka von der Damerau Pelléas et Mélisande Geneviève, Die schweigsame Frau Haushälterin, Madama Butterfly Suzuki, Elektra Erste Magd

Klaus Walter Stadt der Frauen – Ein Kongress

Krzysztof Warlikowski Eugen Onegin Inszenierung

Nathaniel Webster Selma Ježková Guard/ Norman/Bill Houston

Andreas Weirich Selma Ježková Inszenierung

Ilana Werner Solistin Bayerisches Staatsballett

Herbert Wernicke Elektra Inszenierung, Bühne, Kostüm, Lichtkonzept

Cornelia Wild Stadt der Frauen Ein Kongress

Rachael Wilson Die Sache Makropulos Kammerzofe Emilias, 3. Festspiel-Kammerkonzert Solistin, FestspielKonzert Opernstudio Solistin, Elektra Magd, Lucia di Lammermoor Alisa, Manon Lescaut Un musico

Stefan Wirth Francesca da Rimini Musik, Komposition

Barbara Wysocka Lucia di Lammermoor Inszenierung

Zuzana Zahradníková Solistin Bayerisches Staatsballett

Benedikt Zehm Pelléas et Mélisande Licht

Elena Zilio Eugen Onegin Filipjewna

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Rosenthal München | Theatinerstraße 1 | Im Schäff lerhof | 80333 München T +49 (0) 89 222617 | rosenthal.muenchen@rosenthal.de | www.rosenthal.de


ATTACCA – Jugendorchester des Bayerischen Staatsorchesters Festspiel-Konzert ATTACCA , Festspiel-Konzert Oper für alle

Kinderchor der Bayerischen Staatsoper Festspiel-Kinderchor-Konzert

Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters Festspiel-Konzert der Orchesterakademie

Die Künstler der Münchner Opernfestspiele 2015


Züricher Sing-Akademie L’Orfeo

Münchner Symphoniker Das Triadische Ballett / Le Sacre du printemps

Fotos: Dario Acosta, Agencja Gazeta, Ahlburg, Kim Anderson, Pavel Antonov, Uwe Arens, Unai P. Aualdegui, Barbara Aumüller, Egbert Baars, Nomi Baumgartl, Bayreuther Festspiele, Benedi, Frank Bonitatibus, Marco Borggreve, Mathias Bothor, Baisja Chanowski, Javier del Real, Claudio di Lucia, Drobek-Truesdale, K.D. Fahlbusch, Erato Simon Fowl, G. Geller, Chris Gonz, Christian Hartmann, Vera Hartmann, Kristin Hoebermann, Gregor Hohenberg, Wilfried Hösl, Johannes Ifkovits, Till Janz, Wenzel Jelinek, Mitch Jenkins, Marija Kanizaj, Kasskara D.G., Christian Kaufmann, Javier Kletzsch, Sascha Kletzsch, Andreas Klingberg, Elmar Krammer, Jörg Landsberg, Alaudio Marquez, Mikolaj Mikolajczyk, Tanja Niemann, Konrad Pustola, Monika Rittershaus, Marcus Schlaf, Jörg Schulze, Nika Aila States, Jakub Swietlik, Henk Thomas, Allan Richard Tobis, Fred Toulet, Tatyana Vlascova, Decca Uli Weber, Tilbert Weigl, Wojtek Wieteska, Hiromichi Yamamoto, Angelika Zinzow

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Produktionen der MĂźnchner Opernfestspiele 2015

Fotografiert von Wilfried HĂśsl

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Manon Lescaut Roland Bracht (Geronte di Ravoir), Kristine Opolais (Manon Lescaut), Ulrich ReĂ&#x; (Il maestro di ballo), Chor der Bayerischen Staatsoper




Manon Lescaut Kristine Opolais (Manon Lescaut), Jonas Kaufmann (Renato Des Grieux), Christoph Stephinger (Un sergente), Chor der Bayerischen Staatsoper


Die Sache Makropulos Nadja Michael (Emilia Marty), Tara Erraught (Krista), Chor und Statisterie der Bayerischen Staatsoper



Die Sache Makropulos John Lundgren (Jaroslav Prus), Nadja Michael (Emilia Marty)


Die Sache Makropulos John Lundgren (Jaroslav Prus), Pavel Černoch (Albert Gregor), Gustáv Beláček (Dr. Kolenatý), Nadja Michael (Emilia Marty)


Lucia di Lammermoor Diana Damrau (Lucia)



Lucia di Lammermoor Diana Damrau (Lucia), Pavol Breslik (Sir Edgardo di Ravenswood), Chor der Bayerischen Staatsoper



Tristan und Isolde Waltraud Meier (Isolde) m端

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Le Sacre du printemps Tigran Mikayelyan, Lukáš Slavický


Onegin Ivy Amista, Javier Amo


Norma Chor der Bayerischen Staatsoper


Die schweigsame Frau



Paquita Ekaterina Petina, Matej Urban, Ensemble


Madama Butterfly Kristine Opolais (Cio-Cio-San), Joseph Calleja (B. F. Pinkerton)


Ein Sommernachtstraum Lisa-Maree Cullum, Matej Urban, Javier Amo


Roberto Devereux Edita Gruberova (Elisabetta)


Don Carlo Anja Harteros (Elisabeth von Valois), RenĂŠ Pape (Philipp II, KĂśnig von Spanien)



Eugen Onegin



L‘Orfeo Christian Gerhaher (Orfeo)



Das Triadische Ballett Nagisa Hatano, Alexander Bennett, Nicholas Losada



Elektra



S I E G E H Ö R E N Z U D E N M E N S C H E N, D I E M E H R E RWA RT E N ?

S O L LT E N S I E E S DA N N N I C H T AU C H B E K O M M E N ? Ideal gelegen in der Münchner Altstadt, bietet unser Haus 340 individuell gestaltete Zimmer inklusive 65 luxuriöser Suiten. 40 moderne Bankett- und Konferenzräume für bis zu 2500 Personen warten auf Ihre Events. Unsere fünf Restaurants und sechs Bars lassen keine kulinarischen Wünsche offen. Auf 1.300 qm erwartet Sie im – von der französischen StarArchitektin Andrée Putman gestalteten – Blue Spa ein einzigartiges Wellness-Refugium über den Dächern Münchens. Das Live-Entertainment im Night Club ist legendär und die Komödie im Bayerischen Hof steht für bestes Boulevardtheater. Unser hauseigenes Kino astor@Cinema Lounge, das vom renommierten, belgischen Kunstsammeler Axel Vervoordt gestaltet wurde, garantiert Unterhaltung der Extraklasse auf gemütlichen Lounge-Sofas. Ebenfalls von Axel Vervoordt designt wurden die beiden Gourmetrestaurants Atelier und Garden. Hier erfährt die Definition von Genuss mit der leichten, jungen und kreativen Küche von Chefkoch Jan Hartwig, der von Jürgen Dollase von der FAZ als „Newcomer des Jahres“ betitelt wurde und jüngst mit dem Michelin Stern, dem Gusto-Titel „Aufsteiger des Jahres“, inklusive 9+ erkochter Pfannen, sowie 17 Punkten im Gault Millau ausgezeichnet wurde, und dessen Auszeichnung „Junge Talente 2015“ in der Rubrik „Köche mit Zukunft“ geehrt wurde, eine ganz eigene Interpretation. Promenadeplatz 2 - 6 D-80333 München

Fon + 49 89.21 20 - 0 Fax + 49 89.21 20 - 906

www.bayerischerhof.de info@bayerischerhof.de


Spielplan

Oper Claude Debussy

Pelléas et Mélisande

24.06.15 – 31.07.15

Musikalische Leitung Constantinos Carydis Inszenierung Christiane Pohle Alastair Miles, Okka von der Damerau, Elliot Madore, Markus Eiche, Elena Tsallagova, Solist des Tölzer Knabenchores, Peter Lobert, Evgenij Kachurovsky So Mi Sa Di

28.06.15 18:00 Uhr Prinzregententheater  Festspielpremiere 01.07.15 19:00 Uhr Prinzregententheater 04.07.15 19:00 Uhr Prinzregententheater auch im Live-Stream auf www.staatsoper.de/tv 07.07.15 19:00 Uhr Prinzregententheater

gefördert durch den Partner der Opernfestspiele

Vincenzo Bellini

Norma Musikalische Leitung Paolo Carignani Inszenierung Jürgen Rose Massimo Giordano, Francesco Petrozzi, Mika Kares, Sondra Radvanovsky, Ekaterina Gubanova, Golda Schultz Mo 29.06.15 19:00 Uhr

Leoš Janáček

Die Sache Makropulos (Věc Makropulos) Musikalische Leitung Tomáš Hanus Inszenierung Árpád Schilling Nadja Michael, Pavel Černoch, Kevin Conners, Tara Erraught, John Lundgren, Dean Power, Gustáv Beláček, Peter Lobert, Heike Grötzinger, Reiner Goldberg, Rachael Wilson Do 02.07.15 19:00 Uhr Ausstattungspartner der Bayerischen Staatsoper

Karten Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München

Sofern nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.

