MAX JOSEPH

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Max Joseph unfrei frei

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Bayerische staatsoper

M A x J o s e p h

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Informationen unter: Tel. 089/55 21 53-0. Hermes.com

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H E R MÈS H O R LO G E R

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Ballett: Menschenmaler Marlon dino

HERMÈS SELLIER

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ieito B o t x i l a ann & c m f u a K s Jona über -L-i- o e D i F zogen: r e t h c werg e l Z r e sch D / rtilèges o s s e l t e L’enfant

Kinderseele Unschuldig? Zerbrechlich? Grausam? Frei?

2010 2011

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r u u d B r o T h e r s

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klassik inspiriert *

* Jean Tinguely: „Grosse Méta Maxi-Maxi Utopia“

www.br-klassik.de

Méta-Harmonie, 1987. 730 x 1700 x 700 cm. Schenkung Niki de Saint Phalle. Museum Tinguely, Basel / Foto: Christian Baur © VG Bild-Kunst

T h eAT re


Editorial

Kinderseele

Humperdincks anderer großen Märchenoper Königs­ kinder erlebte ihre Uraufführung dann in München. Hier wird der Gesellschaft eine positive perspektive ermöglicht, wenn sie sich nur auf die Kinder als ihre Herrscher einließe – was natürlich nicht geschieht, so­ dass die Katastrophe ihren Lauf nimmt. Diese Vorstellung von Kindlichkeit bekam in der Schwabinger Boheme schon wieder Brüche. Frank Wedekinds Lulu entzieht sich als scheinbar naive Kind­ frau jeder Kontrolle, bringt ihre Umgebung in Wallung und stürzt ihre Liebhaber ins Unglück. Auch nach der Wende zum 20. Jahrhundert hat sich die Hoffnung, die in die K i n d E r s E E l E gesetzt wurde, nicht erfüllt. Das Kind wird von seiner Umwelt oftmals als Monster wahrgenommen – so wie Zemlinskys Infantin in Der Zwerg. Und ob im 21. Jahr­ hundert die Sicht auf die reine, engelsgleiche Leonore in Beethovens Fidelio noch immer ihre unbezwingbare Gattenliebe preisen kann, als wäre sie Trägerin einer makellosen Kinderseele – die Inszenierung von Calixto Bieito wird es weisen.

Schon das Wort öffnet einen weiten Assoziationsraum: vielleicht sentimentaler Rückblick auf eine glückliche Kindheit; Hoffnung auf Entwicklung; Ehrlichkeit und eine noch unverblümte optimistische Weltsicht. Trifft es das aber wirklich? Sind Kinder noch frei von allem Verkünstelten, kulturell Überfrachteten oder Belasten­ den? Zwar wird die Rolle des Kindes in der Gesellschaft heftig diskutiert – Bildung scheint fast schon zum Mode­ thema zu verkommen –, nur selten aber wird in der Öffentlichkeit vom eigenen Umgang mit Kindern ge­ sprochen, schon gar nicht so erfahren, pointiert und liebevoll­illusionslos, wie das die Sopranistin Christine Schäfer und die Journalistin Tina Mendelsohn in dieser Ausgabe tun. Im zweiten Heft unserer „unfrei frei“­Reihe in MAx JoSEpH soll es um Aspekte gehen, die leicht in Vergessenheit geraten: was Kinder träumen; kultur­ historische Fragen zur Entwicklung unserer Vorstel­ lungen von Kindheit; Bilder, die auf den ersten Blick von Naivität erzählen, aber einen rätselhaften Abgrund verbergen … Vor allem die Doppelpremiere von Ravels L’Enfant et les sortilèges und Zemlinskys Der Zwerg, inszeniert vom polnischen Regisseur Grzegorz Jarzyna, bringt das vielschichtige Thema nahe. Wo das eine Werk eine bis­ weilen anarchische und doch genau definierte Kindheits­ fantasie aufzeigt, legt das andere die Brutalität, die in Kindern und Jugendlichen angelegt ist, schonungslos offen: der Traum eines Kindes und der Albtraum eines Zwerges in den Klauen einer Infantin. Das Thema Kinderseele brodelte vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts – und ganz gewaltig auch in München. Als allmählich klar wurde, dass die Ver­ änderungen infolge der industriellen Nikolaus Bachler r E v o l u t i o n im 19. Jahrhundert so fundamental wie unübersehbar sein würden, verlagerten viele Künstler und Intellek­ tuelle ihre Hoffnung auf das Kind. In der unbeschwer­ ten Kinderseele, so die Idee, lasse sich jegliches gesellschaftliche Modernisierungspotenzial noch zum Guten wenden. In diesem Zusammenhang ist auch die Kinder­ oper zu sehen: Hänsel und Gretel wäre beinahe in Mün­ chen uraufgeführt worden – unser Comic nimmt sich 0 1 Fotos: Halim Alkarim – „Untitled“ aus der Serie „Urban Witness“ dieses Repertoire­Klassikers an. Die Erstfassung von 0 1

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Fotografie: Polixeni Papapetrou

№2

INHALt

01 EdItorIAL Kinderseele von Nikolaus Bachler

06 IN dIEsEr AusgABE Autoren und Künstler, die dieses Heft gestaltet haben Impressum 07 ILLustrAtIoN von Matt Furie 08 BILd-tExt Bart van der Heide (Münchner Kunstverein) über ein Foto des Performance-Künstlers Jimmy robert

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24 tHEAtEr dEr uNMIttELBArKEIt grzegorz Jarzyna aus Warschau inszeniert in teamarbeit

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Fotografie: Robin Schwartz

Fotografie Martynka Wawrzyniak

10 E s s A y voN ELKE LIEBs

20 IM gArtEN dEr KINdHEIt die Welt von Colette und Maurice ravel, die gemeinsam L’Enfant et les sortilèges schufen

Ein ungebärdiges, störrisches und hilfloses Herz. das Kind in der oper

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WoW, dAs Ist oPEr! Interview mit den jungen sängerinnen Angela Brower und tara Erraught

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27 gEFüHLE IN BEWEgtEN BILdErN Was Kinder im traum erleben

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„ENtsPANNt BLEIBEN“ Jonas Kaufmann über Fidelio

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JosEPH

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Fotografie: Nacho Alegre

P–R–E–M–I–E–R–E 01 Es Ist NICHt LEICHt, drEI zu sEIN der videokünstler Mike Hoolboom filmte die ersten Lebensjahre seines Neffen

Bild: Lars Rosenbohm

dAs gEHIrN ALs gEFäNgNIs regisseur Calixto Bieito über den Abschied vom Enfant terrible

88 WIE MusIKEr KINdEr ErzIEHEN sopranistin Christine schäfer und Moderatorin tina Mendelsohn über schwangerschaft und die tücken der Frühförderung 41 PortFoLIo ruud van Empels Kinderbilder

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06 oPErN-CoMIC Hänsel und Gretel, gezeichnet von Mirja Engelhardt 76 BIMBo uNd FrItz der zeichner Ali Mitgutsch über seine imaginären Kindheitsfreunde

92 BILdErBogEN die Europatournee des staatsorchesters 98 K–u–L–t–u–r–t–I–P–P–s aus der oper 96 MEINuNgsAustAusCH Briefe an den Intendanten 61 sPIELPLAN 67 KurzPorträt Axel Krause, der das Plakat für5 L’Enfant et les sortilèges  / Der Zwerg5 gestaltet vo

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Fotografie: Julian Baumann

82 dEr MENsCHENMALEr Marlon dino, Erster solist am Bayerischen staatsballett, begeistert sein Publikum

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00 WIE KINdEr FrEIHEIt dENKEN Protokoll einer diskussion in der Workshop-reihe „spiel Konzert“

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CONTriBuTOrs

im pre s s u m MAX JOSEPH Magazin der Bayerischen Staatsoper www.staatsoper.de/maxjoseph

Max-Joseph-Platz 2 / 80539 München T 089 – 21 85 10 20 / F 089 – 21 85 10 23 / www.staatsoper.de E-Mail maxjoseph@st-oper.bayern.de

CHEfrEdaktion Anne Urbauer koordination Christoph Koch, Barbara Kämpf rEdaktion Miron Hakenbeck, Rainer Karlitschek, Olaf A. Schmitt, Andrea Schönhofer, Bettina Wagner-Bergelt bildrEdaktion Yvonne Gebauer, Julia Schmitt rEdaktionEllE MitarbEit Dr. Simone Herrmann, Lucas Koch autorEn Jörg Böckem, Nadine Dietl, Christine Dössel, Anila Fischer, Ruth Geiersberger, Dr. Simone Herrmann, Bart van der Heide, Florian Heurich, Mike Hoolboom, Prof. Dr. Dr. Hartmut Kasten, Axel Krause, Paul Langemann, Elke Liebs, Andreas Lutzenberger, Tina Mendelsohn, Marie-Sophie Müller, Wolfgang Oberender, Prof. Dr. Michael Schredl, Thomas Voigt, Dr. Dorion Weickmann, Denise Wendel-Poray, Maryla Zielińska fotografEn & illustratorEn Nacho Alegre, Halim Alkarim, Julian Baumann, Patrick Bienert, Marc Bronner, Ruud van Empel, Mirja Engelhardt, Matt Furie, Gian Gisiger, Max von Gumppenberg, Mike Hoolboom, Christian Kaufmann, Axel Krause, Eberli Mantel, Polixeni Papapetrou, Wilfried Petzi, Jimmy Robert, Lars Rosenbohm, Jaap Scheeren, Robin Schwartz, Christine Schneider, Martynka Wawrzyniak ÜbErsEtzung Petra Apfel, Miron Hakenbeck, Laura Schieferle MarkEting Laura Schieferle T 089 – 21 85 10 27 / F 089 – 21 85 10 33 / marketing@st-oper.bayern.de sCHlussrEdaktion Dr. Edith Konradt

VErlag HoffMann und CaMPE VErlag gMbH, ein Unternehmen der ganskE VErlagsgruPPE Harvestehuder Weg 42 / 20149 Hamburg T 040 – 44 18 84 57 / F 040 – 44 18 82 36 / cp@hoca.de www.hocacp.de anzEigEnlEitung Bayerische Staatsoper: Dr. Imogen Lenhart T 089 – 21 85 10 06 / anzeigen@st-oper.bayern.de Verlag: Doris Bielstein T 040 – 27 17 20 95 / doris.bielstein@jalag.de Vertrieb Zeitschriftenhandel Premium Sales Germany GmbH Poßmoorweg 2–6 22301 Hamburg T 040 – 27 17 23 43 litHografiE MXM Digital Service, München druCk Gotteswinter, München issn 1867-3260

e A ll R t e n.

Matt Furie 0 7 Die „Cramnation“­Zeichun­ gen sind eine Art marken­ zeichen des kalifornischen illustrators. Köpfe von Tieren und menschen fül­ len dicht an dicht und in vielen Farben das Format. „ich fange in einer ecke des Blattes an und zeichne dann Kopf um Kopf.“ Wenn kein weiterer mehr auf das papier passt, malt er sie in leuchtenden Farben aus. matt Furie lebt in san Francisco. eine seiner „Cramnations“ schmückt die s. 7 nebenan.

art dirEktion & dEsign Bureau Mirko Borsche Mirko Borsche, Johannes von Gross, Samuel Bänziger, Daniel Schnitterbaum

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1981 in Barcelona geboren, studierte er Jura, ehe er als Autodidakt zur Fotografie fand. Als Kreativdirektor des in Barcelona erscheinenden Wohnmagazins „Apartamen­ to“ schuf er einen scheinbar zufälligen, postkonsumisti­ schen stil, der auf Authentizi­ tät abhebt und an Glamour desinteressiert ist. seither übertrug er diesen „privaten“ Look auf magazine wie die russische „Vogue“, „Hercules“, „GQ“, „L’uomo Vogue“ und die „New York Times“. Für mAX JOsepH fotografierte er sei­ nen katalanischen Landsmann Calixto Bieito in beider  Hei­ matstadt Barcelona. Ab s. 36.

HErausgEbEr Staatsintendant Nikolaus Bachler (V.i.s.d.P.)

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Als professorin für Didaktik der deutschen Literatur am institut für Germanistik der universität potsdam legte sie u. a. auch großen Wert auf Kinderliteratur. Davor hatte sie über zehn Jahre als  Ge­ sprächstherapeutin gearbeitet. in der Nachkriegszeit, in der sie ihre Kindheit verbrachte, waren Bücher und musik wichtiger gewesen als (fast) alles andere. ihr Bruder wurde musiker und sie selbst wäre am liebsten sängerin gewor­ den. in dieser Ausgabe schreibt elke Liebs einen essay über die rolle des Kindes auf der Opernbühne. Ab s. 10.

Ruth Geiersberger 4 4 Die münchnerin hat für diese Ausgabe Gespräche mit Kindern geführt, die Workshops in der staats­ oper besuchen, und erstaun­ liche Aussagen darüber gewonnen, was Kinder unter Freiheit verstehen. ruth Geiersberger arbeitet künst­ lerisch als performerin, schauspielerin und spreche­ rin an eigenen projekten, die sie Verrichtungen nennt (infos: www.verrichtungen. de). An der Akademie der Bildenden Künste und am institut für Theaterwissen­ schaft in münchen ist sie im Bereich Körper und stimme tätig, fürs staatsbal­ lett betreute sie 2010 das Jugendprojekt Anna tanzt. ihre Kinder­interviews lesen sie ab s. 44.

Nacho Alegre 3 6

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Elke Liebs 1 0

Martynka Wawrzyniak 1 0 Die polin kam 1998 über Neuseeland nach New York und arbeitete als Fotografin für magazine wie „The New Yorker“, „New York maga­ zine“, „purple“, „W“ und „Vice“ sowie als performance­ und Videokünstlerin. 1999 gründete sie mit anderen das Kunst­ und Kulturmaga­ zin „issue“ und leitete es bis 2004. in mAX JOsepH erscheinen ihre eindringli­ chen Kinderporträts im rahmen des essays ab s. 10.

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Maryla Zielińska 2 4 Die Absolventin des studi­ enganges Theaterwissen­ schaften an der Jagiellonen­ universität Krakau arbeitete im stary Teatr in Krakau und im Teatr Narodowy in Warschau sowie für die Theatermagazine „Didaska­ lia“, „Teatr“ und die Tages­ zeitung „Gazeta Wyborcza“. Als Autorin eines Bild­ bandes über den regisseur Grzegorz Jarzyna war sie prädestiniert, den regisseur von L’Enfant et les sortilèges und Der Zwerg für diese Ausgabe zu porträ­ tieren. Ab s. 24.

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Furie

C r A m NAT i O N

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Als Kind unterscheidet man zwischen der eigenen Welt und jener der erwachsenen. Zeichnen gehört für den illustrator matt Furie zur Kinderwelt. ideen und Fantasien aus der Kindheit vermischen sich mit der realität, derer man sich als erwachsener bewusst wird. unendlich viele Köpfe auf einem Blatt papier unterzubringen, begeistert das Kind in ihm.

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Jimmy roBert B onHeUr d’être dUPe 2010

Bart van der Heide, der neue direktor des Münchner Kunstvereins, über ein Bild kindlicher Unbeschwertheit: dieses Foto wurde mir kürzlich von dem 1975 in Guadeloupe geborenen und in Brüssel lebenden Performance-Künstler Jimmy robert geschickt und hängt seitdem an meiner Pinnwand. es zeigt robert, wie er die Bewegung einer neoklassizistischen Skulptur nachahmt und fortsetzt. es ist nicht allein die Komposition des Bildes, die mir sehr gefällt, sondern auch die spielerische art und Weise, in der es ein urbanes arkadien interpretiert.

Bart van der Heide hat im Januar 2010 die Nachfolge von Stefan Kalmár als Direktor des Münchner Kunstvereins angetreten. Der 1974 geborene Holländer hat u. a. Projekte und Ausstellungen am Witte de With Center for Contemporary Art in Rotterdam und am Stedelijk Museum Bureau Amsterdam gestaltet und sich als Ausstellungskurator, Publizist und Kunstkritiker einen Namen gemacht. Sein Interesse gilt nicht zuletzt der Geschichte des 1823 gegründeten Kunstvereins. Foto: W. Petzi

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MUNCHNER FREIHEIT

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fotografie Martynka Wawrzyniak

Ein ungEbärdigEs, störrischEs und hilflosEs hErz Von Elke liebs 10-15_ESSAY.MXM.BMB.indd 10

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Erst seit der Aufklärung werden Kinder als eigenständige Personen wahrgenommen – und treten auf der opernbühne in Erscheinung. Wie wird die oper künftig die abnehmende zahl der Kinder in unserer gesellschaft thematisieren?

Dass Kinder ihre eigenen großen Schicksale haben, hat man lange nicht gewusst. Weil sie klein sind und sich noch nicht genügend artikulieren können, kamen sie weder als Projektionsfläche noch als Identifizierungsangebot in Betracht. Sie waren einfach da, eine Art Verlängerung der Erwachsenen, die aber wenig Notiz von ihnen nahmen, solange nicht geklärt war, dass sie überhaupt lebensfähig sein würden. Selbst in der Antike, in der man doch schon fast alles wusste, nahm man das Kind nicht als individuelle Person wahr, sondern eher als „Funktion“. In dieser Rolle freilich war es gelegentlich geradezu staatstragend und entschied das Geschick der Völker und Herrscher. Was wäre die Psychoanalyse ohne den Ödipus-Komplex? Der gleichnamige Knabe wurde wegen seiner schwächlichen Konstitution und aufgrund einer düsteren Prophezeiung des Delphischen Orakels von seinem königlichen Vater im Gebirge ausgesetzt – in der Hoffnung, die Wölfe würden ihn zerreißen. Hätte ein Hirte sich nicht erbarmt, die Psychologie wäre unendlich ärmer. Beiläufig lehrt die Geschichte, dass sich dem Orakel niemals entrinnen lässt.

Das berühmteste und zugleich berüchtigtste Götterkind, unsterblich mit unserer Kultur- und Zivilisationsgeschichte verknüpft, ist ohne Zweifel Eros, ursprünglich aus dem Nichts entstanden, um das Chaos zum Kosmos zu ordnen, später als Sohn des Ares und der Aphrodite deklariert und von den Griechen fast nur als reizender Knabe dargestellt, um seine unentrinnbar verführerische wie auch zerstörerische Macht über das gesamte Menschen- und Göttergeschlecht symbolisch zu entkräften. Ein Kind, entstanden aus der Engführung von Krieg und Liebe: Dem lassen sich in der Bedeutungsgeschichte des Kindes eigentlich nur noch die göttlichen Kinder Dionysos, der Sohn von Zeus und der Menschenfrau Semele, und der kleine Jesus zugesellen – als die drei Antipoden einer rätselhaften Figuration, mit der wir uns bis heute herumschlagen. Wer ist „das Kind“? Alle drei göttlichen Ursprungs, zwei davon göttlich-menschlich. Allein Eros eine reine Gottheit. Mit anderen Worten: Liebe und Krieg (Eros), Drama/Tragödie (Dionysos) und Versöhnung/Verzeihung (Jesus) bilden die Konstituenten der abendländischen Utopie, die in der Gestalt des Kindes die europäische Kulturgeschichte bebildert und repräsentiert – ein wahrhaft explosives, ein königliches, ein göttliches Erbe!

Nun haben die ErforscherInnen der Geschichte der KindUnd was wäre Odysseus ohne seinen Sohn Telemach, der ihm heit längst wissenschaftlich herausgearbeitet, dass Funkbei seinem Rachezug zur Seite steht, was Medea ohne ihre tion und Imago des Kindes sich durch Altertum, Mittelbeklagenswerten Kinder, die sie aus Rache mit in den Tod alter, Renaissance und frühe Neuzeit grundsätzlich wenig nimmt? Wie stünde Agamemnon ohne seine Tochter Iphigegewandelt haben. Erst die Aufklärung generiert ein Benie da? Der gesamte Trojanische Krieg hätte nicht stattfinden können, hätte sie nicht als „kannibalisches“ Menschen- 1 2 wusstsein vom Kind als eigener Person, die sorgsam geformt opfer für günstige Winde zur Verfügung gestanden. 1 2 und begleitet werden muss, um ein vernünftiger Erwachse-

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ner zu werden. Dazu gehört vor allem die Erkenntnis, die in der darauf folgenden Romantik wie eine Wiederentdeckung der Göttlichkeit des Kindes einschlägt: dass Kinder großer Gefühle fähig sind, dass sie aber auch – zumindest bis zur Pubertät – einer Unschuld teilhaftig sind, die sie den Erwachsenen überlegen macht und sie ihnen zugleich ausliefert. Hier wurzelt besonders der deutsche und europäische Erziehungsgedanke, dessen Auswirkungen bis heute virulent sind. OpernbesucherInnen von heute sind fast ausnahmslos durch ein Bildungssystem gegangen, in dem sich aufklärerische (kognitives Wissen, vernünftige Ethik, Disziplin) und romantische Elemente (Magie, Märchen, Heldentum, große Gefühle) zweckdienlich mischen. Rousseaus Emile hatte im 18. Jahrhundert das Tor dazu geöffnet und den Beginn einer eigenen Literatur für Kinder markiert, die aber in der Folgezeit meist noch in Bearbeitungen von Erwachsenenliteratur für Kinder bestand wie bei J. H. Campe; die Brüder Grimm setzten dieses Bemühen fort, indem sie erstmals ihre Märchen eigens für Kinder schrieben. Sie sind in alle Sprachen der Welt übersetzt. Der dritte Jahrhundertsprung führt zu dem 1902 erschienenen Buch Das Jahrhundert des Kindes der Schwedin Ellen Key, der nicht nur reformpädagogisch orientierten Vorkämpferin für die Rechte des Kindes, sondern auch gegen den Krieg und für die Rechte der Frau. Etwa gleichzeitig entsteht die Kunsterziehungsbewegung, die dem überhandnehmenden Kitsch und Schund vehement den Kampf ansagt und ästhetisch und künstlerisch wertvolle, also zweckfreie und unpolitische Bilder- und Kinderbücher fordert.

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HILFLOSE S

Zu den frühesten und geläufigsten Kindern auf der Opernbühne zählen sicherlich die drei Knaben in Mozarts Zauberflöte von 1791. In ihrer dramaturgischen Rolle als Wegweiser der Erwachsenen durch die Wirrsal ihrer Prüfungen entsprechen sie schon ganz dem Ideal der aufkommenden Romantik und besonders der Grimm’schen Vorstellung vom „reinen“, unschuldigen Kind, das über allen geschlechtlichen Verirrungen und Begierden steht und gleichsam den utopischen Entwurf des Menschen verkörpert. Etwa hundert Jahre später, in Humperdincks Hänsel und Gretel, sind die Kinder von ihrem überhöhten Standort (in der Bergmann-Inszenierung ein Fesselballon) auf den Boden der Realität gekommen. Sie kennen den Hunger und das Spiel, die Angst und die Einsamkeit und den Trost einer naiven Frömmigkeit. Wo ihnen Handlungsspielraum gewährt ist, helfen ihnen Mut und gewitzte Unerschrockenheit und letztlich sind es (auch hier noch) die Kinder, die den Ungereimtheiten der Erwachsenen standhalten und das Böse besiegen. Für Humperdincks andere Märchenoper von 1897, Königskinder, gilt Ähnliches. Nur die Kinder erkennen durch die Äußerlichkeiten hindurch das wahre Wesen der Menschen und versuchen, es in einer feindlichen Umwelt zu retten.

Kinder sind einer unschuld teilhaftig, die sie den Erwachsenen überlegen macht und sie ihnen zugleich ausliefert. hier wurzelt der europäische Erziehungsgedanke.

Das neue Jahrhundert mit seinem geschulten Blick in unsere seelischen Abgründe macht auch vor dem Kind nicht halt. Im Jahr 1902 wird Debussys Oper Pelléas et Mélisande uraufgeführt, eigentlich ebenfalls ein Märchenspiel, aber nun in der ganzen Düsternis angelegt, als die sich das Geflecht von Liebe, Schuld und Sühne bzw. Rache darbietet. Inmitten das Kind, Golauds kleiner Sohn yniold, der vom Vater beauftragt wird, das junge, schuldlos-schuldige Liebespaar zu belauern. Scheinbar arglos berichtet er von dem Kuss der beiden und besiegelt damit den Brudermord, eigentlich den Tod der Liebe und den Sieg der Finsternis. Von Freud wissen wir inzwischen, dass es diese Arglosigkeit nicht gibt und die Kinder eigentlich immer alles schon verstehen oder spüren, auch wenn sie es nicht einordnen können. So gerinnt der Verrat durch das Kind zum Verrat an dem Kind, das durch die Folgen seiner instrumentalisierten Handlung nur traumatisiert sein kann – ein besonders perfider Fall von Missbrauch.

