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Sigmar Polke, Künstler kämpfen …, 1979, Sammlung Deutsche Bank im Städel Museum, Frankfurt am Main © Städel Museum – ARTOTHEK © The Estate of Sigmar Polke, Cologne / VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Editorial „Skandal!“ – kein anderer Ausruf bringt deutlicher auf den Punkt, dass etwas in jemandes Augen nicht mehr recht ist und die geltende Ordnung in Frage gestellt werden muss. Er steht im Mittelpunkt dieser ersten Ausgabe von Max Joseph in der Spielzeit 2018 / 19 an der Bayerischen Staatsoper, die wir mit ALLES WAS RECHT IST überschrieben haben. Empörung und Skandal sind derzeit inflationär in aller Öffentlichkeit präsent. Das macht die Sache kompliziert und bedarf der Reflexion. Was genau einen Skandal ausmacht, zeigt der Schriftsteller Georg M. Oswald in seinem Essay für diese Ausgabe auf: Erst wenn die Empörung vielstimmig wird, entsteht ein Skandal. Und erst wenn ein Skandal zu echten Debatten führt, hat er eine verändernde Kraft jenseits des medialen Trommelwirbels. Mit Giuseppe Verdis Otello unter der Leitung von Generalmusikdirektor Kirill Petrenko zeigt die Bayerische Staatsoper als Eröffnungspremiere ein Werk, dessen Stoff durch alle Zeiten skandalös war: Ein Außenseiter schafft über beruflichen Erfolg und Heirat mit einer Tochter aus gutem Hause den Aufstieg in die Mehrheitsgesellschaft. Dann wird er Opfer einer Intrige und begeht einen brutalen Mord. Amélie Niermeyer inszeniert dieses Drama, Jonas Kaufmann interpretiert die Partie des Otello. In einem spannenden Gespräch für diese Ausgabe loten sie unter anderem eine Schlüsselfrage aus: ob man mit Otello Mitleid haben soll. Auch Bedřich Smetana hat mit seiner Oper Die verkaufte Braut im 19. Jahrhundert einen Stoff vertont, der nicht ein Jota seiner Relevanz verloren hat – oder wie es David Bösch, der das Werk für die Bayerische Staatsoper inszeniert, für diese Ausgabe formuliert hat: „Das Stück spielt in einer Welt, in der über die Frauen, über die nachfolgende Generation, über die, die am Rande stehen, drübergetrampelt wird.“ Was historisch zum Skandal geworden ist, ist schnell erzählt. Für die Gegenwart und Zukunft relevant ist jedoch, was wir aktuell für einen Skandal halten. Diese Frage haben wir der Geigerin Patricia Kopatchinskaja gestellt, die mit Mut und Furor geantwortet hat. Ihr eindringliches Statement befindet sich in diesem Heft. Auf der Bühne ist sie zusammen mit Kirill Petrenko beim 2. Akademiekonzert mit der Kostbarkeit des Schönberg-Violinkonzerts zu erleben. Die Bezeichnung als Skandal, sei sie nun vielstimmig oder einstimmig, entbindet nicht von der Verantwortung, sich mit dem als skandalös Erklärten auseinanderzusetzen. Sie fordert, im Gegenteil, zur Auseinandersetzung damit auf. ALLES WAS RECHT IST – aus diesem vieldeutigen Impetus wollen wir unsere Kunst in Bezug zur Gegenwart stellen. Eine Herausforderung, die wir gerne annehmen.
Wir freuen uns auf eine schöne Spielzeit 2018 / 19!
Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper
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A M Joseph X
Inhalt
Das Magazin der Bayerischen Staatsoper
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Editorial Von Nikolaus Bachler
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Contributors/Impressum
Spielzeit 2018 / 19 ALLES WAS RECHT IST 14 Betriebsgeräusche der Demokratie Ein Essay von Georg M. Oswald
№ 1: Skandal!
Collage Andreas Neumeister
10 Skandal! Als Bild, gestaltet von Andreas Neumeister
22 Mitleid oder nicht? ⁂ Regisseurin Amélie Niermeyer und Tenor Jonas Kaufmann im Gespräch über Giuseppe Verdis Otello 32 Eine Kultur der Bereicherung, statt Leistung Gesine Schwan im Interview über Empörung in einer Demokratie
WS!NEWS!NEW ALLES WAS RECHT IST: SKANDAL! DAS MAGAZIN DER BAYERISCHEN STAATSOPER
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Cover Bureau Borsche
A M Joseph X
Foto Stephanie Steinkopf
40 Vogelfrei Eine Bilderserie von Stephanie Steinkopf
⁂ Zur Premiere
Kerry James Marshall, Untitled (Policeman), 2015, siehe Seite 54
54 Die Macht des Unbewussten ⁂ Die US-amerikanische Forscherin Christine Platt über Rassismus und Shakespeares Othello
78 Den Glanz tanzen ⁂ Aus Anlass der Jewels von George Balanchine: Über Tanz, Schmuck und Moderne Foto Getty Images
50 Chemnitz – ein Weckruf Ein Kommentar von Michael Kraske
84 Die Frl. Wunder AG … ⁂ … über ihren Abend GELIEBT, GEHASST UND TROTZDEM TREU, zum 40. Jubiläum der Everding-Zauberflöte
70 Das böhmische Dorf ⁂ Im Nu von der Verkauften Braut bis zum modernen tschechischen Film Von Kilian Kirchgeßner
Collage Sebastian Haslauer
62 Wie das so ist mit den schönsten, stärksten Blumen ⁂ Regisseur David Bösch über Die verkaufte Braut von Bedřich Smetana
72 Skandal! Patricia Kopatchinskaja und Lukas Fierz stellen eindringlich dar, was für sie skandalös ist
90 Die verkaufte Braut hätt besser solln / … Ein Hochzeitslader erzählt Von Sarah-Maria Deckert
Foto Björn Lux & Frank Wache / Agentur Focus
64 Ein Hoch der Hochzeit Eine Lobpreisung von Jackie Thomae
Agenda 95 Spielplan 102 ALLES WAS RECHT IST: Eheverträge Folge 1 der Rechtskolumne von Andreas Spickhoff 104 Vorschau
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Erleben Sie Stickstoff. In einer brillanten Inszenierung von Linde. Welches Aussehen hätten Gase, wenn sie sichtbar wären? Und wie würden sie klingen? Wir wollten es wissen und haben typische physikalische Eigenschaften wie Elektronenzahl oder Siedepunkt in Töne und Farben gekleidet. Mehr unter www.fascinating-gases.com. Wir begleiten die Bayerische Staatsoper im Rahmen unseres Kulturengagements als Spielzeitpartner.
Spielzeitpartner 2018/2019
N Stickstoff
Contributors Gesine Schwan
Impressum Seite 32
Max Joseph Das Magazin der Bayerischen Staatsoper www.staatsoper.de/maxjoseph
© Gesine Schwan
Viel Zeit nahm sich Gesine Schwan für das Gespräch mit der Journalistin Margarete Moulin in ihrem Berliner Büro. Gesine Schwan leitet dort, unter anderem, die Humboldt-Viadrina Governance Platform, eine gemeinnützige
Max-Joseph-Platz 2, 80539 München
GmbH, die demokratische Prozesse international fördert. Es ging um den
T 089 – 21 85 10 20 F 089 – 21 85 10 23
Unterschied zwischen Aufplusterei und sinnvoller Empörung, über
maxjoseph@staatsoper.de, www.staatsoper.de
Neoliberalismus und Werteverfall. Dabei begnügt sie sich nie mit Analysen, sondern zeigt Handlungsoptionen auf für aktuelle Krisen.
Herausgeber Staatsintendant Nikolaus Bachler (V.i.S.d.P.)
Georg M. Oswald
Seite 14
Redaktionsleitung Foto Peter von Felbert
Maria März Jeder weiß, was ein Skandal ist. Oder kommt es auf die Perspektive an? Der Münchner Schriftsteller und Rechtsanwalt Georg M. Oswald durchleuchtet in seinem Essay das Phänomen des Skandals und zeigt seine
Gesamtkoordination Christoph Koch
Bedingungen und Wirkungsweisen auf. Für seinen Roman Alles, was zählt (2000), der in zehn Sprachen erschien, erhielt er den International Prize. Zuletzt veröffentlichte er den Roman Alle, die du liebst (2017) und Unsere Grundrechte (2018).
Redaktion Verena Hein, Rainer Karlitschek, Malte Krasting, Benedikt Stampfli, Nikolaus Stenitzer Mitarbeit Sabine Voß
Pravu Mazumdar Seite 78
Bildredaktion Verena Hein
Tanz und Schmuck, so schreibt Pravu Mazumdar in seinem Text zu George Balanchines Ballett Jewels, sind zwei uralte Mittel der Verwandlung, mit
Schlussredaktion
denen der Mensch aus seiner Nichtigkeit ausbricht. Der in Indien geborene
Katja Strube
Arbeiten entfaltet er, in Anlehnung an die Ideen Michel Foucaults, eine
Gestaltung Bureau Borsche – Mirko Borsche,
Diagnose der Moderne – so auch in seinem Schmuckbuch Gold und
Moritz Fuhrmann, Robert Gutmann,
Geist: Prolegomena zu einer Philosophie des Schmucks (2015).
Katharina Nejdl, Raffael Kormann Foto Martin Fengel / Suhrkamp
Münchner Autor und Dozent studierte Physik und Philosophie. In seinen
Autoren Sarah-Maria Deckert, Tobias Haberl, Andreas Neumeister
Seite 10
Kilian Kirchgeßner, Patricia Kopatchinskaja und Lukas Fierz, Michael Kraske, Pravu Mazumdar,
Seit der Watergate-Affäre wird mit dem Suffix -gate jede Art von Skandal bezeichnet. Andreas Neumeister – Schriftsteller, Hörspielautor und
Margarete Moulin, Georg M. Oswald, Anna Schürmer, Andreas Spickhoff, Jackie Thomae
bildender Künstler aus München – treibt das in seiner Collage auf die Spitze. Medialisierung und Visualisierung von Sprache und Geschichte sind Sujets seiner visuellen Arbeiten, gedruckt und im öffentlichen Raum. Zuletzt erschienen von ihm bei Suhrkamp Angela Davis löscht ihre Webseite (2002) und der Roman Könnte Köln sein (2008).
Fotografen & Bildende Künstler John Baldessari, Sebastian Haslauer, Falko Herold, Tanja Kernweiss, Kerry James Marshall, Andreas Neumeister, Monika Nikolic, Sigmar Polke, Daniela
Seite 54
Das Werk des Chicagoer Künstlers Kerry James Marshall, geboren 1955 in Alabama, behandelt die Abwesenheit von Afroamerikanern im westlichen
Kati Szilágyi Marketing Laura Schieferle T 089 – 21 85 10 27 marketing@staatsoper.de
Kanon der Kunstgeschichte. Seine Gemälde, Skulpturen und Mixed-MediaArbeiten sind u. a. im Metropolitan Museum of Art in New York und im Museum of Contemporary Art Chicago zu sehen. 2013 berief ihn Barack Obama in seinen siebenköpfigen Rat für Kunst und Geisteswissenschaften.
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Und eines seiner Werke erstand jüngst der Hip-Hop-Mogul P. Diddy.
Photos / Getty Images
Kerry James Marshall
Foto Jack Mitchell / Archive
Rossell, Thomas Schütte, Stephanie Steinkopf,
Lithografie MXM Digital Service, München Kati Szilágyi
Seite 102
Druck und Herstellung
und findet nur schwer wieder zurück in die graue Wirklichkeit. Sie arbeitet
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Nachdruck nur nach vorheriger Einwilligung.
mit digitalen und analogen Elementen, dabei klassisch zeichnerisch oder mit
Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle
Scherenschnitt. An der Hochschule für angewandte Wissenschaften in
Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu erreichen
Würzburg unterrichtet sie Zeichnen und Konzeptionelles Darstellen und
waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsab-
arbeitet unter anderem für die New York Times, Hohe Luft oder Google.
geltung um Nachricht gebeten. Max Joseph wird auf
Für Max Joseph hat sie die Rechtskolumne illustriert.
umweltfreundlichem Bio Top Naturpapier gedruckt.
Foto Riikka Laakso
Gotteswinter und Aumaier GmbH, München In den Illustrationen von Kati Szilágyi aus Berlin kann man sich verlieren
LEBE N AMMER SEE
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SKANDAL! In der Spielzeit 2018 / 19 gestaltet Andreas Neumeister, Schriftsteller und bildender Künstler, für jede Ausgabe von Max Joseph ein Eröffnungsbild.
Mehr über Andreas Neumeister auf S. 8
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Bibgate Bladegate Bloodgate Bottlegate Bountygate Coughgate Strippergate Thulegate Crashgate Deflategate FIFA-gate Glovegate Grannygate Homeworkgate Indygate Watergate – the original Lleytgate Lochtegate Moggigate Napgate Noisegate Ovalgate Partgate Shouldergate Sirengate (1) Sirengate (2) Skategate Sonicsgate Spygate (1) Spygate (2) Sodagate Spingate Strippergate Tattoogate Taxigate Pizzagate Seatgate
Flatgate
Textgate Tigergate Tripgate Twirlgate Antennagate Bendgate Dieselgate Donglegate Chipgate Shirtgate Staingate Pengate Petrikgate Hissgate Twittergate Beachgate Coalgate Babygate Bingate Butterflygate Clipgate Cuntgate Flatgate Kimono-gate Tissuegate Toiletgate Maskgate Muffgate Pantygate Petra-Gate Polkagate Sharongate Stargate Strawberry-Gate Stupid Watergate
Muffgate Pantygate Petra-Gate
Tullegate Waitergate Woollygate riv3rgate Gerstmanngate Doritogate Pizzagate Spygate Horsemeatgate Nutgate Elsagate Murdochgate Donnygate Mediagate Rathergate Reutersgate Angolagate Betsygate Biscuitgate Blabbergate Rywingate Bonusgate Bridgegate Brothelgate Cablegate Cashgate Camillagate Choi Soon-sil gate Choppergate (1) Choppergate (2) Beachgate Coalgate Corngate Dasukigate Debategate Bigotgate Billygate Bingogate
Mediagate Rathergate Reutersgate Angolagate
Erdogate
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Choppergate Elevatorgate Dunagate Elbowgate Closetgate Envelopegate Flakegate Gamergate Nipplegate Sachsgate Climategate Facebookgate Rubygate Bombergate Murdochgate Donnygate Mediagate Rathergate Reutersgate Angolagate Betsygate BiscuitgateFangate Filegate Blabbergate RywingateGaiagate BonusgateGarglegate BridgegateBebe-Gate Coingate Brothelgate Cablegate Gategate Cashgate Gloriagate Grangegate Camillagate Gulargate Choi Soon-sil gate Guptagate Choppergate (1) Hailgate Choppergate (2) BeachgateHairgate Coalgate Hawaiigate Corngate Iraqgate Contragate Dasukigate 12
Gamergate
Irisgate Jurmalgate Kazakhgate Leakgate Lunaticgate Mammygate Memogate (2) Muldergate Namagate Nannygate (1) Nannygate (2) NISgate Pardongate Pastagate Pastygate Pemexgate Penelopegate Petrogate Piggate Plamegate Ponytailgate Porngate Pussygate Nkandlagate (1) Pantigate Railgate Rinkagate Officegate Panamagate Troopergate (1) Troopergate (2) Troopergate (3) Robogate Russiagate Salmondgate Shawinigate Shitholegate
riv3rgate Gerstmanngate Doritogate Pizzagate Spygate Horsemeatgate Nutgate
Koreagate (U.S. scandal involving South Korean influence peddling in the U.S. Congress, the first scandal after Watergate to receive the -gate suffix)
Debategate Bigotgate Billygate Bingogate Emailgate Penisgate Portraitgate Erdogate Faceliftgate Fallagate Fajitagate Fingergate
Squidgygate Stormontgate Toallagate Taxigate Traingate Travelgate Travelgate Trousergate Tunagate Utegate Valijagate Wampumgate Waterkantgate Weinergate Bibgate Bladegate Bloodgate Bottlegate Bountygate Coughgate Strippergate Thulegate Crashgate Deflategate FIFA-gate Glovegate Grannygate Homeworkgate Indygate Watergate – the original Lleytgate Lochtegate Moggigate Napgate Noisegate Ovalgate
Partgate Shouldergate Sirengate (1) Sirengate (2) Skategate Sonicsgate Spygate (1) Spygate (2) Sodagate Spingate Strippergate Tattoogate Taxigate Pizzagate Seatgate Textgate Tigergate Tripgate Twirlgate Antennagate Bendgate Dieselgate Donglegate Chipgate Shirtgate Staingate Pengate Petrikgate Hissgate Twittergate Babygate Bingate Butterflygate Clipgate Cuntgate Flatgate Kimono-gate
Stargate Strawber Stupid W Tullegate
Nannygate Tissuegate Toiletgate Maskgate Muffgate Pantygate Petra-Gate Polkagate
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BETRIEBSGERÄUSCHE DER DEMOKRATIE
Wer „Skandal“ schreit, trommelt für die Wiederherstellung einer als richtig empfundenen Ordnung. Wenn, und nur wenn, Skandale zu echten Debatten führen, haben sie eine verändernde Kraft. 14
Text Georg M. Oswald
WAS IST EIN SKANDAL?
John Baldessari, Maybe That is The Simplest Way ..., 2015, Courtesy the artist, Marian Goodman Gallery and Sprüth Magers Foto: Joshua White, 2015
Mit Wörtern, die wir beinahe alltäglich verwenden, geschieht das öfter: Wir scheinen zu wissen, was sie bedeuten. Doch wenn wir sie näher betrachten, fällt es uns schwer zu erklären, was sie genau beschreiben und was nicht. Skandal ist so ein Wort. Wenn sich zwei einig sind, dieses oder jenes sei ein Skandal, müssen sie nicht im Wörterbuch nachsehen, um sich ihrer tief empfundenen Übereinstimmung zu vergewissern. Würden sie es doch tun, könnten sie erfahren, dass ihr Einvernehmen vielleicht nur ein schmales Fundament besitzt. Das Grimm’sche Wörterbuch spricht im Wesentlichen von zwei Bedeutungen des Wortes Skandal. Einmal von einem Ärgernis, das schmachvolles Aufsehen erregt, das andere Mal schlichtweg von Lärm. Ein Skandal braucht also
Öffentlichkeit, um überhaupt wahrgenommen werden zu können. Schon deshalb gibt es überall dort, wo Pressefreiheit herrscht, auch Medien, die sich ganz auf die Produktion von Lärm und schmachvollem Aufsehen spezialisiert haben. Wir kennen Skandale bei Hofe, Skandale in der Unterhaltungsbranche, Skandale im Sport, Skandale auf der Bühne, in der Kunst, in der Literatur und in allen anderen Bereichen menschlichen Lebens. Noch jeder kleinste Verein hat seinen Skandal. Davon unterscheiden sich die großen Skandale. Sie spielen regelmäßig in den Sphären von Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Justiz. Doch die Größe hängt nicht nur vom Thema ab. Reagiert die Öffentlichkeit mit einem Achselzucken, entfällt der Skandal. Erst, sobald die Empörung vielstimmig wird, entsteht ein Skandal, der seinen Namen verdient. Gibt es also gar keinen Unterschied zwischen einem „wirklichen“ Skandal und bloß heißer Luft? Es mag irritierend sein, aber das hängt ganz allein vom Standpunkt ab. Was die einen nicht aufregt oder ihnen sogar willkommen ist, erscheint den anderen unerträglich. Kann ein Skandal also überhaupt etwas bewirken? Oder ist er nichts weiter als eine effektvolle Kommunikationsform?
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HAT EIN SKANDAL VERÄNDERNDE KRAFT?
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„Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht“, schrieb Karl Kraus in Sprüche und Widersprüche. Das skandalöse Geschehen wird erst durch seine Aufdeckung zum Skandal. Erst wenn die Polizei einschreitet und die Presse berichtet, kann mit der Wiederherstellung der Ordnung begonnen werden. Der Skandal, insbesondere die Empörung über den Skandal, ist im wörtlichen Sinn konservativ motiviert. Ihr geht es um die Wiederherstellung und damit um das Bewahren einer als richtig empfundenen Ordnung. Ein Beispiel: In den Verfassungen aller westlichen Gesellschaften sind die Rechte auf Menschenwürde, körperliche Unversehrtheit, Schutz der Persönlichkeit und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern seit Jahrzehnten festgeschrieben. Auch Harvey Weinstein hätte dagegen wohl nichts einzuwenden. Der mit seinem Namen verbundene Skandal handelt nicht etwa davon, dass diese Rechte nicht existierten. Er handelt vielmehr davon, dass sie missachtet wurden und wiederhergestellt werden müssen. Der eingangs zitierte Karl Kraus war ein Kritiker der bürgerlichen Moral und ein Verächter des Spießbürgertums. Man darf also annehmen, dass er sich vor allem über die wohlfeile und oft folgenlose Entrüstung lustig machen wollte, die ebenfalls zu jedem Skandal gehört. Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, heißt es, aber auch: Das Netz vergisst nichts. Wer würde die Frage, ob es heute mehr Skandale gebe als früher, nicht mit Ja beantworten? Wenn man aber ehrlich ist, hätte man das immer schon getan. Das Aktuelle nimmt einen deshalb so in Beschlag, weil man noch nicht weiß, wie es ausgeht. Gerade die größten vergangenen Skandale werden deshalb von Zeit zu Zeit so gern nacherzählt – am schönsten ist der Schauder der Erinnerung, wenn das Publikum weiß: Selbst wenn die Sache nicht gut ausgegangen ist, wir haben sie überlebt. Erschöpft sich also die Wirkung von Skandalen in kurzer öffentlicher Erregung, nach der dann doch alles beim Alten bleibt? Man muss die Probe aufs Exempel machen, um hierauf eine Antwort zu bekommen. Hier ein paar Beispiele: Die schon erwähnte #MeToo-Debatte begann als Hollywood-Skandal um Harvey Weinstein, nach und nach machten jedoch Männer und Frauen auf der ganzen Welt öffentlich, dass es einen Zusammenhang zwischen Macht und sexuellem Missbrauch gibt, der lange Zeit tabuisiert wurde. Seitdem wird über die Neubewertung von Geschlechterverhältnissen in Hierarchien und über angemessene Verhaltensweisen der Beteiligten diskutiert. Die Debatte bringt aber auch zum Vorschein, wie sich eine Gesellschaft verändert, in der der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs genügt, um Existenzen zu vernichten. Die Missachtung der Unschuldsvermutung in der öffentlichen Diskussion führt zu einem Klima der Lynchjustiz.
John Baldessari, Sediment: Three Overcoats (Ascending Stairs), 2010, Courtesy the artist, Marian Goodman Gallery and Sprüth Magers Foto: Brian Forrest
„Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht“, schrieb Karl Kraus in Sprüche und Widersprüche.
