MAX JOSEPH #3 Vermessen: die Kunst

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Was ist das Maร in der Kunst?

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Persรถnlichkeiten #3 VERMESSEN: unserer Zeit DIE KUNST antworten.

Bayerische Staatsoper


Editorial Ich fühl’s – und kann’s nicht versteh’n – kann’s nicht behalten – doch auch nicht vergessen; und fass ich es ganz – kann ich’s nicht messen! Doch wie wollt’ ich auch messen, was unermesslich mir schien? Kein’ Regel wollte da passen und war doch kein Fehler drin. Ausschnitt aus dem Fliedermonolog von Hans Sachs aus Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg (2. Aufzug)

Die kommende Premiere an der Bayerischen Staatsoper hat das Thema für ­diese Ausgabe von MAX JOSEPH vorgegeben: Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg, inszeniert von David Bösch, unter der musikalischen Leitung von Kirill Petrenko. Der genialische Künstler Walther von Stolzing bricht d ­ arin die etablierten Regeln der Meistersinger. Am Ende wird er doch in deren Zunft aufgenommen, nachdem er bei Hans Sachs gelernt hat – und setzt neue Maßstäbe. Wonach also bemisst sich Kunst? Und in welchem Verhältnis stehen in unserem Metier Tradition und Innovation? Auf diese Fragen gibt es nicht eine objektiv richtige, sondern nur unzählige subjektiv richtige Antworten. Jeder, der mit Kunst zu tun hat, muss sie für sich beantworten. Wir haben aus diesem Grund Künstler und andere Menschen, die täglich mit Kunst arbeiten, danach befragt. Sie antworteten uns zahlreich, streitbar, beeindruckend. Ihre Ge­ ­­ danken weisen auf das diffizile Verhältnis, das Hans Sachs in seinem berühmten Fliedermonolog besingt: Wiewohl wir immer wieder den Versuch unternehmen, Kunst zu vermessen, lässt sich ihr Geheimnis letztlich nicht erklären. Die befragten Künstler und Kulturschaffenden haben hierfür vielfältige, kreative und oft wunderschöne Worte gefunden. Entstanden ist eine zu Widerspruch und Zustimmung herausfordernde Sammlung über die Rolle der Kunst in unserer Zeit. Sie steht im Mittelpunkt dieser Ausgabe.

Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper


Was ist das MaĂ&#x; in der Kunst? PersĂśnlichkeiten unserer Zeit antworten.




FESTWIESE Die Oper ist … eine Kunstform, die bald keine Kunst mehr, sondern nur noch Handwerk ist. (S. 17)

Bei Mozart vermisst Figaro am Anfang den Raum für sein Ehebett, am Ende preisen alle die Liebe, die Lust und das Leben – dazwischen ist viel Platz. (S. 27) Wonach bemisst sich der Wert eines Glases Wasser? Am Boulevard, zum Kaffee wird es umsonst gereicht, in der Wüste ist es dem Verdurstenden alles. (S. 43)

Oper muss … ein Fehler, ein Gift, eine Regel, eine tautologische Schönheit, ein Feuer mit viel Asche sein. (S. 45)

Die Kunst vermisst ausschließlich sich selbst, in Bezug auf die ­Erwartungen, die ein bestimmtes Werk für sich selbst geschaffen hat. (S. 11) Kunst darf bekanntlich alles, weil sie als ­Dehnschuh der Freiheit fungiert. (S. 21)

Die Oper ist … ein folgenreiches Missverständnis. (S. 40)

Ich glaube, viel wichtiger ist es, sich um erzählerische Wahrhaftigkeit zu bemühen, um Schönheit und die echte Katharsis der Tragödie, denn das zahlende Publikum verdient es, anständig behandelt zu werden. (S. 35)

Medien haben eine merkwürdige Messlatte für die Kunst aufgehängt. Als credibler Künstler muss man einen ziemlichen Limbo machen und sich verbiegen, um da durchzukommen. (S. 44)

Durch die Kunst lässt sich erkennen, wieweit noch Individuen in der Lage sind, etwas Sinnvolles und damit Bedeutendes über die Welt auszusagen und sich so der Autorität von Kollektiven zu entziehen. (S. 71) Hier lesen Sie die Antworten Cornelius Obonya, S. 15 Vincent zur Linden, S. 16 der befragten Personen: Sophie Hunger, S. 17 Adelheid de Witte, S. 18 Ioan Holender, S. 19 Moritz Gagern, S. 10 Rosalie Thomass, S. 20 Róbert Alföldi, S. 11 Ann Cotten, S. 21 David Garrett, S. 12 Georg Baselitz, S. 22 Nigin Beck, S. 13 Dan Perjovschi, S. 23 Marlis Petersen, S. 14

Schmott, S. 24 Peter von Becker, S. 25 Roger Diederen, S. 26 Otto Waalkes, S. 27 Manos Tsangaris, S. 28 Andreas Pietschmann, S. 28 Ban Ki-moon, S. 30 Jonathan Meese, S. 31 Florian Hufnagl, S. 32

Ben Stockley, S. 33 Dieter Hanitzsch, S. 34 Peter Gelb, S. 35 Greil Marcus, S. 36 Hans-Jürgen Syberberg, S. 37 Charlotte Knobloch, S. 38 Tom Holloway, S. 39 Cosma Shiva Hagen, S. 40 Olaf Breuning, S. 41


Die Kunst soll alle Regeln ­kennen und keiner Folge leisten (S. 19)

Die Oper muss … Welten schaffen, in denen man glaubt, dass alle Menschen immer nur gesungen haben. (S. 53)

Der Größenwahn kann am ­Anfang stehen, nie am Ende. (S. 10)

Was wird durch die Kunst vermessen?

Nichts weniger als unser aller Leben. (S. 15)

Erst wenn die Kunst fehlt, wird uns ihr Wert bewusst. Es ist wie mit der Luft, die wir atmen. (S. 55)

Die Oper kann ... Gefühle und Bereiche treffen, von denen wir ohne sie keine Ahnung hätten. (S. 68)

Der Wert der Kunst wird an keiner Börse notiert, und die Preise für van Goghs Bilder erzählen nichts über den Wert der brennenden Seelenkunst seiner Gemälde. (S. 59)

Also, kulturell bin ich ein N ­ eandertaler, somit denke ich immer noch, dass Kunst eine Beziehung zur Schönheit haben muss, dass sie etwas ­einfängt oder ausdrückt, das ganz a ­ llgemein als schön gilt, was dazu führen kann, dass das ­Kunst­erlebnis eine Gefühlsreaktion in einem Menschen hervorruft. Die Oper ist … ein Nilpferd. (S. 60) Die Oper kann … auf dem Land gehen und in den Flüssen Der Wert einer Kunst bemisst sich für mich vielleicht anhand der Autonomie des Betrachters. Darüber hinaus hat Kunst keinen Wert. Sie ist ein Mehrwert, ein Luxus. Aber eben auch ein Freiraum, die Vergrößerung der Denk- und Handlungsfläche. (S. 72)

Christian Muscheid, S. 42 Udo Wachtveitl, S. 43 Samy Deluxe, S. 44 Romeo Castellucci, S. 45 Simon Denny, S. 46 Omer Meir Wellber, S. 48 Jan von Holleben, S. 50 Angelika Nollert, S. 51 Matteo Thun, S. 51

Simone Young, S. 52 Miroslav Srnka, S. 53 Hammann von Mier, S. 54 Robert Wilson, S. 55 Konstantin Wecker, S. 56 Hendrik Kerstens, S. 57 Peter Piller, S. 58 Edgar Selge, S. 59 Donna Leon, S. 60

schwimmen. Die Oper muss … vorsichtig behandelt werden, denn sie ist – wer hätte das gedacht! – das gefährlichste Tier Afrikas. (S. 39) Freiheit, ohne die Regeln zu verstehen, ist Anarchie. (S. 52)

Christian Lacroix, S. 61 Marcus H. Rosenmüller, S. 62 Norbert Bisky, S. 62 Peter Ravn, S. 63 Ulrich Holbein, S. 64 Philipp Lachenmann, S. 65 Christoph Brech, S. 66 Karin Berger, S. 68 Sophie von Kessel, S. 68

Eckart Hahn, S. 69 Titus Schade, S. 70 Bazon Brock, S. 71 Juliane Köhler, S. 72 Aino Laberenz, S. 72 Anne Schwanewilms, S. 73 Mike Hoolboom, S. 74 Lucia Elena Prusa, S. 75 Hermann Nitsch, S. 78


Sehen Sie Wasserstoff. In einer Weltpremiere von Linde. Am Anfang stand eine Idee: unsichtbare Gase sichtbar zu machen. Wir haben einen faszinierenden, einzigartigen Ansatz entwickelt. Numerische Grafiken, errechnet aus den spezifischen Stoffeigenschaften der Gase. Mehr unter www.fascinating-gases.com. Wir unterst端tzen die Bayerische Staatsoper als Spielzeitpartner.



86 Google Lit oder: Literatur ist reine Ermessenssache Schriftstellerin Annette Pehnt über die Sehnsucht nach Fleisch und Blut im Literatur­ betrieb

INHALT Max Joseph 3 Das Magazin der Bayerischen Staatsoper Spielzeit 2015/16

90 Auf dem Markt Wie junge Künstler ihre Arbeit zum ersten Mal mit Preisschildern versehen. Von Pauline Krätzig

#3 Vermessen: Die Kunst

97  Südpol – Teil 3 Die Graphic Novel zu Miroslav Srnkas Oper South Pole erzählt, wie der Wettlauf zwischen ­Robert Scott und Roald Amundsen ausging – ­vorläufig. ­Gezeichnet von Viktor Hachmang

10  Fragebögen zur Vermessung der Kunst Künstler und ­Kulturschaffende antworten in Wort und Bild 80

Stolzing reitet alleine Oder: Wie Richard Wagners Gesamtkunstwerk sich von seinem Erzeuger emanzipierte. Ein Essay von Jörg Scheller

IMPRESSUM

Magazin der Bayerischen Staatsoper www.staatsoper.de/maxjoseph Max-Joseph-Platz 2 / 80539 München T 089 – 21 85 10 20 / F 089 – 21 85 10 23 maxjoseph@staatsoper.de www.staatsoper.de Herausgeber Staatsintendant Nikolaus Bachler (V.i.S.d.P.) Redaktionsleitung Maria März

108 Der provokante Renaissancemensch – PREMIERE Ein Porträt des ungarischen Regisseurs Róbert Alföldi, der mit dem Opernstudio Benjamin Brittens Albert Herring inszeniert

Gesamtkoordination Christoph Koch Redaktion Miron Hakenbeck, Rainer Karlitschek, Malte Krasting, Daniel Menne, Julia Schmitt, Benedikt Stampfli, Nicole Brodhof Mitarbeit: Sabine Voß

Wer so denkt, hat etwas zu sagen in den Meistersingern – PREMIERE David Bösch, der Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg inszeniert, im Porträt. Mit Bildern von David Bösch und Bariton Wolfgang Koch, Interpret der Rolle des Hans Sachs

AGENDA 113

Spielplan

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Die Vermesser Schuhmacher Mario Zahn über sein Handwerk

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Vorschau

Fotografen & bildende Künstler Jan-Robert Dünnweller, Viktor Hachmang, Ramon Haindl, Martina Hemm, Gerhardt Kellermann, Mohammed Wiegand Marketing Gabriele Brousek T 089 – 21 85 10 27 / F 089 – 21 85 10 33 marketing@staatsoper.de

Bildredaktion Yvonne Gebauer

Schlussredaktion Nikolaus Stenitzer

Gestaltung Bureau Mirko Borsche Mirko Borsche, Moritz Wiegand, Sophie Schultz, Jean-Pierre Meier

Anzeigenleitung Imogen Lenhart T 089 – 21 85 10 06  imogen.lenhart@staatsoper.de

Autoren Eva Gesine Baur, Jörg Böckem, Anna Frenyó, Christiane Lutz, Eva Karcher, Pauline Krätzig, Annette Pehnt, Jörg Scheller

Vertrieb Zeitschriftenhandel Axel Springer Vertriebsservice GmbH Süderstraße 77 20097 Hamburg www.as-vertriebsservice.de

Lithografie MXM Digital Service, München Druck und Herstellung Gotteswinter und Aumaier GmbH, München ISSN 1867-3260 Nachdruck nur nach vorheriger Einwilligung.­ Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu ­erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Illustration Viktor Hachmang

Festwiese Ein Spotlight auf erste Zitate und die Teilnehmer der Umfrage

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Foto Ramon Haindl

U2 Editorial Von Nikolaus Bachler


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Moritz Gagern Komponist

Wie vermessen darf Kunst sein?

Der Größenwahn kann am Anfang stehen, nie am Ende.

Oper ist … die untrennbare Verknüpfung hörbarer und sichtbarer Handlungen. Oper kann … den produktiven Untergang gestalten.

alles wagen. Falls sie etwas mit Kunst zu tun haben will, muss die Oper mehr sein als die Summe aus herausragendem Gesang, ordentlicher Komposition, virtuosem Dirigat und Orchester, großem Drama, durchdachtem Bühnenbild und feierlichem Kostüm.

Oper muss … Welche Regeln braucht die Kunst? Gesetze, Regeln und sonstige Widrigkeiten sind für die Kunst willkommenes Material, um Transzendenz herzustellen oder Widerstand zu leisten. Zum Beispiel dient die Schwerkraft vortrefflich dazu, sie aufheben zu wollen. Ohne Schwerkraft keine Schwerelosigkeit.

Jede beliebige Zeile von Mozarts Musik wäre ein Beispiel dafür, dass Kunst bedeutet, ungestützt von Gesetzen das Richtige zu tun. Auch eine Definition von Widerstand. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Er ist spekulativ, das heißt, er wird von all denen festgelegt, die sich an der Spekulation beteiligen. Die Geburt eines ­Werkes ist nicht dessen Fertigstellung, sondern der Moment, in dem zum ersten Mal jemand auf das Werk reagiert. Die Betrachter oder Hörer sind konstitutiv für Kunst und ihren Wert.

Was wird durch die Kunst vermessen? Der Spielraum

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Parteigehorsam hier, Prostitution dort. Ein geopolitischer Unterschied.

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Moritz Gagern schreibt Instrumentalmusik, oft arbeitet er dabei interdisziplinär. An der Bayerischen Staatsoper hat er die Musik zu Hacking Wagner (2012) und Jugend einer Stadt (2014) s­ owie zuletzt Zum Südpol. Eine Klanginstallation des Unbewohnbaren realisiert. ­Gelegentlich ist er als Dramaturg und Autor tätig.


Róbert Alföldi Regisseur

Wie vermessen darf Kunst sein? Ein Hauptzug der Kunst ist, dass sie gewagt ist. Wie gewagt? So gewagt, wie sie nur sein kann. Welche Regeln braucht die Kunst? Es gibt nur eine Regel: dass der Künstler mit wahrer, persönlicher Motivation den schöpferischen Prozess anfangen soll. Es gibt keine andere Regel, nur die Authentizität. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Aufgrund der oben erwähnten Authentizität und des inneren Feuers. Was wird durch die Kunst vermessen? Die Kunst vermisst ausschließlich sich selbst, in Bezug auf die ­Erwartungen, die ein bestimmtes Werk für sich selbst geschaffen hat. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Wenn sie nur auf das Innen achtet und von ihrer eigenen Wichtigkeit voll wird. Oper ist … das komplexeste Bühnengenre. Oper kann … die Unendlichkeit – entweder hell oder dunkel – greifbar machen.

Einen Artikel über Róbert Alföldi finden Sie ab Seite 108.

Oper muss … als Theater existieren, um eine wahre Aussage über die Welt und den Menschen zu treffen.