T 089 – 21 85 19 20 tickets@staatsoper.de www.staatsoper.de

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Richard Strauss

Gaetano Donizetti

Die schweigsame Frau

Roberto Devereux

Musikalische Leitung Pedro Halffter Inszenierung Barrie Kosky

Musikalische Leitung Friedrich Haider Inszenierung Christof Loy

Franz Hawlata, Okka von der Damerau, Nikolay Borchev, Toby Spence, Brenda Rae, Elsa Benoit, Tara Erraught, Christian Rieger, Christoph Stephinger, Tareq Nazmi

Edita Gruberova, Franco Vassallo, Sonia Ganassi, Alexey Dolgov, Francesco Petrozzi, Goran Jurić, Andrea Borghini, Philipp Moschitz

So 05.07.15 19:00 Uhr Do 09.07.15 19:00 Uhr

Fr 10.07.15 19:00 Uhr Mi 15.07.15 19:00 Uhr

Giacomo Puccini

Madama Butterfly

Richard Strauss

Arabella

Musikalische Leitung Stefano Ranzani Inszenierung Wolf Busse

Musikalische Leitung Philippe Jordan Inszenierung Andreas Dresen Kurt Rydl, Doris Soffel, Anja Harteros, Hanna-Elisabeth Müller, Thomas J. Mayer, Joseph Kaiser, Dean Power, Andrea Borghini, Steven Humes, Eir Inderhaug, Heike Grötzinger, Bastian Beyer, Tjark Bernau Mo 06.07.15 Sa 11.07.15 Di 14.07.15 Fr 17.07.15

19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Mit freundlicher Unterstützung der

Richard Wagner

Tristan und Isolde Musikalische Leitung Philippe Jordan Inszenierung Peter Konwitschny Peter Seiffert, René Pape, Waltraud Meier, Alan Held, Francesco Petrozzi, Michelle Breedt, Kevin Conners, Christian Rieger, Dean Power Mi 08.07.15 16:00 Uhr So 12.07.15 16:00 Uhr

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Mo 13.07.15 19:00 Uhr

Festspielpremiere

Mit freundlicher Unterstützung der Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V.

Kristine Opolais, Okka von der Damerau, Joseph Calleja, Marzia Marzo, Markus Eiche, Ulrich Reß, Andrea Borghini, Goran Jurić, Evgenij Kachurovsky, Leonard Bernad

Richard Strauss

Elektra Musikalische Leitung Asher Fisch Inszenierung Herbert Wernicke Waltraud Meier, Evelyn Herlitzius, Adrianne Pieczonka, Ulrich Reß, Günther Groissböck, Christoph Stephinger, Marzia Marzo, Anna Rajah, Kevin Conners, Peter Lobert, Irmgard Vilsmaier, Okka von der Damerau, Rachael Wilson, Heike Grötzinger, Golda Schultz, Eri Nakamura Do 16.07.15 19:30 Uhr So 19.07.15 19:00 Uhr

Claudio Monteverdi

L’Orfeo Musikalische Leitung Christopher Moulds Inszenierung David Bösch Christian Gerhaher, Elsa Benoit, Anna Bonitatibus, Tareq Nazmi, Anna Stéphany, Goran Jurić, Dean Power, Mathias Vidal, Jeroen de Vaal, James Hall, Lucy Knight Zürcher Sing-Akademie Sa 18.07.15 19:00 Uhr Prinzregententheater Di 21.07.15 19:00 Uhr Prinzregententheater Do 23.07.15 19:00 Uhr Prinzregententheater

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Mit freundlicher Unterstützung der Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V. Mit freundlicher Unterstützung der

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Gaetano Donizetti

Lucia di Lammermoor

BalletT

Musikalische Leitung Oksana Lyniv Inszenierung Barbara Wysocka Levente Molnár, Diana Damrau, Pavol Breslik, Emanuele D’Aguanno, Alexander Tsymbalyuk, Rachael Wilson, Dean Power Mi 22.07.15 Sa 25.07.15

19:00 Uhr 19:00 Uhr

John Cranko

Onegin

sponsored by

Musik Peter I. Tschaikowsky Musikalische Leitung Myron Romanul Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Mi 01.07.15 19:30 Uhr

Giuseppe Verdi

Don Carlo

Marius Petipa, Alexei Ratmansky

Musikalische Leitung Asher Fisch Inszenierung Jürgen Rose René Pape, Ramón Vargas, Simone Piazzola, Rafal Siwek, Goran Jurić, Anja Harteros, Anna Smirnova, Eri Nakamura, Francesco Petrozzi, Golda Schultz, Andrea Borghini, John Carpenter, Evgenij Kachurovsky, Leonard Bernad, Christian Rieger, Christoph Stephinger Fr 24.07.15 18:00 Uhr Mo 27.07.15 18:00 Uhr Do 30.07.15 18:00 Uhr

Paquita Musik Edouard-Marie-Ernest Deldevez, Ludwig Minkus u.a. Musikalische Leitung Myron Romanul Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Sa 04.07.15 19:30 Uhr

John Neumeier

Ein Sommernachtstraum

Peter I. Tschaikowsky

Eugen Onegin

Musik Felix Mendelssohn Bartholdy, Györgi Ligeti, traditionelle mechanische Musik Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff

Musikalische Leitung Leo Hussain Inszenierung Krzysztof Warlikowski

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Di 07.07.15 19:30 Uhr

Heike Grötzinger, Anna Netrebko, Alisa Kolosova, Elena Zilio, Mariusz Kwiecien, Alexey Dolgov, Evgenij Kachurovsky, Günther Groissböck, Ulrich Reß Oskar Schlemmer, Gerhard Bohner, Mary Wigman

So 26.07.15 19:00 Uhr Mi 29.07.15 19:00 Uhr

Das Triadische Ballett / Le Sacre du printemps

Giacomo Puccini

Manon Lescaut Musikalische Leitung Alain Altinoglu Inszenierung Hans Neuenfels Kristine Opolais, Markus Eiche, Jonas Kaufmann, Roland Bracht, Dean Power, Christian Rieger, Ulrich Reß, Rachael Wilson, Petr Nekoranec, Christoph Stephinger, Evgenij Kachurovsky

Di 28.07.15 19:00 Uhr Fr 31.07.15 20:30 Uhr

Musik Hans-Joachim Hespos, Igor Strawinsky Musikalische Leitung Myron Romanul Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts II / Junior Company Fr Fr Sa So

10.07.15 10.07.15 11.07.15 12.07.15

10:30 Uhr Prinzregententheater 19:30 Uhr Prinzregententheater 18:00 Uhr Prinzregententheater 18:00 Uhr Prinzregententheater

auch im Live-Stream auf www.staatsoper.de/tv

sponsored by

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Konzert

4. Festspiel-Kammerkonzert Samuel Barber / Franz Schubert / George Onslow

PARTNER DES BAYERISCHEN STAATSORCHESTERS

1. Festspiel-Kammerkonzert Munich Opera Horns & Friends Eine Horn-Odyssee von Klassik bis Pop via Filmmusik und Jazz

KKISS-Quintett des Bayerischen Staatsorchesters Flöte Andrea Ikker Oboe Heike Steinbrecher Klarinette Jürgen Key Horn Rainer Schmitz Fagott Katrin Kittlaus Violine David Schultheiß Viola Ruth Elena Schindel Violoncello Yves Savary Kontrabass Alexandra Hengstbeck

Mi 24.06.15 20:00 Uhr Cuvilliés-Theater Mi 15.07.15 20:00 Uhr

2. Festspiel-Kammerkonzert Johannes Brahms / Friedrich Cerha / Claude Debussy / Camille Saint-Saëns Klarinette Andreas Schablas Klavier Julian Riem Fr 03.07.15 20:00 Uhr Cuvilliés-Theater

Cuvilliés-Theater

Festspiel-Konzert der Münchner Hofkantorei Claudio Monteverdi Leitung und Einstudierung Wolfgang Antesberger Münchner Hofkantorei Orfeo-Continuo-Ensemble

3. Festspiel-Kammerkonzert

So 19.07.15 18:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche Mo 20.07.15 20:00 Uhr St. Ottilien, Eresing am Ammersee

Robert Schumann / Wolfgang Amadeus Mozart / Leoš Janáček Tenor Pavol Breslik Klavier Amir Katz Klarinette Andreas Schablas Violine Barbara Burgdorf Viola Stephan Finkentey Violoncello Oliver Göske Fr 10.07.15 20:00 Uhr Cuvilliés-Theater

Festspiel-Barockkonzert Heinrich Ignaz Franz Biber / Georg Muffat / Johann Heinrich Schmelzer u.a. Violine Barbara Burgdorf, Corinna Desch Viola Christiane Arnold Orfeo-Continuo-Ensemble Mo 13.07.15 20:00 Uhr Alte Pinakothek

5. Festspiel-Kammerkonzert Anton Webern / Franz Schubert / Johannes Brahms Violine David Schultheiß, Guido Gärtner Viola Adrian Mustea Violoncello Yves Savary Klavier Pierpaolo Maurizzi Mi 22.07.15 20:00 Uhr

Cuvilliés-Theater

Festspiel-Kammerkonzert auf ­historischen Instrumenten Franz Lachner / Norbert Burgmüller / Robert Kahn / Carl Reinecke Deutsche Romantik für Klarinette, Horn und Pianoforte Klarinette Markus Schön Horn Johannes Dengler Pianoforte Joseph Breinl Mo 27.07.12 20:00 Uhr Alte Pinakothek

6. Festspiel-Kammerkonzert Joseph Haydn / Antonín Dvořák / Johannes Brahms Münchner Klaviertrio Violine Michael Arlt Violoncello Gerhard Zank Klavier Donald Sulzen

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Viola Tilo Widenmeyer Di 28.07.15 20:00 Uhr

