MAX JOSEPH No. 2 (2017/2018) by Bayerische Staatsoper

A M Joseph X

Das Magazin der Bayerischen Staatsoper Zeig mir deine Wunde № 2: Offenbaren

D: 6,00 Euro A: 6,20 Euro CH: 8,00 CHF 30

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A M Joseph X M Joseph X Das Magazin der Bayerischen Staatsoper Spielzeit 2017/ 18 2017 / 18 FATTO A MANO CABERNET

Im September 2017 erreichte uns die Nachricht, dass der ungarische Regisseur Árpád Schilling, dem Publikum der Bayerischen Staatsoper durch mehrere Inszenierungen vertraut, als Bedrohung für die nationale Sicherheit in Ungarn bezeichnet wurde. Die Nachricht fällt in eine Zeit, in der Populisten und Nationalisten in vielen Demokratien an Macht gewinnen. Für antidemokratische Kräfte bedeutet Kunst immer auch eine Gefahr, weshalb sie diese mit als erstes bekämpfen. Umgekehrt heißt dies aber, dass Angriffe auf Künstler seismografisch auf größere Verschiebungen vorausweisen. Aus diesem Grund enthält diese Ausgabe von Max Joseph auf den Seiten 1 bis 19 einen Schwerpunkt über die Wunde, die Europa MAXIMILIAN J. RIEDEL gerade geschlagen wird. 11. GENERATION

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FACTORY TOUR • SHOP WEISSACHSTRASSE 28, 6330 KUFSTEIN, RIEDEL.COM Zeig mir deine Wunde MO–FR: 9:00–18:00 UHR; SA: 9:00–17:00 UHR № 2: Offenbaren 1 210x280_Riedel_MJR_FAM.indd 1

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Stellungnahme von Árpád Schilling anlässlich der Tatsache, als Bedrohung für die nationale Sicherheit in Ungarn bezeichnet worden zu sein 2008 entschied ich mich, mein Theater Krétakör aufzulösen und in eine Stiftung umzuwandeln, da ich mir gewünscht hatte, dass Krétakör eine Organisation bleiben kann, die mithilfe von künstlerischen Mitteln soziale und politische Standpunkte vertritt und Antworten auf Fragen sucht. Ich habe diese Entscheidung getroffen, weil ich in Ungarn immer tiefer werdende soziale Gräben wahrgenommen habe zwischen der Minderheit, die die politische Macht, die wirtschaftliche Verfügungsgewalt und Informationen innehat, und der Mehrheit, der all diese Ressourcen entzogen sind. Am 15. März 2011, dem Nationalfeiertag zum Andenken an die Revolution und den Freiheitskampf der Ungarn gegen die Habsburger 1848/49, hielt Viktor Orbán auf den Stufen des Nationalmuseums in Budapest eine Rede, in der er verlautbarte, dass Ungarn nie wieder eine Kolonie werden würde, dass Brüssel das neue Moskau sei, wobei wir Ungarn uns aber nicht unterkriegen lassen würden. Am gleichen Tag, einige Straßen entfernt, in der Szabad sajtó útján, der „Straße der Pressefreiheit“, hielt auch ich eine Rede, vor 30.000 Menschen, in der ich über die Anerkennung der Rechte von Minderheiten und die Folgen des Missbrauchs der Macht sprach. Ich bat die Regierung um Toleranz und Mitwirkung. In den Jahren zwischen 2008 und 2016 setzte die Stiftung Krétakör mehrere bedeutende Projekte wie dramenpädagogische Kurse, Forumtheater-Veranstaltungen, Fachkonferenzen und Camps um, arbeitete auch in den Bereichen Rechtsschutz und Organisationsentwicklung sowie als eine Art Think-Tank, organisierte Demonstrationen, Guerilla- und Online-Kampagnen, stand für die Rechte von Obdachlosen, Flüchtlingen, Einwanderern, Homosexuellen, Studenten, Frauen, Roma, Zivilorganisationen ein. 2014 kürzte die Kommission für Theaterkunst ohne Begründung die staatliche Förderung, die Krétakör im Rahmen einer Ausschreibung zuerkannt worden war. Krétakör lehnte daraufhin öffentlich ab, sich an Ausschreibungen mit unübersichtlichen Entscheidungsmechanismen zu beteiligen. Seitdem nehmen wir keine staatlichen Förderungen an und nehmen an Ausschreibungen nicht teil.

https://www.youtube.com/ watch?v=YfAgKXkxmMY

https://www.youtube.com/ watch?v=75voKS_k0V4

Nach einer von Krétakör organisierten Demonstration dagegen, dass das populärste unabhängige ungarische Internetportal in regierungsfreundliche Hände gelangen sollte, leitete 2015 das Finanzamt (NAV) außerordentliche Untersuchungen ein, die ganze zwei Jahre dauerten (2015–2016), wobei keine Ordnungswidrigkeiten entdeckt wurden. Krétakör und seine Mitarbeiter werden in letzter Zeit immer wieder angegriffen, durch Hassmails oder Pöbeleien. An der Klingel und dem Briefkasten unseres Büros wird regelmäßig der Davidstern angebracht. Die Stiftung Krétakör erhielt im März 2016 den ECF Princess Margriet Award for Culture der European Cultural Foundation. Zur Jury gehörte unter anderem Chris Dercon, und der Preis wurde persönlich von Prinzessin Margriet der Niederlande übergeben. Ich konnte der Veranstaltung nicht beiwohnen, da ich die Lehrerdemonstration vom 15. März 2016 organisierte, an der 30.000 Leute teilnahmen und deren Ziel war, die Umgestaltung des Bildungssystems in Ungarn zu verhindern.

https://www.youtube.com/ watch?v=hRWMQNJeSG8

Árpád Schilling ist einer der wichtigsten ungarischen Theatermacher. Seine Arbeit sorgt in Ungarn und international seit den 1990er Jahren für Aufsehen und wurde vielfach ausgezeichnet. An der Bayerischen Staatsoper war er bereits mehrmals zu Gast, zuletzt inszenierte er im Jahr 2014 Die Sache Makropulos. Mehr über Árpád Schilling auf Seite 19.

Bis zum Januar 2017 war ich Aktivist bei der Bewegung „Ich würde unterrichten“ (Tanítanék Mozgalom). Am 4. April 2017 veröffentlichte ich ein Video gegen eine der sogenannten – angsteinflößenden und manipulativen – „Nationalen Befragungen“, die die Regierung gelegentlich durchführt, indem sie Fragebögen per Post an jeden Bürger verschickt. Mein Video wurde 1,5 Millionen Mal aufgerufen. Im gleichen Jahr, hielt ich Reden beim Pride-Festival in Budapest und kritisierte die gewaltsame Einwanderungspolitik der Regierung an der ungarischserbischen Grenze. Am 12. September 2017 tagte der Nationale Sicherheitsrat des Parlaments unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nach dem Treffen trat sein Vizepräsident Szilárd Németh von der Regierungspartei Fidesz vor die Kameras mehrerer ungarischer Medien und sagte, dass ich sowie die Aktivisten Márton Gulyás und Gábor Vágó eine „ernsthafte Bedrohung für die ungarische Demokratie, eine Bedrohung für die nationale Sicherheit“ sein könnten. Als Folge der Äußerung beschuldigten mich die regierungsnahen Medien, Studenten zur Gewalt aufzufordern. Was genau in der Sitzung besprochen wurde, weiß ich nicht, da alles Material hierzu bis 2026 unter Verschluss ist. Ich kann jetzt nicht genau wissen, was auf mich wartet. Ob ich damit rechnen muss, beobachtet, abgehört oder seitens der Aktivisten der Regierungspartei angegriffen zu werden? Meine Lage ist instabil, ich habe aber keinen Grund, Angst zu haben, denn mein Gewissen ist rein.

Árpád Schilling Budapest, 8. Januar 2018

William Kentridge, Zeno at 4AM (caged man), 2001

Die Verwundbarkeit der Demokratie Wir beobachten derzeit, dass in vielen Demokratien Populisten und Nationalisten an die Macht gekommen sind. Einmal an der Regierung, gefĂ¤hrden oder beschĂ¤digen sie die Demokratie. Gerade wer im kulturellen Bereich arbeitet, muss sensibel aufhorchen und diese Entwicklung aufmerksam verfolgen. Daher stellt auch Max Joseph die Frage: Warum ist die Demokratie so leicht verwundbar? Und wichtiger noch: Was ist dagegen zu tun? Ein Essay von Felix Heidenreich 5

Brennt es denn? Warum erweisen sich selbst die ältesten und stabilsten Demokratien der Welt derzeit als so verwundbar? Warum werden derzeit Populisten und Nationalisten scheinbar wie in einem Handstreich Inhaber oder Teilhaber der Macht in westlichen Demokratien? Nach dem Brexit-Votum und der Wahl Donald Trumps, nach den Erfolgen von Populisten und Nationalisten in Frankreich, in Polen, Österreich, zuletzt in Tschechien, nicht zuletzt angesichts des Machtzuwachses von Autokraten weltweit drängt sich diese Frage mit voller Wucht auf. Doch hierzulande haben noch nicht alle gehört, was die Stunde geschlagen hat. Deutschland scheint – wie im Auge eines Wirbelsturmes – momentan noch eine Insel politischer Stabilität und Kontinuität zu sein. Die erste Sitzung des im September 2017 neu gewählten Bundestages sollte genau diesen Eindruck vermitteln: Wir werden mit der neuen Lage zurechtkommen und alles wird seinen Gang gehen. Gelassenheit angesichts der neuen Fraktion, der Alternative für Deutschland, war das erklärte Ziel. Wir werden auch das überstehen. Jamaika oder GroKo – alles kein Grund zur Sorge. Eine solche entdramatisierende Sicht auf die Dinge ist weit verbreitet und knüpft sich an ganz verschiedene Hoffnungen: Der Brexit werde gar keine tiefgreifenden Veränderungen bringen, und falls doch, dann lediglich für die Briten selbst. Donald Trump werde durch die Verfassung, die Gegengewichte und Berater gezähmt werden. Und hat Macrons Sieg nicht gezeigt, dass sich die Wählerinnen und Wähler auch besinnen können? Nach dem Aufstieg von Populisten und Nationalisten werde irgendwann eine Phase der erneuten Normalisierung einsetzen, in der sich Polen, Ungarn, Tschechien wieder dem westeuropäischen Modell einer explizit pluralistischen Demokratie annähern werden, die Differenzen und Pluralität nicht nur zähneknirschend hinnimmt, sondern als Zeichen der lebendigen Demokratie begrüßt. Auch in der Politikwissenschaft gibt es Argumente dieser Art, die meist auf Analogien zu bisherigen Krisen der Demokratie aufbauen. Politikverdrossenheit habe es schon immer gegeben; es stelle einen normalen Vorgang dar, wenn sich auch rechte Strömungen jenseits etablierter Parteien demokratisch artikulierten; das Bedürfnis nach einer Eindämmung der Einwanderung müsse gehört werden, schließlich habe die AfD zahlreiche Nichtwähler wieder an die Urnen gebracht und so zur Demokratie zurückgeführt. Aus dieser Perspektive erscheinen alarmierte Kulturschaffende wie ein aufgeregter Haufen, der lediglich durch die schmerzhafte Konfrontation mit der Realität in Hysterie versetzt wurde. Die für sie überraschende Realität laute: Einwanderung ist nicht für alle „bereichernd“, von der Globalisierung haben

eben nicht „wir alle“ profitiert und die Utopie der Grenzenlosigkeit ist für viele ein Schreckgespenst. Handelt es sich also nur um das Geschrei einer internationalen Kunst- und Kulturelite, der bourgeois bohemians, deren Filterblase gerade geplatzt ist? Keineswegs. Um zu verstehen, was auf dem Spiel steht, muss man sich klarmachen, dass wir es in den betroffenen Ländern nicht bloß mit einem Politikwechsel zu tun haben, sondern mit einer tiefgreifenden Veränderung und Gefährdung der demokratischen Kultur, die, wenn diese Entwicklung anhält, auch geeignet ist, die Staatsform Demokratie zu zerstören. Was ist eine demokratische Kultur und wie wird sie unterminiert? Mit demokratischer Kultur ist ein Set an Umgangsformen gemeint, die man im Französischen als civilité bezeichnet. Ihre Ursprünge gehen auf das Entstehen der bürgerlichen Lebensformen im 15. und 16. Jahrhundert zurück, als öffentliche Intellektuelle wie Erasmus von Rotterdam das Ideal eines international kommunikationsfähigen, mit Argumenten agierenden und auf Höflichkeit bedachten Menschen verbreiteten. Wahrhaftigkeit, eine gewisse Contenance und die Fähigkeit zur Selbstdistanz werden hier zum Eintrittsbillet in die entstehende bürgerliche Öffentlichkeit, die sich über literarische Salons und Kulturzeitschriften langsam zur public sphere entwickelt. Diese demokratische Kultur ist geprägt von gegenseitigem Respekt und einer nicht bloß formalen Orientierung am Recht. Am deutlichsten wird diese demokratische Haltung am Umgang mit den jeweiligen Gegnern. Die Begriffe sind hier bereits vielsagend: Demokraten haben Gegner, Antidemokraten haben Feinde. Denn sie sprechen der politischen Konkurrenz nicht nur die Fähigkeit zur Problemlösung ab, sondern ihre Legitimität, ja genaugenommen das Existenzrecht. Autokraten dulden keine Opposition, zumindest keine ernstzunehmende, die eine realistische Chance auf die Regierungsübernahme hat. Es ist kein Zufall, dass bei Trump, Le Pen oder Beatrix von Storch immer wieder Fantasien formuliert werden, wonach das vermeintliche politische Establishment als „Volksfeind“ vor ein Sondergericht gebracht, ins Gefängnis gesteckt oder zur Flucht nach Lateinamerika genötigt werden muss. Hier treten klar antidemokratische Vorstellungen von der Machtübernahme an die Oberfläche. Alexander Gaulands Formulierung am Wahlabend 2017, man werde die etablierten Parteien „jagen“, atmet diesen Geist der Gewalt in einem Land, in dem rechtsextreme Straftäter diese bewusst provozierend gewählten Metaphern wörtlich nehmen. Die Demokratie macht sich folglich angreifbar, weil sie auch diejenigen zu Wort kommen lässt, die sie ablehnen.

Die Demokratie macht sich angreifbar, weil sie auch diejenigen zu Wort kommen lässt, die sie ablehnen. Denn zu den wichtigen Grundwerten der Demokratie gehört die Gleichheit.

Die Ökonomisierung und Digitalisierung unserer Öffentlichkeit verschärfen sich in diesem Erosionsprozess gegenseitig. 7

Die Verwundbarkeit, die aus der Offenheit der demokratischen Öffentlichkeit erwächst, ist jedoch gewollt. Denn zu den wichtigen Grundwerten der Demokratie gehört auch die Gleichheit. Jeder und jede muss gehört werden – auch diejenigen, die gar kein Interesse an einem rationalen Abwägen der besten Gründe haben, sondern sich im Recht glauben, weil ihre Emotionen so intensiv sind. Meinungsfreiheit gilt daher auch für jene, die sie abschaffen wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat im NPD-Verbotsverfahren in diesem Sinne die Hürden für ein Parteiverbot noch einmal höhergesteckt: Nur die akute Gefährdung der Demokratie durch die NPD würde ein Verbot rechtfertigen, so lautete das Urteil. Dieses schwer messbare Kriterium mag man zu unscharf finden. Das Urteil zeigt jedenfalls: Die Verwundbarkeit der Demokratie ist nicht einfach problematisch, sondern gewissermaßen Programm. Doch Verwundbarkeit bedeutet eben nicht Wehrlosigkeit. Neben einer rechtsstaatlichen Wehrhaftigkeit, die sich durch Verfassungsschutz und Strafrecht artikuliert, gibt es auch so etwas wie die Abwehrkräfte einer demokratischen Kultur. Diese ist wichtig für den Umgang mit Ansichten, die sich im Graubereich zwischen einerseits schrägen, absonderlichen, verschrobenen, ja extremen, aber eben noch demokratischen und andererseits verfassungsfeindlichen oder einfach strafrechtlich relevanten Äußerungen bewegen. Denn nicht immer erfolgt der Angriff auf die demokratische Kultur so laut und explizit wie durch die NPD. Die Erosion zivilisatorischer Standards wird oft schleichend betrieben, durch die Verschiebung des Sagbaren. Die Ökonomisierung und Digitalisierung unserer Öffentlichkeit verschärfen sich in diesem Erosionsprozess gegenseitig. Demokratiegefährdend sind nun nicht mehr nur Medienimperien wie jene von Silvio Berlusconi oder Rupert Murdoch, dessen Brexit-Propaganda in Großbritannien verfing. Die Ökonomisierung erfolgt mittlerweile direkter: Gemeldet wird, was Klicks und damit Werbeeinnahmen generiert. Dies geschieht auf den entsprechenden Seiten in sekundenschneller Anpassung an die Leserpräferenzen: Was nicht geklickt wird, wandert nach unten oder hinten. Das Ergebnis ist dann die vielfach beschriebene Echo-Kammer, in der wir emotionalisierende Schreckensnachrichten geboten bekommen, die einen Adrenalin-Kick liefern. Zum anderen bedeutet Digitalisierung einfach das Entstehen einer postredaktionellen Öffentlichkeit. Verschwörungstheorien und wissenschaftliche Fachzeitschriften sind hier nur noch einen Klick voneinander entfernt. Da entsteht schnell der falsche Eindruck, zum Thema Klimawandel oder über die Gestalt des Erdkörpers gäbe es eben zwei gleichermaßen vertretbare Theorien. Die Verwundbarkeit der Demokratie wächst also nicht zuletzt, weil Antidemokraten in postredaktionellen Öffent-

lichkeiten die verwirrende Vielfalt von Informationen zur gezielten Verwirrung steigern können. Die Digitalisierung bietet, wie die russische Einflussnahme auf den US-Wahlkampf gezeigt hat, externen Akteuren weitreichende Möglichkeiten. Bei der Art, wie Populisten und Nationalisten den öffentlichen Diskurs führen, ist diese Verunklarung der Grenzen zwischen Wahr und Falsch, zwischen berechtigten Einwänden („Zuwanderung muss kontrolliert erfolgen“) und völkischen Parolen („Wir werden uns unser Volk zurückholen“), zwischen dem parlamentarischem Arm und der Macht der Straße, Teil des Programms. Parteien wie die AfD betreiben diese Strategie auch durch eine gezielte Rollenverteilung: erstens Marc Jongen für pseudo-philosophischen Tiefsinn im bürgerlichen Gewande, zweitens Björn Höcke für völkische Töne und eindeutig nationalsozialistische Assoziationen und drittens das Pegida-Gebrüll für den Mob auf der Straße. Ein zivilisatorischer Mindeststandard an Überzeugungen, Umgangsformen und common sense wird schleichend in Frage gestellt. Verrohung dringt in die oben beschriebene public sphere. Dies führt zu einer diskursiven Schieflage: Auch wer die Menschenwürde in Frage stellt, kann das Recht, gehört zu werden, zugleich mit seiner Menschenwürde begründen (viel zitiert: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“). Wer demgegenüber die These verteidigt, dass eine demokratische Öffentlichkeit aus guten Gründen nicht über alles diskutieren sollte, macht sich der kulturellen Hegemoniebildung, der impliziten Zensur oder der Political Correctness verdächtig. Doch in Wahrheit meinen viele, die das Ende der Political Correctness verkünden, eigentlich das Ende der civilité und fordern ein Recht auf Enthemmung. Demokraten stehen hier also vor einem Dilemma: Nehmen sie die Feinderklärung an und erklären ihrerseits die Populisten zu Feinden, so verwenden sie selbst eine zwar zutreffende, aber eben undemokratisch klingende Terminologie. Lehnen sie die Feinderklärung ab und behandeln ihre Feinde als bloße Konkurrenten, machen sie undemokratisches Gedankengut salonfähig. Was also tun? Verteidigungsmittel Die Wehrhaftigkeit der demokratischen Kultur gegenüber diesen Tendenzen beschränkt sich auf das paradox klingende Mittel der „zivilisierten Verachtung“, wie sie der Psychoanalytiker und Philosoph Carlo Strenger skizziert hat. Diese ist eine vergleichsweise schwache Waffe. Sie kombiniert Klarheit in der Sache mit Höflichkeit in der Form. Ihr Gebrauch macht zudem Geschick und die richtige Dosierung nötig. Denn Populisten lieben es, sich angesichts dieser Verachtung als Opfer einer Political