Róbert Alföldi inszenierte seit 2003 zahlreiche Opern, darunter Verdis Attila und Rigoletto oder Glucks Iphigénie en Tauride. Von 2006 bis 2008 war er Künstlerischer Leiter des Bárka Theaters in Budapest, bis 2013 dann Intendant des Ungarischen Nationaltheaters. An der Bayerischen Staatsoper inszeniert er in dieser Spielzeit mit dem Opernstudio Benjamin Brittens Albert Herring.

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David Garrett Geiger Wie vermessen darf Kunst sein?

Was wird durch Kunst vermessen?

Also, ich bin ja Musiker, und dementsprechend kann ich mich nur über die Musik äußern. In der Musik ist es ganz wichtig, dass man natürlich Regeln befolgen, einen Puls haben und gewisse Formen bewahren muss, die der Komponist vorgegeben hat. Das heißt, es ist entscheidend für die Musik, die Balance zwischen Vorgaben und der persönlichen Interpretation zu finden, die auch ein bisschen vermessen sein darf.

In der zeitgenössischen Kunst unsere Lebenssituation

Welche Regeln braucht die Kunst?

Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Ich glaube, dass alles im Leben Regeln braucht, damit man diese Regeln irgendwann mal brechen kann. Wie man sie bricht, das macht die Kunst aus.

Wenn es ein Irrtum war, dann würden wir nicht darüber reden, insofern gibt es keine Irrtümer in der Kunst.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Die Oper ist … das Kino des 17., 18. und 19. Jahrhunderts.

Das ist sehr subjektiv. Es gibt gewisse Kunst, die mir gefällt, die anderen nicht gefällt, und genauso ist es auch andersrum. Ich glaube, dass auch Kunst teilweise sehr politisch sein kann. Eine 100-prozentige Objektivität gibt es für mich leider nicht in der Kunst. Es gibt sicherlich gewisse Maßstäbe, die zumindest das Niveau regulieren.

Denn wenn es ein Irrtum ist, ist es keine Kunst.

Die Oper kann … bewegen. Die Oper kann einen aus dem Alltag ziehen. Die Oper sollte unterhaltsam sein und Oper ist mit ­Sicherheit eine der schönsten Kunstformen, die der Mensch geschaffen hat. Die Oper muss … Ich bin kein Freund von „müssen“. Die Oper kann alles, muss aber nichts.

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David Garrett ist bekannt für seinen Crossover-Stilmix aus Klassik und Rockmusik, mit dem er weltweit auf Tour ist. ­Gemeinsam mit dem Dirigenten Zubin Mehta und dem Israel Philharmonic Orchestra entstand 2014 das Album Timeless. Garrett, geboren 1980, feiert in diesem Jahr sein 25-jähriges Bühnenjubiläum.


Nigin Beck Bildende Künstlerin

a. Wie vermessen darf Kunst sein? b. Welche Regeln braucht die Kunst? c. Woran bemisst sich der Wert der Kusnt? d. Was wird durch die Kunst vermessen?

a.

b.

c.

Lesen Sie mehr über Nigin Beck ab Seite 90.

d.

Die in München lebende Künstlerin Nigin Beck bezieht sich in ihren ­unterschiedlichen Arbeiten – Zeichnungen, Collagen, Objekten, Fotos – oft auf ihre iranischen Wurzeln.


Marlis Petersen Sängerin

Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst darf ganz vermessen sein, sonst misst sie sich am Durchschnittsmaß und wäre nicht vermessen. Welche Regeln braucht die Kunst? Kunst braucht Fähigkeiten, Spielfreude, Kreativität, Fantasie, aber immer auf den Grundlagen der Kenntnis und Anerkennung von Tradition, der Ur-Keimzelle, warum Kunst überhaupt entstanden ist und warum sie überdauert.

Das ist wie das Haus, das auf Sand gebaut ist … ein Haus braucht guten Untergrund und Kenntnis, wie man es gestaltet, damit es stabil steht und wetterfest ist. Wenn das gegeben ist, kann ich es auch absichtlich schief bauen und mit Löchern ausstatten … dann ist es wunderbar vermessen! Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? In erster Linie nach der Qualität aller Anteile; unsere Spezialisten weisen da den Weg. Das Schöne aber an der Kunst ist, dass individuelles Gefallen den Wert bestimmt, ganz ungeachtet der objektiven Facheinschätzung. Das gibt herrliche Freiheit der Wahl! Was wird durch die Kunst vermessen? Der Abstand vom Objekt zum Betrachter/Hörer geteilt durch die energe­ tische Ausstrahlung des Werkes mal die qualitative Ausarbeitung minus die Durchschnittsbetrachtung plus die Anziehungskraft :-) Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Kann denn Kunst Irrtum sein?

Die Oper ist … ein hörsinnlich bewegter und bewegender Anteil aller Ausdruckskünste. Die Oper kann … alle erdenklichen Gefühle ausdrücken und hervorrufen und macht unsere Welt zu einem schöneren Platz in all den Wirren unserer Zeit. Die Oper muss …

uns immer wieder erreichen und bewegen und aufwühlen und ­ärgern, zum Weinen und Lachen bringen, uns staunen machen und uns selber singen lassen!

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Die Sopranistin Marlis Petersen war an der Bayerischen Staatsoper zuletzt als Lulu in Alban Bergs gleichnamiger Oper und als Rosalinde in Johann Strauß’ Die Fledermaus zu erleben.


Cornelius Obonya Schauspieler Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst hat nachgerade die Aufgabe, vermessen zu sein, denn nur so kann sie ermessen, was gesellschaftlich, politisch und eben auch künstlerisch vermessen werden sollte. Welche Regeln braucht die Kunst? Regel, denke ich, gibt es nur eine: Die persönlich-beleidigende Herab­ setzung eines Menschen – das geht gar nicht. Allerdings ist anzumerken, dass man Einstellungen, Überzeugungen (politische, ­gesellschaftliche, auch religiöse) etc. durchaus auch einmal „auf die Schippe“ nehmen darf bzw. sollte. Je stärker und ehrlicher die oder der Kritisierte seine Überzeugungen lebt, desto weniger „beleidigte Leber­wurscht“ wird er sein. Dennoch ist immer Vorsicht und grundsätzliche Achtung geboten. Wie man so etwas als Künstler macht, hat der große b ­ ayerische Künstler – und nichts anderes ist er – Gerhard Polt immer wieder gezeigt. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Kunst kennt niemals einen Wert – sie ist unbezahlbar. Was wird durch die Kunst vermessen?

Nichts weniger als unser aller Leben. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Ich denke, es ist ein Irrtum, wenn Kunst sich in die Obhut der Politik begibt. Sprachrohr einer Diktatur zu werden, zum Beispiel, ist ein Irrtum, der im Zweifelsfall Leben kosten kann. Das des Künstlers, der dann keiner mehr ist, und anderer. Die Oper ist … schön. Die Oper kann … verzaubern. Die Oper muss … nichts – außer, bitte, anhörbar sein!

Cornelius Obonya spielt seit 2013 die Titelrolle in Jedermann. Das Spiel vom Sterben eines reichen Mannes bei den Salzburger Festspielen, die bereits sein Großvater Attila Hörbiger ver­körpert hat. Er tritt regelmäßig am Wiener Burg­theater auf, zudem übernimmt er diverse Rollen in Film und Fernsehen. An der Bayerischen Staatsoper ist er auch in der kommenden­Spielzeit als Frosch in Johann Strauß’ Die Fledermaus zu Gast.

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Vincent zur Linden Schauspieler Wie vermessen darf Kunst sein?

Welche Regeln braucht die Kunst?

Diese Frage würde ich gerne dahingehend beantworten, dass Kunst hauptsächlich nicht um des Vermessen-Seins willen vermessen sein sollte. Zurzeit spiele ich unter anderem in der Abschlussinszenierung Reichstheaterkammer meines Jahrgangs an der Otto-Falckenberg-Schule. Es geht an diesem Abend vor allem um Kunst in der NS-Zeit. In einer Szene reiße ich als nationalsozialistisches Parteimitglied Justus Paris am Ende meines Monologs mit den Worten „Heil Hitler“ den rechten Arm zum Faschistengruß hoch. Dabei stehe ich häufig in den ersten Reihen des Zuschauerraums. In der Probenzeit habe ich mir oft Fragen gestellt, ob ich das machen kann, wer sich davon eventuell persönlich angegriffen fühlt, ob man mit so einer Handlung überhaupt noch jemanden „schocken“ kann, ob die Bühne tatsächlich den schützenden Raum bietet, um so etwas zu tun, und wa­ rum man davon ausgeht, dass es ein Unterschied ist, ob man das im Theater oder auf der Straße tut. Mittlerweile fühle ich mich zwar immer noch leicht unwohl dabei (und da bin ich auch froh drüber), nur bin ich der Überzeugung, dass das ein Grad der Vermessenheit ist, der im Kontext immer noch künstlerisch wertvoll sein kann. Das war jetzt ein persönliches ­Beispiel von mir, weil ich glaube, wann immer man etwas Mutiges oder Anstößiges, auf jeden Fall Diskussions­ würdiges sieht, gibt es dahinter Leute, die das, was sie tun, gut durchdacht haben. Und solange man im ­Anschluss noch bereit ist zu diskutieren, kann man sich prinzipiell erst mal alles erlauben. Außer aktiv zu Gewalt aufzurufen.

Tatsächlich bin ich der Meinung, dass der Versuch, der Kunst Regeln aufzuerlegen, einerseits unmöglich, andererseits unbedingt notwendig ist. Allerdings nur, weil man dadurch ­ ­Gelegenheit hat, bestehende Regeln oder Konventionen zu brechen und etwas Neues zu entdecken. Ich würde also sagen, man braucht Regeln in der Kunst als Antrieb zu forschen. Meiner Meinung nach gibt es dafür viele Beispiele in unserer Geschichte, da jeder Schüler früher oder später seinen Meister überholt (hat). Allerdings finde ich auch, dass Regeln für die Kunst, von Leuten aufgestellt, die keine Künstler sind, für Künstler nicht gelten (sollten). Dafür möchte ich ein Beispiel nennen: Die AfD Sachsen-Anhalt fordert in ihrem Wahlprogramm: „Museen, Orchester und Theater sind in der Pflicht, einen positiven Bezug zur eigenen Heimat zu fördern. Die Bühnen des Landes Sachsen-Anhalt sollen neben den großen klassischen internationalen Werken stets auch klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen.“ (AfD Wahlprogramm Sachsen-Anhalt, 2016, S. 20)

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Für mich persönlich gibt es allerdings eine einzige Regel. Kunst sollte nie zur körperlichen Gewalt gegen etwas aufrufen.

weil Kunst immer da ist. Man könnte also sagen, der Wert der Kunst bemisst sich nach unserer Aufmerksamkeit für die künstlerischen Dinge, denen wir jeden Tag begegnen. Sie bietet Gesprächsstoff, Diskussionsgrundlage und Gründe für Menschen, die sich nicht kennen, an ­einem Ort ein Erlebnis zu teilen und zu kommunizieren. Apropos kommunizieren: Kunst ist ebenso Sprache, und je besser ich ihre Sprache mit­ ­ sprechen oder verstehen kann, desto höher ist für mich der Wert des Kunstwerkes, egal aus welcher Kunstrichtung es stammt. Das war jetzt eine eher sinnliche Beschreibung für den Begriff „Wert“, man könnte die Frage natürlich auch dahingehend beantworten, dass man „Wert“ mit „Kosten“ oder „Preis“ gleichsetzt. Dazu ist mir ein Ausschnitt aus dem Stück ≈ [ungefähr gleich] von Jonas Hassen Khemiri eingefallen (dieser Ausschnitt bezieht sich auf einen Abend im Theater): Van Houten: „... [Anzahl der Zuschauer des Abends] Personen x [Preis der Eintrittskarte] = [Produkt aus der Anzahl der Zuschauer *Preis der Eintrittskarte=UX] Euro“ Mani: „Wenn das Ereignis einen größeren Unterhaltungswert als UX liefert, dann ist es eine gesunde Investition.“ So sähe das also aus, wenn man versuchte, den Wert eines Theaterabends auszurechnen ...

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Was wird durch die Kunst vermessen?

Der Wert der Kunst ist meiner Meinung nach auch der Grund für ihre „Existenzberechtigung“. Kunst regt unsere Sinne an, sie besitzt einen unmessbaren gesellschaftlichen Wert,

Auf diese Frage muss ich allerdings ganz platt und unsinnlich antworten: Durch die Kunst werden die Ansprüche von Künstlern an ihre Arbeitgeber gesenkt, ich meine damit, man


Sophie Hunger Singer-Songwriterin nimmt schneller zu wenig Gehalt für die geleistete Arbeit hin oder muss ganz komische Kettenverträge annehmen, es gibt keine richtig starken Gewerkschaften in der Branche – Dinge, die in anderen Branchen undenkbar wären … Ich würde das also wortwörtlich nehmen, „vermessen“, weil die Verhältnisse einfach verschoben sind …

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Ich wiederhole mich: Fehler, Brechen der Regeln oder eben Irrtümer sind das, was die Kunst weiterbringt. Demnach müsste man eigentlich sagen, dass im Mittelalter die größten Irrtümer stattgefunden haben, weil zu der Zeit nur Stagnation geherrscht hat. Ich muss allerdings auch sagen, dass ein sehr großer Irrtum gerade zur Zeit des Nationalsozialismus der Glaube war, dass man Kunst und Politik trennen könne. Das kann man nämlich nicht, und der größte Irrtum ist dann wohl, dass man sich instrumentalisieren lässt bzw. nicht merkt, wenn das geschieht.

Die Oper ist … :-/ Die Oper kann … in Rostock nicht allein, ohne die Sparte des Sprechtheaters, bestehen. Die Oper muss … für alle Gesellschaftsschichten inhaltlich und finanziell zugänglich gemacht werden und darf nicht Statussymbol bleiben.

Vincent zur Linden, geboren 1994, spielte kürzlich an den Münchner Kammerspielen in dem Stück Reichstheaterkammer – eine Recherche seines Jahrgangs an der Otto Falckenberg Schule. Jüngst war er im Münchner Jubiläumstatort Mia san jetz da wo‘s weh tut zu sehen.

Wie vermessen darf Kunst sein? Vermessen ist ein gutes Wort. Sie muss vermessen, neu messen. Sie muss den Dingen der Welt immer neue Formen, neue Hüllen geben. Welche Regeln braucht die Kunst? Kunst will und muss den Zusammenhang zwischen Form und Inhalt immer wieder neu erfinden. Dabei aber muss sie ein Minimum an Konvention beibehalten, weil sie sonst unverständlich wird, unbrauchbar, stumm, blind, sinnlos.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? An der Kraft des Kunstwerkes, durch sich selbst eine neue Existenz geschaffen zu haben, die in nichts weniger wichtig oder plausibel ist als beispielweise ein Auto, eine Bank oder ein Computer.

Was wird durch die Kunst vermessen? Das Erleben der Welt

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? (Diese Frage kann ich nicht beantworten.)

Die Oper ist … eine Kunstform, die bald keine Kunst mehr, sondern nur noch Handwerk ist. Die Oper kann … innerhalb eines exklusiven Kreises von Kennern gut unterhalten. Die Oper muss … gar nichts, aber könnte erkennen, dass Töne reiner Luftdruck sind, ob sie nun von einer Magendarm-Saite, einem Stimmband oder einem analogen Synthesizer abgehen.

