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Wende, Wandel, Weitblick: Die Musikerinnen und Musiker des Opernstudios
Die Wände des Rohbaus sind noch unverputzt, lose Kabelenden springen daraus hervor oder hängen von der nackten Decke. Neue Leitungen werden verlegt, ebenso wie der Boden. Bald riecht es hier nach frischer Farbe. Den Mitgliedern des Opernstudios liegt der Baustellencharakter. Unter professioneller Anleitung wird in ihrer „Werkstatt“ an Technik und Ausdruck geschliffen und mit neuen Klangfarben experimentiert. In der Inszenierung Mavra / Iolanta wird das Ergebnis zu sehen sein. Hier erzählen sie von den Schlüsselmomenten ihrer jungen Karriere, radikalen Umbrüchen und großen Träumen.
Singen ist lebenslanges Lernen. Die Stimme als lebendiges Instrument entwickelt sich ständig weiter. Es gibt kein fertiges, einzig wahres Ergebnis, auf das man verbissen hinarbeitet. Vielmehr muss ich immer den Grund dafür kennen, warum ich singe, denn nur so bleibe ich locker sowie motiviert und gebe der Stimme die nötige Freiheit, sich zu entfalten. Ich genieße es, diesem natürlich fortschreitenden Prozess mit der Unterstützung durch das Opernstudio gelassen zu folgen, und freue mich, wenn ich in einigen Abständen positive Veränderungen spüre. Zum Glück sind tiefe Stimmen weniger dem Druck ausgesetzt, bis zu einem gewissen Alter einen ganzen Kanon an Partien gesungen haben zu müssen, weil diese etwa jugendliche Frische in der Stimme erfordern würden. Für einen Bass geht es dagegen ab Mitte 40 erst so richtig los mit dem spannenden Repertoire, weil die Stimme an Charakter und Tiefe gewinnt, was viele Basspartien verlangen. Darauf freue ich mich schon.
Nachdem ich mich vor etwa sieben Jahren in meiner Heimat Estland an der Musikakademie in Tallinn für ein Gesangsstudium beworben hatte, wurde in meinem Rachen eine Zyste diagnostiziert. Die Operation fiel ausgerechnet in den Zeitraum des Vorsingens, sodass ich nicht daran teilnehmen konnte und mein großer Traum mit einem Mal zu zerplatzen drohte. Nachdem ich diesen Schicksalsschlag verarbeitet hatte, verspürte ich den Drang, schnellstmöglich einen Neuanfang zu wagen: auf und davon, ins Ausland! Von einem Tag auf den anderen packte ich meine Sachen und reiste nach London. Ich kannte dort niemanden, wohnte zwei Wochen in einem Hostel und lebte von Ersparnissen. Rückblickend unglaublich, dort einen guten Lehrer gefunden zu haben, an der Guildhall School of Music and Drama aufgenommen worden zu sein und schließlich hier in München im Opernstudio meine Karriere fortzuführen.
Als ein Musiklehrer mir als Teenager eines Tages die Gelegenheit gab, klassische Musik live zu erleben, war ich so tief bewegt, dass ich mich ihr von diesem Zeitpunkt an voll und ganz verschrieb. Das war die radikale Absage an die Rockmusik, die ich zuvor immer gehört hatte. Wenn man wie ich in China aufwächst und die Tradition der klassischen Musik professionalisieren möchte, muss man dazu bereit sein, in die westliche Welt überzusiedeln. Die Aufnahme ins Opernstudio war daher für mich der wichtigste und wertvollste Schritt. Er hat mein Leben komplett verändert. Für einen jungen Sänger herrschen hier die denkbar besten Bedingungen, seine Karriere auf einer soliden Basis aufzubauen: Hochqualifizierte Beratung und Arbeit auf weltweit höchstem Niveau geben einem von Tag zu Tag mehr Selbstvertrauen. Die Statusveränderung vom Studenten zum angehenden Tenor war für mich der Beginn eines neuen Lebensabschnitts.