Correctness zu inszenieren. Demokratie bedeutet eben nicht, dass über alles diskutiert werden kann: für oder gegen die Menschenwürde – dies sind nicht, wie der Trick der Äquidistanz uns weismachen will, zwei mögliche Meinungen, die man demokratisch aushandeln kann, um sich irgendwo in der Mitte zu treffen. Der Blick in Länder mit längerer Erfahrung mit Populisten stimmt pessimistisch: Es gibt keine Zauberformel gegen die Erosion der demokratischen Kultur. Weder mit einer Entzauberung im Amt noch mit einer völligen Ausschließung aus der Öffentlichkeit hat man in anderen Ländern eine überzeugende Antwort gefunden. Emmanuel Macrons Erfolg beruhte vor allem auf der Fähigkeit, Marine Le Pen als völlig inkompetent vorzuführen. Demokraten müssen daher auch schlicht gute Politik liefern. Wer auf den zwanglosen Zwang des besseren Arguments hofft, muss große Sorgfalt darauf verwenden, im Ernstfall auch tatsächlich die besseren Argumente und Politikvorschläge zu haben. Wenn demokratische Politik strukturell überfordert, planlos und bloß improvisiert erscheint, gefährdet sich die Demokratie selbst. Zu den größten Verwundbarkeiten der Demokratie gehört auch die Trägheit von Demokraten. Dies betrifft nicht nur die politischen Eliten, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger. Nach dem Brexit-Votum und der Wahl Trumps gab es für viele Nichtwähler ein böses Erwachen. Aber warum haben sie eigentlich geschlafen? Nur aus Bequemlichkeit? Wohl kaum. Verwundbar wird die Demokratie auch dadurch, dass Menschen von ökonomischen Sorgen erdrückt, von digitalen und ökonomischen Ablenkungen betäubt oder von ausladenden Anreizstrukturen aus der Politik ferngehalten werden. Gefährlich für die Demokratie ist eine teils erzwungene, teils gewählte Zuschauerhaltung der Demokraten. Wenn dann Antidemokraten an die Macht stolpern, wird es brandgefährlich. Diese Möglichkeit scheint für Deutschland undenkbar. Aber andernorts ist sie längst bittere Realität. Autokraten an der Macht: Justiz und Kultur sind erstes Ziel Es ist kein Zufall, dass Nationalisten und Populisten, wo sie an die Macht kommen, sofort zwei zentrale Feinde bekämpfen: das unabhängige Rechtssystem und die Kultur. Das Recht steht den Antidemokraten im Weg, weil es die Volkssouveränität einschränkt, weil es durch Grundrechte und Verfassungsgerichte sicherstellt, dass nicht über alles abgestimmt werden kann – auch nicht darüber, ob man an deutschen Grenzen auf Kinder schießen oder die Religionsfreiheit von Muslimen einschränken will. Der vermeintliche Volkswille soll jedoch entfesselt werden, und

dabei stören unabhängige Richterinnen und Richter ebenso wie der Europäische Gerichtshof oder die Verfassungsgerichte. So lässt sich die Verachtung von Autokraten für das Recht erklären. Wo Enthemmung Programm ist, wird die zivilisierende Kraft des Rechts als Angriff empfunden. Die EU und ihre Institutionen werden dann als Gegner der jeweiligen nationalen Souveränität gezeichnet. Eine direkte Methode der Zerstörung des Rechtsstaats ist die Entmachtung von Verfassungsgerichten oder die Einsetzung auf Linie gebrachter Justizbeamter. Beamte sollen dann nicht mehr einem Staat dienen, der Verfassung oder den Gesetzen, sondern einem Volk oder einer Regierung. Allein die Tatsache, dass Donald Trump vom damaligen FBI-Direktor James Comey persönliche Loyalität verlangte, zeigt, wes Geistes Kind dieser Präsident ist und müsste aufrechte Republikaner zum Impeachment greifen lassen. Sind aber Gerichte und Staatsanwaltschaften erst einmal unter politische Kontrolle gebracht, ist die Demokratie am Ende, auch wenn weiterhin Wahlen und Parlamentsdebatten stattfinden. Gefährlich werden diese Institutionen dann nicht nur durch das, was sie unter autoritärer Führung leisten, sondern auch durch das, was sie nicht mehr leisten können oder sollen. Noch gefährlicher als die offene Konfrontation mit dem Rechtsstaat und der unabhängigen Justiz ist nämlich die schleichende Aushöhlung der Rechtsordnung. Wahrscheinlicher als eine offene Verfolgung von Oppositionellen ist die stillschweigende Toleranz gegenüber politischer Verfolgung und Einschüchterung durch nicht-staatliche Akteure. Schon jetzt beobachten wir in manchen Demokratien Phänomene, die wir sonst nur aus Russland kennen: die Ausweitung der Grauzone zwischen rhetorischer Grobheit, der symbolischen Gewalt in Videoclips und der Billigung tatsächlicher Gewalt. Trump selbst wird keine rassistischen Gewalttaten in Auftrag geben, aber wenn er wie nach den Ereignissen in Charlottesville die Äquidistanz zwischen Rassisten und Bürgerrechtlern erklärt („some very fine people on both sides“), muss man alarmiert sein. Es ist daher richtig, politisch motivierte Gewaltakte oder die Bedrohung von Politikerinnen und Politikern nicht nur als Angriff auf einzelne Personen zu werten, sondern als Angriff auf die Rechtsordnung insgesamt. Wie weitreichend die Spätfolgen einer unzureichenden Reaktion sind, lässt sich an deutschen Beispielen zeigen. Das Versagen der Polizei bei den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im August 1992, bei denen die Ordnungskräfte die Gewalt gegen Migranten einfach geschehen ließen und am 24. August 1992 die fliehenden Vietnamesen unter Beschimpfungen und Gejohle des Mobs evakuierten, formulierte ein deutliches Signal. Die Täter mussten den Eindruck gewinnen, es sei schon in Ordnung „die Dinge selbst in die

Text Felix Heidenreich

Hand zu nehmen“. Die Ereignisse wurden so zu einem negativen Lehrbeispiel für viele nachfolgende Täter bis heute. Für Minderheiten, für Journalistinnen und Journalisten, für Islamkritiker, Karikaturisten und Rechtsextremismus-Experten, für Oppositionelle oder Künstlerinnen und Künstler ist es entscheidend zu wissen, dass der Rechtsstaat sie schützen kann und auch tatsächlich gewillt ist, dies zu tun. Wo immer Autokraten jedoch Straftaten kleinreden oder Gewalt für bedauerlich, aber nicht zu verhindern erklären, wird die demokratische Kultur gezielt angegriffen. Kultur unter Autokraten: Verunglimpfen, Bedrohen, Verwirren Aber auch der zweite Gegner wird systematisch bedroht, wenn Anti-Demokraten an die Macht kommen: die offene, pluralistische Kultur und Kunst. Wer sich die Mühe macht, die kulturpolitischen Vorstellungen von Nationalisten und Populisten zur Kenntnis zu nehmen, kommt am Begriff des „Völkischen“ nicht vorbei. Literatur und Theater sollen hier der nationalen Erbauung dienen. Die Kultur soll auf Linie gebracht werden und sich als Instrument politischer Beeinflussung dienstbar machen. Eine Kunst, die Fragen stellt, Ambivalenzen aufweist, Widersprüche offenlegt und zur Reflexion anleiten will, kann für diejenigen, die einen offenen Diskurs ablehnen, nur eine Bedrohung sein. Tatsache aber ist: Wenn Kultur überhaupt Kultur und nicht bloß Propaganda oder Unterhaltung sein will, wird sie immer auch irritierend, hybridisierend, experimentierend sein. Überall, wo die neuen Rechten an die Macht gekommen sind, lässt sich gleichermaßen eine Tendenz zur Verunglimpfung von Kulturschaffenden beobachten. Sie nimmt konkrete politische Formen an, nicht nur in der Personal- und Finanzpolitik der entsprechenden Regierungen, sondern auch in der Veränderung eines gesellschaftlichen Klimas, in dem Kritik und Selbstkritik unerwünscht sind. Ein klassischer rhetorischer Trick ist dabei die Identifikation von Land und Regierung bzw. Führung: Wer Putin kritisiert, hasst Russland, heißt es dann. Das leise Ende der demokratischen Kultur Es ist folglich wichtig zu verstehen, dass wir für einen angemessenen Umgang mit der Verwundbarkeit der Demokratie nicht einfach aus den Erfahrungen mit dem vergangenen Totalitarismus lernen können. Uns drohen nicht die Aufmärsche paramilitärischer Gruppen (obwohl es in Ungarn auch so etwas gibt), nicht in erster Linie eine Geheimpolizei oder eine explizite Zensur. Die Demokratie wird nicht an einem bestimmten Tag und mit einem lauten Knall enden, sondern eher durch das langsame Verschie-

ben dessen, was wir normal finden. Kein Antidemokrat wird je öffentlich das Ende der Demokratie erklären. Im Gegenteil: Im schlimmsten Fall wird wohl eher der Beginn der „wahren“ Demokratie ausgerufen. Die Erosion demokratischer Standards erfolgt also schleichend. Sie betrifft nicht immer die institutionelle Ebene direkt; sie kann auch in der Zerstörung eines zivilisierten Miteinanders bestehen. Nicht die Tatsache, dass Trump lügt, ist beunruhigend, sondern die Tatsache, dass er gar keinen Hehl daraus macht. Schon immer gab es Lügen oder ein gezieltes Verschweigen in der Politik. Aber wer erwischt wurde, wurde sanktioniert, zumindest durch Missachtung. Verschwindet indes die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge, dann gibt es keine gemeinsame Welt mehr, von der die Rede ist. Aber Demokratien brauchen einen Wahrheitsanspruch, selbst wenn sie sparsam mit ihm umgehen. Zumindest in Gerichtsverfahren gibt es so etwas wie eine abgeschlossene Beweisaufnahme. Das einzig realistische Szenario für ein Platzen der Lügenblase scheint daher jener Moment zu sein, in dem Lügen nicht nur unfein, sondern strafbar ist: unter Eid. Derzeit lässt sich in Zeitlupe beobachten, wie sich die Arbeit des Sonderermittlers Robert Mueller just über den Mechanismus der Vereidigung in Trumps Lügenblase bohrt wie eine Nadel in einen Luftballon. Platzt diese Blase indes nicht, so droht das Verschwimmen von Wahr und Falsch in einem unterhaltsamen Politspektakel, das sich an den Vorbildern des Privatfernsehens orientiert und sich ebenso wenig für die Opfer dieses Spektakels interessiert wie dieses. Gefährlich scheint vor diesem Hintergrund die These, die neuen nationalistischen und populistischen Strömungen seien bloße Aussetzer, ein bloßes Intermezzo. Am Ende strebe alles, wie in der Ökonomie, auf einen gesunden Mittelwert zu. Mal werde mehr rechts gewählt, dann eben wieder mehr links. Aber es geht nicht um links oder rechts, sondern um die demokratische Kultur. Die allzu entspannte Sicht verkennt, dass Nationalismus und Populismus als eine rollende Bordkanone nicht nur den Kurs des Schiffes verändern, sondern das Schiff selbst beschädigen. Die Formel „Wehret den Anfängen!“ mag pathetisch und übertrieben klingen. Der Vorwurf, jemand sei ein Antidemokrat, darf auf keinen Fall inflationär gebraucht werden. Die Demokratie ist – aus guten Gründen – ein verwundbares Gebilde. Doch eine souveräne Gelassenheit, die aus dem Gefühl erwächst, schon Schlimmeres überstanden zu haben, wird dem Ernst der Lage in Europa nicht gerecht. Dass unsere demokratische Kultur es in der jüngeren Vergangenheit geschafft hat, auch andere politische Strömungen zu zivilisieren und zu absorbieren, muss keineswegs bedeuten, dass dies immer ohne Weiteres gelingen wird.

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William Kentridge, Drawing from the series Preparing the Flute, 2005

Die Demokratie wird nicht an einem bestimmten Tag und mit einem lauten Knall enden, sondern eher durch das langsame Verschieben dessen, was wir normal finden.

Emergency Briefing Künstler aus Osteuropa berichten von ihrer Situation. 01 „Ich lebe nicht in demselben Staat, in dem ich vor zwei Jahren gelebt habe“ Piotr Gruszczyński, Polen 02 „Der Nationalismus rückt immer näher“ Sodja Zupanc Lotker, Tschechien 03 „Leute haben Angst, unsere Kampagnen auf ihrer Webseite zu posten“ Dóra Papp, Ungarn

01 „Ich lebe nicht in demselben Staat, in dem ich vor zwei Jahren gelebt habe“

Foto Tomek Tyndyk

Piotr Gruszczyński, Dramaturg aus Polen

„Es geht nicht ums Geld, um die Fördermittel, sondern es ist wesentlich schlimmer. Wir befinden uns an der Grenze zu einem totalitären System, die Meinungsfreiheit verschwindet allmählich und das ist alarmierend“, sagt Piotr Gruszczyński, polnischer Theaterkritiker und Chefdramaturg am Neuen Theater (Nowy Teatr) in Warschau – dessen Künstlerischer Leiter Krzysztof Warlikowski regelmäßig an der Bayerischen Staatsoper inszeniert. Und er fügt hinzu: „Ich lebe nicht in demselben Staat, in dem ich vor zwei Jahren gelebt habe“. Während Künstler meistens über ein Desinteresse der Politik an der Kultur klagen, ist das Problem in Polen genau umgekehrt. Unter dem Motto „Wir machen eine Kulturrevolution“ deklarierte die polnische Regierung eine neue Form des konservativen nationalen Kulturverständnisses: Die Kunst soll die berühmte polnische Geschichte, polnische Traditionen, Patriotismus, polnische militärische Erfolge und die polnische Nation darstellen. Das Ziel soll sein, die polnische Identität und Würde zu stärken beziehungsweise das, was die regierende Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwość – Recht und Gerechtigkeit) jeweils dafür hält. „Falls man sich nicht an die Vorgaben hält und etwas

anderes künstlerisch verarbeiten möchte, verliert man mit großer Wahrscheinlichkeit den Zugang zur öffentlichen Finanzierung“, erklärt Piotr Gruszczyński die Entwicklung und fügt ein Beispiel aus dem Teatr Powszechny in Warschau hinzu: „Auf dem Spielplan des Theaters stand Der Fluch, ein polnischer Klassiker von Stanisław Wyspiański (1899), Regie führte der kroatische Regisseur Oliver Frljić. Seine Inszenierung sorgte in Polen für einen großen Skandal, Nationalisten und religiöse Gruppen demonstrierten vor dem Theater und blockierten den Zugang (siehe auch die Bilder auf den Seiten 14 und 17, d. Red.). Nun ist Frljić zum Symbol eines sogenannten antipolnischen Theaters geworden. Das Malta Festival in Poznań lud ihn 2017 als Kurator ein, woraufhin das Kultusministerium dem Festival die Mittel strich – entgegen einer früheren Zusage für eine Finanzierung für drei Jahre“, erklärt Gruszczyński. „Auch dem Breslauer Theaterfestival Dialog wurden aufgrund der Zusammenarbeit mit Frljić Gelder gestrichen.“ Durch Kürzungen der Mittel werden die Programme der derzeitigen Künstlerischen Leiter vieler Kulturinstitutionen unmöglich, dann folgt oft ein personeller Austausch und es werden fortan Leute beschäftigt, die die staatliche Kulturpolitik mittragen. Ein Beispiel wäre das Auswechseln des Direktors im neuen Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig. „Der Grund war, dass in der Ausstellung nicht der polnische Heroismus erwähnt, sondern der Krieg als eine Katastrophe dargestellt wurde. Nach dem Personalwechsel bekommen wir nun die Heldengeschichte zu sehen“, sagt Gruszczyński. Bedroht sind heute vor allem staatlich finanzierte Kulturinstitutionen. „Nächstes Jahr stehen jedoch in Polen Kommunalwahlen an, dann könnte es auch bei den kommunal

Texte Bára Procházková

getragenen Kultureinrichtungen, darunter die städtischen, einige Veränderungen geben“, fügt Gruszczyński hinzu. Ein weiteres Beispiel für die Veränderungen ist das Staatliche Alte Theater (Narodowy Stary Teatr) in Krakau, eine der wichtigsten und traditionsreichsten polnischen Bühnen. Der Arbeitsvertrag des bisherigen erfolgreichen Intendanten Jan Klata lief aus. Er ist auch als Regisseur tätig und war mit seinen inhaltlich wie auch ästhetisch avancierten Inszenierungen in ganz Europa und oft auch in Deutschland zu Gast. Seine Aufführungen wurden immer wieder von Nationalisten gestört, seine Gefährdung war deshalb den Künstlern im Theaterbetrieb seit Längerem bewusst, denn für die PiS-Partei war seine Arbeit nun „zu wenig polnisch, zu wenig konservativ und habe sich zu wenig mit den positiven Momenten der polnischen Geschichte beschäftigt“. Dies erklärte Klata in einem Zeitungsinterview. Sein Nachfolger, Marek Mikos, ist seit September 2017 ein ehemaliger regionaler Theaterkritiker aus dem Fernsehen, über 50 Jahre alt und ohne Führungserfahrung im Theaterbetrieb. „Der neue Intendant hat öffentlich gesagt, dass das Theater immer Text und Autor respektieren muss, womit er effektiv den Raum für jegliche postdramatische Experimente beschneidet; und dass er mit Kollegen älterer Generation zusammenarbeiten wolle. Bisher galt das Stary Teatr als modernes progressives Theater. Nun verlieren viele gute Künstler die Chance, dort zu arbeiten. Mikos boykottiert eine Reihe wichtiger polnischer Regisseure. Er will stattdessen mit ausländischen Kollegen zusammenarbeiten – allerdings leider mit den weniger bekannten und guten. Das Theater ist mit drei Bühnen ein bedeutender Arbeitgeber für die junge Generation, mit Bedauern möchte ich fast sagen – war“, sagt Piotr

Schriftzüge auf dem Banner: „Tradition Familie Eigentum“; auf dem Schild, das der junge Mann hält: „Satan ist ein Angsthase, unfähig, den Blick eines unschuldigen Kindes zu ertragen“.

Gruszczyński: „In den Nachwendezeiten hatten die Künstler viel Energie und Enthusiasmus, die aktuelle Entwicklung stürzt sie in Desillusion. Es ist wie ein schwarzer Nebel, es bringt dich nicht gleich um, aber es ist nicht gut für deine Gesundheit und es ist schwierig, in einer solchen Atmosphäre zu arbeiten“. Als Gegenreaktion auf die Aktivitäten der Regierung entstand im August 2017 eine unabhängige Künstlerbewegung, „Kultura Niepodległa“, in der heute etwa 9.000 Künstler ehrenamtlich aktiv sind. Sie haben ein Manifest veröffentlicht, sie erfassen die Aktivitäten der offiziellen Kulturpolitik und kommentieren sie, sie halten landesweit Vorträge und bereiten für 2018 ein alternatives Kulturprogramm vor. Denn im kommenden Jahr wird Polen seiner einhundertjährigen Unabhängigkeit gedenken und die Aktivisten wollen dies nicht nur der offiziellen, nationalistischen Kulturpolitik überlassen. „Ein Kollege ist in eine Druckerei gegangen und wollte ein Plakat mit einer Information über die Gefahr einer Verfassungsänderung drucken lassen. Der Chef der Druckerei schaute sich das Plakat an und meinte spontan, dass er 2.000 Stück für uns kostenlos druckt“, sagt Gruszczyński, der eines der Mitglieder der Bewegung ist. „So eine Hilfe ist unsere Hoffnung, denn Solidarität ist auch eine Form des Protestes“.

Bilder auf S. 14 und 17: Demonstranten protestieren am 4. März 2017 vor dem Warschauer Teatr Powszechny gegen die in ihren Augen gotteslästerliche Inszenierung Klątwa (Der Fluch) des kroatischen Regisseurs Olivier Frljić. Fotos Katarzyna Laskowiecka

02 „Der Nationalismus rückt immer näher“ Sodja Zupanc Lotker, Kuratorin und Leiterin von unabhängigen Theater- und Tanzprojekten und Festivals, Tschechien

„Die Situation der Künstler ist in einigen europäischen Staaten alarmierend, das macht mich sehr traurig“, sagt Sodja Zupanc Lotker, Dramaturgin, Kuratorin und künstlerische Leiterin von unabhängigen Theater- und Tanzprojekten und Festivals in Tschechien. Mitte September 2017 las sie auf Facebook einen Post auf Ungarisch über den Theaterregisseur Árpád Schilling, mit dessen Gruppe Krétakör sie als langjährige Leiterin der Prager Quadriennale für Bühnenbild und performative Räume mehrfach zusammen gearbeitet hatte. Als sie den Text in eine Internetübersetzungsmaschine eintippte, konnte sie erst einmal gar nicht glauben, was sie da las. Árpád Schilling wurde als Bedrohung für die nationale Sicherheit bezeichnet. Das war eine große Überraschung nicht nur für alle Kulturschaffenden in Ungarn, sondern für Theatermacher in ganz Europa. „Wir müssen etwas unternehmen“, war der erste Gedanke von Sodja Zupanc Lotker: „Kultur ist die Basis für Bildung, und nun scheint es so zu sein, dass sich die Prioritäten in einigen Staaten verändern“. So wurde spontan für Anfang Oktober ein „Emergency Briefing“ in Prag einberufen –

eine Veranstaltung während des Festivals Crossroads am Prager Nationaltheater, die das Publikum informieren sollte, was in Polen, Ungarn und in Russland passiert. „Mit dieser Veranstaltung wollten wir erst einmal Informationen teilen und mitteilen, ohne jegliche Art von Wertung und Emotionen hinzuzufügen. Ziel ist es, dass die Menschen selbst anfangen nachzudenken und dass jeder in den eigenen Kreisen damit beginnt, zu sprechen und zu diskutieren“, sagt Sonja Zupanc Lotker. „Der Druck rückt immer näher zu uns nach Europa. Als ich von Árpád Schilling erfuhr, wurde mir klar, dass der Nationalismus immer näher rückt“, meint Sodja Zupanc Lotker und erklärt, dass es vor allem um das Schüren der Angst vor Fremden wie den Muslimen oder Sinti und Roma geht. „Die Politiker missbrauchen und vergrößern die Angst vor Terrorismus und Angst vor Migranten, und das in einem Staat, der nur zwölf Flüchtlinge aufgenommen hat“, erklärt Sodja Zupanc Lotker. Künstler aus Polen, Ungarn und aus Russland waren also zum Emergency Briefing gekommen, um darüber zu berichten, wie in ihre künstlerische Integrität eingegriffen wird. Und sie sprachen über die Angst der Künstler und das mit unterschiedlichen Facetten. „Wenn Menschen Angst spüren, verlieren sie die Kraft, an demokratische Werte zu glauben“, befürchtet die Kuratorin und berichtet weiter über die Lage in dem Land, in dem sie selber lebt. „In Tschechien ist die gesellschaftliche und politische Situation ernst, aber die strukturellen Konsequenzen und die Einflussnahme sind nicht so weitreichend wie in Polen oder Ungarn“, sagt sie. Sorgen bereitet ihr vor allem der Bereich der Medien. Andrej Babiš, Gewinner der Parlamentswahlen im Oktober und einflussreicher Unternehmer, ist gleichzeitig Eigentümer eines der

03 „Leute haben Angst, unsere Kampagnen auf ihrer Webseite zu posten“ Dóra Papp, Co-Direktorin der Krétakör-Stiftung, Krétakör Stiftung, Ungarn