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Bilder John Baldessari
John Baldessari, Yeah I know ..., 2015, Courtesy the artist, Marian Goodman Gallery and SprĂźth Magers Foto: Joshua White, 2015
Nach der Empörung setzt sich langsam die Einsicht durch, dass auch in dieser Debatte Anschuldigungen allein nicht genügen dürfen, um jemanden einer vermeintlichen Untat zu überführen. Beinahe ein Jahrzehnt lang konnte der Nationalsozialistische Untergrund rauben und morden, während Verfassungsschutz und Polizei hartnäckig leugneten, es könne in Deutschland rechtsextremen Terror geben. Das Ausmaß dieses Versagens stellt unsere Haltung zum Rechtsextremismus grundsätzlich in Frage. Auf allen Ebenen, politisch, gesellschaftlich, in den Behörden selbst, muss auf diese Erkenntnis reagiert werden. Ist es wirklich nur mit Irrtümern, Schludrigkeiten und Versehen zu erklären, dass in einem Land jahrelang von „Döner-Morden“ berichtet wird, während die Täter unerkannt blieben? Und was sagt es über unsere Einstellung aus, dass die große öffentliche Empörung in diesem Fall ausbleibt? Bei der Betrachtung der Flüchtlingskrise von 2015 ist schon umstritten, worin überhaupt ein Skandal zu sehen wäre. Darin, dass die Bundesregierung eine humanitäre Katastrophe verhindert hat? Oder darin, dass dies von anderen als „Herrschaft des Unrechts“ bezeichnet wurde? Die daraus hervorgegangene Debatte, die bis heute andauert und sogar immer dringlicher geführt wird, verweist auf eine grundlegende Frage: Wie verhält sich eine offene Gesellschaft zum Thema der Migration? Abgehandelt wird diese Frage an immer neuen Vorfällen, die als Skandale bezeichnet werden, wobei oft schon nicht ganz klar ist, worin der Skandal bestehen soll. War die Abschiebung eines mutmaßlichen Leibwächters von Osama bin Laden ein Skandal, weil sie sich über das ausdrückliche Verbot eines deutschen Gerichts hinwegsetzte? Oder glaubte die Exekutive hier, der Zweck heilige die Mittel? Ist es ein Skandal, wenn sich ein Minister an seinem 69. Geburtstag darüber freut, dass an diesem Tag für jedes seiner Lebensjahre ein Asylsuchender abgeschoben wurde? Oder ist es ein Skandal, dass dieser Minister seinen Amtseid auf das Grundgesetz mit seinem Bekenntnis zu den Menschenrechten abgelegt hat? Unzählige solcher Fragen lassen sich bilden, und sie deuten alle auf ein tiefer liegendes Problem hin, an das sich die öffentliche Diskussion noch gar nicht herantraut. Das politische Selbstverständnis der westlichen Welt beruht auf der Anerkennung und dem Schutz der Menschenrechte. Auf sie berufen sich alle westlichen Verfassungen. Welche Verantwortung folgt aus diesem Bekenntnis? Ist es überhaupt noch zeitgemäß? Oder ist es die unverhandelbare Grundlage zivilisierter Gesellschaften? Dabei wäre es mit Lippenbekenntnissen nicht getan. Die Anerkennung der Menschenrechte, wie sie in der UN-Menschenrechts-
Wer in Skandalen nur die Bestätigung seiner Vorurteile sehen will, wird darin auch nichts anderes finden.
charta formuliert sind, führt zu konkreten rechtlichen Verpflichtungen. Die Einschränkung der Pressefreiheit, der Unabhängigkeit der Gerichte, eine Flüchtlingspolitik, wie sie zum Beispiel Ungarn praktiziert, ist damit nicht zu vereinbaren. Was diese Rechte bedeuten sollen und was nicht, ist heute so umstritten wie lange nicht. Unter anderem deshalb häufen sich die „Skandal“-Rufe in jüngster Zeit. Jede Seite nimmt für sich in Anspruch, eine Ordnung bewahren zu wollen, die sie für richtig erachtet. An Beispielen wie diesen lässt sich erkennen, dass Skandale weit mehr sein können als die Ursache kurzer, sinnfreier Erregungszustände. Die #MeToo-Debatte und die Migrationsdebatte werden von immer neuen Skandalen befeuert, doch was dahinter sichtbar wird, sind in beiden Fällen gesellschaftliche Verwerfungen, die der Auseinandersetzung bedürfen. Wie viel aus ihnen zu lernen ist, hängt ganz wesentlich vom Betrachter ab. Wer in Skandalen nur die Bestätigung seiner Vorurteile sehen will, wird darin auch nichts anderes finden. Überall dort aber, wo Skandale als Einladung zur Meinungsbildung und Debatte verstanden werden, sind sie so etwas wie Betriebsgeräusche der Demokratie.
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RECHT UND SKANDAL, RECHT UND MORAL.
Skandale sind also keineswegs ein Beweis dafür, dass es schlecht um den Rechtsstaat steht. Eher schon ist das Gegenteil richtig. Ein Rechtsstaat ist nicht einer, in dem nichts Unrechtes geschieht. Aber in einem Rechtsstaat besteht eine gute Chance, dass voneinander unabhängige Gewalten geltendes Recht zur Anwendung bringen, wenn es verletzt wird. Dies geschieht nicht von allein. Wo ein Skandal ist, gibt es auch immer jemanden, der ihn vertuschen will. Vor Gericht müssen deshalb andere Regeln gelten als in der Politik und in der öffentlichen Debatte. Anschuldigungen, Zuspitzungen dürfen nicht ausreichen, um jemanden zu verurteilen. Auch die Justiz selbst kann natürlich Schauplatz und Gegenstand von Skandalen sein. Es ist so bedauerlich wie selbstverständlich, dass auch die Gerichtssäle eines demokratischen Rechtsstaates keine seligen Inseln der Wahrheit sind. Es ist immer einfacher, den Lauf der Welt zu beklagen oder an Verschwörungstheorien zu glauben, als den Versuch zu unternehmen, Missstände aufzudecken. Deshalb braucht es öffentlichen Druck. Wahlrecht, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit, alle demokratischen Freiheits- und Mitwirkungsrechte garantieren uns die Möglichkeit, solche Missstände zu skandalisieren. Damit Skandale nicht folgenlos bleiben, sollten wir lebhaft Gebrauch davon machen. Mehr über den Autor auf S. 8
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Munich DĂźsseldorf Frankfurt Hamburg Vienna London Milan Paris Cannes Monte Carlo www.akris.ch
Mitleid oder nicht? Dies war eine der Schlüsselfragen für Regisseurin Amélie Niermeyer und Tenor Jonas Kaufmann im Gespräch zur Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Otello. Über Außenseiter, Fremde und ein durch und durch aufrüttelndes Werk. Ein Schlüsselwort in Verdis Otello lautet „Moro“, der Mohr. Wie übersetzt man das optisch und szenisch? Mit schwarzer Schminke ist man ja über die Jahre zurückhaltender geworden.
MAX JOSEPH
Zurückhaltender? Das ist milde ausgedrückt. Ich bin entsetzt, dass es heute noch immer Inszenierungen gibt, die Otello unreflektiert ethnisch schwarz schminken und dabei vergessen, dass wir diese Praxis historisch längst als latenten Rassismus dechiffriert haben. In diese Falle darf man heute natürlich nicht tappen. Und in dem Stück geht es ja nicht um Hautfarbe oder Kleidung, sondern um den Status eines Außenseiters. Über die Interaktion zwischen Otello und seinem Umfeld sollte man das heute erkennbar machen. Dafür braucht es nun wirklich keine schwarze Schminke oder exotische Gewänder. Zunächst ist er ein absoluter Fachmann in strategischer Kriegsführung und darin ein wahnsinniger Nerd. Doch zugleich sehen wir ihn unabhängig von seiner Hautfarbe als Kriegsheimkehrer, der Schreckliches erlebt hat und allein dadurch Schwierigkeiten mit seinem Umfeld hat. JONAS KAUFMANN Die Frage „Schwarz schminken als Aida und Otello?“ entfacht im Zeitalter der political correctness natürlich mehr Diskussionen denn je. Vor meiner ersten Produktion als Otello, vergangenes Jahr in London, wurde ich immer wieder darauf angesprochen. Dazu muss man wissen, dass man mit dem Begriff moorish people in England lange Zeit nicht nur Schwarze meinte, sondern alle Ausländer, egal welcher Herkunft und Hautfarbe. Das waren schlichtweg die Fremden. Im deutschsprachigen Raum hingegen bezeichnete man lange Zeit einen Schwarzen als Mohren, siehe Die Zauberflöte: „Der böse Mohr verlangte Liebe“. AMÉLIE NIERMEYER
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Premiere Otello
Was die Sache in Bezug auf Otello aber nicht einfacher macht. Es rekurriert auf das Klischee des Fremden, des Wilden, der seine Emotionen nicht im Griff hat, der eifersüchtig ist, ausrastet und aus Eifersucht mordet. JK Aber die Herkunft ist nicht ganz egal. Dadurch, dass er aus dem arabischen Raum kommt, hat er noch mehr den Nimbus des „andere Länder, andere Sitten und Rechte“. Explizit: Wenn seine Frau ihn betrogen hat, hat er in seiner Kultur das Recht, sie umzubringen; da gibt’s keinen Richter und keinen Verteidiger. Auch wenn er in der „westlichen Gesellschaft“ Fuß gefasst und Karriere gemacht hat, ist Otello im Rechtssystem seiner Kultur verwurzelt und sieht sich somit völlig im Recht. Wenn er Desdemona tötet, ist er sich keiner Schuld bewusst, er ist sogar stolz drauf. Da frage ich mich: Besteht das Skandalöse des Stücks darin, dass er seine Frau umbringt, weil er sich auf die Rechte seiner Kultur beruft – oder besteht der Skandal nicht eigentlich darin, dass die Gesellschaft ihn so weit bringt, dass dieser „Ehrenmord“ für ihn der einzige logische Ausweg ist? MJ Ehrenmord nach fehlgeschlagener Integration – der Stoff könnte ja aktueller nicht sein. AN Extrem aktuell, auch mit Blick auf den sozialen Druck in Männergesellschaften. Denn es ist ja nicht nur Jago, der Otello mit seiner Intrige zum Ehrenmord treibt, sondern es ist eine Männergesellschaft, die Eifersucht und Gewalt schürt, siehe die Trinkszene im ersten Akt. Und der Gedanke, angesichts dieser Gesellschaft, zu der Otello ja gehören möchte, als betrogener Ehemann dazustehen, ist ihm unerträglich. JK Als Außenseiter steht er doppelt unter Druck. Er hat sich ungeheuer angestrengt, als Feldherr wie auch privat Teil der Gesellschaft zu werden, der er angehören möchte. Und sobald er auch nur im Verdacht steht, von seiner Frau betrogen zu werden, reduziert man ihn auf den Fremden und Wilden. MJ Was sind für Sie die unerhörten, schwer erträglichen Momente in diesem Stück? JK Der brutalste Moment ist für mich, wenn Jago und Otello nach dem angeblichen Beweis mit dem Taschentuch und vor Ankunft des Gesandten besprechen, wie Otello Desdemona umbringen soll. Wie zwei Metzger, die sich beraten, wo sie den Schnitt ansetzen, damit das Fleisch am besten schmeckt. AN Für mich ist es schwer erträglich, dass Verdi musikalisch auf den ersten Blick mit Otello sympathisiert, indem er das Mitleid des Publikums am Ende ganz empathisch auf ihn lenkt. Natürlich ist es tragisch, dass einer, der gesellschaftlich nicht integriert ist, erst einen Mord und dann Selbstmord begeht – aber Mitleid habe ich da nur bedingt. Verdi wollte die Situation auch nicht verharmlosen. In einer Situation emotional empathisch geführt werden, heißt noch lange nicht, Verständnis für diese grauenvolle Tat zu entwickeln. JK Naja, wenn einer aus dem Status von Erfolg und Glück in diesen Strudel von Eifersucht und Wahnsinn AN
Amélie Niermeyer und Jonas Kaufmann
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„Jagos brutal nihilistische Weltanschauung trifft auf zwei Menschen, die noch immer idealistisch denken. Das ist ein Konflikt, der das Dreieck zwischen Desdemona, Otello und Jago so unglaublich spannend macht.“
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gerät, gehen wir Zuschauer schon empathisch mit. Deshalb finde ich es auch sehr wichtig, wie die Figur des belegte sie Regiekurse in Sydney und studierte Jago angelegt ist. Wenn ich einen typischen Bösewicht Germanistik in Bonn und München. Ab 1993 war sie als Hausregisseurin am Residenzneben mir habe, dann ist die Reaktion des Publikums: theater München engagiert, wo sie von 1988 Warum ist Otello bloß so blöd und vertraut diesem Tybis 1990 bereits als Regieassistentin tätig pen? Wenn es aber der best buddy ist und dazu ein Saugewesen war. 1992 erhielt sie den Förderpreis für Frauenforschung und Frauenkultur. bermann, dem man diese Intrige überhaupt nicht zuAm Schauspiel Frankfurt war sie ab 1995 als trauen würde, dann funktioniert das Stück. Und dann Oberspielleiterin beschäftigt und gehörte hat man auch Mitleid mit Otello. zum Leitungsteam des Hauses. Von 2001 bis 2005 übernahm sie die Intendanz des AN Mitleid ist seit Aristoteles’ Poetik ein viel diskutiertes Feld auf dem Theaters Freiburg und von 2006 bis 2011 Theater. Wenn die Emotion den Verstand in den Hintergrund drängt, ist die Generalintendanz des Düsseldorfer das sogar gefährlich. Und warum sollen sich Gefühl und Verstand überSchauspielhauses, wo sie auch als Regisseurin wirkte. Derzeit leitet sie den Studiengang haupt widersprechen? Will man wirklich, dass das Publikum nur Mitleid für Schauspiel und Regie am Mozarteum in mit ihm hat? Salzburg. 2016 inszenierte sie erstmals an JK Ja, absolut! der Bayerischen Staatsoper La Favorite von Gaetano Donizetti, nun folgt Giuseppe AN Aber ich finde schon, dass Otello so brutal agiert, dass man sich als Verdis Otello. Zuschauer in den Momenten, in denen er Desdemona demütigt, von ihm distanzieren kann. Genau so, wie man sich von Typen distanziert, die ihre Frauen schlagen und quälen, auch wenn sie danach anfangen zu heulen, ihr Verhalten bedauern und sich entschuldigen – um es dann kurze Zeit später wieder zu tun. Diesen Mechanismus eines zutiefst gestörten Verhaltens haben Shakespeare und Verdi sehr gut beobachtet. Nur sollte das Verständnis und Mitgefühl des Publikums nicht so weit gehen, dass am Ende alle sagen: o je, der arme Otello. Wer mir in dieser Szene wirklich leid tut, ist das Opfer, nämlich Desdemona. JK Dass sich bei vielen Zuschauern die Empathie für Desdemona in Grenzen hält, liegt aber auch daran, wie diese Figur konzipiert ist. Man möchte ihr ja dauernd zurufen: Begreifst du denn nicht, dass du das Opfer einer Intrige bist? Und merkst du denn nicht, dass das schlimmste Reizwort für Otello „Cassio“ ist? Musst du diesen Knopf immer und immer wieder drücken – und dich dann noch wundern, wenn er ausrastet? Das ist durchaus eine Parallele zu den Frauen, die immer wieder zu den Typen zurückkehren, von denen sie geschlagen werden. AN Ja, man fragt sich bei ihr oft, warum sie nicht viel früher aufhört, bezüglich Cassio zu insistieren. Es darf gar nicht erst der Eindruck entstehen, sie sei dumm oder naiv und selbst schuld, dass Otello sie so schlecht behandelt. Das ist nämlich mitnichten der Fall, und es wäre ein grobes Missverständnis. Sie ist eine sehr reflektierte und selbstbestimmte Frau und hat schließlich aus freiem Willen den Außenseiter geheiratet. Dennoch sehe ich auch bei Desdemona eine Persönlichkeitsstörung: Vielleicht aus Trotz, ganz sicher aber aus einem widersprüchlichen Hang zur Selbstzerstörung will sie beweisen, dass Otello durch sie ein besserer Mensch werden kann. Das kann aber keine Liebe leisten. Dass sie damit dennoch immer weitermacht, obwohl sie merkt, dass Otello nur wütender wird, das macht eben ihre Persönlichkeitsstörung aus. MJ Gibt es im Verhältnis zwischen Otello und Desdemona von vornherein ein Ungleichgewicht? JK Bei Verdi ja. Dieses sogenannte „Liebesduett“ zum Ende des ersten Aktes zeigt das ja ganz deutlich. Er Amélie Niermeyer absolvierte ihr HighschoolDiplom in St. Louis, USA. Anschließend
26 Interview Tobias Haberl und Malte Krasting
sagt: „Du liebst mich wegen meiner Erfolge, und ich dich wegen deiner Mildtätigkeit“ – so würde ich das Hochschule für Musik. Nach Engagements in „pietà“ hier interpretieren. Er liebt sie für ihre Güte, Hamburg, Stuttgart und Mailand kam er 2001 an das Opernhaus Zürich, wo er mit deutschem, für ihr „soziales Engagement“, würde man heute saitalienischem und französischem Repertoire gen. Dass sie dafür auch vom Volk geliebt wird, erzu erleben war. Es folgten Auftritte etwa an der fährt man ja spätestens mit der Huldigungsszene im Wiener Staatsoper, der Opéra national de Paris, der Metropolitan Opera in New York, zweiten Akt. am Royal Opera House Covent Garden in AN In Shakespeares Schauspiel wird das noch deutlicher: Da wird erzählt, London sowie bei den Festspielen von Salzburg dass Desdemona dem Einfluss ihres Vaters entfliehen will und dafür eiund Bayreuth. 2013 wurde er zum Bayerischen Kammersänger ernannt und erhielt drei Jahre nen starken Mann braucht. Otello ist für sie der große Kriegsheld – und später das Bundesverdienstkreuz. An der sie liebt ihn, weil sie spürt, dass er schon viel Schlimmes erlebt hat. Vom Bayerischen Staatsoper sang er bisher Partien gestörten, auch kriegstraumatisierten Mann fühlt sie sich genauso angewie Manrico (Il trovatore), Des Grieux (Manon Lescaut), Walther von Stolzing (Die Meisterzogen wie von dem großen Helden. Er wiederum verspricht sich durch singer von Nürnberg), Siegmund (Die Walküre), die Heirat mit ihr, die aus „gutem Hause“ kommt, den gesellschaftlichen Don Alvaro (La forza del destino), Radamès Aufstieg. Auch das wird im Schauspiel deutlicher. Die wunderschöne (Aida) und die Titelpartien in Lohengrin, Andrea Chénier und Parsifal – nunmehr folgt Musik, die Verdi am Ende des ersten Aktes geschrieben hat, lässt eine die Titelpartie in Otello. tiefe Liebe vermuten, aber in Musik und Text gibt es schon Reibungen, die den Konflikt nicht übertünchen. MJ Es ist ihre Hochzeitsnacht, und beide stehen enorm unter dem Druck, dass die Beziehung hält. Desdemona hat für Otello sogar ihre Familie verlassen. Ist sie die komplexere Persönlichkeit? AN Ich finde beide extrem komplex. Das Publikum konzentriert sich diesbezüglich aber mehr auf Otello, während Desdemona leicht auf das Klischee der Blauäugigen, Naiven reduziert wird. Das finde ich zu klein gedacht. Allein, dass sie sich politisch einmischt und zu Otello sagt, Cassio sei ein fähiger Mann, zeugt doch von Stärke und Selbstbewusstsein gerade in der damaligen Zeit. Erst im Verlauf des Stücks erkennt man, dass tatsächlich beide auf Selbstzerstörung programmiert sind. MJ Ist das der Grund, warum beide Opfer einer relativ leicht zu durchschauenden Intrige werden? AN Absolut! Bei Otello ist es die Unfähigkeit, über seine Unsicherheit und Eifersucht mit Desdemona zu sprechen. Und ihre manische Beharrlichkeit macht es ihm nicht leichter. In ihrer Hoffnung, sein Misstrauen sei nicht weiter gefährlich, unterschätzt sie seine Verletzungen und die daraus resultierende Brutalität. MJ Wie kann es sein, dass Jago, wenn auch best buddy, so leichtes Spiel hat mit Otello? JK Durch Otellos Unsicherheit und Unerfahrenheit in vielschichtigen menschlichen Beziehungen. Das ist der perfekte Nährboden für Zweifel, und das macht ihn zum leichten Opfer für Jago. – Als Otello das erste Mal mit Desdemona über seinen Verdacht redet, ist es bereits zu spät. Da hat er das Kissen, mit dem er sie ersticken wird, schon in der Hand. Da ist nichts mehr rückgängig zu machen, wie bei einem Torpedo, den man losgelassen hat. MJ Sie haben in einem Interview gesagt, Otello sei die Rolle, aus der Sie am schwierigsten wieder herausschlüpfen können. JK Normalerweise finde ich aus den Figuren gut wieder heraus, spätestens beim Applaus. Aber beim Otello Jonas Kaufmann wurde in München geboren und studierte Gesang an der Münchner
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„Als Außenseiter steht Otello doppelt unter Druck. Er hat sich ungeheuer angestrengt, als Feldherr wie auch privat Teil der Gesellschaft zu werden. Und sobald er auch nur im Verdacht steht, von seiner Frau betrogen zu werden, reduziert man ihn auf den Fremden und Wilden.“ Lorem Ipsum
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war das wirklich schwierig, und das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Dieser rasende Wahnsinn bis hin zum Mord … und wenn er sich dann noch damit brüstet, sie umgebracht zu haben – das ist doch etwas anderes als ein Don José, den unerwiderte Liebe und nackte Verzweiflung so weit treiben, dass er Carmen ersticht. Otello ist nach dem Mord absolut überzeugt, dass er im Recht ist. Umso größer der Schock, als er erfährt, dass sie unschuldig war. Das trifft ihn wie ein Hammer. Und deshalb habe ich auch Mitleid mit ihm. AN Ich hadere da. Wenn argumentiert wird, jemand hatte eine schwere Kindheit, kommt aus einem anderen Kulturkreis et cetera, dann kann das leicht wie eine Verharmlosung der Tat wirken. Diese Umstände muss man reflektieren. Die Tat bleibt die Tat. Das Bestialische des Mordes und den Todeskampf Desdemonas darf man nicht verharmlosen. MJ Jago ist ein klassischer Populist. Er verbreitet Fake News, zettelt einen Aufruhr an, den er dann beschwichtigt … sehen Sie da Parallelen zu aktuellen politischen Verhältnissen? AN Durchaus. Er manipuliert ja nicht nur Otello, sondern sein ganzes Umfeld. Er schafft es innerhalb kürzester Zeit, die Leute gegeneinander aufzuhetzen. JK Eine unglaublich starke Rolle. Als Schauspieler würde der mich mehr interessieren als die Titelpartie. AN Nur leider sieht man bei ihm schwer die Fallhöhe. Er scheint immer auf der Gewinnerseite zu sein. Auch bei diesem Dialog mit Cassio über Bianca. Ein falsches Wort von Cassio, und die ganze Geschichte würde auffliegen. Jago steht da enorm unter Druck. Und genau das muss man zeigen. JK Er steht schon unter Druck, aber es ist ein Spiel mit dem Feuer, das ihm Spaß macht. Und nochmal die Frage: Warum macht er das? Weil er in Desdemona verliebt ist? Weil er den Posten von Otello haben will? So richtig klar wird das nicht. AN Er fühlt sich bei der Beförderung Cassios zum Hauptmann von Otello übergangen, muss also karrieremäßig eine Niederlage einstecken. Aber das ist nur der Auslöser für die aktuelle Intrige. Seinem „Credo“ zu Beginn des zweiten Aktes zufolge hat er grundsätzlich eine Lust am Bösen, am Zerstörerischen. Seine brutal nihilistische Weltanschauung trifft auf Otello zwei Menschen, die noch immer idealistisch denken. Das ist ein Konflikt, Oper in vier Akten Von Giuseppe Verdi der das Dreieck zwischen Desdemona, Otello und Jago so unglaublich spannend macht. Premiere am Freitag, 23. November 2018, Nationaltheater
Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Thomas Voigt.
STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Sonntag, 2. Dezember 2018, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 95
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Fotografie Tanja Kernweiss
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Thomas Schütte, Flag A, 2017, Keramik, Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London, Foto: Steve White © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
„Wir haben eine Kultur geschaffen, in der Leistung mit Bereicherung verwechselt wird“
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Sie stand zweimal für das höchste Staatsamt zur Wahl. Sie leitete eine Reformuniversität, gegründet im Geist eines geeinten Europas. Hier spricht Gesine Schwan über die Rolle der Empörung in einer Demokratie – und macht konkrete Vorschläge, wie es besser werden könnte.
Gesine Schwan
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Frau Professor Schwan, wann haben Sie zuletzt mit der Hand auf den Tisch gehauen und gerufen: „Alles, was recht ist!“? MAX JOSPH
Gar nicht, denn auf den Tisch zu hauen ist überhaupt nicht meine Art. Aber dass ich wütend werde, oder vielmehr gesagt, zornig, ja, das passiert schon. Vor allem, wenn verantwortliche Menschen so offensichtliche Fehler machen. Wie im Falle des Rettungsschiffes „Aquarius“, als Italien und Malta einfach die Häfen geschlossen haben. Und ich finde es ebenso empörend, dass Deutschland jahrelang nicht auf die vielen Hilferufe aus Italien gehört hat und stattdessen von den unfairen Dublin-Regelungen, die es mit durchgesetzt hatte, profitiert hat. Das Unsolidarische, das macht mich zornig. Aber – man muss auch wieder runterkommen, Emotionen allein helfen nicht weiter. GESINE SCHWAN
MJ
Mögen Sie das Wort Empörung?
GS Es ist schon ein Wort, das ich als positiv empfinde. Allerdings mache ich einen radikalen Unterschied, worüber man sich empört. Wenn man sich zum Beispiel über die Trägheit und Indifferenz vieler Menschen angesichts des Klimawandels empört, oder darüber, dass Menschen ungerecht behandelt werden, finde ich das richtig. Denn dann setzt man sich auch für das Gemeinwohl ein. Wenn man sich hingegen nur echauffiert, weil man die eigenen Interessen nicht bedient fühlt, finde ich das nicht gut. Es gibt berechtige Empörung, und es gibt Aufplusterei.
MJ Worüber sollten sich Ihrer Meinung nach die Bürger
in Deutschland wirklich aufregen? GS Wenn – aber das ist psychologisch nicht zu erwarten –, dann über sich selbst. Darüber, dass sie zugesehen haben, wie die Bundesregierung beim Thema Flüchtlinge so lange tatenlos war und sich nie in die Rolle der südlichen Länder mit den europäischen Außengrenzen versetzt hat. Dafür kommt jetzt die Quittung, in Form immer größerer Probleme und auch in Form einer klammheimlichen Freude bei anderen Regierungen, die dabei zugesehen haben, wie sich die deutschen Politiker in der Asylfrage streiten.
MJ Warum ist eigentlich der Begriff „Wutbürger“ so negativ besetzt?
Weil die, die in der Vergangenheit ihre Wut so markant gezeigt haben, sich immer mehr als Bürger herausgestellt haben, die nur an ihr Eigenes denken und sich dabei in durchaus traditionellen, rechtsextremen Bahnen der Verachtung für andere bewegen. Ich benutze bewusst nicht GS
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das Wort Rechtspopulismus, das ist mir zu verschleiernd. Diese Verächtlichmachung anderer, das Demütigen, das Hämische – das alles ist unmenschlich, aggressiv und zersetzend, das verurteile ich scharf, weil das in schlimme Verhältnisse führt. Das kann man nicht befürworten. MJ
Wann ist denn Empörung sinnvoll?
GS Wenn sie zu einer positiven Veränderung führt. Natürlich,
es ist nicht für jeden möglich, sich einzubringen. Nicht überall gibt es Orte des Engagements, nicht überall gibt es eine reiche Infrastruktur an NGOs. Da müssten auch die Parteien stärker ihrer Aufgabe nachkommen, an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Sie sollten mehr Foren, Räume, Strukturen anbieten, in denen man sich einbringen kann, ohne sofort Parteimitglied zu werden. Vor allem auf der kommunalen Ebene wäre das nötig. Dort ist auch die größte Lebendigkeit zu erwarten, weil Menschen die Dringlichkeit der praktischen Lösung erleben. Das wird ja bei Problemen auf der nationalen oder globalen Ebene oft nicht genügend klar. Ich glaube, es ist fällig, dass wir unsere Demokratie stärken, weniger durch Volksentscheide, sondern durch konkrete Partizipation, vor allem auf der Ebene der Gemeinden. MJ Bürgerbeteiligung findet in Deutschland oft zu spät statt, wenn man sich nur noch „dafür“ oder „dagegen“ entscheiden kann.
GS Ja, das stimmt. Wenn Beschlüsse getroffen werden und man erst kurz vorher gefragt wird: „Habt ihr was dagegen?“, da fühlt man sich als Bürger nicht ernst genommen. Zustimmung ist nur zu gewinnen, wenn Menschen sich vorher mit begründeten Argumenten austauschen können. Deswegen fordere ich ja, dass in der Frage einer dezentralen Ansiedlung von Flüchtlingen überall in Gemeinden und kleineren Städten sogenannte Multi-Stakeholder-Kommissionen entstehen, also dass die dortige Verwaltung, ansässige Unternehmen, Vertreter der Bürger, am besten auch Wissenschaftler und Medienleute an einen Tisch kommen und darüber beraten, wie sich die Gemeinde weiter entwickeln kann. Auf dieser Basis soll die Politik entscheiden, ob und wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen und wie sie die Integration gestalten will.
MJ
Wie soll das finanziert werden?
GS Dafür schlage ich einen europäischen Fonds vor, der den
Kommunen sowohl die Integrationskosten als auch weitere Entwicklungsinvestitionen finanziert. Es darf zu keinem Wettbewerb zwischen armen Ansässigen und Neuankömmlingen kommen! Zum Beispiel macht es keinen Sinn, für
Interview Margarete Moulin
„Wenn, dann sollten sich die Deutschen – aber das ist psychologisch nicht zu erwarten – über sich selbst aufregen.“
Flüchtlinge zur Unterbringung schnell viele Container zu bauen, während andere ewig auf Sozialwohnungen gewartet haben. So zu handeln ist ein Kardinalfehler. Das predige ich auch der Sozialdemokratie. Die Flüchtlinge treffen ja nicht auf eine Gesellschaft, in der vorher alle glücklich zusammengelebt haben. Nein, sie treffen auf eine desintegrierte Gesellschaft. Da gibt es nicht nur die 20 Prozent derer, die gar nicht mehr teilnehmen wollen. Sondern darüber hinaus zerfallen auch die restlichen 80 Prozent in lauter verschiedene Interessengruppen, zwischen denen es oft wenig Wertekonsens gibt. Und zwischen denen es extreme Diskrepanzen gibt, was Gehälter, Einkommen oder Besitz angeht.
© Gesine Schwan
MJ Der Dieselskandal zeigt, dass man in der Autobranche dann viel Geld verdienen kann, wenn man Werte ganz ignoriert ...
Die Politikprofessorin Gesine Schwan war von 1999 bis 2008 Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, seit 2014 ist sie Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform gGmbH, die sich für die Förderung demokratischer Prozesse in Deutschland und der Welt einsetzt. Seit 1972 Mitglied der SPD, kandidierte sie 2004 und 2009 für das Amt der Bundespräsidentin, beide Male gegen Horst Köhler. Der Kontakt zu polnischen Dissidenten während ihrer Studienaufenthalte in Warschau und Krakau prägte sie nachhaltig. So übernahm sie unter anderem 2005 bis 2009 das Amt der Koordinatorin der Bundesregierung für die grenznahe und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit Polen. Seit 2014 ist Gesine Schwan Vorsitzende der Grundwertekommission beim Parteivorstand der SPD. Zu ihren vielen Auszeichnungen gehören die Ehrendoktorwürde des Europäischen Hochschulinstituts Florenz, sie ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, des Ordens „Bene merito“ der Republik Polen und Großoffizier der Ehrenlegion der Republik Frankreich.
GS Diese ganze Situation hängt mit dem Neoliberalismus zusammen, also der Tendenz zur Entmachtung des Staates und zur Deregulierung, also der Idee, dass die Politik eingeschränkt werden und stattdessen „der Markt“ alles regeln soll, das Ganze einhergehend mit der Schwächung von Gewerkschaften. Damit ist eine Kultur entstanden, in der Leistung mit Bereicherung verwechselt wird. In der sich auch große „Leistungen“ im Betrügen lohnen. Umgekehrt gibt es Leistungen, die werden überhaupt nicht anerkannt, wie die einer Krankenschwester, die zu viele Patienten auf der Intensivstation betreuen muss und dafür viel zu wenig Geld bekommt. Gleichzeitig haben wir diese unerreichbar wirkenden Manager wie den VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, gegen den im Mai 2018 in den USA ein Haftbefehl ergangen ist, oder den nun festgenommenen Audi-Chef Rupert Stadler, denen alle Maßstäbe verloren gegangen sind – und zwar völlig –, was Leistung und finanzielle Entlohnung und Anstand angeht. Sie sind außer Rand und Band geraten. Da wurde sehr viel unverdientes Geld „verdient“, das zudem gar nicht mehr in Konsumgüter angelegt werden kann, sondern auch für Machtpositionen durch Geldanlagen unter anderem auf dem Wohnungsmarkt genutzt wird, die unerträglich sind. Das empört die Menschen zu Recht! Und zugleich ist das sehr gefährlich.
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Thomas Schütte, Flag B, 2017, Keramik, Courtesy the artist and Frith Street Gallery, London, Foto: Steve White © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
„Viele Bürger sind seit zu langer Zeit entpolitisiert. Das hängt mit der jahrelangen neoliberalen Anti-Staat-Kultur zusammen. Die Leute dachten lange Zeit, es reiche, wenn sie sich um ihr Privatleben kümmerten und da erfolgreich sind.“
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Weil dann einige dieser Empörten die Rechtsextremen wählen? MJ
GS Ja, weil dadurch ein genereller Vertrauensverlust in unseren sozialen Zusammenhalt und unser politisches System stattfindet. Dass nun die Justiz der Sache stärker nachgeht, ist sicher mitmotiviert durch die Empörung der Bürger, aber auch durch die Angst, dass die Rechtsextremen immer mehr Zulauf bekommen.
MJ Wenn Ihnen jemand sagt: „Jetzt engagiere ich mich,
ich trete der AfD bei!“ – was sagen Sie ihm? GS Dass das Engagement ist, kann man nicht absprechen. Es ist eine legale Partei. Ich würde aber dann mit solchen Menschen in eine herausfordernde Diskussion eintreten über die Ziele dieser Entscheidung. Und fragen, ob ihre Wahl nicht unbedacht ist und ob damit die Dinge nicht nur schlimmer werden. Ich glaube, viele von denen sind einfach nur diffus gegen Eliten, diffus gegen Unordnung. Sie sind verunsichert und dann anfällig für eine Sprache, die Ressentiments schürt – meist gegen Schwächere.
MJ Es gibt den Gegensatz von Recht versus kochende Volksseele. Wieviel Moral tut einem Rechtsstaat gut?
GS Das
Verhältnis von Recht und Moral ist schwierig. Der Philosoph Immanuel Kant hat schon gesagt, man kann dem Bürger nicht abverlangen, dass er sich in seinem Verhalten moralischen Anforderungen unterwirft, was das Motiv seines Handelns betrifft. Man kann nur fordern, dass er die äußeren Richtlinien des Handelns einhält, sprich das Gesetz. Dieser Unterschied bewahrt uns ja auch vor Gesinnungstyrannei. Nun ist die Frage, wie sind diese Gesetze zustande gekommen? Wir wissen, dass auch demokratisches Recht der Sache nach nicht immer gerecht ist. Da kommen der zivile Widerstand oder auch der zivile Ungehorsam ins Spiel, die dann berechtigt sind, wenn sie sich auf demokratische Werte beziehen. Aber zugleich muss man in Kauf nehmen, die Folgen zu tragen, wenn man damit gegen geltendes Recht verstößt. Das klingt paradox. Aber diese Konflikte können ein Anstoß zur Veränderung sein. In vielen Ländern haben demokratisch orientierte Bürger ihren Protest auf die Straße getragen. In Frankreich gegen die Politik Macrons, in Polen gegen die Regierung, sogar im konservativen Bayern gegen das Polizeiaufgabengesetz. Merken die Menschen, dass man eine Demokratie nur bewahren kann, wenn man sich widerständig zeigt? MJ
Bilder Thomas Schütte
Dass man Empörung im öffentlichen Raum zum Ausdruck bringt, ist sehr nötig. Auch für jeden weitsichtigen Politiker ist das wichtig, weil er dann etwas über die Wahrnehmung der Bürger erfährt, auch wenn er dieser in einer repräsentativen Demokratie nicht automatisch folgen darf. Man muss zwischen den verschiedenen Ländern unterscheiden. In Frankreich weckte Präsident Macron Wut, weil ihm vorgeworfen wird, bei der Reform des Arbeitsmarktes das Gleichgewicht der Interessen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht zu halten. Er wird von vielen wahrgenommen als einer, der für die Reichen Politik macht. In Bayern ist das Polizeiaufgabengesetz meiner Meinung nach eindeutig gegen die rechtsstaatliche Sicherheit gewendet. Da ist es wichtig, dass Menschen sehr klar und laut die Stimme erheben. Die Lage in Polen ist sehr kritisch. Denn die Polen, die die Rechtsstaatlichkeit erhalten wollen – und das ist etwa die Hälfte der Gesellschaft –, flehen die EU geradezu an, den Konflikt mit Polen, also das Vertragsverletzungsverfahren gegen die polnische Regierung, aufrechtzuerhalten. Wenn es dort für die Demokratie positiv weitergeht, ist das der polnischen Zivilgesellschaft, vielleicht im Zusammenspiel mit der EU, zu verdanken. GS
Es gibt einen Unterschied zwischen Skandal und einer schleichenden Verschlechterung, wie beispielsweise dem Klimawandel. Empören sich deswegen zu wenig Menschen gegen die ungenügende Klimapolitik der Bundesregierung, obwohl wir wissen, dass die Erderwärmung die Migrationsfrage verschärfen wird? MJ
GS Schleichende Veränderungen sind deswegen gefährlich, weil sie eben die Gefahr nicht sofort anzeigen. Hinzu kommt, dass viele Bürger seit zu langer Zeit entpolitisiert sind. Das hängt wieder mit der jahrelangen neoliberalen Anti-Staat-Kultur zusammen. Die Leute dachten lange Zeit, es reiche, wenn sie sich um ihr Privatleben kümmerten und da erfolgreich sind. Und wenn sie dazu mal das ein oder andere Soziale machen, wie sich im Kindergarten oder der Schule ihrer Kinder oder im Sportverein zu engagieren oder Gemüse im eigenen Garten anzupflanzen. Sie gehen dabei aber nicht die wirklich längerfristigen, politischen Fragen an. Man muss aber begreifen, dass unser Leben sehr viel weiterreichend von politischen Bedingungen abhängt, als wir zunächst bemerken. Ich bin 1943 geboren und von meinen Eltern geradezu darauf programmiert worden, das zu verstehen. Diese politischen Zusammenhänge, in die man eingebettet ist, muss man durchschauen und sich in sie einbringen. Das geht nun mal nicht anders. Davon kann einen niemand befreien. So können wir nicht allein durch individuelle Sparmaßnahmen dem Klimawandel begegnen,
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„Schon nach Immanuel Kant kann man nur fordern, dass der Mensch die äußeren Richtlinien des Handelns einhält, sprich das Gesetz. Dieser Unterschied bewahrt uns ja auch vor Gesinnungstyrannei.“ sondern nur durch systemische Antworten. Wir müssen zum Beispiel andere Wege in der Mobilität finden. MJ Mobilität – gutes Stichwort. Beim Dieselskandal haben sich viele deswegen empört, weil sie sich als geprellte Verbraucher sahen, die nicht mehr überall hinfahren dürfen. Der Wahrheit eine Gasse: Was die Umwelt angeht, ist der eigentliche Skandal nicht das software-manipulierte Auto, sondern das Gesamtkonzept des motorisierten Individualverkehrs.
GS Hinter dieser Situation steht tatsächlich das ganze Versagen der deutschen Autobranche, die bislang unfähig und unwillens war, Mobilität an anderen Maßstäben zu messen als am individuellen Auto, das sie am Markt gut absetzen kann. Genau bei solchen Themen wären Multi-Stakeholder-Auseinandersetzungen wichtig. Doch da war eben die Borniertheit der Automobilindustrie, die vorrangig aktuelle Gewinne rausgeholt hat, wo es ging, und die obendrein noch getäuscht hat. Sie hat sich nie einer echten Konfrontation mit Politik, Wissenschaftlern oder NGOs gestellt. Denn erst wenn man Autobauer konsequent mit Vertretern von Politik, organisierter Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammenbringt, kommen sie überhaupt auf die Idee, dass der Begriff von Mobilität viel weiter gefasst werden muss, dass man dabei aber für konstruktive Lösungen auch eine Form des Zusammenarbeitens braucht.
Aber genau da hätte die Politik doch mehr Druck ausüben müssen. MJ
GS Ja, das war eine unverantwortliche Laissez-faire-Politik, diese Themen allein dem Markt zu überlassen. Nun, durch die jetzigen juristischen Schritte werden vielleicht doch die Augen geöffnet dafür, dass man auf längere Sicht nicht ungeschoren davonkommt, wenn man so rücksichtslos gegen Anstand und Recht verstößt. Aber man muss auch ganz nüchtern sagen: Solange der Markt solche Anstandsverstöße nicht bestraft, hat es die Kultur des Anstands schwer. Das sieht man ja auch an der Gruppe der Unvernünftigen, die sich immer noch diese dicken Autos mit hohem Treib-
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stoffverbrauch kaufen müssen. Wenn da keine Einsicht ist, müssen wohl doch Verbote her. MJ Woher kommt diese mangelnde Kritikfähigkeit auf der Seite der Bürger?
Das Problem sehe ich unter anderem in unserem Bildungssystem, bei dem vor allem gefördert wurde, wer sich im Wettbewerb gegen die anderen durchsetzt. Es ist ein System, das zu wenig das Angebot gemacht hat, durch sinnstiftende Tätigkeiten Zufriedenheit zu erlangen, und das stattdessen darauf zielt, sich durch äußeren Erfolg wie materielle Güter zu definieren. Wer einen sinnstiftenden Beruf hat, ist nicht mehr angewiesen auf solch ressourcenintensiven Konsum oder auf Statussymbole. GS
Bei der Veranstaltung „Klimaherbst “ 2017 in München sagten Sie: Diejenigen, die ignorant und borniert ihr Leben weiterleben wie bisher, verhalten sich ungerecht gegenüber jenen Menschen, die sich bereits im Kampf gegen den Klimawandel engagieren. Wie kriegt man die Trägen dazu, auch Verantwortung zu übernehmen? MJ
Man muss mit ihnen in die Debatte gehen und auch mal Grenzen der Höflichkeit ausreizen. Manche Leute kann man nicht mehr erreichen. Aber das tun dann deren Kinder. Da werden sich viele scharf mit den eigenen Eltern auseinandersetzen und Fragen stellen wie: „Du weißt die ganze Zeit vom Klimawandel, warum tust du nichts dagegen?“ Ich selbst lebe da natürlich ganz stark vom Mut meiner Eltern, die im Nationalsozialismus im Widerstand waren und zu Hause eine Jüdin versteckt haben. Das war ein viel gefährlicheres Handeln. Ihr Engagement damals ist für mich heute Verpflichtung. GS
Margarete Moulin ist Journalistin in München. Sie veröffentlicht u. a. in der ZEIT und der Süddeutschen Zeitung und war von 2015 bis 2016 bayerische taz-Landeskorrespondentin.
Vogelfrei Ein Portfolio von Stephanie Steinkopf.
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Stephanie Steinkopfs Serie Vogelfrei hält die Situation obdachloser Frauen in Berlin in eindringlichen Bildern fest. Ihre Fotografien bestechen durch einen unmittelbaren, undistanzierten Blick. Meist in der Nacht aufgenommen, zeigen Steinkopfs Aufnahmen ihre Protagonistinnen in stillen Einzelporträts sowie in Situationen, die soziale Beziehungen beschreiben, zudem fängt sie die Stimmung ihrer Umgebung ein. Vom Berliner Hauptbahnhof folgte die Künstlerin den Frauen in den Tiergarten zu ihrem Nachtlager. Zwei Jahre lang, von 2013 bis 2015, verbrachte sie immer wieder Zeit mit ihnen, teilte ihren Lebensalltag. Diese Teilhabe ermöglichte ihr Aufnahmen, in denen die Frauen unbeobachtet und vertrauensvoll mit der Kamera agierten. In ihrer Arbeit hinterfragt Steinkopf die Gründe der Obdachlosigkeit und die Entscheidungen, die dahin führen. Neben häuslicher Gewalt sind es oft psychische Erkrankungen, welche die Zahl der obdachlosen Frauen in Deutschland stark ansteigen lassen. Ein Versagen des Sozialstaats, den man als Skandal empfinden und beschreiben kann. Die Porträtierten leben auf der Straße und führen gewissermaßen ein selbstbestimmtes Leben, sie sind am Rand der Gesellschaft, „vogelfrei“.
Stephanie Steinkopf ist Mitglied der Ostkreuz-Agentur. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem ersten Platz beim Vattenfall Fotopreis 2012 und dem European Photo Exhibition Award 2013 für die Langzeitstudie Manhattan – Straße der Jugend, in der sie das Verhältnis von Armut, Exklusion und sozialer Gerechtigkeit verhandelt. Vogelfrei wurde gefördert von VG Bild-Kunst.