Die Schweizerin Sophie Hunger spielt mit ihrer Band eine Mischung aus Folk, Jazz und Elektronik. Für Aufsehen sorgte ihr Bericht über die Salzburger ­Festspiele 2010, den sie in Form eines Briefes an Thomas Bernhard für Die Zeit verfasste. Mit ihrem neuen Album Supermoon ist sie derzeit auf Tournee.

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Adelheid de Witte

Delayed (Oil on linen, 30x40cm, 2016)

Malerin

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Adelheid De Witte lebt und arbeitet in Gent. Ausgangsmaterial ihrer Arbeiten sind oft Cut-Outs aus Magazinen, aus denen sie ­imaginäre und surreale Innenräume kreiert.


Ioan Holender Intendant (i.R.)

Wie vermessen darf Kunst sein? Unermesslich vermessen Welche Regeln braucht die Kunst? Sie soll alle Regeln kennen und keiner Folge leisten. Können Sie ein Beispiel dafür nennen? Wagners Meistersinger Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Durch unsere Wahrnehmung Was wird durch die Kunst vermessen? Alles Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Die Suche nach Gunst und Gefallen Die Oper ist … Auslöser aller menschlichen Gefühle dies- und jenseits des Vorhangs. Die Oper kann … unendlich fad sein und zutiefst bewegen. Die Oper muss … nichts und soll alles.

Ioan Holender war von 1992 bis 2010 Direktor der Wiener Staatsoper. Er ist ­künstlerischer Berater der Metropolitan Opera, New York und Artistic Advisor des Spring Festivals in Tokio sowie Juryvorsitzender und Jurymitglied mehrerer internationaler Gesangswettbewerbe.

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Rosalie Thomass Schauspielerin Wie vermessen darf Kunst sein?

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Die Oper ist… Leidenschaft.

Mir gefällt Kunst oft besonders gut, wenn sie nah bei mir ist. Wenn sie mich als Mensch nicht völlig aus den Augen verliert. Wenn sie einen Bezug zum Mensch-Sein in der Welt herstellt. Im Wort „vermessen“ steckt für mich immer auch, sich zu erheben, sich auch über den anderen zu erheben. Das ist für mich als Schauspielerin völlig uninteressant. Ich möchte mich niemals über meine Figuren erheben, sondern in sie hineingelangen, durch ihre Augen sehen können. Auch über mein Publikum möchte ich mich nicht erheben. Kunst muss für mich immer erreichbar sein für den Menschen.

Wert im wirtschaftlichen Sinne: nach wirtschaftlichen Faktoren. Was ist gerade angesagt, wer hat gute Kontakte, wer wird gefördert, was loben gerade alle Kritiker in den Himmel, wer kann daran verdienen, wer ist gefragt und hat deshalb einen hohen Marktwert. In unserem Metier spielt auch das Publikum eine große Rolle, weil Film nicht so stark subventioniert wird wie Oper und Theater. Auch die Publikumsreaktion bestimmt also den Wert unserer Arbeit. Worin für mich persönlich der Wert der Kunst liegt: Wenn sie mich berühren kann, mich inspirieren kann, dann ist sie wertvoll.

Für mich ist bis heute einer der größten Irrtümer der Kunst die Idee, dass eine subjektive Rezeption nichts wert sei. Seit ich mit Kunst in allen unterschiedlichen Formen zu tun habe – also auch schon zur Schulzeit – wurde mir immer vermittelt, dass ich begründen können muss, warum mir etwas gefällt, was daran objektiv „gut“ ist. Es reichte nie, dass ich von etwas berührt oder ergriffen war, lachen musste oder das Gefühl hatte: Der/die Künstler/in hat mich mit seinem/ ihrem Werk erreicht. Die Idee, objektiv bewerten zu können, ob ein Bild gut oder schlecht ist, diese Idee halte ich für den größten Irrtum der Kunst überhaupt. Der eine ist berührt und nimmt eine große Botschaft für sich mit, aus einem Film beispielsweise; die andere geht ratlos nach Hause. Wer würde sich anmaßen, die eine oder andere Reaktion zu bewerten? Wird mir für immer ein Rätsel bleiben.

Die Oper kann… mich zu Tränen rühren.

Welche Regeln braucht die Kunst? Sie braucht Respekt vor dem Leben. Sie darf sich nie höher schätzen, nie wichtiger nehmen als das Dasein.

Ich wünsche mir, dass durch die Kunst vermessen wird: der Raum, in dem wir leben. Das Spektrum unserer Wahrnehmung. Ich wünsche mir, dass Künstler unseren Horizont stets erweitern, neu vermessen. Wofür der Rezipient vielleicht nicht den Raum, die Muße hat – neue Ideen, Visionen, Träume, Räume, Möglichkeiten zu sehen, wahrzunehmen und sichtbar zu machen für uns alle.

Rosalie Thomass spielte unter anderem in Marcus H. Rosenmüllers Filmtrilogie Beste Zeit, Beste Gegend, Beste Chance. Für ihre Rolle in Doris Dörries Film Grüße aus Fukushima wurde sie 2016 mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet.

Protokoll Jörg Böckem

Was wird durch die Kunst vermessen?

Die Oper muss… genau wie das Theater versuchen, für junge Menschen attraktiver zu werden. Sie ernst nehmen und sich fragen, was sie beschäftigt, was sie bewegt, damit sie sich wiederfinden können in ihr.


Ann Cotten Schriftstellerin

Wie vermessen darf Kunst sein?

Kunst darf bekanntlich alles, weil sie als Dehnschuh der Freiheit fungiert. Allerdings fragt sich, wie vermessen sie sein will, da Vermessenheit allein ein ­kindischer Zweck wäre. Welche Regeln braucht die Kunst? Die selben wie der Rest der Gesellschaft. Nur muss sie mutiger sein als der Rest der Gesellschaft und viel fleißiger, mit den einen Regeln die anderen Regeln befragen, die Widersprüche mit den Realitäten befrachten, die Regeln an der Wirklichkeit bemessen, anwenden, die Regeln sichtbar machen, ihre Grenzen in Erscheinung treten lassen als die Linien von etwas anderem, vielleicht sogar neue Regeln vorschlagen. Ein Beispiel? Die regula aurea der Kunst könnte lauten: „Schreib nichts, was deinen eigenen Geschmack beleidigt“ oder „nichts, was dich selber langweilt“. Diese Selbstkon­trolle durch Perspektiven­wechsel stellt das Antidot zu einem Handeln nach Prinzipien dar („Schreibe alles möglichst richtig und vollständig“), die man etwa als naiver Essayist zu befolgen neigt, als wäre man im Zeugenstand. (Wobei auch da …)

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Er bemisst sich nicht selbst, ihn bemessen immer andere. Er wird genauso wenig zu fixieren sein wie der Getreidepreis oder der Wert eines obskuren Maschinenteils. Was wird durch die Kunst vermessen? Das Leben (nicht etwa die Welt oder die Wahrheit) Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Kontinuitäten Die Oper ist … ... eine sentimentale Übertreibung und daher so nützlich, wie man kann. Die Oper kann … … nicht sie selbst sein, wenn sie meint, mit Selbstreflexion Punkte zu sammeln. Die Oper muss …

… wie Napoleon sein, klein und groß zugleich und anders denken.

Ann Cotten, geboren 1982 in Iowa und aufgewachsen in Wien, veröffentlichte jüngst bei Suhrkamp das von ihr selbst illustrierte Versepos Verbannt!

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Georg Baselitz Maler

Wie vermessen darf Kunst sein? Bescheidenheit wäre wohl nicht das Richtige; Vermessenheit schon eher. Welche Regeln braucht die Kunst?

Gut, dass es Regeln gibt, sonst könnte man diese nicht brechen. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Siehe: Svetlana Alpers, Rembrandt als ­Unternehmer Was wird durch die Kunst ­vermessen? Erfolg und Niederlage Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Der Glaube, etwas besser machen zu wollen, z. B. „das kann meine Tochter auch“ Die Oper ist … nicht tot. Die Oper kann … sehr gut sein. Die Oper muss … spielen und singen.

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Der Maler und Bildhauer Georg Baselitz wurde in den 1970er Jahren ­weltberühmt mit Bildern, „die auf dem Kopf stehen“. Von 1977 bis 2003 lehrte er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe und, mit k ­ urzer Unterbrechung, an der Universität der Künste Berlin.


Dan Perjovschi Bildender Künstler

Dan Perjovschi vertrat 1999 ­Rumänien auf der Biennale von ­Venedig. In den frühen 1990er ­Jahren a ­ r­beitete er im PostCeaușescu-­Rumänien als Redakteur für die Zeitschrift Revista 22. ­ Seine A ­ rbeiten, die er auf Wände, ­Tische, F ­ enster und Bürgersteige zeichnet, reagieren auf aktuelle ­politische ­Situationen.


Schmott Fotografen-Duo

Feuchtigkeitsmesser in einer Helmut-Newton-足 Ausstellung

Schmott ist ein Fotografen-Duo b 足 estehend aus Mathias Schmitt und Michael Ott, die sich seit ihrem Stu足dium der Visuellen Kommunikation an der Weimarer Bauhaus-Universit辰t kennen und von dort aus arbeiten.

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Peter von Becker Kulturjournalist

Was wird durch die Kunst v­­ermessen? Die Welt Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Wie vermessen darf Kunst sein? So vermessen, wie sie will und kann, denn sie ist prinzipiell: unermesslich. Goethe sagte, das wahre Kunstwerk sei „inkommensurabel“. Welche Regeln braucht die Kunst? Sie braucht keine Regeln, nur die, die sie sich selber gibt. Daraus folgt aber nicht im Umkehrschluss die völlige Beliebigkeit („anything goes“), denn ein Kunstwerk schafft sich seine eigene Gesetzmäßigkeit. Sie jeweils zu erkennen, fällt manchmal nicht leicht, weil es seit Anbruch der Moderne keine äußeren ästhetischen Dogmen mehr gibt, das ist der Preis der Freiheit. Juristisch kann die Kunstfreiheit im Einzelfall allerdings mit anderen Grundrechten kollidieren, etwa dem Persönlichkeitsrecht von Menschen. Aber das ist eine ganz andere, keine rein künstlerische Frage. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Kunst hat ihren eigenen Wert, wie jeder Mensch. Daneben gibt es noch den Marktwert, doch auch der ist primär keine Frage der Kunst. Ein Künstler kann unermesslich reiche Werke schaffen, aber wie Mozart im Armengrab enden.

Kunstwerke sind Fiktionen, in ihnen ist der Irrtum keine Kategorie. Kunstwerke können, wenn sie es können, die Erde noch immer als Scheibe darstellen, beschreiben, besingen, auch als Würfel. Die Kunst kennt keinen Irrtum, nur Künstler können sich irren (oder verrückt werden oder zweifelhafte Charaktere sein), weil sie ja Menschen sind. Auch wenn Wagner ein Antisemit im Ungeist seiner Zeit war, ist seine Musik nicht antisemitisch, sondern tief menschlich und zeitlos. Richard Strauss und Wilhelm Furtwängler stellten sich den Nazis zur Verfügung, aber sie haben keine nazistische Musik gemacht. Einige Künstler des 20. Jahrhunderts mochten Faschisten oder Stalinisten sein, doch ich kenne kein faschistisches oder stalinistisches Kunstwerk von Rang. Schostakowitschs 5. Symphonie von 1937 feiert nicht den Terror Stalins, und Susan Sontag hat selbst an Leni Riefenstahls Nürnberger Parteitags- und Berliner Olympia-Filmen demonstriert, was diese trotz ihrer Produktionsbedingungen und ihres propagandistischen Gebrauchs von schieren Propaganda-Machwerken u ­ nterscheidet. Form und Inhalt lassen sich zwar selten trennen, aber auch der Satz „form follows function“ gilt eben in den Künsten nicht unbeschränkt.

Peter von Becker ist Schriftsteller und Kulturautor des Berliner Tagesspiegel, ­dessen ­Kulturredaktion er bis 2005 leitete. Er lehrt Kulturjournalismus an der Berliner ­Universität der Künste.

Die Oper ist … ein Gesamtkunstwerk. Die Oper kann … alles, was ins Ohr und ins Auge geht. Die Oper muss … nichts müssen, aber darf alles ­bedeuten.

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Roger Diederen Museumsdirektor

Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst soll gerne vermessen sein, was aber nicht bedeutet, dass sie damit gleich überheblich ist. Wahre Kunst regt zum Denken und Hinterfragen an; ein wenig künstlerische Courage setzt diesen Prozess in Gang.

Welche Regeln braucht die Kunst? Klassische Regeln für die Kunst, wie es sie seit Jahrhunderten gegeben hat (freilich immer wieder in anderer Form), gibt es heute eigentlich nicht mehr. Alles wird ständig und andauernd ohne Differenz zu Kunst erklärt. Manche bedauern das, andere begrüßen es. Aber da auch ohne klares Richtmaß noch inspirierende Kunst gemacht wird, muss man wohl sagen:

Die Kunst braucht keine Regeln. Schon längst muss das Publikum seine eigenen Regeln definieren, wann und warum es etwas als Kunst empfindet.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Es gibt zwei voneinander ziemlich getrennte Werte der Kunst: den emotionalen und den monetären Wert. Letzterer ist eigentlich uninteressant. Wenn eine Person entscheidet, viele Millionen für ein Kunstwerk auszugeben, dann bedeutet dies nur, dass sie zu viel Geld besitzt, aber nicht, dass dieses Werk tatsächlich so viel wert ist. Von wirklichem Interesse ist der emotionale Wert eines Kunstwerks, der sich daran bemisst, was es beim Betrachter auslöst.

Was wird durch die Kunst vermessen? Unsere Gesellschaft

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Die Kunst kann keine Irrtümer begehen, nur Künstler können das.

Die Oper ist … alles oder nichts.

Der größte Irrtum des Künstlers ist es zu glauben, den Menschen mit Kunst verbessern zu können. Trotzdem möge der Künstler diesen Versuch nie unterlassen, denn ­ ­solcher Irrglaube hat schon die bewegendsten Kunstwerke hervorgebracht.

Die Oper muss … grandios überwältigen. Nur manchmal gelingt das. Wenn es aber gelingt, dann vermisst man nichts mehr.

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Der niederländische Kunsthistoriker und Kurator Roger Diederen leitet seit 2013 die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München.

Die Oper kann … erbärmlich scheitern.


Otto Waalkes Komiker

Wie vermessen darf Kunst sein? Etwas zu produzieren, das Kunstanspruch erhebt, ist ohnehin schon vermessen – nach oben gibt’s da keine Grenze.

Welche Regeln braucht die Kunst?

Kunstwerke definieren ihre eigenen Regeln, an diese sollten sie sich dann allerdings halten. Komisch gemeinte Kunst darf vieles – sofern es der Komik dient, die durch Lachen legitimiert wird.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Das Bemessen sollte der Künstler anderen überlassen, auch wenn’s ihm manchmal schwer fällt.

Was wird durch die Kunst vermessen?

Bei Mozart vermisst Figaro am Anfang den Raum für sein Ehebett, am Ende preisen alle die Liebe, die Lust und das Leben – dazwischen ist viel Platz. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Ich bin kein Historiker – mir scheint aber, manchmal hat sich die Kunst zu ernst genommen – und tut es noch.

Die Oper ist … ein vollkommenes Vergnügen – wenn die Inszenierung gelingt. Die Oper kann … andernfalls entsetzlich nerven. Die Oper muss …

nicht sein – das ist ihre Chance.

Otto Waalkes feierte 2015 sein 50-jähriges Bühnenjubiläum. Bekannt wurde der Komiker, Zeichner, Musiker, Schauspieler und Regisseur in den 1970er Jahren mit seiner Fernsehshow Die Otto-Show. Ab 7. Juli ist er als ­Synchronstimme in Ice Age 5 zu hören.