Dies ist die Bühne, auf die der junge Sigmund Freud mit seinem radikal neuen und das etablierte Bürgertum schockierenden Blick auf das Kind tritt. Vorbei der Grimm’sche Traum von der asexuellen „Unschuld“ der Kinder, der sich mithilfe der Psychoanalyse gerade in ihren Märchen mühelos ad absurdum führen lässt. Vorbei die gedankenlose Perpetuierung einer Nesthäkchen-Idylle wie bei Else Ury und von kriegsverherrlichendem Vaterlandsschund. Stattdessen soll die kindliche Fantasie wieder in ihre Rechte eingesetzt und die Kreativität der Kinder angeregt werden. Über den Weg der Projektion, so verstehen wir mit dem großen PsyIn eine vergleichbare Richtung, aber gleichsam unter umchologen, können Kinder Ängste bearbeiten und Widergekehrten Vorzeichen geht die Opernfassung von Oscar sprüche, auch in sich selber, ertragen lernen. Sie können Wildes Erzählung von 1891, Der Geburtstag der Infantin, eigene Ambivalenzen und die der Erwachsenen begreifen durch Alexander Zemlinsky im Jahr 1922 unter dem Titel und akzeptieren, ohne Schuldgefühle zu entwickeln, und sie Der Zwerg. Wildes anonyme Protagonistin ist allerdings erst können ihre Wunschfantasien ausagieren – all dies jedoch zwölf Jahre alt, die der Oper bereits 18, während das Alter nicht rational über den Verstand, sondern über die unbewussten Kräfte in jedem, auch dem Kind, die von Geburt an 1 3 des jungen Zwergs ungenannt bleibt. Die schillernde Ambiund vor aller Erkenntnis in uns zugange sind. 1 3 valenz des Fin de Siècle bedarf jedoch nicht solcher realen

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Fixierung, es genügt die bedeutsame Akzentverschiebung von der Infantin auf den Zwerg. Beide werden durch ihr Aufeinandertreffen nicht nur mit dem ganz Anderen, dem Fremden, sondern auch mit sich selbst konfrontiert. Beide beginnen, etwas von der Gewalt unkontrollierbarer Gefühle zu ahnen. Aber im Bezugssystem der gesellschaftlich vorgegebenen Dichotomien von Macht und Ohnmacht, Spiel und Ernst, Schönheit und Hässlichkeit, Liebe und dem bloßen höfischen Spiel mit der Liebe gibt es für die wahre Empfindung keine Chance. Während die Infantin schon gelernt hat, jedes bedrohliche Gefühl von sich abzuspalten, um sich ein Höchstmaß an unverbindlichem Spaß zu sichern, wird der Zwerg zum Opfer seiner unvernünftigen Leidenschaft für das Schöne, Unerreichbare und zugleich seiner Sehnsucht, geliebt zu werden. Und dennoch ist er es, der Verlachte, Unwissende, Verkrüppelte, der einen Augenblick höchsten Glücks, reiner Liebe und aberwitziger Hoffnung und Gewissheit erlebt, wenn er sich für ein paar Augenblicke so geliebt wähnt, wie er selber liebt, und so schön fühlt, wie es sein eigenes Gefühl ist – symbolisiert in der weißen Rose. Nicht an seiner eigenen Hässlichkeit zerbricht er, sondern letztlich an seinem ungewollten Einblick in die hässlichen psychischen Mechanismen derer, die die gesellschaftlichen Werte mitbestimmen. Indem er, bevor sein Herz endgültig bricht, noch einmal nach der zu Boden gefallenen weißen Rose verlangt, Inbegriff und Symbol seiner eigenen inneren Schönheit, verweist er zugleich auf die „Hässlichkeit“ der Infantin, die sich im Einklang mit der sie umgebenden Welt weiß. In beiden hat der Knabe Eros sein Zerstörungswerk vollendet.

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wird akzeptiert, nicht aber die blindwütige Abreaktion am Nächstschwächeren. So gesehen, ist der Text ein Lehrstück der Pädagogik, und zwar in charmanter Verknüpfung von Aufklärung, Romantik und Moderne. Schauen wir uns das näher an. Bis zur Aufklärung ist es nicht selbstverständlich, für Kinder ein eigenes Zimmer zu haben, dasselbe gilt für den Schulbesuch. Hier beginnt sozusagen das neuzeitliche Verständnis des Kindes. Undenkbar allerdings in dieser Epoche der Schwarzen Pädagogik, dass ein Kind der Mutter die Zunge herausstreckt. Zu dieser Zeit hätte man damit gedroht, dass solche Kinder oft am Galgen enden. Die streng hierarchischen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern wurden eigentlich erst mit der Studentenbewegung gründlich anarchisiert, also mit der sogenannten antiautoritären Bewegung, in die ja auch die zügellose Zerstörung des Zimmers inklusive der Tiere passt. Aber nun kommt eine Passage, die von E. T. A. Hoffmann sein könnte: die Magie der sprechenden und handelnden Tiere und Gegenstände. Sie alle sind a priori unschuldig und das Kind macht sich an ihnen sinnlos schuldig, weil es nicht weiß, dass ihnen allen eine Seele innewohnt. Die gesamte Romantik weiß sich kaum zu lassen vor ungezählten fantastischen Ausgestaltungen dieser Idee. In der Psychologie spricht man bis heute von der „magischen Phase“ in der Kindheit ungefähr bis zum vierten Lebensjahr, in der man sich nicht wundert, wenn Tiere sprechen oder Steine weinen. Mit dem Computer in der Kita sind wir allerdings drauf und dran, diese wunderbare kindliche Fähigkeit im Keim zu zerstören.

Ravels Oper L’Enfant et les sortilèges von 1925, deren Textvorlage von der französischen Schriftstellerin Colette Colettes Kind ist unter diesen Auspizien nun konfrontiert stammt, geht ganz andere Wege, um Kindsein und die damit den Konsequenzen seiner Handlungen. Die Dinge und mit verbundenen Gefühle von Fremdheit in der Welt und Tiere lehnen sich auf, entfalten ein Eigenleben, verfügen über gegenüber sich selbst zu veranschaulichen. Die Szene ist ein Unrechtsbewusstsein – sind also gleichrangig mit dem scheinbar alltäglich: ein Kind, das sich über seine SchulaufKind. Dem muss sich das Kind stellen und aus seiner narzissgaben ärgert und der mahnenden Mutter die Zunge heraustischen „Überlegenheit“ heraustreten, in der es die Macht streckt. Zur Strafe bekommt es Stubenarrest und lässt seider Erwachsenen lediglich nachahmt. Was es dazu bringt, ist ne Wut blindlings an den umgebenden Dingen aus, an allein die Angst. Erst als die belebte und unbelebte Natur es Spielsachen, Tieren, Möbeln. Tatsächlich wird hier der Aufunmittelbar bedroht, begreift es intuitiv die „Unnatur“ seistand geprobt, aber wogegen? Es ist der Aufstand gegen die nes eigenen Verhaltens und verbindet spontan das verletzte Fiktion, dass Mütter immer lieb sind, immer recht haben Eichhörnchen. Damit reiht es sich wieder ein in die Dynamik und es immer gut mit einem meinen. Es ist auch die Erder fehlerhaften, aber zu Güte und Reue fähigen Menschenkenntnis, dass die Mutter manchmal lieb und manchmal natur. Ohne das Vorherige nachzutragen, verzeihen die Tiere hassenswert ist (siehe Tomi Ungerers Buch Kein Kuss für sofort und geleiten das Kind zurück in die (häusliche) OrdMutter) und dass man das auch einmal laut sagen dürfen nung, aus der es sich mutwillig herausbegeben hat. Sie demuss. Die Brüder Grimm halfen sich aus dieser Klemme monstrieren damit ihre selbstverständliche Zugehörigkeit zu durch die Aufspaltung in leibliche Mutter und Stiefmutter. In der modernen Psychologie nennt man dies das Zulassen 1 4 Schöpfung und Kosmos, die durch den Zorn und die Gewaltnegativer Gefühle. Das heißt, die Empfindung als solche 1 4 tätigkeit des Kindes infrage gestellt war.

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In gewisser Weise ergänzen die beiden kurzen Opern von Zemlinsky und Ravel einander und passen daher gut zusammen. In beiden wird eine gewisse infantile Selbstherrlichkeit von Kindern bzw. jungen Menschen thematisiert, wie sie in der Entwicklungsgeschichte eines jeden Einzelnen ihren Platz hat – allerdings nur, um letztlich überwunden zu werden. Die Infantin hat wenig Chancen, dies zu erreichen, da ihre Umwelt in sich erstarrt ist und den Schein über das Sein stellt. Bei Wilde bestellt sie sich in Zukunft Spielzeuge, die „kein Herz haben“.

eine natürliche Balance von Fantasie, Liebesfähigkeit, Erneuerungslust, Gestaltungswillen, Konfliktkompetenz und Kompromissbereitschaft heranzuziehen und zu bewahren. In dieser Utopie wären die Verheißungen der drei göttlichen Kinder gut aufgehoben.

Colettes Kind zeigt von Anfang an Herz, aber ein ungebärdiges, störrisches und hilfloses, dadurch aber auch offenes, berührbares Herz. Dieses Kind und der Zwerg weisen voraus auf die in der Nachkriegsoper zunehmend auftretenden Kinder, besonders bei Britten, der geradezu programmatisch schon 1949 mit Let’s Make an Opera Kinder ausdrücklich in den Entstehungsprozess einbezieht. Vor allem aber seine drei großen Opern Peter Grimes (1945), The Turn of the Screw (1954) und Death in Venice (1973) sind nicht denkbar ohne profunde Kenntnisse der Psychoanalyse und ihrer Idee von der vielleicht unbewussten Sexualität von Kindern, die sie ebenso verführerisch wie verführbar und zu Opfern für die Projektionen der Erwachsenen macht und keinerlei zusätzlichen Dämonisierung bedarf. Wenn reichlich hundert Jahre nach Freud endlich ins kollektive Bewusstsein und unseren Umgang mit Kindern einzudringen begänne, dass Eros nicht nur ein göttliches „Kind“ ist, sondern auch schon in Kindern – in vielerlei Gestalt – manchmal vehement wirksam ist, etwa bei Mignon, Peregrina, Tadzio, könnte diese dem Menschen innewohnende Kraft klüger behütet und zurückgeführt werden zu dem, wozu sie von allem Anfang an gedacht war: zum Ordnen des Chaos. Ich könnte mir vorstellen, dass zukünftige Opern – so wie es bereits die Filme tun – die abnehmende Zahl von Kindern in unserer Gesellschaft dergestalt thematisieren, dass sie verstärkt die Erhaltung der (Um-)Welt in ihre Hände legen, wie es in Ansätzen schon in Humperdincks Königskindern geschieht: nicht nur als romantische Hoffnung gegen die psychische Mechanisierung einer immer techno- 1 5 kratischer orientierten Welt, sondern als Versuch, im Kind 1 5

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Elke Liebs hat als Professorin für Didaktik der deutschen Literatur an der Universität Potsdam gelehrt. Mehr über sie auf S. 6.

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p–r–e–m–i–e–r–e Le s sortiLège s / Der

Zwerg

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angela Brower (l.) und tara erraught

Das ist oper! interview Christine D össeL foto gra fie Christian kaufmann

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interview

Die nachwuchsstars angela Brower und tara erraught sind neu im münchner ensemble – ein gespräch über die anstrengungen, anforderungen und glücksmomente des Berufs.

ein schlag: wow, das ist oper! allein diese reiche, alte tradition in italien! und dann die atmosphäre dort, die vielen menschen, die kerzen … mich hat das als amerikanerin total umgehauen. in verona konnte ich sehen und spüren: Die oper lebt. (Beide lassen ihrer Begeisterung über verona freien Lauf und schwärmen in den höchsten tönen.) M J sie gehören zur top-nachwuchselite, waren zwei Jahre lang am opernstudio und sind jetzt fest im ensemble. gratulation! aber das bedeutet auch: harte ausbildung, ein Leben im ausland, weg sein von daheim, von den freunden, der familie. wie geht es ihnen damit? T E wir hatten großes glück mit unserer klasse, das war eine gute truppe: acht Leute aus amerika, korea, Litauen, sie sind jung, gut aussehend und hochbegabt. sie haben eine rumänien, alle weg von daheim. es gab einen großen Zuglänzende karriere vor sich und sind bereit, dafür jede mensammenhalt. man war nie allein. ge abstriche in kauf zu nehmen: die mezzosopranistinnen A B und wir zwei sind freundinnen geworden, das macht tara erraught, 24, und angela Brower, 27, absolventinnen viel aus. ich wusste gar nichts von Deutschland, als ich hierdes münchner opernstudios und seit dieser spielzeit fest im herkam. es war eine komplett fremde welt. Das ist erst ensemble der Bayerischen staatsoper. tara ist irin und die mal hart. und dann die ausbildung, die war unglaublich vorwitzigere, Lautere von beiden. sie absolvierte ihr gedicht. Jeden tag Coaching. Dazu rollenstudium, Bewesangsstudium an der royal irish academy of music in Dubgungstraining, sprachkurs, schauspielstunden – alles tolle lin und verfügt über einen robusten irischen humor. angela sachen, aber das ist viel. manchmal zu viel. Da muss man ist amerikanerin und mehr der sanfte ty. sie stammt aus lernen, seine kräfte einzuteilen, denn der tag ist lang, vor phoenix, studierte gesang an der indiana university und allem wenn man abends auch noch auf der Bühne steht. an der arizona state university und weiß ihre Qualitäten T E man wird ins kalte wasser geschmissen und muss durchaus selbstbewusst auf ihrer eigenen homepage anzustrampeln. aber das gute ist: Du lernst, auf eigenen Beinen preisen, wo sie gelegentlich auch bloggt. zu stehen. und entwickelst ein unglaubliches Durchhaltevermögen. Du schaffst immer noch mehr und mehr. wenn Die zwei sangen bereits größere partien am haus, tara sie dir so eine Chance geben wie hier, eine Chance, auf die erraught den Cherubino in mozarts Le nozze di Figaro und hunderte warten, dann willst du alles geben. Dann arbeitest angela Brower die Dorabella in Così fan tutte. im februar du, so hart es geht. haben sie mit L’Enfant et les sortilèges / Der Zwerg premiere. M J klingt anstrengend. und die schönen seiten? T E allein schon an diesem haus zu sein, ist ein solches geim gespräch wird viel geschnattert, gekreischt und gelacht. schenk! ich werde nie vergessen, als ich meine erste kleine was da aber vor allem anklingt, ist die Begeisterung dieser rolle auf der großen Bühne hatte: ich war fast atemlos vor beiden frauen, ihre freude am singen, ihre Dankbarkeit, ehrfurcht und wollte in die knie gehen vor Dankbarkeit – am münchner haus zu sein. „we are soooo lucky!“, lautet danke, danke, danke! vor lauter aufregung konnte ich zwei ihr mantra und ihr Lieblingslobeswort ist ein geflötetes tage nicht schlafen. „incredible!“. A B und dann darfst du selber an diesem haus auftreten, neben all diesen großartigen sängern. und in der kantine triffst du auf stars, die du schon lange bewunderst, und sie M A X J O S E P H Junge mädchen träumen davon, reden mit dir und sind – total normal. models, film- oder popstars zu werden. Bei ihnen T E sweet god! Das wiegt alle harten stunden wieder auf. beiden lief es schon ziemlich früh auf opernsängerin münchen gilt nicht umsonst als einer der besten ausbilhinaus. gab es da so etwas wie eine initialzündung? dungsplätze der welt. als ich letzten sommer an meiner T A r A E r r A u g H T mit zehn fing ich an, gesangsalten uni war, um hallo zu sagen, haben die mich behandelt stunden zu nehmen, und mit zwölf war ich mit meinen elwie einen superstar. tern zum ersten mal in der arena von verona. wir sahen M J was war das wichtigste, das sie hier gelernt Aida. es war schlicht und einfach unglaublich. von da an haben? war alles klar: ich wusste, dass ich auf eine musikhochT E ich kam direkt vom studium aus Dublin und fühlte schule gehen und nichts anderes als singen wollte. mich stimmlich absolut ausgebildet. ich lebte drei Jahre lang A n g E l A B r O w E r Bei mir hat es ein bisschen länger mit meiner gesangslehrerin zusammen, das hieß: wir argedauert. aber ich könnte ohne musik nicht leben und tue beiteten sieben tage die woche. was ich also wirklich draufnichts leidenschaftlicher als singen. erst an der uni schälte sich das mit der oper heraus. und dann war ich mit einem 1 7 hatte, war technik – aber nichts von den anderen Dingen. gesangsprogramm ebenfalls in verona und es traf mich wie 1 7 ausbildung am opernstudio heißt: learning the business. Du

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ange La

Brower

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tara

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Charakter, den man verkörpern soll, gut kennt – und man kriegst von profis die werkzeuge und regeln für den Beruf weiß umso mehr von ihm, je mehr man von der musik weiß. an die hand. Das ist wahnsinnig wichtig und hilfreich und A B Je besser du die musik kennst, desto mehr freiheit sehr umfassend. sogar nikolaus Bachler unterrichtet. Das hast du, zu improvisieren, dich für das spiel zu öffnen. Die Beste aber war der schauspiel- und improvisationsuntermusik selbst schafft diese freiheit. richt bei sigrid herzog. von schauspielerei wusste ich gar T E und das ist ja nicht irgendeine musik, das ist ravel – nichts. und das war am anfang auch das schwerste. eine phänomenale musik! kent nagano ist stilistisch ein abA B o ja! Da sollst du plötzlich improvisieren – ich meine, soluter experte dafür, das macht es noch aufregender. bitteschön, in der oper! so etwas kennen wir in amerika M J gibt es role models? ist jemand wie anna nenicht. und ich dachte auch erst, ich bräuchte das nicht, weil trebko ein vorbild für sie? ich doch weiß, was ich zu tun habe. Dabei ist das so wichtig. A B also, ich möchte niemanden kopieren. aber ich schau T E extrem wichtig! Du kriegst eine szene vorgegeben und mir solche stars natürlich an, beobachte, wie sie arbeiten. sollst agieren: ohne sprache, ohne musik. Da willst du dich man kann viel dabei lernen. erst mal in die ecke setzen und losheulen. aber ich muss T E ich für meinen teil liebe anna! ich liebe sie! ich bin irrsagen: wenn wir nicht zwei Jahre lang dieses intensive traisinnig aufgeregt, weil sie ja im mai kommt, um die adina in ning gehabt hätten, ich wäre aufgeschmissen. Rusalka zum L’elisir d’amore zu singen – und ich glückliche bin selber in Beispiel mit martin kušej, das hätte ich ohne diese schaudieser produktion. was ich außer ihrer großartigen stimme spielstunden nie hinbekommen. ich wäre von so einem ream meisten an ihr schätze, mal abgesehen davon, dass sie ein gisseur wie kušej, der mit einem ganz klaren konzept herz hat und aussieht wie eine göttin: sie hat eine familie. kommt, völlig überfordert gewesen. Der erklärt dir seine M J und das ist so selten? idee und sagt: „so – und jetzt mach mal.“ T E ist einfach gut zu sehen, dass es funktioniert. A B mit Christof Loy war es dasselbe. er gibt dir die richA B es funktioniert, wenn man den richtigen menschen an tung vor und dann musst du loslegen. seiner seite hat. Du brauchst jemanden, der verständnis für T E oder gleich am anfang Jenůfa mit Barbara frey. als ich den Beruf hat und dich total unterstützt. vorher hörte, dass man da improvisieren muss, bin ich fast M J und ihr traum? zusammengebrochen. ich werde nie vergessen, wie sigrid A B wieder in amerika leben. und an der met auftreten. herzog damals zu mir sagte: „tara, ihr habt die werkzeuge, egal welche rolle. gute verträge, mann, familie – ich will ihr wisst, was zu tun ist.“ und sie hatte ja so recht. das alles. M J früher war oper eine ziemlich statische angeleT E ich will rossini an der met singen. hundert prozent! genheit. heute müssen die sänger auch schauspieler meine Basis soll aber in irland sein. von dort aus reise ich. sein, glaubwürdige Charaktere darstellen und werund ich hoffe sehr, dass ich immer eine stabilität im Leben den von theaterregisseuren zu teils gewagten Deuhaben werde. tungen getrieben. gefällt ihnen diese entwicklung? T E ich finde, die oper wird dadurch moderner, zugänglicher, verständlicher. Die oper kennt wunderbare geschichten, aber man muss sie neu und heutig erzählen, um sie Christine Dössel ist Theaterkritikerin der „Süddeutschen Zeitung“. lebendig zu halten. und dafür braucht es gute, intelligente regisseure. L’Enfant et les sortilèges  /  Der Zwerg A B in den staaten sind wir noch nicht so weit, da ist die Maurice Ravel  / oper viel traditioneller. Das ist das tolle hier in DeutschAlexander Zemlinsky land, dass die Bühnen staatlich subventioniert werden, soPremiere am 27. Februar 2011 dass sie die freiheit haben, auch mal ein risiko einzugehen, Weitere Termine im Spielplan neue interpretationen auszuprobieren, zu experimentieren. ab S. 90 ich finde das aufregend. ich glaube nicht, dass es viele orte auf der welt gibt, wo man so weit ist wie hier in münchen. es ist ein großes glück, hier anfangen zu dürfen. T E es gibt hier einfach auch ein wunderbares, aufgeschlossenes publikum, speziell an diesem haus. Das ist so offen, so kundig, so bereit, sich einzulassen. Da sind wir gesegnet. (es folgt eine längere Begeisterungsarie über das münchner publikum.) M J in L’Enfant et les sortilèges spielen sie, tara, die titelrolle, das ungezogene kind, und sie, angela, sind die katze und das eichhörnchen. Das dürfte schauspielerisch eine ganz spezielle herausforderung sein. (Die frage löst mal wieder heiterste aufregung aus, die sich in Lachfontänen ergießt.) 1 8 T E eine tolle herausforderung! wichtig ist, dass man den 1 8

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Foto g raFi e Po L i Xe Ni

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IM GARTEN DER KINDHEIT Sie war eine legendäre Figur der Pariser Salons in den „années folles“ der 20er-Jahre und eine Seelenverwandte von Maurice Ravel: Für ihn schrieb Colette das Libretto zu L’Enfant et les sortilèges, mit ihm verband sie die Sehnsucht, das Reich der Kindheit nie verlassen zu müssen. Eine Spurensuche. im immobilienteil des „Figaro“ erschien kürzlich eine abbildung des geburtshauses von Colette. Der überbelichtete schnappschuss zeigte ein efeubewachsenes, zweistöckiges Wohnhaus aus dem frühen 19. Jahrhundert mit einer roten tür. Das Haus im burgundischen, in dem kleinen Dorf saint-sauveur-en-Puisaye, in dem die schriftstellerin bis zu ihrem 20. Lebensjahr lebte, stand für 300 000 euro zum Verkauf. „ah! Mein altes zuhause. es ist so viel zeit vergangen, seit ich es das letzte Mal gesehen habe. es war ein gutes Haus, ich hätte so gern den alten Walnussbaum und das Dekor gerettet“, sagte Colette einmal. es wurde dann das Dekor ihres ersten romans Claudine à l’école (1900) – ein autobiografisches Werk über ein aufmüpfiges Mädchen. Der zugewachsene garten wurde zum Labor für gerüche und geräusche, eine art eden, in dem tiere und Menschen miteinander sprachen und harmonisch zusammenlebten.

der schriftsteller Catulle Mendès vorhergesehen hatte: einen neuartigen, natürlichen sprachduktus, der wiederum eine neue Form der Literatur begründete. Wie wir den Notizen zum bühnenbild entnehmen können, ließ sich Colette auch bei ihrem Libretto zu L’Enfant et les sortilèges von dem Haus in saint-sauveur inspirieren. Die Möbel, meinte sie, sollten alt sein, groß und überdimensioniert, als ob sie mit den augen eines Kindes wahrgenommen würden. Damals war sie bereits auf dem Höhepunkt ihres ruhmes angelangt. Mit ihrem zweiten ehemann, Henri de Jouvenel, hatte sie eine kleine tochter, die sie Claudine rief. ihre Leidenschaft für das theater war die grundlegende Motivation für das, was ursprünglich ein „ballett für meine tochter“ sein sollte und dann das Libretto zu L’Enfant et les sortilèges wurde.

zwei themen, die in den Werken von Colette immer wieder vorkommen, sind auch zentraler bestandteil dieses Ursprünglich unter dem Künstlerstückes. Da ist die fundamennamen ihres ersten ehemanns vertal wichtige rolle der Mutter. sidonie Landoy, Colettes geöffentlicht, wurde Claudine à l’école ein riesenerfolg, liebte Mutter, war der auslöser hierfür. in den ersten eheebenso die Folgeromane Claudine à Paris, Claudine en jahren mit dem außergewöhnlich charmanten, aber dem ménage und Claudine s’en va. Das Werk wurde für die glücksspiel zugeneigten und verschwenderischen Willy, theater-, operetten- und Musicalbühne adaptiert und der seiner jungen Frau ein nur sehr ärmliches Leben bot, diente gleichzeitig als inspiration für die Modewelt. es gab kam „sido“ oftmals mit dem zug aus dem burgund angesogar Claudine-Puppen zu kaufen. Wichtiger noch als der 2 1 reist, um ein mütterliches auge auf ihre tochter zu werfen. erfolg war jedoch, dass diese buchserie etwas schuf, was

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Und da ist das Leben und Bewusstsein der Tiere, übrigens auch das Thema des ersten Buches, das sie nicht wie bisher nur unter dem Pseudonym ihres mannes, sondern auch ihrem eigenen, Colette Willy, veröffentlichte: Sept dialogues de bêtes (1905). es offenbart eine komplexe, pantheistische Welt, in der Tiere Wesen mit einer Seele sind, Wünsche haben und den menschen wie in L’Enfant les sortilèges ihre meinung mitteilen können. Das am weitesten entwickelte Wesen in dieser Welt ist die Katze, Colettes Alter ego. Diese beiden Schwerpunkte passten perfekt zu maurice ravel, der mit zwei notorisch streitsüchtigen Siamkatzen und inmitten einer wertvollen Automatensammlung sowie mechanischem Spielzeug auf einem Landsitz außerhalb von Paris lebte und sich von seinen Katzen terrorisieren ließ. Die beiden hätten unterschiedlicher nicht sein können – hier die sinnliche Colette, dort der extrem introvertierte ravel –, doch es gab eine Gemeinsamkeit, die ihre Zusammenarbeit begründete: die Sehnsucht nach der Kindheit. Wie bei Proust, für den Colette eine auf Gegenseitigkeit beruhende Bewunderung empfand, wurde der kreative Prozess bei beiden ausgelöst durch die rückbesinnung auf die Sinnenfreude, die Geräusche, visuellen eindrücke und Gerüche der ersten Lebensjahre oder vielleicht sogar auf ein vorbewusstes Dasein. mit dem Satz: „Le génie n’est que l’enfance retrouvée à volonté“ (Curiosités esthétiques), beschrieb Baudelaire den „Genius der Kindheit“ und einen Prozess, den sie

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scheinbar alle, ravel inklusive, vollkommen als Ausgangspunkt ihrer Arbeit akzeptiert hatten. ravel und Colette hatten sich etwa 1905 im Salon von marguerite de Saint-marceaux (1850–1930) bei einem ihrer berühmten Freitagabendtreffen kennengelernt. ein weiterer, oft gesehener Gast war marcel Proust. „megs“ Salon diente ihm als Vorbild für jenen der romanfigur madame Verdurin in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Als sich Colette und ravel rund 20 Jahre später wiedertrafen, war Proust einem Lungenleiden zum Opfer gefallen und nun führte die modebewusste junge marie-Laure de Noailles den berühmtesten Salon der Stadt. Jean Cocteau, ein Freund aus Kindheitstagen, hatte marie-Laure in die Surrealistenzirkel eingeführt, deren Hohepriesterin und wichtigste Förderin sie wurde. Salvador Dalí und Balthus schufen berühmte Porträts von ihr. ihr luxuriöses Herrenhaus an der Place des États-Unis im 16. Arrondissement von Paris, heute das musée Baccarat, war zum Salon „à la mode“ geworden. Colette aber stand den rive-Gauche-Kreisen näher, etwa dem Salon von Gertrude Stein in der rue de Fleurus im 6. Arrondissement. Damals kamen die maler matisse und Picasso ebenso wie die Schriftsteller Hemingway und Fitzgerald regelmäßig zu Besuch in die Wohnung Steins.