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Filippino Lippi, Bildnis eines jungen Mannes, ca. 1480/85, © Courtesy National Gallery of Art, Washington, Andrew W. Mellon Collection | Design: gluecklich-agentur.de
VON GIOTTO BIS LEONARDO DA VINCI 18.10.2018 –27.01.2019
FLORENZ UND SEINE MALER
Chemnitz – ein Weckruf Der Skandal des Sommers 2018 lag darin, dass führende Politiker nach Chemnitz – wie schon seit Jahren – nicht über das Problem des Rassismus gesprochen haben. Ein Mensch ist getötet worden. Daniel H., Familienvater aus Chemnitz. Das ist grausam und tieftraurig. Die Tat allein kann aber nicht erklären, was danach in Chemnitz geschah: dass Menschen rassistisch beleidigt, geschlagen und getreten wurden. Bei rechten Demos kam es zum Schulterschluss von AfD, „Pro Chemnitz“, Pegida, Neonazis, gewalttätigen Hooligans aus ganz Deutschland – und, man muss es sagen, auch von Bürgern, die sich als Mitläufer anschlossen. Es wurden rechtsextreme Parolen wie „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ gerufen. Demonstranten zeigten den Hitlergruß. Rechte Schlägergruppen jagten und schlugen Migranten, Journalisten und Gegendemonstranten. Statt über Rassismus und gewalt tätigen Rechtsextremismus sprach ganz Deutschland dann aber quälend lange darüber, ob es „Hetzjagden“ gegeben habe. Ganz so, als komme es allen Ernstes darauf an, wie weit und wie lange Opfer verfolgt werden. Nein, Meter und Minuten sind völlig egal. Der organisierte, hasserfüllte Gewalt ausbruch von rechts und unser Umgang damit – darum geht es. Zwei gesellschaftliche Tabus wurden in Chemnitz gebrochen. Erstens ist es nicht nur strafrechtlich verboten, sondern auch gesellschaftlich tabu, jemandem Gewalt anzutun, weil ein anderer eine Straftat begangen hat. Diesen uralten SündenbockReflex konsequent zu ächten, ist eine der wich tigsten Lehren aus dem Nationalsozialismus. Strafrechtliche Schuld ist immer individuell. Nur so ist sie zu behandeln. In Chemnitz aber gab es an jenem Sonntag im August vereinzelt den Ruf: „Für jeden toten Deutschen – einen toten Ausländer.“ Das ist mit keiner Wut, mit keiner Trauer zu rechtfertigen. Zweitens ist es gesellschaftlich verpönt, Seite an Seite mit Neonazis zu demonstrieren. Dieses Tabu wurde in Sachsen schon früher gebrochen. Auch bei Pegida und den AntiAsylProtesten in der sogenannten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 hatten manche Bürger keine Berührungsängste gegenüber Neonazis. So auch in den bekannt gewordenen Fällen von Heidenau und Freital, wo jeweils Übergriffen von AntiAsylInitiativen beziehungsweise einer selbsternannten Bürgerwehr auch mit viel zu wenig Polizei begegnet wurde. Was sind die Gründe für diese Tabubrüche? In Chemnitz begann es mit einer Falschmeldung auf dem Nachrich tenportal Tag 24: Es hieß, eine Frau sei belästigt worden. Männer hätten helfen wollen. Der folgende Streit habe tödlich geendet. Obwohl die Polizei schnell richtigstellte, dass es keine Belästigung gegeben hatte, war das Gerücht in der Welt. Daraufhin rief die FußballUltragruppierung „Kaotic Chemnitz“ am Sonntag, den 26. August dazu auf, zu zeigen, „wer in der
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Olu Oguibe, Das Fremdlinge und Flüchtlinge Monument, 2017, Königsplatz, Kassel, documenta 14, Foto: Monika Nikolic
Olu Oguibes Obelisk trug ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium: „Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt.“ Der Obelisk sorgte nach Ende der documenta ein Jahr lang für Diskussionen, da über seinen Verbleib in Kassel und den Ankauf durch die Stadt Kassel heftig gestritten wurde. Am Morgen des 3. Oktober 2018 ließ die Stadt das Kunstwerk abbauen.
Stadt das Sagen hat“. Etwa 800 Personen folgten dem Aufruf, darunter laut Polizei auch 50 Gewaltbereite, die den Ton angaben. Viele Chemnitzer waren erschüttert über den gewaltsamen Tod ihres Mitbürgers. Doch der Gewaltausbruch vom Sonntag war nicht spontane Erregung, die sich Bahn brach, sondern Folge rechtsextremer Mobilisierung – der sich anfangs wohl auch viele mit diffuser Wut anschlossen. Richtig ist: Die Flüchtlingsfrage hat ganz besonders die ostdeutsche Gesellschaft gespalten. Wer sich in Greifswald, Leipzig oder Dresden umhört, stellt fest, dass sich der Riss mittlerweile durch viele Familien zieht. In Sachsen wird dieser Streit von aggressiver rassistischer und rechtsextremer Stimmungsmache begleitet, die eine lange Tradition hat. Über viele Jahre war die NPD hier stark und propagierte vielerorts nationalen Sozialismus. In Orten wie Mügeln, Colditz oder Limbach-Oberfrohna griffen vor einigen Jahren rechtsextreme Gewalttäter systematisch Andersdenkende an, die sich in Initiativen oder Vereinen organisierten. Hass und Gewalt
Text Michael Kraske
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gegen Menschen, die es wagen, anders zu sein, gab es schon, bevor überhaupt Flüchtlinge kamen. Die wurden dann im Jahr 2015 zum neuen Feindbild, das seither auch viele teilen, die sich selbst gar nicht als rechts betrachten. Angefacht von Fake News und Hetze im Internet über eine angeblich mörderische „Messermigration“ haben Pegida, AfD und Anti-Asyl-Initiativen dieses Feindbild des per se kriminellen und gefährlichen Fremden populär gemacht. Weit verbreitet ist auch die Haltung: Für die eigenen Leute tut die Politik nichts, und die Flüchtlinge kommen her und kriegen alles. Über die Hälfte der befragten Sachsen hält das Land einer Studie zufolge durch zu viele Ausländer für „in gefährlichem Maße überfremdet“. Rassistische Kategorien wie die Vorstellung einer homogenen deutschen Gemeinschaft, die durch Migranten in ihrer Existenz bedroht werde, sind mancherorts also schon Mehrheitsmeinung. Die dauerregierende CDU hat über Jahre den Regionalstolz angefüttert – und damit das „Wir“ gegen „Die“ noch verstärkt. Seit Jahren liegt das Land bei rechten Straftaten weit vorn. Erst NPD, nun AfD gelangen in Sachsen überdurchschnittliche Wahlerfolge. Als Rechtsextremisten nun in Chemnitz den Tod von Daniel H. instrumentalisierten, um rassistisch motivierten Hass gegen Minderheiten auf die Straße zu tragen, waren etliche Bürger bereit, Mitläufer von Neonazis zu werden. An einem sogenannten „Trauermarsch“ der AfD teilzunehmen, der nichts mit Trauer, aber viel mit hasserfüllter Ideologie und Gewalt zu tun hatte. Nein, das waren nicht ansatzweise die Chemnitzer, im Gegenteil. Viele Chemnitzer waren auch unter jenen 65.000, die beim Konzert #wirsindmehr für die Demokratie und gegen rechts standen. Viele hielten sich allerdings auch raus. In Krisenzeiten wird in einer Demokratie das Schweigen der Mehrheit zum Problem. In Sachsen haben die Landesregierungen immer wieder den Eindruck vermittelt, dass links ist, wer gegen Rechtsextremismus eintritt. Nein, wer gegen Rufe nach nationalem Sozialismus und „Ausländer raus“ aufsteht, ist kein Linker, sondern Demokrat. Engagierte Demokraten gibt es auch in Sachsen überall, nur werden sie zu oft alleingelassen oder wie Störenfriede behandelt. Die Stimmen der Demokraten braucht es jetzt mehr denn je. Auf der Straße, auf Bühnen und Podien, in Konzertsälen. Wie neulich im Leipziger Gewandhaus, wo das Gewandhausorchester mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden ein Solidaritätskonzert gab. Um „mit der emotionalen Kraft der Musik“ ein Zeichen für humanistische Werte zu setzen. Weil man mit Sorge beobachte, wie Intoleranz und Aggression gegenüber Menschen zunehmen, die anders aussehen oder denken. Respekt, so die beiden renommierten Orchester in einer gemeinsamen Erklärung, habe für alle Menschen unabhängig von ihrer Religion, Nationalität oder Weltanschauung zu gelten. Das war in diesem Land viele Jahre lang unbestreitbarer Konsens. Und muss es wieder werden. Als seinerzeit der radikale Pegida-Ableger Legida durch Leipzig zog, machten die Bürger der Stadt vor, wie Haltung geht. Dass man selbst etwas dafür tun muss, um auch künftig in einer Gesellschaft zu leben, in der man innovative Inszenierungen kritischer Künstler genießen kann. Als die Rechtsextremisten vorbeizogen, öffneten viele ihre Fenster und beschallten die rechten Demonstranten mit Beethovens 9. Symphonie: Alle Menschen werden Brüder. In Leipzig gingen an den Demo-Tagen immer mehr Demokraten als Demokratiefeinde auf die Straße. Anders als in Dresden. Begleitet wurden sie in Leipzig vom Sound eines engagierten Bürgertums. Legida läuft übrigens seit geraumer Zeit nicht mehr.
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Michael Kraske lebt als Journalist und Buchautor in Leipzig. Er veröffentlichte u. a. Ich bin dann mal drüben: Von einem, der auszog, den Osten zu lieben (2009) sowie die RomaneVorhofflimmern und 24 / 7.
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Die Macht des Unbewussten Sehr viel schwieriger, als offenen Rassismus zu erkennen, ist es, unbewussten Rassismus zu entlarven. Die US-amerikanische Rassismusforscherin Christine Platt antwortete per E-Mail differenziert auf Fragen zu Formen und Wirkungen von Rassismus und Verdis berühmter Vorlage – Shakespeares Othello.
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Rassismus ist nicht nur ein Phänomen des rechten politischen Randes. Auch aufgeklärte, demokratisch gesinnte Menschen haben rassistische Vorstellungen verinnerlicht – das zeigt unsere Sprache, wie wir Menschen einordnen, unsere Stereotype. Sind alle Menschen latent rassistisch? MAX JOSEPH
CHRISTINE PLATT Menschen generell als latent rassistisch zu bezeichnen, ist vielleicht etwas extrem. Trotzdem hegen viele Leute unbewusst rassistische Vorurteile – Menschen, die sich selbst niemals als rassistisch sehen würden. Und sie würden sich angegriffen fühlen, wenn man sie so bezeichnete! Diese Haltungen spiegeln jedoch die unerfreulichsten Tatsachen in Bezug auf Rassismus wider und zeigen, wie tief er in unserer Psyche verwurzelt ist. Wie weit die eigenen Vorurteile jeweils reichen, ist natürlich eng verbunden mit vielen Variablen wie Kindheitserfahrungen, dem ideologischen Einfluss der Eltern, dem Kontakt zu unterschiedlichen Bevölkerungsteilen oder dem unmittelbaren sozialen Umfeld. Rassismus ist so fest in unserer Gesellschaft verankert (ob bewusst oder unbewusst), dass viele Menschen, obwohl sie rassistisches Verhalten bei anderen leicht identifizieren können und auch verurteilen, oft die in ihnen selbst angelegten Vorurteile nicht erkennen. Deswegen bin ich überzeugt, dass man bei sich selbst anfangen muss, um rassistische Vorurteile generell abbauen zu können. Prüfen Sie Ihre eigenen Überzeugungen. Lernen Sie, Ihre vorgefassten Meinungen über andere zu erkennen, auch wenn sie sehr subtil sind. Und dann müssen Sie sich fragen: Warum? Warum glauben Sie an die Realität dieser Vorurteile, selbst wenn es Gegenbeweise gibt? Das wäre ein nachhaltiger Versuch, die eigenen Überzeugungen zu verändern und der Verfestigung rassistischer Vorurteile insgesamt entgegenzuwirken.
Lassen sich verschiedene Formen von Rassismus unterscheiden? MJ
CP In meinen Lehrveranstaltungen zu dem Thema fange ich immer damit an, die zwei häufigsten Formen von Rassismus zu bestimmen: individuelle Handlungen und institutionelle Praktiken. Und ich nehme das Strafrechtssystem als Beispiel, um den Einfluss der beiden Formen auf den unbewussten Rassismus zu erklären: Wenn Polizisten, Strafverfolger, Anwälte, Richter und Mitglieder der Jury, also der Geschworenen am Gericht, rassistische Vorurteile über Minderheiten hegen, dann wird deren individueller Rassismus einen Einfluss auf die Schwere der Strafe und die Haftbedingung haben.
Premiere Otello
Strafgesetze, Kategorisierungen und diskriminierende Praktiken, die sich auf ethnische Minderheiten stärker auswirken als auf die Mehrheit der Bevölkerung, sind Formen des institutionellen Rassismus. Dazu muss man festhalten: Lang anhaltender und massiv auftretender individueller Rassismus wird natürlich zum institutionellen Rassismus. Meiner Meinung nach ist das Strafrechtssystem das prägnanteste Beispiel dafür. Leider ist institutioneller Rassismus systemisch. Das heißt, er beinhaltet eine bestimmte, im System verankerte Praxis der Diskriminierung. MJ Was wären noch weitere Beispiele, und wie wirken sich die Praktiken aus?
Im Bildungssystem wäre die wieder zunehmende Trennung nach Hautfarben – nach dem Ende der rechtlich sanktionierten Rassentrennung – an staatlichen Schulen in den Vereinigten Staaten zu nennen. In der Arbeitswelt zeigt sich institutioneller Rassismus, wenn Arbeitgeber Bewerber mit fremd klingenden Namen gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch einladen. Dass solche Praktiken gegen Gesetze oder den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, verhindert nicht ihre Anwendung. Die Daten, die sich aus der individuellen und institutionellen Praxis ergeben, beeinflussen unseren unbewussten Rassismus. Ein Beispiel dafür ist, wenn man sich in Anwesenheit afroamerikanischer Männer bedroht fühlt aufgrund der Überzeugung, dass diese von Natur aus gefährlich sind und mehr dazu neigen, Verbrechen zu begehen, eben weil sie öfter zu Gefängnisstrafen verurteilt werden als Nicht-Minderheiten. Diese Muster wurden in vielen Umfeldern untersucht und die Ergebnisse sind übereinstimmend: Selbst ausgebildete Fachleute können unbewusste Vorurteile hegen und das beeinflusst ihr berufliches Handeln, meist zum Nachteil der Minderheiten.
CP
Das heißt, mein vermeintliches Wissen über die statistisch häufigere Straffälligkeit von Schwarzen ist eigentlich das Ergebnis von institutionellem Rassismus? MJ
CP Die Überzeugung und der statistische Beleg dafür, dass afroamerikanische Männer mehr Verbrechen begehen, ist das Ergebnis sowohl von individuellem als auch institutionellem Rassismus. In den USA sind 13 Prozent der Bevölkerung Schwarze, trotzdem werden sie sechsmal so häufig inhaftiert wie Weiße.
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Selbst vor der Abschaffung der Sklaverei gab es keine solche Unverhältnismäßigkeit. Ava DuVernays Film 13th analysiert ganz genau, wie Rassismus im Strafrechtssystem zu Masseninhaftierungen führt – einer modernen Form von institutioneller Sklaverei!
betreffend, die ja, wie gesagt, nur ein soziales Konstrukt ist! Zum Beispiel die Vorstellung, dass Schwarze Männer besonders athletisch seien. Dieses vorgebliche Kompliment wurzelt ja in Wirklichkeit in der rassistischen Ansicht, dass Schwarze Menschen
„Wenn in der Rezeption von Othello Momente von latentem Rassismus bei einem Weißen Publikum vorkommen können, so gilt das Gleiche für das afroamerikanische oder afrikanische Publikum sowie für jedes andere Publikum.“
MJ
Wie sieht „positiver Rassismus“ aus?
Mich schrecken Begriffe wie „positiver Rassismus“ oder „gut gemeinte Vorurteile“ (benevolent prejudice) eher ab (wobei Letzterer eher eine in Großbritannien als in Amerika verbreitete Geisteshaltung bezeichnet). Ich verstehe zwar die Absicht dahinter, aber diese Einstellungen tragen doch dazu bei, gefährliche Zuschreibungen basierend auf jemandes Hautfarbe oder anderen äußeren Kennzeichen insgesamt zu verfestigen. Es wurde wissenschaftlich bewiesen, dass „Rasse“ ein soziales Konstrukt und somit keine biologische oder wissenschaftliche Kategorie ist. Es gibt keinen einzigen absoluten genetischen Unterschied zwischen den Menschen, keine einzige Variante, die Personen mit hellerer Haut besitzen, die Personen mit dunklerer Haut nicht ebenso aufweisen. Deswegen kann auch der sogenannte „positive Rassismus“ zu gefährlichen Annahmen über genetische Unterschiede führen. Das hat gesellschaftliche Auswirkungen und befeuert rassistische Vorurteile.
CP
MJ Können
Sie hier Beispiele nennen?
In den USA existiert der Begriff „positiver Rassismus“ ja gar nicht. Dieses Konzept entstand aus bestimmten Unterstellungen eine bestimmte Rasse CP
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mehr Tieren gleichen als Menschen – eine rassistische Unterstellung, die zu gefährlichen Auswirkungen führen kann. MJ Wie wird Shakespeares Othello in der afroamerikanischen und – soweit überhaupt verallgemeinerbar – in der afrikanischen Literaturszene rezipiert?
Von dieser Leserschaft kann man natürlich nicht verallgemeinernd sprechen. Jemandes Reaktion auf Othello ist je nach Herkunftsland, Alter und persönlichen Erfahrungen ganz verschieden. Auch innerhalb der USA kann die Rezeption unterschiedlich ausfallen. Meine Interpretation ist keinesfalls repräsentativ – so eine immense Verantwortung würde ich auch gar nicht übernehmen wollen! Und auch meine Haltung zu Othello hat sich während meiner Bildungslaufbahn immer wieder verändert. Als Teenager fand ich es faszinierend und inspirierend, einen dunkelhäutigen Mann als Hauptfigur im Stück eines der größten Tragödienautoren aller Zeiten zu sehen. Als Erwachsene wurden meine Kritik und meine Wahrnehmung dann schärfer. Zunächst in Bezug auf Desdemona, vor allem, weil sie den Inbegriff Weißer Weiblichkeit zu repräsentieren schien. Dann Othello gegenüber, denn sein Verhalten und seine Eigenschaften schienen den Mythos einer Schwarzen Hypermaskulinität, einer Neigung zu Gewalt und
CP
des sexuellen Hungers nach europäischen Frauen aufrechtzuerhalten. Dennoch ist Othello für mich eine der ersten interkulturellen Liebesgeschichten, die die vielen Komplexitäten solcher Beziehungen auslotet. MJ Fühlt Othello selbst sich diskriminiert aufgrund seiner Hautfarbe? Er strengt sich an, erfolgreiches Mitglied einer Weißen Gesellschaft zu sein. Iago als Teil dieser Gesellschaft schürt Othellos Wut und Eifersucht. Könnte man also die Angst Othellos, als schwach dazustehen vor einer Gesellschaft, zu der er gehören möchte, als Mordmotiv sehen?
hat eine hohe Meinung von Othello, aber die ist nicht hoch genug, um ihn als Mann für seine Tochter zu akzeptieren. In dieser Szene der Tragödie wird Othello auf „seinen Platz verwiesen“, eine Erfahrung, die viele Minderheiten kennen, mit der sie sich also leicht identifizieren können. Othello, der Geschichtenerzähler und tapfere Kriegsheld, der Venedig verteidigt: Dieser Othello ist ein wunderbarer Mann. Aber Othello, der Mohr, der sich in die reine und unschuldige Desdemona verliebt: Der ist ein teuflischer, böser und abstoßender Mann! MJ Warum
Zweifellos fühlt sich Othello als Schwarzer diskriminiert. Shakespeare bezieht sich in der gesamten Tragödie immer wieder ausdrücklich auf Othellos Hautfarbe. Ganz früh im Text sagt der Herzog von Venedig:
können Desdemona und Othello nicht miteinander kommunizieren? Kann man das als Anspielung auf kulturelle Stereotype verstehen?
CP
Und würdiger Herr, wenn man die Tugend muss als schön erkennen, Dürft Ihr nicht hässlich Euren Eidam nennen. Diese Strophe bekräftigt, dass Othello von der Weißen Mehrheitsgesellschaft akzeptiert wird. Aber sie legt auch nahe, dass Othello eine Ausnahme zur Regel darstellt – dass er schön ist, trotz seiner Hautfarbe. Dennoch glaube ich, dass Othello Desdemona aus Eifersucht tötet – er glaubt, dass sie ihn betrogen hat –, und nicht aus Angst, schwach zu erscheinen. Und wenn er dadurch lächerlich gemacht worden wäre, dann nicht mehr als jeder andere Mann, der seine engelsgleiche Braut in einer schmutzigen Affäre mit einem seiner Mitkämpfer vermutet. Othello liebt Desdemona von ganzem Herzen und Iago nutzt das aus, deswegen kann er ihn so leicht aufhetzen. MJ Haben
Nein, im Gegenteil. Ich finde, dass Shakespeare großartig beschrieben hat, wie schwer sich Männer und Frauen tun, miteinander zu kommunizieren ( ) Wenn ich das kulturell interpretieren würde – und das ist ein weites Feld –, dann würde ich mich auf Othellos Unfähigkeit konzentrieren, seine Gefühle gegenüber Desdemona zu zeigen. Sie ist eine rührende, sanfte und aufrichtige Frau – der Inbegriff Weißer Weiblichkeit. Othello ist stolz darauf, dass Desdemona ihn allen anderen Verehrern vorgezogen hat, sogar ihrem Vater. Und aufgrund von Desdemonas reiner Natur kann sich Othello auch keinen Treuebruch vorstellen. Deswegen weiß er nicht, wie er seine Gefühle und Emotionen zeigen soll. Und Desdemona, naiv und unschuldig, kann nicht mit Othello kommunizieren, weil sie nicht den Grund für seinen Sinneswandel kennt.
CP
Sie Mitleid mit Othello?
Ab dem Moment, als Brabantio erfährt, dass seine geliebte Tochter Desdemona sich in Othello verliebt hat, habe ich Mitleid mit ihm. Shakespeare beschreibt Othellos Enttäuschung über Brabantios Reaktion darauf so lebendig: CP
Ihr Vater liebte mich, lud oft mich ein, Erforschte meines Lebens Lauf von Jahr Zu Jahr: die Schlachten, Stürme, Schicksalswechsel, So ich bestand. Othello ist am Boden zerstört wegen Brabantios Reaktion, denn sie standen sich früher sehr nah. Brabantio
Rassismusforscherin Christine Platt
Christine Platt ist geschäftsführende Direktorin des Antiracist Research and Policy Center der American University in Washington, D.C. Sie studierte Jura und Afrikanische und Afroamerikanische Geschichte. Zudem veröffentlicht sie Romane und Kinderbücher; ihr Romandebüt, The Truth About Awiti, erhielt 2016 die Independent Publisher Book Awards‘ Gold Medal for Multicultural Historical Fiction. U. a. ist sie Botschafterin für das Smithsonian’s National Museum of African American History and Culture.