Es begann unauffällig – vulgäre Zeichen am Klingelschild, Beschimpfungen auf dem Anrufbeantworter, Hasskommentare auf Facebook. Dann wurde seine Familie bedroht und schließlich kam im September 2017 die Bezeichnung des Theaterregisseurs Árpád Schilling als Bedrohung für die nationale Sicherheit in Ungarn. Für ihn und seine Arbeitskollegen war es ein Schock, erzählt Dóra Papp, die gemeinsam mit Schilling die Kréta Kréta-kör-Stiftung leitet. „Wir hatten uns etwa seit 2012 mental so darauf eingestellt, dass man jederzeit Ziel eines Angriffs wird. Es entsteht automatisch eine Art Selbstzensur. Ich denke bei jedem Wort vorher nach, ob ich es sagen kann oder nicht. Wir haben unsere innere Freiheit verloren. Wenn die Künstler nicht die Möglichkeit haben, sich frei zu äußern, dann kann man es nicht mehr als Kunst bezeichnen.“ Neben den Aktivitäten von Künstlern werden auch die der gemeinnützigen Vereine eingeschränkt, in denen sich Bürger vor allem für Menschenrechte oder unabhängige Medien engagieren. Verfolgt werden auch internationale Organisationen, ein Beispiel dafür sind die Aktivitäten des US-Philanthropen ungarischer

Herkunft George Soros. Denn der Staat übernimmt durch Gesetzesänderungen immer mehr Kontrolle über Nichtregierungsorganisationen. Zum Beispiel sollen nun aus dem Ausland finanzierte Organisationen ihre Geldquellen offenlegen. Deshalb hat übrigens üb ge s auch auc die d e EU-Kommission U o ss o ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, denn das Gesetz stehe nicht im Einklang mit dem EU-Recht. Und das Ergebnis der ungarischen Politik lässt nicht lange auf sich warten: Wenn die Regierung Vereine unterdrückt, verlieren Menschen langsam ihren Glauben daran, dass sie ihnen helfen können. „Bürger wollen nicht mehr aktiv sein, weil sie glauben, ihre Stimme werde nicht gehört und dass sie sowieso nichts verändern können“, sagt Dóra Papp. So geht es in letzter Zeit auch Krétakör, und mehr noch: „Wir haben mehrere Emails bekommen, in denen Leute schreiben, dass unsere Kampagnen wichtig seien, dass sie aber Angst hätten, dies weiter zum Beispiel auf ihrer Webseite zu posten und weiterzuverbreiten“, erklärt Dóra Papp. Die Menschen in Ungarn haben laut Dóra Papp also Angst, jedoch wissen sie nicht genau wovor. Sie können es nicht identifizieren, denn das Problem scheint unsichtbar zu sein. „Die Menschen sehen nicht den Kontext der Veränderungen, zu denen es in ihrer Umgebung kommt. Sie wissen nicht, wie Informationen entstehen, die zu ihnen gelangen und sie haben keine Erfahrung damit, wie Meinungsfreiheit wirklich aussieht“, beschreibt Dóra Papp die Lage in Ungarn und betont, dass es im Land mittlerweile kein unabhängiges öffentlich-rechtliches Medium mehr gibt. Hörfunk und Fernsehen werden von der Regierung kontrolliert, so kommen die Opposition und alternative Meinungen dort nicht zu Wort. „Wir wollten zum Beispiel – anders

Foto KretakorFoundation©Borcsok

wichtigsten und größten Verlagshäuser in Tschechien. „Es ist eine gefährliche Konzentration an Macht“, erklärt Sodja Zupanc Lotker und fügt hinzu, dass in seinen Blättern auch kaum eine Information über die Veränderungen im Kulturbereich aus den Nachbarländern ac ba ä de zu u lesen ese war. a Zudem kann man beobachten, wie sich auch in der tschechischen Gesellschaft immer mehr ein neoliberales Denken verbreitet, das alles an der Markfähigkeit misst und aus dieser Perspektive den Sinn der Finanzierung von Kunst und Künstlern in Frage stellt. „Es gibt immer mehr Unterhaltung und Showbusiness und immer weniger Kunst“, sagt Sodja Zupanc Lotker. Sie spüre seit dem Ende der Präsidenschaft von Václav Havel vor 14 Jahren, dass die Bedeutung von Kunst und Kultur in der öffentlichen und politischen Debatte stetig abnehme. Zu seiner Zeit war Kultur omnipräsent, aber seitdem verlieren Kultur und Kunst an gesellschaftlichem Wert. „Heutige Werte stehen auf Geld und Rationalität. Wahrheit und Liebe – das Motto von Präsident Havel – verloren dabei ihre Anziehungskraft“, sagt Sodja Zupanc Lotker.

Schriftplakate am Theatergebäude, links ein Plakat für die Inszenierung von Elfriede Jelineks Wut mit der durchgestrichenen Losung: „Fürchte Gott!“ Und darunter: „Fürchte den Menschen.“ Rechts daneben: „Ein Theater, das sich einschaltet“.

„Wir geben unsere Zukunft nicht her – Wir bleiben hier!“ heißt es auf dem Banner der Demonstranten im Bild oben links.

als die Mainstream-Berichterstattung – positiv über Flüchtlinge informieren, es war aber unmöglich, mit so einem Thema in die Medien zu kommen“, erklärt Dóra Papp und beschreibt, dass man deshalb kaum noch Bürger zum Protest gegen die Staatspolitik mobilisieren kann. „So wächst die Wichtigkeit der sozialen Netzwerke im Internet, das zur Kommunikationsplattform der Aktivisten wurde“, sagt Papp. Die Menschen in Ungarn haben auch Angst, dass ihr mögliches Engagement berufliche und private Konsequenzen haben könnte. „Das wird Folgen für die Zukunft haben. Die junge Generation lernt nämlich nicht, wie es ist, Teil einer Gemeinschaft zu sein und sich erstens in ihr zu engagieren, und zweitens das Gefühl zu haben, sich in der Gruppe geschützt zu fühlen. Und sie lernt nicht, dass Angst durch Solidarität bewältigt werden kann. Denn es gibt kaum mehr Solidarität in Ungarn“, sagt Dóra Papp: „Und so fallen langsam Werte wie Moral, Menschlichkeit oder Menschenrechte weg. Das hat jetzt schon irreparable Folgen für unsere Kultur.“

Árpád Schilling, geboren 1974, gründete während seines Regiestudiums in Budapest 1995 das Ensemble Krétakör (Kreidekreis), dessen Inszenierungen wie etwa W-Arbeiter zirkus nach Georg Büchners Woyzeck oder von Anton Tschechows Die Möwe sowohl in Ungarn als auch international für Aufmerksamkeit sorgten. Daneben arbeitete Schilling als Gast am Wiener Burgtheater, der Schaubühne Berlin und am Piccolo Teatro in Mailand. Um unmittelbarer und schärfer auf die sozialen und politischen Konflikte in Ungarn zu reagieren, wandelte Schilling bereits 2008 Krétakör in eine Stiftung zur Entwicklung von partizipativen Inszenierungen und Interventionen in Stadträumen um. Aufführungen der Gruppe waren etwa bei den Wiener Festwochen, auf Kampnagel (Hamburg), beim Festival Steirischer Herbst oder am Pariser Théâtre National de Chaillot zu sehen. 2009 erhielt Schilling den Europäischen Theaterpreis für Neue Realitäten im Theater, Krétakör erhielt 2016 den ECF Princess Margriet Award for Culture. An der Bayerischen Staatsoper hat Árpád Schilling bereits mehrmals inszeniert. 2010 erarbeitete Schilling mit dem Opernstudio Gioachino Rossinis La Cenerentola und inszenierte hier das erste Mal eine Oper. Es folgten Inszenierungen von Rigoletto (2012) und Die Sache Makropulos (2014) sowie viele Arbeiten an weiteren Häusern, etwa La damnation de Faust am Theater Basel. Seit einiger Zeit inszeniert Schilling vermehrt Stückentwicklungen, die sich mit gegenwärtigen Radikalisierungstendenzen in Europa beschäftigen, so am Wiener Burgtheater die Parabel Eiswind, am Warschauer Teatr Powszechny Upadanie (Das Fallen) und zuletzt Erleichterung am Landestheater Niederösterreich in Sankt Pölten.

Zu einem „Emergency Briefing" beim Prager Crossroads Festival kamen am 7. Oktober 2017 Künstler vor allem aus Osteuropa zusammen. Die Diskussion auf Facebook: https://www. facebook.com/prazskekrizovatky/videos/ 1591203044258948/. 1591203044258948/.

Bilder linke Seite: Demonstranten protestieren am 21. Mai 2017 in Budapest gegen Viktor Orbáns restriktive Politik gegenüber Nichtregierungsorganisationen sowie Orbáns Vorhaben, die von George Soros gegründete CEU (Central European University) zu schließen. Fotos Dóra Papp

Für die drei hier veröffentlichten Berichte sprach die tschechische Journalistin Bára Procházková am Rande dieser Veranstaltung mit den Künstlern. Die Politikwissenschaftlerin ist derzeit Chefin vom Dienst für das Nachrichtenportal des öffentlich-rechtlichen tschechischen Fernsehens und unterrichtet an der Prager Karlsuniversität sowie an der Masaryk-Universität in Brünn.

Erleben Sie Stickstoff. In einer brillianten Inszenierung von Linde. Welches Aussehen hätten Gase, wenn sie sichtbar wären? Und wie würden sie klingen? Wir wollten es wissen und haben typische physikalische Eigenschaften wie Elektronenzahl oder Siedepunkt in Töne und Farben gekleidet. Mehr unter www.fascinating-gases.com. Wir begleiten die Bayerische Staatsoper im Rahmen unseres Kulturengagements als Spielzeitpartner.

N Stickstoff

A M Joseph X Das Magazin der Bayerischen Staatsoper

Die Wunde, die Europa gerade geschlagen wird 2

Stellungnahme des ungarischen Regisseurs Árpád Schilling

Die Verwundbarkeit der Demokratie Ein Essay von Felix Heidenreich

Emergency Briefing Künstler aus Osteuropa berichten

Spielzeit 2017 / 18 Zeig mir deine Wunde

Inhalt 24

Contributors / Impressum

Künstler zeigen ihre Wunde Antworten auf die Aufforderung der Bayerischen Staatsoper

Erwin Schrott ist Procida Der Bassbariton über den streitbaren Helden in Giuseppe Verdis Les Vêpres siciliennes PREMIERE

Siegfrieds Lindenblatt Warum Richard Wagners Siegfriedfigur in Der Ring des Nibelungen aktueller ist denn je. Von Jörg Scheller

Bild Tom Callemin, Figure, 2013

№ 2: Offenbaren

Joseph Beuys, Badewanne, 1960

Comic Richard Strauss’ Der Ros Rosenkavalier, erzählt von Jan Robert Dü Dünnweller

Collage Jesse Treece

Illustration Jan Robert Dünnweller

„Im besten Fall atmen Julia und ich im gleichen Takt“ Die Geigerin Julia Fischer und der Cellist Daniel Müller-Schott im Interview 4. AKADEMIEKONZERT

Die Wunden der anderen Wie es ist, fremde Wunden zu zeigen. Der Journalist Andreas Unger berichtet

Drei Juwelen und … … die Frage, warum John Cranko zum Klassiker geworden ist CRANKO-FEST

Männergesellschaft Die Historiker Ekaterina Emeliantseva Koller und Christian Koller über geschlossene Männergesellschaften am Beispiel von Fremdenlegion und U-Boot-Besatzung

Zeig mir deine Wunde Der ungläubige Thomas von Caravaggio und zeige deine Wunde von Joseph Beuys – Texte von Sybille Ebert-Schifferer und Lothar Schirmer THEMENKONZERTE

200 Jahre Nationaltheater 100 Jahre Bayerische Staatsoper Eine Collage zum Auftakt des Jubiläumsjahrs 2018 an der Bayerischen Staatsoper

Bild Chloe Rosser, Form 3,4, 2013

Agenda 89

Spielplan

Ein kleines Lexikon der Wunden Zweiter Teil: Schmerz, lass nach. Von Sarah-Maria Deckert

100

Vorschau

Contributors Felix Heidenreich Seite 4

Impressum Max Joseph Das Magazin der Bayerischen Staatsoper

Wieviel ist genug? Der Philosoph und Politikwissenschaftler Felix

www.staatsoper.de / maxjoseph

Heidenreich hat den Essay für den Demokratie-Schwerpunkt verfasst, und konstatiert eine schleichende Erosion der demokratischen Kultur. Er forscht hauptsächlich zu Politischer Theorie und Kulturpolitik, ist wissenschaftlicher Koordinator am Internationalen Zentrum für Kultur

Max-Joseph-Platz 2, 80539 München T 089 – 21 85 10 20 F 089 – 21 85 10 23 maxjoseph@staatsoper.de, www.staatsoper.de

und Technikforschung der Universität Stuttgart und hat 2017 / 18 eine nach Alfred Grosser benannte Gastprofessur in Paris inne.

Herausgeber

Redaktionsleitung Maria März Jörg Scheller ist Kunstwissenschaftler, Journalist, Musiker und Bodybuilder in einer Person. Er promovierte über Arnold Schwarzenegger. In

Gesamtkoordination Christoph Koch

seinem Text zu Richard Wagners Der Ring des Nibelungen schreibt er über die Verwundbarkeit der Siegfriedfigur im Licht kraftmeierischer Zeiten. Scheller ist Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste, wo er derzeit den Bereich Theorie im Bachelor Kunst & Medien leitet. Seine Texte erscheinen unter anderem in der ZEIT und der NZZ.

Redaktion Miron Hakenbeck, Rainer Karlitschek, Malte Krasting, Daniel Menne, Julia Schmitt, Benedikt Stampfli, Sebastian Reckert Mitarbeit Sabine Voß Bildredaktion Yvonne Gebauer Schlussredaktion Nikolaus Stenitzer

Jarmila Mitríková und Dávid Demjanovič Collage 1818 Gestaltung Bureau Borsche – Mirko Borsche, Sie wissen nicht, was eine Pyrografie ist? In dem Altarfalz ab Seite 96

Moritz Fuhrmann, Loreen Jula

ist eine zu sehen. Zum 200. Geburtstag des Nationaltheaters ließ sich das slowakische Künstlerduo Jarmila Mitríková & Dávid Demjanovič von

Autoren Sarah-Maria Deckert, Sybille Ebert-Schifferer,

verschiedensten Elementen für seine Brandmalerei inspirieren. Bei dieser

Tobias Haberl, Felix Heidenreich, Christoph Irrgeher,

traditionellen Technik werden Motive in Sperrholz gebrannt und mit

Bára Procházková, Árpád Schilling, Jörg Scheller,

Holzbeize coloriert. Die Arbeiten des Duos befinden sich in privaten

Lothar Schirmer, Anna Steinbauer, Andreas Unger,

Sammlungen und Museen.

Dorion Weickmann Fotografen & Bildende Künstler

Tyler Spangler Collage 1918

Fritz Beck, Sebastian Blinde, Tom Callemin, Jan Robert Dünnweller, Clemens Fantur,

Auch das Jahr 1918 gibt dieses Jahr Anlass zur Feier: 100 Jahre Bayerische Staatsoper. Tyler Spangler hat hierzu eine Fantasie über die Bayerische Staatsoper komponiert. Es geht darin um Kriegslärm, Musik und Mobilität. Der kalifornische Grafikdesigner erkundet die Beziehun-

Weronika Gęsicka, Jordanna Kalman, Hara Katsiki, William Kentridge, Jarmila Mitríková & Dávid Demjanovič, Chloe Rosser, Tyler Spangler, Jesse Treece

gen zwischen Farbe, Form und Fotografie im Medium der digitalen Collage. Dies gerät meist sehr bunt und unverschämt chaotisch. Zurzeit arbeitet er hauptsächlich für die Musik-, Surf- und Textilindustrie.

Marketing Laura Schieferle T 089 – 21 85 10 27 F 089 – 21 85 10 33 marketing@staatsoper.de

Hara Katsiki Collage 2018 Anzeigenleitung Julia Altenberger Die griechische Künstlerin Hara Katsiki, die in Berlin lebt, entwickelt

T 089 – 21 85 10 40 julia.altenberger@staatsoper.de

ihre Arbeiten zu einem ganz wesentlichen Teil aus ihren Träumen, mit Figuren aus dem Reich der Fantasie. Die Collage der Autodidaktin Katsiki zum Jahr unserer Gegenwart ist aus analogen und digitalen Daten zusammengesetzt. 2010 gewann sie den Swatch Young Illustrator’s

Vertrieb Zeitschriftenhandel DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH Am Sandtorkai 74, 20457 Hamburg, www.dpv.de

Award. 2011 wurde sie vom britischen Magazin Artists & Illustrators als eine der „Artists of the Year“ ausgezeichnet.

Lithografie MXM Digital Service, München Druck und Herstellung

Jesse Treece Collage 2118

Gotteswinter und Aumaier GmbH, München

In seinen Arbeiten mischt der amerikanische Künstler Jesse Treece aus

Nachdruck nur nach vorheriger Einwilligung. Für

Seattle das Banale mit dem Absurden, verbindet Schönheit

die Originalbeiträge und Originalbilder alle

mit Verstörung. So verliert man sich in seinen Bildern. Auch beim

Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu erreichen

Betrachten seiner Collage über die Staatsoper 2118. Man fühlt sich in eine

waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsab-

Zukunft versetzt, die irgendwie ganz normal wirkt und dabei doch

geltung um Nachricht gebeten. Max Joseph wird auf

seltsam, aus der Zeit gefallen. Genau wie seine Arbeitsmaterialien:

Bio Top Naturpapier gedruckt.

Schere, Kleber, alte Magazine und Bücher.

ISSN 1867-3260

Foto Annick Ramp/NZZ

Staatsintendant Nikolaus Bachler (V.i.S.d.P.) Jörg Scheller Seite 38

AATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGEN NMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG 172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHE XJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIR ERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDE MIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPER PIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPH PHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINE 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Zeig mir deine Wunde

Künstlerinnen und Künstler, die mit der Bayerischen Staatsoper eng verbunden sind, antworten in dieser Spielzeit auf unsere Aufforderung.

Johannes Erath

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Zeig deine Schwäche. Gib dich zu erkennen. Vertraue mir, dass ich es nicht zu meinem Vorteil ausnutze. Lass uns offen miteinander umgehen.

Foto Werner Kmetitsch

Der Regisseur Johannes Erath inszenierte bislang u. a. in Hamburg (Das schlaue Füchslein, La traviata), Frankfurt (u. a. Angels in America, Otello), Graz (u. a. Lulu, Don Giovanni), Dresden (Le nozze di Figaro, Les Contes d’Hoffmann) und Bregenz (Miroslav Srnkas Make no Noise) sowie an der Neuen Oper Wien die Uraufführung von Peter Eötvös’ paradise reloaded (Lilith). Er erarbeitet seine Inszenierungen, indem er Handlung, Musik und Figuren der Opern mit der großen Fülle von Eindrücken in Beziehung setzt, die das Leben und die Kunst in allen ihre Ausprägungen dem Menschen anbieten. So findet er zu oft verblüffenden neuen Perspektiven auf scheinbar altbekannte Werke. 2016 inszenierte er an der Bayerischen Staatsoper Un ballo in maschera, im selben Jahr wurde er mit dem Österreichischen Musikpreis ausgezeichnet.

Diese Sammlung – eine Art Moodboard ohne unmittelbaren Zweck und ohne überhaupt zu wissen, wofür sonst solch ein „Stimmungsbild“ verwendet wird – war nie dafür bestimmt, anderen gezeigt zu werden. Sie stammt aus einer Abschiedszeit: Abschied von einer Stadt, einem Land, von einem Menschen, von einem langen Lebenskapitel. Sie war Teil eines Prozesses. Erst nachdem in dieser Sammlung in einer fast verlassenen Wohnung die Erinnerungen gebannt waren, begann das Loslösen von ihnen. Es war ein Kampf zwischen den Widersprüchen, die so ähnlich klingen: „je t’aime – je t’emmène – je t’emmerde“: ich liebe dich – ich nehme dich mit – du kannst mich mal. Ein Ende, so tiefgreifend wie dieses, kann einem auch als Niederlage, als Scheitern vorkommen. War das meine größte Wunde? Ist sie es noch jetzt, viele Jahre später?