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Für ravel waren dies schwierige Jahre. Traumatisiert vom ersten Weltkrieg, konnte er den Tod seiner geliebten mutter nicht verwinden. Zudem litt er an Schlaflosigkeit und Tuberkulose. er zog sich immer mehr zurück und verbrachte einen Großteil seiner Zeit auf dem Land. im Dezember 1919 schrieb er aus dem abgelegenen Dorf Lapras an seinen Freund, den Komponisten manuel de Falla: „ich habe mich in ein großes Haus zurückgezogen, das völlig isoliert inmitten der Cevennen steht. ich treffe niemanden. ich lebe hauptsächlich mit denen, die gestorben sind und mich zurückgelassen haben. ich arbeite so viel wie in fünf Jahren nicht.“ Das war der mutlose ravel der frühen 20er-Jahre, der Paris und seine nicht enden wollende Spirale selbstvergessener Heiterkeit mied. man kann sich vorstellen, mit welcher Beklommenheit er die lange reise in die Hauptstadt antrat. in Lyon verbrachte er die Nacht vor seiner Ankunft in Paris, wo er dann die Partitur seines Valse unter den Arm klemmte, um den impresario Serge Diaghilew, Leiter der Ballets russes, aufzusuchen, für den er das Stück komponiert hatte. 2 2 Die Szene im Haus der Pianistin misia Sert hat Francis 2 2 Poulenc überliefert, sie illustriert die berüchtigte Härte

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diaghilews, der nach dem Vorspielen sagte: „ravel, das ist ein meisterstück, aber das ist kein Ballett. das ist das Porträt eines Balletts, die abbildung eines Balletts.“ Und nicht tanzbar. mit den Worten des musikkritikers alex ross: „diaghilew war überzeugt, dass ravel nicht die erbarmungslosigkeit besaß, welche die Zwischenkriegsjahre erforderten.“ eine Zeit, in der laut ross „auch die musik in einer spekulativen Blase gefangen (…) und jedem Werk, das mit musikalischen Stilmitteln aktuelle Fragestellungen thematisierte, die aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit sicher war“, wie etwa arthur honeggers Skating Rink und Rugby oder seine häufig gespielte tondichtung Pacific 231, die eine dampflok imitiert.

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diaghilew befand folglich darius milhauds Stück Le train bleu von anfang an für gut und unterstützte es – 1924 wurde es zum rauschenden erfolg der Ballets russes. das gesamte Projekt entstand in der Villa noailles, einem kubistischen gebäude an der Côte d’azur, das mallet-Stevens entworfen hatte und wo Picasso, Coco Chanel und Cocteau zusammenarbeiteten. Le train bleu ist das Porträt einer privilegierten, weltläufigen gesellschaft im berühmten „Blauen Zug“, der zwischen Paris und der Côte d’azur verkehrte. Coco Chanel, die die kostüme entwarf, nutzte kühl kalkulierend die Chance, so ihre neue Bademodenkollektion zu präsentieren. ravels L’Enfant et les sortilèges hatte keine der Zutaten, die damals schnell zu großem erfolg führten. die Beziehung zwischen ravel und dem russischen impresario hatte bereits stark gelitten, doch das erklärt nicht, warum diaghilew, der das Ballett in auftrag gegeben hatte, sich vollkommen von L’Enfant et les sortilèges lossagte. So gleichgültig war ihm dieses Projekt geworden, dass diaghilew es an einen jungen, unerfahrenen Choreografen vergab, der so zu seinem ersten größeren auftrag kam: george Balanchine. Unter den tänzern gab es nur einen großen namen: alexandra danilova, die die rolle der Libelle tanzte. arrogant wie immer rief sie dem Pianisten während der Proben regelmäßig „Schneller!“ oder „Langsamer!“ zu. aber der „kleine Pianist“, der kein anderer war als ravel selbst, schien damit locker umzugehen – vermutlich weil er spürte, dass seinem meisterwerk eine große Zukunft bevorstand. 15 Jahre später schrieb Colette: „die musik von L’Enfant et les sortilèges ist jetzt berühmt. Wie kann ich die gefühle 2 3 beim erklingen der ersten tamburine beschreiben, die die 2 3

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ankunft der Schäfer begleiten? das glitzern des mondes im garten, der Flug der Libellen und Fledermäuse … ,Unterhaltsam, nicht?‘, sagte ravel, doch ich kämpfte gegen die tränen, mit einem kloß im hals. die tiere behüteten das kind, mit unterdrücktem Flüstern, kaum hörbar, vereint in Sorge. nie hätte ich vermutet, dass diese Woge von einem Orchester (...) mein bescheidenes Werk zu solcher monumentalität anschwellen lassen würde.“ die musik ravels erweckte Saint-Sauveur, Colettes Paradies aus kindheitstagen, zu neuem Leben. Wer weiß – vielleicht kann es ein weiteres mal neu belebt werden: im november organisierten französische künstler ein Benefizkonzert im théâtre du Châtelet, um das haus zu kaufen. Schauspieler und Sänger wie arielle dombasle, mathieu amalric und Carole Bouquet traten auf. Für sie alle bleibt Colette eine Passion und teil ihrer eigenen kindheit.

Denise Wendel-Poray ist Musikologin mit besonderem augenmerk auf Verbindungen zwischen den Künsten. L’Enfant et les sortilèges / Der Zwerg Maurice ravel / alexander Zemlinsky Premiere am 27. Februar 2011 Weitere termine im Spielplan ab S. 90

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Der Impresario und seine Mitstreiter:: De Gr Grzegorz Jarzyna (Mitte)) un und (von links) Bartek Macias (Video),, Ja Jacqueline Sobiszewski,, An Anna Nykowska-Duszyńska (Kostüme, Schauspielerin),, Ma Magdalena Maciejewska,, da n davor Jarzynas Hund Bulion

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THEATER DER UNMITTELBARKEIT

Grzegorz Jarzyna aus Warschau und sein Team inszenieren die beiden einakter L’Enfant et les sortilèges und Der Zwerg. Die polnische Theaterexpertin Maryla zielińska hat den aufstieg des Warschauer regisseurs begleitet und stellt ihn und sein Team vor.

als das Publikum am 18. Januar 1997 in eine Premiere des Warschauer Theaters rozmaitości strömte, rechneten die Leute mit nichts außergewöhnlichem. Das Debüt eines regisseurs, frisch von der akademie, stand an. einige kannten Grzegorz Jarzyna bereits aus dem Krakauer regiestudiengang, doch er hatte sich für diesen abend das Pseudonym Grzegorz Horst d’albertis zugelegt. eine Selbstinszenierung, die er noch bei einigen weiteren Projekten beibehalten sollte, und ein Hinweis, dass der neue vorhatte, alles, auch sich selbst, zu verwandeln. an diesem abend sollte – inmitten von staunender Begeisterung, tiefem Berührtsein und Lachen – etwas außergewöhnliches entstehen: eine neue Verbindung zwischen Künstlern und Publikum, ein neues einverständnis, dem der regisseur schließlich, als Dämon verkleidet, in einem spontanen, wilden Tanz vor dem Vorhang ausdruck verlieh, der irgendwie zum Titel des Stücks passte – Tropenkoller nach Stanisław Ignacy Witkiewicz. Fortan bestand ein Bündnis zwischen der Hauptstadt und dem jungen Künstler. Jarzyna brachte junge Mitstreiter aus Krakau mit. Gemeinsam wollten sie weiterentwickeln, was sie unter den Fittichen ihres Lehrers, des regisseurs Krystian Lupa, aufgesogen hatten. Lupa hatte ein pädagogisches Laboratorium geschaffen, das in den 90er-Jahren auf den großen Hunger nach Veränderung im polnischen Theater traf. Mit dem

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FoTo GraFIe JaaP SCHeeren ÜBerSeTzUnG MIron HaKenBeCK

Fall des Kommunismus waren auch die Pflichten der Künstler gegenüber der nation entfallen. Der Schaffensprozess wurde an ökonomische Voraussetzungen gekoppelt und mit dem Diktat der Medien konfrontiert. Diese entwicklung forderte dem Theater eine neue Sprache ab, eine Sprache des alltags. Über Dinge, die einen direkt betrafen, sprach man nun auch direkt. Und Jarzyna war es, dem diese Unmittelbarkeit und Freiheit von Konventionen zu Gebote standen. Der regisseur verbindet hervorragendes Handwerk, Fantasie, Talent und Leidenschaft mit einer Konstellation aus erprobten Mitarbeitern und der unaufhörlichen Bereitschaft zum künstlerischen risiko. ob beim Debüt 1997 im bis dahin mit bürgerlichen Komödien unterhaltenden, von der Stadt finanzierten rozmaitości oder andernorts – seine Stücke realisiert Jarzyna mit „seinen“ Leuten. Seit 1998 schon gehört die Bühnenbildnerin Magdalena Maciejewska zu Jarzynas Team. Sie erschloss dem Theater Spielräume jenseits der Bühne und baute in kleine Winkel des rozmaitości das Treppenhaus eines Wohnblocks, eine Sushi-Bar oder eine Wohnung. andere

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Premieren realisierte sie in einem alten Mietshaus, einem stilvollen Hotel oder einem modernen Bürohaus. Ihre räume illustrieren weder die ereignisse noch die Helden und zelebrieren keine Konvention, aber ignorieren auch nicht den Stil einer epoche. Wichtig ist das Detail, das dem Schauspieler hilft, die innere Welt eines Charakters auszudrücken, die Sinne des zuschauers anzusprechen. Sie liebt es, eine Szene aus durchsichtigen Wänden zu bauen, mit Korridoren, durch die eine andere Wirklichkeit dringt. ein weiteres Mittel dieser Subjektivierung ist die Bewegung von Flächen um einen Schauspieler herum. So wird der seelische zustand der Figuren lesbar. Schon anderthalb Jahre nach seinem Debüt im rozmaitości wurde Jarzyna Künstlerischer Leiter des Theaters, später auch Intendant. er lud seinen Krakauer Studienkollegen Krzysztof Warlikowski ein, an seinem Theater zu inszenieren. Bis 2007, als Warlikowski sein nowy Teatr gründete, schufen sie gemeinsam eine in der Welt bekannte Marke. Das Theater fuhr von Festival zu Festival, bis Jarzyna spürte, wie viel Kraft die reisen das ensemble kosteten – und einen genialen Schritt tat. Die Stadtverwaltung hatte dem Theater Mittel für die notwendige Modernisierung zugesichert, also setzte er für die Spielzeit 2003/2004 die Premieren im Stammhaus aus, zog mit dem Theater in die Stadt, spielte an theaterfremden Plätzen und taufte das experiment

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GrzeGorz

Teren Warszawa („Terrain Warschau“). Jarzyna nutzte zeitgenössische Texte, die näher an der Pop- als an der Hochkultur waren. Gemeinsam mit jungen Künst lern wurde alles in ein paar Wochen erarbeitet, als ob das Theater mit dem Tempo der Stadt mithalten müsse. Und er änderte den namen des Theaters vom ausschmückenden Teatr rozmaitości („Theater der Vielfalt“) in das Kürzel Tr Warszawa. Jarzynas Projekte stießen nicht nur in Polen auf großes echo, sie erregten auch international aufsehen. In der Folge wurde er zu Inszenierungen an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, dem Düsseldorfer Schauspielhaus und Wiener Burgtheater, dem Pariser Théâtre Silvia Monfort, am Schauspiel essen und an der oper in Lyon eingeladen. eine seiner wichtigsten Mitarbeiterinnen ist seit 2003 die Lichtdesignerin Jacqueline Sobiszewski, die an der Filmhochschule Łódź Kamera studierte. Sobiszewski arbeitet intuitiv. Inspiration sucht sie auf den Proben, bei denen sie die Schauspieler beobachtet, sich in die atmosphäre und den rhythmus der entstehenden aufführung einfühlt. „Die größte Freude macht es mir, wenn die Schauspieler beginnen, das Licht zu spüren. Dann wird es integraler Bestandteil der Vorstellung und gestaltet ihre erzählweise. Und ist nicht einfach nur schön. Ich lege immer zwei Schichten von Licht: eine zeigt das Bühnenbild, die andere die Schauspieler.“ Für T.E.O.R.E.M.A.T. nach Pier Paolo Pasolini ließen sich Jarzyna und Maciejewska von einem Foto von Sebastian Faena inspirieren: es zeigt eine Frau, die in einem leeren zimmer aus dem Fenster schaut. Durch das Fenster fällt das Licht auf die „Dämmerung des Lebens“. Die Inszenierung gleicht einer eigenwilligen Untersuchung schöner, durch das Licht gleitender Körper, immer wieder jäh unterbrochen durch eine brutale Verdunkelung – wie ein Stillleben, das auf zeichen der zerstörung und des zerfalls weist. „es fällt mir schwer, über die zusammenarbeit mit Jarzyna und Magda Maciejewska zu sprechen, weil sie sehr intuitiv ist, wir fühlen einander sehr stark“, sagt Jacqueline Sobiszewski.

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Jarzyna

„alles entsteht aus gemeinsamen Kräften. Wir arbeiten viel, überlegen lange, bevor etwas auf die Bühne gebracht wird. Und selbst wenn alles fertig erscheint, ändern wir immer wieder noch etwas. Die ganze zeit ist ein Suchen, einen Gedanken für eine Weile sein zu lassen und dann zu ihm zurückzukehren. Das Wichtigste im Theater ist das Schaffen von Tiefe. Das ist so ein tiefer, langer und sehr emotionaler Prozess.“ Jarzyna setzt sich mit Literatur ganz unterschiedlicher epochen und Gattungen auseinander und ist selbst als autor tätig. er mag es, wenn literarische Werke ihm Widerstand bieten – indem er ihn überwindet, fühlt er, dass er handwerklich dazulernt. Seine Ideen sind das resultat einer profunden auseinandersetzung mit der Intention und Sensibilität des autors, wobei jedoch beides schnell aus dessen zeit heraustritt, um mittels Jarzynas Gespür in der Gegenwart anzukommen. auf dieser reise glänzt Jarzyna mit Leichtigkeit und Witz bei der zerschlagung gängiger Formen. neben der nahezu klassisch-psychologischen Yvonne, Burgunderprinzessin von Witold Gombrowicz oder Sarah Kanes 4.48 Psychosis finden sich das brutalisierte, comicartig zugeschnittene Stück Unidentified Human Remains von Brad Fraser, die soziale Intervention Festen von Thomas Vinterberg und Mogens rukov oder auch Magne­ tyzm serca (deutscher Titel: Mädchen­ schwüre) von aleksander Fredro, einem bedeutenden polnischen Komödienautor des 19. Jahrhunderts. eine längere Sequenz von Stücken, darunter Brechts Im Dickicht der Städte, neil LaButes Bash sowie Giovanni nach Mozart und Molière, verortete er in der Szenerie einer Großstadt, die gleichzeitig an Übersättigung und Unersättlichkeit leidet.

Im gläsernen ehemaligen Wartesaal des Warschauer Hauptbahnhofs Centralna fand sein Team den ort für die komödiantisch-krimihafte Geschichte, die George F. Walker in Riskier alles erzählt. Dabei nutzten sie auf faszinierende Weise die durch die Scheiben blinkenden realen Lichter der Straße, der Häuser und Fahrzeuge. Die letzten Premieren Jarzynas auf seinem Warschauer Mutterschiff – neben Pasolinis T.E.O.R.E.M.A.T. auch Dorota Masłowskas Wir kommen gut klar mit uns – zeugen bereits von einer anstehenden Veränderung in seinem Schaffen. In den raum seiner Vorstellungen tritt die Bitterkeit der reife, das dekadente Panorama der Stadt ergänzt er um ihre ruinen – das Gedächtnis der Geschichte. Maciejewskas Bühnenbild enthüllt in Dorota Masłowskas Stück Schicht um Schicht der Überlagerungen von Generationen und Milieus und schafft so eine ergreifende Phantasmagorie einer Stadt mit einer tragischen Geschichte. Für sein Theater sucht der Intendant eine langfristige Perspektive. Der bisherige Saal ist ein schwieriger raum. ein betonartiger, klaustrophobischer Bunker mit einer engen Szene – an Versenkungen oder andere technische Wunder ist nicht zu denken – und höllisch unbequemen zuschauersitzen. Jarzyna und sein Team zauberten hier wahre Wunder. Seine Leistungen weckten das Vertrauen der entscheidungsträger in der Kultur. Im geplanten Museum für zeitgenössische Kunst, das die Stadtverwaltung im zentrum direkt neben dem realsozialistischen Kulturpalast bauen will, ist ein Platz für das Tr Warszawa reserviert.

Die polnische Theaterkritikerin Maryla Zielińska schreibt u. a. für die Zeitschrift „Theater der Zeit“. Mehr über sie auf S. 6.

L’Enfant et les sortilèges / Der Zwerg Maurice Ravel / Alexander Zemlinsky Premiere am 27. Februar 2011 Weitere Termine im Spielplan ab S. 90

Sie prägen Warschaus Theaterszene (von links): Jacqueline Sobiszewski, Grzegorz Jarzyna, Anna Nykowska-Duszyńska, Bartek Macias, Magdalena Maciejewska

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traumforschung

Gefühle in beweGten bildern Die träume der drei- bis fünfährigen Kinder sind statisch und eher gefühlsneutral. Dann kommen albträume und angstreaktionen. Was Kinder im schlaf erleben, ehe sie sprechen können, werden wir wohl nie erfahren.

text michael schreDl f o t o g r a f i e r o b i n s c h Wa r t z

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traumforschung

Wovon träumen Kinder? Woher wissen sie, dass träume träume sind? und was lässt sich tun, wenn Kinder unter albträumen leiden? Der begriff „traum“ wird umgangssprachlich in allen möglichen zusammenhängen benutzt: traumhaus, traumurlaub, traumjob, traumauto. hier geht es um traum im eigentlichen sinn: als psychische aktivität während des schlafs. sigmund freud behauptete, seine 19 monate alte tochter anna habe von erdbeeren und essen geträumt. Woher er das weiß? Das weiß keiner. Was Kinder träumen, bevor sie gelernt haben zu sprechen, ist logischerweise nicht in erfahrung zu bringen. so muss die frage offenbleiben, was säuglinge während ihres schlafs tatsächlich erleben. Kön nte ich De inen traum s ehe n, Wenn ich D i r Wä r e ?

bei

Jean Piaget, ein Pionier der entwicklungspsychologie, untersuchte bei Kindern das Verständnis des träumens. er zeigte, dass Kinder die unterscheidung zwischen innen und außen, zwischen traum und realität, erst im Verlauf der kognitiven entwicklung erlernen. Dazu stellte er Kindern fragen nach der herkunft der träume, nach dem ort der träume, womit man träumt und dem grund der träume. um den ort des traumes zu erfahren, stellte er zum beispiel die frage: „Könnte ich den traum sehen, wenn ich dabei wäre?“ insgesamt unterschied Piaget drei entwicklungsstadien. im ersten stadium, das Piaget im fünften bis sechsten lebensjahr ansetzt, glaubt das Kind wahrscheinlich, dass der traum realem erleben entspricht. Die erkenntnis, dass die erlebnisse während des schlafs einen traum darstellen, kommt erst nach dem aufwachen. im zweiten stadium (siebtes bis achtes lebensjahr) glaubt das Kind, dass der traum von jemand anderem gesehen werde könnte, obwohl er vom eigenen Kopf produziert wird. Der traum wird als äußeres bild gesehen, das man betrachtet. erst im dritten stadium (achtes bis zehntes lebensjahr) wird der traum als Produkt des eigenen Denkens wahrgenommen. Dabei ist der traum nicht mehr von außen sichtbar, weil er sich im eigenen inneren abspielt. Die aktuelle forschung konnte jedoch zeigen, dass Piagets altersangaben, die aus den 20erJahren des vergangenen Jahrhunderts stammen, nicht mehr zutreffen. fast alle fünfährigen Kinder besitzen bereits ein volles Verständnis für träume als Vorstellungsbilder, die während des schlafs ablaufen.

länge der träume nimmt im alter von fünf bis sieben Jahren zu und sie werden ereignisreicher, wobei das traum-ich weiterhin selten auftaucht. ab dem siebten lebensjahr spielt der träumer eine aktive rolle, ist teil des geschehens, und die grundstimmung ist eher positiv. ab dem elften lebensjahr sind die träume mit denen von erwachsenen im hinblick auf allgemeine merkmale wie gefühlsqualität, absonderlichkeit und soziale interaktionen vergleichbar. andere forscher, die träume aus der häuslichen umgebung von Kindern zwischen drei und zehn Jahren analysiert haben, sind dagegen zu dem ergebnis gekommen, dass auch bei jüngeren Kindern in fast 90 Prozent aller träume der träumer selbst eine rolle spielt. für die erklärung der trauminhalte wird in der regel die Kontinuitätshyothese herangezogen, die besagt, dass sich in den träumen sehr direkt das leben im Wachzustand widerspiegelt. so träumen auch Kinder von Dingen, die sie erlebt haben (ca. 80 Prozent der träume), aber auch von bildern aus dem fernsehen (ca. 20 Prozent der träume). leicht erklärbar ist das gehäufte auftreten von bekannten Personen und familienmitgliedern in den träumen der Kinder, da diese bezugspersonen den großteil der Wachwelt der Kinder bestimmen. David foulkes vermutete, dass häufig auftauchende tiere wie Katzen, hunde und Pferde den träumer selbst symbolisieren. sehr viel naheliegender scheint allerdings die erklärung, dass tiere in vielen Kinderbüchern, -geschichten und -filmen eine wichtige rolle spielen. Wa s

albträume auslöst

albträume werden als belastende träume definiert, die meist zum erwachen führen. sie treten vor allem in der zweiten nachthälfte auf. Davon abzugrenzen ist der sogenannte Pavor nocturnus (nachtangst), das aufschrecken aus dem tiefschlaf. Dabei kommt es sehr bald nach dem einschlafen zu einer dramatischen angstreaktion, wobei das Kind häufig weder den traum noch das plötzliche aufwachen am nächsten morgen erinnern kann. albträume in der Kindheit und Jugendzeit erleben fast alle menschen, am häufigsten zwischen dem sechsten und zehnten lebensjahr, wobei etwa fünf Prozent der Kinder über albträume berichten, die einmal pro Woche oder häufiger auftreten.