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Was halten Sie von dem Ansatz, die Beziehung zwischen Othello und Desdemona als paradigmatisch für die Beziehung zwischen einer Weißen Frau und einem Schwarzen Mann zu sehen? Sie hält bis zuletzt an ihm fest, obwohl er sie schlecht behandelt. Will sie der Weißen Gesellschaft um jeden Preis beweisen, dass diese Beziehung möglich ist? Ist das Desdemonas politisches Projekt? Ist das vergleichbar mit solchen Beziehungen heute? MJ
Noch vor einigen Jahrzehnten waren interkulturelle Beziehungen viel problematischer und in der Gesellschaft nicht akzeptiert. In Amerika schaffte der Supreme Court erst 1967 Gesetze gegen die interkulturelle Ehe ab. Diese Sicht scheint jedoch rassistische Stereotype zu unterstreichen, die Voreingenommenheit, die gegenüber solchen Beziehungen immer noch bestehen. Desdemona, „die bis zuletzt an ihm festhält“, erscheint symbolisch für das Stereotyp der ewig treuen und loyalen Weißen Frau. Othello, der sie „schlecht behandelt“, steht symbolisch für die Neigung des Schwarzen Mannes zu
Gewalt. Auch Desdemonas Hingabe und Sehnsucht, ihre Ehe zu retten, mit einem „politischen Projekt“ zu vergleichen und auf diese Weise zu verkleinern, ist eine Stereotypisierung. Würde ich behaupten, dass diese Haltungen und diese Bewusstseinslage in heutigen interkulturellen Beziehungen noch existierten, würde ich rassistische Stereotype aufrechterhalten. Aber ich bin sehr dankbar für diese Frage, denn sie zeigt, wie solche negativen Haltungen im Rassismus wurzeln.
CP
MJ Gibt es etwas, das Sie an Shakespeares Vorlage ärgert, das Sie problematisch finden? Oder ist eher das Gegenteil der Fall: Gibt es Konflikte, die angemessen und zeitlos dargestellt sind?
Von einem politischen Standpunkt aus richtet sich Shakespeares Werk an die Sorgen und Anliegen seiner Zeit. Aber wenn wir die nachhaltige Wirkung betrachten, so ist Othello, wie die meisten historischen Texte, ein Beispiel dafür, wie etwas anscheinend so Unschuldiges wie eine klassische Tragödie heutige CP
Othello = Otello? Zum Unterschied zwischen Shakespeares und Verdis Ot(h)ello Für den Leser ist der Unterschied zumindest auf den ersten Blick erkennbar: durch den Buchstaben H. Denn ist von William Shakespeares Tragödie aus dem Jahre 1604 die Rede, wird die im Englischen und Deutschen identische Schreibweise Othello angewandt. Spricht man hingegen von Verdis gleichnamiger Oper, heißt es Otello. Doch dahinter verbergen sich sehr große Unterschiede: Den gesamten ersten Akt verwendet Shakespeare darauf, die politische und private Situation Venedigs und der Familie Desdemonas zu schildern, um die Besonderheit und absolute Provokation der Beziehung zwischen Othello und Desdemona zu verdeutlichen. Dabei wird auch Brabantio, der Vater Desdemonas, exponiert, der nur mit großen Schmähungen gegenüber Othello unwillig die heimlich geschlossene Ehe seiner Tochter vor den Senatoren anerkennen muss, so aber in Othello einen Feind ausmacht, der an der Familienehre rüttelt. Bei Verdi nichts davon. Die Oper beginnt erst mit der Ankunft Otellos nach geschlagener Schlacht auf Zypern. Brabantio taucht bei Verdi und seinem Librettisten Arrigo Boito gar nicht auf; die Andeutungen über Desdemonas vermeintlichen Geliebten Cassio sind allein von Jago (bei Shakespeare: Iago) als intrigante Lüge eingeführt. Und auch Jagos Ehefrau Emilia unterscheidet sich bei Shakespeare sehr von der Figur bei Verdi. Musikalisch und dramaturgisch in der Oper zu einer Nebenfigur degradiert, tritt sie bei Shakespeare als selbstständig und durchaus eigenwillig auf.
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rassistische Ansichten und Vorstellungen verstärken kann. Beachten wir, dass Othello Pflichtlektüre in vielen Bildungsinstitutionen ist. Bedenken wir außerdem, dass viele Schüler und Studenten hier innerhalb eines klassischen Textes zum ersten Mal einem Protagonisten einer fremden Kultur sowie einer interkulturellen Beziehung begegnen. Bedenken wir
„Das Schwierigste ist, dass man nie weiß, ob es Rassismus ist oder jemand dich einfach nicht mag.“ Warum ist Rassismus oft so schwer erkennbar? MJ
Das ist ja genau die Intention rassistischen Verhaltens: subtil zu sein, schwer zu erkennen, sodass man es als Missverständnis hinstellen kann. Deswegen muss
CP
„Ab dem Moment, als Brabantio erfährt, dass seine geliebte Tochter Desdemona sich in Othello verliebt hat, habe ich Mitleid mit Othello. Brabantio hat eine hohe Meinung von Othello, aber die ist nicht hoch genug, um ihn als Mann für seine Tochter zu akzeptieren.“
weiter all die rassistischen Stereotype, die Othello durchziehen, und wie Schüler und Studenten diese Unwahrheiten verinnerlichen könnten, was wiederum zu individuellem Rassismus führt und Einfluss hat auf ihren unbewussten Rassismus. MJ Gibt es Begebenheiten in Othello, die eine Weiße Leserschaft schon immer anders aufgenommen hat als eine afroamerikanische oder afrikanische?
Ich glaube schon – wie könnte es anders sein? Aber ich denke, genauso nehmen Männer und Frauen Ereignisse oder Szenen unterschiedlich wahr.
CP
MJ Wird dadurch auch latenter Rassismus beim Weißen Publikum deutlich?
Wenn isolierte Momente von latentem Rassismus bei einem Weißen Publikum vorkommen können, so gilt das Gleiche für das afroamerikanische oder afrikanische Publikum sowie für jedes andere Publikum. Noch einmal: Die meisten Menschen hegen rassistische Vorurteile, die bewusst oder unbewusst Auswirkungen auf ihre Erfahrungen haben.
man in jedem Fall berücksichtigen, wie das diskriminierende Verhalten vom Opfer wahrgenommen wird, was wiederum in großem Maß von der ethnischen Zugehörigkeit und dem Status des Aggressors abhängt. Hat dieser seine Meinung in Bezug auf das Opfer und/oder Menschen mit dem gleichen Hintergrund schon vorher kundgetan? Ist er in einer Machtposition, die ihm Einfluss auf die berufliche Stellung des Opfers ermöglicht? Ob subtil oder offensichtlich – es gibt ein allgemeines Ziel rassistischen Verhaltens: Es soll dem Opfer schaden. Arbeitgeber sollten ein System einführen, das sowohl die Gefühle des Opfers wie auch die des Aggressors anspricht, und dann mit festgelegten Vorgehensweisen reagieren, falls das diskriminierende Verhalten weiter besteht. MJ Was ist das wirkungsvollste Mittel gegen Rassismus?
CP
Das National Network to End Domestic Violence (NNEDV) hat eine Liste mit acht Punkten herausgegeben, um auch rassistische Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Ich finde das ist eine unglaublich nützliche Handlungsanleitung:
CP
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Lerne, deine eigenen Privilegien zu erkennen und zu verstehen Überprüfe deine eigenen Vorurteile und überlege, woher sie kommen könnten Respektiere die Erfahrungen und Gefühle Nicht-Weißer Wehre dich gegen eine „farbenblinde“ Ideologie Benenne rassistische „Witze“ oder Bemerkungen als solche Sei gewissenhaft in finanziellen Angelegenheiten. Beziehe Stellung auch mit deinem Geldbeutel! Sei wachsam gegenüber intersektionaler Diskriminierung in deinen unterschiedlichen Lebensbereichen: Menschen werden oft aufgrund verschiedener Persönlichkeitsmerkmale Opfer von Diskriminierung (z. B. Rassismus + Sexismus). Weitere Informationen dazu finden Sie hier: https://nnedv.org/latest_update/8-everyday-ways-tofight-racism/
Ich bin sehr optimistisch, vielleicht weil ich als Historikerin den Kampf für Gleichstellung aus verschiedenen Blickwinkeln betrachte. Ich weiß, dass Veränderung nicht so plötzlich kommt, wie wir das gerne hätten. Es sind eher die schrittweisen Veränderungen, die die größten Auswirkungen haben. Ich sehe, wie die Gesellschaft vor 100 oder vor 50 Jahren mit Rassismus umgegangen ist. Der Rückgang von Rassismus war immer langsam, aber kontinuierlich. Und ich bin optimistisch, dass die Arbeit daran weitergehen wird, bis es geschafft ist. Deswegen ist es auch der Auftrag des Antiracist Research and Policy Center, um der Veränderung willen Erkenntnisse und Einsichten zu dokumentieren. Unsere Forschungen zu ethnischer Ungleichheit und Diskriminierung führen zur Umsetzung politischer Reformen. Wir wollen an einer Welt der gleichen Chancen für alle bauen. Beharrliche, unnachgiebige Menschen bilden das Fundament dafür – Menschen, die daran glauben, dass eine antirassistische Welt möglich ist. CP
MJ Sind Sie angesichts der politischen Lage – die Spaltung
Amerikas unter Trump, die Neuordnung der bisherigen politischen Allianzen, der Vormarsch von Autokraten in wichtigen Demokratien – eher optimistisch oder pessimistisch in Bezug auf den Rückgang von Rassismus?
Die Fragen stellten Maria März und Sabine Voß. Aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Voß Mehr über Kerry James Marshall auf S. 8
Otello Oper in vier Akten Von Giuseppe Verdi Premiere am Freitag, 23. November 2018, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Sonntag, 2. Dezember 2018, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 95
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Wie das so ist mit den schönsten, stärksten Blumen
Illustration Falko Herold
David Bösch kehrt an die Bayerische Staatsoper zurück – für die Inszenierung von Bedřich Smetanas Erfolgsoper Die verkaufte Braut. Max Joseph gab er Antworten auf drei wichtige Fragen.
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David Bösch
Gibt es heute noch „das Dorf“, den engen Mikrokosmos, aus dem es kein Entrinnen gibt? Einar Schleef hat einmal gesagt: Zu Hause ist auch kein Individuum. „Da bin ich, und da ist der Fernseher.“ Es gibt uns also nicht ohne die Gesellschaft, die Familie, das System – den Fernseher. Und daraus gibt es kein Entrinnen. Aber inzwischen ja ausgezeichnete Fernsehprogramme. Und dann gibt es ja auch noch sich selbst. Und wenn es dann doch mal einer schafft – sich selbst zu entrinnen – wer ist dann da überhaupt? Und will man das überhaupt so genau wissen?
Hätte Marie auch etwas zu schreiben unter #MeToo?
David Bösch wurde im nordrhein-westfälischen Lübbecke geboren und studierte Regie an der Zürcher Hochschule der Künste. 2005
Ja, ich glaube, das Stück spielt in einer Welt, in der über die Frauen, über die nachfolgende Generation, über die, die am Rande stehen, drübergetrampelt wird.
wurde er Hausregisseur am Schauspiel Essen, gewann u. a. den Publikumspreis beim Festival Radikal Jung in München und hat inzwischen an den wichtigsten deutschsprachigen Schauspielhäusern gearbeitet wie dem Berliner Ensemble, dem Thalia Theater in Hamburg, dem Schauspielhaus Zürich, dem Münchner Residenztheater und
Und wie das so ist mit den schönsten, stärksten Blumen, wenn man zu oft drauf rumtrampelt, gehen sie kaputt. Aber unter der Erde – die Wurzel, die bleibt.
dem Wiener Burgtheater. Seine erste Operninszenierung war Gaetano Donizettis L’elisir d’amore, die so erfolgreich war, dass daraufhin an der Bayerischen Staatsoper noch Produktionen von Mitridate, rè di Ponte, Das schlaue Füchslein, L’Orfeo und Die Meistersinger von Nürnberg folgten. Mittlerweile arbeitet er europaweit für die Oper, etwa in
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Kecal als Heiratsvermittler und den zahlreichen Dating-Plattformen wie Elitepartner?
Antwerpen, Lyon, Amsterdam, Frankfurt, Dresden sowie am Royal Opera House Covent Garden in London.
Die Liebe war und ist immer auch ein Geschäft. Mit den Sehnsüchten, Träumen, Ängsten von Menschen ließ sich schon immer viel Geld verdienen.
Die verkaufte Braut Komische Oper in drei Akten Von Bedřich Smetana Premiere am Samstag, 22. Dezember 2018, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Sonntag, 6. Januar 2019, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 95
Gleichzeitig ist die Einsamkeit des Programmierers von Elitepartner auch nicht zu unterschätzen – was macht der eigentlich? The loneliness of the matchmaker. Die Oper wird hoffentlich noch geschrieben werden eines Tages – von jemandem, der niemanden gefunden hat auf Elitepartner.
Premiere Die verkaufte Braut
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Ein Hoch auf die Hochzeit … das hatte nicht nur Bedřich Smetana verstanden, sondern ist heute auch noch allen klar. Echt jetzt.
Und am Schluss wird bitteschön geheiratet! Warum? Weil wir darauf bestehen, basta! Denn keine Geschichte lassen wir uns lieber erzählen als die vom Hindernislauf vor den Traualtar. Egal, ob sie im böhmischen Dorf, auf dem englischen Landsitz, in Holly- oder Bollywood stattfindet, die Hochzeit ist so zeitlos wie krisensicher und sie bleibt die unbestrittene Nummer eins unter den Happy Ends. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Aber wie, wo und vor allem wovon? Das rationale Geld und die irrationale Liebe sind ein unmögliches Paar, das wir aus Harmoniegründen lieber nicht zur Hochzeit einladen, und wenn doch, dann an getrennte Tische setzen. Schon Worte wie „Zugewinngemeinschaft“ sind derart unromantisch, dass sie nur von Juristen ausgesprochen werden dürfen, und auch von denen erst dann, wenn der Spaß definitiv vorbei ist, also zum Scheidungstermin. Bis vor gar nicht so langer Zeit war man an dieser Stelle weniger zimperlich. Die Ehe hatte eine standesgemäße, wirtschaftlich sinnvolle Verbindung zu sein, da nahm man kein Blatt vor den Mund. Besonders dann nicht, wenn es um die eigenen Kinder ging. Die Heirat war Pflicht, die Lie-
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be hingegen nur Kür. Die Kunst bestand deshalb darin, sich zur richtigen Zeit in jemanden zu verlieben, der auch noch ins geforderte Gesamtbild passte. Und wenn nicht? Dann hatte man alle Zutaten für genau die Geschichte, von der wir seit Jahrtausenden nicht genug kriegen können. Egal ob Tragödie oder Komödie – wenn sich zwei Liebende gegen den Rest der Welt auflehnen, wird es richtig gut. „Alles ist so gut wie richtig“, heißt es in der Verkauften Braut. Der Heiratsvermittler frohlockt und lobt seinen eigenen Scharfblick und Verstand bei der Ehevermittlung. Alle, die glücklich sind, hat er unter den Hut, respektive unter die Haube gebracht. Wofür er hier wirbt, ist der pragmatische Weg ins Glück. Verstand versus Gefühl. Aber müssen die sich unbedingt ausschließen? Und wer sagt uns heute, wer die oder der Richtige ist? Der größte Heiratsvermittler heißt heute Internet und lockt mit einer schier unendlichen Auswahl an potenziellen Partnern. Was nicht heißt, dass die Trefferquote ebenfalls ins Unendliche gestiegen ist. Scharfblick und Verstand zu benutzen, kann bei der Suche auf jeden Fall nicht schaden. Und Glück braucht man auch weiterhin. Denn während man
Text Jackie Thomae
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Daniela Rossell, Untitled (Ricas y Famosas), 1999 Sammlung Goetz, MĂźnchen, Courtesy the artist and Greene Naftali, New York
Daniela Rossell, Untitled (Ricas y Famosas), 2000 Kunststiftung Ingvild und Stephan Goetz, München, Courtesy the artist and Greene Naftali, New York
Was bedeuten diese exzessiven Junggesell(inn)enabschiede eigentlich? Dass nach der Hochzeit der Spaß für immer vorbei ist? Dass die Ehe genau das ist, was berühmte Dichter und alte Grantler ihr unterstellen, nämlich eine lebenslange Strafe? 66
Daniela Rossell, Untitled (Ricas y Famosas), 2002 Kunststiftung Ingvild und Stephan Goetz, München, Courtesy the artist and Greene Naftali, New York
früher die Kriterien für Miss oder Mister Right von außen diktiert bekam, muss man sich heute ganz allein überlegen, wen man anklickt und warum. Und als wäre das noch nicht genug an Leistungsdruck, muss man sich zudem auch noch gut verkaufen! Man wirft sich selbst auf einen gigantischen, unübersichtlichen Markt. Wer nicht mit Aussehen, Bildung, Wortwitz und Charme punkten kann, hat schlechte Karten, denn nicht nur die Zahl der Kandidaten ist riesig, auch die der Konkurrenz, und die schläft bekanntlich nicht. Bei dieser recht neuen Form der Eheanbahnung hat sich gezeigt, dass sich Gleich und Gleich nach wie vor gerne paart. An die Stelle von Herkunft und Stand sind heute Bildung und Beruf getreten. Die Liebe ist zwar ein seltsames Spiel, in den ersten Wochen vielleicht auch ein bisschen blind, aber sie ist keinesfalls alles, was wir brauchen. In der Regel wollen wir noch viel mehr. Es muss passen und zwar in möglichst allen Punkten. Denn die Ehe ist nicht nur die Verbindung zweier lodernder Herzen, sie ist auch ein Deal. Und häufig gar kein schlechter: Wer heiratet, spart Steuern. Wer heiratet, lebt länger, besonders als Mann, was mit der besseren Lebens-
Fotografie Daniela Rossell
führung zusammenhängt. Wer heiratet, bringt sich in Sicherheit, besonders als Frau. Denn für Frauen stellt die Ehe nach wie vor die größte Chance dar, ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern. Das hört sich erschreckend unmodern an, ist aber ein Fakt. Außerdem wohnt es sich zu zweit einfacher. Im harten Kampf um eine adäquate Mietwohnung haben es verheiratete Paare leichter als unverheiratete. Auch Vermieter glauben also an die Ehe – was fast schon wieder romantisch ist. Niemand muss hier und heute noch heiraten, aber alle dürfen es, mit dem Resultat, dass die meisten es auch wollen. So ein Leben braucht schließlich Höhepunkte. Statistik und Gefühl sind sich ausnahmsweise einig: Die Zahl der Eheschließungen ist stabil. Ja, fast scheint es, als hätte die Hochzeit Hochkonjunktur, als würde mehr geheiratet denn je. Was auch daran liegen mag, wie im Moment geheiratet wird, nämlich möglichst groß und sichtbar. Der Trend geht zum Mega-Event. Der Beruf des Wedding Planners ist vor Jahren aus den USA zu uns herübergeschwappt und mit ihm die logistische Glanzleistung, überall und für jeden eine Hollywood-Hochzeit zu inszenieren. Die Idee dahinter ist
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nachvollziehbar: Wenn schon heiraten, dann bitte richtig! Leider gibt es noch keine Zahlen darüber, ob die Größe der Hochzeit einen direkten Einfluss auf die Länge der Ehe hat, aber wir drücken die Daumen, dass sich der Aufwand auch gelohnt hat. Passend zur großen Hochzeit hat sich auch der große Junggesellenabschied etabliert und den gemütlichen Polterabend verdrängt. Geschirr zu zerschmeißen, weil Scherben Glück bringen, war ein niedlicher Brauch, niedlich auch, weil er im Hof oder Garten der Brauteltern stattfand und weil die Brautleute die Scherben gemeinsam aufkehren mussten, als ersten Stresstest sozusagen. Heute braucht man für einen amtlichen Abschied aus dem Singledasein mindestens eine Partymeile, wenn nicht eine ganze Innenstadt. Spätestens seit einem Kinoerfolg mit dem Titel Hangover 1 – 3 ist es Pflicht, dass in dieser Nacht kein Auge trocken bleibt. Aber so modern der angelsächsische Brauch der stagoder hen night, also Hirsch- oder Hühnernacht, derzeit auch sein mag, so altbacken ist seine Aussage. Denn was bedeutet dieser – strikt nach Geschlechtern getrennte – Exzess eigentlich? Dass nach der Hochzeit der Spaß für immer vorbei ist? Dass die Ehe genau das ist, was berühmte Dichter und alte Grantler ihr unterstellen, nämlich eine lebenslange Strafe?
Wirklich? Und dafür der ganze Aufwand? Nein! Die Ehe ist eher ein Job als eine Strafe – oder, wie Balzac sagte, ein lebenslanger Kampf gegen ein Ungeheuer, das alles verschlingt: die Gewohnheit. Viele von uns kennen diesen Kampf und wissen, dass er sich zwar lohnen kann, dass er aber in der Regel zäh und nicht besonders bühnentauglich ist. Wir Gäste machen uns deshalb nach dem Happy End schnell auf den Heimweg. Viel Glück und alles Gute!
Jackie Thomae arbeitet als Journalistin und Autorin in Berlin. In ihrem Roman Momente der Klarheit geht es um das Ende der Liebe unter nicht mehr jungen Großstädtern. Sie ist eine der Autorinnen der jüngst erschienenen Anthologie Sagte sie – 17 Erzählungen über Sex und Macht. 2017 nahm sie am Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Für ihre Serie Ricas y Famosas fotografierte die mexikanische Künstlerin Daniela Rossell Frauen der wohlhabenden Oberschicht Mexikos in deren persönlichem Umfeld.
Leider gibt es noch keine Zahlen darüber, ob die Größe der Hochzeit einen direkten Einfluss auf die Länge der Ehe hat, aber wir drücken die Daumen, dass sich der Aufwand auch gelohnt hat. 68
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Diese Musik! Schon in den ersten Minuten klingt sie auf, die alten Frauen aus dem Dorf sind ausgeschwärmt in den Wald zum Holzsammeln und singen dabei eine böhmische Volksweise. Eine gibt den Ton vor, die anderen stimmen zum Refrain ein, und dabei türmen sie emsig ihre Reisighaufen auf. Der Himmel spannt sich weit über die hügelige Landschaft, die Schürzen sehen so aus, wie sie hier in Böhmen eben seit Jahrhunderten aussehen, und bis die erste Frau ihr Handy aus der Rocktasche zieht, könnte man denken, man sei mittendrin in der Verkauften Braut von Bedřich Smetana. Es gibt aber nun einmal Dinge, die ändern sich allenfalls in den Details, und so ähneln sich die Wilden Bienen, ein tschechischer Kino-Blockbuster aus dem Jahr 2001, und das 135 Jahre ältere Libretto zu Smetanas Oper frappierend. Natürlich liegt das auch am Genre, das in Tschechien über die Zeit hinweg ungebrochen populär ist – die leichte Komödie, die irgendwo auf dem Land spielt und sich vor allem mit den Paarungsschwierigkeiten der adoleszenten Dorfschönheiten beschäftigt. Auf den zweiten Blick erst sieht man, dass sich unter der seichten Oberfläche eine harsche Kritik der jeweiligen Zeit verbirgt; und die Zeit hat sich seit Smetanas Verkaufter Braut eben doch verändert – selbst auf dem böhmischen Land. Bei den Wilden Bienen – einem Film des Regisseurs Bohdan Sláma – treibt der Forstwirt die Frauen des Ortes beim Holzsammeln unbarmherzig an. „Los, los“, ruft er, „wir haben schließlich Kapitalismus!“ Und die Frauen mit ihren Schürzen wie zu Smetanas Zeiten nicken ergeben (dass sie, Kapitalismus hin oder her, im jahrhundertelang bewährten Rhythmus weitermachen, versteht sich von selbst). Die Heldin ist verlobt mit dem
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Premiere Die verkaufte Braut
Originalplakat zu dem tschechischen Film Wilde Bienen (2001)
Das böhmische Dorf Ach, wie schön! Könnte man meinen. Dabei haben es tschechische Künstler seit Langem meisterhaft verstanden, beißende Kritik in den Kulissen des Landlebens zu verstecken.