Cuvilliés-Theater


FESTSPIEL-WERKSTATT Poul Ruders

Selma Ježková Musikalische Leitung Oksana Lyniv Inszenierung Andreas Weirich Münchner Kammerorchester Ausrine Stundyte, Tara Erraught, Nathaniel Webster, Kevin Conners Fr 26.06.15 20:00 Uhr Alte Kongresshalle  Premiere Sa 27.06.15 20:00 Uhr Alte Kongresshalle So 28.06.15 18:00 Uhr Alte Kongresshalle

Stadt der Frauen – Ein Kongress Kuratiert von der Dramaturgie der Bayerischen Staatsoper und Barbara Vinken Mieke Bal, Elisabeth Bronfen, Cynthia Chase, Philipp Ekardt, Manuela Hartel, Ursula Pia Jauch, Katarzyna Kozyra, David J. Levin, Shoshana Liessmann, Michaela Melián, Klaus Walter, Beate Söntgen, Klaus Theweleit, Juliane Vogel, Cornelia Wild u.a. Sa 27.06.15 ab 13:00 Uhr bis in die Nacht Alte Kongresshalle

Saar Magal

Jephta’s Daughter Konzept, Choreographie Saar Magal Musik Giacomo Carissimi, Haggai Cohen Milo, Mateo Lugo, James Shipp Gesang Friederike Mauß, Josephine Renelt, Richard Resch, Frederic Jost Tanz Leila Bakhtali, Adaya Berkovitzaya, Jasmine Ellis, Margaux Marielle-Trehouart, Shiori Tada, Hervé Guerrisi, Elik Niv, Moritz Ostruschnijak Di Mi Fr Sa

07.07.15 08. 07.15 10. 07.15 11. 07.15

19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Haus der Kunst  Premiere Haus der Kunst Haus der Kunst Haus der Kunst

Anna-Sophie Mahler

Francesca da Rimini Konzept, Regie Anna-Sophie Mahler Musik Franz Liszt, Stefan Wirth Gesang Iulia Maria Dan Schauspiel Judith Huber, Eva Löbau, Vivien Mahler Di Do Fr Sa

21.07.15 23.07.15 24.07.15 25.07.15

19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Haus der Kunst  Premiere Haus der Kunst Haus der Kunst Haus der Kunst

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Lied

CAMPUS

Pavol Breslik

Festspiel-Konzert ATTACCA

Franz Schubert / Richard Strauss / Peter I. Tschaikowsky / Sergej W. Rachmaninow Klavier Amir Katz

Antonín Dvořák / César Franck / Charles Gounod

Di 30.06.15 20:00 Uhr Prinzregententheater

Edita Gruberova Antonín Dvořák / Nikolai Rimski-Korsakow / Peter I. Tschaikowsky / Richard Strauss / Gustav Mahler Klavier Peter Valentovic Fr 03.07.15 20:00 Uhr

Anne Schwanewilms Franz Liszt / Robert Schumann / Richard Wagner Klavier Malcolm Martineau So 19.07.15 20:00 Uhr Prinzregententheater

Einstudierung Stellario Fagone Leitung Allan Bergius ATTACCA - Jugendorchester des Bayerischen Staatsorchesters Kinderchor der Bayerischen Staatsoper Fr 03.07.15 19:00 Uhr Prinzregententheater

Karl Jenkins

Eloise – An opera for young people Inszenierung Natascha Ursuliak Choreographie Anna Beke Sa 11.07.15 12:00 Uhr

Carl-Orff-Saal im Gasteig

Ein begrenztes Kontingent an kostenlosen Karten ist nur an der T ­ ageskasse der ­Bayerischen Staatsoper erhältlich. Pro Person können zwei Karten vergeben werden. Gerne können Sie das Deutsche Schülerstipendium mit einer Spende unterstützen: www.schuelerstipendium.de

Jonas Kaufmann Klavier Helmut Deutsch Mo 20.07.15 20:00 Uhr

Festspiel-Konzert Opernstudio Das Opernstudio präsentiert seine Festspiel-Auswahl an Opernarien und Ensembles

CUBA AMIGA Erwin Schrott & ­Friends Rhythmen Lateinamerikas Do 23.07.15 20:00 Uhr

So 12.07.15 20:00 Uhr

Cuvilliés-Theater

Festspiel-Konzert Orchester­ akademie des Bayerischen ­Staatsorchesters Johann Sebastian Bach / Iain Bell (Uraufführung) / Wolfgang Amadeus Mozart / Igor Strawinsky Mezzosopran Tara Erraught Leitung Constantinos Carydis Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters Mo 20.07.15 20:00 Uhr Haus der Kunst

Hauptsponsor der Orchesterakademie

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KulturTagJahr – Wasser

Extra

Mit Schülerinnen und Schülern des Luitpold-Gymnasiums unter der Leitung von Künstlern des Staatsballetts Do 23.07.15 19:00 Uhr Muffathalle Fr 24.07.15 11:00 Uhr Muffathalle Fr 24.07.15 19:00 Uhr Muffathalle

sehend hören Pelléas et Mélisande Sa 04.07.15 14:00 Uhr

Sammlung Schack

Das Triadische Ballett Sa 11.07.15 14:00 Uhr Pinakothek der Moderne

Operndialog Pelléas et Mélisande Teil 1:  So  28.06.15  10:00 bis 12:00 Uhr  Capriccio-Saal Teil 2:  Mo  29.06.15  18:00 bis 20:00 Uhr  Capriccio-Saal Arabella Teil 1:  Sa  11.07.15  10:00 bis 12:00 Uhr  Capriccio-Saal Teil 2:  So  12.07.15  10:00 bis 12:00 Uhr  Capriccio-Saal

Festspiel-Kinderchorkonzert Katharina S. Müller (Uraufführung) / Maria Bosareva (Uraufführung) / Philipp C. Mayer (Uraufführung) / Benjamin Britten

Ballett extra Ein Probentag mit dem Bayerischen Staatsballett

Leitung und Einstudierung Stellario Fagone Sa 27.06.15 9:45 Uhr

Ballett-Probenhaus, Platzl 7

Kinderchor der Bayerischen Staatsoper Sa 25.07.15 20:00 Uhr

Cuvilliés-Theater

Premierenmatinee Pelléas et Mélisande So 21.06.15 11:00 Uhr Prinzregententheater Arabella So 28.06.15 11:00 Uhr

Montagsrunde Zuschauer diskutieren gemeinsam mit Dramaturgen und Gästen die Themen einer Neuinszenierung Pelléas et Mélisande Mo 13.07.15 20:00 Uhr

Capriccio-Saal

Arabella Mo 20.07.15 20:00 Uhr

Capriccio-Saal

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EINTRITT FREI! OPER FÜR ALLE Oper für alle. Die Bayerische Staatsoper und BMW München laden ein.

Festspiel-Konzert Antonín Dvořák / Modest P. Mussorgsky / Igor Strawinsky Musikalische Leitung Philippe Jordan ATTACCA – Jugendorchester des Bayerischen Staatsorchesters Bayerisches Staatsorchester Sa 18.07.15 20:00 Uhr

Marstallplatz

Giacomo Puccini

Einführungen vor den Vorstellungen Pelléas et Mélisande Mi 01.07.15 18:00 Uhr Prinzregententheater Sa 04.07.15 18:00 Uhr Prinzregententheater Di 07.07.15 18:00 Uhr Prinzregententheater Die Sache Makropulos Do 02.07.15 18:00 Uhr

Capriccio-Saal

Arabella Sa 11.07.15 18:00 Uhr Di 14.07.15 18:00 Uhr Fr 17.07.15 18:00 Uhr

Capriccio-Saal Capriccio-Saal Capriccio-Saal

L´Orfeo Sa 18.07.15 18:00 Uhr Prinzregententheater Di 21.07.15 18:00 Uhr Prinzregententheater Do 23.07.15 18:00 Uhr Prinzregententheater Lucia di Lammermoor Mi 22.07.15 18:00 Uhr Sa 25.07.15 18:00 Uhr Manon Lescaut Di 28.07.15 18:00 Uhr Fr 31.07.15 19:30 Uhr

Capriccio-Saal Capriccio-Saal

Capriccio-Saal Capriccio-Saal

– jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn

Manon Lescaut Audiovisuelle Live-Übertragung auf den Max-Joseph-Platz Fr 31.07.15 20:30 Uhr

Max-Joseph-Platz

UniCredit Festspiel-Nacht Bei der UniCredit Festspiel-Nacht bieten Festspiel-Künstler bereits zum vierzehnten Mal auf mehreren Bühnen Höhepunkte aus Oper, Konzert, Tanz, Lied und Literatur Sa 04.07.15 20:00 Uhr Fünf Höfe, HVB Forum, Filiale Altstadt der Hypo ­Vereinsbank, Kardinal-Faulhaber-Straße Mit freundlicher Unterstützung der

Festspiel-Gottesdienst Musikalische Leitung Oksana Lyniv Solisten und Chor der Bayerischen Staatsoper und des Bayerischen Staatsorchesters So 28.06.15 10:00 Uhr

216

St. Michael, Neuhauser Straße


Die Kunst ist es, Die Dinge auch mal anDers zu sehen

Fachübergreifendes Denken und interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Bereichen Rechtsberatung, Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Family Office charakterisieren den Beratungsansatz der Münchner Kanzlei am Siegestor.