Das vorherrschende gefühl in albträumen ist angst, aber auch emotionen wie Wut, trauer oder ekel sind dominant. geträumt wird von Verfolgung, bedrohung, stürzen, Verletich bin zungen und dem tod anderer Personen, etwa der eltern. bei Der he lD meine s den aggressoren im traum sind deutliche geschlechtsuntertrau me s schiede festzustellen: mädchen träumen von bedrohlichen menschen, bei Jungen spielen eher fantasiewesen eine rolle. Der amerikanische schlaf- und traumforscher David foulkes unterscheidet man bei den tieren zwischen großen (zum untersuchte über viele Jahre Kinder im schlaflabor und bebeispiel löwen, haie, bären) und kleinen (zum beispiel fragte sie nach ihren träumen. er beschreibt die träume schlangen, spinnen, Vögel), so träumen Jungen häufiger von von Kindern zwischen drei und fünf Jahren als statisch, sehr kurz und gefühlsneutral. tiere spielen eine wichtige rolle, 2 8 großen tieren als mädchen. Die als bedrohlich empfundewährend das Kind selbst im traum nur selten erscheint. Die 2 8 nen traumpersonen sind zu 80 Prozent männlich, was ge-

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TrAumforSchunG

dass Angstphänomene auch dadurch aufrechterhalten wer­ den, dass man einer bewussten Auseinandersetzung mit ih­ nen aus dem Weg geht. Gerade bei Träumen ist diese kogni­ tive Vermeidung mit einem Satz wie „Das ist doch alles nur ein Traum“ leicht möglich. In einer Studie gaben 50 Pro­ zent aller Jugendlichen zwischen zehn und sechzehn Jahren an, dass sie versuchen, den Traum möglichst schnell zu ver­ gessen.

Erste Hilfe bei Albträumen Im ersten Schritt geht es um die direkte Konfrontation mit der Angst: Es empfiehlt sich, die wichtigste Szene des Traums zeichnen zu lassen, wobei das Kind in der Zeichnung auftaucht. Zur Bewältigung der Angst fragt man das Kind im zweiten Schritt, was es nun einzeichnen kann, damit es weniger Angst hat. Und was es in der Traumsituation aktiv tun könnte, also nicht weglaufen oder aufwachen, sondern die bedrohliche Gestalt ansprechen oder Helfer suchen. Wird dann das neue Verhalten über zwei Wochen jeden Tag immer am selben Traum eingeübt, lassen sich alte Muster durch die neu eingeübte Denkweise erweitern, der Angstkreis wird durchbrochen. Was sagt uns der Kindertraum? Träume werden als sehr gute Möglichkeit beschrieben, mit Kindern über ihre innere Welt ins Gespräch zu kommen. Sie können Anhaltspunkte dafür liefern, inwiefern der Traum die aktuelle Situation des Kindes widerspiegelt. Dazu hat die kalifornische Traumforscherin Patricia Garfield (Kreativ träumen) einige Überlegungen angestellt (siehe unten). Es wird deutlich, dass hier nicht die Symbole des Traumes betrachtet werden, sondern das Grundmuster, das Grundgefühl im Traum. Dem liegt die Idee zugrunde, dass die Gefühle des Wachzustandes aufgegriffen und im Traum in überzeichneter Form dargestellt werden. Die Handlung von Angstträumen und ihre möglichen realen Ursachen

mäß der Kontinuitätshyothese daran liegen dürfte, dass männer häufiger Gewalt ausüben. Albträume entstehen vermutlich aus einem Zusammenspiel von Veranlagung und akutem Stress. Eine Zwillingsstudie in finnland hat ergeben, dass bei häufig auftretenden Albträu­ men ein genetischer Einfluss vorliegt. Personen, die seit ih­ rer Kindheit unter Albträumen leiden, wurden von dem Wissenschaftler Ernest hartmann als menschen mit „dün­ nen Grenzen“ beschrieben, also menschen, die sensibel sind, sich stark von anderen differenzieren, häufig kreative Berufe ausüben, ungewöhnliche Sinneswahrnehmungen haben und intensive, aber konfliktreiche Beziehungen. Ängstliche Kin­ der werden häufiger von Albträumen geplagt, speziell hohe Prüfungsangst führt zu Prüfungsträumen. Schulstress zeig­ te in einer eigenen untersuchung keinen und soziale Stress­ faktoren einen leichten Einfluss auf die Albtraumhäufigkeit, aber Ereignisse wie die chronische Erkrankung oder der Tod einer nahestehenden Person wirken sich sehr stark aus. Zu den Wirkungen des fernsehens auf die Träume von Kin­ dern liegen nur wenige Daten vor. Ein normaler fernseh­ konsum, der etwa Polizeiserien und Ähnliches einschließt, führte nicht zu vermehrten Albträumen, auch wenn die In­ halte der Albträume durchaus die medieninhalte widerspie­ geln können.

Verfolgung/Angriff Ich fühle mich unter Druck, ein Problem bedrückt mich. Verletzung/Tod Ich fühle mich seelisch verletzt/vernichtet. Verletzung/Tod von anderen Ich habe Angst um jemanden/Angst, jemanden zu verlieren. Beschädigung/Verlust von Eigentum Ich fühle mich schuldig, ich habe etwas Wertvolles verloren. Sich verirren Ich fühle mich im Stich gelassen, ich finde mich nicht mehr zurecht. Etwas misslingt immer wieder Ich fühle mich frustriert. Gelähmt/eingeschlossen sein Ich finde keinen Ausweg aus meinem Problem. Fallen Ich habe den Boden unter den Füßen verloren. Ich bekomme nicht genügend Unterstützung von anderen. Schulprüfung Ich fühle mich auf dem Prüfstand. Ich fühle mich unvorbereitet. Katastrophen Ich werde von meinen Problemen überwältigt. Zu spät kommen Ich habe eine Gelegenheit versäumt.

hinsichtlich einer Therapie ist es wichtig, den ursächlichen 2 9 Professor Michael Schredl leitet das Schlaflabor am Zentralinstitut für faktoren auf die Spur zu kommen. Dabei ist zu beachten, 2 9 Seelische Gesundheit in Mannheim.

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»Entspannt blEibEn« in der Fidelio-inszenierung von Calixto bieito singt Jonas Kaufmann den Florestan. im interview spricht er über sängerische Herausforderungen und seine Vorfreude auf die arbeit mit dem spanischen Regisseur.

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INTERVIEW

M a x J o s e p h Mit dem Namen Bieito assoziiert man in der Opernwelt Folter, Blut und nacktes Fleisch. Haben Sie schon mit ihm gearbeitet? J o n a s K a u f M a n n Nein, aber natürlich habe ich immer wieder Berichte über seine Inszenierungen gelesen oder im Fernsehen gesehen, insofern bin ich sicher, dass es keine konventionelle Inszenierung wird. M J Lieber Provokation als Konvention? J K Das möchte ich so pauschal nicht sagen, aber nach meinen Erfahrungen sind konventionelle Inszenierungen eher langweilig. Man möchte doch nicht die Butterfly jahrzehntelang so sehen, wie man sie als Kind erlebt hat. M J Eben das ist der Punkt: Wer seit Jahrzehnten in die Oper geht, will Abwechslung und neue Reize. Aber was macht man mit den Anfängern? Haben Kinder und andere Opern-Novizen nicht das Recht auf eine Inszenierung, bei der sie Werk, Handlung und Dialoge auf Anhieb verstehen, ohne dass man ihnen vorher das Regiekonzept erklären muss? Anders gefragt: Wären Sie damals, bei Ihrer ersten Butterfly im Nationaltheater, genauso der Oper verfallen, wenn man die Handlung in den Vietnamkrieg verlegt hätte? J K Wenn die emotionalen Beziehungen zwischen den Figuren und das Verhältnis von Aktion und Musik gestimmt hätten – ganz sicher! Ich verstehe Ihre Bedenken, nur finde ich, dass es gerade das Merkmal einer guten Inszenierung ist, wenn sie beiden Gruppen das Essenzielle eines Stückes vermittelt, den Anfängern genauso wie denjenigen, die das Werk schon in zwanzig verschiedenen Inszenierungen gesehen haben. Das ist ja die große Herausforderung jeder Neuinszenierung: das Stück immer wieder neu zu „erfinden“! Und wenn der Regisseur kein Mann ist, der in erster Linie den Presserummel braucht, sondern ein ernsthafter Künstler mit großer Überzeugungs-

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erlebnissen. Da fand die Befreiung des Florestan nur in der Fantasie von Leonore statt. M J Damals, 1998 in Stuttgart, sangen Sie noch den Jaquino. J K Stimmt – und Kušej hatte die Rolle sehr aufgewertet: Statt des kleinen Angestellten, den man üblicherweise zu sehen bekommt, zeigte er einen brutalen Machtmenschen. M J Knapp drei Jahre später wechselten Sie zum Florestan. Hat Sie die Rolle so gereizt oder war es eher die musikalisch-stimmliche Herausforderung der Soloszene, die ja selbst von gestandenen Heldentenören gefürchtet wird? J K Es war sicher die große Szene, die mich gereizt hat, mit diesem heiklen Schlussteil, an dem sich schon viele Tenöre versungen haben. Denn als Figur ist Florestan ja eher eindimensional, nicht annähernd so interessant wie etwa ein Don José in Carmen. Helmut Rilling war der Erste, der mir die Rolle angeboten hat für eine Serie von konzertanten Aufführungen beim Rheingau Musik Festival, in der Stuttgarter Liederhalle und beim Beethovenfest in Bonn. Und es lief prima. Zu meiner großen Freude wurde meine Stimme an den heiklen Stellen nicht enger, sondern ging immer mehr auf. M J Florestans ekstatische Vision vom rettenden Engel: „Der führt mich zur Freiheit, ins himmlische Reich“, diese höllisch schwere Phrase, wird gern als Beweis dafür zitiert, dass Beethoven nicht wusste, wie man für Sänger komponiert. Andererseits lässt sie sich auch dahin gehend interpretieren, dass er bewusst den Sänger an die Grenzen des Singbaren getrieben hat: Die Extremsituation des Gefangenen verlangt nach einer Extremsituation beim Singen. J K Wohl eher Letzteres, denn wenn man sich seine Missa Solemnis ansieht, so ist auch hier das Mittel der „Verzweiflung durch Unsingbarkeit“ ganz deutlich Teil des Konzepts, also beispielsweise beim sich immer höher schraubenden

„Ich bin schon gefragt worden, ob ich denn als Florestan auch nackt auftreten würde. Darüber mache ich mir doch jetzt keine Gedanken!“ „Et vitam venturi“ im Chorsopran. Oder nehmen Sie die kraft, dann wird man selbst nach anfänglichen Zweifeln Arie der Leonore in der Urfassung: Das ist ja dramatische sagen: „Ja, so muss es sein! Warum hat das noch keiner Koloratur vom Allerschwierigsten! Und wie oft gibt es gezeigt?“ Um auf Bieito zurückzukommen: Er gehört ofSuperfrauen, die das singen können? Die Änderungen, die fenbar zu den Regisseuren, bei denen die Inszenierung Beethoven an dieser Arie vorgenommen hat, sind eindeutig schon Monate vor der Premiere stattfindet – in den Köpder Theaterpraxis geschuldet! fen der Leute, die einen Skandal erwarten. Ich bin schon M J Leonore oder Fidelio – welche Fassung ist Ihnen gefragt worden, ob ich denn als Florestan auch nackt auflieber? treten würde. Darüber mache ich mir doch jetzt keine J K Fidelio ist in jeder Hinsicht stärker! Gedanken! M J Zurück zum „himmlischen Reich“: Wie schafft M J Mit neuen Sichtweisen auf Fidelio sind Sie ja man es, diese Phrase zu singen, ohne sich wehzutun? vertraut. J K Wohl wahr! Die Stuttgarter Fidelio-Inszenierung von 3 2 J K Für mich gibt es nur einen Weg: keine Panik bekomMartin Kušej zähle ich zu meinen stärksten Musiktheater- 3 2 men, sondern möglichst entspannt bleiben – und ja nicht

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vorauseilen, um schnell drüber wegzukommen, das bewirkt genau das gegenteil, denn so werden die atempausen noch kürzer. M J nun könnte man einwenden: florestan ist ja nur noch ein häufchen elend, warum sollte er da nicht mit letzter kraft die töne herauspressen? J K weil es eben kein realismus ist, sondern opernrealität: nicht der körperliche verfall soll hier zum ausdruck kommen, sondern der seelenzustand des verzweifelten, seine ekstatische vision von rettung und Befreiung. genauso ist der erste ton dieser szene, das aus dem nichts kommende, immer stärker und dringlicher werdende „gott!“, der aufschrei der gequälten seele – aber eben kein naturalistischer, sondern ein musikalischer „schrei“, der größte stimmlichtechnische kontrolle erfordert. Ich weiß nicht, wie oft ich an diesem crescendo gearbeitet habe. jedenfalls hat es lange gedauert, bis es so klang, wie ich es mir vorgestellt habe. nur sollte das Publikum bei solchen Phrasen nicht denken: „toll, wie der das kann!“, sondern immer mit der dargestellten Person fühlen. und das ist die große herausforderung in unserem Beruf: ganz in eine figur hineinzuschlüpfen und trotzdem immer die kontrolle darüber zu haben, was man als sänger und Darsteller tut. karajan nannte das „kontrollierte ekstase“. M J vor Ihrem ersten lohengrin in München haben sie den alfredo in La traviata gesungen, vor Ihrem Bayreuth-Debüt in derselben rolle waren sie hier als Don josé und cavaradossi zu hören, vor ihrem florestan werden sie in london als Maurizio in Adriana Lecouvreur auftreten. offenbar sind solche abwechslungen wesentlicher Bestandteil Ihrer stimmlichen fitness. J K ganz sicher. wie das Beispiel Domingo zeigt, hält man sich die stimme auf diese art viel länger geschmeidig. Dadurch kann ich auch immer noch lieder singen und die fei-

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traur’ge fahrt, wie gern hätt’ ich sie dir erspart!“ nach der Premiere in Bayreuth sagte man mir, bei dieser stelle sei eine emotionswelle durchs Publikum gegangen, die fast körperlich zu spüren war. aber es hat während der Proben unter den musikalischen Beratern in Bayreuth auch kritische stimmen gegeben, die sagten: „viel zu leise und immer dieses ewige legato – wir brauchen mehr text!“ Ich selbst war ja erstaunt, als ich den lohengrin studierte, wie oft wagner piano notiert hat, zum Beispiel bei „nie sollst du mich befragen“! und das ist ja gerade das außergewöhnliche: dass ein superheld, der mit einer riesigen chorszene angekündigt wird, zur Begrüßung keine heldischen töne loslässt, sondern unheimlich zärtlich mit dem schwan spricht. Das ist für mich ein deutliches Zeichen, dass wagner gar nicht wollte, dass lohengrin von vorne bis hinten den helden mimt. M J seit Ihrem lohengrin-Debüt sind sie regelmäßig in München zu hören, aber es gab einige jahre, wo man den eindruck haben musste: offenbar gilt der Prophet nichts in der eigenen stadt. J K tja, das war für mich ziemlich bitter. Ich meine, nach den ersten großen erfolgen in stuttgart wäre es naheliegend gewesen, mich öfter nach München zu holen. aber ich habe in den jahren zwischen 1998 und meinem rollendebüt als lohengrin bei den opernfestspielen 2009 ganze vier aufführungen an der Bayerischen staatsoper gesungen. M J sie sind halt kein händel-spezialist. J K gut, aber nun gab es zwischen den händel-opern hier immer noch Mozart, verdi und Puccini. warum ich da nicht ins konzept passte, weiß ich bis heute nicht. aber schwamm drüber! Ich freue mich sehr, dass sich die Zeiten geändert haben und dass ich seit letztem jahr auch regelmäßig in München singen darf. München ist halt meine stadt, ich bin hier aufgewachsen, hab hier als

„nicht der körperliche verfall soll hier zum ausdruck kommen, sondern der seelenzustand des verzweifelten, seine ekstatische vision von rettung und Befreiung.“ nen nuancen umsetzen. und auch musikalisch sind solche wechselbäder sinnvoll. Zum Beispiel hatte ich das gefühl, dass mir die Tosca-aufführungen in München geholfen haben, den lohengrin in Bayreuth wieder neu anzugehen. Überhaupt glaube ich, dass es einem sänger nur nützen kann, vor einer wagnerpartie italienisches repertoire zu singen. Denn dann wird einem wieder klar, was wagner eigentlich wollte: deutsche oper mit italienischem legato. und immer wieder piano und pianissimo! M J weiß man das heute noch zu schätzen? J K Ich denke schon, zumindest bei einem großteil des Publikums. nehmen sie zum Beispiel lohengrins abschied 3 3 im letzten akt: „Mein lieber schwan! ach, diese letzte, 3 3

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kind im chor gesungen und hier begann mein opernleben. hier hab ich als knirps meine erste vorstellung gesehen, eben besagte Butterfly, das war mein türöffner zur großen Zauberwelt der oper. seitdem habe ich davon geträumt, eines tages mal selber auf der Bühne des nationaltheaters zu stehen. Meine ersten Bühnenschritte machte ich dann im extrachor des gärtnerplatztheaters. Meine gesangsausbildung, mein studium, meine gesamte „musikalische sozialisation“ fand in München statt. Insofern ist die Bayerische staatsoper für mich natürlich nicht ein haus von vielen, sondern mein musikalisches Zuhause. hier singen zu dürfen, ist für mich immer wieder ein ganz besonderes erlebnis.

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M J können sie heute noch eine oper mit kinderaugen sehen? J K ja und nein. nein deshalb, weil man irgendwann in jedem Bereich seine unschuld verliert, so auch als Zuschauer in der oper: Man kann ja nicht alle erfahrungswerte, all die erinnerungen an gute und schlechte aufführungen einfach ausblenden, sobald der vorhang hochgeht. und ja deshalb, weil ich es auch heute noch erlebe, dass mich eine aufführung so fasziniert, dass ich einfach mit großen kinderaugen dasitze und mich von der wunderbaren welt der oper verzaubern lasse. Passiert zwar selten, aber es passiert nach wie vor. M J wie erleben Ihre kinder die oper? J K wenn sie überhaupt damit konfrontiert werden, dann meistens positiv. gut finde ich, dass es durch cD und DvD möglich ist, kinder schrittweise an die oper heranzuführen. so werden sie nicht überfordert und ihre neugier bleibt erhalten. ansonsten versuchen wir, die kinder nur in altersgemäße Produktionen mitzunehmen. und wenn sie dann bereits mit der handlung und der Musik vertraut sind, ist ihre Bereitschaft zum aufmerksamen Zuhören auch viel größer. M J Ist kunst noch ein ort der freiheit? J K Ich hoffe doch! Denn welchen sinn hätte all das theater, wenn es nicht in jeder aufführung mindestens einen

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Menschen im Publikum gäbe, der sich nach der vorstellung anders fühlt als vorher, der die schönen künste nicht nur als angenehme unterhaltung empfindet, sondern als ausdruck von hoffnung und freiheit inmitten einer welt von Zwängen – und das nicht nur bei Befreiungsopern wie Fidelio. wenn bei einer aufführung alles stimmt, kann sie immer noch diese befreiende kraft haben, die die alten griechen katharsis nannten, „reinigung der seele“. ein hehres Ziel, nach dem wohl jeder künstler strebt. Thomas Voigt ist Musikjournalist, Filmemacher und Autor. 2010 erschien seine Interview-Biografie über Jonas Kaufmann unter dem Titel Meinen die wirklich mich?. Fidelio Oper in zwei Akten von Ludwig van Beethoven Premiere am 21. Dezember 2010 Weitere Termine im Spielplan ab S. 90

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»Das eigene gehirn kann zum gefängnis werDen« Nach einem Jahrzehnt als Enfant terrible des Opernbetriebs zeigt sich der spanische Regisseur Calixto Bieito in München als nachdenklicher, tiefgründiger Realist, der die Kultur seines Gastlandes liebt und darüber sinniert, warum das Publikum im Theater gegen Darstellungen rebelliert, die es im Museum auf Bildern als Hochkultur verehrt. C a l i x t o B i e i t o Ich bin schon immer gerne gereist Abgespannt sitzt er im Schatten der Bäume auf der Café­ und es gefällt mir, immer wieder irgendwo bei null anzufan­ terrasse vor dem Baseler Theater, an dem er inszeniert. Im gen. Ich bin sehr neugierig, lerne gerne neue Leute und neue Gespräch wird Calixto Bieito schnell wieder munter, erzählt Sprachen kennen. von seiner Liebe zur deutschen Kultur, aber auch zur Kunst M j Welche Beziehung haben Sie zur deutschen Kul­ und Literatur seines Heimatlandes – er ist Katalane, Spa­ tur? nier und Weltbürger. Der wegen seiner Inszenierungen vol­ C B Ich bewundere sie sehr. Ich hatte einen sehr guten Leh­ ler Gewalt und Sexualität oft als Enfant terrible der Thea­ rer, einen Wiener mit ungarischen Wurzeln, der mir viel bei­ ter­ und Opernszene bezeichnete Regisseur hat zum Beispiel gebracht hat. Schopenhauer beispielsweise habe ich schon im Jahr 2000 mit seiner radikalen Deutung des Maskenballs mit achtzehn Jahren für mich entdeckt. Vor allem gefällt am Gran Teatre de Liceu in Barcelona für einen Skandal mir das Theatersystem und dass jede Stadt ihre eigene gesorgt, sein Don Giovanni in Hannover, seine Entführung Bühne hat. aus dem Serail an der Komischen Oper in Berlin und die M j Haben Sie als Künstler hier größere Entfaltungs­ Inszenierungen an der Stuttgarter Staatsoper haben nicht möglichkeiten als in Spanien, da das Regietheater weniger Gemüter erhitzt. einen größeren Stellenwert hat? Auf der Baseler Terrasse aber entpuppt sich der 47­Jährige C B Wir dürfen nicht vergessen, dass Spanien vierzig Jahre als nachdenklicher und tiefgründiger Mensch, als passionier­ lang unter einer Diktatur gelebt hat, die viele künstlerische ter Familienvater, vor allem aber als Theatermann mit Leib Aktivitäten unterbunden hat. Als etwa Lorca in den 20er­ und Seele. Viel lieber als über die schonungslose Bilderflut und 30er­Jahren die Klassiker auf die Bühne brachte, mach­ seiner Inszenierungen spricht er über Poesie oder europäische te er auch schon Regietheater. Mit Franco war das dann Geistesgeschichte. Er schwärmt von der spanischen Avant­ aber plötzlich vorbei und davon hat sich die Kunstszene nur garde zu Beginn des 20. Jahrhunderts, den Theaterstücken sehr langsam erholt. Dennoch gibt es heute auch in Spanien von Ramón del Valle­Inclán und Federico García Lorca, den viele talentierte Künstler. surrealistischen Filmen von Luis Buñuel – allesamt Inspirati­ M j Sie waren damals noch ein Kind. Wie haben Sie onsquellen für seine Arbeit. An der Bayerischen Staatsoper selbst die Franco­Diktatur erlebt? stellt sich Calixto Bieito mit Beethovens Fidelio vor, und C B Ich erinnere mich nur an wenige Dinge, etwa dass wir wenn er sich an diese – wie er es nennt – „heilige Kuh“ wagt, eine Woche Ferien hatten, als Franco starb. Und ich erin­ ist er sich seiner Verantwortung durchaus bewusst und sieht nere mich, dass man auf der Straße spüren konnte, dass die diesem Debüt mit größtem Respekt entgegen. Leute Angst hatten. Die Generation meiner Eltern hat jahr­ M a x j o s e p h Herr Bieito, Sie leiten das Teatre zehntelang unter der Diktatur gelebt und das prägt natür­ Romea in Barcelona und das Fàcyl Festival in Sala­ lich ein Land und eine Gesellschaft. Unter Franco sollten manca, es fällt aber auf, dass Sie fast mehr in Mittel­ europa und nicht zuletzt im deutschsprachigen Raum 3 6 sich die Leute zum Beispiel ein Haus eher kaufen als mie­ inszenieren als in Spanien. Woran liegt das? 3 6 ten, denn wenn man etwas besitzt, hat man auch etwas zu

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interview Florian heuriCh FotograFie naCho alegre