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Manos Tsangaris Komponist Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst muss unendlich vermessen sein, so wie der menschliche Geist, dem, nach Novalis, „nichts erreichbarer ist als das Unendliche“. Welche Regeln braucht die Kunst? Kunst braucht nur die von ihr selbst geschaffenen Regeln. Tonale Musik endet mit dem Grundton. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Nach dem Grad ihrer Überschreitung (Transzendenz von trans ire – hinübergehen) Was wird durch die Kunst vermessen? Menschliche Existenz Was waren die größten Irrtümer der Kunst? In der Kunst gibt es keine Irrtümer. Sie ist erst Kunst, wenn sie einen Grad der Vollkommenheit erreicht hat, der Irrtümer ausschließt. Was mit ihr dann von Menschen angestellt wird, kann furchtbaren Irrtümern unterliegen. Die Oper ist … nicht automatisch das, wofür wir sie halten. Die Oper kann … unser Leben verändern. Die Oper muss … nichts.

Die Werke von Manos Tsangaris wurden auf zahlreichen renommierten ­Festivals wie den Donaueschinger Musiktagen und an Theatern und ­Opernhäusern aufgeführt. Seit 2009 lehrt er als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden und ist seit diesem Jahr einer der künstlerischen Leiter der Münchener Biennale für Neues ­Musiktheater.

Andreas Pietschmann Schauspieler

Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst muss sich trauen. Wenn sie verhalten ist, entfaltet sie nicht ihre Kraft. Darum darf sie auch vermessen sein. „Das rechte Maß“ ist in vielen Dingen von Vorteil und wünschenswert. Gerade die Kunst aber muss manchmal auch maßlos sein, um aufmerksam zu machen, zu erwecken und zu provozieren. Kunst kann man nicht messen. Welche Regeln braucht die Kunst? Sie sind ja sprichwörtlich, die „Regeln der Kunst“, nach denen die Kunst, oder wer immer sie hervorbringt, also ganz „vorschriftsmäßig, gründlich und gehörig“ glänzt oder

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maßregelt und so weiter. Also scheint es sie zu geben, diese Regeln. Aber ich kann sie nicht beschreiben. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Was für den einen Kunst, ist für den anderen nichts. Das ist immer subjektiv. Der Wert verschiedener Kunstwerke ist jeweils schwer in Beziehung zueinander zu setzen. Aber entscheidend ist die Frage, wie sehr die Kunst einen berührt. Was wird durch die Kunst vermessen? Alles Menschsein

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Siehe Antwort zu Frage 3 Die Oper ist … schon lange da. Die Oper kann … noch lange da sein. Die Oper muss …noch lange da sein.

Andreas Pietschmann spielte in TV-Krimi­ reihen wie Der Staatsanwalt oder Polizeiruf 110 sowie in Spielfilmen, zuletzt etwa in der Charlotte-Link-Verfilmung Der Beobachter. Er arbeitet auch als S ­ precher. Das Hörspiel Wir nach Jewgenij S ­ amjatin wurde 2016 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.


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Ban Ki-moon Generalsekretär der Vereinten Nationen

Wie vermessen darf Kunst sein?

Als Generalsekretär der Vereinten Nationen bin ich zwar kein Experte für Kunst, aber ich habe sehr wohl die enorme Kraft der Kunst beobachtet, Menschen zusammenzubringen, Grenzen niederzureißen und einem Gespür für Transzendenz Vorschub zu leisten. Welche Regeln braucht die Kunst? Ich arbeite im Bereich der öffentlichen Diplomatie und möchte nicht so vermessen sein, Regeln für die Kunst vorzuschlagen. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Die Maßstäbe für Ästhetik sind subjektiv. Ich persönlich bin von solcher Kunst am meisten berührt, die versucht, ein höheres Bewusstsein für die inspirierende Kraft des menschlichen Geistes zu erzeugen. Was wird durch Kunst vermessen? Ich bin kein Künstler und kann nicht sagen, was die Kunst vermisst. Ich kann aber sagen, dass ich viele Künstler getroffen habe, die ihre Werke und ihren Einfluss dafür einsetzen, den Zielen und Prinzipien der Vereinten Nationen Vorschub zu leisten: Frieden, Gerechtigkeit, Entwicklung und Menschenrechte.

Oper ist … Oper kann … Oper muss …

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eine meiner liebsten Arten von Musik. die Herzen der Menschen bewegen. ihre stolze Tradition bewahren und gleichzeitig neue Wege beschreiten.

Ban Ki-moon übernahm 2007 das Amt des UN-Generalsekretärs von Kofi Annan. Zuvor war er Außenminister Südkoreas. Seit seiner zweiten Amtszeit 2012 stehen Gleichberechtigungsfragen sowie Frieden im Nahen Osten im Fokus seiner öffentlichen Reden und Aussagen.

Übersetzung Sabine Voß

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Wir kennen Kunstformen, die zur Verbreitung von Propaganda, negativen Stereotypen und Hetze missbraucht wurden. Dadurch wird das Medium pervertiert, und es ist eine Schande für die Verantwortlichen.


Jonathan Meese Bildender Künstler

Jonathan Meese, geboren 1970 in Tokio und aufgewachsen in Norddeutschland, postuliert mit Aktionen, Installationen, ­Skulpturen und Gemälden die Kunst als die welt- und ­gesellschaftsrettende humanisierende Kraft schlechthin. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er bekannt, weil er im Rahmen seiner Aktionen immer wieder den in Deutschland verbotenen ­Hitlergruß zeigte, wofür er 2013 angeklagt, aber aufgrund der Kunstfreiheit freigesprochen wurde.

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Florian Hufnagl Museumsdirektor (i.R.) Welche Regeln braucht die Kunst?

Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst muss an die Grenzen ­gehen: bisher nie Gesehenes, nie Gehörtes und nie Gelesenes sinnlich erfahrbar machen.

Am besten keine – das Ergebnis von verordneten Regeln sieht man in allen totalitären Staaten.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Sicherlich nicht auf dem Kunstmarkt. Es ist der Grad der individuellen Erfahrung und Intensität, die sich beim Sehen, Hören, Lesen, Fühlen einstellt. Und egal, ob es ein erschütterndes oder ein freudiges Empfinden ist.

Was wird durch die Kunst vermessen? Die Welt und all ihre Möglich­ keiten

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Der Irrglaube, man könne dadurch die Welt verbessern

Die Oper ist … das Leben auf der Bühne. Die Oper kann … den Menschen in seinem Innersten berühren. Die Oper muss … Empfindungen auslösen – und zu Bravo- oder Buhrufen stimulieren.

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Florian Hufnagl arbeitete 33 Jahre für Die Neue Sammlung in der Münchner Pinakothek der ­Moderne, dem weltweit ältesten und größten Designmuseum, davon ab 1990 als ihr D ­ irektor. Er ist seit 1997 Honorarprofessor an der Akademie der Bildenden Künste in München.


Passage 17, 2015 Der britische Fotograf Ben Stockley wurde bekannt f체r seine Landschaftsfotografien, Stillleben und Portr채ts.

Ben Stockley

Fotograf

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Dieter Hanitzsch Karikaturist Wie vermessen darf Kunst sein?

Vermessen (Adj.) bedeutet laut Duden „sich überheblich oder ­an­maßend auf die eigenen Kräfte oder auf das Glück verlassend“. Insofern darf Kunst nicht vermessen sein. Welche Regeln braucht die Kunst? Kunst braucht keine Regeln. Kunst ist schöpferisches Gestalten. WER sollte da welche Regeln aufstellen? Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Hat Kunst einen messbaren Wert? Was wird durch Kunst vermessen?

Wenn „vermessen“ messen meint (und nicht falsch messen), dann … wird durch Kunst nichts vermessen, denn die schöpferische Kraft des Menschen ist unermesslich. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Es gibt keine. Irrtümer sind keine Kunst. Die Oper ist … eine der größten künstlerischen Schöpfungen des Menschen. Die Oper kann … alles. Die Oper muss … besonders diese Mahnung Richard Wagners befolgen:

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Dieter Hanitzsch ist politischer Karikaturist für die Süddeutsche Zeitung und den Bonner General-Anzeiger. Das Bayerische Fernsehen sendet ­wöchentlich seine Zeichenglosse Der große Max – Aus dem Tagebuch des CSU-Bundestagsabgeordneten Max Froschhammer. Eines seiner Werke kennen auch ­politikferne Menschen: 1964 erfand er, damals noch als Brauerei-Ingenieur tätig, den Werbeslogan „Gut, besser, Paulaner“.


Peter Gelb

Übersetzung Sabine Voß

Intendant

Da ich gegen Heuchelei bin, wenn es um die Darstellung der Kunstform Oper geht, bin ich nicht der Meinung mancher Kritiker oder anderer gelangweilter Insider, die anscheinend denken, Kunst sei nur dann etwas wert, wenn sie für das Publikum unangenehm ist. Wie der Dramatiker und Nobelpreisträger Eugene O’Neill einmal über seine Kritiker sagte: „God bless every bone in their heads.“ („Gott segne jeden Knochen in ihren Holzköpfen“) Ich glaube, viel wichtiger ist es, sich um erzählerische Wahrhaftigkeit zu bemühen, um Schönheit und die echte Katharsis der Tragödie, denn das zahlende Publikum verdient es, anständig behandelt zu werden. In meiner Laufbahn habe ich mit einigen der größten Sänger, Dirigenten, Instrumentalisten und Regisseure dieses und des letzten Jahrhunderts gearbeitet, und ich kann Ihnen versichern, dass sie alle ein Ziel hatten, nämlich das Publikum glücklich zu machen. In den 1980er Jahren war ich der Manager von Vladimir Horowitz, dem wohl größten Pianisten aller Zeiten. Ihm machte es Spaß, aufgeblasene Kritiker zu ärgern, indem er ihnen sagte, wie unbedeutend ihre Meinung sei. Für Horowitz zählte die Reaktion des Publikums. Er war ein Genie, aber er war auch ein bodenständiger Kerl mit Sinn für Humor. Einmal sagte er: „If the check is good, the acoustics are good.“ („Wenn die Gage stimmt, stimmt auch die Akustik.“) Wie Horowitz müssen wir eine gesunde Perspektive beibehalten, denn für die Zukunft der Oper kommt es darauf an, dass wir offen und ehrlich mit uns selbst sind und mit dem Publikum, für das wir arbeiten.

Peter Gelb ist Intendant der Metropolitan Opera, New York. Mit Beginn seiner Intendanz 2006 startete er die Reihe The Met: Live in HD mit Live-Übertragungen von Aufführungen in Kinos weltweit.

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Greil Marcus Musikjournalist

Wie vermessen darf Kunst sein? So vermessen wie es ihr gefällt. Zurzeit sind Pussy Riot unser bestes Beispiel. Welche Regeln braucht die Kunst? Keine Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Nach gar nichts Was wird durch die Kunst vermessen? Nichts Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

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Greil Marcus’ Mystery Train von 1975 gilt noch immer als ­bestes und witzigstes Buch über Rock ’n’ Roll und die ­amerikanische Kultur. Jüngst erschien sein neuestes Buch Die Geschichte des Rock ’n’ Roll in zehn Songs.

Übersetzung Sabine Voß

Die Kunst selbst hat keine ­Handlungsmacht, also kann sie keine Fehler machen. Künstler können Fehler machen, Sammler auch. So zum Beispiel Bob Dylan, als er seinen Double Elvis, den Warhol ihm für die Teilnahme an einem seiner Screen Tests gegeben hatte, gegen die Couch seines Managers Albert Grossmann tauschte.


Hans-Jürgen Syberberg Filmregisseur

Regeln müssen sein. Am besten die eigenen für das jeweils neue Werk. In den Koordinaten des Ganzen, dem das Haus – die Oper – und wir gewidmet sind.

Gruß aus Nossendorf

Hans-Jürgen Syberberg führte u.a. Regie bei den Filmen Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried (1975),­ Hitler, ein Film aus­D ­ eutschland (1977 bis 1980) und Parsifal (1982). Auch die ­Renovierung seines Geburtshauses in Mecklenburg-Vorpommern, die er täglich im I­ nternet im Nossendorf-Tagebuch dokumentiert, ist Teil seines vielfältigen Werks.

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Charlotte Knobloch Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

Wie vermessen darf Kunst sein?

Welche Regeln braucht die Kunst?

Kunst lebt davon, frei zu sein. Sie ist Ausdruck von Freiheit. Zugleich meine ich, dass Kunst ein Maß, einen Rahmen braucht, den sich die Künstler freiwillig geben. Sei es in der bildenden Kunst oder in der Literatur sowie gerade auch im humoristischen Bereich, wo es sehr auf das Timing ankommt, eben wie im Theater oder in der Musik, in der Oper. Da Kunst in aller Regel ein Ziel verfolgt, die Künstler ihrem Werk einen Sinn beimessen, bedarf es auch eines Maßes bzw. der Vermessung. Sofern diese dem freien Willen des Künstlers entspricht, ist das richtig und wichtig. Im übertragenen Sinne braucht Kunst beziehungsweise brauchen Künstler zudem wohl auch ein Mindestmaß an Vermessenheit im ­ Sinne von Mut, ja Kühnheit, um ihre Werke hervorzubringen. Sie müssen davon überzeugt sein, dass sie etwas zu sagen und eine angemessene Form dafür gefunden haben. Aber ist deshalb auch die Kunst ­ vermessen? Ja, wenn sie Ausdruck von Mut und Tapferkeit, Freiheit und Neugier, Sehnsucht und Fantasie, kurz: von Leben ist, in dem man ja jeden Tag Neuland betritt. Dann kann Kunst nicht vermessen genug sein. Aber Kunst, die vermessen im Sinne von selbstgefällig und anmaßend ist, braucht niemand.

In der modernen Kunst, gleich welcher Sparte, gibt es nur noch sehr selten die strengen Regelwerke, wie sie beispielsweise für den Meistergesang galten. Aber gleichwohl wird ein guter Künstler auch heute „nach allen Regeln der Kunst“ arbeiten – und wenn es darum geht, alte Regeln bewusst zu brechen.

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Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Nach der Kraft und Originalität des Ausdrucks (ganz bestimmt nicht nach dem Marktwert)

Was wird durch die Kunst vermessen? Der Raum der Freiheit, der geistigen Möglichkeiten sowohl des Künstlers wie auch der Rezipienten, in deren Auge oder Ohr das Werk erst zur Kunst wird – oder eben nicht.

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Dass sie gänzlich losgelöst sein könnte von gesellschaftlichen, sozialen oder politischen Kontexten – dass sie also losgelöst sein könnte von der Menschlichkeit. Und dass sie einer menschenverachtenden Ideologie dienen sollte. Kunst muss auf der richtigen Seite stehen, was nicht heißt, dass sie moralisierend sein soll. Im Gegenteil: Sie muss auf der Seite der Freiheit und der Fantasie stehen.

Die Oper ist … ein Erlebnis für alle Sinne. Die Oper kann … begeistern und erschüttern. Die Oper muss … begeistern und erschüttern.

Charlotte Knobloch, Ehrenbürgerin der Stadt München, übt ihr Amt als Präsidentin der Israe­­l­itischen Kultusgemeinde seit 1985 aus. Von 2006 bis 2010 war sie Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Bekannt ist auch ihr vehementes Engagement gegen das Kunstprojekt „Stolpersteine“, das sie als unwürdige Form des Gedenkens ansieht.


Tom Holloway Dramatiker Wie vermessen darf Kunst sein? Da müssen Sie ihre Eltern oder Betreuer fragen.