Originalplakat zu dem tschechischen Film Der Feuerwehrball (1967) © Vladimír Bidlo, Sammlung des National Film Archive, Prague
Dorfsonderling, der ein Motorrad besitzt und sich als Michael-Jackson-Double versucht, immer eine Flasche Cola in der Hand. Die neue Zeit mitsamt Konsum, Popkultur und Freiheitsversprechen ist angekommen im Ort – und die Heldin ist zerrieben zwischen den Verlockungen der Ferne und den Sicherheiten des Dorfs, zwischen dem amerikanischen Traum und den böhmischen Knödeln, zwischen ihrem einheimischen Verlobten und der Suche nach Liebe in Prag. Eine dritte Version dieser Geschichte gibt es auch noch, und sie zeigt wieder einmal, wie tschechische Künstler es verstehen, beißende Kritik in den Kulissen des böhmischen Landlebens zu verstecken: ein Film aus dem tiefsten Kommunismus des Jahres 1967, Der Feuerwehrball. Die Dorfgemeinschaft trifft sich in der Kneipe, eine Tombola ist vorbereitet und ein Schönheitswettbewerb für die heiratsfähigen Töchter. In dieser Gemengelage entbrennt ein absurdes Pannenspektakel, an dessen Ende die Preise vom Tombolatisch gestohlen sind, das Feuerwehrfahrzeug im Schnee feststeckt und die Mädchen sich auf der Toilette einschließen, um dem Schaulaufen zu entgehen. Das Schicksal des Films war kennzeichnend für die Zeit: Die Zensur verstand den geplünderten Gabentisch und die heillos überforderten Organisatoren des Feuerwehrballs als Allegorie auf die Staatsführung und ließ ihn auf Jahre im Giftschrank verschwinden. Es war einer der ersten Filme von Miloš Forman. Der Regisseur machte trotzdem später in Hollywood Karriere und wurde als Oscar-Preisträger schließlich zum tschechischen Aushängeschild. Und da schließt sich der Kreis wieder zur Verkauften Braut: Ob Smetana, Sláma oder Forman, ob 19. oder 21. Jahrhundert – alle Wege beginnen in den böhmischen Dörfern.
Kilian Kirchgeßner berichtet aus Tschechien und der Slowakei für zahlreiche ARD-Hörfunkprogramme und u. a. für Magazine in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 2016 und 2017 erhielt er den deutsch-tschechischen Journalistenpreis.
Die verkaufte Braut Komische Oper in drei Akten Von Bedřich Smetana Premiere am Samstag, 22. Dezember 2018, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Sonntag, 6. Januar 2019, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 95
Text Kilian Kirchgeßner
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Was ist für Sie ein Skandal? Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und ihr Ehemann Lukas Fierz antworten klar und mit Furor.
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Bayerisches Staatsorchester
Pré-de-Bar-Gletscher, Italien 2003, Foto: Björn Lux & Frank Wache / Agentur Focus
Ein Skandal
Glacier du Tour, Frankreich 2007, Foto: Björn Lux & Frank Wache / Agentur Focus
Wenn ein Youtuber einen lebenden Frosch im Topf auf dem Kochherd aufheizte, gäbe es Skandal und Straf verfolgung. Wenn allerdings der Frosch freiwillig ent schieden hätte, seinen Topf aufzuheizen, so wäre das kein Skandal. Wenn viele Frösche zusammen mehrheit lich beschlössen, ihren gemeinsamen Topf derart auf zuheizen, so stellte sich die Frage der Minderheiten rechte der nicht aufheizwilligen Frösche. Ob ein Skandal vorläge, mögen Tierrechtler entscheiden. Nun aber heizen wir Menschen – nicht gescheiter als besagte Frösche – unsern Topf, unseren Planeten langsam so auf, bis er unbewohnbar wird, hierzulande sogar unter Leitung demokratisch gewählter Regierungen. Auch hier die Frage der Minderheitenrechte der nicht Aufheizwil ligen, aber das Ganze ist wohl weniger Skandal als Ka tastrophe, ähnlich dem Untergang der Dinosaurier. Allerdings sind wir nicht Frösche, sondern Menschen mit Vernunft und Sprache. Um zum Skandal zu kom men – hier ein Beispiel, das wir aus der Nähe erlebt haben: Einer der weltweit angesehensten Physiker hat seit Jahrzehnten den Klimanotstand vorausgesehen und sich endlich 2015 Mut und Mühe genommen, in persönlicher und allgemeinverständlicher Sprache aufzuschreiben, was Sache ist, nämlich Selbstverbrennung, so der Titel seines Buches. Der Wissenschaftler
stammt aus Bayern, heißt Schellnhuber, ja, googeln Sie ihn nur! Der erste Treffer: Wikipedia, der zweite: sein Institut, und dann bald der diffamierende Leit artikel eines führenden deutschen Blattes zu seinem Buch, betitelt Der ewige Alarmismus des Hans-Joachim Schellnhuber, in dem ihm das Schielen auf den Nobel preis unterschoben wird. Und so geht es Schellnhuber und seinen Kollegen, die etwas von der Sache verstehen, eigentlich bis heute: Ja, natürlich dürfen sie sich äußern. Aber zu Podi umsgesprächen werden sie meist mit irgendwelchen Klimaleugnern eingeladen, damit an den andern ex tremen Rand gerückt, während die sogenannte „ge sunde Mitte“ über sogenannte vernünftige Standpunk te“ diskutiert, die der Dringlichkeit des Problems keineswegs gerecht werden. Oder sie werden unter „Meinung und Kommentar“ abgedruckt, nicht ohne bald einen Artikel mit gegenteiliger Meinung nach zuschieben. So wird die Warnung der Wissenschaft entkräftet, ihre Glaubwürdigkeit im breiten Publikum unterminiert und zum Abschuss durch den Pöbel freigegeben – jeder Laie darf sich bemüßigt fühlen, zum Thema mitreden zu können. Schellnhuber sitzt übrigens zu Potsdam im gleichen Büro, das vor hundert Jahren Einstein benutzte, jener
Nun aber heizen wir Menschen – nicht gescheiter als besagte Frösche – unsern Topf, unseren Planeten langsam so auf, bis er unbewohnbar wird, hierzulande sogar unter Leitung demokratisch gewählter Regierungen. 75
Dass Politiker mit Fakten und Gefahren beschönigend oder gar nicht umgehen, ist keine Überraschung und kein Skandal, wird doch nur gewählt, wer den Wählern Wohlfühlillusionen vermittelt. Auch die Presse als vierte Gewalt im Staate steht trotz Informationspflicht in Versuchung, ihr Publikum mit Wohlfühlillusionen bei Laune zu halten, aus Angst, Leser zu verlieren. Aber es gibt Grenzen. Mit der Schicksalsfrage von Mensch und Biosphäre derart schnoddrig und populistisch umzugehen, ist ein Skandal. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Redaktoren an der Front, sondern die Mächtigen, die die Medien steuern und dabei im Schatten bleiben. Ein Wink aus diesen höheren Sphären, und es würde fair und der Dringlichkeit der Sache angemessen berichtet, sodass auch durchschnittlich unwissende Musiker sich ein Bild der Sachlage und der naturwissenschaftlichen Grundlagen machen könnten. Der letzte Rekordsommer hat den Warnern mehr als recht gegeben. Die globale Erwärmung wird niemanden verschonen. Schellnhuber selbst geht dieser Tage in Pension. Eigentlich schuldete die besagte Zeitung ihm und ihren Lesern eine Würdigung seiner Leistung und eine Entschuldigung. Und jedes Medium schuldete seinen Lesern tägliche Berichte über Entwicklungen und Lösungsmöglichkeiten des Klimaproblems. Ja, und was kann denn ein Musiker beitragen? Gegen die Klimakatastrophe ist jedes künstlerische Jammern unbedeutend. Aber auch im Musikbetrieb setzen zu viele Organisatoren auf Wohlfühlillusionen. Dazu können wir die Erfahrung beitragen, dass man das Publikum ja nicht unterschätzen sollte: Einmal wollten wir in einem Berliner Nachtkonzert Musik von Galina Ustwolskaja spielen, der unbequemsten Komponistin des 20. Jahrhunderts. Unsere Angst, dass niemand komme, war weit verfehlt: Es kamen 1.500 Menschen! Nur der überforderte Kritiker meckerte, dies sei nichts für ein Spätkonzert. Hatte er Mozarts Kleine Nachtmusik erwartet? Und jetzt spielen wir im Vertrauen auf Ihre Neugier das spröde, unbeliebte und teuflisch schwierige SchönbergGeigenkonzert. Der berühmte Heifetz wollte davon nichts wissen, weil man dafür sechs Finger brauche.
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Sie kommen auf eigene Gefahr. Wir warnen nicht, erklären nichts, wollen auch nichts verdüstern. Zu Schönbergs Musik wurde schon zu viel gesagt. Er braucht weniger das intellektuelle Verstehen, eher das Spüren, Ahnen, Phantasieren. Seine Sprache ist zwar nach wie vor neu, expressiv wie seine Bilder, aber die Form alt wie ein Plüschsofa, auf dem man als sechsfingrig geigender Pierrot in einen dodekaphonischen Traum vielleicht den Schwierigkeiten entgehen könnte. Schönberg war ein Markstein der Musikgeschichte, erregte Skandale und beeinflusste Generationen. Sein Violinkonzert ist eine Herausforderung für Spielende und Zuhörende. Jede Phrase ist ausgeklügelt, andauernd verlangt er Tempowechsel – für Solist, Orchester und Dirigent eine Hochgebirgsexpedition in der Luft eines anderen Planeten. Wagen wir uns an dieses Abenteuer, alle zusammen mit Kirill Petrenko und dem Bayerischen Staatsorchester. Und danach vielleicht sogar an die Klimaproblematik. Oder wollen wir uns wirklich mit der Loriot’schen Empfehlung begnügen – bei großer Hitze „kleine Eisstückchen langsam im Munde zergehen“ zu lassen? Quak, quak.
2. Akademiekonzert Arnold Schönberg – Konzert für Violine und Orchester op. 36 Johannes Brahms – Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73 Musikalische Leitung: Kirill Petrenko Violine: Patricia Kopatchinskaja Sonntag, 14. Oktober 2018 Montag, 15. Oktober 2018 Dienstag, 16. Oktober 2018 Nationaltheater Mittwoch, 17. Oktober 2018 Gastspiel in Lugano, LAC (Lugano Arte e Cultura) Siehe auch Spielplan ab S. 95
2. Akademiekonzert
Morteratschgletscher, Schweiz 1998, Foto: Björn Lux & Frank Wache / Agentur Focus
Einstein, dem der nationalsozialistische Pöbel einst sagen durfte, dass seine Relativitätstheorie jüdisch und deshalb falsch sei. Haben wir daraus gelernt?
Patricia Kopatchinskaja als eine der ungewöhnlichsten Geigerinnen
leitet auch Ensembles und Orchester von der Geige aus – in
unserer Tage zu bezeichnen, ist fast eine Untertreibung. Es ist
diesem Jahr hat sie die künstlerische Leitung der Camerata Bern
nichts weniger als radikal, wie sie die Werke vom Gregorianischen
übernommen. Zu ihren musikalischen Partnern zählen die
Choral (ja, wirklich) bis zur allerneuesten Musik interpretiert –
Cellistin Sol Gabetta, die Pianistin Polina Leschenko und der
und dabei keineswegs die Klassiker wie Beethoven oder Tschaikowsky
Dirigent Teodor Currentzis. Kirill Petrenko kennt sie seit
auslässt, im Gegenteil. Geboren in Chișinău (Kischinau), der
dem Studium in Wien. Schon in seiner ersten Saison als GMD in
Hauptstadt der damals sowjetischen Teilrepublik Moldau, wuchs
Meiningen haben sie dort gemeinsam das Violinkonzert von
sie in einer Musikerfamilie auf, mit der sie 1989 nach Österreich
Sibelius aufgeführt. Das 2. Akademiekonzert bringt sie nun wieder
emigrierte. Ihre Studien nicht nur im Violinspiel, sondern auch in
auf dem Konzertpodium zusammen.
Komposition führte sie in Wien fort und schloss sie, unter anderem bei Igor Ozim, in Bern ab. Die Stipendien, Preise, Einladungen
Lukas Fierz ist Arzt und Buchautor (Begegnungen mit dem
und Ehrungen, die ihr seither entgegengebracht wurden, braucht
Leibhaftigen: Reportagen aus der heilen Schweiz, 2016).
man nicht aufzulisten: Sie ist gefragt auf der ganzen Welt und war
Er lebt und arbeitet seit 18 Jahren mit Patricia Kopatchinskaja
beispielsweise jüngst artiste étoile beim Lucerne Festival
zusammen bei Programmentwicklung und Quellenstudium,
und artistic director des Avantgardefestivals Ojai, Kalifornien. Sie
auch als „Ohr im Saal“ und Advokat des Publikums.
Text Patricia Kopatchinskaja, Lukas Fierz
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Den Glanz tanzen
Großer Smaragd, Foto: E. R. Degginger / Getty Images
Zehn Variationen zu Tanz, Schmuck und Moderne.
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Bayerisches Staatsballett / Premiere Jewels
Schmuck und Tanz in der europäischen Kulturwelt von einer Aura des Anstößigen umgeben. Beide verführten zum Körper. Beide beschworen den morbiden Charme seiner Hinfälligkeit. Quelle des Unbehagens war der offenbare Verstoß gegen die platonische Vorgabe, sich am Unwandelbaren zu halten und den Tod umzudeuten. Sowohl der Tanz als auch der Schmuck dienten der Aufwertung des Vergänglichen. Sie lenkten den Blick auf die Stimmungen und Bewegungen eines biologischen Organismus, der seit dem Einsatz der industriellen Revolution seine Gottebenbildlichkeit eingebüßt hatte. 2. Ebenso
wie die Nacktheit, die vom Akt der Entkleidung bestimmt bleibt, ist die Modernität einer künstlerischen Geste ohne die von ihr zurückgelassene Vergangenheit kaum zu begreifen. So erscheinen die frühen Objekte des modernen Schmucks als materialisierte Kritik an der traditionellen Rolle von Schmuck als Verzierung und Statusanzeige. Demgegenüber sollte der neue Schmuck als der erste Schritt in die Richtung einer Metamorphose des Schmuckträgers gelten. Auf ähnliche Weise sind auch die Anfänge des modernen Tanzes untrennbar von der Kritik am Ballett des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, der zufolge dieses stets in den Himmel strebte, den tanzenden Körper bis zur Engelhaftigkeit vergeistigte und den Bodenkontakt auf die Fußspitzen reduzierte. Der Tanz der Zukunft sollte sich mit der Erde verbünden. Sie sollte die Schwerkraft der Erde und die inneren Kräfte des Körpers als neuartige Akteure auf den Plan treten lassen.
seltsamen Zwitterwesen, denn aus dem Maul einer monströsen, mit goldenen Teufelskrallen versehenen Libelle ragte eine Frauenbüste aus geschnittenem Chrysopras. Aus den Schultern der Frau wuchsen zwei große, filigran gearbeitete Flügel, die jeweils von einem geschwungenen Goldrand eingefasst waren und aus einem goldenen, mit Emaille besetzten Gitterwerk bestanden. 5. Als
die materielle Ausformung der volkstümlichen Metapher Teufelsbraut thematisierte das Stück eine Metamorphose zwischen dem Körper eines diabolischen Flügeltiers und einer Frau mit Flügelarmen. Das Maul des Insekts endete am Brustbein der Frau, exakt an dem Punkt also, an dem sich die reale Schmuckträgerin die Brosche in der Mitte ihrer Korsage zu befestigen hatte. Im Herzen der Brosche, die dem Drama der Metamorphose gewidmet war, hing also der Insektenkörper wie eine Brosche von der Brust der Chrysopras-Frau herab und signalisierte, dass der Schmuck weniger Verzierung denn Verwandlung sei und dass die Brosche den eingefrorenen Augenblick eines Vorgangs abbildete, in dem der Schmuck den realen, hinfälligen Trägerkörper überwächst und allmählich wie ein schamanistisches Gewand zudeckt. Das wurde zudem auch von der Überdimensionalität der Brosche nahegelegt, die, 23 cm hoch und 26,6 cm breit, folglich nur mit Mühe zu tragen war und einen bedeutenden Zwischenschritt zwischen der Verzierung und der gänzlichen Maskierung des Trägerkörpers darstellte.
3. Der antimetaphysische Impuls, der mit den Anfängen
des modernen Tanzes und des modernen Schmucks aufkam, rief einen ebenso modernen Gegner auf den Plan: den Asketismus der Form. So hat etwa der Architekt und Kulturtheoretiker Adolf Loos im Namen der Form, Funktion und Utilität eines Gebrauchsgegenstands jegliche Ornamentik als das Überflüssige und Unmoderne zurückgewiesen. So bemerkte etwa Gertrude Stein, die ihr eigenes schriftstellerisches Format über ihren parataktischen Asketismus entdeckt hatte, anlässlich des Unfalltodes von Isadora Duncan ganz lapidar, dass Affektiertheit eben gefährlich sein kann. 4. Auf
der Pariser Weltausstellung des Jahres 1900 stellte der Goldschmied und Juwelier René Lalique eine überdimensionale Brosche mit dem Titel Libelle aus. Die Form der Brosche entsprach einem
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6. Angesichts
der damals noch herrschenden Interpretation von Schmuck als Verzierung und Medium der Kommunikation löste Laliques Libellenbrosche jedoch bei zeitgenössischen Betrachtern Irritationen aus und verleitete zu der Ansicht, dass es sich bei ihr gar nicht um Schmuck, sondern um ein skulpturales Objekt und Sammlerstück handelt. Eben in diesem Sinne figuriert das Stück in dem 1908 veröffentlichten Essay Psychologie des Schmuckes des Kulturphilosophen Georg Simmel: als Beispiel dafür, was Schmuck gerade nicht sein kann, sofern er die Identität der Schmuckträgerin zu symbolisieren hat, statt diese im Zuge einer Metamorphose auszuhöhlen. Schmuck soll laut Simmel als eine eigentümliche „Radioaktivität des Menschen“ dessen Bedeutung hervorheben, untermauern und mitteilen, keines-
Text Pravu Mazumdar
René Lalique, Anhänger Libellenfrau mit geöffneten Flügeln, um 1898–1900, Museum Calouste Gulbenkian, Lissabon © Heritage-Images/Art Media/akg-images
1. An der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert waren
Samuel Joshua Beckett, Loïe Fuller tanzend, ca. 1899–1901, Metropolitan Museum of Art, New York © akg-images
Tanz und Schmuck sind zwei uralte Mittel aus dieser lebenstechnischen Trick kiste, die zeitgleich und unabhängig voneinander für das Abenteuer der Moderne umgeschaffen wurden. wegs aber verwandeln. In solchen Auseinandersetzungen offenbart sich die eigentümliche Bedeutung von Laliques Libellenbrosche, die den Schmuck als Metamorphose zu etwas Bedeutsamem und Glanzvollem interpretiert und damit erst eine geschichtliche Metamorphose der Rolle und kollektiven Auslegung des modernen Schmucks einleitete. 7. Ungefähr
zur gleichen Zeit vollzog sich eine andere Art von Metamorphose in der Sphäre des Tanzes. Loïe Fuller, eine Amerikanerin, die sich das Tanzen selbst beigebracht hatte und in diversen Schaubudenstücken zwischen Boston und New York aufgetreten war, einschließlich der Wild West Show von Buffalo Bill, begann ab 1892, auf Pariser Bühnen tanzend, sich in Blumen und Schmetterlinge zu verwandeln. In ihrem Schmetterlingstanz vollendete sich gewissermaßen das Drama der Verwandlung, dessen Anatomie in der Brosche von Lalique zu sehen war. Die Tänzerin verhüllte sich in von Licht beschienenen Stoffschwaden und wurde vollends zum Flügeltier, das sich seinerseits in einen reinen Tanz von Flügeln aus beschwingtem Stoff verwandelte.
George Balanchine
8. Im
Unterschied also zum klassischen Ballett mit seiner Himmelsnähe und Spitzentechnik brachte Fuller die „Natur“ auf die Bühne: unter Einsatz eines neuartigen Verfahrens der Einhüllung des tanzenden Körpers in wallende Seidenstoffe, die durch Lichteinfall – von allen Seiten, vor allem aber von unten durch Öffnungen im Bretterboden – die atemberaubendsten Farbeffekte entfalteten. Aus den Falten leuchtender Seide strömte ein Glanz, der den Tanz als bewegte Skulpturen aus Stoff sichtbar werden ließ, während sich der tanzende Körper als Zentrum und Quelle der Bewegung in die Verborgenheit der Stoffhülle zurückzog. Zu den Bewunderern Fullers gehörte kein Geringerer als Stéphane Mallarmé, der das Verschwinden der Tänzerin „im gewaltigen Bad der Stoffe“, die Hervorhebung der reinen Bewegung des Tanzes und die Ausdehnung des tanzenden Körpers zu Gebilden wie Schmetterling und Blütenblatt als einen bedeutsamen spirituellen Gesamteffekt charakterisierte. Man konnte zusehen, wie die Immaterialität des getanzten Glanzes zur wahrnehmbaren plastischen Form wurde. 9. Während
bei Fuller die Tänzerin abgedeckt und der Tanz im Brennglas ihres Verfahrens als reine Bewegung offenbar wurde, ging Isadora Duncan den umgekehrten
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10. Denn:
Gemäß einer typisch modernen Bestimmung ist der Mensch das Tier, das mehr aus sich machen und sich folglich stets verwandeln muss. In der Philosophie Kants wurde im ausgehenden 18. Jahrhundert die alte Metaphysik zusehends zu einem anthropologischen Verhalten umgedeutet. Der Mensch ist das metaphysische Tier schlechthin: das animal metaphysicum, wie Schopenhauer in Anlehnung an Kant es formuliert, das stets das zu erkennen sucht, was über das eigene beschränkte Dasein hinausgeht, das das Alltägliche und Gewöhnliche philosophisch bestaunt, Götter und andere theologische Märchen erfindet, Tempel und Kirchen baut. Mit Nietzsche jedoch wird der Mensch zum noch nicht festgestellten Tier, das nicht bloß das Transzendente zu erkennen, sondern stets sich selbst zu transzendieren hat: ein Tier ohne endgültiges Ziel, ohne festgelegte Richtung, aber mit einer merkwürdigen Dynamik versehen, die es zwingt, sich immer wieder zu verwandeln und mehr aus sich zu machen, um wiederholt, mittels Fiktionen, Illusionen, Techniken der Verstellung aus seiner unerträglichen Nichtigkeit herauszubrechen, sich Glanz zu verleihen und sich in ausgesuchten Augenblicken als etwas Seiendes zu fühlen. Tanz und Schmuck sind zwei uralte Mittel aus dieser lebenstechnischen Trickkiste, die zeitgleich und unabhängig voneinander für das Abenteuer der Moderne umgeschaffen wurden.