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INTERVIEW

kenball in Barcelona etwa habe ich zum ersten Mal die Äs­ thetik der Transición auf die Bühne gebracht und ich war total überrascht, dass das einen so großen Skandal verur­ sacht hat, dass die Vorstellung unterbrochen wurde und die Leute geschrien und gestritten haben. Aber letztlich hat das eine Diskussion in Gang gesetzt und so die Türen für andere Regisseure geöffnet. Als später Peter Konwitschny kam, fand man den im Vergleich zu mir gar nicht mehr so schlimm. Natürlich möchte ich, dass meine Inszenierungen dem Pub­ likum gefallen. Ich glaube, auch Fassbinder hat einmal ge­ sagt: „Ich möchte geliebt werden.“ Aber manchmal ist das eben nicht möglich. M J Sie suchen also nicht vorsätzlich die Provokation? C B Ich fühle einen großen Drang, mich als Mensch und als Künstler auszudrücken, all meine Emotionen in eine Insze­ verlieren und ist deshalb weniger revolutionär. Eine eigen­ nierung zu legen. Es tut mir wirklich leid, wenn sich einige artige Denkweise. Ich hatte aber eine gute, allerdings Leute davon provoziert fühlen. Andererseits kann ich mich auch extrem strenge Erziehung in einer Jesuitenschule, aber auch nicht verstellen, das wäre die Negation meiner die mir eine solide kulturelle Basis vermittelt hat. An künstlerischen Ausdrucksfähigkeit. wirkliche Zwänge und Einschränkungen kann ich mich M J Provozieren Ihre Arbeiten, weil sie Tabus bre­ nicht erinnern. P chen und diese offen auf der Bühne zeigen? M J Ende der 70er­Jahre kam die Zeit der Transición, R des Übergangs zur Demokratie. Sind Sie mit der Ver­ E C B Ich habe mich schon seit der Schulzeit sehr für die Lite­ pflichtung aufgewachsen, die Geschichte des Landes M ratur des Barock interessiert, einer Epoche voller Pessimis­ aufzuarbeiten? I mus und Zweifel an der Menschheit. Ich zweifle zwar nicht an C B Spanien ist kein Land der Diskussion. Man debattiert E der Menschheit, allein schon weil ich Kinder habe, weil ich zwar gerade darüber, ob der Stierkampf verboten werden soll R eine fantastische Frau und gute Freunde habe. Aber ich bin oder nicht, aber eigentlich nur, um über die wirklichen Prob­ E manchmal im Zwiespalt zwischen Optimismus und Pessimis­ mus. Und wenn ich die Welt dann eher pessimistisch betrach­ leme nicht reden zu müssen. In Spanien spricht man nicht gerne über die eigene Vergangenheit, anders als in Deutsch­ F te, möchte ich den Leuten einen Spiegel vorhalten und zei­ land, wo die Aufarbeitung immer ein zentrales Thema ist. I gen, wie schrecklich wir sind. Das 20. Jahrhundert ist das M J Beeinflusst die Geschichte Spaniens, aber auch D grausamste der ganzen Menschheitsgeschichte. Das ist keine Ihre persönliche Vergangenheit heute Ihre Arbeit als E Anklage, ich halte mich auch nicht für einen sehr politischen Regisseur? L Menschen. Aber diese Grausamkeit und Gewalt, die der Ge­ C B Absolut. Ich wurde in Miranda de Ebro geboren, einer I sellschaft innewohnt, die auch schon Goya gezeigt hat, er­ sehr kalten Eisenbahnerstadt in Nordspanien. Dann kam O scheint in meinen Inszenierungen. Ich finde es schade, wenn man über Details wie nackten Leuten auf der Bühne das gro­ ich mit fünfzehn Jahren nach Katalonien und ich denke, ich ße Ganze aus den Augen verliert. Im Übrigen habe ich ein habe diese Stärke und Strenge des Nordens, aber auch die Faible für den menschlichen Körper, für mich sind Körper Toleranz des Mittelmeers. Mich hat aber nicht nur das Spa­ etwas Wunderschönes. Ich möchte den Körper quasi als Ge­ nien des 20. Jahrhunderts geprägt. Ich sage immer, der erste mälde des Menschen in Szene setzen. Expressionist war Goya und diese ganze Kultur habe ich in M J Und die dunklen Seiten des Menschen? meinen Genen. C B Ich denke, es ist notwendig, dass man die Dunkelheit M J Gerade Goyas Gemälde sind voll unverhohlener zeigt. Wenn man die Dunkelheit herauslässt, hilft einem das, Grausamkeit. Im Prado werden diese Bilder bewun­ besser zu leben. dert – wenn Sie etwas ähnlich Brutales auf der Bühne M J Mittlerweile müssten Sie ja darauf vorbereitet zeigen, provoziert das einen Skandal. sein, dass viele Ihrer Arbeiten kontroverse Publi­ C B Wahrscheinlich weil ich jünger bin. Das ist alles eine kumsreaktionen hervorrufen. Wie fühlt man sich, Frage der Perspektive. Beim Garten der Lüste von Hierony­ wenn man nach einer Premiere vor den Vorhang tritt mus Bosch regt sich ja auch niemand über die Nacktheit und einem der Protest entgegenschlägt? und die sexuelle Perversion auf. Wenn man das aber auf der C B Manche Regisseure mögen es darauf anlegen, ich fühle Bühne zeigt, ist es ein großer Skandal. Das liegt daran, dass mich aber auf keinen Fall wohl dabei. Ich habe da einen man im Theater weniger Distanz dazu hat. kleinen Trick: Bevor ich raus muss, denke ich immer an M J Können Sie verstehen, warum Ihre Inszenie­ meinen Vater, der vor einigen Jahren gestorben ist. Das hilft rungen oftmals als so skandalös empfunden werden, mir, ruhig zu bleiben. oder verwundert es Sie? M J Gerade in der spanischen Kultur ist das Element C B Ich war eigentlich immer eher erstaunt. Vielleicht bin Blut oftmals gegenwärtig und diese Präsenz wird als ich sehr naiv und ich würde sagen, dass ich mir im Grunde 3 8 etwas ganz Normales empfunden, etwa im Stierkampf eine gewisse kindliche Unschuld bewahrt habe. Beim Mas­ 3 8

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der ein Gefangener der Liebe ist? Deshalb soll die Bühne oder in einigen Ritualen während der Karwoche Se­ auch ein großes Labyrinth sein, das sich immer wieder neu mana Santa. Haben solche Volksbräuche Sie geprägt? zusammenfügt, als ob man in den Kopf einer Person eindrin­ C B Tatsächlich ist die Semana Santa in Spanien teilweise gen würde, die in sich selbst gefangen ist. Das eigene Gehirn sehr grausam, vor allem in Zentralspanien. Man geißelt sich kann zum Gefängnis werden, ein Gefängnis der Angst sein. selbst und fügt sich blutende Wundmale zu. Wenn man das Solche mentalen Gefängnisse sind in unserer Gesellschaft auf der Bühne zeigen würde, wäre es wieder eine große Pro­ von größerer Relevanz als die realen Gefängnisse einer Dik­ vokation. Das Leben selbst, in diesem Fall die gelebte Tra­ tatur. Denn wir leben in einer Gesellschaft, in der jeder nur dition, kann also manchmal ein großer Skandal sein. Außer­ noch mit sich selbst beschäftigt ist und den anderen gar dem sind zum Beispiel die Osterprozessionen in Sevilla eine nicht mehr beachtet. Man redet, aber hört nicht mehr zu. Ich einzige große barocke Show. Eigentlich müssten alle Regis­ denke, Europa ist ein bisschen depressiv. seure das einmal gesehen haben, da wir heute schon fast in M J Das Ende der Oper ist eine Hymne auf die Frei­ einer Zeit des Neobarock leben. heit. Gibt es diese Freiheit wirklich oder ist sie nur M J Ihre letzten Arbeiten, etwa der Stuttgarter Par­ eine Utopie? sifal oder die Performance Stemmer, die beim Bergen C B Mir persönlich gibt die Kunst eine große Freiheit. Des­ Festival und auch in Salamanca gezeigt wurde, wir­ halb verstehe ich Fidelio am Schluss auch als einen großen ken weitaus poetischer als frühere Inszenierungen. Gesang über die Kraft der Kunst, sich frei zu fühlen. Die Sind Sie ruhiger geworden? einzige Zufluchtsstätte für uns westliche Menschen, wo wir C B Nein, ruhiger nicht. Auch Parsifal beinhaltet viel Ge­ ein bisschen rebellisch sein können, ist doch die Kunst. An­ walt, wenn auch eine weniger offensichtliche, eher unter­ schwellige. Ich verstehe das Stück als Suche nach einer Re­ P sonsten sind wir ja alle ziemlich angepasst und gleich. Beet­ ligion, die nicht existiert. Die Reise des Menschen ist eine R hoven selbst hat einmal gesagt, die Kunst bringe Freiheit Reise vom Nichts ins Nichts. Ich weiß nicht, ob ich poeti­ E und Fortschritt. M J All das hört sich tatsächlich danach an, dass scher geworden bin, aber vielleicht bringt es das Alter mit M Calixto Bieito viel poetischer und weniger brutal ge­ sich, dass ich nachdenklicher geworden bin. Stemmer ist bei­ I worden ist ... spielsweise eine Hommage an Leute, die ich verloren habe. E Seit ich ein Kind war, hatte ich immer wieder Kontakt mit R C B Jedenfalls ist es ein eher philosophischer Ansatz, das dem Tod. Ein Freund von mir starb, als ich sieben oder acht E stimmt. Und Denkanstöße und Assoziationen zu Fidelio gibt mir etwa auch Luis Buñuels Film Das Gespenst der Freiheit. Jahre alt war, meine beste Freundin starb mit zwanzig, spä­ M J Aus diesem Film stammt auch die berühmte ter habe ich meinen Vater verloren. Der Tod war mir also F Szene einer Tischgesellschaft, die zwar heimlich und immer sehr nahe. Ich mag auch das Buch Über den Tod von I hinter verschlossenen Türen isst, sich aber öffentlich Elias Canetti sehr. Der Tod ist ein Thema, das mir nicht aus D zum gemeinsamen Toilettengang trifft – heute ein dem Sinn geht. E Klassiker. Als Sie dasselbe Bild in der schon ange­ M J Auf Ihrer Webseite schreiben Sie, dass das Thea­ L sprochenen Maskenball­Inszenierung zitierten, führte ter Ihnen eine mentale Freiheit gegeben habe, die Sie I es fast zum Abbruch der Vorstellung ... sich vorher nie hätten vorstellen können. Wie ist das O C B ... weil in Spanien die Oper lange Zeit ein soziales Event zu verstehen? zur Unterhaltung der Mittel­ und Oberschicht war. Und nun C B Ich probe wahnsinnig gerne – mit Sängern, mit Schau­ bekam man etwas zu sehen, das mit der Tradition brach und spielern, mit dem Chor. In einer Probensituation fühle ich nicht mehr nur unterhaltsam war. Das führte zum Skandal, mich komplett frei, alles Mögliche auszutesten. Eine sehr obwohl ich das gar nicht beabsichtigt hatte. Ich denke, der konservative Sängerin hat mir einmal gesagt: „Ich mag die wirkliche Skandal in meinem Land ist aber, dass heute die Oper so gerne, weil ich dort so viele Liebhaber haben und so Kultur nicht genügend unterstützt wird und dass schon bei oft sterben kann, wie es im Leben nie möglich wäre.“ Dieser der Erziehung vieles im Argen liegt. Satz hat sich mir eingeprägt, weil es mir genauso geht. Ich habe die Möglichkeit, verschiedene Sachen auszuprobieren und an Grenzen zu gehen. Ich kann das Kind in mir freilas­ Florian Heurich konnte bei diesem Interview seinen beiden journalis­ sen. Auf den Proben habe ich großen Spaß und lache viel. Es tischen Vorlieben frönen: der spani­ ist eine Situation, wo es kein Nein gibt, immer nur ein Ja, schen und lateinamerikanischen Kultur und der Oper. Er schreibt eine Situation der totalen Freiheit. und produziert Reportagen und M J Freiheit ist auch das Thema von Fidelio. Es geht Radiofeatures für BR­Klassik so­ wie das Online­Format Opern.TV dort um Willkürherrschaft, Diktatur und Unterdrü­ der Bayerischen Staatsoper. ckung. Die Oper spielt auch noch in Spanien. Passt Fidelio das Stück also perfekt zu Ihnen und Ihrer Weltsicht? Oper in zwei Akten C B Es soll keinesfalls eine Inszenierung über ein reales Re­ von Ludwig van Beethoven gime werden. Ich möchte vielmehr ein großes Poem über die Premiere Freiheit des Geistes machen, über das Gefängnis und die am 21. Dezember 2010 Befreiung der Gedanken. Wie geht es einer Person, die ein 3 9 Weitere Termine Gefangener der eigenen Ideen ist? Zum Beispiel jemandem, 3 9 im Spielplan ab S. 90

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In einem Kapitel seines filmischen Essays Imitations of Life porträtiert der kanadische Filmemacher Mike Hoolboom die frühe Kindheit seines Neffen Jack.

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In der Vergangenheit konnten nur Könige und Königinnen ihr Porträt malen lassen und die Unzufriedenheit mit der Welt drückte sich aus in der Sehnsucht nach einem anderen, freundlicheren Ort. Heute kann jeder sein Porträt bekommen und die Unzufriedenheit zeigt sich nicht in der Sehnsucht nach einer anderen Welt, sondern in dem Verlangen, die eine zu reproduzieren. Das Bedürfnis nach Erfahrungen hat sich verwandelt in das Bedürfnis, Bilder herzustellen.

obwohl er nicht sicher ist, ob dieser sorgsam geplante UnSechs Monate nach seiner langen Reise in diese Welt terricht so aufgenommen wird wie erhofft. er fährt weiter nimmt Jack seinen Platz im Hochstuhl ein. obwohl Repround weiß besser als jeder von uns, dass wir sind, was wir duktion sein Geburtsrecht ist, verblüfft ihn ein seltsames vergessen, dass wir deshalb so gern in der Natur sind, weil Geschöpf mit Glasaugen und einem Motor anstelle des sie keine Meinung von uns hat, und dass es einen Weg zur Herzens. Monatelang existierten ausschließlich Geräusche Hölle gibt, sogar von den Himmelspforten aus. Am ende und nun gibt es nur bilder. er hat keinen silbernen löfdes Tages, als das letzte lächeln aus seinem Gesicht verfel, sondern einen aus rostfreiem Stahl. Dieser ist für ihn schwunden ist, dreht er sich zu mir und flüstert: „es ist Waffe und Hilfe zugleich, ein Gefährte für Wunder. Hier nicht leicht, drei zu sein.“ zeigt er eine seiner größten begabungen – alles, was er * sieht, sieht er zum ersten Mal. einen Moment! ... er entim Museum bestellt er Dinosauriereier. er isst sie mit gedeckt etwas am Fenster, aber als ich schaue, ist da nichts. schlossenen Augen und verweigert die Gegenwart, so wie Was er sieht, ist eine Zukunft, die ihm allein gehört. Und andere um ihn herum die Vergangenheit verweigert haben. die allein er sich vorstellen kann. er weiß, dass die erinnerung noch kein Verbrechen ist, * dass alles um ihn herum verschwindet und sich selbst verJacks Gesicht ist ein Spielplatz der bedeutungen. Noch gisst. Später führt er mich zu einem eisstand und fragt ohne die feste Maske der Persönlichkeit, wischt er glücksich mit dem blick in die kamera, ob ich mich ohne sie an lich ein Selbst nach dem anderen weg. er hat noch nicht irgendetwas erinnern kann. Während er die eiswaffel aufgelernt, dass das Gesicht die erste Verteidigungslinie ist, isst, fragt er, ob Politik jemals ein Ausdruck von liebe der Grenzposten der Seele, die vor den Augen Fremder sein kann. geschützt werden muss und vor jedem, der es wagt, zu ihm * von liebe zu sprechen. Jacques lacan sprach vom Spiegeleinen Monat vor seinem fünften Geburtstag nimmt Jack stadium als Trauma und katastrophe – es ist der Moment, mich mit hinaus aufs Meer. er deutet auf die konstellation in dem ein kind aus frühesten erinnerungen und elektrider lichter und zeigt mir, wie hier das Gesicht des Nachtschen impulsen sich erstmals als ein körper, als eine Perhimmels nachgebildet wurde – und dass der Himmel doch son wahrnimmt. Aber Jack ist die Verlockung französinicht so weit entfernt ist. scher Psychologie gleichgültig, sein Spiegelstadium wird selbst gespiegelt. er ist ein kind der Wiedergabe und der Nachahmung. in jedem Moment, in jedem Augenblick erscheint er als ein anderer. er ist eine Arche Noah an Persönlichkeit, ein lebender Zoo, ein Wörterbuch. Text und Bild: Mike Hoolboom * Übersetzung: Petra Apfel im Frühling erscheint er in einem Strom von licht, sein Helm soll ihn vor den unaussprechlichen Gefahren schütMike Hoolboom: Imitations of Life, 75 minutes, video, Canada 2002. Director, Writer, DOP, Sound: Mike Hoolboom. zen, die nur er meistern kann. Als Teil seiner Übung in 4 2 Producer, Der Film ist in voller Länge zu sehen auf: erkenntnis wird jede Straßenkreuzung zum Abenteuer, 4 2 http://www.doc-air.com/mov_detail.phtml?mov_id=2133

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Wie Кinder Freiheit denken „Spiel Oper“, „Spiel Ballett“ und „Spiel Konzert“ heißt eine Reihe von Workshops für Kinder, in denen sie die Arbeit an der Staatsoper kennenlernen. Nach einem solchen Workshop zu Ein Heldenleben von Richard Strauss sprechen die jungen Teilnehmer mit der Münchner Künstlerin Ruth Geiersberger über Musik und Freiheit. Wir geben die Sprachmelodie ihrer Unterhaltung mit tyografischen Mitteln wieder – als gedrucktes „Hör Spiel“.

Es denken: Leo, 11 Marlen, 10 Johannes, 10 Thomas, 12 Paul, 12 Theresa, 11 Lisa, 11

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L E O Also ich finde ja es braucht mehr „ J U G E N D F R E I H E I T “ das heißt dass man nicht immer nur zu Hause sitzen und über seinen Hausaufgaben brüten soll sondern dass man rausgehen darf und was mit seinen Kumpeln machen kann M a x j O s E p h Ist das jetzt ein Stück Freiheit für dich, hier in der Oper einen Vormittag mit dem Werk Ein Heldenleben zu verbringen, oder – ganz ehrlich – haben die Eltern gesagt: „Leo, geh da mal hin, das ist gut für die Bildung“? L E O meine Oma hat mir das ermöglicht D I E weiß dass mir so was gefällt und ich bin ganz freiwillig hier ist also schon ne Jugendfreiwilligkeit für mich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . sozusagen M j Seid ihr denn freiwillig gekommen? M a r L E n also ich war beim Johannes zum Geburtstag eingeladen und die Mama und ich wir schauen uns immer so die Ferienprogramme durch und ich mag Musik und dann hat die Mama mir vorgeschlagen das könnte ich dem Johannes doch schenken j O h a n n E s mir macht das echt immer Spaß zu solchen Opern zu gehen ich war schon auf nem Witney-Houston-Konzert – das ist ne Sängerin meine Eltern mögen Klassik und ich höre auch gern Pop also ich mag B E I D E S M j Warum macht es Spaß, Musik zu hören? j O h a n n E s wenn ich so in die Kirche gehen muss – Weihnachten oder Ostern – dann ist das ein bisschen langweilig die reden zu viel wenn die Musik dazukommt ist es schon besser ThOMas das ist einfach beruhigend da kann man sich richtig entspannen p a u L bei der Musik ist das auch unterschiedlich zu anderen S a c h e n weil bei der Musik da weißt du meistens nicht wie es weitergeht und das ist spannend M a r L E n wie mit nem Buch da weiß man auch nicht wie es weitergeht LEO bei mir ist aber auch die äußere Form wichtig also der Raum wenn du mit kalten Füßen dahockst dann ist das nicht so prickelnd jOhannEs und man muss die Musik mögen! wenn nicht dann langweilt man sich halt und man friert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . das ist beim Popkonzert genauso M j Ich habe ja bei mir die Erfahrung gemacht, je besser ich etwas kenne, desto mehr Spaß macht es mir, mich damit zu beschäftigen.

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WIE Bei „Spiel Oper“, der Opernwerkstatt für Kinder, inszenieren die Teilnehmer Aufführungen nach, die gerade an der Staatsoper gezeigt werden. Beim nächsten Termin von „Spiel Oper“ geht es am 19. Dezember 2010 um den großen Publikumserfolg L’elisir d’amore. Das nächste „Spiel Ballett“ findet am 22. Januar 2011 statt. Die teilnehmenden Kinder werden sich mit den Charakteren aus Dornröschen beschäftigen.

K INDER

FREIHEIT

DENKEN

M a r L E n aber manchmal mag man gerade das was man nicht kennt S–O–F–O–R–T als ich das erste Mal afrikanische Musik gehört habe mochte ich das gleich ich hab dann nicht gedacht H was ist denn das sondern T O L L was Neues U H C das hört sich gut an T h O M a s und bei mir als ich angefangen habe Cello zu spielen da war ich erst noch ein bisschen . . . . . . . . . so beinahe verängstigt und dann nach ein paar Wochen . . . . . . . da hab ich mich richtig reingesteigert . . . . . . und dann hat’s mir total gefallen und ich hab immer weitergespielt weil’s so schön war M j Gehen wir doch noch mal zu der Musik zurück, mit der ihr euch heute beschäftigt habt, Ein Heldenleben von Richard Strauss. War Herr Strauss wohl ein freier Mensch? L i s a ja der war sicher frei seine Mutter hat ihm wahrscheinlich eh nicht gesagt „Jetzt schreibst du was über einen Helden, Junge“ sondern der hat das Komponieren bestimmt aus seiner Freiheit heraus gemacht M j Und der Held, den er in seinem Stück beschreibt, habt ihr das Gefühl, der war frei? hm

ja

jaaa

na ja

doch J A

ja? na ja

hmmmmm

T h O M a s ich hab nicht so das Gefühl weil die Soldaten die müssen trainieren ihre Pflicht erfüllen die können nicht sagen bei dem Krieg will ich jetzt mitmachen und bei dem Krieg nicht ThErEsa oft ist es ja so – bei der Geschichte und im Allgemeinen – dass man nicht ganz frei ist weil man ja E R W A R T U N G E N erfüllen muss

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man könnte Nein sagen aber dann wäre man gegen sich selbst der Verlierer man ist oft eigentlich frei und dann ist man’s eigentlich doch nicht M j Kann man als Held frei sein? p a u L also der Held im Stück war schon drin in dem Krieg – den musste er führen viele von den Leuten die berühmt werden die werden auch immer gedrängt von den Fans die müssen neue Lieder machen die müssen auftreten das ist ja wahnsinnig anstrengend T h O M a s aber !!! er hatte ja doch noch Zeit für seine Frau und in der Zeit war er ja frei ThErEsa ein bisschen frei konnte er sein L E O er war schon ein freier Mann ich weiß, dass er sich dann zurückgezogen hat in irgendeinen entlegenen Winkel – seine f r e i e Entscheidung wenn er nicht f r e i gewesen wäre dann hätte er bleiben müssen schon wegen seiner Fans ABER er hat sich echt zurückgezogen M j Ich habe euch vorhin beobachtet, wie ihr kleine Stücke komponiert, improvisiert, gespielt habt. Ursula (Ursula Gessat ist Musiktheaterpädagogin an der Bayerischen Staatsoper. Sie leitete das „Spiel Konzert“ zu Strauss’ „Ein Heldenleben“.) hat euch Themen gegeben und dann habt ihr in ganz kurzer Zeit schöne kleine musikalische Impressionen erfunden – das klang ganz frei!

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FOTOGRAFIE EBERLI MAnTEL

Ruth Geiersbergeer ist Performerin, Schauspielerin, Sprecherin und macht Körperarbeit (Feldenkrais), sie unterichtet an der Akademie der Bildenden Künste und am Institut für Theaterwissenschaft in München. Beim Bayerischen Staatsballett betreute sie 2010 das Projekt Anna tanzt. Mehr über Ruth Geiersberger auf S. 6.