Welche Regeln braucht die Kunst? Entweder gar keine oder eine Unmenge, ich vergesse das immer wieder.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Ich habe eine Maschine gebaut. Auf einer Seite steckt man die Kunst rein, dann fängt die Maschine an zu dampfen und zu spucken und herumzuwackeln. Irgendwann kommt am anderen Ende ein Stückchen Papier heraus, darauf steht eine Prozentzahl. Nur mit dieser Maschine kann man den Wert der Kunst richtig messen, und sie wird mich zum Millionär machen. Ich überlege auch, daraus eine App für Smartphones zu entwickeln.

Maschine

Illustration Mohammed Wiegand

Kunst

Wert

95% Was wird durch die Kunst vermessen? Die Temperatur? Ich bin nicht ganz sicher.

Übersetzung Sabine Voß

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Sie fing diesen riesigen Monolog über ihre eigene Größe an, kurz bevor sie die Heldin töten wollte, was dem Helden Zeit ließ, aufzuholen und selbst zuzustechen.

Die Oper ist … ein Nilpferd. Die Oper kann … auf dem Land gehen und in den Flüssen schwimmen. Die Oper muss … vorsichtig behandelt werden, denn sie ist – wer hätte das gedacht! – das gefährlichste Tier Afrikas.

Tom Holloway ist Autor vieler erfolgreicher Stücke für europäische und australische Theater. Zusammen mit dem Komponisten Miroslav Srnka schrieb er für diese Saison an der Bayerischen Staatsoper das ­Auftragswerk South Pole. Es war ihre zweite Zusammenarbeit nach der Kammeroper Make No Noise, die 2011 im Pavillon 21 der Münchner Opernfestspiele uraufgeführt wurde.

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Cosma Shiva Hagen Schauspielerin Wie vermessen darf Kunst sein? Die Kunst ist ein wahrhaftig widersprüchliches Wesen. Kunst lebt, atmet & verändert (sich). Kunst steht sichtbar zwischen den unsichtbaren Dingen, zwischen den Polaritäten dieser Welt. Mal leise, mal laut – aber immer als Beobachter. Kunst entsteht aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus und wird von unterschiedlichen Perspektiven aus betrachtet. Demnach kann Kunst wahrscheinlich nur so vermessen sein, wie die Schöpfungs- oder Wahrnehmungskraft eines Individuums es zulassen. Kunst stellt dar – Kunst bewertet nicht. Wie vermessen darf ein Mensch sein? – Die Kunst stellt sich diese Frage nicht. Kunst IST. Welche Regeln braucht die Kunst? Die Kunst existiert nur, weil sie sich nicht an Regeln hält. Genie und Wahnsinn sind wohl eng miteinander verbunden. Narr wurde im Mittelalter jene Person genannt, die als Spaßmacher für Unterhaltung sorgen sollte und dabei meist auffällig gekleidet war. Menestrels waren Spielleute und Musikanten. Das Wort ist vom lateinischen ministrare, „dienen“, abgeleitet, da Barden und Hofsänger auf derselben (niedrigen) sozialen Stufe

standen wie Bedienstete. Hofnarren waren eine soziale Institution zulässiger Kritik. Die gesonderte Stellung sowie die fehlende Bindung an gesellschaft­ liche Normen ermöglichte dem Narren einen besonders großen Handlungsfreiraum – da alles, was er sagte, aufgrund seiner „Narrheit“ nicht ernst genommen wurde. Darauf begründet sich der heute noch viel verwendete Begriff der „Narrenfreiheit“. Kunst ist unschuldig wie ein Kind und dennoch frei und untreu wie der Wind. Kunst ist schon deshalb nicht rebellisch, weil es für sie nie Regeln gegeben hat. Die Dadaisten beharrten darauf, dass Dada(ismus) nicht definierbar sei. Als der Dadaismus sich zu festigen begann, riefen die Dadaisten dazu auf, diese Ordnung wieder zu vernichten, da es ja eben das war, was sie in Frage stellen wollten, oder wie Wolfgang Beltracchi so schön sagt – „Die Leute sind halt blöd“ … Der englische Begriff „minstrel“ bedeutet ursprünglich „kleiner Diener“. Ob in der Malerei oder beim Theater, in der Literatur oder in der Musik: Wahre Kunst entsteht wahrscheinlich nur dort, wo sie keine andere Wahl hat. An jenem Ort, wo es nur um die Sache geht, weil jemand sein Herz öffnet, um der Kunst zu dienen. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Der Wert der Kunst liegt im Auge des Betrachters und ist demnach unermessbar. Relativ gesehen … Es gibt da wohl sehr unterschiedliche Realitäten. Etwas äußerlich scheinbar Wert­

loses kann von unschätzbarem materiellen Wert sein, während etwas materiell Wertloses für einen Menschen mit persön­lichem Bezug dazu von unschätzbarem Wert sein kann. Ein Beispiel: Was materiell keinen großen Wert hat, kann dennoch einen nachhaltigen Eindruck vermitteln und aufrütteln, provozieren oder Denkanstöße geben. Die Frage wäre dann, was von diesen Möglichkeiten tatsächlich mehr „Wert“ hat. Abstoßende oder provozierende Kunst kann zeitdokumentarisch betrachtet den Lauf der Geschichte oder die Einstellung zu bestimmten Themen in der Gesellschaft nachhaltig verändern. Es ist wahrscheinlich dieselbe Ironie des Schicksals, die dazu führt, dass für gewisse Kunstobjekte der materielle Wert erst dann ins Unermessliche steigt, wenn ein Künstler das Zeitliche segnet. „Zeitlose“ Kunst hingegen hat in unserer Gesellschaft wahrscheinlich den größten „Mehrwert“ – trotz der verschiedenen Zeitepochen unserer Menschheitsgeschichte zeigt sie uns durch die immer wiederkehrenden und gleichen Fragestellungen eindrucksvoll unsere Zusammengehörigkeit. Was wird durch die Kunst vermessen? Kunst dient dazu, die Wahrnehmung zu sprengen oder zu intensivieren. Die Kunst ist wahrscheinlich die einzige Schöpfungsund Wahrnehmungskraft, durch die Zeit und Raum sichtbar vermessen werden können. Egal, von welchem Blickwinkel aus betrachtet. Die allergrößte Kunst an und für sich in diesem und jedem anderen Augenblick ist höchstwahrscheinlich – das Leben an sich. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Die größten Irrtümer der Kunst liegen in der Kunst selbst – oder um es mit Vincent van Goghs Worten zu sagen: „If you hear a voice within you say ,you cannot paint‘, then by all means paint, and that voice will be silenced.” Die Oper ist … ein folgenreiches Missverständnis. Die Oper kann … ein Gesamtkunstwerk sein. Die Oper muss … die Wahrheit kritisch beleuchten.

Cosma Shiva Hagen spielte in Krimiserien wie Kommissar Stolberg oder Der Alte sowie im Tatort und in Kinofilmen, zuletzt im Drama Der 8. Kontinent. Seit 17. März ist sie als Synchronstimme in Kung Fu Panda 3 zu hören. 2015 erhielt sie für ihr soziales Engagement die ­Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland.


Olaf Breuning Bildender Künstler Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Aus den Serien The Art Freaks (2, 4, 3), C-Print, 80×190 cm, 2011

Kunst vermisst sich selbst. Die Zeitachse der Kunstgeschichte funktioniert nicht mehr, was immer man macht, es steht in Beziehung zu dem, was in der Kunst (und überhaupt) schon gemacht worden ist. Die Art Freaks sind eine Möglichkeit für mich, darüber zu sprechen.

Der Multimedia-Künstler Olaf Breuning arbeitet mit Fotografie, Film, Bildhauerei, Zeichnung und neuerdings Malerei. Der gebürtige Schweizer lebt und arbeitet in New York.

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Christian Muscheid Bildender Künstler

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Lesen Sie mehr über Christian Muscheid ab Seite 90.

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1 Wie vermessen darf Kunst sein? 2  Welche Regeln braucht die Kunst? 3  Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? 4  Was wird durch die Kunst vermessen? 5  Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

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Der Maler Christian Muscheid ist Mitglied des Kollektivs Neue Münchner Malerei. Zu seinem Werk gehören Acrylbilder, Mixed-Media-Kunst, Objekte und Kunst im öffentlichen Raum.


Udo Wachtveitl Schauspieler

Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst darf noch mehr als Satire, und die darf angeblich schon alles. Sie darf auch scheitern: Wo die Möglichkeit des Scheiterns fehlt, kann vom Gelingen keine Rede sein. Vermessen hat sich, wer provokante Stümperei mit kühner Meisterschaft verwechselt; wem die Nabelschau zur Weltsicht wird; wer Unrat knetet und sich Diamanten schleifen wähnt. Welche Regeln braucht die Kunst? Kunst im weiteren Sinne, als eine Art Sprache betrachtet, braucht Regeln. Eine Sprache ohne Regeln ist keine, sie könnte als Kommunikationsmittel nicht dienen, wenn z.B. „Tisch“ heute „x“ und morgen „y“ hieße. Nicht einmal die Provokation ist ohne den Hintergrund des Etablierten möglich, sogar der Begriff des Regelverstoßes bedingt die Regel. Die wichtigste Regel überhaupt aber: Sie darf nicht langweilen. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Nach ihrer Welthaltigkeit, nach ihrer Möglichkeit zu berühren und z.B. nach Sotheby’s. Wonach bemisst sich der Wert eines Glases Wasser? Am Boulevard, zum Kaffee wird es umsonst gereicht, in der Wüste ist es dem Verdurstenden alles. Was wird durch die Kunst vermessen? Das, was die Physik nicht messen kann. Nach einem berühmten Diktum von Wittgenstein müsse man darüber schweigen, wovon man nicht sprechen kann. Für die Kunst gilt dieses Gebot nicht, in ihr kann sich Unsagbares zeigen. Leider sieht man manchmal auch Unsägliches. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Dass sie sich unbeschadet in den Dienst einer Ideologie stellen, Sprachrohr statt Stimme sein könne. Dass sie wichtiger sei als Brot. Die Oper ist … unbestreitbar vorhanden. Die Oper kann … nicht für alle von Interesse sein. Die Oper muss … es auch nicht.

Udo Wachtveitl spielt seit 25 Jahren den Münchner Tatort-Kommissar Franz Leitmayr im ­Ermittlerduo mit Miroslav Nemec alias Ivo Batic. Er arbeitet auch als Sprecher für Hörbücher und internationale Filmproduktionen und als Drehbuchautor und Regisseur. Seit 1998 geht er mit dem Musik- und Lesungsprogramm Mörderisches Bayern auf Tournee.

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Samy Deluxe Rapper Wie vermessen darf Kunst sein? Da gibt es keine verbindliche Regel, das wäre ja Zensur. Wer sollte entscheiden, was zu krass oder sexistisch ist? Ich finde, wenn Lieder eine Aussage haben, muss die Kunst die Aussage rechtfertigen. Wenn sich jemand durch meine Kunst in seinen Gefühlen verletzt fühlt, ist mir das egal, wenn die Aussage durch Humor oder Provokation gerechtfertigt ist. Es darf sich im Gegenteil nicht so anhören, als habe ich ein Stück nur wegen des Themas geschrieben. So musikalisches Gutmenschentum, ich singe mal ein Lied für Menschenverständigung, und in dem Video reichen sich Christen, Moslems und Juden die Hände, das ist langweilig und berechenbar, zu cheap. Das ist MIR zu krass. Welche Regeln braucht die Kunst? Kunst wird nie ein klares Regelwerk wie zum Beispiel Fußball haben: Wenn du diese Linie übertrittst, zählt nicht mehr, was du gemacht hast. So funktioniert Kunst nicht. Im Gegenteil, das würde Kunst verhindern. Man muss für sich die Regeln finden, die die eigene Kunst definieren. Das gilt auch für mich als Konsument: Ich verachte Gewalt und Sexismus, aber wenn ich mir Eminem anhöre, der die extremsten und schlimmsten menschlichen Facetten in seinen Texten auslebt, auf höchstem lyrischen und darstellerischen Niveau, dann ist das für mich gerechtfertigt, als Kunstwerk, nicht als Slogan oder so.

Amerika als Schwarze in einer weiß dominierten Gesellschaft zu leben. Ich bin in Hamburg-Eppendorf aufgewachsen, außer mir gab es in den 80ern dort so gut wie keine Farbigen. Diesen anderen Teil meiner Identität hat mir Hiphop vermittelt. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Jede Art von Zensur oder Selbstzensur in der Kunst ist ein Problem. Obwohl ich mir manchmal, wenn ich mir den deutschen Gangsta-Rap und seine verheerenden Folgen ansehe, mehr Selbstzensur wünsche. Ich mache ja Workshops in Schulen, und zu sehen, dass viele Kids an den Lippen der Gangsta-Rapper hängen, die eigentlich nur Müll reden, ist frustrierend. Aber ab dem Moment, wo man anfängt zu zensieren, kann man alles zensieren. Wer bin ich, die Messlatte zu setzen, was zensiert wird? Ich habe selbst zahlreiche Texte, in denen ich vom Kiffen erzähle, was einige stört. Und mich nerven Leute, die das Koksen feiern. Also, was soll´s. Zensur in jeder Form ist gefährlich. Und jede Form von Messlatte in der Kunst ist ein Problem. Kunst misst sich nicht an Medienpräsenz oder Plattenverkäufen. Die Medien sind ein Problem – wenn du ständig im Fernsehen bist, bist du angesagt. Aber dafür, dass man den ganzen Müll wie Popstars-Jury oder Promi-Dinner ständig absagt, kriegt man keinen Respekt. Crazy. Medien haben eine merkwürdige Messlatte für die Kunst aufgehängt. Als credibler Künstler muss man einen ziemlichen Limbo machen und sich verbiegen, um da durchzukommen.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Was wird durch die Kunst vermessen? Vermessen ist ein merkwürdiges Wort. Für mich vermisst Kunst den kompletten Rahmen des Realen und des Irrealen. Gute Kunst bietet eine Leinwand, auf die andere Menschen ihre Geschichte projizieren können. Meine größte Inspiration im Leben waren Rap-Platten. Mit 13 war ich als Austauschschüler in England, um die Sprache zu lernen. Damals habe ich Public Enemy gehört. Das hat mich total geflasht. Ich habe Wahrheit darin gefunden. Sie reden darüber, wie es für sie ist, in

Oper ist … wunderschön. Glaube ich. Ich war nur einmal in der Oper. Aber aus meiner Sicht auch etwas stehen geblieben. Oper kann … sich öffnen, in verschiedene Richtungen und für unterschiedliche Einflüsse, um nicht zu stagnieren. Und mit anderen Genres verschmelzen. In der jüngeren Generation sind viele von der Oper abgeschreckt, weil oft der Eindruck entsteht, man brauche ein Studium, um Oper zu verstehen. Oper muss … sich nicht öffnen, aber sie sollte. Sonst gibt es sie vielleicht irgendwann nicht mehr. Oder sie verliert an Relevanz.

Samy Deluxe ist einer der erfolgreichsten deutschen Rapper. Der Musiker ­produziert auch für andere Künstler und engagiert sich für verschiedene ­soziale Projekte in Hamburg. Sein neues Album Berühmte letzte Worte ­erscheint am 29. April.

Protokoll Jörg Böckem

Der Weg, auf dem Kunst entsteht, ist ebenso wichtig wie das Ergebnis. Für mich bemisst sich der Wert der Kunst daran, dass ich zum einen den Künstler verstehe, seinen künstlerischen Trieb, aber auf der anderen Seite nicht genau nachvollziehen kann, wie er gearbeitet hat. Das finde ich spannend.


Romeo Castellucci Regisseur Wie vermessen darf Kunst sein? Es geht bei Kunst weder darum, wie vermessen sie ist, noch darum, was sie darf.