Die meisten Opern Rossinis tragen für mich den Kern einer gesunden und positiven Lebenseinstellung in sich, an der ich mich orientiere. Speziell an der Oper La Cenerentola fasziniert mich, wie alles ineinandergreift, wie sich alles ähnlich einem Puzzle fügt. Dieses Grundmotiv treibt auch mich immer schon voran. Eine wesentliche Voraussetzung für Erfolg in der Musik ist es, an Träumen festzuhalten und daran zu arbeiten. Für einen Musiker wie mich ist eine gewisse Grundgelassenheit einer der wesentlichen Punkte in meinem Leben. Ich reise viel, arbeite nicht an einem bestimmten Ort, doch die Musik dient mir dabei immer als Zuhause und Fundament, das mir Halt gibt.
Unmittelbar nach meinem Gesangsstudium an der Guildhall School of Music and Drama in London mit 21 Jahren ins Opernstudio aufgenommen zu werden, war für meine Karriere der größte Schritt vorwärts und ein überraschender Wendepunkt. Als Kind und Jugendlicher habe ich lange im Kirchenchor gesungen. Nie hatte ich jedoch das Ziel vor Augen, Opernsänger zu werden, denn ich war mit der Oper früher nicht in Berührung gekommen, obwohl ich aus einer musikalischen Familie stamme. Erst nach einem halben Jahr an der Guildhall School entstand der Kontakt und demzufolge die Hinwendung vom Konzert- zum Musiktheaterrepertoire. Das hat einen enormen stimmlichen Transformationsprozess vom Chor- zum Opernsänger ausgelöst. Vielleicht berührt mich der unschuldige Charakter Taminos aus der Zauberflöte deshalb so sehr, weil ich mich als junger Sänger in der großen professionellen Gesangswelt mit seinem inneren Gefühlszustand und all den zu bestehenden Prüfungen gut identifizieren kann.
Mit sieben sang ich im Kinderchor in Tel Aviv. Die Achtzehnjährigen dort verkörperten für mich die Vollendung des Gesangs, da sie mit ihren mächtigen Stimmen so viel bewegen konnten. Als ich dann in ihrem Alter war und zur Armee gehen sollte, wurde ich beim Stadtentscheid für das musikalische Zusatzprogramm des israelischen Kulturministeriums ausgewählt. Da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass ich die Chance habe, das Singen zu meinem Beruf zu machen. Bis vor zwei Jahren hatte ich aber immer noch daran gezweifelt. Erst mit der Aufnahme ins Opernstudio fing ich an, wirklich daran zu glauben. Fast in jeder romantischen Oper gibt es ja diesen alles verändernden Augenblick – den Moment, in dem man seinen Seelenverwandten findet, wie zum Beispiel Mimì ihren Rodolfo in La bohème. Dass die Oper die Kraft besitzt, derart intensiv die Gefühlsebene anzusprechen, finde ich einzigartig.
Nach New York zu gehen, war für mich vor vier Jahren, wie ins gelobte Land einzuziehen: Amerika mit seinem freiheitlichen Geist schien mir durch und durch perfekt zu sein, im Gegensatz zu meiner Heimat Georgien, wo ich der alten Traditionen überdrüssig geworden war und mich von den starken familiären Bindungen eingeengt fühlte. Erst nach einiger Zeit in der vermeintlich schönen neuen Welt – ich studierte an der New Yorker Juilliard School Gesang – erkannte ich auch ihre Schattenseiten: ökologische Ignoranz, Rassismus und Diskriminierung – Probleme, die viele Teile der Welt beherrschen. Das hat meine Lebenseinstellung massiv verändert. Wenn man als Opernsängerin einem breiten Publikum bekannt ist, sollte man neben der vorrangigen künstlerischen Arbeit auch die große Chance wahrnehmen, seine Stimme aktiv für Mitmenschlichkeit, gesellschaftliche Werte und zum Schutz der Ressourcen unseres Lebensraums zu erheben.