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MAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG MAXJOSEPHBAYERISCHESTAA MIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPE MIRDEINEWUNDEVERBERGENM STAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBER STAATSOPERSPIELZEIT2017 DEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSP DEINEWUNDEVERBERGENMAXJ VERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT201 VERBERGENMAXJOSEPHBAYER SPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSE SPIELZEIT20172018ZEIGMI BAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEW BAYERISCHESTAATSOPERSPI WUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZE WUNDEVERBERGENMAXJOSEPH JOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIR JOSEPHBAYERISCHESTAATSO ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAAT ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBER MAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG MAXJOSEPHBAYERISCHESTAA MIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPE MIRDEINEWUNDEVERBERGENM STAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBER STAATSOPERSPIELZEIT2017 DEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSP DEINEWUNDEVERBERGENMAXJ VERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT201 VERBERGENMAXJOSEPHBAYER SPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSE SPIELZEIT20172018ZEIGMI BAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEW BAYERISCHESTAATSOPERSPI WUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZE WUNDEVERBERGENMAXJOSEPH JOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIR JOSEPHBAYERISCHESTAATSO ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAAT ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBER MAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG MAXJOSEPHBAYERISCHESTAA MIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPE MIRDEINEWUNDEVERBERGENM STAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBER STAATSOPERSPIELZEIT2017 DEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSP DEINEWUNDEVERBERGENMAXJ VERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT201 VERBERGENMAXJOSEPHBAYER SPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSE SPIELZEIT20172018ZEIGMI BAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEW BAYERISCHESTAATSOPERSPI WUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZE WUNDEVERBERGENMAXJOSEPH JOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIR JOSEPHBAYERISCHESTAATSO ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAAT ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBER MAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG MAXJOSEPHBAYERISCHESTAA MIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPE MIRDEINEWUNDEVERBERGENM STAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBER STAATSOPERSPIELZEIT2017 DEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSP DEINEWUNDEVERBERGENMAXJ VERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT201 VERBERGENMAXJOSEPHBAYER SPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSE SPIELZEIT20172018ZEIGMI BAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEW BAYERISCHESTAATSOPERSPI WUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZE WUNDEVERBERGENMAXJOSEPH JOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIR JOSEPHBAYERISCHESTAATSO ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAAT ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBER MAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG MAXJOSEPHBAYERISCHESTAA MIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPE MIRDEINEWUNDEVERBERGENM 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Ulrike Theusner

Hier auftrennen um Inhalt einzusehen

AATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGEN GMIRDEINEWUNDEV GMIRDEINEWUNDEV ATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEV NMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG ERSPIELZEIT2017 ERSPIELZEIT2017 MAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT2017 172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHE RGENMAXJOSEPHBA RGENMAXJOSEPHBA 72018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBA XJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIR PIELZEIT2017201 PIELZEIT2017201 JOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT2017201 ERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDE 172018ZEIGMIRDE 172018ZEIGMIRDE RISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDE MIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPER EPHBAYERISCHEST EPHBAYERISCHEST IRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHEST PIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPH WUNDEVERBERGENM WUNDEVERBERGENM IELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENM PHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINE EIT20172018ZEIG EIT20172018ZEIG HBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG SOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAX RDEINEWUNDEVERB RDEINEWUNDEVERB OPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERB ERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018 TSOPERSPIELZEIT TSOPERSPIELZEIT RGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT AATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGEN GMIRDEINEWUNDEV GMIRDEINEWUNDEV ATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEV NMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG ERSPIELZEIT2017 ERSPIELZEIT2017 MAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT2017 172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHE RGENMAXJOSEPHBA RGENMAXJOSEPHBA 72018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBA XJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIR PIELZEIT2017201 PIELZEIT2017201 JOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT2017201 ERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDE 172018ZEIGMIRDE 172018ZEIGMIRDE RISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDE MIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPER EPHBAYERISCHEST EPHBAYERISCHEST IRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHEST PIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPH WUNDEVERBERGENM WUNDEVERBERGENM IELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENM PHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINE EIT20172018ZEIG EIT20172018ZEIG HBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG SOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAX RDEINEWUNDEVERB RDEINEWUNDEVERB 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WUNDEVERBERGENM WUNDEVERBERGENM IELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENM PHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINE EIT20172018ZEIG EIT20172018ZEIG HBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG SOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAX RDEINEWUNDEVERB RDEINEWUNDEVERB OPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERB ERGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018 TSOPERSPIELZEIT TSOPERSPIELZEIT RGENMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT AATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGEN GMIRDEINEWUNDEV GMIRDEINEWUNDEV ATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEV NMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIG ERSPIELZEIT2017 ERSPIELZEIT2017 MAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT2017 172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBAYERISCHE RGENMAXJOSEPHBA RGENMAXJOSEPHBA 72018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEVERBERGENMAXJOSEPHBA XJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIRDEINEWUNDEMAXJOSEPHBAYERISCHESTAATSOPERSPIELZEIT20172018ZEIGMIR PIELZEIT2017201 PIELZEIT2017201 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Foto Madlen Krippendorf

Ulrike Theusner studierte bis 2008 Freie Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar sowie an der École des Beaux-Arts in Nizza. Sie arbeitete an verschiedenen Orten wie Berlin, Leipzig, Vilnius, Los Angeles, Paris, New York – immer wieder zu ihrem Ruhepunkt Weimar zurückkehrend. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen (u. a. Y Gallery New York, Galerie Dukan Paris, Eigen-Art LAB Berlin) gezeigt und mit Preisen gewürdigt, u. a. dem Grafik-Preis der Ilstraud Glock-Grabe-Stiftung und dem 1. Preis der European Print Triennale Toulouse. Zusammen mit Bureau Mirko Borsche gestaltete sie 2014/15 die Spielzeit-Plakate der Bayerischen Staatsoper.

Bild links: Odessa Bar Bild oben: Romantisches Intermezzo Bild rechts: Instagram Pose Alle drei Bilder von Ulrike Theusner stammen aus der Serie Gasping Society, Tusche und Pastell auf Papier, 70 x 50 cm, 2016.

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Omer Meir Wellber

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Foto Felix Broede

Omer Meir Wellber studierte an der Jerusalem Academy of Music and Dance und dirigierte u. a. beim Gewandhausorchester Leipzig, dem Israel Philharmonic Orchestra und dem London Philharmonic Orchestra sowie an den Opernhäusern von Dresden, Tel Aviv und Venedig. Von 2010 bis 2014 war er Music Director am Palau de les Arts Reina Sofia in Valencia. Er ist Initiator des Education-Projekts Sarab – Strings of Change, welches jungen, benachteiligten Beduinen in Israel mit musikalischer Ausbildung neue Perspektiven eröffnen soll. An der Bayerischen Staatsoper leitet er nach Mefistofele (2015) und Andrea Chénier (2017) mit Giuseppe Verdis Les Vêpres siciliennes bereits seine dritte Neuproduktion.

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Harald Thor

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Bild Harald Thor

Text P. S. Thor

Harald B. Thor ist gebürtiger Salzburger und studierte am dortigen Mozarteum Bühnen- und Kostümbild. Seit 2001 ist er als selbstständiger Ausstatter tätig. In Zusammenarbeit mit Andreas Kriegenburg entstanden Produktionen u. a. am Thalia Theater Hamburg, am Schauspielhaus Zürich sowie bei den Salzburger Festspielen. Als Bühnenbildner für das Musiktheater arbeitete er mit vielen bedeutenden Regisseuren u. a. an den Opernhäusern in Berlin, Dresden, Frankfurt, Dortmund, Mannheim, Nürnberg, Seoul und Tokio. Er zeichnet verantwortlich für das Bühnenbild von Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Der Ring des Nibelungen an der Bayerischen Staatsoper, die in dieser Spielzeit wieder zu sehen ist. Auf die Aufforderung „Zeig mir deine Wunde“ hat er gemeinsam mit seinem Sohn Patrick geantwortet, der den Text zu Harald Thors Zeichnung verfasst hat.

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Erwin Schrott ist Procida … und spricht im Kurzinterview über Giuseppe Verdis Freiheitskämpfer.

Premiere Les Vêpres siciliennes

MAX JOSEPH Herr Schrott, Sie singen so unterschiedliche Figuren wie den Verführer Don Giovanni, den Nihilisten Méphistophélès oder den Quacksalber Dulcamara aus L’elisir d’amore. Alle hochgradig individuell. Procida in Giuseppe Verdis Les Vêpres siciliennes ist wieder anders. Wie passt er in diese Reihe? ERWIN SCHROTT Procida ist Widerständler, Rebell oder vielleicht noch ein Agitator des Verstands. Er ist eiskalt darin, Menschen zu verführen und aufzustacheln – wobei es ihm letztlich nicht um Verführung geht, sondern um Rache dafür, dass die Franzosen Sizilien besetzt haben. In Procida brodeln Leidenschaft und Zorn. Er möchte Freiheit für sein Land und seine Gegner brennen sehen. MJ Ist er dann ein Freiheitsheld oder eher Fanatiker?

Foto Dario Acosta

ES Beides. Es ist nie leicht, da zu unterscheiden. Procida hat Überzeugungen und folgt ihnen kompromisslos. Das ist auch für die Interpretation herausfordernd. Auch gesangstechnisch betrachtet ist die Partie sehr komplex. Ich bin froh, dass ich mir

dafür Zeit gelassen und meiner Stimme bis dahin viel Gelegenheit gegeben habe, sich zu entwickeln. Ich muss mich in einer Partie komplett wohlfühlen, muss die Musik in meinen Körper hineinbekommen, sie mir regelrecht einverleiben – selbst bei einem so widersprüchlichen Menschen wie Procida. MJ Die Bayerische Staatsoper stellt die aktuelle Spielzeit unter das Motto „Zeig mir deine Wunde“. Sie wirken auf der Bühne sehr stark und robust. Darf man fragen, ob auch Sie ein verletzlicher Mensch sind? Haben Sie Wunden?

ES Alles, auch Gitarre gespielt und gesungen. Ich habe auch diese Arbeit mit Leidenschaft getan, aber es waren harte Zeiten – und wer weiß, wo die Wunden noch verborgen liegen. Im Vergleich dazu fällt es mir heute schwer, von einem Job zu sprechen – es ist eher meine Freude. Ich bin glücklich, und das nicht nur an der Oberfläche. Ich schöpfe meine Energie aus der Familie, von der Opernbühne und aus meiner Charity-Arbeit. Wobei ich sagen muss: Diese Wohltätigkeit heilt nicht nur Wunden, sie kann auch welche öffnen. MJ Wie meinen Sie das?

ES Wunden? Habe ich wie jeder andere Mensch. Ich beschwere mich nicht, denn ich erlebe trotz allem so viel Glück. Ich habe in meinem Leben reichlich hart gearbeitet: Schon mit acht Jahre habe ich meinem Vater in seinem Restaurant geholfen, das war in den frühen 1980er Jahren in Uruguay. Ich habe viel geschuftet und jede Nacht nur vier oder fünf Stunden geschlafen.

ES Ich bin bei meinen Charity-Aktivitäten immer in toller Stimmung, weil ich mich freue, dass ich helfe. Es kann aber passieren, dass dabei alte Wunden aufgerissen werden – wenn ich Menschen begegne, die einen Teil meines Lebens widerspiegeln. Natürlich freue ich mich sehr, wenn es mir gelungen ist, für ein Projekt rund 100.000 Euro zu sammeln. Aber nach der Spendenübergabe gehe ich heim, und es leiden weiterhin unzählige Menschen Not.

MJ Was haben Sie getan? Abgewaschen, serviert?

Das Interview führte Christoph Irrgeher, seit 2004 Kulturredakteur bei der Wiener Zeitung.

Erwin Schrott, geboren in Montevideo / Uruguay, war 1998 erster Preisträger des Operalia-Wettbewerbs. Es folgten Debüts an allen großen Opernhäusern, u. a. am Teatro alla Scala in Mailand, an der Metropolitan Opera in New York, am Royal Opera House Covent Garden in London sowie bei den Salzburger Festspielen. Sein Repertoire umfasst Partien wie Banco (Macbeth), Procida (Les Vêpres siciliennes), Leporello und Don Giovanni (Don Giovanni), Mephisto (La damnation de Faust, Faust, Mefistofele) sowie die Titelpartien in Le nozze di Figaro und Attila.

Les Vêpres siciliennes Oper in fünf Akten Von Giuseppe Verdi Premiere am Sonntag, 11. März 2018, Nationaltheater STAATSOPER.TV Live-Stream der Vorstellung am Sonntag, 18. März 2018, auf www.staatsoper.tv Weitere Termine im Spielplan ab S. 89

Fotografie Clemens Fantur

München Residenzstrasse 6 089 238 88 50 00 Düsseldorf Girardet Haus Königsallee 27-31 0211 730 602 00 Frankfurt Grosse Bockenheimerstr. 13 069 219 96 700 Hamburg Neuer Wall 39 040 430 94 90 Wien Tuchlauben 8 01 535 30 53 Akris Boutique auf www.akris.ch

Siegfrieds Lindenblatt

Tom Callemin, Figure, 2013

Richard Wagner hat in Der Ring des Nibelungen ein grandioses Mythensampling betrieben. Siegfried hat darin sein Bad im Drachenblut eingebüßt – seine Verwundbarkeit erzählt sich neu. Gerade heute, wo Kraftmeierei das Gebot der Stunde zu sein scheint, könnte das Werk aktueller nicht sein.

Der Traum von Unverwundbarkeit und Unsterblichkeit ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Und doch erfreuen sich die Protagonisten jener großen Erzählungen, die seit Jahrtausenden zwischen Hoch- und Populärkultur weitergesponnen und variiert werden, kaum je dieser Eigenschaften. Die Literatur hätte zwar die Freiheit, unsterbliche und unverletzliche Helden zu schaffen. Der Preis dafür wäre jedoch hoch: kein geringerer als der Tod der Literatur selbst. Ob Achilleus’ Ferse, Samsons Haar, Baldurs Mistelzweig oder Supermans Kryptonit – was die Helden verletzlich und sterblich macht, hält die Literatur und ihre Geschichte am Leben. Erzählungen mit unverwundbaren, unsterblichen Helden wären ziemlich schnell ziemlich langweilig. Sie enthielten keine Spannung, wären nichts als – mit Paul Virilio gesprochen – rasender Stillstand. Nur wenn das Drachenblut eine kleine Stelle des Heldenkörpers nicht benetzt hat, schlägt das Publikum das nächste Kapitel auf. Verwundbarkeit und mehr noch Sterblichkeit von Heldenfiguren in der Literatur sind somit geradezu die Grundvoraussetzung für Fortbestand und Weiterentwicklung von Literatur als solcher. Rücken diese Eigenschaften in Texten in den Vordergrund, verweist die Literatur damit auch, ob freiwillig oder unfreiwillig, auf sich und die Bedingungen, unter denen sie möglich ist. Mit seiner Tetralogie Der Ring des Nibelungen ging es Richard Wagner nicht um Selbstreferenzialität in den Künsten und genausowenig um l’art pour l’art. Im Gegenteil, das Gesamtkunstwerk verstand er als Katalysator umfassender sozialer und politischer Veränderungen. Andererseits war Wagner eben auch kein Künstler, für

den das genuin Ästhetische nur ein austauschbares Instrument für einen nicht-künstlerischen Zweck war – ganz anders, als es sich heute mit Teilen der Socially Engaged Art und des sogenannten „Artivismus“, ein Kofferwort aus „Art“ und „Aktivismus“, verhält. Medium und Botschaft, Mittel und Zweck fallen in Wagners Kunsttheorien, etwa im Aufsatz Das Kunstwerk der Zukunft (1849–52), letztlich in eins. Die Existenz sollte künstlerisch und die Kunst existenziell werden. Insofern ist der Ring auch eine Verneigung vor den historischen Mythen als Erzählungen, die, wie der Philosoph Leszek Kołakowski in den 1970er Jahren schrieb, ein dem „realen Werden enthobenes Paradigma“ schaffen. Es ist dies ein Paradigma, dem es in der Realität des Lebens wiederum nachzueifern gilt – genau so konzipierte Wagner den Ring. Wenn man so will, sind Mythen Erzählungen, die der Faktizität unserer Existenz eine Wunde zufügen. Faktizität, das ist das bloß Gegebene, Vorhandene, Tatsächliche, Konkrete. Mythen ritzen die ledrige Haut des So-ist-es-halt, So-musses-sein und So-wird-es-immer-sein an. Das Blut, das aus diesem Riss rinnt, trägt mal den Namen „Möglichkeit“, mal den Namen „Hoffnung“, mal den Namen „Ideal“, mal den Namen „Utopie“. Ohne die Wunde des Mythischen erstickt das Leben im positivistischen Korsett von Notdurft und Zwang. Durch sie dringen irritierende Erreger in das Immunsystem der Rationalität ein und stimulieren es – wenig verwunderlich also, dass moderne Wissenschaftler wie Sir Isaac Newton zugleich religiös waren, oder dass sich viele zeitgenössische Unternehmenslenker für die „individuellen Mythologien“ (Harald Szeemann) sperriger, hermetischer Gegenwartskunst interessieren: keine

Der Ring des Nibelungen

Innovation ohne Irritation. Gesellschaften ohne Mythen sind Gesellschaften, die nurmehr den Ist-Zustand verwalten und früher oder später daran zugrunde gehen. Jene Gesellschaften aber, die, wie alle totalitären Systeme, den Mythos absolut setzen, sind ebenfalls dem Untergang geweiht. Wer den Mythos für die Realität hält, die er konterkarieren soll, hat etwas nicht verstanden. Er verwechselt, um im Bild zu bleiben, die Wunde mit der Haut, die sie versehrt. Kołakowski, ein geläuterter Marxist, warnte denn auch: „Der Mythos kann wuchern wie ein Tumor, er kann den Platz der positiven Erkenntnis anstreben, kann fast alle Kulturbereiche gewaltsam erobern und in Despotismus, Terror und Lüge ausarten.“ Wagners Anliegen war es, einer von Wissenschaft geprägten, als nurmehr profan und materialistisch empfundenen Welt die kontrafaktische Kraft des Mythos entgegenzusetzen. Dem exzessiven Mythensampling im Ring eignet jedoch eine derart starke intertextuelle Dichte, dass beides zugleich gegeben ist: zum einen ein Text, der immer auch von älteren Texten handelt und auf nachgerade proto-postmoderne Weise in ein Geflirr auf Zeichen verweisender Zeichen mündet. Zum anderen eine revolutionäre Botschaft, der die überbordende Ästhetik gewissermaßen als Camouflage dient. Ein zentrales Moment besagter Botschaft ist die Verwundbarkeit des ambivalenten Helden Siegfried, der somit zugleich die Literatur, den Mythos und die Revolution verkörpert. Ja, Wagner scheint in der Verwundbarkeit geradezu die Voraussetzung für seine Vision einer säkularen Apokalypse, das Kommen einer neuen, freien, anthropozentrischen Weltordnung, gesehen

zu haben. Er hätte darauf verzichten können, Siegfried sterben zu lassen, erlaubte er sich im Umgang mit den mythologischen Quellen doch ansonsten große Freiheiten. Doch paradoxerweise musste Siegfried sterben, um unsterblich zu werden. Nicht im physischen Sinne. Sondern im Sinne von Mythos und Kunst, die ja, zumindest für Wagner, auf das physische Leben zurückwirken und es fundamental transformieren sollten. Wie eingangs erwähnt, müssen die Helden in Texten sterben, damit neue Texte entstehen können. Texte sind für Wagner Taktgeber der Realität – so schließt sich der Ring. Vielsagend in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass der Komponist seine Siegfriedfigur im Rückgriff auf mythische Licht- und Sonnengötter entwickelte. So schrieb Wagner 1848 in seiner Studie Die Wibelungen: „Wie nun der Tag endlich doch der Nacht wieder erliegt, wie der Sommer endlich doch dem Winter wieder weichen muß, ist aber Siegfried endlich auch wieder erlegt worden; der Gott ward also Mensch, und als ein dahingeschiedener Mensch erfüllt er unser Gemüt mit neuer, gesteigerter

Teilnahme, indem er, als ein Opfer seiner uns beseligenden Tat, namentlich auch das sittliche Motiv der Rache, d. h. das Verlangen nach Vergeltung seines Todes an seinem Mörder, somit nach Erneuerung seiner Tat erregt. Der uralte Kampf wird daher von uns fortgesetzt.“ Da ist sie, die säkulare Apokalypse. The show must go on. „Der Gott ward also Mensch“ – eine Nähe zum Jesus-Mythos liegt hier auf der Hand. Jesus stirbt, wird unsterblich und erlöst damit die Menschen. Die Tatsache, dass er verwundbar ist, macht die christliche Heilslehre erst möglich. Wenig überraschend also, dass Wagners unveröffentlichter Dramenentwurf Jesus von Nazareth (1848/49) eine Vorstufe zum Ring ist. Beide Texte drehen sich um den typisch romantischen Topos des erkalteten Herzens in der frühkapitalistischen Moderne und die damit verbundenen politischen Debatten über die Eigentumsfrage. Der Sozialist und Anarchist, der Wagner in seinen jungen Jahren war, ließ sich für Jesus unter anderem von Michail Alexandrowitsch Bakunins Ruf nach dem „Weltenbrand“ und Pierre-Jo-

Fotografie Tom Callemin

Tom Callemin, Hole, 2015

seph Proudhons Diktum „das Eigentum ist der Diebstahl“ inspirieren. Er sah in Jesus nicht nur den Religionsstifter, sondern auch den Vorgänger des freien, sozialrevolutionären, ja antikapitalistischen Helden. Bevor Wagner sich auf den Ring konzentrierte, widmete er sich neben Jesus einer weiteren mythologischen Figur: Achilleus. Über ein paar Fragmente kam sein Dramenentwurf nicht hinaus. Doch auch Achilleus dürfte mit der Siegfriedfigur verschmolzen sein, eignet ihm doch ein ähnlich verwickeltes Schicksal, was Verwundbarkeit und Unsterblichkeit betrifft. Um den griechischen Heros unverwundbar zu machen, badet ihn seine Mutter Thetis in der Styx, dem Fluss der Unterwelt. Allerdings muss sie ihn dabei notgedrungen festhalten, weshalb eine Stelle seines Körpers, die Ferse, nicht vom imprägnierenden Wasser benetzt wird. Wie die Archäologin Lilian Balensiefen 1996 im Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts erläuterte, ist es seltsam, dass der sterbliche Achilleus das eigentlich todbringende Bad in der Styx überlebt. Daraus schließt Balensiefen: „Achill[eus] wird … unvollkommen unverwundbar, weil er im Grunde unsterblich ist.“ Das Bad in der Styx ist die „Probe auf seine Unsterblichkeit“. Balensiefen sieht hierin keinen unauflösbaren Widerspruch, sondern eine Form von Ausdifferenzierung: Achilleus’ Sterblichkeit ist physischer, seine Unsterblichkeit metaphysischer Natur – sterblich ist er als Mensch, unsterblich als Mythos. In Wagners Ring des Nibelungen ist Siegfrieds Verwundbarkeit eine Bedingung dafür, dass die alte Ordnung zusammenbricht, also stirbt, und ein neuer Mythos – Wagners eigener Mythos – entstehen

Also muss er gemeuchelt werden – was denn auch geschieht. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Veränderungen in der politischen Großwetterlage gewinnt die Bedeutung der Verwundbarkeit im Ring eine neue Aktualität. Der Ring ist für unsere Zeit nicht dahingehend relevant, dass wir uns angesichts reaktionärer, populistischer Hetze oder allumfassenden Konsumismus’ auf den utopisch-idealistischen Überschwang Wagners besinnen und von einer gänzlich neuen Welt träumen, ja die alte in Flammen setzen sollten. Wie Kołakowski treffend bemerkte, stammt „im Punkte der Explosion, die das

Tom Callemin, Circular ruins (details), 2017

kann. Anders als es im Nibelungenlied der Fall ist, lässt Wagner seinen Siegfried nicht im Drachenblut baden. Das wäre wohl zu viel des Magischen für die säkulare Moderne. Stattdessen erlernt Siegfried spontan die Sprache der Vögel, was zwar ähnlich mirakulös erscheint, von Wagner aber als Hinweis auf die Naturwüchsigkeit seines Helden gemeint gewesen sein dürfte. Wie dem auch sei: (Fast) unverwundbar ist Siegfried nur deshalb, weil seine menschliche und natürliche Kraft und Tapferkeit, beflügelt von der Liebe Brünnhilds, so stark ausgeprägt sind. Im Kampf kehrt er seinen Gegnern nie den Rücken zu.