Peters, schönberger & Partner Rechtsanwälte wiRtschaftspRüfeR steueRbeRateR

schackstraße 2, 80539 München tel.: +49 89 38172- 0 psp@psp.eu, www.psp.eu

Als Mitglied des Classic Circle unterstützt PSP seit 2005 die Bayerische Staatsoper.


Wertvolle förderung, verdiente anerkennung

Die Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele ehrt ­die beiden Sopranistinnen Evgeniya ­Sotnikova und Mária Celeng sowie die beiden Schlagzeuger des Bayerischen ­Staats­orchesters Claudio Estay und Pieter Roijen mit dem Festspielpreis 2014.

Vor bereits mehr als 50 Jahren wurde die Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele gegründet. Mit dem Ziel, die Attraktivität der Münchner Opernfestspiele durch finanzielle Unterstützung zu fördern und zu erhalten, macht sie sich seitdem in vielfacher Weise um die Opernfestspiele verdient. Einmal jährlich vergibt sie in f­ eierlicher Atmosphäre den Festspielpreis und zeichnet d ­amit ­Menschen aus, die die Münchner Opernfestspiele z­u dem machen, was sie sind: das international traditionsreichste Festival seiner Art. Seit 140 Jahren kommen Opernfreunde aus ­Bayern, Deutschland und aller Welt zur Festspielzeit nach M ­ ünchen und genießen die Vielzahl der Opernvor­stellungen, ­Ballette, Liederabende und Konzerte an der Bayerischen Staatsoper. Doch so weit der Blick zurück reicht, so weit reicht er auch nach vorn. Die Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele legt seit jeher großen Wert auf die Pflege des Nachwuchses, sie will bewusst in die Z ­ ukunft ­investieren. Das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper ist eine Erfolgsgeschichte. Seit Jahren werden Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt in München für die große Opernbühne trainiert. Viele ehemalige Opernstudio-Mitglieder sind mittlerweile gern und oft gesehene Gäste an

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den größten Häusern der Welt. So wie die russischstämmige Sopranistin Evgeniya Sotnikova: nach ihrer Opernstudio-Zeit kehrte sie für die Festspielpremiere der Opernfestspiele 2014, Rossinis Guillaume Tell, nach München zurück und begeisterte Publikum und Kritik: „Evgeniya Sotnikova singt und spielt Tells Sohn Jemmy als szenisch-musikalisches Gesamtkunstwerk eines pubertierenden Kindes.“ (Abendzeitung, 29.6.2014) Mit Mária Celeng wird eine zweite Sopranistin, die ihren Ursprung im Opernstudio der Bayerischen Staatsoper hat, mit dem Festspielpreis ausgezeichnet. Die slowakische Sängerin zeigte komödiantisches Talent als Titelheldin in der Opernstudio-Produktion von Mirandolina und verkörperte bei den Festspielen in der Uraufführung von Zeisls Hiob die Mirjam. Sowohl ­Sotnikova als auch Celeng erhalten ein Preisgeld von EUR 10.000. Ein auf Vorschlag von Staatsintendant Nikolaus Bachler initiierter Sonderpreis, der mit EUR 4.000 dotiert ist, geht an die Musiker Claudio Estay und Pieter Roijen aus der Schlagzeuggruppe des Bayerischen Staatsorchesters. Mit einem Ehrenpreis zeichnet die Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestpiele Pål Christian Moe aus, der seit 2008 für die Casting-Konzepte der Bayerischen Staatsoper verantwortlich ist.


Die Preisträger Claudio Estay und Pieter Roijen bei ihrer Dankesrede

Dieter Rampl, 1. Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele, mit Gewinnerin Mária Celeng

Preisträgerin Evgeniya Sotnikova als Jemmy in der Festspielpremiere Guillaume Tell 2014 (links Michael Volle in der Titelpartie)

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Festspielempfang des Bayerischen Ministerpräsidenten und der ­Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele 2014

Aufnahmeantrag Name

Ich /wir möchte(n) der Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V. beitreten als: Einzelmitglied (300 €)

Firmenmitglied (1.200 €)

Fördermitglied (1.500 €)

Förderndes Firmenmitglied (3.000 €)

Straße und Hausnummer

Postleitzahl und Stadt

Den ersten Beitrag werde(n) ich/wir nach der Mitteilung über die Aufnahme auf eines Ihrer Konten zahlen. Bitte füllen Sie diesen Aufnahmeantrag aus und schicken diesen in einem Briefumschlag an folgende Adresse: Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V. Maffeistraße 14, 80333 München

Telefon-Nummer

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Datum

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Einzelstücke fürs Leben, mit Liebe in Glashütte gefertigt: Lux Zikade. Jetzt erhältlich im besten Fachhandel: Aachen: Lauscher; Augsburg: Bauer; Bamberg: Triebel; Bayreuth: Böhnlein; Berlin: Christ im KaDeWe, Leicht, Lorenz; Bielefeld: Böckelmann; Bochum: Mauer; Bonn: Hild, Kersting; Bremen: Meyer; Chemnitz: Roller; Coswig: Baldauf; Darmstadt: Techel; Dortmund: Rüschenbeck; Dresden: Leicht; Düsseldorf: Blome, Rüschenbeck; Erfurt: Jasper; Erlangen: Winnebeck; Essen: Mauer; Frankfurt: Pletzsch, Rüschenbeck; Freiburg: Seilnacht; Gelsenkirchen: Weber; Glashütte: NOMOS Kaufhaus; Hamburg: Bucherer; Heilbronn: Beilharz; Kassel: Schmidt; Koblenz: Hofacker; Köln: Berghoff, Rüschenbeck; Konstanz: Baier; Lübeck: Mahlberg; Ludwigsburg: Hunke; Mainz: Wagner-Madler; München: Bucherer, Fridrich, Möller; Münster: Oeding-Erdel; Paderborn: Jasper; Pforzheim: Leicht; Regensburg: Kappelmeier; Ulm: Scheuble; Weiden: Prüll; Wiesbaden: Epple; Würzburg: Scheuble. Und überall bei Wempe. Österreich Innsbruck: Leitner; Salzburg: Siegl; Wien: Hübner, Wempe. Schweiz Bern: Uhrsachen; Zürich: NOMOS Glashütte Fachgeschäft. nomos-store.com und nomos-glashuette.com


Bayerische staatsoper

Bühnen-Dinner 2015 ein künstlerischer und kulinarischer Abend auf der Bühne des nationaltheaters mit Kristine Opolais, Joseph Calleja, dem Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung von Omer Meir Wellber, dem Opernstudio und weiteren Künstlern der Bayerischen Staatsoper und des Bayerischen Staatsballetts Der Spendenerlös des Bühnen-Dinners kommt dem Campus-Programm zugute. Do, 17.09.2015, 18:30 Uhr Bühne des Nationaltheaters Detaillierte Informationen und Tickets erhalten Sie direkt über das Development-Büro:

Max-Joseph-Platz 2 80539 München

www.staatsoper.de buehnen-dinner@staatsoper.de

T + 49.(0)89.21 85 10 40 F + 49.(0)89.211 04 80 15


Illustration Berto Martínez

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“Depth has to be hidden. Where? On the surface“ … said Hugo von Hofmannsthal, the librettist of Richard Strauss’s Arabella. A new production of the work, with Anja Harteros as Arabella and Philippe Jordan conducting the Bayerische Staatsorchester, will hit the stage at this year’s Opera Festival. The two of them spoke to MAX ­JOSEPH writer Florian Heurich about the highs and lows of an opera often de­scribed as “light”. At first glance, this opera, which its creators described as a “lyrical comedy”, and which is still labelled with the cliché of being operetta-like, seems like a feelgood work with a happy end. One could very well also compare Mandryka, who represents the other section of the Danube monarchy in the Balkans with his southern-Slavic-sage-inspired music, with Danilo from the Lustige Witwe. “A much deeper dimension is conveyed upon the possibly too simplistic operetta love story by the actions of Zdenka. She’s first dressed as a boy by her parents, is then disregarded, and therefore has to liberate herself from this as a woman,” says Philippe Jordan. From a purely musical standpoint it is the finale of the first

act in particular, when Arabella suddenly sees herself at the brink of the abyss, but then waltzes instead into a life of pleasure, which demonstrates Strauss at his best. One of the aphorisms from Hofmannsthal’s collection Buch der Freunde [Book of Friends] (1922) seems very fitting at this point: “Depth has to be hidden. Where? On the surface”. It is for exactly this reason that Anja Harteros believes the title role can be played with a degree of effortlessness and refinement. “As long as you take what is real seriously and give depth the space it needs ...”. “A rather base and dangerous Vienna surrounds these characters,” ­ Hofmannsthal writes to Strauss. Decadence, depravity, decay – degeneration is every­where to be seen. That is the ­difference between the washed-up, indebted aristocracy of the late 19th century in Arabella and the nobility of the Maria Theresa period in the Rosen­ kavalier. The former has to seek hotel accommodation for a lack of an alternative place of residence and spends its time cavorting at the barely socially acceptable Fiaker ball. “The waltz in ­Arabella isn’t an inspired, classical waltz any more either, but a vulgar copy. In the dance on the volcano we observe the patina of time, indicating the downfall of the I­mperial and Royal monarchy,” says J ­ ordan. “In the midst of this, Arabella’s family find themselves totally disorientated, as though trapped somewhere in the wrong time.” Against this backdrop, Arabella radiates as a glowing exception, standing out from the surrounding culture with both her character and her music. “It ennobles her that she can still believe in the good, despite all the depravity around her,” Anja ­Harteros comments. “The way in which the Marschallin in the Rosenkavalier picks up lovers for herself doesn’t constitute ­particularly lady-like behaviour within her elegant and aristocratic circles. In contrast to the Marschallin, ­Arabella refuses to marry a man whom she doesn’t love. She’s the jewel in amongst the rot and decay.” And it is one of her deepest longings to flee from this environment. Life in the country seems to be her possibly somewhat ­naïve image of paradise.