T h E r E s a das ist schon richtig was Sie sagen aber es war auch S C H W I E R I G erst mal Ü B E R H A U P T eine I D E E zu bekommen … WAS soll man denn jetzt überhaupt anfangen mit den ganzen Instrumenten ? ? ? ? ? M j Wenn keiner da gewesen wäre, der euch die Musik, die Instrumente, die Thematik vorgestellt hätte, was hättet ihr gemacht? M a r L E n hmmmm ich denke jeder hätte einfach auf ein Instrument gehauen und dann wird’s echt laut!!! das wäre ein völliges Durcheinander gewesen L i s a wir wussten ja eigentlich nichts von dem Stück womit wir uns befassen sollten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ich glaube auch jeder hätte sich irgendwas genommen hätte sich irgendwie alleine damit beschäftigt und es wäre keine Gruppengemeinschaft entstandenW–Walso ich find das Projekt toll dass man die Möglichkeit bekommt was Neues SO kennenzulernen M j Bekommt man mehr Freiheit, wenn man einfach mehr weiß? T h E r E s a na ja ? sagen wir mal so es war einfach gut jemanden zu haben der einem was erklärt der Hinweise gibt wie man auf den Instrumenten spielen kann – sonst wäre es einfach nur so Krach – und das wird dann ganz schnell langweilig pau L E S GIBT JA VERSCHIEDENE MENSCHENTYPEN der eine hätte sich vielleicht irgendwo hingesetzt hätt drauf rumgeschlagen hätt das dann einfach durchgezogen der andere hätt halt ein bisserl mehr überlegt wär schüchterner mit den Dingen umgegangen jOhannEs das wäre ein ziemliches Chaos geworden mit den Zetteln die wir nun bekommen haben auf denen das Thema stand war man zwar zunächst unfrei aber andererseits wusste man auch mehr was man machen könnte M j Hattet ihr durch die Regeln und Vorgaben mehr Freiheit? LEO ja das ist TOTAL merkwürdig Musik kennt keine Grenzen man meint dass Freiheit das Tollste ist auf der Welt !! aber wenn man dann plötzlich total f r e i ist ???????????? phhhhuuuuuuuuuuuuuuu seuuuufz man hockt sich irgendwo in die Ecke und weiß nicht mehr was man tun soll das ist wahnsinnig komisch also man hatte schon am Anfang ein bisschen die Panik wie soll man das bitte hinkriegen und dann wenn man es geschafft hat ist man schon s t o l z auf sich M j Fühlt ihr euch jetzt nach diesem Workshop ein bisschen freier? L i s a ich hab jetzt das Gefühl WOW ich habe was Neues erfahren das gibt schon ein gutes Gefühl M j Wann fühlt ihr euch denn ganz und gar unfrei? ( a L L E ) HAUSAUFGABEN PFLICHTEN DIE EINEM VON DEN ELTERN AUFERLEGT WERDEN WENN MAN GAR NICHT WEISS WOMITMANERSTMAL A N F A N G E N SOLLUNDWIE MANFERTIGWERDENSOLLWENNMANGARKEINENDE MEHR SIEHT ZIMMERAUFRÄUMEN zum Beispiel M j Wenn ich mir über das Freie Gedanken mache, denke ich das Unfreie dann mit? T h O M a s na klar von Möglichkeit A wird ja gleich das Gegenteil angelockt also B M j So, jetzt entlasse ich euch aber ins Wochenende, mit viel „JUGENDFREIHEIT“. Herzlichen Dank, dass ihr mir ein wenig von eurer Freizeit geopfert habt! L E O bitte gern geschehen

... und da schwirren sie ab, aufgeregt und neugierig auf die Welt wie junge Nebelkrähen, die sich mit dem Herbstwind balgen wollen. 4 6 4 6

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FREundE

Ali Mitgutsch

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Fritz Freunde, die es nur in der Fantasie gibt, hat fast jedes Kind. den Münchner Zeichner Ali Mitgutsch retteten sie über eine leidvolle Kindheit im Krieg. Text Jörg Böckem Fotografie Max von Gumppenberg und Patrick Bienert / Colorstorm 5 9 5 9

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Es ist Anfang der 40er-Jahre, ein kleines Dorf im Allgäu. In Deutschland herrscht Krieg. Alfred, den alle Ali nennen, ist acht Jahre alt, ein eher schmächtiger Junge mit schwarzen Haaren. Er ist in München aufgewachsen, aber seine Heimatstadt hat er schon lange nicht mehr gesehen. In den Kriegsjahren ist er zusammen mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester an ständig wechselnde Orte evakuiert worden, sein großer Bruder kämpft als Soldat. Im Allgäu hat die Familie eine Bleibe gefunden, drei Jahre werden sie dort verbringen. Alis beste Freunde heißen Bimbo und Fritz. Bimbo ist etwas dick, aber auch groß und stark, er hat wuscheliges, dunkles Haar. Fritz ist spitznasig und eher klein, ein pfiffiger Bursche, dem immer die besten Ausreden einfallen. Nachmittags verbringt Ali beinahe jede freie Minute mit den beiden, zusammen erleben die drei Abenteuer. An den Lechauen hat er sich ein Baumhaus gebaut, verborgen vor den Blicken der Dorfkinder. Die mögen ihn nicht, den Stadtjungen, der so ganz anders ist als sie. Vor allem seit der Lehrer in der Dorfschule sich Ali als Opfer ausgeguckt hat und den Jungen nach Kräften demütigt. Die Schulkinder machen begeistert mit. Freunde hat er nicht, nicht an der Schule, nicht im Dorf. Aber Ali hat Bimbo und Fritz. Nach der Schule gehen die drei auf große Fahrt: Mit einer selbst gebauten Dampflok erkunden sie fremde Länder. Länder, die nur in Alis Vorstellung existieren. Wie die Dampflok, wie seine beiden Freunde Bimbo und Fritz. „Damals habe ich mich immer mehr aus der Realität zurückgezogen“, sagt Ali Mitgutsch, der heute 75 Jahre alt ist und als Erfinder der „Wimmelbücher“ einer der erfolgreichsten Kinderbuchzeichner und -autoren Deutschlands. „Ich hatte keinen Kontakt zu Gleichaltrigen, wurde von den anderen Kindern nur schikaniert. Ich wäre gern dabei gewesen, wenn sie herumgetobt sind und Streiche ausgeheckt haben,

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FREUNDE

aber die ließen mich nicht. Also lebte ich fast nur in meinen Träumen.“ Bimbo und Fritz sind immer da, wenn sie gebraucht werden. Bimbo übernimmt die Rolle des abwesenden großen Bruders. „Er hat mich gegen die Unsympathen

verteidigt“, sagt Mitgutsch. „Ich habe mir dann vorgestellt, dass er denen eine reinhaut, dass es sie umhaut, die Böschung hinunter, das war schön.“ Die Fantasiereisen, die ersponnenen Abenteuer und vor allem die imaginären Freunde Bimbo und Fritz waren damals überlebenswichtig für den kleinen Ali. „Sie waren eine Reaktion auf einen schrecklichen Mangel“, sagt Mitgutsch. „Ich war unsicher, ängstlich und oft einsam. Mit Bimbo und Fritz war ich nicht mehr allein, ich habe mich sicher und geborgen gefühlt.“ Ohne die beiden wären die Demütigungen, Schikanen und die Einsamkeit kaum zu ertragen gewesen. War ihm bewusst, dass die beiden nicht real waren? „Schon“, sagt Ali Mitgutsch. „Aber was bedeutet schon Realität? Da ich damals den größten Teil des Tages in meinen Träumen zugebracht habe, spielte das für mich keine Rolle.“ Nach einigen Jahren, Ali Mitgutsch war ungefähr zehn Jahre alt, war die Zeit mit Bimbo und Fritz vorüber. „Ich spürte, dass ich mich von meinen Freunden verabschieden muss“, sagt Mitgutsch. „Ein schrecklicher Ver6 0 6 0

lust, ich habe viel geweint und war tagelang todtraurig. Aber ich wusste, es muss sein. Später hat mir ein befreundeter Psychiater erklärt, wie wichtig dieser Abschied war. Anderenfalls hätte ich möglicherweise den Bezug zur Realität verloren und wäre in eine irreale Welt abgerutscht.“ Nach seiner Rückkehr nach München fand Ali Mitgutsch reale Freunde und Freundinnen. Heute profitiert er von seiner reichen Vorstellungskraft, Motive seiner damaligen Tagträume sind immer wieder in seine Arbeit eingeflossen. Bimbo und Fritz allerdings hat er nie gezeichnet. Imaginäre Freunde, eine fantastische Innenwelt – was Ali Mitgutsch als Kind erlebt hat, ist keine Ausnahme. Die Psychologin Stephanie Carlson wies in einer Studie der Universität Washington nach, dass von den befragten 100 Kindern im Alter von sieben Jahren jedes dritte einen oder mehrere – in einem Fall waren es sogar 13 – imaginäre Spielkameraden hatte. In der fantasievollen Ausgestaltung dieser Freunde gab es für die Kinder so gut wie keine Grenzen: Neben menschlichen Spielkameraden tummelten sich sprechende Tiere in allen Größen, Formen und Farben, Fabelwesen, belebte Spielzeuge oder Gegenstände – was immer in der realen Welt das Interesse der Kinder fand, wurde in die Fantasie transformiert. Der Münchner Entwicklungspsychologe und Frühpädagoge Hartmut Kasten ist davon überzeugt, dass die Zahl der Kinder, die sich zeitweise mit imaginären Freunden oder belebten Gegenständen umgeben, in Wahrheit noch höher ist. „Die Existenz innerer Welten und Personen ist schwie rig nachzuprüfen“, sagt er. Nicht alle Kinder können oder wollen darüber Auskunft geben, manchmal sind diese Freunde auch etwas sehr Privates, das die Kinder für sich behalten und schützen wollen. „Ich denke, dass diese Innenwelten bei fast allen Kindern existieren.“ Anders als Bimbo und Fritz sind imaginäre Freunde nicht grundsätzlich aus der Not geborene Überle-

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IMAGINÄRE

FREUNDE

Manchmal sind diese Freunde etwas sehr Privates, das die Kinder für sich behalten und schützen wollen. benshelfer. Sie sind ein natürlicher und wichtiger Schritt in der kognitiven und emotionalen Entwicklung eines Kindes und haben positiven Einfluss auf die Ausbildung von Kreativität, Abstraktionsvermögen und Sprachkompetenz. Zwei Entwicklungsschübe in der Hirnphysiologie ermöglichen Kindern die fantastische Ausgestaltung ihrer Innenwelt. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres fangen sie an, ihr eigenes Ich zu entdecken, zu begreifen, dass das Kind im Spiegel sie selbst sind. In dieser Zeit beginnt die Ausdifferenzierung des Selbstkonzeptes, die Kinder beginnen, zwischen Ich und Du, zwischen Sein und Schein unterscheiden zu lernen. Der nächste, für die Ausgestaltung innerer Welten vielleicht noch wichtigere Reifungsschub setzt gegen Ende des vierten Lebensjahres ein. Jetzt lernen Kinder, dass sich ihre eigene Innenwelt und die der Personen im nächsten Umfeld unterscheiden. Sie begreifen, dass die Stimmung der Mutter vollständig verschieden von ihrer eigenen sein kann, dass sie Traurigkeit oder Freude auch vorspielen können. In dieser Zeit entwickeln Kinder zunehmend diebisches Vergnügen an kleinen Mogeleien oder großen Fantasiegespinsten, an Rollenspielen, am Tun-als-ob. Die große Zeit der imaginären Freunde beginnt. „Kinder haben grundsätzlich unglaublichen Spaß daran, neu gewonnene Kompetenzen und Fertigkeiten immer und immer wieder zu üben, auszudifferenzieren und anzureichern“, sagt Hartmut Kasten. „Wie ein Schneeball, der größer wird, wenn man ihn rollt, verbessern Kinder durch die Ausgestaltung innerer Welten und Personen ihre Kreativität und kognitiven Fähigkeiten.“ Kasten hat selbst einige Jahre seine Wohnung mit einem unsichtbaren Mitbewohner geteilt. Er hieß Alok und war der imaginäre Spielkamerad seiner Tochter. „Meine Tochter ist ein Einzelkind, aber sie ist nicht isoliert aufge-

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wachsen, hatte immer Freundinnen und eine Hausschwester“, sagt Kasten. „In den Phasen, in denen sie allein war, hat sie sich häufig mit Alok beschäftigt. Aber auch beim Spielen mit ihrer besten Freundin war er oft wie selbstverständlich dabei.“ Alok war ein ziemlicher Rabauke. Er musste herhalten, wenn sie etwas angestellt hatte, wenn beim Spiel ein Glas Milch verschüttet wurde oder etwas zu Bruch ging. „Das war ich nicht, das war der Alok!“, hieß es dann und der Freund wurde empört ausgeschimpft. In Ermangelung eines Bruders oder einer Schwester, dem bzw. der sie die Schuld in die Schuhe schieben konnte, musste eben Alok als Sündenbock herhalten. Kinder sind sich durchaus bewusst, dass es sich bei ihren imaginären Freunden um Fantasiegestalten handelt. Das schmälert nicht ihre Bedeutung und ihren vielfältigen Nutzen: Sie sind Verbündete, Sündenböcke, liefern Argumente, Ausreden, Entschuldigungen, Unterstützung und Trost. Mit ihrer Hilfe können sich die Kinder ausprobieren, schwierige Situationen üben oder den Alltag aus einer neuen Perspektive erleben – der imaginäre Freund traut sich oft Dinge zu, die sie selbst schrecken, hat Fähigkeiten, die ihnen fehlen. Er ist Projektionsfläche für Sehnsüchte und Bedürfnisse, kann aber auch anstrengend oder nervtötend sein und so die Konflikt- und Belastungsfähigkeit eines Kindes fordern – wie reale Spielkameraden eben auch. Oder – wie Bimbo und Fritz – helfen, die seelische Gesundheit zu bewahren. „Dass es Ali Mitgutsch gelungen ist, mithilfe seiner inneren Reisen und Figuren diese extrem belastete Lebensphase in der Kindheit durchzustehen und ein kreativer Erwachsener zu werden, spricht für die Kraft seiner Seele“, sagt Kasten. Die Zeit mit Alok hat Hartmut Kasten in guter Erinnerung be6 1 6 1

halten. „Wenn sich Eltern auf die imaginären Freunde einlassen, bietet das eine wunderbare Vielfalt an Interaktionsmöglichkeiten mit dem Kind“, sagt er. Jahrelang hat er sich gemeinsam mit seiner Tochter vor dem Einschlafen Geschichten rund um Alok ausgedacht, sogar eigene Figuren eingeführt. In der Regel verschwinden imaginäre Freunde im Alter von neun oder zehn Jahren, am Ende der Grundschulzeit, wenn Realität und Konkretismus im Leben der Kinder einen immer größeren Stellenwert einnehmen, neue Herausforderungen und Lernprozesse ihre Aufmerksamkeit fordern. „Ich denke, daran sind nicht zuletzt kulturelle Einflüsse und unser Bildungssystem beteiligt, die die innere Welt nach und nach in den Hintergrund drängen“, sagt Kasten. „Sonst würden die Kinder ihre imaginären Freunde möglicherweise länger bewahren.“ Im späteren Leben verblasst die Erinnerung an die imaginären Spielkameraden, auch Kastens Tochter, die heute 30 Jahre alt ist, im Ausland lebt und an einer Universität arbeitet, erinnert sich kaum mehr an Alok. Dass Ali Mitgutsch auch als Erwachsener die fantastischen Reisen und Freunde der Kindheit noch so deutlich vor dem inneren Auge sieht, ist die Ausnahme und ein Beleg für eine hohe Sensibilität und große Nähe zur eigenen Innenwelt. Davon profitiert er auch als Erwachsener, in seinem Leben und seiner Arbeit. Vielleicht hat ja Lisa Simpsons Spielkameradin Juliet recht, die sich in der Folge Die Chroniken von Equalia ein Märchenreich erträumt und behauptet: „Die Realität ist nur etwas für Menschen, die sich nichts Besseres vorstellen können.“

Jörg Böckem arbeitet als Autor, u. a. für „Die Zeit“ in Hamburg.

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Der MenschenMaler

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Ballett

Marlon Dino deb체tiert am 26. Februar 2011 als Petrucchio in Der Widerspenstigen Z채hmung.

text D orion Weickmann foto grafie Julian Baumann

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Ballett

Vom ratlosen Kind und jugendlichen Bandenmitglied in Tirana zum Publikumsliebling und solisten im Bayerischen staatsballett: Marlon Dino hat in München sein Glück gefunden. Heute hat marlon Dino leider keine Zeit. keine muße, um am Bühneneingang des nationaltheaters den elevinnen der Ballett-akademie das ersehnte autogramm in die Programmhefte zu pinseln. Dabei fachsimpeln die mädchen in allen Sprachen europas über das, was sie soeben gesehen haben: „Bellissimo, questo onegin!“ „une merveille, tous les deux!“ So schwärmen die jungen Damen und tun recht daran. Denn diese beiden, der albaner marlon Dino und die Baskin lucia lacarra, sind ein match – auf wie hinter der Bühne. Das ist der Stoff, aus dem (nicht nur) teenie-träume gemacht sind. aber heute muss marlon Dino sich sputen. Schnell die Schminke vom gesicht, den grauen Schimmer von den Schläfen gebürstet, den frack ab- und die Jeans übergestreift – und dann nichts wie zum ausgang, wo seine eltern warten und ein freund, eigens angereist aus der ferne, mit einem purpurfarbenen rosenstrauß im arm. Zum ersten mal haben die drei marlon in münchen tanzen gesehen, schweigsam stehen sie an der Pforte, während die nachwuchsballerinen ihren idolen ausgelassen entgegenfiebern. „icH lieBe DaS DeutScHe, W e i l e S S o v i e l e fa r B e n H at, DeSHalB HaBe icH eS Sofort gelernt.“

lucia lacarra wird sich ihrer annehmen und mit aller liebenswürdigkeit den Stapel Papier signieren. ihr mann ist indes entschuldigt, darf mit mutter, vater, freund schon einmal zum essen gehen und der neugierigen Besucherin nebenbei ein paar fragen beantworten. Das heißt, eigentlich platzt er schon auf dem Weg ins restaurant vor lauter mitteilungsfreude: „ich bin doch ein glückspilz hier – an diesem theater, in diesen rollen und mit dieser frau an meiner Seite!“ Sagt’s und drückt noch eben die Zigarette aus. ein laster braucht jeder mensch.

den melodramatischen tanzhelden. eindringliche augen fügen sich aufs Harmonischste in ein seelenvolles ge sicht, das aller ernsthaftigkeit zum trotz einen Hauch von vorwitzigem Bubencharme versprüht. aus dem mund perlt bestes Deutsch, um einen klitzekleinen akzent ins fremdländische verschoben, was der balkanischen Heimat geschuldet ist: „ich liebe das Deutsche, weil es so viele farben hat, deshalb habe ich es sofort gelernt.“ nicht nur das – er spricht weitere fünf Sprachen. „Sofort“ bedeutet: hier, in münchen. nicht in Wien, wo auch schon gelegenheit gewesen wäre. aber die Donaustadt ist ein düsteres kapitel, das schwärzeste in der jungen karriere. Die beginnt in der albanischen Hauptstadt tirana vor gut zwanzig Jahren. mutter und vater – sie Biologin, er tierarzt – sorgen sich um ihren Sohn. Die tochter ist nicht das Problem, die wird die Schule durchziehen und architektur studieren. aber der Junge droht im mob der metropole unterzugehen, in eine der handgreiflich rivalisierenden Straßengangs abzutauchen. „Da kommst du als Weichei nicht durch, da musst du die ellenbogen ausfahren“, erklärt Dino. Was also tun? Die mutter hat die rettende idee: Wir stecken ihn ins Ballett, da lernt er Disziplin, manieren und ja: wahre Haltung! Zwei Jahre lang tapert marlon brav in die private tanzschule, dann hat er die nase voll: „ich hatte keine lust mehr, der lehrer wollte mich mangels Begabung eh rausschmeißen, und wäre nicht der Ballettmeister von der oper gekommen, wer weiß?“ Besagter maestro aber hat einen Plan: „Du kannst ein prima Partner werden, hat er gesagt – und mir, Hänfling der ich war, eine sechzig kilo schwere tänzerin an die Seite gegeben, die ich dann tagein, tagaus durch die gegend stemmen musste.“ Binnen kurzem passiert dreierlei: Die muskeln wachsen, der hübsche marlon wird ein albanischer kindertanzstar, vor allem aber „hat es klick gemacht – von da an wusste ich, dass ich tanzen will, ganz unbedingt“.

Die mutter erkämpft ein Stipendium in genf, wo der päaber was ist das für ein mensch, dieser marlon Dino, seit dagogische feinschliff folgt. Der lehrer, David allen, der 2002 beim Staatsballett engagiert, in der letzten Spielzeit auch häufiger gasttrainer in münchen ist, arbeitet dreimal zum ersten Solisten promoviert und sofort auf einen am tag mit seinem Schützling, „um zehn, um zwei, um halb Stammplatz in der Zuschauergunst abonniert?! Wenn er acht abends“. Was im verborgenen schimmert, wird auf daherkommt, eine beeindruckende erscheinung, groß, dunkelblond gelockt von jener art, die frauenherzen höher 6 4 Hochglanz poliert: schnelle fußarbeit, dynamische Sprungschlagen lässt, wittert jedermann sofort den Danseur noble, 6 4 technik und jene allüre, die einen guten tänzer ausmacht.

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marlon

„für jede korrektur war ich dankbar, denn wenn mich einer verbessert, heißt das doch, er nimmt mich ernst!“ Solchermaßen präpariert, ergattert marlon am ende der ausbildung fünfzehn angebote, darunter offerten hochkarätiger compagnien bis hin zum new York city Ballet. er entscheidet sich für Wien, um den eltern nah zu bleiben. Der Preis für die freiheit jenseits des ozeans scheint ihm zu hoch, aber was er sich stattdessen einhandelt, ist Stillstand in absoluter unfreiheit. „ich kriegte nichts zu tun, eineinhalb Jahre lang. trainieren, rauchen, essen, das war’s – am ende hatte ich 96 kilo!“

Bleibt als rettungsanker das Bayerische Staatsballett: „ich sah eine einzige vorstellung und wusste, da will ich hin – entweder münchen oder ich hänge das tanzen ganz an den nagel!“ es dauert ein halbes Jahr, ehe ivan liška ihn unter vertrag nimmt. Prompt rackert der neuzugang, was er kann, studiert sämtliche Partien ein, auch diejenigen, die scheinbar weit außerhalb seiner reichweite liegen, getreu der maxime: „ich gebe hundert Prozent und mehr, das bin ich mir, dem chef, den kollegen und dem Publikum schuldig.“ Was wichtig ist, bleibt ihm haargenau im gedächtnis haften: „am 27. September 2003, halb acht uhr abends, habe ich erfahren: Heute tanze ich Brahms-Schönberg-Quartett von Balanchine.“

Dino

angesichts seines steilen aufstiegs flackert verwunderung, ja beinahe ehrfurcht über die Stirn des knapp Dreißigjährigen. auch die Begegnung mit lucia lacarra – „Die liebe meines lebens, das dürfen Sie schreiben!“ – ist so ein Schicksalsmoment, den er staunend beschreibt: „als ich sie das erste mal gehoben habe, hat es sich so richtig angefühlt, als würden wir seit ewigkeiten miteinander tanzen.“ „v o n c r a n k o , r o l a n D P e t i t , aucH neumeier Hät t e i c H m i r g e r n e e t Wa S a u f Den leiB ScHneiDern laS S en, a B e r i c H B i n e i n fac H Z u S Pät D r a n. “

lucia lacarra hat ihm eine Welt erschlossen, weil sie „nicht spielt, sondern iSt, ganz gegenwärtig, und jeder Blick, jede geste kommt aus ihrem inneren“. an ihrer Seite hat marlon Dino den kosmos John crankos erobert, Romeo und Julia ebenso wie jenen Onegin entdeckt, der auch vierzig Jahre nach der uraufführung keinerlei Patina aufweist. vielmehr strahlt das tanzepos jene düster irrlichternde Poesie aus, die Puschkins verse durchtränkt, wo sie den fall eines selbstsüchtigen lebemanns in den abgrund der Sinnlosigkeit offenbaren. marlon Dino kleidet diesen absturz in die unausweichliche form der todesspirale. Wenn er zuletzt im Haus tatjanas auftaucht, der einst verschmähten, die nun einem fürsorglichen gatten verbunden ist, dann erinnert sein auftritt an jene gebrochenen gestalten, die Burt lancaster in den filmen luchino viscontis verkörpert: menschen, die dem selbst verschuldeten verderben hilflos gegenüberstehen. Das kino viscontis lebt, genau wie das Werk crankos rund um den erdball Wurzeln geschlagen hat. gleichwohl ist beider historistische narration, die gattungsgeschichtlich am kräftigsten in den 60er-Jahren blühte, versiegt. Was marlon Dino betrübt: „von cranko, roland Petit, auch neumeier hätte ich mir gerne etwas auf den leib schneidern lassen, aber ich bin einfach zu spät dran.“ ein paar Jahrzehnte früher, und er wäre auch seinem großen vorbild noch begegnet – rudolf nurejew nämlich, der an einem 17. märz geboren wurde, genau wie er selbst. „nurejews geheimnis? man konnte ihn nicht lesen, er blieb in sich.“ Das ist ein kluger Satz, gesprochen von einem ebenso aufrichtigen wie stolzen, leidenschaftlichen wie liebevollen mann. Die Besucherin muss es wissen. Sie hat gesehen, mit welchen augen er seine frau betrachtet. vor und hinter den kulissen.

es ist ein glanzvolles Debüt, das immer größere frontDer Widerspenstigen Zähmung figuren nach sich zieht, die marlon Dino mit feiner akBallett von John Cranko nach William Shakespeare kuratesse porträtiert. ob eleganter Salonlöwe (armand Duval in neumeiers Kameliendame), erotisch blinkender Wiederaufnahme am 26. Februar 2011 Sklave (in fokines Shéhérazade) oder Prinz Solor, tagträumend zu füßen der Bayadère – der tanzende men- 6 5 Weitere Termine schenmaler verwandelt sie allesamt in fleisch und Blut. 6 5 im Spielplan ab S. 90

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Dorion Weickmann studierte Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und schreibt u. a. im Feuilleton von „Zeit Online“. Die Tanzexpertin hat im Campus Verlag das Buch Der dressierte Leib. Kulturgeschichte des Balletts (1580–1870) veröffentlicht. Sie lebt in Berlin.

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tina

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»Man kann den RahMen schaffen. das waR’s dann abeR auch schon«

christine schäfer ist sopranistin und hat zwei kinder, Tina Mendelsohn Moderatorin (Kulturzeit) und hat vier kinder. was tun, wenn die kinder den Musikantenstadl der Zauberflöte vorziehen, wenn die Geige in die ecke wandert? ein Gespräch über eigensinnige kinder, peinliche Mütter, über das fördern, fordern, Überfordern und das einfach-machen-Lassen.