Jewels Emeralds / Rubies / Diamonds Ballett in drei Teilen Choreographie George Balanchine Premiere am Samstag, 27. Oktober 2018, Mehr über den Autor auf S. 8
Nationaltheater
Eine Weiterführung dieses Textes finden Sie im Programmbuch zu Jewels.
Weitere Termine im Spielplan ab S. 95
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Isadora Duncan tanzt mit einem Schleier, um 1918, unbekannter Fotograf, Privatsammlung © akg-images/Archive Photos
Weg und versenkte sich in den tanzenden Körper selbst. Das war bedingt durch Duncans Kritik am klassischen Ballett, das ihrer Ansicht nach die Gravitation verleugnete und den tanzenden Körper seiner inneren Kraft beraubte, indem es ihn in ein Korsett aus unnatürlichen Bewegungen einsperrte. Schaute man nämlich durch den ganzen „Flitterkram aus Tutus und Trikots“ hindurch, so erkannte man laut Duncan nichts Weiteres als deformierte Muskeln, einen deformierten Knochenbau und schließlich das Ballett selbst als einen Tanz deformierter Skelette. Als begeisterte Nietzsche-Leserin suchte Duncan den Geist antiker Tänze und identifizierte das Sonnengeflecht als Sitz und Quelle einer Bewegung, die sie in gezielten Übungen und Choreographien aus diesem Zentrum hervorgehen ließ: als einen dionysischen Tanz, bei dem der bewegte Körper mit Intelligenz und Strahlkraft aufgeladen und der tanzende Mensch zur leuchtenden Fluidität wurde, in der die Seele in Erscheinung trat. Durch den Tanz wurde der Körper nicht auf eine von außen herangetragene Form reduziert, sondern entfaltete im Gegenteil, aufgrund seiner eigenen Kraft, Glanz und Mehrwert.
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Please meet: die Frl. Wunder AG
Collage Sebastian Haslauer
Ein Remix zum Jubiläumsjahr: In GELIEBT, GEHASST UND TROTZDEM TREU geht die Frl. Wunder AG der nun 40 Jahre alten EverdingInszenierung von Mozarts Die Zauberflöte an den Kragen. Hier erklären die Künstlerinnen Melanie Hinz, Verena Lobert und Marleen Wolter, wie das geht.
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200 Jahre Nationaltheater
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Frl. Wunder AG? Da war doch was. „Fräuleinwunder“, so nannten US-amerikanische Besatzungssoldaten die jungen und selbstbewussten Frauen im Deutschland der Nachkriegszeit. Und als solche könnte man auch die Künstlerinnen der norddeutschen Performance-Gruppe, nun nach den Maßstäben des Jahres 2018, bezeichnen. „Frl.“ weist als Selbstbezeichnung auf die feministische Haltung, die das Künstler*innenkollektiv in seinen theatralen Installationen praktiziert. Aber auch die „AG“ ist zentral: Die Stückentwicklungen des Kollektivs werden vom Konzept über die Dramaturgie bis zur Inszenierung als Arbeitsgemeinschaft erarbeitet und auch auf der Bühne treten die Mitglieder der Frl. Wunder AG als Performer*innen in Erscheinung. 2018 sind Melanie Hinz, Verena Lobert und Marleen Wolter an der Bayerischen Staatsoper im Rahmen des Nationaltheaterjubiläums zu Gast, um August Everdings Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte aus dem Jahr 1978 unter die Lupe zu nehmen.
Die Spielzeit 2018/19 an der Bayerischen Staatsoper ist überschrieben mit ALLES WAS RECHT IST. Dies erinnert an die Ausrufe eines empörten Publikums, und auch der Titel Ihres Musiktheaterprojekts GELIEBT, GEHASST UND TROTZDEM TREU spielt auf polarisierende Affekte an. Wie balanciert die Frl. Wunder AG auf dem schmalen Grat von Recht und Empörung? MAX JOSEPH
Mit unserem Projekt wollen wir Widersprüche offenlegen und szenische Momente der Reflexion gewinnen, in denen auch polarisierende Haltungen erkennbar werden. Als feministisches Performance-Kollektiv provozieren uns die sogenannten werktreuen Inszenierungen: Warum eine Live-Kunst wie Oper an der Wiederholung einer 40-jährigen Ästhetik und den damit zusammenhängenden Gesellschaftsbildern festhält, war für uns lange unbegreiflich und hat uns zunächst einmal empört. Doch das hat für die dramaturgische Entwicklung unseres Abends produktive Wirkungen entfaltet.
MELANIE HINZ
VERENA LOBERT Vielleicht ist es für manch eine traditionsorientierte Opernnutzer*in auch erstmal eine Provokation, wenn sie erfährt, dass wir uns als absolute Newbies im Opernkosmos mit einem Gral des
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hiesigen Repertoires beschäftigen – eben August Everdings seit 40 Jahren laufender Inszenierung von Die Zauberflöte. Wir haben für diese Arbeit sehr viele Opernnutzer*innen getroffen und in den Interviews haben die meisten immer wieder erzählt, dass „Gefühle haben in der Oper“ Erfahrungen voraussetzt, also: häufige Opernbesuche, die Kenntnis von Libretti und Figuren oder von jemandem, oft schon von Kindheit an, mitgenommen zu werden. Daher haben wir in unserem Untertitel den Begriff „Gefühlsathletik“ gewählt, weil dieser Erfahrungsraum offensichtlich trainiert werden muss. Sie bezeichnen Ihre künstlerische Arbeit als künstlerische Feldforschung. Was darf man sich darunter vorstellen? MJ
Am Anfang einer Stückentwicklung steht immer eine Erforschung des sozialen Feldes, dem wir begegnen. Unsere Recherche an der Bayerischen Staatsoper war besonders ausführlich: Seit anderthalb Jahren sind wir immer wieder am Haus. Außer mit Opernfans haben wir Gespräche mit Statisten, einer Souffleurin und all den wichtigen oder im Verborgenen bleibenden Personen geführt: Sie haben mit uns über ihre Faszination und ihre Probleme mit der Inszenierung und den Opernkosmos im Allgemeinen gesprochen. Aus unseren Beobachtungen
VL
100 Jahre Bayerische Staatsoper
„Drängend ist für uns die Frage: Wo findet in unserer Gesellschaft heute Gefühlsbildung statt? Nur noch in den Sozialen Medien und immer auf Eskalationskurs?“ – Verena Lobert
und Sammlungen haben wir eine Dramaturgie für einen Theaterabend entwickelt und unter Verwendung vieler O-Töne aus den Interviews schließlich eine Textfassung geschrieben. Die Frl. Wunder AG versteht sich als feministisches Kollektiv, das sich laut Selbstbeschreibung „um drängende gesellschaftspolitische Fragen der Jetztzeit“ bemüht. Welche Rolle können eine Oper der Aufklärung und eine 40 Jahre alte Inszenierung mit Blick auf die Herausforderungen der Gegenwart spielen?
MJ
MARLEEN WOLTER Mozarts Zauberflöte stammt aus dem 18. Jahrhundert und kann Spiegel einer Zeit sein, die als Aufklärung mit einem guten Anspruch gestartet ist. Doch diese Aufklärung ist historisch oft in fatalem Größenwahn und Heuchelei Richtung Kolonialismus abgedriftet. Das gilt insbesondere für die Frage, was wir in Europa als gemeingültig, ja weltumfassend gültig verstehen. Insofern kann auch die Oper uns ermahnen, niemals die eigenen Ideen für universell richtig zu halten. Dass mit der Zauberflöte immer noch gerne Geschichten über eine Weltordnung mit klarer Einteilung etwa in Gut und Böse erzählt werden, ist unserer Ansicht nach unzeitgemäß. Zwar greifen in Everdings Inszenierung zwei Welten – Sonne und Nacht, Vernunft und Empfindung – konstant ineinander;
trotzdem gibt es in der Zauberflöte keinen dritten Raum, kein Sowohl-als-auch und kein Dazwischen. Drängend jetztzeitig ist für uns die Frage: Wo findet in unserer Gesellschaft heute Gefühlsbildung statt? Nur noch in den Sozialen Medien und immer auf Eskalationskurs? Deshalb ist es interessant für uns, die Oper als gefühlsbildenden Raum zu beobachten: Gibt es hier andere, auch heutige Konzepte zur Gefühlsbildung, oder sind die Konzepte so alt wie die Werke, die aufgeführt werden?
VL
Wo konkret setzen Sie den Hebel an, um Everdings Inszenierung von 1978 für kritische Diskurse nutzbar zu machen und eine zeitgemäße Lesart der Zauberflöte zu entwickeln?
MJ
MH Es gibt in Everdings Inszenierung Szenen, die leicht als diskriminierende und rassistische Darstellungen verstanden werden könnten, die schon in den 1970er Jahren hinterfragt wurden. Dazu gehört der schwarz geschminkte Monostatos, dessen Maske kolonialrassistische Figurendarstellungen zitieren soll, diese aber dennoch einfach reproduziert. Das ist schmerzhaft. Außerdem befragen wir Sarastro als absolutistischen Herrscher, der von Mozart
40 Jahre Everding-Zauberflöte
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und Schikaneder zwar als fehlbar angelegt wurde, aber seine Macht nicht zu legitimieren braucht. Dann interessieren uns die Menschwerdungsprüfungen des künftigen Herrscherpaars Tamino und Pamina – wie anschlussfähig sind ihre Führungsqualitäten heute? Es sind ja oft gerade die kleinen Brüche und das Fragmentieren von Bestehendem, die das Potenzial zur Veränderungen in sich tragen. Die alte Inszenierung wird vor allem dann interessant, wenn man sie kritisch hinterfragt und Widersprüche aufzeigt. Sie planen GELIEBT, GEHASST UND TROTZDEM TREU als „Bürger*innenLecture-Oper“ in zwei Teilen. Was kann man sich unter dem einleitenden „installativen Stationen-Parcours zum Erfahrungsraum Oper“ in den Foyer-Räumlichkeiten vorstellen? MJ
gen mit Statist*innen, die beispielsweise seit 40 Jahren unsichtbar in den mechanischen Tieren der Zauberflöte sitzen. Auf spielerische Weise wird so das Publikum an Fundstücke, Menschen und Perspektiven herangeführt, die uns während der Recherche begegnet sind. Den zweiten Teil Ihrer Inszenierung bildet eine musikalisch-theatrale „LectureOper“ – was erwartet das Publikum auf der Probebühne?
MJ
MW Hier stellt Die Zauberflöte den Ausgangspunkt einer eigenständigen Stückentwicklung dar, indem wir als Novizinnen in das Feld der Oper eintreten und mit 16 gecasteten Opern-Expert*innen interagieren. Musikalische Bausteine der Zauberflöte werden von unserem Komponisten Richard Whilds benutzt, um für drei professionelle Sänger*innen und einige Musiker*innen Neukompositionen zu entwerfen.
Im Vordergrund der Textfassung steht das Material, das im Rechercheprozess entstanden ist, insofern lässt sich unser Projekt auch als Diskursoper über die Zauberflöte und Everdings Inszenierung beschreiben. Verhandelt wird die Zukunftsfähigkeit der Oper und die Frage, was heute noch rechtens ist in der Oper, der – egal ob geliebt oder gehasst – alle treu bleiben aufgrund der Sehnsucht nach großen Gefühlen. MH
In unserem partizipativen Gefühlsparcours – so nennen wir das mit einem Augenzwinkern – mit vielen Stationen stehen persönliche Perspektiven im Zentrum, denen das Publikum individuell folgen kann. So werden etwa Besucher in ungewohnte Rezeptionshaltungen gebracht, wenn zur Ouvertüre der Zauberflöte eine Anleitung zum Pogo-Tanzen gegeben wird. Es gibt aber auch informative Inputs zur Rezeptionserfahrung oder Begegnun-
MW
Foto Wilfried Hösl
Die Fragen stellte Anna Schürmer.
Die Frl. Wunder AG produziert seit 2006 als mittlerweile neunköpfiges Kollektiv (im Bild drei davon, von links: Marleen Wolter, Verena Lobert und Melanie Hinz) Bühnenformate, Performances und Interventionen im öffentlichen Raum, etwa eine szenische Wanderung von 12 Kilometern Länge durch Hannover (Wegefreiheit, 2016). Das zentrale Anliegen ihrer Projekte ist es, Gemeinschafts- und Erfahrungsräume zu schaffen, an denen die Zuschauerinnen und Zuschauer aktiv teilnehmen können. Nun sind sie erstmals für das Projekt GELIEBT, GEHASST UND TROTZDEM TREU in die Opernwelt eingetaucht. Die Kulturjournalistin Anna Schürmer arbeitet vor allem über aktuelle Kunst(-musik), u. a. für die Neue Zeitschrift für Musik und Deutschlandfunk. Sie betreut zudem die Onlineauftritte des Filmfests München und des Residenztheaters und hält Vorträge, aktuell zum Thema Technofeminismus.
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GELIEBT, GEHASST UND TROTZDEM TREU Gefühlsathletik zum 40-jährigen Jubiläum der August-EverdingInszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte Uraufführung am Dienstag, 30. Oktober 2018, Foyers und Große Probebühne Weitere Termine im Spielplan ab S. 95
Für alle Lieben in der Welt, 1966 Städtische Galerie Karlsruhe, © Estate of Jörg Immendorff Courtesy Galerie Michael Werner Märkisch Wilmersdorf, Köln, New York
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Jörg Immendorff
Für alle Lieben in der Welt 14.09.18 — 27.01.19 #jörgimmendorffHDK
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„Vielleicht hätt die verkaufte Braut besser solln / an Hochzeitslader engagiern“ Singt jedenfalls Sepp Tyroller, der seit knapp dreißig Jahren als Hochzeitslader in Bayern arbeitet. Ein Ausflug.
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Hochzeitslader sind früher auf dem Land von Tür zu Tür gegangen, haben die Leute buchstäblich eingeladen und so die Nachricht einer Vermählung erst publik gemacht. Heute sind sie Wedding Planner und Entertainer in einem. Herr Tyroller, wie wird man Hochzeitslader? SEPP TYROLLER Das war ein Kindheitstraum von mir. Als junger Kerl hat mich das Musizieren und das Auftreten fasziniert. Vor den Leuten zu stehen, zu reden, aus dem Stegreif heraus. Eigentlich habe ich mir das nie zugetraut, bis mich ein Spezl fragte, ob ich das nicht an seiner Hochzeit machen könnte, da war ich vielleicht 25. Das habe ich dann angepackt. MJ Was genau ist Ihr Job? ST Ich sorge dafür, dass der Tag so abläuft, wie sich das Brautpaar das wünscht. Ich kümmere mich um alles, vom Termin über die Einladungen bis zur Wirtschaft und zur Musik. Ich kann auch mit den Pfarrern umgehen, was zuweilen schwierig sein kann, wenn sie sehr konservativ sind. Das Wichtigste ist aber wohl, dass ich dem Paar die Aufregung nehme. Ich weiß, was ansteht und wie es weitergeht, habe die Situation unter Kontrolle. Wenn die Gäste beim Gruppenfoto dastehen wie Schafe, kommt von mir eine Ansage, und so wird es dann gemacht. Oder beim Brautwalzer: Da moderiere ich, damit das Brautpaar nicht so hoffnungslos allein auf der Tanzfläche herumirrt. Ich sorge dafür, dass sich alle wohlfühlen. MJ Der Hochzeitslader als seelische und moralische Unterstützung? ST Sozusagen. Als Hochzeitslader muss man dem Brautpaar an diesem Tag beistehen und man spürt direkt, wie gut das denen tut. Die werden ja schon
© BR 1983; in Lizenz der BRmedia Service GmbH
MAX JOSEPH
nervös, wenn man morgens zum Weißwurstfrühstück zehn Minuten zu spät kommt. MJ Die Tradition des Hochzeitsladers erlebt gerade eine Renaissance wie Tracht oder Mundartmusik. Was sind die Schwierigkeiten? ST In den dreißig Jahren, die ich das jetzt mache, hat sich das extrem gewandelt. Auch ein Hochzeitslader muss mit der Zeit gehen. Früher predigte man stundenlang vor sich hin, sagte ellenlange Litaneien auf, das kann man heute nicht mehr bringen. Zu kapieren, was die jungen Leute wollen, steht im Vordergrund. MJ Und was wollen sie? ST Führung und klare Ansagen. Dass jemand das Heft in die Hand nimmt. Gute Witze, aber nicht zu lang, also keine halbstündigen Kabaretteinlagen, wie das früher noch der Fall war. Die wollen schließlich auch noch feiern und tanzen. MJ Gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land? ST Nicht direkt. Auf dem Land sieht man mehr Tracht. Aber sonst? Vielleicht sind sie in der Stadt noch etwas anständig, ehrfürchtiger, nicht ganz so rüpelhaft wie auf dem Land, wo sich viele einfach nur wegsaufen. Was aber nicht bedeutet, dass es in der Stadt langweilig wäre. MJ Was hilft gegen Langeweile? ST Fad wird es eigentlich nie. Wenn die Leute zum Beispiel nicht tanzen wollen, fange ich einfach selber an, fordere eine Dame auf und schiebe sie zu einem Burschen. Der muss dann tanzen und ich schnappe mir die nächste. Da wechsle ich zehn Frauen durch und schon bewegt sich die Menge. Das wirkt. MJ Geht dabei auch manchmal etwas schief? ST Ja mei, das kommt vor. In irgendein Fettnäpfchen
Und dies ein Hochzeitslader, der Filmgeschichte schrieb: Franz Eder als Progoder aus Hochzeit nach Ludwig Thoma, Regie: Kurt Wilhelm (1983), Bayerischer Rundfunk
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tappt man halt manchmal rein. Beim Gstanzl-Singen passiert es natürlich, dass jemand das zu persönlich nimmt oder falsch versteht, dann ist er oder sie beleidigt. Da muss man dann schauen, dass man den Fehler aus der Welt schafft, und sich entschuldigen. Das haut aber meistens hin. Einfach reden. Reden ist sowieso das Beste. MJ Auf was kommt es an beim Gstanzl-Singen? ST Das Gstanzl muss sich in der zweiten und vierten Zeile reimen. Außerdem muss es witzig sein, tollpatschig, unterhaltsam. Das Schöne wird nur manchmal vergessen. Man muss nicht immer nur derblecken, sondern kann auch über etwas Ehrenvolles singen und loben. Und natürlich: dass es spontan ist. Ich setze mich nie irgendwohin und dichte mir was zusammen. Wenn ich das vorbereiten und nur vom Zettel runtersingen würde, wäre es langweilig. Ich glaube, das fasziniert auch die Leute daran. MJ Das heißt, Sie können jetzt, in diesem Moment, auch ein spontanes Gstanzl über die Verkaufte Braut singen? ST (singt) Dass ma des Brautpaar duat zammabringa, des kann ma scho probiern, da kann i scho schnell a Gstanzl singa, doch vielleicht hätt die verkaufte Braut besser solln an Hochzeitslader engagiern. MJ Woher wissen Sie, wie weit Sie gehen dürfen? Gehen die Gstanzln auch unter die Gürtellinie? ST Natürlich! Man muss die Sache einfach beim Namen nennen, es richtig rüberbringen und die Leute mitnehmen. Wenn die dabei sind, kann man eigentlich alles sagen. Dann wird auch gelacht. Man sollte nicht zu vorsichtig sein, sondern einfach genau beobachten. Das ist ein Drahtseilakt, man bekommt aber ein Gefühl
dafür. Ich werde allerdings nie schweinisch, benutze keine Schimpfworte und fluche nicht. MJ Sie haben Hunderte von Hochzeiten besucht. Gibt es da noch Momente, die Sie rühren? ST Aber natürlich. Wenn eine Sängerin in der Kirch singt, drückt es mir die Tränen in die Augen. Wenn ein Brautpaar schön Walzer tanzt, ergreift mich das. Dann schaue ich mir auch gerne die Brautkleider an und mache Komplimente. Und wenn einer Braut ihr Kleid nicht steht, sage ich es einfach nicht. Wenn der Pfarrer gut drauf ist, gut redet und die richtigen Worte findet. MJ Sind Sie eigentlich selbst verheiratet? ST Nicht mehr. MJ Glauben Sie trotzdem noch an die Liebe? ST Ja. Jedes Mal, wenn ich ein neues Brautpaar sehe. MJ Welchen Rat geben Sie dem mit auf den Weg? ST Schnell Kinder machen. Dann wächst man schon irgendwie zusammen. Wenn man sich nichts erarbeitet außer Geld, fehlt was. Wenn man sich was erschafft, hat das Bestand. MJ Wie beenden Sie so einen Tag eigentlich? ST Ich lasse ihn meistens noch einmal Revue passieren, hole die Gäste auf die Tanzfläche, die bilden dann einen Kreis und in der Mitte tanzt das Brautpaar. Die Musik spielt eine schöne Romanze, bei der man gut schmusen kann. Das mögen die Leute. Wenn ich dann die jungen Burschen und Mädels sehe, die aneinanderhängen und auch zum Schmusen anfangen, merke ich, dass man was richtig gemacht hat. An den Schluss gehört Romantik. MJ Und wie fühlen Sie sich dann? ST Fetzenkaputt. Das Interview führte Sarah-Maria Deckert. Sarah-Maria Deckert ist Journalistin in München und leitet seit drei Jahren das Ressort für Kultur und Gesellschaft bei myself.
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Sie geben den Ton an. Mit Takt und viel Fingerspitzengefühl bringt unser interdisziplinäres Ensemble für Sie Kompositionen aus Rechtsberatung, Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Family Office auf die Bühne. Schnelle Tempi und schwierige Passagen werden ebenso souverän gemeistert wie anspruchsvolle Soli.
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Schackstraße 2, 80539 München Tel.: +49 89 38172- 0 psp@psp.eu, www.psp.eu
Als Mitglied des Classic Circle unterstützt PSP seit 2005 die Bayerische Staatsoper.
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Spielplan 22.10.2018 – 09.02.2019
Karten Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München T 089 – 21 85 19 20 tickets@staatsoper.de www.staatsoper.de Sofern nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.