In this sense, Arabella is more than­ willing to exchange the champagne glass of crumbling Viennese society­ for pure, clean water, in order to ­sym­bolically seal her engagement. At the end of this ritual finally comes, ­according to Strauss’s d ­ irector’s notes, the long-awaited kiss.

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Who knows us He has a knack for explaining existential things in a simple way – his films often succeed in touching a nerve. Now, at the Munich Opera Festival, director Andreas Dresen presents Richard Strauss’s Arabella. Daniel Schreiber spoke to him. Text Daniel Schreiber Born in the Thuringian town of Gera in 1963, Dresen is one of German cinema’s true greats. For the past twenty years he has made unflustered, tender films about people going about their daily lives, stumbling, falling and getting back up again. Films that, for the most part, were recognised as masterpieces right from their release. Nacht­ gestalten [Nightshapes] (1999), Halbe Treppe [Grill Point] (2002), Sommer vorm Balkon [Summer in Berlin] (2005), Wolke 9 [Cloud 9] (2008), Halt auf freier Strecke [Stopped On Track] (2011) and Als wir träumten [As We Were Dreaming] (2015) are some of the most well-known, but the list is long. Sommer vorm Balkon [Summer in Berlin] alone, about the friendship and crises of two single women in the Prenz­ lauer Berg area of Berlin, was seen by one million cinema-goers. The director has won the Bavarian, the Hessian and German film awards, also added the

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Illustration Louis Granet

seeks to escape from this world, so full of lies, skewed values and wrong ideals.”

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“Mélisande tempts fate” In Pelléas et Mélisande, Claude Debussy tells the tale of the forbidden, fated love of the two title characters. Director Christiane­­ Pohle gives her take on this evidently enigmatic opera, and attempts to unravel the pleasure in misfortune.

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for his family. His mother, Barbara Bachmann, is an actress. His mentor, Christoph Schroth, was one of the most influential directors in the GDR and his father was none other than ­renowned theatre and opera director ­Adolf Dresen. In 1977, Dresen Senior moved to West Germany and achieved huge worldwide success with his ­productions during the 1980s and 90s. Instead of the Vienna of the Habsburg dynasty, Dresen’s Arabella has more of an Expressionist flavour. Set at the end of the 1920s and early 1930s, this is the era of the great ­depression, dramatic societal change and the founding of the Opera. What particularly stands out for him in Strauss and Hoffmannsthal’s work are the delusions the protagonists live under, their desperate longing for happiness and the destructive role that money plays. “It’s a story with a great many extremes,” he says. “The world in which it plays out is a world in decay. A world in which the only thing that matters, if we’re honest, is money. Right from the start, there’s the threat of social decline. The characters are panicking and driven by naked fear of this fight for survival. Arabella

Text Sarah-Maria Deckert A trained actress and theatre im­ presario, 47 year-old Christiane Pohle is one of Germany’s most sought-after directors and twice no­ minated for the Nestroy award. She has just come from a meeting with her long-time artistic partner Malte Ubenauf, with whom she regularly collaborates on projects, including

English

Illustration Harriet Lee-Merrion

German Film Critics Prize and Grimme Award to his collection, as well as the Prix Un Certain Regard at the Cannes Film Festival. The list of awards he has won is longer than the list of his films. If one wanted to compare him to internationally recognised names, then British raconteurs and realists Mike Leigh and Ken Loach spring to mind. Few directors get as close to their characters as Dresen, have such a confident feel for psychological borderline situations, whilst avoiding stereotypes. No other German director handles the existential in such a simple way. ( … ) “As far as the creative side of things goes, working at the Opera is of course totally different from a film set,” he explains. Here it’s ultimately the music with its various subtexts which sets the tone. “On the other hand, on the ­opera stage we’re also dealing with people. You have to be interested in their stories and look carefully at what drives them. What are their inner conflicts? What kind of contradictions are they caught up in?” Dresen knows what he’s talking about. Stagecraft is something he grew up with. As a ten year-old he performed Faust as a puppet show


Pelléas et Mélisande. My remark that I wouldn’t mind knowing which ideas they had just discussed was met with nothing but cryptic silence. CP “I just don’t like it when things are over-defined,“ she says. Pohle has big, clear eyes, which drift upward when she thinks and give nothing away. She smiles sparingly. What Pohle enjoys are cracks and contradictions. She likes “layers”, lots of layers. And realities that have as little as possible in com­ mon with her own. She describes her method of working as “associative”. She talks about “diffuse idea spaces” within which she particularly enjoys spending time, “connected thoughts” and “crystallisation points” around which she oscillates. It’s all about “constant concretion”, ei­ther preven­ ting something ever becoming ­concrete in the first place, or where concrete is formed, only to then be re-pulverised. CP It’s up to the individual themselves whether they notice the spaces or would rather blame the environment for their lack of imagination. MJ Contradiction rather than over-definition. Was it that that caught your attention in Maeterlinck’s­­text, which forms the basis of the libretto? CP I like authors, such as Gerd Jonke, Thomas Bernhard and Ödön von ­Horváth, who are on a constant quest for contradiction, under which the fantastic and the impossible lie buried. We live in a society in which we define ­ourselves very much by our sense of belonging towards something. A political ideology, a fashion, a religion, a sexual orientation. The thing that ­ fascinates me about Pelléas et ­ ­Mélisande’s text, just as much as ­Debussy’s composition, is that it isn’t about making things concrete. It blurs until it’s no longer clear whether what one is experiencing is longing or madness, dream or apparent reality.

MJ For you, what does this “apparent reality” of an opera without ­beginning and end, in which emotions constantly flare, look like? CP I would have trouble reducing Pelléas et Mélisande to some kind of family drama or simply a story about a love triangle with a tragic conclusion. The music and text don’t follow a strict pattern with a recognisable psychology. Mélisande says: “I am not happy here.” Much of the narrative is devoted to the longing for happiness, despite the realisation that it can’t be found. What’s interesting about this is that the awareness of one’s own misfortune doesn’t lead to depression or stagna­ tion.­On the contrary, in the case of every character, they throw themselves into these circumstances with even greater intensity. An almost frenzied quest for unhappiness. MJ You mean the characters carry a destructive element within themselves? CP Yes. I would even go as far as to say there is pleasure in misfortune. Characters engage in dangerous liaisons. Mélisande tempts fate by playing with her ring above the well. Golaud sends his wife away with Pelléas to look for the ring. Every character is respon­ sible for actions which can be directly linked back to a sense of imminent misfortune. And this has nothing to do with rational logic. For me, this is a part of life. MJ The great ode to the search for happiness has become a search for unhappiness? Was this intentional? CP That’s totally visionary! It’s a huge fallacy to assume that life can be kept under control. There’s something about this story that has to do with fate, or destiny, but not in the form of a supernatural power. There are no gods pulling the strings. The characters ­ carry their fate within themselves. ­There’s no clarity either, no arrival and thus no contentment.

Excerpts

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A bad feminist? This season, with its theme of Blicke Küsse Bisse [Glances Kisses Bites], the stage of the Bayerische Staatsoper was devoted to self-determined female characters. In 2015, though, much is still unclear. Can a self-­ determined woman admire ­Cinderella, love pink and enjoy TV shows like The Bachelor? We asked American feminist Roxane Gay a few questions. MAX JOSEPH Bad Feminist is the title of your latest essay collection. What’s the difference between a good and a bad feminist? ROXANE GAY The “bad feminist” label is a bit tongue-in-cheek. At first I thought it was funny and a bit provocative, but it’s also a way of acknowledging that I am very much a feminist but I am also flawed. MJ Is there such a thing as a male feminist? How would such a person act, behave? In relationships, in everyday life? RG Anyone can be a feminist so long as they believe women and men are equal and they reflect such a belief in their words and actions. MJ “Pink stinks!” and “Pinkification” – a campaign and a concept in the fight against a colour said to have harmful effects on children by producing gender stereotypes. Do you agree? RG All too often, the colour pink is used to imply that a given product is made specifically for girls or women, as if that colour is needed to get women on board. I reject this notion even though I adore the colour pink and hate when people disparage the colour ­simply because other people use it in belittling ways.

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seem romantic. It is not for me to say whether or not Anastasia Steele is liberated, though I don’t think the book even offers the opportunity for her to be a self-actualized woman. MJ Why do women sometimes fake orgasms? Does faking have some­ thing to do with women or with men? RG It depends. Sometimes we’re tired and don’t want to put in the energy to actually orgasm. Sometimes, our partner just isn’t going to get us to orgasm no matter how hard they try so we want to bring things to a merciful end. Some­ times, the sex is terrible and we just want it to be over. It has something to do with both women and men. People of all genders and sexualities fake orgasms for a range of reasons. Excerpt from Roxane Gay’s original answers

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Two Truths MAX JOSEPH separately interviewed both title-role performers in Pelléas et Mélisande and discovered two truths about this pair of unusual lovers. Baritone Elliot Madore on Pelléas MJ Pelléas et Mélisande is generally considered to be full of mystery and symbolism. How would you describe Pelléas and Mélisande as a couple? EM: It’s not a conventional love story of two people coming together. It’s special. I think Pelléas and Mélisande have their own language of love together. And I think that’s what makes the story so beautiful. It’s that they’re able to communicate in ways that we could never understand. What draws them together is this special language; this secret, mysterious love; this bond that they have. And I think that’s what’s so unique about this story. It’s so beautiful because we understand so little.