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Ge sPräch

sei sowieso der Zug abgefahren, ist furchtbar. das T i n a M e n d e l s o h n sie kommen aus einer ist ja das äquivalent zu: Wenn ich nicht in den ers­ metzgerfamilie und haben eine nonnenschule be­ ten drei lebensjahren meiner Kinder ganz, ganz viel sucht. War musikalische früherziehung ein thema? Zeit mit ihren verbringe, dann werden die dumm und C h r i s T i n e s C h ä f e r meine mutter ist Pfarrers­ landen in der Gosse. tochter, da kam die Kirchenmusik her. mein Vater pfeift C s Und das Gegenteil ist ja der fall. Kinder interessieren enorm schön, da spürt man, er ist ein extrem musikalischer sich doch gar nicht besonders für einen, finde ich! mensch. damals war es üblich, dass Kinder ein instrument T M haben sie das Gefühl, dass musikalische früh­ lernen. ich habe mich sehr mit Klavier gequält, dann habe förderung etwas bringt? ich cello gespielt, aber mit zwölf erst anzufangen, war zu C s ich selbst habe das sehr genossen, wir hatten allerdings spät. musiker werden ist eine Qual, das kann man keinem auch einen schulchor, in dem wir Bruckner und solche Kind zumuten, es sei denn, es macht das aus eigenem an­ sachen gesungen haben. es ist ein ganz tolles erlebnis, im trieb und freiwillig. chor zu stehen und all die unterschiedlichen stimmen zu T M Woher kam bei ihnen diese freude an der musik? hören, das ist auf jeden fall bewusstseinserweiternd. ei­ C s ich hatte immer ein faible für klassische musik. auch gentlich machen Kinder aber sowieso alles richtig. an der für außergewöhnliche musik. Wie alban Berg und stra­ schauspielschule gibt es eine Übung, bei der man durch den winsky, aber auch frank Zappa. alles, was ein bisschen an­ raum rennt und sich dabei nicht anrempeln darf. nichts strengender war, hat mich interessiert. dazu haben meine anderes machen doch Kinder jeden tag auf dem schulhof. eltern nichts beigetragen, ich weiß nicht, wie ich an diese auch beim Gesangsunterricht: Kinder machen alles richtig musik geraten bin. beim singen. T M ich habe zuerst Blockflöte gespielt, danach klas­ T M ich habe gelesen, sie haben in Paris die ganze sische Gitarre und habe dann so lange nicht geübt, Klasse ihrer Kinder zur Probe eingeladen? dass meine eltern gesagt haben: „Wir hören auf.“ ich C s Ja, als meine Kinder dort zur schule gegangen sind, war darüber sehr froh. Bei meinem ältesten, dem haben wir das gemacht. ein paar eltern haben sich bedankt, Kind, an das man ja immer besonders hohe erwar­ die Kinder haben aber nur vom Kronleuchter gesprochen, tungen hat, war es für mich selbstverständlich, dass von mehr nicht. die sehen einfach anders. in den seltensten er auch Blockflöte lernt. es stellte sich aber heraus, fällen ist da eine erinnerung. ich finde wichtig, dass eltern dass er gar nicht so musikalisch ist! meine Zweite ihre Kinder mal mit in die abendvorstellung nehmen und ist sehr musikalisch, allerdings faul. mein mann sagt dann einfach am nächsten morgen schulfrei machen. dann dann: „ach komm, ich hab genug, wir lassen das ist das thema positiv besetzt. jetzt.“ Und ich denke: nein, wir haben jetzt sieben T M Und wie machen sie das mit ihren Kindern? Jahre Klavier gespielt, wir machen weiter. Und dieses C s die nehme ich mit zur Generalprobe. das schauen sie Weitermachen zahlt sich dann auch aus: Plötzlich übt sich rasend gerne an – und je konservativer die inszenie­ sie wieder. rung, desto besser finden sie es. C s meine komponieren am computer. da sitzen sie, fum­ T M in london hat musikausbildung ganz stark mit meln sich ihre Popsongs zusammen und singen da rein. das einem Klassenbewusstsein zu tun. in vielen Privat­ ist eine etwas autarkere möglichkeit. ich kümmere mich schulen gibt es eine tolle ausbildung, in den staatli­ extrem darum, dass sie guten Pop hören. ich fange bei den chen schulen ist das alles charity. in deutschland alten sachen an und die neuen besorge ich mir dann von sollen auch Kinder aus hartz­iV­familien in den meinem jungen Kindermädchen. sie ist mit ihren 26 Jah­ Genuss der hochkultur kommen. Was halten sie von ren ja auf dem neuesten stand und hat einen sehr guten frau von der leyens initiative mit dem musikunter­ Geschmack. Und das ist mir schon wichtig. Wobei die richt auf Karte? Kinder neulich den anfang vom Musikantenstadl mitbe­ C s ich finde die idee wunderbar, aber ich finde nicht, kommen haben ... dass man der familie direkt den Gutschein geben sollte. T M Wie schön! eine familie, die gestresst ist, kann so etwas nicht leis­ C s ... und das so toll fanden! ich habe sie natürlich gu­ ten. dafür ist die schule der beste ort, der einfluss der cken lassen. schule ist einfach enorm. aber natürlich müssen auch die T M Was ist eigentlich guter Geschmack? Geschmacks­ eltern etwas tun. ich habe das gemerkt: Vorlesen etwa bildung ist doch eine der interessantesten fragen. bildet die sprache enorm und ist so einfach. es reichen C s Kann man nicht bilden. meine theorie ist, dass sich zehn minuten am tag. viele Jugendliche von der Klassik abwenden, weil man ihnen T M Was halten sie vom Vorsingen? Gutenachtlieder dauernd sagt: „eure grässliche Popmusik! das ist schlecht zum Beispiel. haben sie das gemacht? für die ohren.“ das ist nichts als ein Versuch, junge leute C s „der mond ist aufgegangen“, so etwas schon, also nur niederzumachen. ganz normal, wie jeder das machen würde. T M oder ein Versuch, sie unter Kontrolle zu halten. T M ich kenne eine Kollegin, die ihrem Kind nicht diese ganze idee, wenn man dieses und jenes nicht vorsingt, weil sie unmusikalisch ist. das sei schlecht bis zum zehnten lebensjahr gemacht habe – bis dahin 6 7 für die synapsen des Kindes, sagt sie. sind Kinder nämlich angeblich „offenohrig“ –, dann 6 7

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Ge sPr채ch

Bilder

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lars

rosenB ohm

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CHRISTINE

SCHäFER

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TINA

MENDELSOHN

T M Lesen Sie Kritiken über sich? C S Das ist doch ebenso Quatsch wie das Gerede, Schwan­ C S Selten. Aber dann lese ich vorsichtshalber auch über gere müssten ihren Bauch mit Musik beschallen. Natürlich andere Kollegen und merke: Über die wird genauso mies haben meine Kinder genau das extrem oft mitgekriegt, weil geschrieben wie über mich. Der Umgangston ist eklig ge­ ich noch lange in der Schwangerschaft gesungen habe. Und worden – und das hat wieder etwas mit Erziehung und mit deswegen mögen sie Klassik auch nicht. Sprache zu tun. T M Aber sie gehen gern mit in die Oper! T M Die Mutter von Florian Henckel von Donners­ C S Weil ihnen Inszenierungen gefallen. Sie gucken aber marck hat ihm zum zwölften Geburtstag die Auto­ immer nach den anderen Kollegen. Was ich mache, ist da biografie Wagners geschenkt und er sagt, das sei so weniger wichtig. Ich höre übrigens fast nur Pop. Ich kann wahnsinnig prägend für ihn gewesen. Machen Sie so Klassik nicht auch noch in meiner Freizeit hören – nur etwas? wenn ich’s muss. Die Popmusik ist auf einem so hohen, wun­ C S Um Gottes willen! derbaren Niveau von der Komposition her und allem Drum T M Also ich mache das auch so … Ich schicke kleine und Dran, dass ich mich da absolut wohlfühle. Bömbchen, meistens Literatur, die ich meinen Kin­ T M Wie organisieren Sie Ihren Alltag? In Berlin zu dern schenke und gucke, ob es aufgeht. Manchmal leben, zwei schulpflichtige Kinder zu haben, aber in geht es auf und meistens nicht. New York oder sonstwo auf der Welt zu singen, ist ja C S Musikmäßig mache ich da gar nichts. nicht einfach. T M Aber die Generalproben haben doch schon einen C S Das ist ein großer organisatorischer Aufwand. Ich habe solchen Effekt. ein tolles Kindermädchen und die Kinder sind Gott sei C S Das stimmt. Aber was Literatur betrifft, bin ich nicht Dank gut in der Schule, sodass ich sie für New York zwei die richtige Person. Und ich merke auch, das hat wahr­ Wochen aus der Schule nehmen kann. In den Sommerferien scheinlich auch damit zu tun, dass ich allein bin – es ist im­ waren sie vier Wochen da. mer besser, wenn andere ihnen etwas schenken. Mama hat T M Ich habe sehr schnell wieder angefangen zu ar­ den kleinsten Einfluss. beiten, nach etwa zehn Wochen, jedenfalls bei den T M Meine Fünfährige bemalt sich gerade gerne ihre beiden Jüngsten. Und ich habe sie dann ein gutes hal­ Arme mit lila Filzstiften, sieht dann aus wie jemand, bes Jahr lang mit nach Mainz genommen und gestillt, der über und über tätowiert ist, und singt von Ma­ und seit sie sieben, acht Monate alt sind, bleiben sie donna I’m a Material Girl. Gibt es Sachen, die Ihnen zu Hause in London. Dort sind ihre Geschwister, ins­ an Ihren Kindern peinlich sind? gesamt vier Kinder, und noch ein Hund, es ist immer C S Kinder sind nie peinlich. Es ist eher umgekehrt. viel los und ich glaube und hoffe, dass das hilft. T M Ich bin dann peinlich, weil ich das sofort abwa­ C S Meine Eltern hatten auch wenig Zeit, aber das ist nie schen will. Aber es ist schon komisch: ein fünfähri­ ein Thema gewesen. Wenn sie da waren, waren sie da. Ich ges, zartes Kind, das Madonna sein will. halte es aber für wichtig, dass man sich die Zeit wirklich C S Die Entwicklung ist etwas, das man vermutlich nicht nimmt und nicht noch dauernd telefoniert und den Kindern fördern kann. Man kann den Rahmen schaffen, aber das sagt: „Ich hab jetzt keine Zeit für dich“, denn das tut weh. war’s dann auch schon. Und ich denke, wenn dem Kind nach T M Wann haben Sie für sich erkannt, dass Sie Sän­ einem halben Jahr nicht langweilig ist, dann ist es wahr­ gerin werden möchten? scheinlich richtig gewesen, aber wenn es dann sagt: „Ich hab C S Singen war die letzte Option. Für das Cello hat’s nicht keinen Bock mehr“, dann war’s das eben. Ich habe als Kind gereicht. Ich bin dann in den Chor gegangen, in dem auch viele Sachen angefangen und wieder aufgehört. meine Mutter war, und habe da fleißig mitgesungen. Und ich T M Man muss darauf vertrauen, dass das Kind ein dachte: Na ja, fürs Gesangsstudium brauche ich kein Abitur. Individuum ist und seinen eigenen Weg findet – und Was Besseres hätte mir gar nicht passieren können. seine eigene Musik. T M Man muss doch einen sehr starken Willen ha­ C S Das wird es tun, in jedem Fall. ben, um dann das zu werden, was Sie sind. Künstler gelten in der Familie ja oft als Monster. Sind Sie so ein Monster? Tina Mendelsohn, 46, ist 3satC S Nein. Wenn ich aus der Oper komme, ist Schluss damit. Kulturzeit-Moderatorin und hat vier Kinder, zwischen drei und T M Wie gehen Sie mit Kritik um? Ich finde, es gibt sechzehn Jahren alt. Sie lebt in einen Ton in den Medien, mit dem über Musiker ge­ London und arbeitet in Mainz. schrieben wird, der schon ziemlich happig ist. C S Aber das ist nicht nur in der Musik so. Mir scheint, Christine Schäfer, 45, Sopranistin, hat zwei Töchter, acht und zehn mittlerweile machen die Medien die Politik. In einem demo­ Jahre alt, und lebt in Berlin. Sie kratischen System, in dem es keine Zensur gibt, muss sich wird 2011 bei den Festspielen in Olivier Messiaens Saint François die Politik das wahrscheinlich gefallen lassen, aber ich finde, d’Assise den Engel singen. das geht ans Eingemachte. Ich möchte ja eigentlich nur in­ formiert werden und dann selber entscheiden, was ich gut 6 9 Aufgezeichnet von oder schlecht finde. 6 9 Marie-Sophie Müller

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RUUD VAN EMPEL

Venus # 1, 2006

Es sind dunkle, schwimmende Augen. Oder wasserhelle, mit scharf umrissener Pupille, in die man hineinstürzt wie in einen tiefen Schacht. Forschend und ernst sehen sie den Betrachter an. Oder durch ihn hindurch? In ihn hinein? Kin­ deraugen, die viele Fragen stel­ len, aber die Antworten schuldig bleiben. Wie „Brothers & Sisters“ knüpfen auch Ruud van Empels neue Bilder aus den Serien „Venus“, „Dawn“ und „World“ an die Reihe seiner seit 2003 entstandenen Kinder­ bildnisse an. In „World“ zeigt er schwarze Kinder: nackt in See­ rosenteichen oder mit Sonntags­

kleidern, Täschchen und Spitzen­ handschuhen ausstaffiert vor der Kulisse unberührter, para­ diesischer Natur. Bilder, die in ihrer perfekt ausgeleuchteten, hyerrealistischen Glätte an die prachtvoll inszenierten Reprä­ sentationsbildnisse der Renais­ sance erinnern. Allegorien der Kindheit. Es sind Fotocollagen, auf dem Computerbildschirm entstanden und in jedem Pixel dem gestal­ terischen Kalkül des Künstlers un­ terworfen. Ein Photoshop­Kons­ trukt, das Traumwelten ohne Raum und Zeit herauf beschwört, Momen­ te kurz vor dem Erwachen, ein

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doppelbödiges Zwischenreich, in dem sich Fantasie und Realität begegnen. „Ich gestalte meine eigene, innere Wirklichkeit“, sagt Ruud van Empel, der 1958 im niederländi­ schen Breda geboren und auf­ gewachsen ist, dort ein Kunststu­ dium an der Akademie Sint Joost absolviert und als Grafik­, Interior­ und Filmdesigner gearbeitet hat, bevor er 1995 als freischaffender Künstler in Amsterdam mit den ersten Fotocollagen begann. In sei­ nen Kinderbildnissen gehe es „um Unschuld“, erklärt er. „Egal ob ich ein schwarzes oder ein weißes Kind wähle – sie sind beide unschuldig.

Und deshalb schön.“ Eine irri­ tierende, zuweilen verstörende Schönheit. Auf einem Bild der „World“­Serie steht ein Kind im Seerosenteich, bis zum Hals im Wasser. Steht es noch oder hat es bereits den Boden unter den Füßen verloren? Sein Blick senkt sich in den des Betrachters, zwingt ihn zur Konfrontation. Die Kindheit – ein Paradies auf Erden? Oder doch ein Ort der Bedrohung, vol­ ler Geheimnisse und verborgener Grausamkeiten? Fragen, auf die nur der Betrachter eine Antwort geben kann. TExT SIMONE HERRMANN

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World # 1, 2006

Moon # 1, 2006

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Boy & Girl, 2008 Dawn # 3, 2008

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souVenir # 1, 2006

untitled # 2, 2004

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souVenir # 1, 1220

study in Green # 1, 1226

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№ 2 — 2 0 10/2 0 11

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Meinungsaus taus c h

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pLaKat Kün s tL e r Vorschau

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Konzertreise No.2

No.1

Die wollen nur spielen

No.4

No.3

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Konzertreise No.1 – Wer jeden Abend Höchst­ leistung bringen will, muss auch unterwegs üben: Zwischen Flug, Bustransfer und den Proben im Konzertsaal findet Soloklari­ nettist Andreas Schablas im Moskauer Hotel die notwendige Konzentration. No.2 – Konzert anlässlich des Treffens der europäischen Vertei­ digungsminister in Gent: Nicht nur die Politiker hören zu, eine ganze belgische Ehrengarde drängt sich am Eingang zum Dom. No.3 – Benedikt Strohmeier, Vor­ spieler der Celli, und sein Instru­ ment: eine enge Beziehung … No.4 – Die beiden Ersten Konzert­ meister, Markus Wolf und David Schultheiß, stimmen sich vor dem Konzert aufeinander ein. Selten findet man zwei Orchestersolisten mit so wenig Unstimmigkeiten! No.5 – Eine Herausforderung: die täglich neuen akustischen Be­ dingungen, an die sich das Orches­ ter vor jedem Konzert bei einer Probe anpasst. In Gent erzeugt die Akustik der Kathedrale eine ganz eigene Atmosphäre – und erzwingt dadurch auch eine neue Konzeption der 7. Symphonie von Bruckner. No.6 – Die Moskauer Tchaikovsky Hall hat ihren ganz eigenen Stil – auch bei den Platzanweiserinnen.

No.5

eine Tournee führte das Bayerische staatsorchester im september durch die großen säle europas: von Deutschland über Österreich, italien, Belgien und Frankreich bis nach Moskau. ein Bilderbogen. 8 3 8 3

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No.6

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Konzertreise

No.8

No.7 – Gespannte Ruhe vor dem Auftritt: Kent Nagano und die vier Cellisten haben mit den Metamorphosen für 23 Solisten von Richard Strauss eines der dichtesten und zugleich anspruchsvollsten Werke für Streichorchester vor sich.

No.7

No.8 – Geiger Ulrich Grußendorf hat ein ungewöhnliches Plätzchen zum Warmspielen vor dem Konzert gefunden: ein Büro in der Hamburger Laeiszhalle. No.9 – GMD Kent Nagano formt seit 2006 das Bayerische Staatsorchester und entwickelt mit ihm zusammen eine eigene, gemeinsame Musiksprache – auch bei der Akustikprobe in Moskau und wie immer hoch konzentriert.

No.9

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Fotografie: Christine Schneider

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agenda

K – U – L – t – U – r Was die Mitarbeiter der oper machen, wenn sie nicht bei der oper mitarbeiten.

WoHin in dieSeM ÜBeraLL? Von Wolfgang oberender, Stellvertreter des Ballettdirektors, Bayerisches Staatsballett

als Vierzehnjähriger lauschte ich zum ersten Mal Wagners Ring – am radio, mühsam auf tonband mitgeschnitten. in den frühen 60er-Jahren gab es da eine einzige Quelle: Bayreuth. Unauslöschbar prägend: nilsson, Windgassen, rysanek usw. Bald kamen Karajans osterfestspiele hinzu. eifersüchtig wurde nach Schwachpunkten der neuen interpreten gefahndet: Crespin, Vickers etc. Multitasking schon damals: Schulaufgaben erledigen und gleichzeitig die ohren voll Wagner. ich weiß nicht, ob es ein Fortschritt ist, dass man heute fast unzählbar viele Ring-Mitschnitte auf Cd/dVd zur Verfügung hat. Sollte man also dazu raten, alle Cds wegzupacken und sich einfach lesend in die Partitur zu vertiefen? nein! Lieber bitte ich, sich jede beliebige Siegfried-einspielung vorzunehmen und im zweiten akt die wahnwitzige auseinandersetzung zwischen Mime und seinem Bruder alberich anzuhören, gleich danach die Szene zwischen Siegfried und Mime mit dem vergeblichen Bemühen des garstigen Zwergs, seinen Mordplan zu verbergen. Unvorstellbar groß Wagners Kunst hier: Wie jemand seine wahren absichten geheim halten will und diese doch ununterdrückbar sich ausdruck verschaffen.

die parodistische Kunst je gewürdigt wurde, mit der Mann die essenz der beiden Zwergen-Szenen spiegelt, von denen ich oben spreche. Man lese und bestaune im dritten Band – Joseph in Ägypten – die Kapitel „die schmerzliche Zunge“ und „dûdu’s Klage“. Und wenn man dann Feuer gefangen hat, wird man sich vielleicht wieder einmal den ganzen Joseph vornehmen. Wobei es durchaus erlaubt ist, einige der allzu wortverliebten kulturhistorischen Kapitel zu überspringen. nicht zufriedengeben kann man sich, leider, mit dem Hörbuch von gert Westphal. dass er gestorben ist, ohne die Zeit gehabt zu haben, das Werk noch einmal und dabei ungekürzt vorzulesen: wie traurig! Und wie unendlich dankbar dürfen wir sein, dass Lotte in Weimar, Der Erwählte, Doktor Faustus und Buddenbrooks von ihm vollständig gelesen zu haben sind. „Wohin in diesem Überall?“, fragt Lotte verzweifelt. Und findet so leicht keine antwort. Finde jeder sie für sich selbst! Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen (auf CD: Bayreuther Festspiele /Karl Böhm oder Berliner Philharmoniker/Herbert von Karajan) Thomas Mann: Joseph und seine Brüder (S. Fischer Verlag) Gert Westphal liest ungekürzt Thomas Mann und Theodor Fontane (Deutsche Grammophon)

WinterWoHnZiMMertHeater Von andreas Lutzenberger, Spielleiter der Bayerischen Staastoper

die Wintergrippe klopft ungefragt an die Haustüre, selbst theaterschaffende oder gerade die erwischt es schneller als gedacht. dem nahezu unvorstellbaren Umstand, nicht ins theater gehen zu können, soll hier abhilfe geschaffen werden, indem man sich zum trotz das theater ins Wohnzimmer holt. auch wenn die Unmittelbarkeit des theatererlebnisses durch nichts zu ersetzen ist, haben einige aufzeichnunSpringen wir jetzt hinüber zu thomas Mann und seiner gen einen unschätzbaren künstlerischen Wert, unverzichtJoseph-tetralogie. die formalen Parallelen zwischen Ring bar für den dVd-Schrank jedes theaterfreaks. Hier soll nur und Joseph-tetralogie haben Mann selbst und die For- 8 6 auf eine kleine persönliche auswahl hingewiesen werden: schung ausführlich beschrieben. aber ich weiß nicht, ob 8 6 ein absolutes Muss sind die nach wie vor hochspannenden

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agenda

t – i – P – P – S Shakespeare-Verfilmungen mit einem der herausragendsten Schauspieler des 20. Jahrhunderts: Laurence olivier, der in den meisten Fällen die Hauptrolle übernimmt und selbst regie geführt und produziert hat.

Mensch aus dem Urwald, lacht halb animalisch und geht ganz eigen mit der Sprache um, ohne dass es gekünstelt und aufgesetzt wirkt. Für diesen Othello wie auch die anderen olivier-Verfilmungen gilt: unbedingt in originalsprache ansehen! Laurence Olivier: Hamlet (1948), Richard III (1955), Othello (1965, alle auf DVD)

VorLaUteS BeUteLtier: DIE KÄnguRu-CHROnIKEn Von anila Fischer, 16, teilnehmerin am Jugendclub der oper

Illustration: Gian Gisiger, Bureau Mirko Borsche

Besonders ans Herz legen möchte ich die Hamlet-SchwarzWeiß-Verfilmung mit ihm von 1948, in der er mit wasserstoffblonden Haaren den dänenprinzen spielt, eine völlig irre atmosphäre zwischen Unwirklichkeit und realität schafft und gerade das Verhältnis zwischen Hamlet und seiner Mutter gertrude, deren gegenseitige abhängigkeit, auf berührende, fast verstörende Weise hervorhebt.

„Kannst du heute mal bezahlen?“, fragt das Känguru nach dem essen. „Heute?“, frage ich. „Mal?“, frage ich. „ich muss immer bezahlen, weil du ja nie geld mitnimmst.“ „tja“, sagt das Känguru lächelnd. „So ist das in der Welt. der eine hat den Beutel, der andere das geld.“

auch oliviers Richard III-Filmadaption von 1955, bereits in Farbe, ist mit ihm in der titelrolle ein schauspielerisches Kabinettstück. als richard iii gelingt es ihm auf unnachahmliche Weise, mit dem Bilderbuchklischee des hässlichen, buckligen, leicht hinkenden Bösewichts zu spielen, ohne dabei die rolle zu denunzieren und sie der Lächerlichkeit preiszugeben. immer bleibt er gefährlich und unberechenbar und schafft es, in vielen Momenten dennoch ernsthaft komisch zu sein.

das Buch, aus dem diese Szene stammt, handelt von einem jungen Kabarettisten, nämlich dem autor Marc-Uwe selbst, bei dem eines tages ein Känguru einzieht. aber es ist kein gewöhnliches Känguru, sondern ein kommunistisches, revolutionäres, drogen nicht abgeneigtes, vorlautes und gewaltbereites, das bereits am Vietnamkrieg beteiligt war. obwohl es manchmal ziemlich rücksichtslos sein kann und gerne provoziert, muss man das Beuteltier sofort lieb haben.

ein ganz spezielles theatervergnügen bereitet Othello es ist ein nicht nur lustiges Buch. in kurzen geschichten (mit der jungen Maggie Smith als desdemona) aus dem erzählt der Kabarettist seinen sehr ungewöhnlichen alltag Jahr 1965, in dem olivier nicht wie zu erwarten den Stripmit dem Känguru. entweder sie provozieren gemeinsam penzieher Jago mimt, sondern, völlig schwarz geschminkt, Polizisten, bestellen einen Hamburger bei Mcdonald’s, othello. er spielt diesen cholerisch aufbrausenden und saufen nächte durch mit dem geist des Kommunismus jäh in sich zusammensackenden Charakter so brillant und oder kritisieren ganz einfach die kapitalistische gesellfacettenreich, dass sein erster auftritt jeden Zweifel an schaft – und das immer verbunden mit einer sehr amüsander eigenwilligen Besetzung zerschlägt. Mit allen einem ten Situationskomik. Bissig und ironisch nehmen sowohl Schauspieler zur Verfügung stehenden Mitteln zeichnet 8 7 Känguru als auch Marc-Uwe Stellung zu vielen politischen er eine schillernde Figur: Barfuß bewegt er sich wie ein 8 7 und sozialen themen.