Als ich meinem Vater mit 18 Jahren erzählte, dass ich Opernsänger werden und mich für die Aufnahmeprüfung eines Gesangsstudiums am Konservatorium in Ankara bewerben möchte, war er zuerst überrascht. Vom fußballspielenden Jungen zum Sänger war für ihn ein weiter Weg. Mein Vater ist selbst Opernsänger und gab mir daraufhin Gesangsstunden, die zuerst nicht wirklich fruchteten. Auch seine Kollegen versuchten alles Mögliche, um mich bestens für die Aufnahmeprüfungen vorzubereiten, waren zunächst jedoch nicht sonderlich zuversichtlich. Mit meinem Vater arbeitete ich härter daran, eine solide Gesangstechnik zu erlernen, was wir dann auch zusammen meisterten. Er ist immer noch mein mentaler Coach, und ich verwende stets die Basics seiner Technik. Seit ich hier im Opernstudio bin, habe ich mich in vielerei Hinsicht weiterentwickelt — in Bezug auf meine Persönlichkeit, meine Technik und mein soziales Leben. Ich fühle mich darin bestärkt, den richtigen beruflichen Weg eingeschlagen zu haben und meiner Leidenschaft gefolgt zu sein.
Nach den ersten zehn Tagen an der Royal Academy of Music war für mich klar: Das ist es! Ich will Singen zu meinem Beruf machen! So bekam mein Leben eine völlig neue Ausrichtung. Mein Professor Mark Wildman hat mich darin bestärkt und gefördert wie kein anderer. Mit ihm habe ich nach 18 Monaten Gesangsstudium die Umstellung vom Bariton zum Tenor vollzogen, was die richtige Entscheidung war, denn dieses Repertoire liegt mir viel besser in der Stimme und ist leidenschaftlicher. Als Tenor werde ich mir den Traum verwirklichen können, meine absolute Lieblingsrolle zu singen: Mario Cavaradossi in Tosca. Um seinem Freund zu helfen, nimmt Cavaradossi größte Gefahren und Qualen auf sich, was sein eigenes Leben von Grund auf verändert und schließlich in den Tod führt. Ein höchst ehrbarer Charakter, dem ich mich sehr verbunden fühle. Mein größtes Vorbild ist Franco Corelli, dessen Cavaradossi-Interpretation in Parma 1967 mich nicht mehr loslässt, seitdem ich sie das erste Mal gehört habe.
Opernsängerin zu werden, stand für mich im Alter von vier Jahren fest. Die einzige Möglichkeit, mit Gesang aktiv in Berührung zu kommen, eröffnete mir zunächst allerdings nur der Chorgesang an meiner Musikschule. Erst mit 17 erhielt ich dann am Konservatorium solistischen Gesangsunterricht. Seit mir die Opernsängerin Jelena Wassiljewna Obraszowa vermittelt hat, was Singen wirklich bedeutet – nämlich den Noten auf dem Papier Leben und Leidenschaft einzuhauchen, anstatt sie bloß in richtig intonierten Klang umzusetzen –, fasziniert es mich, meine eigene künstlerische Freiheit zu entdecken. Voraussetzungen dafür sind das Vertrauen in meine Fähigkeiten und der Mut, meine Gefühlsäußerungen frei auf der Bühne auszuleben. Dazu bietet mir das Opernstudio gerade die ideale Experimentierfläche. Mich am emanzipierten Charakter meiner Lieblingsopernfigur zu orientieren, motiviert mich dabei sehr: Susanna aus Le nozze di Figaro nimmt ihr Glück selbst in die Hand und verändert damit ihr Leben zugunsten ihres Liebestraums.
Als Kind hatte ich ADHS, als Jugendlicher war ich dick und in der Schule wurde ich gemobbt, weil ich wegen regelmäßiger Gesangsstunden häufig nicht am Unterricht teilnehmen konnte. Ich werde den Moment nie vergessen, als mich meine Klassenkameraden kurz vor dem Abitur mit Geldforderungen erpresst haben, um mich weiterhin als Mitglied ihrer Gemeinschaft zu dulden. Zu Beginn meines Gesangsstudiums ließ sich meine Stimme nicht einfach in ein Fach pressen. So habe ich bereits einen Wandlungsprozess vom Bass über den Bassbariton zum Bariton hinter mir, was mir viel Zeit, Ausdauer und Mut abverlangt hat und gleichzeitig mit Unsicherheit und Verwirrung einherging. Nun habe ich gelernt, in jeder Veränderung eine Chance zu sehen, und bin mittlerweile als Bariton sehr zufrieden. Nach all den wechselvollen Erfahrungen fühle ich mich im Opernstudio richtig wohl, zumal mir München als Stadt sehr ans Herz gewachsen ist.