Text Jörg Scheller

Erbe zu sprengen scheint, … der Sprengstoff immer schon aus ererbten Beständen.“ Auch wäre es zu billig, im Geiste Wagners „das Scheitern einer durch Politik, Macht und Geld ruinierten Welt“ (Sven Friedrich) herbeizusehnen. Denn was kommt danach? Allzu oft hat die Geschichte gezeigt, dass von hehren Idealen getriebene Revolutionäre die Realpolitik auch nicht besser meistern als ihre verfemten Vorgänger. Nein, der Ring ist deshalb so aktuell, weil vielerorten ein äußerst fragwürdiges Bedürfnis nach Perfektion und Unverwundbarkeit wächst. Zahlreiche Nationalstaaten, die sich in den letzten Jahrzehnten geöffnet hatten, beginnen wieder, sich einzuigeln und die Freiheit auf dem Altar vermeintlicher Sicherheit zu opfern. Auf den Bühnen der Politik reüssieren starke Männer und Frauen, die nicht mit überzeugenden Argumenten, sondern mit Erzählungen von Härte und Unbezwingbarkeit wuchern. In den Warensortimenten wimmelt es von Produkten, die unsere Immunsysteme stärken und uns, gleichsam wie einst das Drachenblut, gegen die Fährnisse des modernen Lebens imprägnieren sollen. Der Perfektionsdruck, vor allem was das Aussehen und die Leistung in der Arbeitswelt betrifft, wächst und zeitigt die bekannten psychischen Folgen. Hatte die Postmoderne ein fragmentiertes, ambivalentes Verständnis von Identität vertreten, so gewinnt nun das Bedürfnis, wehrhaft, stark, stolz und selbstidentisch zu sein, an Attraktivität. Die Anhänger der neuen Kulte der Stärke erinnern an Siegfried, benebelt von Hagens Vergessenstrank: Sie wiederholen die Fehler der Vergangenheit, um die Probleme der Gegenwart zu lösen. Doch nicht der Glaube an die eigene Stärke, sondern die Einsicht

Die Anhänger der neuen Kulte der Stärke erinnern an Siegfried, benebelt von Hagens Vergessenstrank: Sie wiederholen die Fehler der Vergangenheit, um die Probleme der Gegenwart zu lösen. in die eigene Verwundbarkeit ist die Grundvoraussetzung für gelingendes individuelles wie auch kollektives Leben. Es ist bezeichnend, dass Wagner seine Heldenfigur gleich mehrfach verletzlich und ambivalent gestaltet – er nimmt ihm nicht nur den Körperpanzer aus älteren Heldensagen, er zeigt ihn auch als Halbstarken, Naiven, Berauschten und Manipulierten, der unter dem Einfluss von Hagens sinistrem Zauberpunsch seine Liebe zu Brünnhilde vergisst. Doch ist eine neue, bessere Zeit wirklich nur durch den Meuchelmord an einem naiven, kraftmeierischen Helden und den Suizid seiner Geliebten möglich, wie Wagner nahelegt? Es wäre nicht zu wünschen, ja entschieden abzulehnen. Weltenbrände, die die Welt erlösen sollen, hat die Welt zur Genüge erlebt. Ziel müsste es eher sein, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Denkt Wagner Politik vom Ausnahmezustand und vom einmaligen, geradezu mystischen Ereignis her, so wäre aktuell, angesichts global wachsender Eskalationspotenziale, an Bazon Brocks Verteidigung des Normalzustands (2006) zu erinnern: „Heroen der Zivilisation gelingt es, dafür zu sorgen, dass nichts Entscheidendes geschieht. Was wir retten sollten, ist die Rettung der Ereignislosigkeit in einer Zeit, wo jeden Tag rund um die Uhr jeder Fernsehsender, jede Hochschule,

jedes Theater das gesamte lebendige Dasein der Menschen als ereignishaft vermarktet.“ In den Nischen der popkulturell-konsumistischen Gesellschaft des Spektakels, die Brock hier beschreibt, führt der Ring mittlerweile ein eigenes Nachleben. Die den Ring kennzeichnende Gleichzeitigkeit von Apokalypse und hoffnungsvollem Neubeginn, Tapferkeit und Verwundbarkeit, Spektakel und Avantgarde bildet dabei weiterhin den basso continuo. So heißt es im endzeitlich gestimmten Song From Flood into Fire (2012) von Kreator, einer der ältesten deutschen Metalbands: „I don’t know if I can trust you / All I know is that I cannot trust myself / Let’s face our imperfections now to connect / Capitulation deserves no respect / Let us be a part of the cure / Never part of the plague / We’ll only be remembered for what we create.“ Erst die geteilte Erkenntnis der eigenen Verwundbarkeit und Unvollkommenheit ermöglicht hier Gemeinschaft und Neuerung. Gleichzeitig besingt die aus der linken Szene stammende Band ein Szenario mit Flut und Feuer, raunt von „letzten Worten“, beschwört die „Musen der Unterwelt“. Das tönt ziemlich wagnerianisch – bezeichnenderweise wimmelt es im Genre des Heavy Metal im Allgemeinen nur so von Bezugnahmen auf Wagner wie auch von Versatzstücken aus diversen

mythologischen Quellen. Und ähnlich wie in Wagners Gesamtkunstwerk ist die Ästhetik des Heavy Metal ein integraler Teil der Botschaft, nicht nur deren Vehikel. Darüber hinaus zeichnet sich Heavy Metal durch starke Intertextualität und Selbstreferenzialität aus, wird im Genre doch beständig auf das Genre selbst Bezug genommen. Dass sich Metal-Musiker heute nicht mehr nur stark, unbezwingbar und selbstidentisch zeigen, was anfänglich noch der Fall war, ist ein positives Zeichen. Bäder in Drachenblut haben sie, wie Wagners Siegfried, nicht mehr nötig. Dass aber Neuerung nur durch Ausnahmezustände und Untergänge möglich sei, ist durch die kontinuierlichen, mannigfaltigen Metamorphosen des Genres empirisch widerlegt worden. Metal ist eher Evolution als Revolution. In dieser Hinsicht weist er über Wagner hinaus. Mehr über den Autor auf S. 24

Der Ring des Nibelungen Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend. Von Richard Wagner Die beiden Zyklen von Der Ring des Nibelungen im Januar / Februar 2018 sind ausverkauft, aber die Tetralogie wird bei den Münchner Opernfestspielen 2018 nochmals gespielt. Bestellungen (nur im Paket) sind noch bis 31. Januar 2018 möglich. Das Rheingold Freitag, 20. Juli 2018 Die Walküre Sonntag, 22. Juli 2018 Siegfried Dienstag, 24. Juli 2018 Götterdämmerung Freitag, 27. Juli 2018

von Richard Strauss / Hugo von Hofmannsthal erzĂ¤hlt von Jan Robert DĂźnnweller

Marie Theres’, die Feldmarschallin, und der junge Octavian am Morgen ...

Niemand kennt dich so wie ich, keiner ahnt wie du bist!

Ich weiß es nicht ... Zieh dir besser was an!

Was will der hier? Schnell, versteck dich! Er darf uns nicht zusammen sehen!

Dein Mann?

Es ist mein Vetter, der Baron Ochs von Lerchenau ...

Ha, ha ... Na gut, aber beeil dich. Er ist schon bei der Tür!

Was machst du?

Ich verkleide mich als deine Kammerzofe. So schöpft er keinen Verdacht.

Lasst ihn rein! Hallo Vetter ...

Hmm ... Nicht schlecht. Du würdest mir gefallen! Na, bist du noch zu haben?

Das ist das Mariandl, meine Kammerzofe. Sie wollte sich gerade verabschieden.

Bleib unbedingt.

Hallo, meine Liebe. Wer ist denn die da?

Ich werde heiraten. Ein blutjunges Ding, reich ... Werde gut bezahlt für meinen Namen. He he. Ich komme zu dir, um dich um einen Rosenkavalier zu bitten. Du weißt ja, der Pöbel steht auf so alberne Rituale ...

Wunderbar!

Komm mal her! Nicht so schüchtern.

Ochs, lass sie in Ruhe! Komm, setz dich! Wieso besuchst du mich?

Einen Rosenkavalier? Das hätte ich dir gar nicht zugetraut... Wie wärs mit dem Octavian, meinem jungen Vetter? Ich schicke ihn morgen zu deiner Braut.

Vielen Dank, meine Liebste! Bis bald.

Als Octavian umgezogen zurückkehrt, findet er die Marschallin in Gedanken ...

Die Zeit, die ist ein sonderbar‘ Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie. Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen. Und zwischen mir und dir, da fließt sie wieder, lautlos, wie eine Sanduhr. Heut oder morgen geht er hin, und gibt mich auf um einer andern willen, die jünger und schöner ist als ich.

Lieber Octavian, geh jetzt bitte! Lass dir die Rose mitgeben und bring sie morgen der Braut.

Da geht er hin, der aufgeblasne schlechte Kerl, und kriegt das hübsche junge Ding und einen Pinkel Geld dazu. Als müsst‘s so sein. Und bildet sich noch ein, dass er es ist, der sich was vergibt. Was erzürn’ ich mich denn? ’s ist doch der Lauf der Welt.

Niemals!! Was ist los mit dir? Wieso quälst du dich und mich?

So fährt Octavian am nächsten Tag zu Sophie.

Sofort fühlt er sich angezogen von ihrer Schönheit.

Ihre Blicke treffen sich und für einen Moment sind beide verlegen still.

Als ihr Octavian die Rose überreicht und Honneurs überbringt, dreht sich Sophie weg.

Ich ... Das tut mir leid ... Wie kann ich dir helfen?

Ich werde einen heiraten, den ich nicht kenne ... Einen groben Kerl. Nur wegen des Geldes.

Er greift nach ihrer Hand. Als sie sich umdreht, sind sie sich ganz nah.

Da taucht plötzlich Ochs auf ...

Oha ... Wie süß.

Schon bald wird sie nur noch einen küssen!

Wir zwei ... Ich werd‘ dein Ein und Alles sein. Mit mir wird dir keine Nacht zu lang!

Lass sie los!

Am Arm verletzt, liegt Ochs geschlagen am Boden. Entsetzt fordert Sophies Vater Octavian auf, zu verschwinden.

Kurz nachdem Octavian gegangen ist, erreicht Ochs eine Nachricht.

Ich lassâ&#x20AC;&#x2DC; mir was einfallen.

VerfĂźhrerisch wird Ochs von Mariandl im Hinterzimmer einer Bar empfangen.

Die Abwechslung mit dir tut mir gut ... trink noch was.

Nach unserem letzten Treffen wollte ich dich unbedingt wiedersehen.

Nur ein Kuss ...

He, he ... Komm doch mal nĂ¤her.

Du siehst jemandem ähnlich ... einem verfluchten Kerl.

Aus dem Dunkel lösen sich Gestalten, die Ochs umkreisen.

Wer ist das? Gespenster?

Stimmen murmeln: „Was machst du mit der fremden Frau? ... Ehebrecher, Fremdgeher ... “ Verschreckt und verwirrt von dem Spuk schreit Ochs um Hilfe. Die Tür bricht auf und die Polizei, begleitet von einer Meute Schaulustiger, stürmt herein. Kurz darauf auch Sophie und ihr Vater. Schließlich auch die Marschallin ...

Es ist aus. Verschwinde!

Der Baron versucht sich zu erklären, doch er ist blamiert.

Die Marschallin fordert ihn auf, sein Ende einzusehen.

Zum ersten Mal sieht die Marschallin Octavian und Sophie zusammen.

Marie Theres‘!

Lass‘ mich doch erklären ... Es ist nicht so ... Wir...

Ich hab‘ schon verstanden. Geh‘ und mach‘ deinen Hof.

Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir zwei beieinander sein, beieinand‘ für alle Zeit und Ewigkeit!

Mit ihr wird er glücklich sein. So wie halt die Männer das Glücklichsein verstehen.

LUNEA Komposition, Musikalische Leitung: Heinz Holliger Inszenierung: Andreas Homoki Mit Christian Gerhaher Uraufführung 4 März 2O18

W W W.OPER NHAUS.CH/LUNEA

„Im besten Fall atmen Julia und ich im gleichen Takt“ Musik ist die Königin der Künste – und vielleicht auch der Kommunikation? Ein Gespräch zwischen der Geigerin Julia Fischer und dem Cellisten Daniel Müller-Schott, die mit dem Bayerischen Staatsorchester und Kirill Petrenko Brahms’ Doppelkonzert spielen.

4. Akademiekonzert

Bayerisches Staatsorchester

Julia Fischer und Daniel MĂźller-Schott

MAX JOSEPH Spüren Sie, wenn Sie mit einem anderen Menschen Musik machen, wie es ihm geht?

spielt, erklärt er mir auf emotionaler Ebene, wie es ihm geht. Ich muss mich gar nicht anstrengen, das zu dechiffrieren, es geht automatisch.

JULIA FISCHER Natürlich. MJ Können Sie das genauer erklären? JF Nein. DANIEL MÜLLER-SCHOTT Es ist schwer zu beschreiben, es hat mit Energie zu tun. MJ Wie weit geht das? Spürt man eher schlechte Laune oder auch existenzielle Probleme? DMS Man spürt alles, weil man als Musiker so geschult ist, feinste und hinterste Winkel auszuloten. In der Musik geht es ja in letzter Konsequenz darum, hinter die Noten und hinter den Text zu schauen, um Momente der Wahrhaftigkeit zu entdecken, unweigerlich blickt man dabei auch hinter die Fassade eines Menschen. JF Ich habe mal nach dem Tschaikowsky-Violinkonzert die Sarabande von Bach als Zugabe gespielt. Nachher kam der Fagottist des Orchesters zu mir, mit dem ich noch nie zuvor gesprochen hatte, und fragte: „Sag mal, geht´s dir gut? Das klang so unglaublich traurig.“ Er lag richtig.

MJ Sind Sie auf der Bühne eher verletzlich oder im Gegenteil besonders geschützt, durch die Musik oder auch die Distanz zum Publikum? DMS Es wechselt. Manchmal fühle ich mich komplett ungeschützt, beispielsweise wenn es gesundheitlich nicht gut geht, und doch muss ich meine Seele offenlegen, obwohl ich mich am liebsten verkriechen würde. Ironischerweise kann gerade dann ein wunderbares Konzert entstehen, weil eine Spannung da ist, ein Kontrast aus Nicht-Wollen, aber Müssen. An anderen Tagen gehe ich auf die Bühne und möchte alles teilen, was ich in mir fühle. Ich bin ganz offen und frei, und Sie ahnen es, auch dann kann ein tolles Konzert entstehen, nur eben ein anderes. JF Ich versuche inzwischen konsequent zu vermeiden, mit Leuten zu musizieren, die ich nicht mag. Ich glaube, man kann musikalische und menschliche Sympathie nicht wirklich trennen, ich kann es zumindest nicht. Es funktioniert einfach nicht, seine Seele zu öffnen und gleichzeitig neben jemandem zu stehen, den man nicht leiden kann.

können. Das ist schöner und reizvoller als mit jemandem zu spielen, den man weniger gut kennt. JF Ich glaube, wir haben dieses Stück vor 15 Jahren das erste Mal gespielt, seitdem ist interpretatorisch viel passiert, wir haben diskutiert, überlegt, manches verändert, haben es mit verschiedenen Dirigenten und Orchestern gespielt, das Werk wächst außerhalb der Bühne mit uns mit. Das zu erleben, empfinde ich als großes Privileg. MJ Ist es heilsam, bildet es vielleicht sogar den Charakter, wenn man hin und wieder nicht allein im Mittelpunkt steht? DMS Auf jeden Fall. Wir machen ja beide viel Kammermusik, da lernt man zuzuhören und sich zurückzunehmen, denn ohne geht es nicht. Das ist übrigens auch bei einem Solokonzert wichtig: dass man mit jedem Orchestermusiker, der gerade ein Thema spielt, kommuniziert. Diese Sensibilität muss man schulen und schärfen: An welchen Stellen muss ich zuhören, an welchen muss ich erzählen, an welchen muss ich vorangehen, an welchen mich zurücknehmen? MJ Gehen Sie dann bei Brahms‘ Doppelkonzert schon mit einer weniger narzisstischen Haltung auf die Bühne?

MJ Woran konnte er das erkennen? JF Vielleicht ist es für jemanden, der nicht Musik macht, schwer nachvollziehbar, aber wenn Daniel auf der Bühne ein Thema spielt, ist das für mich, als würde er sprechen. Nehmen Sie einen ganz trivialen Satz wie „Es geht mir gut“. Verbal kann man so einen Satz auf Dutzende verschiedene Arten sagen, euphorisch, ironisch, schelmisch, melancholisch. Und wenn Daniel Cello

MJ Sie stehen beide seit Jahren als Solisten auf den wichtigsten Bühnen der Welt. Was bedeutet es Ihnen, wenn Sie – wie bei Brahms‘ Doppelkonzert – zu zweit im Rampenlicht stehen: eine schöne Abwechslung oder mehr? DMS Definitiv mehr. Wir sind seit 20 Jahren gut befreundet, dadurch entsteht ein ganz anderes Musizieren, weil wir auf gemeinsame Erfahrungen zurückgreifen

Brahms’ Doppelkonzert

DMS Ich glaube nicht. Wir haben ohnehin beide eine gesunde Grundhaltung, weil wir immer die Musik ins Zentrum stellen. Wir empfinden uns als Advokaten des Komponisten. JF Insofern ist Brahms‘ Doppelkonzert die Königsdisziplin, weil wir gleichberechtigte Solisten sind. Zwischen uns muss klar sein: Wann führen wir gemeinsam, wann streiten wir, wann unterstützen wir den

anderen? Und dann müssen wir das alles noch aufs Orchester transportieren. Man könnte von einer Vollendung aller möglichen Disziplinen sprechen, von einem Spiegel des Lebens und ja, natürlich ist das charakterbildend, denn all diese Fähigkeiten machen den Menschen aus. DMS Es entsteht eine unglaubliche Mischung aus Konzentration und Freiheit. Man bereitet sich wochenlang auf diesen Moment vor und dann, sobald er da ist, spürt man die Bereitschaft loszulassen, Dinge auszuprobieren, spontan zu sein. Im besten Fall atmen Julia und ich im gleichen Takt, jeder antizipiert, wie der jeweils andere diese Stelle, die gleich kommt, spielen wird ... JF ... und kann schon darauf reagieren, bevor der andere sie überhaupt gespielt hat. MJ Kann es nicht auch gefährlich sein, wenn man mit einem Freund auf der Bühne steht? Im Leben geht man gerade mit den Menschen, die einem am nächsten stehen, oft nachlässig um. JF Dafür sind wir zu professionell. DMS Und zu kritisch. Wir sagen uns sehr direkt, was wir von einer Sache halten. JF Und der andere nimmt die Kritik auch an. Also das war wirklich nie ein Thema zwischen uns. MJ Wenn Sie als Geigerin und Cellist zusammen auf der Bühne stehen, wenn Sie aufeinander reagieren, teils zusammen die gleichen Noten spielen – empfinden Sie das als Gespräch?

JF Es gibt diesen Satz, dass man in der Musik nicht lügen kann. Er stimmt. Man kann, ja muss sich musikalisch auf einer wahrhaftigeren Ebene unterhalten, weil es nicht möglich ist, sich zu verstellen, drum herum zu reden oder eine Maske aufzuziehen. Würde man es tun, könnte die Musik sich nicht mehr transportieren. Man kann nicht anders als direkt, offen und ehrlich sein, übrigens trifft das auch auf ein echtes Gespräch zu, es gibt nur sehr wenige davon. Wenn ich mit fremden Musikern spiele, habe ich oft nach der ersten Probe das Gefühl, dass wir uns seit Jahren kennen. Das liegt daran, dass Musik direkte Kommunikation ermöglicht. MJ Wie schützen Sie sich auf der Bühne vor Verletzungen? JF Naja, gar nicht eben. Wenn man in einer Beziehung immer kontrolliert bleibt, klappt es auch nicht. Man muss bereit sein, sich verletzen zu lassen und darauf vertrauen, dass es nicht passiert. DMS Wenn ich spüre, dass ein Musiker in einer schwierigen Lebenssituation steckt, kann ich, auch wenn ich ihn nicht so mag, über meinen Schatten springen und versuchen, einen Schritt auf ihn zuzugehen. Das macht Musik ja so mächtig. Sie kann bewirken, dass man für zwei Stunden zusammenfindet und auf einer gemeinsamen Ebene miteinander kommuniziert. JF Du versuchst wirklich jedem die Hand zu reichen, egal wie aussichtslos die Lage ist, ich gebe früher auf und bin da strenger.

JF Es ist schöner und intensiver als ein Gespräch. Zusammen Musik machen, das ist zu hundert Prozent emotional.

MJ Wie intensiv spüren Sie Verwundung des Komponisten?

MJ Sie meinen: ohne Umweg über die Sprache?

JF Das Faszinierendste an Musik ist für mich, dass die Zeit ausgeschal-

tet wird und es einen Moment gibt, in dem der Komponist lebendig wird und ich mit ihm sprechen kann. Ich habe das Gefühl, dass ich diesen Menschen kenne, obwohl er seit 100 Jahren tot ist. Das ist der Unterschied zwischen Kunst und Unterhaltung, deswegen bleibt sie über Jahrhunderte lebendig, während Unterhaltung ganz kurz sehr populär ist und dann vergessen wird. DMS Und an diesem Vorgang kann jeder teilhaben, das ist doch wunderbar. MJ Gibt es einen Komponisten, bei dem diese Verbindung besonders stark ist? JF Schostakowitsch zum Beispiel. DMS Oder auch Schubert. Bei Brahms ist es ein bisschen komplizierter, weil er sehr streng mit sich war und die Musik eine ganz eigenwillige Architektur hat. Trotzdem gibt es Momente von unglaublicher Schönheit, die mich zu Tränen rühren. MJ Wie schaffen Sie es, auf eine Bühne hinauszutreten und ein Konzert vor 2.000 Menschen zu spielen, wenn Sie verzweifelt sind? Weil Sie vielleicht Probleme in der Beziehung haben oder ein naher Mensch verstorben ist? DMS Genau in solchen Situationen tröstet mich die Musik, weil man mit etwas Göttlichem, Spirituellem in Verbindung treten kann. Ich weiß, das klingt pathetisch, und doch empfinde ich es so, man erreicht einen inneren Zustand, ein Bewusstsein, das ich im Alltag in dieser Form nicht finden kann. JF Es erfordert schon Disziplin, man muss ja erst mal wohin reisen, vielleicht umsteigen, in ein Hotel einchecken, proben und so weiter, aber sobald man auf der Bühne steht und spielt, ist das ein Trost, ja, so empfinde ich es auch.