Collagen Sebastian Hammwöhner & Gabriel Vormstein

MJ Children love fairy tales. Could the character of Cinderella serve as a role model? RG Of course she could be a role model. Cinderella endured in unbearable circumstances and that is rather admirable. MJ In video games women are often portrayed as victims of male violence or as background decoration. Can women play such games with a clear conscience? RG Yes. Women aren’t the problem here. It’s the games’ creators that are the problem and we shouldn’t have to limit our entertainment options because these creators lack imagination. MJ What about the effect of model casting shows or dating game shows like The Bachelor or The Bachelorette on young adults? RG As enjoyable as these shows are, they put forth really troubling ideas about love, the pursuit of love, and who deserves to find love. These shows make it seem like fairy tales are real, when they decidedly are not, at least not in the traditional sense. MJ Instagram censors pictures of women breastfeeding or of menstrual blood time and again, claiming such images violate the company’s community guidelines. What do you think is the real reason for this? RG There is a profound cultural fear of women’s bodies doing unruly things like bleeding or producing milk. Some people want to be protected from the realities of our bodies. Alas. MJ What do you think of E. L. James’s novel Fifty Shades of Grey? Is it pornography? Or is the female main character of Anastasia Steele an example of an emancipated or ­liberated woman? RG I wrote an essay about this trilogy. For the most part, the books are fun and sometimes sexy but they also put forth a deeply inaccurate portrayal of BDSM and they make Christian Grey’s controlling and at times abusive behaviour

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MJ Do you think there’s a moment where Pelléas feels as though Mélisande is finally his? EM ( … ) Maybe the decision at the end of the fourth act, the final scene. They’re together and hear Golaud coming. They’re both terrified and Pelléas says, “He’s going to kill us!” But instead of running away he says to Mélisande, “Ta bouche!” – Give me your mouth so I can kiss you. He knows he’s going to die, but he wants to stay with Mélisande. That decision says to me that Pelléas knows he finally has Mélisande.

Soprano Elena Tsallagova on Mélisande MJ This season at the Bayerische Staatsoper had the theme Blicke Küsse Bisse [Glances Kisses Bites] – the various stages of a physical relationship between two people. Have you discovered similar magical moments in the relationship between Pelléas and Mélisande? ET Glances, absolutely. When Pelléas and Mélisande meet for the first time she already knows, even before this rendezvous, that something wonderful is going to happen. Then, that very first glance and she finds exactly what she is looking for in him: that purity, that peace. This is the moment in which they experience true closeness for the first time. MJ Do you think that the love between Mélisande and Pelléas always remains constant? It seems as though she’s sometimes very much alone and believes nobody understands her. ET Yes, that’s interesting. She really is always alone. This isn’t a love that two normal people can share. Golaud’s love is a human love. He loves her as a wo­ man, as his wife. That’s something very secure and tangible for him. For Pelléas, on the other hand, this love for Mélisande is something totally new.

But Mélisande always feels alone. She knows that this isn’t a passionate love and that she’ll always be lonely and alone. Even when she tries to flatter him by playing with her ring, she still remains at a distance from Pelléas, untouched. But I don’t know if their relationship gets as far as “bites”. Kisses, yes, most definitely. But I don’t think that Mélisande is even capable of bi­ ting. Maybe the fact that she and Pelleás – despite all their intimacy and affection, despite all the attempts to understand one another – fail to fully connect, could be labelled as a bite. When Pelléas says that he has to go and she doesn’t understand what he’s talking about, why he has to go – this is where you see the yawning divide between the two.

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“If we had our own Maidan, the homosexuals would be the first to mount the barricades” Five members of the Moscow gay community tell their stories. In 2007 Krzysztof Warlikovski directed Pyotr Tchaikovsky’s Eugene Onegin at the Bayerische Staatsoper, as the tragedy of hidden and frustrated homosexual desire – that of the title character towards his friend Lenski. Even in the relatively liberal setting of Munich, the production caused a scandal and led to headlines such as “Gay Director Rapes Hetero­ sexual Opera”. The same ­production can now be seen again, with a spectacular cast, at the

Excerpts

forthcoming festival. Its theme is as relevant as ever. In Tchaikovsky’s native country of Russia, Putin’s government passed a law in 2013 “forbidding propaganda aimed at minors involving non-traditional sexual relationships” (known in Russia as the “Anti-Gay Law”). Since then, attacks against homosexuals have increased dramatically. Reports of excessive force have already been published worldwide. However, it is less well known how everyday life and the mood among homosexuals have been affected. Russian journalist Artem Galustyan asked five individuals to tell their stories. Their opinions are divided, but all five agree that the law has been used as a populist tool. They describe how this tool is increasingly being employed with terrible and often fatal consequences. Text Artem Galustyan

Igor Yasin, 35, one of the leading activists within the gay movement in Russia It was a tool to divide society and thus to influence the popularity of the liberal, tolerant opposition. This step went hand-in-hand with a form of conservative politics by the state and its obsequiousness towards the Russian Orthodox Church. The law itself is nothing more than a formality. Broadly speaking, it isn’t even enforced, but the state needed this stirring up of emotions and the whole anti-gay campaign. The government delayed the passing of the law to allow the discussion and hate campaign to really gain momentum. It’s more of a signal than a law; a nod from the Kremlin that gives radical forces and political fringe groups the right to go on the offensive against homosexuals. Homosexuals have become used to being the

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victims of homophobic attacks and physical abuse. Those carrying out the ­at­tacks, however, continue to enjoy a high degree of immunity. And then the govern­ment portrays the perpetrators as representatives of the people’s opinion. Elena Kostyuchenko, 28, journalist A lot of LGBT families I know have moved abroad, because they were afraid of having their children taken away. A bill has been submitted to the State Duma which would allow the children of homosexual parents to be taken into care. I’ve heard about cases of so-called “correctio­ nal rape” whereby a family asks an acquaintance (sometimes for money) to rape a lesbian family member in the hope that this will turn her into a heterosexual woman. LGBT activism has gone quiet recently. Many educated gays and lesbians move abroad to make a life for themselves. Young homosexuals have realised that they’re being treated like enemies of the state. Everyone experiences this in their own way. We get no support from opponents of the government – most of them are cowardly dogs. When our activists take part in anti-­ government demonstrations, the organisers often respond angrily, saying, “Not you again with your rainbow flags!” When the law was passed, my mother advised me to leave Russia for my own safety. But I told her there was no chance I was leaving. I don’t get scared very often, which some people say is one of my strengths. I live the way I want to, but nobody knows what the future holds for us.” Sergey Khazov, 35, writer and journalist “Until the Anti-Gay Law was the big talking point, many Russians didn’t even know what homosexuality was. But when this issue is constantly portrayed in a critical light, of course you start

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thinking negatively about it. Up until that point, society was indifferent, not homophobic; but now the attitude is mostly negative, seldom positive. Ten years ago, you could say we were living in anarchy. Those who belonged to the avant-garde of the gay scene could do what they wanted. So, you could find them among the artists, for example, and they felt free. But now the state is limiting their activities, arresting ­homosexuals at demonstrations and turning society against them. In other countries, homosexuals are beginning to blend in with the surrounding ­culture, whereas in Russia the o ­­ pposite is the case. Vladimir Khorosheev, 38, owner of several gay bars in Moscow “Moscow is a city all about money rather than orientation. In the capital there are twelve gay bars, of which several belong to me. By the way, I can tell you for sure that the Anti-Gay Law hasn’t had any effect on the gay club scene – nobody has gone into hiding. As long as opportunities still exist for them to relax and live their lives, nobody starts throwing stones. And so far that’s still been the case in the capital. But the situation in the regions outside of Moscow is far bleaker. Here, lesbians and gays have it much tougher. They’re often easy targets for criminals. But this isn’t direct homophobia, it just happens against the backdrop of the general culture of homophobia. Criminals meet many homosexuals online. They then rob and kill them – not because they hate gays, but just for the sake of robbery. But these cases are often dropped by p ­ olice or not even investigated in the first place. Some of my friends have died in this way. It can happen any­where. I’ve heard of similar things happening elsewhere in Europe, too.

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The Undoing of Women – or: Three Times the Freedom of Irrationality Selma, Francesca and a nameless daughter – three women killed without putting up a fight. What does this say about freedom? Three projects from the Munich Opera Festival (Poul Ruders’s Selma Ježková, Anna-Sophie Mahler’s Francesca da Rimini and Saar Magal’s Jephta’s Daughter) have interpreted the theme of free will and the role of women as victims in very different ways. This is a report from the FestivalWerkstatt, the Opera’s extra programme for experimental forms of music theatre. Text Anna Volkland Thematically, this year’s productions on the Werkstatt schedule of the ­Munich Opera Festival seem to represent the radical essence of the season now drawing to a close. Devoted to the topic of the suffering woman, they deliver the final death blow to the triad of Blicke Küsse Bisse [Glances Kisses Bites]. It is quite true that operas all too often seem to end with the demise of the female protagonist – during the current season, this could be witnessed in premieres such as Die Sache Makropulos, Manon Lescaut, Lucia di Lammermoor, Lulu, Pelléas et Mélisande as well as in many other well-known repertoire works such as Norma, Tosca, Carmen or La bohème. How­ever, the deaths of all three female title characters in the Werkstatt productions can be spe­ cified even more precisely: they are murdered – by men.