Kunst zu machen bedeutet, etwas weiterzugeben, was nicht einem selbst gehört. Kunst ist die Zerstörung des Egos. Anstelle des Begriffs des Vermessens würde ich den Begriff der Bestätigung verwenden. Ein Künstler „bestätigt“ etwas, und er tut dies, ohne danach zu fragen, ob er es darf. Er tut es, aber dabei geht es nicht um ihn als Person. Welche Regeln braucht die Kunst? Viele Künstler haben hierzu sehr vorhersehbare Ansichten, sie sagen, dass die Regel ist, die Regeln zu brechen. Ich hingegen bin der Ansicht, dass große Kunst neue Regeln aufstellt, wobei sie aus all dem schöpft, was vor ihr da war – als dessen fortgesetzte Negation. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Nach der Ergriffenheit des Betrachters. Der Betrachter ist der ­absolute Herrscher, die Hermeneutik ist sein heiliges Fieber. Außer diesem Maßstab gibt es kein allgemeingültiges Urteil, mithilfe dessen man sinnvoll von „Wert“ sprechen kann. Was wird durch die Kunst vermessen? Die Kunst bezieht sich immer wieder auf sich selbst zurück, gleich dem Feuer des brennenden Dornbuschs, als Moses ihm entgegentrat. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Irrtum? Welcher Irrtum? Man kann nicht mehr von „Irrtümern“ sprechen, seit der Irrtum selbst das Zuhause der Kunst geworden ist. Oper ist … extrem langweilig.

Überseztung Daniel Menne / Sabine Voß

Oper kann … einen Menschen beim Namen rufen und ihn mit einer Dosis Gift oder Schönheit töten. Oper muss … ein Fehler, ein Gift, eine Regel, eine tautologische Schönheit, ein Feuer mit viel Asche sein.

Romeo Castelluccis Arbeiten sind bild- und klangmächtige, oft extreme Aufführungen im Grenzbereich zwischen Theater, Performance und Installation, die seit vielen Jahren auf allen wichtigen Theaterfestivals zu sehen sind. Im Rahmen der Ring-Spielzeit 2011/12 an der Bayerischen Staatsoper zeigte der italienische Künstler seine Installationen Dämmerung und Nothung. In der Spielzeit 2016/17 wird er hier Richard Wagners Tannhäuser inszenieren.

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Simon Denny Bildender Künstler Wie vermessen darf Kunst sein?

Welche Regeln braucht die Kunst?

Wenn ich Kunst mache, versuche ich, so radikal offen zu sein wie möglich, und so viel wie möglich zu lernen. Vermessenheit und Anmaßung sind menschlich und manchmal vielleicht sogar unvermeidlich, aber für diesen Prozess nicht wünschenswert.

Es gibt keine allgemeingültigen Regeln für Kunst. Kunst sollte Veränderungen vorwegnehmen. Kunst sprengt Regeln.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Was wird durch die Kunst ­vermessen? Kunst ist (wie Technologie und Unternehmertum) ein Maßstab für Kultur. Jede Innovation verdichtet ihre Zeit und deren Haltung formal und materiell. Kunst vermisst die sozialen und materiellen Bedingungen ihres Entstehens – sie ist wie der Schnappschuss einer Kultur.

Am Grad ihrer Innovativität. Je radikaler und umstürzlerischer sie ist, desto besser ist das Werk. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Misszuverstehen, wie wahre Erneuerung aussieht

Die Oper ist … eine Kunstform, die ich als Amateur bewundere. Die Oper kann … erneuern und verstören wie jede andere innovative Kunst.

Übersetzung Eva Karcher

Die Oper muss … erneuern und verstören wie jede andere innovative Kunst.

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Simon Denny, geboren 1982 in Auckland, Neuseeland, gilt als eines der größten Talente der Generation der Digital Natives. Denny rekonstruiert die Ästhetik der digitalen Technologien und dekodiert deren globale Machtansprüche. 2015 gestaltete er den Neuseeland-Pavillon bei der Biennale Venedig. Simon Denny lebt in Berlin.


Simon Denny, Secret Power, installation view, 2015. Foto Jens Ziehe

„Diese Installationen, die in der Biblioteca Marciana in Venedig zu sehen waren, beschäftigen sich mit dem Kontrast ­zwischen großen, älteren Gemälden, die von Macht und Erkenntnis handeln (und die wir alle für Meisterwerke halten), und neuen Bildern, die das Gleiche darstellen, aber noch sehr abstrakt wirken.“ – Simon Denny


Omer Meir Wellber Wie vermessen darf Kunst sein?

Vermessen genug, um Neugier zu wecken, aber nicht so vermessen, die Neugier in Langeweile umschlagen zu lassen.

Welche Regeln braucht die Kunst?

Wie es auf dem Leipziger Gewandhaus heißt: RES SEVERA VERUM GAUDIUM. Echte Freude ist eine ernste Sache. Nur Kunst, die starke Wurzeln hat und durch rigoroses handwerkliches Können geformt ist, kann, so sehe ich es, Menschen verändern oder zu ihren verborgenen Seelen vordringen. Kunst ist keine passive Form der Kommunikation, nicht aufseiten des Künstlers, niemals aufseiten des Publikums.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Ein geschlossenes Buch hat immer einen festen Wert. Beim Öffnen beginnt der Wert sich zu verändern. Zugegeben, ich wünschte, ich könnte das von der Kunst auch sagen, nämlich dass sie einen Wert besitzt, auch wenn wir „das Buch nicht öffnen“, aber mir wird immer klarer, dass der Konsument oder die Öffentlichkeit eine wichtige Rolle dabei spielen, wenn es um den Wert und die Lebendigkeit von Kunst geht. Ich kenne die richtige Antwort noch nicht, aber ich bin sicher, sie ist auf beiden Seiten der Bemessung eines künstlerischen Werts zu finden: auf der des Künstlers und auf der der Öffentlichkeit.

Was wird durch die Kunst vermessen?

Kunst hat die Möglichkeit zu beschreiben und sehr realistisch zu sein, aber auch völlig rätselhaft und spirituell. Kunst ist die größte und wichtigste Erfindung der Menschheit, weil sie das Verborgene und Unaussprechliche berührt. Sie ist eine der wenigen Erfindungen der Menschen, die nicht leicht beschrieben, bewertet oder auch nur in Worte oder Zahlen gefasst werden können. Kunst ruft etwas hervor, das sowohl individuell als auch allgemeingültig ist. In gewisser Weise verbindet Kunst uns alle über die Dinge, die wir in uns tragen, eine gemeinsame Kultur oder eine gemeinsame Seele. Ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll.

Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Ich glaube nicht, dass es das Wort „Irrtum“ geben kann, wenn man über Kunst spricht.

Die Oper ist …

… nur dann die Zukunft der klassischen Musik, wenn wir sie mitnehmen ins moderne Leben, in eine hoch definierte Art von Kommunikation.

Die Oper kann …

… das Herz erweitern, aber nicht mehr, als es die angeborene Fähigkeit des jeweiligen Herzens, glücklich zu sein, zulässt.

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Omer Meir Wellber ist seit 2009 Musikdirektor des Raanana Symphonette Orchestra in Israel. Er ist regelmäßiger Gastdirigent an der Semperoper Dresden, am Teatro La Fenice in Venedig und an der Israeli Opera in Tel Aviv. An der Bayerischen Staatsoper ist er im Rahmen der Opernfestspiele bei ­Arrigo Boitos Mefistofele am Pult zu erleben. In der Spielzeit 2016/17 leitet er die Neuproduktion von Umberto Giordanos Andrea Chénier.

Übersetzung Sabine Voß

Dirigent


Photo Jens mauritz

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Jan von Holleben Fotograf

Was vermisst die Kunst? F端r mich ist es die Beziehung zwischen den Dingen und deren Zusammenspiel. Generell das Spiel!

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Jan von Holleben lebt und arbeitet in Berlin. Bekannt wurde seine spielerische Serie Dreams of Flying. Er fotografiert f端r Die Zeit, den Spiegel und viele andere Magazine.


Angelika Nollert Museumsdirektorin

Matteo Thun Architekt

Wie vermessen darf Kunst sein?

Wie vermessen darf Kunst sein?

Kunst darf maßlos sein.

Grenzenlos

Welche Regeln braucht die Kunst?

Welche Regeln braucht die Kunst?

I n ihrer grundsätzlichen Freiheit muss die Kunst immer die Würde des Menschen achten.

Keine Regeln

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? er ideelle Wert der Kunst bemisst sich durch ihre D Bedeutung, der materielle Wert durch Markt­ gesetze.

Da gibt es keine Grundlage. In der Kunst geht es um Talent, Intention, Gefühl, Provokation … Kunst ist nicht museal, auch nicht demokratisch, und es geht nicht um Vermarktung.

Was wird durch die Kunst vermessen?

Was wird durch die Kunst vermessen?

Die Welt

Kunst ist frei und von kulturellem Wert.

Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Das Zulassen ihrer Instrumentalisierung

Die bildenden Künste können sich nicht irren – niemals, außer Sponsoren mischen sich ein.

Die Oper ist … Vision. Oper ist … zu 100 Prozent Gefühl.

Die Oper kann … Leidenschaft wecken. Oper kann … dich mit Haut und Haaren berühren.

Die Oper muss … leben. Oper muss … und darf nicht nur eine Geschichte ­erzählen.

Angelika Nollert leitet seit Mai 2014 Die Neue Sammlung – The Design Museum in der Pinakothek der Moderne in München. ­Davor war die Kunsthistorikerin Leiterin des Neuen Museums für Kunst und Design in in Nürnberg.

Matteo Thuns Arbeit als Architekt, Innenarchitekt und Produktdesigner nimmt den historischen Hintergrund und die natürlichen Gegebenheiten eines Ortes in den Blick. Von Mailand aus operiert sein Architekturund Designbüro weltweit, in Deutschland bekannt wurde das vielfach ausgezeichnete Vigilius Mountain Resort in Südtirol.


Simone Young Dirigentin

Wie vermessen darf Kunst sein? Wenn es um vermessen im Sinne von Ausgemes­ sen-Sein in der Kunst geht, dann halte ich es mit Hans Sachs: Er versucht, den Meistersingern klarzumachen, dass keine echte Kunst entstehen kann, wenn es nur um Struktur und Planung geht. Dann entsteht zwar ein Stück Arbeit, aber Kunst braucht eine gewisse Freiheit, um etwas zum Ausdruck zu bringen. Freiheit hingegen, ohne die Regeln zu verstehen, ist Anarchie. Anar­ chie kann auch einen Platz haben – es gibt sehr eindrucksvolle Musikwerke, die nur sogenannte random events sind, und sie haben trotzdem eine Aussage. Aber man muss die Regeln beherrschen, um es weiter zu schaffen. Dies gilt für alle Berei­ che des Lebens, für Politik, Wissenschaft, Mathe­ matik, für die Literatur – für alles. Wenn es um vermessen im Sinne einer Hy­ bris geht: Dann zeigt sich an der Frage der große Unterschied zwischen der Bewertung von Kunst im angelsächsischen und im deutschsprachigen Raum. Im angelsächsischen Raum zählt die Kunst zum Bereich Unterhaltung. Sie wird dort viel schneller als vermessen kritisiert. Wenn sich je­ mand für gebildeter oder besser als der gemeine Mensch hält – da wird sofort draufgehauen. Man spricht vom sogenannten „tall poppy syndrome“, in Anspielung auf einzelne Mohnpflanzen, die das ganze Mohnfeld überragen können und dann ab­ geschnitten werden. Das heißt: Der, der es wagt, seinen Kopf hoch über die anderen hinaus zu stre­ cken, wird abgemäht. Nicht, dass die Kunst nicht geschätzt würde – man nimmt die Kunst ernst, aber versucht, sich selber nicht zu ernst zu neh­ men. Wenn Leute etwas Besonderes bringen, dann werden diese tall poppies entweder durch die eigene Hybris oder durch die Angst der an­ deren, nicht mithalten zu können, abgemäht. Man sollte es als Künstler schaffen, sich nicht an das allgemeine Verständnis anzupassen. Aber man hat dann eine Verpflichtung zu vermit­ teln und zu versuchen, dass die Menschen mitkom­ men. Das wird immer wichtiger, da in den Schulen und Elternhäusern immer weniger Musik gemacht wird. Die Institutionen müssen diese Heraus­ forderung annehmen, und genauso die Künstler und Kunstschaffenden. Man soll seine Kreativität

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nicht an den Begrenzungen der Meinungen von anderen limitieren. Aber wenn die Kreation da­ steht und man sie leben sehen will, hat man eine gewisse Verpflichtung, sie verständlich zu ma­ chen und eine Nähe dazu zu schaffen. Welche Regeln braucht die Kunst? Für mich als Künstlerin ist Struktur lebensnot­ wendig. Ich kann kein Dirigat beginnen, ohne die Struktur klar im Kopf zu haben, die Architektur – vor allem bei großen Sachen wie einem langsa­ men Satz einer Bruckner-Symphonie oder einem Akt aus einer Wagner-Oper. Da kann man nicht einfach loslegen und Tempi wählen je nach Lust und Laune. Irgendwann ist der Plan natürlich so verinnerlicht, dass man nicht mehr bewusst dran denkt. Aber ohne diese Struktur gibt es nur An­ archie, oder schlimmer: Es kippt ins Sentimenta­ le. Emotion ist etwas Wunderbares und man soll sie nicht vermeiden, aber Sentimentalität wird dann zu Kitsch, und das verbilligt das Werk. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Was den ökonomischen Wert betrifft, zeigen tau­ sende von Studien, dass jeder investierte Euro zweimal wieder zurückkommt. Aber abgesehen davon ist diese Frage sehr schwer. Wir sehen alles aus sehr europäi­ scher Perspektive. Wir messen den Wert der Kunst: Wir denken, Kunst bringt ein zivili­ siertes Leben und ein menschliches Nach­ denken. Das hieße, man könnte die Kunst am ­Benehmen des Menschen abmessen. Die Kunst soll ein positiver Einfluss sein auf die Mensch­ heit. Wie man diesen verändernden Effekt messen können soll, da bin ich überfragt. Ich sehe meine Aufgabe als Künstlerin da­ rin, dass das, was ich bringe, Raum schafft zum Denken. Es bewegt Emotionen und ist ein Teil des Weiterkommens als Mensch. Ich denke an eine persönliche Begegnung mit einer Richterin, einer großartigen Frau, in Sydney. Sie war Kunstmäzenin und arbeitete zugleich täglich an den schlimmsten Mordfällen. Wir saßen beim Essen. Sie hatte bemerkt, dass mein Interessen­ feld sehr breit war, ich überlegte, dass ich viel­ leicht etwas anderes hätte machen sollen in mei­ nem Leben, Medizin, Politik, Jura – etwas, das den Menschen mehr helfen kann. Sie sagte mir: „Nichts davon – das, was Sie tun, hilft mir in dem, was ich mache“. Es gab ihr die Kraft, das zu tun, was sie zu tun hatte. Und diese Worte sind bei mir geblieben, das war vor 25 Jahren. Da hat sie meine Aufgabe als Künstlerin sehr gut abgemessen.


Was wird durch die Kunst vermessen? Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der Kunst ist, irgendetwas zu vermessen. Die Kunst spiegelt die conditio humana, gut und schlecht, Krieg, Mord, Liebe, Freundschaft. Die Kunst zeigt uns alle Seiten des Lebens und erregt hoffentlich Ge­ danken dabei. Vielleicht vermessen wir uns sel­ ber anhand unserer Reaktionen auf Kunst.