Interview Tobias Haberl

„Nach einer Sarabande als Zugabe kam einmal der Fagottist des Orchesters zu mir, mit dem ich noch nie zuvor gesprochen hatte, und fragte: ‚Sag mal, geht´s dir gut? Das klang so unglaublich traurig.‘“ MJ Und wenn man dann eine besonders heitere oder überschwängliche Musik spielen soll? DMS Darüber denke ich nicht nach. Ich bin einfach nur fokussiert und versuche, mir meinen Weg heraus aus dem dunklen inneren Tunnel zu bahnen. Wenn man es schafft, sich von der Kraft der Musik tragen zu lassen, fühlt man sich unendlich viel stärker danach. Musik kann eine unglaubliche Lebenshilfe sein. MJ Wie verletzlich sind eigentlich Ihre Instrumente? JF Wie meinen Sie das? MJ Es gibt inzwischen Akupunktur für Geigen. JF Okay, das ist ein Thema für dich, Daniel. MJ Weil Sie eher ein pragmatisches Verhältnis zu Ihrer Geige haben? JF Ja. MJ Aber Sie haben doch mal gesagt, dass Sie gern mit Ihrer Geige verheiratet sind und keine Affären mit anderen nötig haben. JF Oje, das hängt mir immer noch nach. DMS Naja, du liebst deine Geige schon sehr, Julia. JF Okay, ich liebe sie, aber ich horche

nicht jeden Tag nach, wie es ihr geht. DMS Ich mache das schon. Für mich ist das Cello wie ein Familienmitglied. JF Stimmt, ich bin im Jahr so oft beim Geigenbauer wie du beim Cellobauer in einem Monat. DMS Das stimmt wohl, ich war tatsächlich erst gestern wieder da. Mich fasziniert dieser unglaubliche Facettenreichtum, den ein Instrument haben kann. Ich habe mein Cello seit elf Jahren, und es ist heute ein völlig anderes Instrument als damals. Es ist fast 300 Jahre alt und jeder, der es gespielt hat, hat seinen Charakter, sein Gefühl und seine Lebenskraft in dieses Holz einfließen lassen. Jeder hat es geprägt und beeinflusst und verändert. Und jetzt liegt es an mir, meine Spuren zu hinterlassen. MJ Das klingt nach einem metaphysischen, fast mystischen Vorgang. JF Das ist nicht metaphysisch, sondern eine Tatsache. Holz ist ein lebendiges Material, deswegen klingen alte Instrumente, die viele Erfahrungen gemacht haben, anders als neue, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben. Ich spüre sofort, wenn jemand anderes meine Geige gespielt hat, und wenn es nur drei Töne sind. Ich weiß noch, wie ich mal von der Schule nach Hause kam, meine Geige nahm und nach fünf Sekunden merkte, da stimmt

Fotografie Fritz Beck

was nicht. Ich war erst zwölf Jahre alt, aber es stimmte: Ein Kollege meiner Mutter war zu Besuch gewesen und hatte sie kurz ausprobiert. MJ Sie haben im Gegensatz zu fast allen Geigerinnen und Geigern keinen Geigerfleck am Hals. Warum? JF Ach, das liegt an meiner Haut, da habe ich einfach Glück gehabt, ich spiele auch sehr unverkrampft, sehr locker. MJ Gehören Ihnen Ihre Instrumente eigentlich? DMS Ja, ich wollte mich nie auf eine Stiftung verlassen, die von heute auf morgen sagen kann: „So, das war´s, vielen Dank, das Cello geht an jemand anderen.“ Ich kenne Musiker, die das erlebt haben und vollkommen verzweifelt waren. MJ Eine teure Angelegenheit, wenn man weiß, wie astronomisch hoch die Summen für alte Instrumente sein können. JF Wir haben beide unsere Honorare der ersten Jahre gespart und standen dann vor der Entscheidung: Instrument oder Haus. Wir haben uns beide für das Instrument entschieden. MJ Wie viele Konzerte spielen Sie im Jahr?

JF Seitdem ich Mutter bin, ungefähr 50. DMS Bei mir sind es zwischen 80 und 100. MJ Auch Sportler und Unternehmensberater sind viel unterwegs, aber kaum jemand hat diesen Reisestress und muss sofort vor fremden Menschen seine Seele auf den Tisch legen. Wie gehen Sie damit um? DMS Das beste Rezept gegen Jetlag ist, wenn man sofort nach dem Flug in den Konzertsaal fährt und anfängt zu proben. Gleich loslegen, nicht zu viel nachdenken.

Tobias Haberl gehört zur Redaktion des SZ-Magazins und hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt als Co-Autor mit Heidi Benneckenstein Ein deutsches Mädchen: Mein Leben in einer Neonazi-Familie.

Julia Fischer, geboren in München, wurde im Alter von neun Jahren als Jungstudentin an der Hochschule für Musik und Theater München bei der Violinpädagogin Ana Chumachenco aufgenommen, mit 20 Jahren trat sie mit Lorin Maazel in der New Yorker Carnegie Hall auf. Drei Jahre später wurde sie Professorin für Violine. Sie gastierte als Solistin bei zahlreichen internationalen Orchestern und Festspielen, u. a. bei den Wiener Philharmonikern und den Berliner Philharmonikern. 2011 gründete sie das Julia Fischer Quartett, außerdem tritt sie regelmäßig als Pianistin auf. Im Herbst 2017 schlug sie mit der Gründung des JF CLUB, einer eigenen digitalen Plattform, einen neuen Weg für ihre Einspielungen ein.

Daniel Müller-Schott konzertiert mit den philharmonischen Orchestern von New York, Chicago, Los Angeles und San Francisco, mit den Berliner Philharmonikern, dem Gewandhausorchester Leipzig und dem London Symphony Orchestra. Besonders wichtig ist ihm die Entdeckung unbekannter Werke; Sir André Previn und Peter Ruzicka haben ihm Cellokonzerte gewidmet. Als Kammermusikpartner arbeitet er u. a. mit Renaud Capuçon, Julia Fischer, Igor Levit und Lauma und Baiba Skride. Im Alter von 15 Jahren gewann Daniel Müller-Schott den Internationalen Tschaikowski Wettbewerb für Junge Musiker 1992 in Moskau, er studierte bei Walter Nothas, Heinrich Schiff und Steven Isserlis und, durch die Förderung von Anne-Sophie Mutter, ein Jahr lang bei Mstislaw Rostropowitsch.

4. Akademiekonzert Johannes Brahms – Konzert für Violine und Violoncello a-Moll op. 102 Peter I. Tschaikowsky – Manfred-Symphonie op. 58 Musikalische Leitung: Kirill Petrenko Violine: Julia Fischer Violoncello: Daniel Müller-Schott Montag, 19. März 2018 Dienstag, 20. März 2018 Nationaltheater Samstag, 24. März 2018 Gastspiel in Hamburg, Elbphilharmonie Mittwoch, 28. März 2018 Gastspiel in New York, Carnegie Hall Siehe auch Spielplan ab S. 89

Nobuyoshi Araki, Ohne Titel, 1971, aus: Tokyo, 1973, Silbergelatineabzug, je ca. 8,5 × 13 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne, 2004 erworben von PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne. © Nobuyoshi Araki

ARAKI. TOKYO

26. OKTOBER 2017 – 04. MÄRZ 2018 PINAKOTHEK.DE

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Die Wunden der anderen Wie es ist, fremde Wunden zu zeigen. Ein Journalist berichtet.

Jordanna Kalman, Invisible

Von der Frau, in deren Wohnung ich in zwei Stunden sitzen werde, weiß ich fast nichts. Nur dass ihr Mann sie vergewaltigt hat. Eine gemeinsame Bekannte hat den Kontakt zwischen uns hergestellt. Im Zug sitzend versuche ich, sie mir vorzustellen, vergeblich. Einigermaßen hilflos werde ich in das Gespräch gehen, mit wenig mehr als meinem Interesse. Um meine Ratlosigkeit zu bannen, schreibe ich ein paar Fragen auf einen Zettel: Was ist Ihr Mann für ein Mensch? Wann haben Sie ihn kennengelernt? Was hat Ihnen an ihm gefallen? Wie ging Ihre Geschichte weiter? Lieben Sie ihn noch? Einige dieser Fragen sind eine Zumutung. Die wichtigsten Fragen sind fast immer eine Zumutung. Ich weiß nicht, ob ich es übers Herz bringen werde, sie heute zu stellen. Ich klingle. Eine muntere, patente Frau in ihren Dreißigern öffnet, nennen wir sie Frau Aschner. Sie bittet mich herein. Ob ich gut hergefunden habe? Während wir an den Fotos von ihrem Mann, die im Flur hängen, vorbeigehen, erzählt sie vom Fußballverein, von Ausflügen ins Grüne, vom Wetter. Ich bin ihr dankbar, dass sie keine Stille aufkommen lässt. Ich sollte eigentlich ihre Beklemmung vertreiben, nicht sie meine. Wir setzen uns. Sie sieht mich an. Wann geht’s los?, scheint ihr Blick zu fragen. Jetzt. Ich lege meinen Zettel auf den Tisch. „Ich habe ein paar Fragen aufgeschrieben, aber am liebsten wäre mir, wenn Sie einfach erzählen“, sage ich, schalte das Aufnahmegerät ein und schweige fortan die meiste Zeit. Ich bin Sozialjournalist. Menschen nach ihrer Geschichte zu fragen, das ist mein Beruf. Ich beschreibe, was das Leben ihnen vor die Füße wirft und vor allem, wie sie damit umgehen. Mein Thema sind nicht Unglück und Verbrechen, sondern Überlebensweisen. Ich führe kein Interview, ich suche ein Gespräch. Ein Interview wird „geführt“ beziehungsweise „gegeben“. Es ist eine asymmetrische Art der Kommunikation, bekannt aus mündlichen Prüfungen, Krankenhaus-Visiten oder Vorstellungsgesprächen. Deshalb mache ich meinen Protagonisten zu Beginn einen Vorschlag: Ich darf fragen, was ich will, aber Sie sind mir keine Antwort schuldig, einverstanden? Manchmal wundere ich mich, dass die Menschen mit mir reden. Dabei ist der Grund einfach: Sie zeigen mir ihre Wunde, damit diese Wunde endlich jemand sieht. Natürlich steckt auch manchmal Kalkül dahinter. Wie bei dem Vater, der hoffte, durch meine Berichterstattung seinen Sohn wiederzubekommen, den seine Frau vor ihm versteckte. Ständig erklärte er mir, was

Text Andreas Unger

ich wie schreiben solle. Ich mag es nicht, aber verurteile es nicht, wenn jemand versucht, mich vor seinen Karren zu spannen. Ich darf nur nicht zulassen, dass es ihm gelingt. Schwierig wird es, wenn ich einen Protagonisten gar nicht leiden kann oder im Gegenteil sehr mag. Wenn ich meine Sympathie nicht in den Griff bekomme, entsteht ein Rührstück. Wenn mich Antipathie leitet, werde ich ungerecht. Spätestens beim Aufschreiben oder im Schnitt muss ich ganz vorsichtig mit meinen Gefühlen umgehen. Es geht nicht um mich, sondern um mein Gegenüber. Zur Vertrautheit muss die Fremdheit kommen, zum empathischen Verständnis das kalte Verstehen der Zusammenhänge. Im Anfang war das Wort, mit diesem Satz beginnt das Johannes-Evangelium. Kein Wille, keine Idee oder Tat. Es erinnert mich daran, wie irrsinnig vorsichtig ich sie setzen sollte, meine Worte. Und wie viel mit jedem Wort gesagt ist. Wie zum Beispiel nennt Frau Aschner den Mann, der sie vergewaltigt hat? „Mein Mann“ oder „mein Ex-Mann“, „Hubert“ oder „der Herr Schwarz“? All diese Namen gibt sie ihm, sie wirft sie wild durcheinander. „Wenn ich erst den Namen kenne, bringt dies Gift mich nicht mehr um“, singt Hannes Wader. Frau Aschner sucht noch nach dem richtigen Namen. Einige Stunden später sage ich Danke, schalte das Aufnahmegerät aus und schaue auf den Zettel mit den Fragen. Fast alle hat sie angesprochen, sie brauchte mich kaum dafür. Und für die anderen ist heute nicht die richtige Zeit. Ich werde Frau Aschner noch einmal besuchen. Zurück am Schreibtisch fühle ich mich wie ein blutiger Anfänger. Ich weiß nicht, was ich wie aufschreiben soll. Ist es voyeuristisch, in eine Vergewaltigung hineinzuzoomen? Die Unterwerfung, die Demütigung, die Gewalt – sind die Schrecken nicht ohnehin jedem bewusst, und falls nicht, hilft dann das Schildern der Details? Geht es mir nur um den Effekt? Und selbst wenn die Antwort darauf nicht rundweg „ja“ lautet: Wodurch ist das gerechtfertigt? Der Reihe nach: Wollte ich keinen Effekt erzielen, wäre ich lieber nicht Journalist geworden. Und ja, die Leute – und ich – wollen wissen, wie es genau war. Und nein, das ist nicht per se verwerflich. Weil dadurch Nähe entsteht. Die spürt nicht nur der Leser, sondern auch der Protagonist. Aber das gelingt nicht immer. Wenn ich mehr Zurückhaltung walten lasse, laufe ich Gefahr, zu verharmlosen. Erzähle ich zu drastisch, kann ich dem Protagonisten das Gefühl geben, ihn dem Publikum ausgeliefert zu haben. Mit anderen Worten: Wer mir einen Vorwurf machen

Manchmal wundere ich mich, dass die Menschen mit mir reden. Dabei ist der Grund einfach. möchte, dem biete ich genügend Angriffsfläche. Der Dokumentarfilmer Georg Stefan Troller sagt, es gehe darum, die Schrecken des Lebens zu entschärfen. „Abfilmen heißt, das Leben in all seiner Schrecklichkeit und Unmittelbarkeit in etwas Habhaftgewordenes zu verwandeln. Etwas, was man besitzt, ein Stück Film. Damit wird die Unmittelbarkeit des Lebens zu etwas Mittelbarem und Mitteilbarem.“ Das gilt nicht nur für die Protagonisten selber, sondern auch für die Leser. Während ich eine wahre Geschichte erzähle, lernen sie nebenbei: dass sie erzählbar ist, egal wie schlimm. Und ich lerne auch. Vielleicht ist das der Grund, warum ich mich während meiner Arbeit oft sehr stark am Leben fühle. Weil ich an so vielem teilhaben kann. Vor einer Weile habe ich einen Film über eine junge Syrerin gedreht. Wenige Tage zuvor war Aleppo an die Regierungstruppen gefallen, ihre Großeltern waren noch dort. Vor laufender Kamera erzählte sie davon, bald musste sie anfangen zu weinen. Sie war erst 16 Jahre alt, sie tat mir leid, ich wollte sie so nicht im Fernsehen zeigen, wollte sie schützen und gab dem Kameramann ein Zeichen, dass er abschalte. Sie aber redete weiter, mit nassem, festem Blick. Und laut, auf dass ihre Stimme nicht breche, auf dass nichts verloren gehe. Wir drehten weiter, und ich verstand: Sie will, dass wir sie so sehen, dass wir ihren Schmerz spüren, und es war meine Aufgabe, genau jetzt nicht abzuschalten, mit ihr jetzt da durchzugehen, den anderen davon zu erzählen. Wegsehen wäre Verrat. Manchmal ist auch Hinsehen Verrat. Dann, wenn ich zu explizite, zu plastische Worte wähle. Möchte die Mutter, deren Tochter bei der Amoktat von Winnenden umgekommen ist, dass ich „verblutet“ schreibe, oder ist das zu plastisch? Aber legt „verstorben“ nicht einen natürlichen Tod nahe, und ist „gestorben“ wirklich besser? Ist „umgekommen“ zu abstrakt? Ich habe mir angewöhnt, das Wort zu verwenden, das mein Gegenüber im Mund führt. „Meine Tochter wurde erschossen“, sagt sie. Einverstanden. Ich werde mich bemühen, behutsam von Frau Aschner zu erzählen. Ich habe ihr einen anderen Namen gegeben, ich werde sie schützen. Aber ich werde sie nicht schonen. Auch mit dem Täter werde ich das Gespräch suchen, werde ihm offen begegnen, von ihm erzählen, und zwar ebenso behutsam. Ich mache mir

mein eigenes Bild. Meine Unabhängigkeit und meine Sympathie für Frau Aschner gesellen sich beim Schreiben zusammen. Später, wenn die Protagonisten den Text lesen, weitet sich ihre Sicht. Oder sie fühlen sich missverstanden, ganz selten auch entstellt. Sie sind nicht objektiv, und ich bin es auch nicht. Frau Aschner und ich sind keine Komplizen. Ihre Geschichte und die Geschichte, die ich über sie schreibe, unterscheiden sich. Sie muss akzeptieren, dass sie zwar ihre wörtlichen Zitate autorisieren darf, nicht aber meinen Text. Denn hier verläuft die Grenze zwischen Journalismus und PR: Ich bin nicht ihr Sprachrohr, sie nicht mein Auftraggeber. Ich wünsche mir, dass sie versteht: Der Text muss ihr nicht gefallen. Er muss ihr gerecht werden. Abends, wenn ich heimkomme, habe ich selten Lust, über meine Arbeit zu sprechen. Weder fresse ich alles in mich hinein, noch finde ich Trost im Reden. Ich denke nach, oder ich wende mich anderen Dingen zu – was ich erfahre, quält mich selten. Aber es passiert. Vor einigen Jahren ging ich mit Eva Mozes Kor durch Auschwitz. Joseph Mengele und seine Helfer folterten dort einst sie und ihre Zwillingsschwester Miriam. Ich war vorbereitet, kannte ihre Geschichte, kannte Fotos. Was mich ohne Vorwarnung traf, war etwas anderes: die Ausdehnung von Auschwitz-Birkenau. Niemand hatte mich vor der Endlosigkeit dieses Ortes gewarnt. Es gibt kein Foto, das die Ausmaße auch nur andeutet. Ich sprach wenig in diesen Tagen, ich war damit beschäftigt, nichts zu verstehen. Ich hatte das Gefühl, leiser gehen zu müssen. Kein Recht zu haben, hier zu sein. Ich hatte den Gedanken, dass jedes Leben falsch sein könnte: nicht nur das der Teenager, die zwischen den Gleisen stehend Selfies machten. Sondern auch das Leben der Linden dort hinten neben den Resten der Gaskammern, der Vögel, die darin nisteten, das Leben der Wasserläufer in den Pfützen, mein Leben, jedes Leben. Ich fragte mich, ob etwas in mir kaputt gegangen war. Ich kam heim, legte mich ins Bett. Als die Tränen flossen, wurde mir klar: Ich war nur wund. Nichts war kaputt.

Andreas Unger ist Sozialjournalist in München. Er schreibt, dreht und moderiert u. a. für den BR, für Geo und Aktion Deutschland Hilft.

Bild Jordanna Kalman

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Drei Juwelen und …

… die Frage, warum John Cranko zum Klassiker geworden ist. 68

CrankoFest

Illustration Yvonne Gebauer

Für Choreographien ist Überleben so eine Sache. Da wird ein Werk zur Uraufführung gebracht, vielleicht eine ganze Weile im Repertoire gehalten – und dann ist es plötzlich verschwunden. Die Besetzung der ersten Stunde hat irgendwann Abschied genommen, der Choreograph scheidet dahin, seine Ideen verblassen. Was bleibt, sind im besten Fall ein paar schriftliche Aufzeichnungen, womöglich Videobänder. So ergeht es den allermeisten Stücken, die das Licht der Bühne erblicken, und deshalb umfasst das Tanz-Erbe auch nur einen Bruchteil dessen, was einst im Rampenlicht glänzte. Wie immer gilt freilich auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel. Im Ballett heißen die Ausnahmen „Klassiker“. In der Regel fallen darunter die kanonischen Produktionen des 19. Jahrhunderts, von La Sylphide bis Schwanensee. Dass diese Preziosen ihren ursprünglichen Schliff längst eingebüßt haben, wissen wir spätestens, seit Rekonstruktionen in Mode gekommen sind. Die drei Juwelen, die das Bayerische Staatsballett im Februar 2018 aus seiner Schatulle holt, haben Restauration nicht nötig. In den 1960er Jahren entstanden, leuchten sie wie am ersten Tag. Dank exzellenter Substanz, sorgfältiger Konservierung und Besetzungswechseln, die sie mit frischer Vitalität beatmet haben. So funkelt dieses Dreigestirn bis heute am Tanzfirmament, von John Cranko dorthin gezaubert – der vermutlich keinen Schimmer hatte, dass ihm binnen eines halben Jahrhunderts der Sprung in die „Klassiker“-Kategorie gelingen würde. Was also ist das Geheimnis des Erfolgs, auf den Romeo und Julia, Onegin und Der Widerspenstigen Zähmung abonniert sind? 1927 in Südafrika geboren, in London mit der britischen Tanztradition groß geworden, tritt John Cranko 1961 das Amt des Stuttgarter Ballettdirektors an. Auf der Insel dirigiert Frederick Ashton die Geschicke des Fachs, daneben geht der Stern von Kenneth MacMillan auf – eine weitere Hochbegabung kann sich da kaum entfalten. Also folgt Cranko dem Ruf ans Württembergische Staatstheater, und das mit der erklärten Absicht, dort ein Repertoire aufzubauen, „mit dem man uns überall identifiziert“. Tatsächlich zündet der Zuwanderer nicht weniger als ein „Ballettwunder“, das seinerzeit auch das benachbarte München erfasst. Cranko nämlich hält die Schwabenmetropole keineswegs für den Nabel der Welt. Gern nimmt er das Angebot an, als Chefchoreograph auch die bayerische Landeshauptstadt zu beehren, obwohl er dafür ab 1968 doppelgleisig fahren muss. Acht Monate pro Jahr verbringt er am Neckar, den Rest des Jahres hat er für München reserviert – ein Arrangement, von dem offen-

bar alle Beteiligten profitieren. Konstanze Vernon und Heinz Bosl machen Karriere, dem Nationaltheater beschert Cranko eine Handvoll origineller Kreationen, auch wenn keine davon in den Rang eines Klassikers aufsteigt. Anders als die drei abendfüllenden literarischen Tanzfantasien, die bald als sein Markenzeichen firmieren: 1962 bringt er Romeo und Julia heraus, legt 1965 und 1967 zwei Onegin-Fassungen vor, zwei Jahre danach gesellt sich noch Der Widerspenstigen Zähmung dazu. Cranko verarbeitet und veredelt diese Stoffe in höchst eigenwilliger Manier. Zeitzeugen wie der kürzlich verstorbene Kritiker Klaus Geitel bescheinigen ihm, „ein Erfinder“ zu sein, der nicht mit fertigen Konzepten wedelt, sondern seine Projekte kreativ und „spontan bis zum Exzess“ vorantreibt. Was das für seine Compagnie bedeutet, berichtet der Tänzer Ray Barra Jahre später in einem Interview. Barra erinnert sich einerseits an das fortschrittliche „Mitspracherecht“, das der Direktor seinen Darstellern einräumte, andererseits an die Eigenheiten des schöpferischen Akts. Denn Cranko skizziert und markiert zwar bei den Proben, was er sich vorstellt – „,so und so, hebe sie, bring sie runter‘“. Doch lässt er die Tänzer selbstständig an den Details feilen, was sie voller Hingabe tun. So lange, wie Barra rückblickend schildert, „bis wir etwas bekommen haben, von dem wir glaubten, dass er es wollte.“ Der Choreograph entwirft also die Struktur, aber wie sie ans Ziel gelangen, ist Sache der Interpreten. Was so klug wie weitsichtig ist, denn wo niemand in ein Bewegungs- oder Bedeutungskorsett gezwungen wird, können wahrhaft beseelte Figuren wachsen. Tatsächlich faszinieren Crankos Arbeiten mit vielschichtigen Psychogrammen und einer Konfliktdynamik, die alles Episodische strafft und in einen mitreißenden Strom des Erzählens verwandelt. Das akademische Fundament der Tanzkunst bleibt dabei übrigens völlig intakt. Crankos Ästhetik gehorcht der Mission des ballet d´action, die 1760 sein berühmtester Vorgänger in Württembergs Diensten, der Reformer Jean-Georges Noverre, verkündet hat: Aufgabe der Tanzkunst sei es, „ein lebendiges Abbild der Leidenschaften“ zu malen. Gerade so modelliert und montiert Cranko seine virtuosen Tanzdramen, und zwar bis in die Seitenstränge und Nebenrollen hinein. Liebende, Leidende, Hassende versammeln sich da, Gerissene und Zerrissene, die der Macht des Schicksals die Stirn bieten und ihr zuletzt doch erliegen. Nichts davon wirkt befremdlich oder irgendwie extravagant. Weil uns die Regungen, Sehnsüchte, die Zornesausbrüche, Reue- und Treuschwüre wie die