English


Illustration Julien Savioz

In the 1960s, Selma – based on the character Selma Ježková from Lars von Trier’s film Dancer in the Dark – has to accept the death sentence pronounced by a United States court, n ­ aturally consisting of men. Francesca – an adulteress of whom Dante tells in his Divine Comedy – is murdered by her own jealous husband. The daughter is killed willfully, in non-desperate circumstances and in the name of the one true God YHWH, by her father Jephta, according to a biblical text from the Old Testament. Of course, these stories cannot simply be ascribed to the bloodlust of male authors. They are, much more, stories written across three millennia in which women become “victims of the patriarchy”. At least, they are certainly killed by men in authority who believe the killing is absolutely legitimate. And what about the women themselves? How do Selma, Francesca and the nameless daughter behave? They allow themselves to be killed more or less voluntarily. They freely accept death, in some cases even arriving for the arranged killing of their own free will. This invites several questions and Saar Magal, Anna-Sophie Mahler and Andreas Weirich see themselves very much in the role of question master. Above all, the three artists directing these works are motivated in different ways by the incomprehensible in their stories: Why would anyone allow themselves to be killed or imprisoned without any form of resistance? At the heart of all three productions is a similar conflict, moti­vated though by very different situations. Just as the three projects, ­despite their similar theme, all stand alone and have very different aesthetics. Both female directors Saar Magal and ­ ­Anna-Sophie Mahler used old and ancient music and texts as the starting point for their research and brought it together with new material. They composed their evenings more or less themselves – in each case in c ­ ooperation with musical and dramaturgical partners and performers. D ­ irector Andreas Weirich, who has

Excerpts

now been at the Bayerische Staats­oper for several years, has this time chosen a comparatively more con­ventional path – though using ­contemporary material.

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Two Months The biblical story of Jephta and his daughter confronts us with an exceptional situation - a human sacrifice. A detail, somewhat overlooked in previous inter­ pretations, is actually worthy of particular attention. David J. Levin, who is working with choreographer Saar Magal on the production, took a break from rehearsals to explain why. Text David J. Levin The story of Jephta and his daughter is hardly familiar, and so a quick review might be helpful. The very brief tale appears in the Book of Judges. Jephta, the illegitimate son of Gilead and an unnamed prostitute, is exiled from Israel by his legitimate siblings. Growing up, he becomes something of a tough guy, as might reasonably be expected of a bastard exiled to the desert. When the land of Israel is threatened by the neighboring Ammonites, the siblings recall Jephta to protect them and the land. He agrees only on condition that he be made ruler. In the course of the ensuing battle, Jephta swears an oath: if the Lord will grant him victory, he will sacrifice the first thing that he encounters upon his return home. When he returns victorious from the battle, Jephta is greeted by his one and only daughter, his unige­ nitora. He explains to her the grounds for his sudden misery and she assures him that she is happy to sacrifice herself for father and country. Jephta grants her sole request: two months in

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Bild Heritage Image Partnership Ltd / Alamy

the mountains to bemoan her virginity with her friends. Upon the expiration of that hiatus, she returns from the mountains and the deed is done. Part of what makes the tale so compelling is the simultaneous, almost paradoxical sense of its utter familiarity and its utter unfamiliarity, its proximity and its remove. So, for example, Jephta, as the illegitimate brother, is banished as a threat to morality, only to be invited back to defend and rule the land. And the ­victory parade, the rite of celebration, that would mark his greatest triumph ­occasions the most harrowing undoing. These are tales that seem to be ripped from the headlines. And yet, there is ­something singular and haunting about the tale of sacrifice around which these headlines are gathered – an aporia that might be said to generate headlines centrifugally, as a means to distract from this appalling core. Just prior to arriving at this core, the tale swerves briefly, as tales of trauma often do. Before we arrive at the sacrifice, Jephta’s daughter and her friends take off for those two months in the mountains. The starting point for our treatment is the daughter’s sacrifice. Who is Jephta’s daughter? In the bible she goes nameless, a familiar fate for secondary figures. And yet, how secondary can she be? After all, she is the only human being who is sacrificed in the Old Testament. According to the biblical tale, the daughter has one request: those two months in the mountains to bewail her virginity. What are we to make of this request? And what would it entail? The story of Jephta and his daughter has invited repeated and variegated treatment — in oratorios (by Carissimi and Händel), in songs (by Schumann and Marschner), in innumer-

able works of drama, literature and painting. But in these adaptations, those two months in the mountains have remained strangely uninflected. In Saar Magal’s treatment, those two months are key – as an opportunity and a delimitation, a beginning and a terminus, a space where life can be examined and experienced anew, in the face of but also in defiance of an impending death. Excerpt from the original contribution by David J. Levin

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Imprisoned How do women experience life behind bars? Journalist Dirk Liesemer looked into the lives of women prisoners in Germany and discovered that their situation stood in stark contrast to that of male inmates, with much that made life considerably more difficult. Text Dirk Liesemer “One shouldn’t imagine prison as a ‘heal­ thy place’,” says sociologist Eva-Verena Kerwien before quoting from a report by the World Health Organisation which states, “In prison, the cost to women’s health is higher than to men’s.” Before ending up in a prison cell they have often experienced abuse, had drug problems, been responsible for children and suffered from mental illness. “There needs to be health care that’s tailored to the needs of women,” demands Kerwien. How many women would go to a male gynaecologist after having been raped? Women need access to female doctors, which can’t always be guaranteed. “As well as that, women pay a much higher price than men in terms of their status within society,” Kerwien adds. In the eyes of their community they have not only committed a crime, but also failed as women. Men who turn to crime, on the other hand, simply conform to popular male images. For this reason, women are ashamed of their criminal background, feel guilty and expe-

rience a much harsher form of moral condemnation and stigmatisation than men. In prison, women resign themselves to their new circumstances, adopt a passive demeanour and suffer from feelings of powerlessness. As a consequence, they take out their aggression on themselves, which leads to depression. Every day follows the same routine: wake up, get up, breakfast in cell, cell unlocked, take medication, work, lunch, work, dinner, pick up breakfast for next morning, cell locked, communal TV time later on, final lock-up of the day. Those who have been around a little longer can choose to share a cell with another inmate. At night they hear keys jostle or the neighbour snoring. They hear heated arguments and the ecstatic groans of two inmates sharing a bed. A new arrival quickly gets to know her fellow convicts, discovers which alliances exist, who’s top dog and who’s a “lady killer”. Foreigners often keep themselves to themselves. Drug addicts are especially quick at finding one another – they need to sort out their supply, after all. “When the prisons were all full, it was possible to tell from the files who had already done time with whom,” Haverkamp explains. As women are usually behind bars for one to two years – considerably less than men, on average – the hierarchies are less well defined than in male prisons. When a person is incarcerated together with somebody else day in, day out, conflict is a foregone conclusion. Tempers flare over dirty toilets and smelly cell-mates. Prisoners shout and bully, sometimes shove and pull hair. The fist is generally the tool of the male convict. The women’s jail is therefore often mocked as a form of “cuddle punishment”. “But some warders would much rather work in a male prison,” says Rita Haverkamp. The endless bitchiness drives them mad. A typical example: When a woman bakes a cake in the prison kitchen, at an opportune moment, someone creeps in and turns the temperature right up, so the cake burns. It’s often impossible to identify the culprit which can eat away at a person’s self-confidence. English Excerpts by Ed Einsiedler


KlassiKstars

Foto: © Harald Hoffmann / DG

au f B R- K L AS S I K

Montag bis Freitag 18.05 – 19.00 Uhr br-klassik.de facebook.com/brklassik

Große Musiker, große Werke


Im August geht die Bayerische Staatsoper in Theaterferien. Hier geben vier Künstler der diesjährigen Opernfestspiele Tipps für Ferien an ganz speziellen Orten – zur geistigen und ­körperlichen Entspannung. Und sogar eine Opern­figur meldet sich noch zu Wort.


Saar Magal, Choreographin Ein bisschen Erholung inmitten unruhiger Zeiten gefällig? Das Leben tobt, und Sie sehnen sich nach etwas Frieden, möchten sich selbst verwöhnen? Der Mineral Beach in Israel bietet wahre Glückseligkeit und einen unglaublichen Blick auf die Berge von Judäa, Temperaturen um die 39 Grad in einem schwefelhaltigen Pool, ein meditatives Kaltwasserbecken mit Blick auf die Wüste, natürlichen schwarzen Schlamm für eine samtige Haut und endlose Schwerelosigkeit in den Gewässern meines Lieblingsortes am Toten Meer. Ganz ehrlich, es gibt keinen anderen Ort auf der Welt, an dem man so eins mit sich ist. Dieses Gefühl der Leichtigkeit und der Akzeptanz verstärkt sich noch, wenn man auf dem Rückweg in Richtung Tel Aviv durch J ­ erusalem fährt, unterschwellig den politischen Konflikt spürend, wenn man den Körper im ­warmen Wind der Wüste badet und sich

hineinträumt in eine schöne neue Welt, in der es keine Religion gibt – n ­ othing to kill or die for, no hell below us, above us only sky … Saar Magals Performance Jephta’s Daughter ist im Rahmen der diesjährigen Festspiel­Werkstatt zu sehen (7. und 8. sowie 10. und 11. Juli, Haus der Kunst).