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KULtUrtiPPS

es ist eines der lustigsten und genialsten Bücher, das ich je gelesen habe. Wahrscheinlich hab ich es schon an die zehn Mal durch und ich lache trotzdem noch bei jeder komischen Stelle, was bedeutet, dass ich eigentlich die ganze Zeit lache. Man fühlt sich während des Lesens so sehr drin im Leben dieses seltsamen Pärchens, dass man sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass es das Känguru eigentlich gar nicht gibt. ich liebe dieses Buch und es lohnt sich auf jeden Fall, es zu lesen. eine super Unterhaltung.

jeder kennt. außerdem finde ich gut, dass die Musik der Hannoveraner sich fast immer auf besondere, konkrete Situationen bezieht und diese dann auch in den Videos authentisch und gut herübergebracht werden. Wie auch in meinem Lieblingslied. Hier geht es um eine gruppe von graffitisprayern, die von der Polizei – wahrscheinlich nach einer illegalen Sprühaktion – festgenommen wurden und auf dem revier ihre Unschuld versichern wollen. Wenn ihr Lust habt, euch das Lied einmal anzuhören und das Video zu sehen, klickt einfach auf diesen Link: http://www.you tube.com/watch?v=fFvQ7Uede3s Big Tune: Melodinner (Hannover Robust, 12,99 Euro)

daS tHereMin Von nadine dietl, assistentin der Musikalischen direktion

Die Känguru-Chroniken gibt es übrigens auch als Hörbuch, von Marc-Uwe Kling persönlich gesprochen. ein Bekannter von mir hörte es bei der autofahrt und musste ständig anhalten, weil er so sehr lachen musste, dass er nicht mehr richtig fahren konnte. Und so ist es von der ersten Szene an, in der das Känguru im Berliner Haus von Marc-Uwe einzieht. Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken (Ullstein TB-Verlag, 7,95 Euro)

HiP-HoP: Big tUne Von Paul Langemann, 16, teilnehmer am Projekt About us! bei den opernfestspielen im Pavillon 21 Mini opera Space

durch die Flure des deutschen Museums wabern seltsame Klänge. Sind vielleicht außerirdische gelandet? denn genauso klingt es in Hollywood-Produktionen wie Mars Attacks!, wenn kleine grüne Männchen auftauchen. die tafel verrät, es handle sich um ein theremin. erfunden wurde es 1919 von Leon theremin, einem russischen Physiker. die ungewohnten Klänge werden auf diesem instrument ohne Berührung erzeugt: Je nachdem wie nah oder wie schnell man seine Hände darum herum bewegt, kann man die Lautstärke und tonhöhe des Klanges beeinflussen. die Musikinstrumentensammlung des deutschen Museums, die über 700 Klangwerkzeuge der Musikgeschichte zeigt – vom nachbau einer germanischen Lure bis zum Synthesizer dX-7 –, ist in München der einzige ort, an dem man das theremin auch ausprobieren kann. die ausstellung war einige Wochen geschlossen, wird aber am 17. dezember wieder eröffnet. Zuweilen spielt dort sogar die großnichte des theremin-erfinders, Lydia Kavina, die von ihm selbst noch unterrichtet wurde, auf dem ausgestellten instrument. termine unter: http://www.deutsches-museum.de/information/konzerte/

ich möchte meine Lieblingsmusik, genauer meine derzeitige Lieblingsband, vorstellen: Big tune. die Hip-Hop/rapBand, bestehend aus den vier rappern almighty K, Pacoeine der bekanntesten deutschen Virtuosinnen auf dem delic, tobi one, Monoe, dem dJ ghostcut und ihrem theremin ist Barbara Buchholz: Sie gibt am 4. März 2011 Produzenten 110Max, gibt es schon seit zehn Jahren – im rahmen der musica viva-reihe ein Konzert im Herkulesallerdings waren sie damals unter dem namen Föderation saal mit dem Symphonieorchester des Bayerischen rundaktiv. als Big tune haben sie bis jetzt nur das album funks. Melodinner herausgebracht. Mit Föderation schon eines davor: Die Appetizer EP. ansonsten waren sie auf mehreren Deutsches Museum, Museumsinsel 1, 80538 München, T 089 – 2 17 91, Compilations ihres Labels Hannover robust mit einigen www.deutschesmuseum.de Liedern vertreten. am besten gefällt mir das Lied Verhört. ich mag die Songs, weil ich finde, dass die texte von Big 8 8 tune um einiges besser sind als die von den rappern, die 8 8

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Meinungsaustausch

»Verbieten Sie dieSe exzeSSe!« Die Operngeschichte ist reich an inszenierungen, die sehr umstritten sind, ehe sie zu Langzeiterfolgen werden. Bis dahin tauschen Publikum, Presse und intendanz leidenschaftlich Meinungen aus. MaX JOsePh dokumentiert Publikumsreaktionen, staatsintendant nikolaus Bachler antwortet. in dieser ausgabe: Rusalka.

H. R. – ohne Ortsangabe ganz abgesehen von der geschmacklosigkeit einer solchen Präsentation darf ein öffentliches haus sich nicht zum Forum für einzelpersonen degradieren lassen, die hier ihre persönlichen Perversitäten hemmungslos ausleben wollen – und schon gar nicht auf dem Rücken unschuldiger Opfer, seien es nun Menschen oder tiere. gerade in einer Welt, in der gewalt immer mehr das alltagsgeschehen beherrscht und von viel zu vielen Menschen als normale Begleiterscheinung der modernen Welt empfunden und stillschweigend toleriert wird, wäre es nunmehr an der Zeit, dieser lebensverachtenden nonchalance auf das strikteste einhalt zu gebieten.

I. G. – München neue inszenierungen, insbesondere die von Ru­ salka, sind zunehmend so gestaltet, dass ich in Zukunft keine neu aufgenommene Oper in der staatsoper besuchen werde. Die Zunahme von geschmacklosigkeit, insbesondere die offen gezeigte sexuelle gewalt und Brutalität gegen Frauen und das viele verwendete Blut verleiden mir den genuss. ich bedauere diese entwicklung sehr, weil ich mich sehr gefreut habe, dass die Qualität der sänger rapide zugenommen hat. N. B. – Schade, wenn Sie keine Neuinszenierung mehr besuchen wollen, denn dann werden Sie auf­ regendes und lebendiges Musiktheater versäumen. In der Kunst kann gar nichts geschmacklos sein, sondern nur richtig oder falsch. Die Bühne zeigt das Leben und nicht umgekehrt.

N. B. – Man müsste doch wohl eher in der modernen Welt lebensverachtenden Taten Einhalt gebieten und es nicht beklagen, wenn man diese auf der Bühne sieht. „Schlag nicht den Boten, wenn du die Wahr­ heit nicht erträgst.“ Ich kann auch nicht nachvollzie­ hen, wo Sie in „Rusalka“ „persönliche Perversitäten“ sehen, hier wird wahrhaftig eine Geschichte erzählt, die von der Gefangenschaft und den Befreiungsversu­ chen einer jungen Frau in einer schrecklichen Ge­ sellschaft handelt – so steht es in der „Rusalka“ von Antonín Dvořák.

C. M. – ohne Ortsangabe Bitte nehmen sie ihre Position ernst und verbieten sie diese exzesse bei der neuen Rusalka­inszenierung. ich werde mich nie daran gewöhnen, dass die Opern derartig durch das Regietheater vergewaltigt werden, und besuche nur noch traditionelle inszenierungen.

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N. B. – Die Kunst ist frei und die Zeiten, in denen man Kunst verboten hat, kehren hoffentlich nie wie­ der zurück. Auf Ihren Wunsch nach traditionellen Inszenierungen darf ich mit Gustav Mahler antwor­ ten: „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“

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Bayerische staatsoper UnFRei frei

spielplan 21.12.2010 – 27.03.2011 S p i e l p l a n

Soweit nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im nationaltheater statt.

K–a–R–T–e–n

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Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München T 089 – 21 85 19 20 tickets@st-oper.bayern.de www.staatsoper.de

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O–p–e–R

Johann Strauß

Die Fledermaus

Musikalische Leitung Paolo Carignani Regie Helmut Lehberger Nach einer Inszenierung von Leander Haußmann

Ludwig van Beethoven

Fidelio

Bo Skovhus, Michaela Kaune, Alfred Kuhn, Daniela Sindram, Pavol Breslik, Nikolay Borchev, Ulrich Reß, Mojca Erdmann, Michael Lerchenberg, Stefanie Erb, Ivan Michal Unger

Musikalische Leitung Daniele Gatti Inszenierung Calixto Bieito Steven Humes, Wolfgang Koch, Jonas Kaufmann, Anja Kampe, Franz-Josef Selig, Laura Tatulescu, Jussi Myllys Di So Mi Sa Mi Sa

21.12.10 26.12.10 29.12.10 01.01.11 05.01.11 08.01.11

19:00 Uhr 18:00 Uhr 19:00 Uhr 18:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Fr 31.12.10 18:00 Uhr

PR E M I E R E

Giuseppe Verdi

luisa Miller Musikalische Leitung Bertrand de Billy Inszenierung Claus Guth

Premierenmatinee zur Neuinszenierung So 19.12.10 11:00 Uhr Moderation: Nikolaus Bachler

Orlin Anastassov, Massimiliano Pisapia, Nino Surguladze, Steven Humes, Zeljko Lucic, Krassimira Stoyanova, Martha Hirschmann, Dean Power

So Do So Mi

Giacomo Puccini

la bohème Musikalische Leitung Marco Armiliato Inszenierung Otto Schenk Anja Harteros, Anna Virovlansky, Stefano Secco, Levente Molnár, John Chest, Christian Van Horn, Dean Power, Alfred Kuhn, Rüdiger Trebes, Tareq Nazmi, Peter Mazalán Mi 22.12.10 19:00 Uhr Mo 27.12.10 19:00 Uhr Engelbert Humperdinck

Hänsel und Gretel

S p i e l p l a n

Musikalische Leitung Asher Fisch Inszenierung Herbert List

19:00 Uhr 18:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Peter Eötvös (Musik) Albert Ostermaier (Text)

Die Tragödie des Teufels Musikalische Leitung Peter Eötvös 07. / 19.01., Christian Schumann 13. / 15.01., Christopher Ward Inszenierung Balázs Kovalik Cora Burggraaf, Ursula Hesse von den Steinen, Jussi Myllys, Georg Nigl, Julie Kaufmann, Eri Nakamura, Heike Grötzinger, Okka von der Damerau, Kevin Conners, Christoph Pohl, Nikolay Borchev, John Chest, Wolfgang Bankl Fr Do Sa Mi

Levente Molnár, Irmgard Vilsmaier, Okka von der Damerau, Laura Tatulescu, Ulrich Reß, Martha Hirschmann, Evgeniya Sotnikova

02.01.11 06.01.11 09.01.11 12.01.11

07.01.11 13.01.11 15.01.11 19.01.11

19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:30 Uhr

MIo nREdembIytER deoERpofoudel mER

Do 23.12.10 16:00 Uhr

Gaetano Donizetti

Richard Wagner

Musikalische Leitung Justin Brown Inszenierung David Bösch

Musikalische Leitung Kent Nagano Inszenierung Richard Jones

Nino Machaidze 28. / 30.12., Laura Tatulescu 03.01., Joseph Calleja, Nikolay Borchev, Alessandro Corbelli, Tara Erraught

Christof Fischesser, Ben Heppner, Elza van den Heever, Evgeny Nikitin, Janina Baechle, Markus Eiche, Francesco Petrozzi, Kenneth Roberson, Peter Mazalán, Tareq Nazmi, Solisten des Tölzer Knabenchors

l’elisir d’amore

lohengrin

Di 28.12.10 19:00 Uhr Do 30.12.10 19:30 Uhr Mo 03.01.11 19:00 Uhr

So Do So Mi So Do

pPreprREm is

16.01.11 20.01.11 23.01.11 26.01.11 30.01.11 03.02.11

17:00 Uhr 18:00 Uhr 16:00 Uhr 18:00 Uhr 16:00 Uhr 18:00 Uhr

lEncRmERo mdRyt

BMW München

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So Do So Mi So So

Richard Strauss

Ariadne auf Naxos Musikalische Leitung Kent Nagano Inszenierung Robert Carsen

27.02.11 03.03.11 06.03.11 09.03.11 13.03.11 20.03.11

19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 16:00 Uhr 18:00 Uhr

pr e m i e r e

Premierenmatinee zur Neuinszenierung So 13.02.11 11:00 Uhr Moderation: Nikolaus Bachler

Johannes Klama, Eike Wilm Schulte, Alice Coote, Burkhard Fritz, Francesco Petrozzi, Guy de Mey, Peter Mazalán, Tareq Nazmi, Jane Archibald, Adrianne Pieczonka, Nikolay Borchev, Ulrich Reß, Kevin Conners, Steven Humes, Eri Nakamura, Okka von der Damerau, Anna Virovlansky

Gioachino Rossini

il barbiere di Siviglia

Sa 22.01.11 19:30 Uhr Di 25.01.11 19:30 Uhr Fr 28.01.11 19:00 Uhr

Musikalische Leitung Marco Armiliato Inszenierung Ferruccio Soleri

sponsored by

Alek Shrader, Maurizio Muraro, Anna Bonitatibus, Nikolay Borchev, Anatoli Kotscherga, John Chest, Rüdiger Trebes, Hanna-Elisabeth Müller, Kenneth Roberson

Sa 05.03.11 19:30 Uhr Di 08.03.11 19:00 Uhr Fr 11.03.11 19:00 Uhr

Georges Bizet

Carmen

Musikalische Leitung Dan Ettinger Nach einer Produktion von Lina Wertmüller Steven Humes, Nikolay Borchev, Jonas Kaufmann 2. / 5. / 10. / 13.02., Massimo Giordano 18. / 21.02., Kyle Ketelsen, Christian Rieger, Kevin Conners, Eri Nakamura, Gabriela Scherer, Anita Rachvelishvili, Aga Mikolaj Mi Sa Do So Fr Mo

02.02.11 05.02.11 10.02.11 13.02.11 18.02.11 21.02.11

19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 18:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Giuseppe Verdi

Nabucco

Giacomo Puccini

Madama Butterfly S p i E L p L A N

Mi Sa Do Sa

16.03.11 19.03.11 24.03.11 26.03.11

19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:30 Uhr 19:00 Uhr

Lucrezia Borgia Musikalische Leitung Paolo Arrivabeni Inszenierung Christof Loy

Lado Ataneli, Bryan Hymel, Vitalij Kowaljow, Alessandra Rezza, Gabriela Scherer, Steven Humes, Kenneth Roberson, Evgeniya Sotnikova 06.02.11 12.02.11 16.02.11 19.02.11 23.02.11

Hui He, Okka von der Damerau, Massimiliano Pisapia, Angela Brower, Michael Volle, Kenneth Roberson, Christian Rieger, Christoph Stephinger, Tareq Nazmi, John Chest

Gaetano Donizetti

Musikalische Leitung Kazushi Ono Inszenierung Yannis Kokkos

So Sa Mi Sa Mi

Musikalische Leitung Paolo Carignani Inszenierung Wolf Busse

John Relyea, Edita Gruberova, Charles Castronovo, Silvia Tro Santafé, Nam Won Huh, Christian Rieger, John Chest, Dean Power, Steven Humes, Emanuele D'Aguanno

18:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Fr 18.03.11 19:00 Uhr Mi 23.03.11 19:00 Uhr

Vincenzo Bellini

i Capuleti e i Montecchi

Maurice Ravel / Alexander Zemlinsky

L’Enfant et les sortilèges  /  Der Zwerg

Musikalische Leitung Yves Abel Inszenierung Vincent Boussard

Musikalische Leitung Kent Nagano Inszenierung Grzegorz Jarzyna

Vesselina Kasarova, Eri Nakamura, Dimitri Pittas, Steven Humes, Carlo Cigni So 27.03.11 19:00 Uhr

Tara Erraught, Okka von der Damerau, Evgeniya Sotnikova, Rachele Gilmore, Camilla Tilling, Angela Brower, Laura Tatulescu, Martha Hirschmann, Paul Gay, Nikolay Borchev, Kevin Conners / Camilla Tilling, Irmgard Vilsmaier, Paul Gay, John Daszak, Laura Tatulescu, Angela Brower, Okka von der Damerau, Hanna-Elisabeth Müller, Martha Hirschmann

pr e m i e r e

Premierenmatinee zur Neuinszenierung So 20.03.11 11 Uhr Moderation: Nikolaus Bachler sponsored by

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B–a–l–l–e–T–T

John Cranko

Der Widerspenstigen Zähmung

Gefördert durch Dr. h.c. Irène Lejeune, Botschafterin des Bayerischen Staatsballetts

Musik Kurt-Heinz Stolze nach Domenico Scarlatti Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Musikalische Leitung Myron Romanul

Marius Petipa / Ivan Liška

Dornröschen

Sa Mo Mi Sa Do Mo

Musik Peter I. Tschaikowsky Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Musikalische Leitung Valery Ovsianikov 25.12. / 4.02., Myron Romanul 11. / 20.02. Sa Fr Fr So So

25.12.10 04.02.11 11.02.11 20.02.11 20.02.11

26.02.11 28.02.11 02.03.11 12.03.11 17.03.11 21.03.11

19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr

18:00 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 14:00 Uhr 19:30 Uhr

Nacho Duato

Vielfältigkeit. Formen von Stille und leere

Musik Johann Sebastian Bach

Mikhail Fokine / Bronislawa Nijinska / Terence Kohler

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts

100 Jahre Ballets Russes Shéhérazade / les Biches /  Once Upon an ever after Musik Nikolai Rimski-Korsakow/Francis Poulenc/Peter I. Tschaikowsky Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Musikalische Leitung Valery Ovsianikov Di

04.01.11 19:30 Uhr

Terence Kohler / Jörg Mannes

Mein Ravel Daphnis und Chloé /  Wohin er auch blickt ...

Fr 25.03.11 19:30 Uhr

S p i e l p l a n

Ballett extra

isadora Duncan –  Das einflussreiche Genie Stephanie Hancox tanzt Frederick Ashtons Isadora-Hommage, dazu Filmversionen verschiedener anderer Isadora-Erinnerungen Mi 22.12.10 20:00 Uhr Ballettprobenhaus am Platzl

Musik Maurice Ravel

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Musikalische Leitung Kent Nagano 21. / 29.01., Michael Schmidtsdorf 4. / 7. / 10.03.

norbert Graf und das Filmprojekt »arché«

Fr Sa Fr Mo Do

21.01.11 29.01.11 04.03.11 07.03.11 10.03.11

19:30 19:30 19:30 19:30 19:30

Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr

Mit Norbert Graf, Zuzana Zahradníková, Nick Wiesner Sa 05.02.11 20:00 Uhr Ballettprobenhaus am Platzl

artifact

Masterclass Colleen Scott und ivan liška

Musik Eva Crossman-Hecht, Ferruccio Busoni/Johann Sebastian Bach, William Forsythe

Illusionen – wie Schwanensee Mit Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Sa 19.03.11 20:00 Uhr Ballettprobenhaus am Platzl

Mo Do Mo Di

William Forsythe

24.01.11 27.01.11 31.01.11 01.02.11

19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr

Matinee der 3 Heinz-Bosl-Stiftung

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So 06.03.11 11:00 Uhr

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K–O–n–Z–e–R–T–e

C–a–M–p–U–S

Engelbert Humperdinck / Frank Rudhardt

Sitzkissenkonzert: Hänsel und Gretel

PpRreER mEi spoERIindEe irppribRndEirERi

Sa 08.01.11 15:00 Uhr Sa 15.01.11 15:00 Uhr

Weihnachtskonzert

Ein festliches Weihnachtskonzert mit OperaBrass, den Blechbläsern der Bayerischen Staatsoper Sa 18.12.10 20:00 Uhr

Joseph Haydn

la fedeltà premiata

St. Michael

Mitglieder des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper

Musikalische Leitung Christopher Ward

3. akademiekonzert

Fr 25.03.11 19:00 Uhr

Gottfried von Einem, Paul Hindemith, Gustav Mahler Musikalische Leitung Fabio Luisi Violine Arabella Steinbacher

3. Kammerkonzert Georges Onslow, Franz Schubert So 16.01.11 11:00 Uhr Di 18.01.10 20:00 Uhr

Allerheiligen Hofkirche Allerheiligen Hofkirche

4. akademiekonzert

Cuvilliés-Theater

PR E M I E R E

erlebnistag 2011

Mo 10.01.11 20:00 Uhr Di 11.01.11 20:00 Uhr

Parkett Garderobe Parkett Garderobe

S p i e l p l a n

Mitglieder des Opernstudios und von ATTACCA – Jugendorchester des Bayerischen Staatsorchesters Sa 26.03.11 10:00 Uhr

Charles Ives, Sergej Prokofiew, Dmitri Schostakowitsch Leitung Kent Nagano Klavier Ivo Pogorelich Mo 07.02.11 20:00 Uhr Di 08.02.11 20:00 Uhr

4. Kammerkonzert

Die unmögliche Enzyklopädie

Alban Berg, Gustav Mahler, Alfred Schnittke, Arnold Schönberg

So 20.02.11 11:00 Uhr Di 22.02.11 20:00 Uhr

DIE UNMÖGLICHE ENZYKLOPÄDIE 16: FREITOD Di 18.01.11 20:00 Uhr Nationaltheater, Eingang Maximilianstraße

Allerheiligen Hofkirche Allerheiligen Hofkirche

DIE UNMÖGLICHE ENZYKLOPÄDIE 17: VÄTER Mo 14.02.11 20:00 Uhr Nationaltheater DIE UNMÖGLICHE ENZYKLOPÄDIE 18: VARIATION Mo 14.03.11 20:00 Uhr Ballettprobenhaus am Platzl

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plaKaTKünSTleR

»anpassung ist eine Form der durchsetzung« Der Abenteuerfilm 2010 140 x 140 cm Öl / Leinwand

Nachtwanderung 2008 120 x 170 cm Öl/Leinwand

gedanken zu L’Enfant et les sortilèges / Der Zwerg von axel Krause, der das plakat dafür malt. Das Mädchenzimmer 2009 160 x 240 cm Öl / Leinwand

M J in Der Zwerg ist das anders. M A X J O S E P H ist es eine Herausforderung, wenn man A K ist er tatsächlich ein Zwerg oder sieht ihn die zwei Stücke auf einem plakat „verkaufen“ muss? A X E L K R A U S E Da stellt sich die naheliegende prinzessin nur so? Und ist sie vielleicht eher eine idealisierte Frau, welche die Hoffnung des (kleinen) ManFrage, was sie miteinander verbindet. erst wollte ich nes auf vollkommene liebe nicht erfüllen kann? mich einfach bei den Verantwortlichen kundig machen, aber dann war ich bereits bei meinen eigenen assoziaM J also eine eher irdische Frau … tionen. A K … die nur in der Vorstellung des Mannes überhöht wird. Wenn sie die hohen erwartungen nicht erM J Was ging ihnen durch den Kopf? füllen will, fühlt ein Mann sich schnell als Spielzeug A K in beiden Geschichten stehen sich ein junger missbraucht, klein und elend wie ein Zwerg. Das perMensch und eine mit gewisser Macht ausgestattete fekte Missverständnis! Frau gegenüber. im ersten Stück die Mutter, welche das Kind nach ihren Maßstäben reglementiert. Die M J aber nicht alle Männer fallen dann tot um. Reaktion ist nicht anpassung, sondern eher eine A K Das ist eben Oper – tragisch, kunstvoll – und zum Rebellion, die an ihrem Höhepunkt in den Satz Glück im realen leben meistens anders! mündet: „ich bin böse und frei!“ Das kennt man, freilich in unterschiedlicher ausprägung – wir sind Axel Krause hat an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Malerei studiert. Seine Arbeiten wurden in Berlin, nicht alle Rebellen. auch anpassung kann eine München, Leipzig, Peking und Seoul ausgestellt. Form der Durchsetzung sein. Dem Kind jedenfalls L’Enfant et les sortilèges / Der Zwerg scheint seine Katharsis zu neuer empathie zu ver- 9 5 Premiere am 27. Februar 2011 helfen. 9 5 Weitere Termine im Spielplan ab S. 90

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Max joseph №3 VORScHAU

2010 / 2011

UNFREI frei

n e l l e b e R

mit Vesselina Kasarova

john Neumeiers Illusionen – wie schwanensee

Foto: Broomberg and Chanarin, Courtesy The Goodman gallery

I Capuleti e i Montecchi: aufstand der Gefühle

Die nächste Ausgabe von MAX JOSEPH erscheint am 17. März 2011 96_VORSCHAU.MXM.BMB.indd 96

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