Bayerisches Staatsballett

Nichts bei Cranko wirkt befremdlich oder irgendwie extravagant. Weil uns die Regungen, Sehnsüchte, die Zornesausbrüche vertraut sind. Herzensqualen vertraut sind: als Begleiter jeder menschlichen Existenz. Crankos Geschöpfe leuchten den Kosmos unserer Gefühle aus, und der Choreograph verdichtet sie stilsicher zu farbintensiven Szenen und betörenden Geschichten – allerfeinste und allerreinste Theateressenz. Der kluge Griff in die Weltliteratur und die dichte Beschreibung der condition humaine mit tanzsprachlichen Mitteln liefern die Voraussetzung für den Erfolg aller drei Stücke. Aber ohne das Engagement seiner Tänzer – allen voran Marcia Haydée, Birgit Keil, Richard Cragun und Egon Madsen –, hätten Crankos Werke kaum jene unverwechselbaren Wesenszüge ausgebildet, die einen Klassiker auszeichnen. Die Atmosphäre, in der das „Stuttgarter Ballettwunder“ gedeiht, ist von Aufbruch, Neugier, Vertrauen und Nähe gekennzeichnet – Aus- und Einbrüche eingeschlossen, die eine so fanatische wie fantastische Zusammenarbeit nun einmal mit sich bringt. Dieses fast familiäre Klima hilft auch, die Katastrophe zu bewältigen, die 1973 über die Truppe hereinbricht. Auf dem Rückflug von einer US-Tournee stirbt John Cranko, vollkommen unerwartet. Niemand kann ihn ersetzen, und so ist die Mission seines unmittelbaren Nachfolgers Glen Tetley im Grunde von Anfang an aussichtslos. 1976 übernimmt mit Marcia Haydée Crankos wichtigste Muse die Direktion – und der Ballerina gelingt ein veritabler Bravourakt: Sie bewahrt das Erbe und sorgt zugleich für Uraufführungen, ohne die jedes Ensemble bald erstickt. Haydée, ihr Nachfolger Reid Anderson und Crankos Erbe Dieter Gräfe halten dessen Glanzstücke aber nicht nur im Stuttgarter Repertoire. Vielmehr werden sie durch die Welt geschickt, in die USA, nach Japan und Russland verkauft. Die anhaltende Nachfrage nach Lizenzen ist nichts anderes als ein Qualitätsbeweis und befestigt den Klassiker-Status der Stücke. Gleiches gilt umgekehrt: Compagnien, die Cranko aufführen dürfen, erhalten damit sozusagen ein exklusives Gütesiegel aus Stuttgart (wobei auch hier München eine Sonderstellung hat: Neben Stuttgart ist das Bayerische Staatsballett die einzige Compagnie weltweit, die unbefristete Rechte für Romeo und Julia, Onegin und Der Widerspenstigen Zähmung besitzt und diese drei Abendfüller auch immer wieder

präsentiert). Die Strategie der Erben, die natürlich den Nachruhm des Urhebers mehrt, birgt aber auch Schattenseiten in sich: Dass kein einziger Cranko-Klassiker auf DVD vorliegt, ist für viele Ballettliebhaber ein Ärgernis erster Ordnung – zu Recht. Genauso wie die Tatsache, dass niemand weiß, was in Zukunft mit den Rechten an den meisterlichen Inszenierungen geschehen wird. Was hätte John Cranko wohl noch alles in Angriff genommen? Darüber lässt sich nur spekulieren. Sicher ist, dass sein Wirken die Ballettwelt nachhaltig verändert hat. Selbst kein Avantgardist, zog er eine Generation wegweisender Junioren heran: Jiří Kylián eroberte mit dem Nederlands Dans Theater neue Gefilde, John Neumeier reifte zum Meistererzähler, und William Forsythe revolutionierte den Tanz des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Welch außergewöhnliches Vermächtnis.

Dorion Weickmann ist Tanzkritikerin u. a. für die Süddeutsche Zeitung, die ZEIT und Redaktionsmitglied der Zeitschrift Tanz. 2015 war sie Co-Autorin des Fotobandes Aus Leidenschaft! zum 25-jährigen Jubiläum des Bayerischen Staatsballetts.

CrankoFest des Bayerischen Staatsballetts Onegin 2., 4., und 7. Februar 2018 Romeo und Julia 9., 12. und 17. Februar 2018 Der Widerspenstigen Zähmung 22. und 23. Februar 2018 Alle Vorstellungen finden im Nationaltheater statt. Siehe auch Spielplan ab S. 89

Text Dorion Weickmann

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MÄNNERGESELLSCHAFT

MAX JOSEPH Herr Professor Koller, ist die Fremdenlegion ein typischer Männerbund? CHRISTIAN KOLLER Ja. Ein wichtiges Merkmal von Männerbünden ist die Abgeschlossenheit von der Gesellschaft, die räumlich sein kann oder auch durch die Art und Weise, wie man sich versammelt. Typisch sind die Ausgrenzung und Abwertung von Frauen und Aufnahmerituale, die die Zugehörigkeit und die Hierarchie innerhalb des Zusammenschlusses festlegen. Durch physische und psychische Schikanen wird in ausgedehnten Initiationsritualen oftmals die Individualität gebrochen und das elitäre Bewusstsein eingeimpft. Die meisten dieser Charakteristika treffen auf die Fremdenlegion zu. Die räumliche Abgrenzung ist heute durch die Kasernierung gegeben oder früher in der Kolonialzeit durch die große Distanz von europäischen Gesellschaften. Damals wurde die Fremdenlegion

Chloe Rosser, Form 1,2, 2013

In geschlossenen Männerbünden finden wir heroische Konzepte von Männlichkeit – hierauf verweist auch Giuseppe Verdis Les Vêpres siciliennes. Welchen Raum haben darin Wunden? Eine Nachfrage bei den Historikern Christian Koller und Ekaterina Emeliantseva Koller, die für ihre Forschungen Selbstzeugnisse ehemaliger Mitglieder von Fremdenlegion und U-BootBesatzungen auswerten.

größtenteils in Afrika und Asien eingesetzt und in Algerien ausgebildet. Die Ausbildungsstätten der heutigen Legion befinden sich in Südfrankreich, auf Korsika und teilweise immer noch außerhalb Europas. MJ „… und meldete sich zur Fremdenlegion“: Der Satz verdichtet in Biografien, dass Menschen unter ihr bisheriges Leben einen Schlussstrich ziehen wollen. Der Eintritt stellte bei vielen den Versuch dar, mit Wunden umzugehen. Hatte das Erfolg? CK Nein, so kann man es sicher nicht sagen. Aber in der Tat versprach der Eintritt in die Fremdenlegion einen radikalen Bruch und damit eine Betäubung der bisherigen Wunden. Wobei in der Historie viel stärker auch suizidale Motive zu beobachten waren. Der arbeitslose und verschuldete Gärtner Bernhard Pfyl schrieb etwa 1947 an den Schweizer Bundespräsidenten: „Ich bin moralisch so tief gesunken, so dass ich zu dem Entschluss kam, mich in die Legion zu melden, damit mein Leben gekürzt wird.“ Heute ist der Charakter der Fremdenlegion insgesamt etwas anders. Laut Mythos war und ist die Fremdenlegion ein Sammelbecken von Schwerstkriminellen, Abenteurern, Aussteigern und Leuten mit Liebeskummer. Die Realität sieht ein bisschen anders aus: Die überwiegende Mehrzahl der Fremdenlegionäre ging aus materiellen Gründen zur Legion. Das waren Leute – früher aus Europa, inzwischen aus der ganzen Welt – mit einer geringen beruflichen und familiären Integration, die in der Regel aus den Unterschichten der Gesellschaft kamen, und oft auch politische Flüchtlinge. Es waren Leute, die nicht wussten, wohin sie sollten und in der Legion einen Unterschlupf fanden. Heute ist die Auswahl sehr streng, die Legion mittlerweile nur noch etwa 7.000 Mann stark.

MJ Aber wie erging es den Legionären in Bezug auf ihre Wunden? CK In der Kolonialzeit gab es eine seelische Erkrankung, die „Le Cafard“ genannt wurde. Das heißt eigentlich Käfer oder Kakerlake und ist ein Ausdruck für die Vorstellung von Käfern, die ins Hirn kriechen: Es handelte sich um eine Depression, die fast alle Legionäre im Verlauf ihres ersten Jahres erlitten, welche dann aber meistens vorüberging. Man beobachtete die Männer in der Regel und stellte sicher, dass sie sich selbst oder andere nicht ums Leben brachten. Die Krankheit war wahrscheinlich eine Art legionsspezifisches Syndrom. Gründe für

diese Depression lagen zum Teil in ihrer Biografie vor der Legion, die immer wieder hervorbrach, gepaart mit der auf Körperstrafen basierenden Disziplin und den harten physischen Anforderungen im Einsatz, aber auch Heimweh und Langeweile waren ausschlaggebend. Im autobiografischen Roman Gourrama von Friedrich Glauser wird die Atmosphäre am Stützpunkt irgendwo in der Wüste in Marokko alles andere als aufregend beschrieben. Die Söldner sind extremer Hitze und Langeweile ausgesetzt. Dort gibt es nichts und es passiert auch nichts. Der „Cafard“ ist eine Mischung aus all diesen Faktoren.

Interview Anna Steinbauer

Chloe Rosser, Form 2,1, 2013

MJ Und die Männer fügten ihrerseits neue Wunden zu. CK Ja, bekanntermaßen. Ein blutiger Strom von Massakern, gewaltsamen Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung und systematischer Folter zieht sich durch die Kolonialgeschichte. Die Legion ist hier ein besonders berühmtes Beispiel, allerdings kein Sonderfall. Aus den Zeugnissen sehen wir, wie sehr sich die Legionäre zu diesen Taten auch ermächtigt sahen, sie waren stolz auf die Vergewaltigungen und Brandschatzungen. MJ Was für ein Konzept von Männlichkeit prägt die Legion? CK Das offizielle ist das militärisch geprägte Bild des harten Legionärs, der keinen Schmerz kennt. Alkohol spielte traditionellerweise immer eine große Rolle, sowohl bei offiziellen Anlässen als auch in der Freizeit wurde extrem viel getrunken. Es gibt Untersuchungen aus dem Indochina-Krieg über den Alkoholgehalt im Blut der unterschiedlichen Truppentypen der französischen Armee, dabei ist die Fremdenlegion ganz an der Spitze. Ein anderer Punkt, der in Selbstzeugnissen häufig erwähnt wird, sind homoerotische Praktiken. Es gab sogar regelrechte Paare, die mehr oder weniger offiziell zusammen waren. Häufig waren es ein älterer und ein jüngerer Legionär, deren Beziehung erstaunlicherweise meist von der Legion toleriert wurde – und das im frühen 20. Jahrhundert, in dem europäische Gesellschaften generell intolerant gegenüber Homosexualität waren. Eine wichtige Rolle spielte auch die Prostitution. Der ehemalige Legionär Anthony Delmayne etwa hielt 1958 in seinen Memoiren fest: „Unsere Stellung zum Sex war nicht gerade positiv oder kreativ. Wir betrachteten Lust als ein Ärgernis, das zu beseitigen war, und, ob mit einem Mann oder einer Frau, vollzogen den Geschlechtsakt mehr zur

Erleichterung als zum Vergnügen.“ Die Legion richtete bereits im frühen 20. Jahrhundert eigene Bordelle ein, die militärisch kontrolliert wurden, um zu verhindern, dass sich die Legionäre mit Geschlechtskrankheiten anstecken. Diese Militärbordelle gab es bis Mitte der 1970er Jahre in den Kolonien, obwohl Bordelle in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg verboten wurden.

dem Ende der Sowjetunion schrieben, kann man das schön sehen. Der diskursive Rahmen ist hauptsächlich ein Heroischer. Sie erzählen, wie sie Unfälle meistern und wie sie miteinander umgehen. Angst durfte man nicht zeigen, sie konnte Konsequenzen haben, man musste in jeder Situation nach Vorschrift handeln. Erst nach dem Ende der Sowjetunion thematisierte die jüngere Generation Angst.

MJ Frau Emeliantseva Koller, Sie haben den männerbündischen Raum schlechthin erforscht, nämlich U-Boot-Besatzungen in der Sowjetunion. Was haben Sie beobachtet? EKATERINA EMELIANTSEVA KOLLER So wie in jeder Armeeeinheit sind die männerbündischen Strukturen hier stark hierarchisiert. Das wichtigste ist die Rangordnung innerhalb der eigenen Struktur und wer welchen Platz dort einnimmt. Zudem gibt es sehr grausame und brutale Aufnahmerituale. In den Militäreinheiten der Sowjetunion mobbten die älteren Jahrgänge die jungen Rekruten. Nicht selten waren Folterungen an der Tagesordnung. Im Unterschied zur Armee an Land stoßen allerdings die Machtspiele der Älteren auf einem Atom-U-Boot an ihre Grenzen, da die allgemeine Sicherheit gefährdet ist. Die Technik duldet keine Exzesse.

MJ Die Unterseeleute lebten in einer absoluten Isolation? EEK Eine Fahrt dauert etwa sechs Monate und man befand sich ausschließlich unter Wasser. Früher hatte man keinen Kontakt zu Angehörigen, heute schon. In der Regel war es nicht die eigene Entscheidung, auf einem U-Boot zu dienen, man hatte Militärdienst zu leisten und wurde dorthin geschickt. In der Sowjetunion war dieser Dienst sehr prestigeträchtig. Die Mythen und Legenden über die heldenhaften und gut verdienenden Unterseeleute eilten ihnen voraus. Tatsächlich bekamen sie einen guten Lohn und hatten bestimmte Privilegien und Zulagen. Auch in weiblichen Kreisen waren die Unterseeoffiziere sehr hoch angesehen. Wenn sie in die Häfen einkehrten und in ihren Uniformen im Restaurant eine Champagnerflasche nach der anderen bestellten, hatten die zivilen Männer keine Chance.

MJ Wie sieht es in diesen komplett abgeschlossenen Männergesellschaften mit der Angst aus? EEK Die Furcht wird ins Komische verkehrt. Wie in jeder Armee existiert eine Armeefolklore, oftmals Witze, häufig gegen Frauen. Das ist eine Strategie, mit der man die Angstgefühle kanalisieren kann. Ein Ventil, wie auch Alkohol, um Spannungen und das nicht Artikulierte loszuwerden. In den autobiografischen Erzählungen der Unterseemarine-Angehörigen, die diese meist nach ihrem Dienst und

Fotografie Chloe Rosser

MJ Gab es in diesem Mikrokosmos Raum für menschliche Schwäche? EEK Die Technik wurde so konzipiert, dass die Menschen zu funktionieren hatten. Man ging vom Konzept des Bio-Roboters aus, die Unterseeleute durften keine menschlichen Fehler zeigen. Sie waren zwar Menschen aus Fleisch und Blut, mussten jedoch ihre Emotionen unterdrücken und zu jeder Zeit höchste Konzentration aufbringen. Anders als bei der Raumfahrt, in

Chloe Rosser, Form 3,4, 2013

der man vom Menschen und seinen Schwächen ausging. Die Kosmonauten etwa durften nichts steuern, sie waren wie Marionetten. Hier wurden Fehler miteinberechnet, bei den U-Booten nicht. Als man zu AtomU-Booten überging, wusste man generell nicht viel über die Folgen und Gefahren der Radioaktivität. Alle Tests und sämtliche Konsequenzen der Strahlung erlebte die Besatzung an Ort und Stelle. Darüber hinaus litten die Unterseeleute oftmals an Klaustrophobie, anderen Ängsten und Neurosen. Emotionalität und das Zeigen von Verwundungen war jedoch verpönt. Ein Zeugnis des russischen Chemikers Aleksandr Pokrovskij, der zwischen 1976 und 1991 auf einem russischen U-Boot diente, lässt die ganze Perversion dieses Konzepts erkennen, wenn er schreibt: „Man geht bei uns auf dem Schiff und denkt: ‚So, es ist nichts passiert, noch nicht, gut, dass nichts passiert ist!’

Und wenn etwas passierte? […] Es ist das Allerschlimmste, was man sich denken kann. Die Menschen sehen nicht wie Menschen aus. […] sie laufen in Haufen und vergraben sich mit dem Gesicht in die Kisten, sie verstecken sich, schlüpfen in die Spalten, sie rücken mit der Stirn Rohrleitungen auseinander, zerdrücken alle Knochen im Gesicht, reißen mit bloßen Händen Ventile ab.“ MJ Gibt es ein verbindendes Merkmal, einen roten Faden, den Sie beide bei Ihren Forschungen entdeckt haben? EEK Abgeschiedene Männergesellschaften sind ein eigener Mikrokosmos. Darin spielen männerbündische Rituale und Ehrvorstellungen sowie Praktiken der Triebabfuhr, um es einmal so zu nennen, eine wesentliche Rolle. Emotionalität ist verpönt. Aber geschlossene Männergesellschaften konservieren alte Wunden und fügen

ihren Mitgliedern neue zu. Sie zeigen gleichsam unter Laborbedingungen das Gewaltpotenzial, das in heroischen Männlichkeitskonzepten angelegt ist, gegen außen wie auch gegen innen. Diese Befunde lassen sich natürlich nicht eins zu eins auf die moderne Gesellschaft allgemein übertragen, sie verdeutlichen aber die Pathologien männerbündischer Strukturen, die – wir erfahren es derzeit jeden Tag – auch in modernen Gesellschaften nicht verschwunden sind.

Ekaterina Emeliantseva Koller ist Assistenzprofessorin für Ostereuropäische Geschichte an der Universität Zürich. Christian Koller ist Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs und Titularprofessor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich. Anna Steinbauer ist freie Journalistin in München und Wien, sie schreibt u. a. für die Süddeutsche Zeitung.