Mit drei Jahren habe ich angefangen, Ballett zu tanzen, und wollte das zu meinem Beruf machen. Leider setzte ein Unfall diesem Traum ein jähes Ende. Ich wusste aber: Ohne die Bühne wäre ich nur ein Schatten meiner selbst. Die Alternative zum Tanz, mit der ich mich trotzdem ausdrücken könnte, fand ich mit elf in der Oper. Als der Tenor in einer Turandot-Aufführung „Nessun dorma“ anstimmte, hatte ich meine Berufung gefunden. Ein ähnliches Gefühl überkam mich, als ich jüngst Erwin Schrott in Les Vêpres siciliennes hier an der Bayerischen Staatsoper erlebte. Ich fühlte mich darin bestätigt, meiner Leidenschaft gefolgt zu sein, und war von der emotionalen Wucht überwältigt, die von einer gelungenen Musiktheaterperformance ausgeht, zu der wir als Opernsängerinnen und -sänger beitragen können. Wenn mir ein Kind nach einer Vorstellung etwa von Hänsel und Gretel ganz aufgeregt erzählt, wie gut es ihm gefallen hat, ist das der größte Glücksmoment, den ich mir als Sängerin wünsche.
Zu der Entscheidung, Opernsänger zu werden, wurde ich durch meine frühere Musiklehrerin inspiriert: Sie brachte mir nicht nur eine solide Gesangstechnik bei, sondern stärkte den Glauben an meine Fähigkeiten und entfachte in mir die Sehnsucht nach Musik. Seitdem ist Singen für mich wie eine Droge. Bevor ich hierher ins Opernstudio kam, hatte ich noch keinerlei Erfahrung an einem so großen Haus gesammelt. Erst jetzt wird mir bewusst, wie behütet und bequem die Studienzeit am Konservatorium in Sankt Petersburg war und welch romantisch-naive Vorstellung ich vom Sängerberuf hatte. Dagegen ist eine Karriere an der Weltspitze ein hartes Business, das täglich disziplinierte und konzentrierte Arbeit erfordert. Die positive Atmosphäre im Opernstudio und die Förderung lassen mich aber zum Glück oft die Anstrengung hinter all der Arbeit vergessen. Ich möchte mir meinen Traum erfüllen, als Großinquisitor aus Don Carlos auf der Bühne zu stehen und diese mächtige Musik mit dem ganzen Körper zu spüren.
Seit ich mit dem Klavierspiel angefangen habe – damals war ich fünf –, ist der Wunsch, Pianistin zu werden, während der Jahre wie von selbst gereift. Die künstlerische Vielfalt, die hier in München an den Tag gelegt wird, schätze ich sehr. Ich fühle mich sehr wohl im Opernstudio und bin froh, diesen großen und für mich wichtigen Schritt gewagt zu haben, obwohl ich gerne in meiner Heimat geblieben wäre. Mein Lehrer an der Opernakademie in Warschau, der meine Entwicklung immer begleitet und angetrieben hat, ermutigte mich dazu. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Warum ich mich als Pianistin zur Oper hingezogen fühle? Das liegt an meiner Liebe zu Le nozze di Figaro, die ich als Teenager zum ersten Mal gesehen habe und die auch hier in München mein erstes Opernerlebnis geprägt hat.
Das Fotoshooting fand auf einerBaustelle der H-I-M Villenbau statt.
Protokolle Franziska Betz
Franziska Betz studierte Romanistik, Musikpädagogik und Musikwissenschaft. 2018 war sie Dramaturgie-Volontärin an der Bayerischen Staatsoper. Sie ist Mitarbeiterin der Abteilung Dramaturgie und Publikationen der Salzburger Festspiele.
Mavra / Iolanta
Komische Oper in einem Akt / Lyrische Oper in einem Akt Von Igor Strawinsky / Peter I. Tschaikowsky
Premiere am Montag, 15. April 2019, Cuvilliés-Theater