Miroslav Srnka Komponist Wie vermessen darf Kunst sein? Gerade so vermessen, dass sie die reale Welt als vermessen erscheinen lässt.

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Welche Regeln braucht die Kunst?

Ich kann nur für die Musik sprechen. Fast hätte ich gesagt, dass in den 1950er und -60er Jahren ein Fehler passiert ist, als man mit dem sehr regelge­ bundenen Realismus in der Musik begonnen hat, ohne dabei etwas gestalten zu wollen außer einem kopflastigen intellektuellen Problem. Anderer­ seits: Wäre diese Bewegung nicht passiert, hätten wir vielleicht nicht das Wiedererblühen der zeit­ genössischen Musik in den 1990er Jahren und den letzten 15 Jahren erlebt, wo eine neue Generation nach Möglichkeiten gesucht hat, die Menschen so­ wohl emotional als auch intellektuell zu ver­ wickeln. Vielleicht brauchte man diesen einen Irr­ tum, um diesen nächsten Schritt zu schaffen. Macht Kunst Fehler? Kunst ist etwas, das ohne Körper ist. Es hat zwar Substanz, aber … Kunst ist etwas Ephemeres. Man spürt es, man kann es erleben, es lebt in dem Moment, und dann ist es vorbei. Ein Buch, ein Gemälde, ein Musikstück existiert zwar weiter, aber das ­Annehmen der Kunst passiert in dem Moment, in dem man das Buch liest, das Bild sieht oder die Musik hört. Dies passiert in dem Moment, und ist dann wieder weg. Es ist eine interessante philosophische Frage, ob die Kunst nur für sich existiert oder erst in dem Moment, in dem sie angenommen wird. Insofern kann die Kunst ­ keine Fehler machen. Wir machen die Fehler, ­ wenn wir etwas annehmen.

Keine. Regeln braucht der Künstler beim Arbeiten, und durch ihre Konsequenz kommt er dorthin, wo die Kunst jegliche Regeln zu brechen scheint.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Nach der Stille danach und nach der Anzahl derer, die durch sie verändert worden sind

Was wird durch die Kunst vermessen? Die Offenheit, Ehrlichkeit und Tiefe eines Menschen

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Verbindungen mit dem politischen Establishment

Die Oper ist … visualisierte Zeit eines Erlebnisses.

Die Oper ist … eine unmögliche Kunstform.

Die Oper kann … den nächsten Herzschlag von zwei-, dreitausend Menschen simultan kurz verzögern lassen.

Die Oper kann … bei einem Menschen viel physikali­ scher und persönlicher eindringen als jede andere Kunstform.

Die Oper muss … Welten schaffen, in denen man glaubt, dass alle Menschen immer nur gesungen haben.

Protokoll Maria März

Die Oper muss … lebendig und inspirierend bleiben.

Simone Young dirigierte die wichtigsten Orchester ­ der Welt. Die Australierin war von 2005 bis 2015 ­Intendantin der Hamburgischen Staatsoper, zuvor Chefdirigentin der Opera Australia in Sydney und des Bergen Philharmonic Orchestra. An der ­B ayerischen Staatsoper steht sie in dieser Spielzeit wieder bei Elektra von Richard Strauss am Pult.

Der tschechische Komponist Miroslav Srnka komponiert Werke u.a. für das Arditti Quartet und das Ensemble L’Itinéraire. An der Bayerischen Staatsoper wurde im Pavillon 21 der Opernfestspiele 2011 seine Kammeroper Make No Noise uraufgeführt, und im Januar 2016 die „Doppeloper“ South Pole im großen Haus, beide Male stammte das Libretto von Tom Holloway. South Pole ist bei den Festspielen 2016 und in der Spielzeit 2016/17 nochmals zu erleben.


HAMMANN VON MIER Künstler–Duo

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Mehr über HAMMANN VON MIER lesen Sie ab Seite 90.

Stefanie Hammann und Maria von Mier arbeiten zusammen als HAMMANN VON MIER in München. In ihrer künstlerischen Arbeit verknüpfen sie Skulptur, Grafik, ­Performance und Installation.


Robert Wilson Regisseur Wie vermessen darf Kunst sein? Die Kunst ist ein Teil des Lebens. Das Problem ist, wenn wir voraussetzen, dass Kunst immer da ist, dann schätzen wir sie nicht. Erst wenn sie fehlt, wird uns ihr Wert bewusst. Es ist wie mit der Luft, die wir atmen. Solange wir Luft haben, atmen wir und denken nicht darüber nach. Aber ohne Luft …

Welche Regeln braucht die Kunst? Die Kunst braucht keine Regeln, sie braucht Unterstützung. Wenn wir sie nicht unterstützen, haben wir keine Kunst. Wenn wir unsere Kultur verlieren, verlieren wir unsere Erinnerung.

Künstler sind die Tagebücher und die Logbücher unserer Zeit.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Kunst ist etwas, das am besten verstanden und anerkannt wird im Lauf der Zeit.

Was wird durch die Kunst vermessen? Für mich ergibt diese Frage keinen Sinn. Gleichwohl ist die Kunst ein ­Maß für das Leben.

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Was die Arbeit betrifft, dass sie zu ernst genommen wird. Was eine Arbeit betrifft, dass es ihr an Humor fehlt.

Die Oper ist … das OPUS, also Arbeit, in der lateinischen Bedeutung des Wortes. Das beinhaltet alles: Musik, Tanz, Malerei, Dichtung, Architektur, Licht.

Übersetzung Sabine Voß

Die Oper kann … Menschen zusammenbringen – ungeachtet ihres politischen, sozialen oder ökonomischen Hintergrunds –, damit sie für einen kurzen Moment etwas teilen können. Idealerweise kann sie Menschen vereinen.

Oper muss … dem Kind gefallen, dem älteren ­Menschen, Menschen mit und ohne Schulbildung. Sie muss Fragen stellen und darf niemals Antworten geben. Sie muss fragen: „Was ist das?“ und darf nicht sagen, was es ist.

Die Produktionen des US-Amerikaners Robert Wilson wurden durch ihr Ausstattungsdesign und den besonderen Einsatz von Licht stilbildend für das Theater und die Oper. Einige Inszenierungen des vielseitigen Künstlers haben Kultstatus, wie Hamletmaschine (New York und Hamburg, 1986) oder Hamlet: a monologue (Houston, USA 1995, ­anschließend auf ­Festivals und Theatern weltweit). In Deutschland inszenierte er zuletzt 2015 am Berliner ­Ensemble Faust: Der Tragödie ­erster und zweiter Teil.

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Konstantin Wecker Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst soll zuerst einmal frei sein, vor allem im Schaffensprozess, von ir­ gendwelchen Messlatten und Messungen und von dem Gedanken, dass sie gemessen werden könnte. Und in diesem Prozess muss sie unendlich vermessen sein. Welche Regeln braucht die Kunst? Ich habe mir darüber wirklich noch nie Gedanken gemacht. Im Nach­ hinein kann ich aber durchaus Regeln für mich erkennen. Zum Beispiel: Wie beschissen es mir auch ging, ich habe meine Konzerte gegeben. Ich habe in meinem Leben tausende von Konzerten gegeben, oft über 100 pro Jahr, und ich habe in über 40 Bühnenjahren nur dreimal krankheitsbedingt abgesagt. Dramturgisch lautet eine Regel: Man darf sein Publikum nicht langweilen. Man kann es nur fordern – wie, das lernt man auf der Bühne, und bei Shakespeare. Und drittens: Es ist mir ganz wichtig, dass am Ende des Konzertes das Publikum mutvoll entlassen wird, voller Mut. Ich hätte nicht Politiker werden können, ich bin zu sensibel für den Beruf. Ich wurde oft gefragt, warum ich nicht bei der AfD oder der NPD auftrete, die sollte ich doch überzeugen. Aber man kann richtige Gegner nicht mit Kunst überzeugen. Ich kann aber den Menschen Mut machen, die die gleiche Sehnsucht haben wie ich selbst – vor allem in der heutigen Zeit, wo es so unglaublich wichtig ist, sich gegen den drohenden europäischen Faschismus zu engagieren. Es ist wieder eine Zeit, in der die Künstler diese Verpflichtung haben. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Ich glaube, in einer Welt, die sich ausschließlich über das Rati­ onale definiert, ist der Wert der Kunst, das Wunderbare anzusprechen in uns. Die Kunst kann ein Gegenpol gegen eine Gesellschaft sein, die glaubt, man könne alles mit dem sogenannten klaren Denken lösen. Die Menschheitsgeschichte hat erlebt, und wir erleben es jetzt gerade, dass diese hochgelobte Ratio dazu geführt hat, dass wir dabei sind, unsere Erde zu vernichten, die Tiere zu vernichten und uns selbst in die Luft zu sprengen. Sind wir wirklich so klug, wie wir meinen? Sind wir nicht unglaublich dumm gewesen? Die Kunst ist keine Religion, aber sie kann etwas in uns ansprechen, das uns alle verbindet. Aber das, was von der Kunst im Herzen angerührt wird – und ich meine nicht Sentimentalität – das kann man nicht messen. Das kann nur jeder für sich selbst. Mir geht es so bei Mozart: Wenn ich ein totaler Atheist wäre, wür­ de ich durch Mozart an meinem Atheismus zweifeln. Es spielt dabei gar keine so große Rolle, wie perfekt das einzelne Werk ist. Ich habe 2003 in Bagdad gegen den Irakkrieg demonstriert, damals gab es dort noch ein westliches Orchester. Ich war zufällig bei einer Probe in der Halle. Man könnte sagen, jedes Schülerorchester hätte besser gespielt, aber es war so eine Leidenschaft dahinter, es war unfassbar schön. Man hat Mozart gespürt. Wir müssen auch den Perfektionsgedanken in unserer Gesellschaft relativieren. Das Schöne an der Kunst sollte sein, dass sie nicht ausschließlich für die Verkaufbarkeit, für die Vermarktbarkeit da ist. Sie muss sich dem entziehen. Sie ist ein Antimodell zu einem Gesellschaftsmodell, in dem es nur darum geht, den anderen auszustechen. Und das kann der Blues sein, das kann ein Straßenmusiker sein – wenn es nur die Seele anspricht. Was wird durch die Kunst vermessen? Die Kunst spricht eine Bewusstseinsebene an, keinen Gegenstand. Sie ist eine Befreiung des Bewusstseins von Zwängen, die versucht, in die Tiefe zu gehen. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Immer da, wo die Kunst vereinnahmt wurde von Ideologien. In dem Moment ist sie auch keine mehr. Oder nehmen wir Dieter Bohlens „DSDS“ usw. – das ist nichts anderes als ein Geschäft mit musikalischen Mitteln, ein rein marktwirtschaftliches Phänomen, keine Kunst. Oder in der bildenden Kunst: Man weiß, welche Künstler sich vereinnahmen ließen im Nazi-Regime. Wir alle haben die Biografie von Schosta­ kowitsch gelesen und wissen, wie er gelitten hat unter der Vereinnahmung und auch seiner Feigheit. Die Situation ist schrecklich für einen Künstler, und niemand weiß, wie er reagiert hätte. Und dann kann man noch deutlich auf die Marschmusik verweisen, die aufs Grässlichste missbraucht wurde und wird. Kunst darf sich nicht beugen. Nicht einer Diktatur und auch nicht einem Gesellschaftssystem. Sie muss immer wieder etwas Revolutionäres haben. Die Oper ist … nach wie vor eine ganz große Leidenschaft von mir, weil ich mit der Oper groß geworden bin, ich wurde musikalisch sozialisiert durch die Oper. Die Oper kann … große Gefühle wecken, wunderschöne Momente zaubern. Sie sollte sich hüten, nur noch ein musealer, elitärer Raum zu sein. Die Oper muss … auch in neu geschriebenen Opern wieder die Chance erhalten, populär sein zu dürfen. Verdi war auch ein Schlagerkomponist. Diesen Mut sollte man in der modernen Oper wieder haben. Immer wieder heißt es: Ist das nicht blöd, wenn die Leute sich dauernd ansingen? Ich sage: nein, das ist doch wunderbar! Wir würden weni­ ger kämpfen, weniger Kriege führen, es wären Emotionen dabei – ich bin absolut dafür, dass die Menschen sich ansingen!

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Konstantin Wecker zählt zu den profiliertesten und politisch aktivsten Liedermachern in Deutschland. Der Sohn eines Opernsängers studierte ­klassische Komposition, fand aber in dem Fach „keinen Platz für Melodien“, wie er einmal sagte. Sein jüngstes Album (2015) heißt Ohne Warum.

Protokoll Maria März

Liedermacher


Hendrik Kerstens Fotograf Wie vermessen darf Kunst sein? Es gibt keine Begrenzungen/Vermessun­ gen auf dem Feld der Kunst. Wenn ein Kunstwerk es schaffen könnte, die Welt zu verändern – das wäre das Höchste. Die Frage ist: Gab es jemals ein Kunstwerk, das dies geschafft hat?

Die Anschläge vom 11. September und die im Club Bataclan veränder­ ten die Welt. Hier wurde der Wahrnehmung unse­ rer Umwelt eine neue Dimension hinzugefügt: Angst. Ich wünsche mir, dass ein Kunstwerk einen ähnlichen Wendepunkt in unserer Gefühlswelt herbeiführen könnte, aber bis heute ist das noch nicht geschehen.

Übersetzung Sabine Voß

Kein Kunstwerk war jemals so allumfas­ send, so überwältigend.

Welche Regeln braucht die Kunst? Kunst selbst legt keine Regeln fest und muss das auch überhaupt nicht. Es ist der Kontext des Umfelds, der die Regeln fest­ legt. Künstler sind die Hofnarren der Eli­ te. Sie erlaubt den Künstlern, ihr Leben zu spiegeln und über ihre Entscheidungen zu reflektieren. Innerhalb des Hofes (Theater, Museum, Literatur, Kino, etc.) ist erlaubt, wofür jeder Künstler im Alltag gelyncht werden würde. Aber ohne die Protektion durch einen Hof, also ohne Publikum, gibt es keine Kunst. Also existiert keine völlig autonome Kunst.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Nach den moralischen Codes einer Gesell­ schaft. Wann immer eine Diskussion darü­ ber entsteht, wird der König seine Macht dazu nutzen, die Angehörigen des Hofes aufzufordern, ihre Stellung darin (noch ein­ mal) zu überprüfen. Was wird durch die Kunst vermessen? Alle anderen Disziplinen, die die Welt for­ men. In der Modewelt zum Beispiel gibt es viele Designer, aber nur Alexander ­McQueen und John Galliano konnten eine Verbindung zur Kunst schaffen. Peter Greenaway tat das gleiche für das Kino. Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Dass es kaum Reaktionen gab auf Damien Hirsts Aus­ sagen in einem Interview mit der BBC: „Das Besondere an 9/11 ist, dass das eine Art eigenständiges Kunstwerk ist. Es war böse, aber es war für diese Art von Wirkung konzipiert. Es war visuell konzipiert.“ Die Oper ist … ein ernsthaftes Spiel für Erwachsene, unbedingt notwendig, um er­ wachsen werden zu können. Es werden da­ rin moralische und gesellschaftliche The­ men hinterfragt, ohne Vorverurteilung. Die Oper kann … die Perspektive einer Person aus dem Publikum zu einem be­ stimmten Thema umkehren, ohne dabei demoralisierend oder demotivierend zu sein. Die Oper muss … ihre Integrität wahren, denn sie ist einer der letzten Orte, wo man noch die Reinheit des Dialogs finden kann.