Hans Neuenfels, Regisseur Meinen Sommerurlaub verbringe ich in der Steiermark, in unserem Haus in den Bergen in Altaussee. Dieses Haus bedeutet für mich die Rekonstruktion der Kindheit, einer Welt, die aus einfachen Dingen besteht – wie Wasser, blauem Himmel (wenn’s mal so ist) oder auch Regen, aus elementaren, ja geradezu freien Dingen. Das hat eine Weite – als Gegensatz zur Stadt, als ein unbelasteter Gegenentwurf: ein vollkommen ungesellschaftlicher Ort. Man kann machen, was man will. Man kann schlafen, so lan-

ge man will, man kann gehen, wohin man will, man kann aussehen, wie man will. Und die Vergangenheit von anderen Künstlern, die dort gelebt oder Zeit verbracht haben … ich glaube, dass diese Anwesenheit von geistigen Strömungen andauert und in Landschaften viel später noch zu erkennen ist. Ich fand das immer schon, auch in Heidelberg zum Beispiel: dass man spüren kann, da war doch mal was, bis hin zu den Nobelpreisträgern, die vor Jahrzehnten dort gewirkt haben. Ich empfinde diese Gegenwärtigkeit immer als so etwas wie eine Bleibe. Selbst wenn die Gegend menschenleer ist – der Geist haftet an. Bei den Opernfestspielen ist Hans Neuenfels‘ ­Inszenierung von Giacomo Puccinis Manon Lescaut zu sehen (28. und 31. Juli).

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Stefan Wirth, Pianist und Komponist Mit Ferien ist es für Musiker so eine Sache. Nach dem Ende der Saison finden die vielen Sommerfestivals statt, wo man in entspannter Atmosphäre wieder das tut, was man das ganze Jahr über getan hat, nämlich spielen, schreiben, unterrichten, kurz: arbeiten. Natürlich üben wir Musiker unseren Beruf leidenschaftlich gerne aus. Aber sich gewissermaßen beim Arbeiten zu erholen, das geht dann leider doch nicht. Wenn man sich also trotz Bergen von ungeübten Stücken und bedrohlich leerem Notenschreibpapier dazu entschließt, Ferien zu machen, ist es wichtig, sich nicht erneut Stress aufzuhalsen und sich mit Horden von Mittouristen in ein ehrgeiziges Kultur-, Sport- oder gar Party-Programm zu stürzen. Sondern traumhaft wäre ein Ort, an dem man ungestört auf der Terrasse sitzen und in eine wunderschöne Landschaft blicken

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kann, nicht zu heiß und nicht zu kalt, weder überlaufen noch menschenleer. Dieser Ort heißt Prahina und befindet sich auf der Insel Pico, einem Teil der Azoren, die wiederum zu Portugal gehören. Die Landschaft dieser Insel bewegt sich irgendwo zwischen Brasilien und Schottland und bildet somit eine Art optimale Kreuzung aus Süd und Nord. Der Käse, der Vinho Verde und der Tintenfisch in Rotwein schmecken hervorragend. An der steinigen Küste kann man in vulkanischen Wasserlöchern baden gehen. Das Hochland sieht aus wie auf dem Mond und ist ausschließlich von Kühen bewohnt. Wenn man sich dann nach einem Whale Watching an den vielen Delfinen und Pottwalen sattgesehen hat, kann man sich nachmittags in die wunderschön gelegenen Ferienwohnungen des Refugio do Pico zurückziehen und mit einem Blick aufs Meer endlich einmal das machen, was man sich das ganze Jahr über schon gewünscht hatte: nichts. Stefan Wirth leitet das musikalische ­Arrangement bei der Festspiel-Werkstatt-­ Aufführung Francesca da R ­ imini (ab 21.Juli, Haus der Kunst). Zusätzlich komponierte er für diesen ­Anlass eine Arie für Iulia Maria Dan und ist auch selbst als Pianist auf der Bühne.

Małgorzata Szczęśniak Bühnen- und Kostümbildnerin Ferien … es ist schwer, einen Platz für die Ferien zu finden, überall Gedränge. In ­Polen gibt es noch einige ruhige Orte. Die Region Suwalszczyzna zum Beispiel, einer der wenigen Plätze, wo die polnischen Tartaren leben. Dort gibt es auch noch Spuren der Altgläubigen mit ihren kleinen hölzernen Gotteshäusern. Darin eine ärmliche Ikone, ein Pult für die Heilige Schrift. Dann sind da die polnischen Litauer, die ihre eigenen Schulen haben und auf Litauisch lernen; und die Orthodoxen mit ihren Kirchen aus Holz. Eine Vielfalt der Religionen also. Nur die alten Holzsynagogen fehlen, sie wurden niedergebrannt während des Krieges. Doch auf dem Weg, der von Warschau nach Suwalszczyzna führt, kommt man durch das Städtchen Tykocin, von Schilf umgeben, wo sich eines der größten Ensembles an Synagogalbauten befindet, gemauert und noch aus der Renaissancezeit stammend, sowie einer der am besten erhaltenen historischen Stadtkerne Polens. Suwalszczyzna – ein Märchenreich, inmitten von Moränenhügeln, voller eiszeitlicher Findlinge, Seen und Wiesen, über die man mit Pferden


zieht. Das Grün ist feucht und satt. Zwischen Bäumen verstecken sich Behausungen. Hier finden sich die tiefsten Seen, die die Eiszeit hinterließ, hier fließt die Czarna Hańcza, einer der saubersten Flüsse Polens. Der Fluss windet sich durch Tunnel von Grün. Man entdeckt ihn am besten bei Kanutouren. Unterwegs gibt es Anlegestellen, wo man anlanden und sein Zelt aufbauen kann. Mein Lieblingsplatz ist das Gästehaus Jaczno, einen Kilometer von der Hańcza entfernt, auf einer Landzunge am See Jaczno. Das Reservat liegt geschützt am Rande eines Nationalparks, mit kleinen Holzhütten, darin ein Kamin. Die Oberfläche des Wassers reicht fast bis an mein Fenster. Ruhe, wunderbare Stille und langsam vor sich hinziehende Wolken. Ja, das ist schon das Licht und das sind die Wolken einer nordischen Landschaft. Die Luft ist klar und scheint durchsichtig. Von hier aus vielleicht eine Fahrradtour nach Litauen? Das ist gleich um die Ecke und es gibt einen Radweg! Im Winter traf ich hier auf eine Gruppe junger Litauer, die zu Fuß von Vilnius bis an die Hańcza gingen, um dort ihr Lager aufzuschlagen und ein Feuer anzuzünden. Was für eine wunderbare Schrulle! In der Umgebung gibt es vor allem Holzhäuser – bemalte, ganz kleine, mit weißen Öfen in den Stuben – außerdem Wälder, Seen, Hügel, Wiesen. Ein wunderbarer Ort, fünf Autostunden von Warschau entfernt. Geheimnisse gibt es dort unzählige. In der Nachbarschaft dann die Masuren, für die am laufenden Band Reklame gemacht wird. Und die wunderbare Region Warmia mit ihren roten Ziegelbauten, die noch von den Ostpreußen stammen, mit ihren Kirchen mit den schlanken Türmen, mit den alten Schlössern des Deutschritterordens. Aber das ist eigentlich schon eine andere Welt …

Renato Des Grieux, Student Manche reisen in die Wüste, um Ruhe, Stille und sich selbst zu finden. Ganz anders bei mir! Ich habe hier gerade wieder einmal alles verloren: meine große Liebe, meine Manon. Nun bin ich am Ende meiner Kräfte. Allein. Erschöpft. Leer. Normalerweise ist hier Schluss. Aber wenn ich mich so umsehe … es ist doch eine sehr geheimnisvolle und wunderbare Landschaft um mich herum. Vielleicht sollte ich bleiben, vielmehr gehen und am Ende doch zu mir finden? Denn zurück – wohin auch immer – will ich noch nicht. Lieber möchte ich unter dem berühmten Sternenhimmel der Wüste schlafen und von einem anderen Leben träumen. Ich könnte Abstand gewinnen von den Wirren und Erschütterungen der letzten Wochen. Denn all das setzt mir doch immer wieder aufs Neue zu. Ich sollte die Zeit also nutzen. Die Spielzeit ist fast zu Ende und erst nächsten April bin ich wieder auf der Bühne. Dann fängt alles wieder von vorne an. Vielleicht schaffe ich es ja sogar bis New Orleans. Das muss eine großartige Stadt sein! Ich will ihre Musik hören, will mich von ihrem Jazz ein wenig ablenken lassen. Außerdem bin ich furchtbar hungrig und das kreolische Essen muss köstlich sein. Diesmal lasse ich mir all das nicht entgehen. Diesmal will ich etwas erleben! Renato Des Grieux ist nach den Festspielen hoffentlich wieder pünktlich zurück zur ­Wiederaufnahme von Giacomo Puccinis Manon Lescaut in der Inszenierung von Hans Neuenfels (12., 15. und 18. April 2016).

Małgorzata Szczęśniak ist bei den Opernfestspielen verantwortlich für das Bühnenbild und die Kostüme in Krzysztof Warlikowskis Inszenierung von Peter I. Tschaikowskis Eugen Onegin (26. und 29. Juli).

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Die Spielzeit 2015 / 16 beginnt am 19. September 2015.

Illustration Eric Yahnker, Bey-watch, 2014

Schöne Ferien!


Unverbindliche Darstellung aus Sicht des Illustrators

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