Joseph Beuys, Roter Hirsch und Hauptstrom-Stempel, 1974. Aus der Vorzugsausgabe des Buches Joseph Beuys. Zeichnungen 1947-59 I, Köln 1972, nach einer Idee von Lothar Schirmer; © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

JOSEPH BEUYS

EINWANDFREIE BILDER 1945 – 1984 14 NOV 201 7 BIS 18 MAR 2018

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Zeig mir deine Wunde

In Caravaggios berühmter Darstellung des Ungläubigen Thomas geht es um sehr viel mehr als um die Bibelstelle. Sie werden sehen …

Zwei Tage nach seiner Kreuzigung erscheint der auferstandene, aber noch nicht zum Himmel aufgefahrene Jesus seinen Jüngern. Sie erkennen ihn an Wundmalen und Seitenwunde. Nur Thomas war nicht dabei. Als sie ihm von der Begegnung erzählen, erklärt er, dass er die Identität des Auferstandenen allein durch Sehen nicht würde glauben können, wenn er nicht seinen „Finger in die Male der Nägel und meine Hand in seine Seite lege“. Als Christus acht Tage später seinen Jüngern abermals erscheint – diesmal ist Thomas anwesend –, fordert er diesen auf: „reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“. Christus schließt mit der Aussage: „weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“. Grundsätzlich geht es bei dieser Bibelstelle um Glauben und Sehen, erst in zweiter Linie um das Verifizieren des Sehens durch den Tastsinn. Auch die Jünger der ersten Begegnung haben ja geglaubt, weil Jesus ihnen seine Wunden gezeigt hat, weil sie, wie Thomas, gesehen haben. Aber der wahre Glaube, so Jesus, würde auf die Aufforderung „Zeig mit deine Wunde“ ganz verzichten, und allen nachgeborenen Gläubigen bleibt ja auch gar nichts anderes übrig. Um das gleich vorwegzunehmen: Bei Caravaggio sieht Thomas den Herrn tatsächlich nicht. Er schaut nur auf die Wunde. Aber glaubt er auch? Dass der intellektuelle Zweifler Thomas selbst seinen Augen nicht trauen möchte, ist das eigentliche Motiv, das ihn aus der Sicht des Evangelisten Johannes zum berühmten Ungläubigen Thomas macht. Ob die eingeforderte und von Christus angebotene Berührung der Wunden tatsächlich stattgefunden hat, bleibt letztlich in diesem Passus offen. Erst in späteren Auslegungen wird Thomas die Behauptung in den Mund gelegt, er habe die Wunden des Herrn tatsächlich berührt. Dieser „anfassende Glaube“ wurde zu einem unwiderlegbaren Beweis der körperlichen Auferstehung Christi, der unauflösbaren Einheit von dessen menschlicher und göttlicher Natur. Theologisch wurden damit vieldiskutierte Fragen aufgeworfen, zum Beispiel: Wie ist ein Auferstehungskörper (mit seinen Wunden) beschaffen? Verspürt er bei der Wundberührung Schmerz? Lässt sich Glaube sinnlich fundieren oder empirisch verifizieren? Wie kann man Christus erkennen? Fast alle diese Fragen stellen sich natürlich auch dem Künstler, der die Begebenheit darstellen soll. Die ersten Darstellungen treten um 400 n. Chr. auf, zur gleichen Zeit, als auch die patristische Literatur sich der Exegese der Geschichte vom Ungläubigen Thomas annimmt. Und da die Frage „Hat er oder hat er nicht?“ so schwierig zu entscheiden war, haben sich auch die Künstler oft vor einer eindeutigen bildlichen Antwort gedrückt. Verschiedene Bildtraditionen entstanden, darunter eine verbreitete, die den Moment kurz vor der Berührung der Wunde durch den Finger des Apostels darstellt, also offen lässt, ob es dann noch dazu kommt; eine andere gibt klar zu erkennen, dass die Seitenwunde nicht berührt wird, dass kein Körperkontakt entsteht. Erst ab der Gotik entwickelt sich nördlich der Alpen eine Darstellungstradition, die eindeutig zeigt, wie Thomas seinen Finger in die Seitenwunde legt. Dabei kann er stehen oder vor Christus knien oder auf ihn zueilen. Dass Christus dabei sogar die Hand des Apostels aktiv ergreift, wie es bei Caravaggio so unübersehbar der Fall ist, ist ebenfalls eine nördliche Erfindung. Über die altniederländische Malerei und Martin Schongauer findet dieses Motiv zu Alb-

Sybille Ebert-Schifferer ist seit dem Jahr 2001 Direktorin an der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte in Rom. Nach Stationen als Regieassistentin u. a. an der Freien Volksbühne in Berlin leitete die Kunsthistorikerin ab 1986 das Ausstellungswesen an der Schirn Kunsthalle Frankfurt, ab 1991 das Hessische Landesmuseum Darmstadt und ab 1998 als Generaldirektorin die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Themenkonzerte

recht Dürers zwischen 1509 und 1511 entstandener Holzschnittfolge, der sogenannten Kleinen Passion. Diese wird als Anregung für Caravaggios Darstellung ins Feld geführt und assimiliert ihrerseits italienische Bildtraditionen. Dürers in mehreren Auflagen gedruckte Passionsfolge erfuhr eine weitverbreitete Rezeption und war auch südlich der Alpen in Sammlungen und Künstlerwerkstätten bekannt. Der Realismus seiner Thomas-Darstellung wurde allerdings nur selten aufgenommen. Zu beachten ist dabei auch, dass die Episode des Ungläubigen Thomas nahezu ausschließlich auf Altarbildern bzw. zumindest öffentlich aufgestellten Bildwerken zur Darstellung gelangte, auf denen alle Beteiligten als ganze Figuren wiedergegeben werden. Im Falle des Gemäldes von Caravaggio haben wir es aber erstmals mit einem sogenannnten Galeriebild zu tun, einem Gemälde, das für eine private Sammlung bestellt wurde, ob mehr für die private Andacht oder mehr für den Kunstgenuss, sei zunächst dahingestellt. Es entstand vermutlich um 1603 für den Bankier und Kunstkenner Vincenzo Giustiniani, in dessen Besitz es bereits 1606 bezeugt ist. Schon damals wird von der Existenz einer Kopie berichtet, wir wissen von weiteren Kopien, die unmittelbar in diesen Jahren entstanden, und überhaupt handelt es sich um eine der meistkopierten, also höchst erfolgreichen Kompositionen Caravaggios. Was machte und macht diese drastische Wiedergabe der Wundberührung, bei der die Wunde zugleich gezeigt und der Finger buchstäblich in sie hineingelegt wird, so attraktiv, dass sie von Zeitgenossen fast hymnisch gerühmt wurde? Was daran schockiert manch heutigen Interpreten daran so, dass er oder sie meint, hier die bildgewordene fleischliche Sünde vor Augen zu haben und vor lauter vermeintlichen sexuellen Anspielungen das Skandalon verkennt – die Zumutung der Wundberührung aus Zweifel – , das dem biblischen Bericht bereits inhärent ist? Durch einige Tricks, die zu seinen großen Innovationen gehören, die er aber keineswegs „erfunden“, sondern nur übertragen und perfektioniert hat, rückt Caravaggio das Geschehen dem Betrachter so auf den Leib, dass kein Entkommen möglich scheint. Die Figuren sind ungefähr lebensgroß, genauso groß wie der davor stehende Mensch, und nur zur Hälfte wiedergegeben; von den Aposteln sind außer Thomas nur zwei zu sehen. Das Bild setzt sich also gedanklich nach allen Seiten fort, auch nach vorn, wohin der Ellenbogen des Thomas zu stoßen scheint. Wer vor diesem Bild steht, gehört dazu, wird zum Komplizen und Augenzeugen, mit allen ästhetischen und theologischen Implikationen. Die gedrängte Gruppe der Apostel, dem für sich stehenden Christus gegenübergestellt, schaut wie dieser selbst nur auf Eines: die Wunde. Unterstützt durch die neue, für Caravaggio so typische Lichtregie wird so eine nahezu hypnotische Spannung erzeugt, die Sehen, Glauben und Berühren, also die zentralen Themen der Bibelstelle, untrennbar miteinander verquickt. Sehen und Zeigen sind aber auch Anliegen der Malkunst. Wie sie religiöse Szenen und Heilige darzustellen hatte, damit befasste sich nach dem Konzil von Trient im 16. Jahrhundert die gegenreformatorische Kirche. Wie deren Vorstellungen in Malerei umgesetzt werden konnte, beschäftigte die zeitgenössische Kunsttheorie. Caravaggio setzt sich damit in seinen Bildern selbst auseinander. Es hätte kaum ein besseres Bildthema für ihn geben können als dieses.

Text Sybille Ebert-Schifferer

Themenkonzerte

Joseph Beuys, Badewanne, 1960. Fotografie Mario Gastinger © Estate Joseph Beuys – VG Bild-Kunst Bonn / courtesy Schirmer / Mosel

Beuys und die Wunde als Thema in der zeitgenössischen Kunst

Drei bedeutende Künstler des 20. Jahrhunderts haben die Wunde, die körperliche oder seelische Verletzung des Menschen, zum Leitmotiv ihres Werkes gemacht: der in Dresden geborene, deutsch-französische Maler Wolfgang Schulze, der sich Wols nannte, die mexikanische Malerin Frida Kahlo und der deutsche Bildhauer Joseph Beuys. Angesichts der schweren existenziellen Verletzungen durch Krieg, Verfolgung, Vertreibung und die Notlage der Nachkriegszeit verwundert es nicht, dass die menschliche Wunde ein wesentliches Thema der Nachkriegskunst wird. Die Selbstverstümmelung van Goghs, dessen Werk 1946 mit einer großen retrospektiven Ausstellung in Paris in Erscheinung trat, und die Tradition des Surrealismus mögen das ihre dazu getan haben. Im Werk von Joseph Beuys taucht die Wunde thematisch in geballter Form auf. Bereits seine eigene Geburt am 12. Mai 1921 bezeichnet der Künstler in seinem Lebenslauf als „Ausstellung einer mit Heftpflaster zusammengezogenen Wunde“. So realistisch und bildmächtig hat das vor ihm weder in der Kunst noch in der Literatur irgendjemand ausgedrückt. Das Heftpflaster als Wundverband auf den menschlichen Körper zu beziehen, ist durchaus üblich – befremdlich ist hier der Zusammenhang. Ebenso befremdlich ist das Heftpflaster dann in Bezug auf einen Gegenstand. „Wenn man sich geschnitten hat, sollte man das Messer verbinden und nicht die Wunde“, lautet ein paradoxer Aphorismus von Joseph Beuys, die Wunde thematisierend. Das Paradoxon löst sich leicht auf, wenn man es als medizinische Weisheit liest, der zufolge die Ursachen zu heilen sind und nicht die Symptome. Allerdings ist auch hier die Vorstellung

Joseph Beuys, zeige deine Wunde, 1974–1975. Fotografie Ernst Jank © Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München

einer blutenden Wunde und einer verbundenen Klinge zunächst provozierend. Einen Schritt weiter geht Beuys in seinen beiden skulpturalen Arrangements im Lenbachhaus, die die Wunde von Körper und Geist in Bezug auf Geburt und Tod thematisieren. Da ist das Objekt „Badewanne“, eine Säuglingsbadewanne, die mit Heftpflaster und Mull beklebt ist. Sie symbolisiert nach den Worten des Künstlers die Geburt als Zusammenstoß eines höchst verletzlichen Körpers mit einer harten und festen Welt. Und so tritt dem neugeborenen Leben die Gefahr der Sterblichkeit oder auch nur der Verletzung oder der Gefährdung früh in Gestalt der strahlend weißen, harten, emaillierten Oberfläche der Wanne gegenüber. Dem oben erwähnten Paradoxon folgend, hat Beuys die Wanne mit Heftpflaster und Mull verbunden und so ihr Gefährdungspotenzial gemindert. Wand an Wand mit der Badewanne steht im Lenbachhaus das große Environment von Beuys mit den zwei Leichenbahren aus der Anatomie. Ihm hat der Künstler den poetischen Titel zeige deine Wunde gegeben. Der Titel hat neutestamentarische Dimensionen. Er erinnert einerseits an die Worte Christi aus der Bergpredigt, die darauf abzielen, auf demütige Weise das Gegenteil von dem zu tun, womit man sonst durchs Leben kommt. Es ist der Aufruf, seine Wunden zu zeigen und sie nicht zu verstecken, aus der Verletzung eine Stärke zu machen. Die andere Assoziation, die mit dem Titel einhergeht, ist die Geschichte vom Ungläubigen Thomas, der den auferstandenen Christus an seinen Wundmalen erkennen will. Die Aufforderung an Christus, seine Wunde zu zeigen, ist ein eher rüder Appell.

Trotz dieses eindeutigen und kaum übersehbaren christlichen Bezuges hat der Erwerb von zeige deine Wunde im Jahr 1979 zu einer anhaltenden Diskussion in der Münchner Öffentlichkeit geführt – einer Öffentlichkeit, die, wie man am Stadtbild und ihren Bewohnern sehen kann, ein gewisses Schmuckbewusstsein oder vielleicht sogar einen Schmuckstolz prononciert vor sich herträgt, der mit den Demutstraditionen des Christentums nicht unbedingt vereinbar ist. Allein aus der religiösen Thematik wäre das Beuys’sche Stück in seiner existenziellen Ärmlichkeit eigentlich zu verstehen gewesen. Das Körperbewusstsein der Betrachter aber, schwankend zwischen sportlicher und kosmetischer Ambition einerseits und der Hinfälligkeit als steter Begleiterin andererseits, führte zu schmerzhaften Auseinandersetzungen. Verschärft wurde der Konflikt noch durch die Tatsache, dass die bildende Kunst seit dem Mittelalter ein Sprössling der Juwelierszunft war und die Verwendung kostbarer Materialien lange Zeit das Fundament des Kunstwertes war. Mit dieser Hochschätzung des Materialwertes und auch des Arbeitswer-

Text Lothar Schirmer

tes im Zusammenhang mit der Bewertung von Kunst hatte die Moderne vor Beuys schon kräftig aufgeräumt. Dieses Aufräumen war immer mit existenziellen gesellschaftlichen Krisen verbunden, wie zum Beispiel der Zeit im oder nach dem Ersten Weltkrieg, etwa durch den Dadaismus und die Abfallcollagen von Kurt Schwitters. Zudem stand, was München anbetraf, die Auffassung der Nazis von zeitgenössischer Kunst als generell „entarteter“ Kunst 1979 noch immer als Geschichtsfaktum im Raume. Die Wunde, die die Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 gerissen hatte, schwärte noch. So gesehen ging von der öffentlichen Auseinandersetzung um den Ankauf und die Einrichtung von zeige deine Wunde eine heilende Wirkung aus – die Heilung eines offenen Streits, der die Bürgerschaft lange entzweit hatte. Eigentlich ein wahres Wunder. Lothar Schirmer gründete 1974 den Schirmer / Mosel Verlag für Kunstbücher. Mit Werken von Joseph Beuys und Cy Twombly legte er den Grundstein für die Sammlung Lothar Schirmer. Die Ausstellung Joseph Beuys. Einwandfreie Bilder 1945–1984. Arbeiten auf Papier aus der Sammlung Lothar Schirmer ist noch bis zum 18. März 2018 im Lenbachhaus zu sehen.

Themenkonzerte 2018: Zeig mir deine Wunde

1. Themenkonzert Caravaggios Ungläubiger Thomas: Die Wunde zeigen, sehen, berühren Vortrag: Prof. Dr. Sybille Ebert-Schifferer, Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom Musik von Maurice Ravel, Louis Vierne und César Franck

Vorträge und Konzerte in Zusammenarbeit mit der Max-PlanckGesellschaft

Montag, 26. Februar 2018, Max-Planck-Haus (Osthalle)

2. Themenkonzert Lust am Traurigen, Schrecklichen und Ekelhaften Vortrag: Prof. Dr. Winfried Menninghaus, Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt a. M. Musik von Sofia Gubaidulina und Richard Whilds Mittwoch, 28. Februar 2018, Literaturhaus

Zeig mir deine Wunde. Zeig deine Schwäche. Gib dich zu erkennen. Vor

3. Themenkonzert

allem Richard Wagners Parsifal, die Festspielpremiere 2018, gab den Impuls für die Aufforderung „Zeig mir deine Wunde“, mit der die Spielzeit

In Kooperation mit dem Deutschen Museum

2017 / 18 an der Bayerischen Staatsoper überschrieben ist. Der Umgang mit der Wunde des Amfortas, die sich nicht schließen will, war der Ausgangs-

Vom Zauber der Wundheilung

punkt, aber die Unfähigkeit der Menschen, ihre Verletzungen und Unvoll-

Vortrag: Prof. Dr. Joachim P. Spatz, Max-Planck-Institut für

kommenheiten einzugestehen, zieht sich durch fast alle Stücke, die in

medizinische Forschung, Heidelberg

dieser Saison zur Premiere kommen – mit vergrabenen Wunden, unbewussten Wünschen, uneingestandenen Irrtümern.

Musik von Wolfgang Amadeus Mozart, Philipp Fabian Kölmel (Uraufführung eines Auftragswerks) und Alexander Zemlinsky

In der Reihe der Themenkonzerte, die die Bayerische Staatsoper gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft veranstaltet, nehmen namhafte Wis-

Samstag, 3. März 2018, Deutsches Museum (Ehrensaal)

senschaftler aus ihrer Perspektive dieses Thema in den Blick: von Caravaggios epochalem Bild des Ungläubigen Thomas über des Menschen Lust am Schrecklichen; von der Frage, wie sich Zellen organisieren, um Wunden

4. Themenkonzert

zu heilen, bis zur Herausforderung, einen ruinierten Ruf wiederherzustellen – und schließlich das Thema „Themensuche“ selbst, weil es bei näherem

Kann man einen ruinierten Ruf wieder herstellen?

Hinsehen oft viel zu weh tut, über das Thema Wunde zu sprechen. Dazu

Vortrag: Prof. Dr. Manfred Milinski, Max-Planck-Institut für

erklingen Werke, kommentierend und kontrastierend, von Komponisten,

Evolutionsbiologie, Plön

die zum Thema Wunde aus eigenem Erleben etwas zu sagen hatten oder die in ihrer Musik dazu Stellung bezogen haben.

Musik von Joseph Haydn und Konstantia Gourzi (Uraufführung eines Auftragswerks) Sonntag, 4. März 2018, Allerheiligen Hofkirche

5. Themenkonzert In Kooperation mit der Städtischen Galerie im Lenbachhaus Themensuche Vortrag: Prof. Dr. Jacqueline Knörr, Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle/Saale Musik von Wolfgang Amadeus Mozart, Igor Strawinsky, Wolfgang Rihm u. a. Montag, 5. März 2018, Lenbachhaus

Spielplan 25. 01. 2018 – 12. 04. 2018

Karten Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München T 089 – 21 85 19 20 tickets@staatsoper.de www.staatsoper.de Sofern nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.

Oper

Richard Wagner GÖTTERDÄMMERUNG Musikalische Leitung Kirill Petrenko Inszenierung Andreas Kriegenburg

Gioachino Rossini IL BARBIERE DI SIVIGLIA Musikalische Leitung Keri-Lynn Wilson Inszenierung Ferruccio Soleri Edgardo Rocha, Renato Girolami, Lilly Jørstad, Etienne Dupuis, Peter Rose, Johannes Kammler, Boris Prýgl, Selene Zanetti, Long Long

Stefan Vinke, Markus Eiche, Hans-Peter König, John Lundgren, Nina Stemme, Anna Gabler, Okka von der Damerau, Sofia Fomina, Rachael Wilson, Jennifer Johnston Do 08.02.18 17.00 Uhr So 11.02.18 16.00 Uhr sponsored by

So Di Fr So

21.01.18 23.01.18 26.01.18 28.01.18

18.00 19.00 18.00 17.00

Uhr Uhr Uhr Uhr

Giacomo Puccini MADAMA BUTTERFLY Musikalische Leitung Daniele Callegari Inszenierung Wolf Busse Maria José Siri, Okka von der Damerau, Alexey Dolgov, Niamh O’Sullivan, Levente Molnár, Matthew Grills, Sean Michael Plumb, Peter Lobert, Oleg Davydov, Boris Prýgl Mi 24.01.18 19.00 Uhr Sa 27.01.18 19.00 Uhr Di 30.01.18 19.00 Uhr

Gaetano Donizetti L'ELISIR D'AMORE Musikalische Leitung Stefano Ranzani Inszenierung David Bösch Ekaterina Siurina, Pavol Breslik, Andrei Bondarenko, Ambrogio Maestri, Paula Iancic Sa Di Do So

10.02.18 13.02.18 15.02.18 18.02.18

19.30 18.00 19.00 16.30

Uhr Uhr Uhr Uhr

sponsored by Richard Wagner SIEGFRIED Musikalische Leitung Kirill Petrenko Inszenierung Andreas Kriegenburg Stefan Vinke, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Wolfgang Koch, John Lundgren, Ain Anger, Okka von der Damerau, Nina Stemme, Mirella Hagen Mi 31.01.18 17.00 Uhr Sa 03.02.18 16.00 Uhr sponsored by

Bitte beachten Sie: Die Vorstellung am 18.02. beginnt – abweichend von der bisherigen Ankündigung – bereits um 16.30 Uhr. Im Rahmen unseres Jubiläums (GELIEBT GEHASST – 100 Jahre Bayerische Staatsoper, 200 Jahre Nationaltheater) werden vor und im Rahmen der Vorstellung Filmaufnahmen stattfinden. Dabei wird eine Szene außerhalb des Vorstellungsablaufs sowie eine weitere Szene während des Vorstellungsablaufs aufgezeichnet. Ansonsten ergeben sich keine weiteren Änderungen. Durch den Kauf einer Eintrittskarte erklären Sie sich mit Ihrer Teilnahme an diesem einzigartigen Projekt einverstanden und wir bedanken uns bereits jetzt für Ihre Unterstützung!

Georges Bizet CARMEN Musikalische Leitung Karel Mark Chichon Nach einer Produktion von Lina Wertmüller Callum Thorpe, Sean Michael Plumb, Bryan Hymel, Alexander Vinogradov, Johannes Kammler, Manuel Günther, Gabrielle Philiponet, Rachael Wilson, Elīna Garanča, Ailyn Pérez

Fr 16.02.18 19.00 Uhr Mo 19.02.18 19.00 Uhr Mi 21.02.18 19.00 Uhr

Giuseppe Verdi UN BALLO IN MASCHERA

Gioachino Rossini LA CENERENTOLA

Musikalische Leitung Asher Fisch Inszenierung Johannes Erath

Musikalische Leitung Francesco Angelico Inszenierung Jean-Pierre Ponnelle

Jean-François Borras, Simone Piazzola, Anja Harteros, Okka von der Damerau, Sofia Fomina, Andrea Borghini, Anatoli Sivko, Alexander Milev, Ulrich Reß, Long Long

René Barbera, Sean Michael Plumb, Paolo Bordogna, Rebeca Olvera, Rachael Wilson, Isabel Leonard, Kyle Ketelsen

Sa 24.02.18 19.00 Uhr Do 01.03.18 19.00 Uhr So 04.03.18 18.00 Uhr

Sa 10.03.18 18.00 Uhr Di 13.03.18 19.00 Uhr Fr 16.03.18 19.00 Uhr

sponsored by Giuseppe Verdi LES VÊPRES SICILIENNES Musikalische Leitung Omer Meir Wellber Inszenierung Antú Romero Nunes Gaetano Donizetti LA FAVORITE Musikalische Leitung Giacomo Sagripanti Inszenierung Amélie Niermeyer

Carmen Giannattasio, Helena Zubanovich, Bryan Hymel, George Petean, Erwin Schrott, Matthew Grills, Galeano Salas, Callum Thorpe, Dean Power, Alexander Milev, Johannes Kammler

So 25.02.18 19.00 Uhr Mi 28.02.18 19.00 Uhr Sa 03.03.18 19.00 Uhr

So 11.03.18 18.00 Uhr Premiere Do 15.03.18 19.00 Uhr So 18.03.18 18.00 Uhr Auch im Live-Stream auf www.staatsoper.tv Do 22.03.18 19.00 Uhr So 25.03.18 18.00 Uhr