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Leoš Janáček JENŮFA
Oper Leoš Janáček AUS EINEM TOTENHAUS Musikalische Leitung Simone Young Inszenierung Frank Castorf Peter Rose, Evgeniya Sotnikova, Aleš Briscein, Charles Workman, Bo Skovhus, Manuel Günther, Tim Kuypers, Christian Rieger, Ulrich Reß, Milan Siljanov, Galeano Salas, Boris Prýgl, Alexander Milev, Peter Lobert, Niamh O’Sullivan, Callum Thorpe, Matthew Grills, Kevin Conners, Dean Power, Long Long Fr 19.10.18 19.30 Uhr So 21.10.18 18.00 Uhr Fr 26.10.18 20.00 Uhr
Karin und Prof. Dr. h.c. Roland Berger g Avantgarde Partner der Bayerischen Staatsoper g Giuseppe Verdi RIGOLETTO Musikalische Leitung Daniele Callegari Inszenierung Árpád Schilling Piero Pretti, Simon Keenlyside, Sofia Fomina, Rafał Siwek, Alisa Kolosova, Tim Kuypers, Manuel Günther, Sean Michael Plumb, Natalia Kutateladze, Oleg Davydov, Mirjam Mesak Do 25.10.18 19.00 Uhr Mo 29.10.18 19.00 Uhr Fr 02.11.18 19.00 Uhr
Musikalische Leitung Simone Young Inszenierung Barbara Frey Hanna Schwarz, Pavel Černoch, Joseph Kaiser, Karita Mattila, Sally Matthews, Christian Rieger, Kristof Klorek, Heike Grötzinger, Laura Tatulescu, Natalia Kutateladze, Anaïs Mejías, Mirjam Mesak Mi 21.11.18 19.00 Uhr Sa 24.11.18 17.00 Uhr Di 27.11.18 19.00 Uhr
Giuseppe Verdi OTELLO Musikalische Leitung Kirill Petrenko / Asher Fisch (06.12.) Inszenierung Amélie Niermeyer Jonas Kaufmann, Gerald Finley, Evan Leroy Johnson, Galeano Salas, Bálint Szabó, Milan Siljanov, Markus Suihkonen, Anja Harteros, Rachael Wilson Fr 23.11.18 19.00 Uhr Mi 28.11.18 19.00 Uhr So 02.12.18 19.00 Uhr Do Mo Sa Fr
06.12.18 10.12.18 15.12.18 21.12.18
19.00 19.00 19.00 19.00
Premiere Auch im Live-Stream auf www.staatsoper.tv
Uhr Uhr Uhr Uhr
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Peter I. Tschaikowsky EUGEN ONEGIN Musikalische Leitung Joana Mallwitz Inszenierung Krzysztof Warlikowski
Wolfgang Amadeus Mozart COSÌ FAN TUTTE
Helena Zubanovich, Nicole Car, Alyona Abramowa, Larissa Diadkova, Boris Pinkhasovich, Pavel Černoch, Ain Anger, Oleg Davydov, Ulrich Reß
Musikalische Leitung Ivor Bolton Inszenierung Dieter Dorn
So Mi So Do
04.11.18 07.11.18 11.11.18 15.11.18
18.00 19.00 19.00 19.00
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Federica Lombardi, Angela Brower, Sean Michael Plumb, Paolo Fanale, Tara Erraught, Paolo Bordogna Do 29.11.18 19.00 Uhr Sa 01.12.18 18.00 Uhr Mo 03.12.18 18.00 Uhr Studentenvorstellung
Giuseppe Verdi LES VÊPRES SICILIENNES Musikalische Leitung Paolo Carignani Inszenierung Antú Romero Nunes Rachel Willis-Sørensen, Helena Zubanovich, Bryan Hymel, Dimitri Platanias, Erwin Schrott, Manuel Günther, Caspar Singh, Callum Thorpe, Long Long, Alexander Milev, Boris Prýgl Sa Di So Di
10.11.18 13.11.18 18.11.18 20.11.18
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19.00 19.00 19.00 19.00
Uhr Uhr Uhr Uhr
Engelbert Humperdinck HÄNSEL UND GRETEL Musikalische Leitung Eun Sun Kim Inszenierung Richard Jones Milan Siljanov/Sebastian Holecek, Helena Zubanovich, Rachael Wilson/Tara Erraught, Elsa Benoit/Louise Alder, John Daszak/Kevin Conners, Anaïs Mejías, Anna El-Khashem Di Di Sa So So
04.12.18 04.12.18 08.12.18 09.12.18 16.12.18
11.00 18.00 19.00 11.00 18.00
Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr
Wolfgang Amadeus Mozart DIE ZAUBERFLÖTE
Richard Strauss ARABELLA
Musikalische Leitung Alexander Soddy Inszenierung August Everding
Musikalische Leitung Constantin Trinks Inszenierung Andreas Dresen
Tobias Kehrer, Benjamin Bruns, Milan Siljanov, Nina Minasyan, Golda Schultz, Selene Zanetti, Rachael Wilson, Okka von der Damerau, Sean Michael Plumb, Mirjam Mesak, Kevin Conners, Scott MacAllister, Peter Lobert, Wolfgang Grabow, Bernd Schmidt, Markus Baumeister, Walter von Hauff, Johannes Klama, Solisten des Tölzer Knabenchors
Kurt Rydl, Doris Soffel, Anja Harteros, Hanna-Elisabeth Müller, Michael Volle, Daniel Behle, Dean Power, Sean Michael Plumb, Callum Thorpe, Sofia Fomina, Heike Grötzinger, Niklas Mallmann, Bastian Beyer, Vedran Lovric
Do So Do So Di
20.12.18 23.12.18 27.12.18 30.12.18 01.01.19
19.00 17.00 18.00 16.00 17.00
Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr
Mo Fr Di Fr
Oliver Zwarg, Helena Zubanovich, Kristof Klorek, Irmgard Vilsmaier, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Pavol Breslik, Günther Groissböck, Ulrich Reß, Anna El-Khashem, Oğulcan Yılmaz 18.00 18.00 18.00 18.00 18.00 18.00
Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr
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Mit freundlicher Unterstützung
Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V.
Musikalische Leitung Tomáš Hanus Inszenierung David Bösch
22.12.18 25.12.18 29.12.18 31.12.18 03.01.19 06.01.19
19.00 19.00 19.00 19.00
Konzertantes Gastspiel Théâtre des Champs-Elysées, Paris Fr 11.01.19 19.30 Uhr
Bedřich Smetana DIE VERKAUFTE BRAUT
Sa Di Sa Mo Do So
14.01.19 18.01.19 22.01.19 25.01.19
Ludwig van Beethoven FIDELIO Musikalische Leitung Kirill Petrenko Inszenierung Calixto Bieito
Premiere Tareq Nazmi, Wolfgang Koch, Jonas Kaufmann, Anja Kampe, Günther Groissböck, Hanna-Elisabeth Müller, Dean Power, Caspar Singh, Oleg Davydov Auch im Live-Stream auf www.staatsoper.tv
Mit freundlicher Unterstützung
Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V.
Do So Mi Sa
24.01.19 27.01.19 30.01.19 02.02.19
19.00 18.00 19.00 18.00
Uhr Uhr Uhr Uhr
Gaetano Donizetti L‘ÉLISIR D‘AMORE
Vincenzo Bellini NORMA
Musikalische Leitung Daniele Callegari Inszenierung David Bösch
Musikalische Leitung Daniele Callegari Inszenierung Jürgen Rose
Elsa Benoit, Pavol Breslik, Levente Molnár, Alex Esposito, Selene Zanetti
Joseph Calleja, Freddie De Tommaso, Mika Kares, Carmen Giannattasio, Angela Brower, Selene Zanetti
So 03.02.19 19.00 Uhr Mi 06.02.19 19.00 Uhr Fr 08.02.19 19.00 Uhr
Sa 05.01.19 19.00 Uhr Mi 09.01.19 19.00 Uhr Sa 12.01.19 19.30 Uhr
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Giuseppe Verdi NABUCCO
John Neumeier DER NUSSKNACKER
Musikalische Leitung Andrea Battistoni Inszenierung Yannis Kokkos
Musik Peter I. Tschaikowsky Musikalische Leitung Robertas Šervenikas
Dalibor Jenis, Piero Pretti, Roberto Tagliavini, Anna Pirozzi, Agnieszka Rehlis, Bálint Szabó, Galeano Salas, Selene Zanetti
So Fr Di Mi Mi Fr Mi Fr
Sa Di Fr Di
09.02.19 12.02.19 15.02.19 19.02.19
19.00 19.00 19.00 19.00
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Partner des Bayerischen Staatsballetts
George Balanchine JEWELS
10.01.19 11.01.19 13.01.19 26.01.19
19.30 19.30 19.30 19.30
Uhr Uhr Uhr Uhr
Marius Petipa RAYMONDA
Musik Gabriel Fauré / Igor Strawinsky / Peter I. Tschaikowsky Musikalische Leitung Robert Reimer 19.30 19.30 18.00 19.30
Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr
Choreographie Frédéric Chopin Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Do Fr So Sa
27.10.18 28.10.18 01.11.18 03.11.18
19.30 19.30 19.30 15.00 19.30 19.30 19.30 19.30
John Neumeier DIE KAMELIENDAME
Ballett
Sa So Do Sa
09.12.18 14.12.18 18.12.18 26.12.18 26.12.18 28.12.18 02.01.19 04.01.19
Uhr Uhr Uhr Uhr
Premiere
Musik Alexander Glasunow Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Sa 19.01.19 19.30 Uhr So 20.01.19 18.00 Uhr
Wayne McGregor PORTRAIT WAYNE MCGREGOR
supported by
Musik Joel Cadbury, Max Richter, Kaija Saariaho, Paul Stoney Musikalische Leitung Koen Kessels Christian Spuck ANNA KARENINA
Fr 01.02.19 19.30 Uhr Mo 04.02.19 19.30 Uhr
Musik Sergej Rachmaninow, Witold Lutoslawski u.a. Musikalische Leitung Robertas Šervenikas
MATINEE DER HEINZ-BOSL-STIFTUNG
Di 06.11.18 19.30 Uhr
Christopher Wheeldon ALICE IM WUNDERLAND Musik Joby Talbot Musikalische Leitung Tom Seligman Sa Do So So Fr
17.11.18 22.11.18 25.11.18 25.11.18 30.11.18
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19.30 19.30 14.00 19.30 19.30
Uhr Uhr Uhr Uhr Uhr
So 11.11.18 11.00 Uhr So 02.12.18 11.00 Uhr
Konzert
3. THEMENKONZERT Vortrag Dr. Carolin Behrmann Musik Joseph Haydn / Ernst Krenek / Ernst v. Dohnányi
2. KAMMERKONZERT: ÜBER LIEBE UND HEIMATLIEBE Mo 28.01.19 19.00 Uhr Alte Pinakothek Béla Bartók / Antonín Dvořak So 25.11.18 11.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche
4. THEMENKONZERT
WEIHNACHTEN MIT OPERABRASS „NUN KOMM DER HEIDEN HEILAND“
Vortrag Dr. Pauline Joanna Starski Musik Alfred Schnittke / Ernst Krenek / Arnold Schönberg
Sa 15.12.18 20.00 Uhr St. Michael
Di 29.01.19 19.00 Uhr Justizpalast, Prielmayerstr. 7
3. AKADEMIEKONZERT
5. THEMENKONZERT
Richard Wagner / Edward Elgar
Vortrag Prof. Dr. Wolfgang Schön Musik Ernst Krenek u. v. a.
Musikalische Leitung Vasily Petrenko Mezzosopran Elisabeth Kulman Mo 07.01.19 20.00 Uhr Di 08.01.19 20.00 Uhr
Fr 01.02.19 19.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche
Lied
1. KAMMERKONZERT DER ORCHESTERAKADEMIE ARIENABEND DES OPERNSTUDIOS So 13.01.19 19.30 Uhr Wernicke-Saal Hauptsponsor der Orchesterakademie
Anna El-Khashem, Mirjam Mesak, Anaïs Mejías, Natalia Kutateladze, Noa Beinart, Oğulcan Yılmaz, Oleg Davydov, Markus Suihkonen, Boris Prýgl, Long Long, Freddie De Tommaso, Caspar Singh Sa 17.11.18 19.30 Uhr Cuvilliés-Theater
3. KAMMERKONZERT: STREICHQUINTETTE Johannes Brahms / Antonín Dvořak
PORTRÄTKONZERTE DES OPERNSTUDIOS
So 20.01.19 11.00 Uhr Allerheiligen Hofkirche
ANAÏS MEJÍAS / FREDDIE DE TOMMASO Fr 02.11.18 19.30 Uhr Künstlerhaus
THEMENKONZERTE 2019 Konzerte und Vorträge in Kooperation mit der Max-Planck-Gesellschaft
MIRJAM MESAK / CASPAR SINGH Fr 14.12.18 19.30 Uhr Künstlerhaus ANNA EL-KHASHEM / BORIS PRÝGL Fr 08.02.19 19.30 Uhr Künstlerhaus
1. THEMENKONZERT
ENSEMBLE-LIEDERABENDE
Vortrag Prof. Dr. Herwig Baier Musik Ernst Krenek / Isang Yun u. a.
MILAN SILJANOV Mi 05.12.18 19.30 Uhr Wernicke-Saal
Do 24.01.19 19.00 Uhr Max-Planck-Haus am Hofgarten ELSA BENOIT 2. THEMENKONZERT
Di 15.01.19 19.30 Uhr Wernicke-Saal
Vortrag Dr. Fabian Winter Musik Ernst Krenek / Bohuslav Martinů Sa 26.01.19 19.00 Uhr NS-Dokumentationszentrum, Max-Mannheimer-Platz 1
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Campus
Extra
SITZKISSENKONZERTE
PREMIERENMATINEEN
OSKAR UND DER SEHR HUNGRIGE DRACHE
OTELLO So 18.11.18 11.00 Uhr
Sa 20.10.18 14.30 Uhr Parkett, Garderobe Sa 27.10.18 14.30 Uhr Parkett, Garderobe
DIE VERKAUFTE BRAUT So 16.12.18 11.00 Uhr
FRANZISKA UND DIE WÖLFE Sa 17.11.18 14.30 Uhr Parkett, Garderobe Sa 24.11.18 14.30 Uhr Parkett, Garderobe
KARL V. So 03.02.19 11.00 Uhr
OH, DU LIEBER AUGUSTIN
MONTAGSRUNDEN
Sa 12.01.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe Sa 19.01.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe
OTELLO Mo 17.12.18 20.00 Uhr Capriccio-Saal
BASSETTL-SPASSETTL
DIE VERKAUFTE BRAUT Mo 07.01.19 20.00 Uhr Wernicke-Saal
Sa 02.02.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe Sa 09.02.19 14.30 Uhr Parkett, Garderobe BALLETT EXTRA Mit freundlicher Unterstützung des Inner Circle der Bayerischen Staatsoper
SPIELOPER / SPIELBALLETT
PROBEN ZUR WIEDERAUFNAHME „DER NUSSKNACKER“ Do 06.12.18 20.00 Uhr Ballett-Probenhaus Platzl 7 PROBEN ZUR WIEDERAUFNAHME „DIE KAMELIENDAME“ Mo 07.01.19 20.00 Uhr Ballett-Probenhaus Platzl 7
MIT ALICE INS WUNDERLAND So 04.11.18 14.00 Uhr Gr. Ballettsaal, Nationaltheater So 18.11.18 14.00 Uhr Gr. Ballettsaal, Nationaltheater
Jubiläum
HÄNSEL UND GRETEL GELIEBT, GEHASST UND TROTZDEM TREU Sa 01.12.18 10.00 Uhr Große Probebühne So 02.12.18 11.00 Uhr Große Probebühne Sa 08.12.18 10.00 Uhr Große Probebühne DER NUSSKNACKER So 02.12.18 14.00 Uhr Ballett-Probenhaus Platzl 7 So 16.12.18 14.00 Uhr Gr. Ballettsaal, Nationaltheater DIE ZAUBERFLÖTE So 09.12.18 11.00 Uhr Große Probebühne Sa 15.12.18 10.00 Uhr Wernicke-Saal So 16.12.18 11.00 Uhr Große Probebühne L‘ÉLISIR D‘AMORE Sa 26.01.19 10.00 Uhr Große Probebühne
ADVENTSKONZERT ATTACCA Musikalische Leitung Allan Bergius Violine Selma Spahiu Sa 15.12.18 11.00 Uhr Prinzregententheater
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Di 30.10.18 20.30 Uhr Foyers und Premiere Mo 05.11.18 20.30 Uhr Foyers und Do 08.11.18 20.30 Uhr Foyers und Fr 09.11.18 20.30 Uhr Foyers und Mo 12.11.18 20.30 Uhr Foyers und
Große Probebühne Große Große Große Große
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Probebühne Probebühne Probebühne Probebühne
BAYERISCHE STAATSOPER 2018 2019 TV Kirill Petrenko Foto Wilfried Hösl
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So, 2. Dezember 2018 Giuseppe Verdi OTELLO Kirill Petrenko / Amélie Niermeyer
Do, 11. April 2019 George Balanchine JEWELS (Bayerisches Staatsballett)
So, 6. Januar 2019 Bedřich Smetana DIE VERKAUFTE BRAUT Tomáš Hanus / David Bösch
Sa, 1. Juni 2019 Christoph Willibald Gluck ALCESTE Antonello Manacorda / Sidi Larbi Cherkaoui
Sa, 23. Februar 2019 Ernst Krenek KARL V. Erik Nielsen / Carlus Padrissa ‒ La Fura dels Baus Sa, 30. März 2019 Giacomo Puccini LA FANCIULLA DEL WEST James Gaffigan / Andreas Dresen
Sa, 6. Juli 2019 Richard Strauss SALOME Kirill Petrenko / Krzysztof Warlikowski
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Totgesagte leben länger
Illustration Kati Szilágyi
Alles, was recht ist? Wenn sich das so einfach sagen ließe. In dieser Spielzeit steht Max Joseph allerdings der Juraprofessor Andreas Spickhoff bei und zeigt auf einen Blick, was Sache ist; abschließend, natürlich.
Durch fiese Eheverträge die Braut verkaufen? Das ist heute nicht mehr so einfach, wie Andreas Spickhoff in der ersten Folge unserer Rechtsserie erklärt.
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ALLE § WA§ RECHT I §T
Mehr über die Illustratorin auf S. 8
In Operngeschichten, sei es bei Die verkaufte Braut, Arabella oder Der Rosenkavalier, aber auch in archaisch anmutenden fremden Rechtsordnungen wird noch heute regelrecht um den Preis geschachert, wenn er um sie anhält. Oft geht es allerdings – wie bei der Morgengabe des Islam – nicht um einen Kaufpreis (wie man zunächst meinen möchte), sondern um die Absicherung der Frau oder ihrer Familie. Dahinter steht manchmal finanzielle Not, auch der Familie, oder der Wunsch nach einer „guten Partie“ (übrigens auch von Ehemännern in spe), nach wie vor aber geht es um Kinder, die in die „gesicherten Verhältnisse“ einer Ehe hineingeboren werden sollen. In das, was das Eherecht im typisierten Normalfall für angemessen erachtet, kann über Eheverträge eingegriffen werden. Skurril, aber doch nicht wirklich typisch dafür ist ein aus Bayern kolportierter Fall, in dem in einem Ehevertrag die Pflicht zum ehelichen Verkehr präzisiert worden ist: Drei Mal pro Woche sollte sie ihm zur Verfügung stehen. Der Fall fehlender Einsatzfähigkeit seinerseits blieb wohl vorsichtshalber ungeregelt. Viel häufiger sind Eheverträge, in denen der schnöde Mammon im Vordergrund steht: Die schwangere Partnerin wird unter Druck gesetzt, der Gütertrennung, einem Unterhaltsverzicht nach eventueller Scheidung und einem Verzicht auf anteilige Renten- oder Pensionsanwartschaften (Versorgungsausgleich) zuzustimmen. Ähnliches findet man bei Verlobten mit großen Vermögensunterschieden (Lehrbuchbeispiel: Chefarzt ehelicht Krankenschwester), aber auch, um nach einer späteren Scheidung die Zerschlagung von Unternehmen zu vermeiden. Denn jeder weiß trotz Eheoptimismus: Spätestens nach der ersten Scheidung merkt man(n) (oder Frau), wie teuer die oder der einst Teure wirklich war. Einen solchen späten „Kaufpreis“ sucht man zumindest für den Wiederholungsfall zu meiden. Wie weit ist das möglich? Unsere Gerichte akzeptieren die Vertragsfreiheit zwar auch für Eheverträge, aber nur grundsätzlich. Und wenn Juristen von „grundsätzlich“ sprechen, ist es wie mit Schweizer Käse: Die Löcher sind oft größer als der Käse selbst. Das leuchtet ein, wenn es um den Schutz des „schwächeren“ Ehegatten geht. Aber steht immer fest, wer in einer Ehe wirklich schwächer ist (wer „die Hosen anhat“)? Kann es nicht auch berechtigte Interessen an klaren und bestandskräftigen ehevertraglichen Regelungen geben? Zu denken gibt: Deutschland zählt im internationalen Vergleich zu den Spitzenreitern der Durchlöcherung der Ehevertrags-Freiheit. Die Rechtsprechung hat Spielräume reichlich genutzt, um auch im Nachhinein immer neue Grenzen des Zulässigen zu errichten.
Folge 1: Eheverträge
So haben schon manche Geschiedene, die an ihren notariell beurkundeten Ehevertrag glaubten, später ihr blaues Wunder erlebt. Um mit unserem Ehevertrag aus Bayern zu beginnen: Aus Gründen des Selbstbestimmungsrechtes (das gibt niemand im Standesamt ab!), von der Ungleichbehandlung der Geschlechter einmal abgesehen, ist die dort vorgesehene einseitige Verpflichtung zum ehelichen Verkehr wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Ohnedies sind solche ehelichen Pflichten kraft Gesetzes jedenfalls nicht mit staatlicher Hilfe durchsetzbar. Anders sieht es beim Mammon aus. Sobald Väterchen Staat durch einen Ehevertrag in Mitleidenschaft über die Sozialsysteme gezogen wird, besteht höchste Gefahr der Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit eines Vertrages zum Nachteil Dritter: Geschiedene sollen keinesfalls qua Ehevertrag dem Fiskus überantwortet werden können. Das gilt ebenso, wenn der Ehegatten-Unterhalt wegen Kindererziehung zu kurz kommt. Denn der Erziehende könnte in der Not (die bekanntlich erfinderisch macht) auf den Kindesunterhalt zugreifen, so die Sorge. Spätere Änderungen der Lebensumstände, namentlich die beiden großen „Ks“ (Kinder und Krankheit), entziehen einem Ehevertrag oft die „Geschäftsgrundlage“ – und dann passt der Richter ihn eben in Richtung des Gesetzes an, auch wenn das gerade abgeändert werden sollte. Nicht nur Kinder, sondern auch Geschiedene kommen dann doch zu ihren Ansprüchen. Aus dem reichen Arsenal juristischer Giftpfeile gegen Eheverträge wird schließlich der Einwand unzulässigen Rechtsmissbrauchs aktiviert, wenn die Ehe (wie recht oft) für einen Gatten Fortkommens- oder Versorgungsnachteile mit sich brachte. Auch dann gilt nicht selten für die Rechte, die per Ehevertrag „getötet“ werden sollten: Totgesagte leben länger! Was folgt daraus: Am deutschen Ehevertragswesen gemessen muss zugunsten der (oder des) Zukünftigen schon ein mehr als respektabler „Preis“ (zum Beispiel Abfindung genannt) im Ehevertrag ausgehandelt worden sein, um vor einem deutschen Richter Gnade zu finden. Eheverträge stehen also auf tönernen Füßen – aufgrund der oft schlecht vorhersehbaren Billigkeitsrechtsprechung übrigens nicht einfach wegen eines Fehlers des Notars oder des Anwalts, der den Vertrag entwarf. Auch darum gilt: Der Vorschuss freut den Rechtsanwalt, das Endergebnis lässt ihn kalt, und ebenso: Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht noch was Bessres findet … Andreas Spickhoff ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Medizinrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
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Tizian, Karl V., 1548, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Alte Pinakothek, München © Blauel Gnamm - ARTOTHEK
Vorschau
ALLES WAS RECHT IST № 2: Verfassung
Anja Kampe und Andreas Dresen Premiere La fanciulla del West
Meine Idee ist gescheitert Premiere Karl V.
Vom Umgang mit dem Körper Bayerisches Staatsballett
Max Joseph № 2 der Spielzeit 2018 / 19 erscheint am 24. Januar 2019.
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