Das Werk des niederländischen Fotografen Hendrik Kerstens untersucht die Schnittstellen zwischen Malerei und Fotografie. Sein zentrales Motiv ist seine Tochter Paula, die er im Stil der niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts inszeniert – mit Hilfe von Gegenständen aus dem modernen Alltagsleben. Für die Bayerische Staatsoper gestaltete er die Plakate für alle Neuproduktionen der Spielzeit 2009/10.

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Peter Piller Fotokünstler

Jede fotografie ist ja ein vermessen. ( … ) Ich habe über jahre hinweg immer aus dem ­fahrenden auto ein firmenschild vermessen.

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In seinem „Archiv Peter Piller“ trägt der Hamburger Fotograf, Zeichner und Sammler Peter Piller große Mengen an Bildmaterial aus Zeitungen, Postkarten, Internet und fotografischen ­Nachlässen zusammen und ordnet sie zu thematischen und formalen Serien.


Edgar Selge Schauspieler Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Wie vermessen darf Kunst sein? Vermessenheit ist durchaus ein Grundantrieb für künst­ lerischen Ausdruck. Aber letztlich entscheidet der Zu­ schauer. Ein Beispiel: Die norwegische Inszenierung von Ibsens John Gabriel Borkman, die vor ca. zwei Jahren zum Berliner Thea­ tertreffen eingeladen war und im Prater der Volksbühne stattfand, dauerte bis zu 14 Stunden (!) und benutzte maximal zehn Prozent von Ibsens Text. Das war ganz schön vermessen! Aber Vermessenheit ist auch ein zen­ trales Thema bei Ibsen, von Peer Gynt bis Borkman. Und die ­Geduld der Zuschauer an dem Abend, an dem auch ich anwesend war, schien endlos. Und auch für ei­ nen langen Applaus gegen vier Uhr morgens war noch Zeit genug.

Irrtümer der Kunst kenne ich nicht. Ich sehe nur Zeitgeschmack, und der ändert sich.

Welche Regeln braucht die Kunst? Kunst braucht Regeln, damit sie Regeln brechen kann. Aus beidem schöpft sie Kraft: aus der Regel und dem Regelbruch. Viele schaffen sich ihre eigenen Regeln neu, John Cage etwa oder Karl Ove Knausgård, der seine Fi­ guren mit den Originalnamen ihrer Vorbilder benennt – aber alles dient letztlich dazu, bessere Voraussetzun­ gen für eine neue Lust an Genauigkeit zu schaffen.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Was wird durch die Kunst vermessen?

Der Wert der Kunst wird an keiner Börse notiert, und die Preise für van Goghs Bil­ der erzählen nichts über den Wert der bren­ nenden Seelenkunst seiner Gemälde. Der Wert der Kunst besteht eher darin, dass sie überhaupt möglich ist; dass wir Men­ schen uns auf einer Ebene des Spielens aus­ drücken können, mit einer Genauigkeit, die uns als unverwechselbare Einzelwesen sichtbar werden lässt. Gleichzeitig ist die Kunst eine Einladung an alle, bei den Fra­ gen nach den Werten unserer Gemeinschaft das Besondere und Individuelle unserer Existenz nicht aus den Augen zu verlieren.

Wir sind es selbst, die durch die Kunst ­immer neu vermessen werden.

Oper ist … verrückt und unverzichtbar. Oper kann … Lust auf zeitgenössische Musik machen. Oper muss … für alle da sein.

Edgar Selge ist noch bis Mai im Hamburger Schauspielhaus in Unterwerfung zu sehen, als Monolog inszeniert von Karin Beier nach dem gleichnamigen Roman von Michel Houellebecq. Eine seiner bekanntesten Fernsehrollen war die des Kommissar Tauber im Münchner Polizeiruf 110.

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Donna Leon Schriftstellerin

Wie vermessen darf Kunst sein? Ich vermute, das hängt davon ab, wie man den Begriff „vermessen“ definiert. Ich verstehe nicht, wie Kunst vermessen sein sollte; Künstler sind es oft. Welche Regeln braucht Kunst? Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Weiß Gott! Unsere Gesellschaft hat offensichtlich entschieden, dass es danach geht, wieviel jemand dafür zu bezahlen bereit ist. Was wird durch Kunst vermessen? Ich verstehe diese Frage nicht. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Die Kunst wurde schon oft von der Politik oder der Religion vereinnahmt und dazu benutzt, deren Ideale voranzubringen oder zu rühmen. In manchen Fällen funktioniert das. In anderen nicht. Ich glaube nicht, dass man der Kunst daraus einen Vorwurf machen kann, genauso wenig wie man ihr die aktuelle Bedeutung der Märkte als bestimmenden Faktor für ihren Wert vorwerfen kann. Ein Fehler, der einige Jahre lang in Opernproduktionen vieler Theater gemacht wurde, war, den historischen Schauplatz oder die Zeit, in der die Oper spielte, in die Periode des Spanischen Bürgerkriegs oder eine andere Kriegszeit zu verlegen.­ Keine sehr kluge Entscheidung, würde ich sagen.

Also, kulturell bin ich ein ­Neandertaler, somit denke ich immer noch, dass Kunst eine Beziehung zur Schönheit haben muss, dass sie etwas einfängt oder ausdrückt, das ganz ­allgemein als schön gilt, was dazu führen kann, dass das Kunst­ erlebnis eine Gefühlsreaktion in einem Menschen hervorruft.

Oper ist … oft eine herrliche, hinreißende Erfahrung, manchmal eine unerträgliche Tortur. Oper kann … Zuhörer in einen Zustand puren Genusses versetzen oder sie zum Wahnsinn treiben, indem sie sie zwingt, all diesem entsetzlichen Lärm zuzuhören.

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Donna Leons Kriminalromane über den Commissario Brunetti erscheinen ­ in 35 ­Sprachen – außer auf Italienisch, damit die in Venedig lebende ­Amerikanerin dort ­weiter ungestört recherchieren kann. 2012 realisierte sie gemeinsam mit der M ­ ezzosopranistin Cecilia Bartoli das Buch- und CD-Projekt Mission / Himmlische Juwelen.

Übersetzung Sabine Voß

Oper muss … sich besinnen, dass es bei ihr in erster Linie um Musik und wunderbaren Gesang geht, und erst dann um irgendwelche interessanten Dinge, die auf der Bühne passieren.


Christian Lacroix Modeschöpfer

Wie vermessen darf Kunst sein? Einerseits müssen wir selbstsicher sein, stark in unserer Meinung, mit Mut, unfehlbarer Gewissheit, Sicherheit und stärksten Überzeu­ gungen, aber andererseits müssen wir blinden Stolz und Überheblich­ keit vermeiden, wir müssen immer wieder ein paar Schritte zurückge­ hen, durch Zweifel hindurch und alle Fragezeichen, denn wir brau­ chen die Unsicherheit unbedingt, es ist die einzige Weise, unsere Intuition wahrnehmen und ihr bis zu unserer eigenen „Wahrheit“ ­folgen zu können. Mit Fähigkeiten und Talent müssen wir vorsichtig umgehen und sie nicht dazu benutzen, uns als Genies darzustellen, wenn wir es vielleicht gar nicht sind, denn dann könnte eine gewisse technische Begabung vorgeben, Kunst zu sein, und diese Leere wäre dann nur versteckt/ertränkt von einer eleganten künstlichen Geste. Aber natürlich müssen wir uns unserer „Werkzeuge“ sicher sein (Stimme, Hand, Sinne etc.), mehr als sicher, anmaßend sicher, falls wir wissen, wie wir dabei im Gleichgewicht bleiben können, denn zu große Anmaßung bringt uns zu Fall.

Übersetzung Sabine Voß

Welche Regeln braucht die Kunst? Keine echten Regeln, nur das oben beschriebene Verhalten zwischen Stärke und Selbstbefragung. Ich glaube, dass Kunst sich jenseits von allen Regeln befindet. Kunst erfindet ihre eigenen Regeln, jeden Tag, mit jedem Werk, jedem Projekt. Auch wenn seit Menschen­ gedenken die Kunst mit etwas verbunden wird, das größer ist als sie selbst, größer als wir, nicht mit

Religion, aber mit Göttlichkeit, überhaupt nicht mit Moral, sondern mit Glauben, mit Freiheit, Geist, Aufrichtigkeit, Licht – all diese großen zeitlosen Worte, die uns so stark, so tief, so bedeutungsvoll ansprechen, wenn man sie im besten Sinne anwendet, in der Kunst anwendet. Kunst muss das Beste im Menschen und in der Welt finden und es herausbilden, wachsen lassen. Kunst muss sich auf dieser sehr subtilen, fraktalen Grenze zwischen zeitloser ­Vergangenheit, dem Hier und Jetzt und der Zukunft bewegen – und dabei einen kleinen ­Vorsprung herausholen. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Nach dem Bedürfnis nach Kunst. Nach dem nicht unterdrückbaren und unaussprechlichen Gefühl, das wir haben, wenn Körper und Geist, die Sinne und die Seele erleuchtet und auf eine andere Ebene des Fühlens, der Erfahrung und der Gedanken gehoben werden, wie bei einem spirituellen Orgasmus!!! Der Wert bemisst sich viel mehr nach Jubel als nach Geld. Natürlich verstehe ich die Regel von Angebot und Nachfrage, Moden und Spekulation, aber all das ist nur leerer, unfruchtbarer Ballast, ein fruchtloses Spiel für mich, Markt und nicht Kunst, Produktion,­ aber nicht Schöpfung, Erfolg, aber kein dauerhafter.

kommende Bereiche; sich entwi­ ckelndes neues Wissen, neue Techniken und Erfindungen; aber hauptsächlich und zuallererst, wie bereits erwähnt, der Grad unseres seelischen Wachstums, unserer seelischen Entwicklung, unser Fortschreiten in Richtung unserer essenziellen Wahrheit; Selbster­ kenntnis; Einheit mit der Welt und dem Universum; unsere Verbindung mit etwas, das größer ist als wir und auf das wir zugehen müssen. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? All die traditionellen Entgleisungen der Kunst: offizielle Kunst zu werden, nur erfolgs- und ökonomisch orientiert und dabei inhaltsleer zu sein, zu plagiieren, allen gefallen zu wollen, mit politi­ schen Absichten kontaminiert zu sein, Mode ohne inneres Anliegen, nur einen Coup am Markt landen zu wollen, ohne den Willen, das Unbekannte, das Größere, das Äußerste zu erreichen. Die Oper ist … larger than life. Die Oper kann … gewissermaßen die Summe aller Künste sein: Musik, Malerei, Tanz, Skulptur, Architektur, Film, Theater etc. Die Oper muss … weiter, vorwärts, darüber hinausgehen, sich selbst jede Sekunde neu erfinden.

Was wird durch die Kunst vermessen? Eine bestimme Ebene der spirituel­ len Entwicklung; das Bewusstsein; die Fähigkeit, die Zukunft zu erforschen; neue, unbekannte,

Christian Lacroix gründete sein Modehaus 1987 in Paris und brachte im gleichen Jahr seine erste eigene Kollektion heraus. Seitdem entwirft er auch Kostüme für die Bühne. Eine langjährige Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem Regisseur Vincent Boussard. In der Spielzeit 2010/11 kreierte er für dessen­I­ nszenierung von Vincenzo Bellinis I Capuleti e i Montecchi an der Bayerischen Staatsoper die Kostüme.

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Marcus H. Rosenmüller Regisseur Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst darf alles – leider kann sie, glaube ich, nicht alles. Aber sie darf meinetwegen alles können wollen. Vielleicht ist Vermessenheit ein Grundbaustein der Kunst? Hmhmhm, vielleicht!

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Am Blutdruck des Zuschauers!

Welche Regeln braucht die Kunst? Die Regeln der Kunst sollten behilflich sein, deren schwer transportierbare Inhalte in die Aufnahme­ organe der Rezipienten diffundieren zu lassen.

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? 1. Die Einführung vom Kritiker 2. Dass Kunst käuflich ist 3. Ihre Entdeckung als solche

Als einfaches Beispiel: Es hilft beim Opernbesuch ungemein, während der Vorstellung im Saal zu sitzen und nicht den Champagner im Foyer zu schlürfen. (Zu­ mindest, um die dargebotene Oper zu verstehen ...) Dennoch kann es sein, dass der Champagnerschlürfende im Nachhinein mehr von der aufgeführten Oper verstan­ den hat als der im Saal sitzende Zuschauer. Das ist aber nicht die Regel, sondern eher ein Ausnahmefall. (Wenn es zur Regel wird, sollte der Intendant über die dargebotene Oper grübeln!)

Norbert Bisky

Die Oper ist … verregelt. Die Oper kann … entregelt werden. Die Oper muss … von antiquierten Regeln befreit werden, um zu ihrem Ursprung zu finden.

Marcus H. Rosenmüller wurde 2006 mit dem modernen Heimatfilm Wer früher stirbt, ist länger tot bekannt. Viele weitere Filme folgten, u.a. die Coming-of-Age-Trilogie Beste Zeit, Beste Gegend und Beste ­Chance. Seit 2013 inszeniert er das traditionelle Nockherberg-Singspiel in München. An der Bayerischen Staatsoper inszenierte er in der Spielzeit 2014/15 Gioachino Rossinis komische Oper Le Comte Ory.

? ? st n. in un le l e K e ts e st ns den ? ge t u a i s K e n Fr rf ch t? in Ku s da bes s e n . u di . lle en n el r K se a vi ht da ss en e c e h n e m td ic t d ei au er ch er e W br rech ml v e u W n ? i ie ra r B ch el en n z W rb de hrli eg zum ss ho e h R e ä c c t? W e d rm re s si gef ns e t ch sin u r l v s ä K e t is eh W geln er ns en w d em uf s u r e b a R er h e K tie di ek ac ann üm t n h fl r k o Ir it rc re W nst n e du zu e u t th . d g. K ir ben in in öß Sat r e w k e g s c i d L e ll as di s un W ser dk ue n. n t n t n e k a U re en ig e la liv wa tim ält ka i a s w d n a er ra t… W sse üb al is r m … Re n pe Norbert Bisky ist einer der international erfolgreichsten postpop-­ ch an au eO k figurativen Künstler seiner Generation. In farbintensiv-dynamii r … D schen Werken feiert er Körperkult und Schönheit, doch gleichzeitig pe ss O u thematisiert er auch deren Umkippen in Gewalt und Zerstörung. e m Di er Für die Bayerische Staatsoper ­porträtierte Bisky die frühere p ­Primaballerina und Gründungs­direktorin des Bayerischen StaatseO Di balletts Konstanze Vernon.

Maler

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Was wird durch die Kunst vermessen? Die Kunst vermisst den Zeitgeist!


Peter Ravn

Peter Ravn, Framework, 120 x 110 cm, oil on canvas, 2010

Maler

Die Bilder des Kopenhagener Malers Peter Ravn haben den Prototyp des modernen M ­ annes als Hauptmotiv: „Meine Arbeit handelt von grundsätzlich festgelegten Wechselwirkungen und der ­Beziehung zwischen dem Individuum und den Normen der Gesellschaft.“

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Ulrich Holbein Schriftsteller Wie vermessen darf Kunst sein?

Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Gleich wie Satire möchte sie alles dürfen, kriegt’s aber nie gebacken, nie, außer in arg abzählbaren Ausnahmefällen, jenseits der üblichen lästigen Ausnahmetalente und Durchschnittsgenies.

Waren, sind oder bleiben? Dass sie überhaupt größte zu produzieren vermag, statt kleine Irrtümer und Brötchen. Nichts gegen Superstars, die keiner mag, nichts gegen Niveaus, auf denen keiner herumdudelt, aber sollte die Frage nicht lieber lauten: „Sind die jetzigen Irrtümer nicht noch größer? Was bleibt weiterhin die Crux ‚der Kunst‘, falls es irgendwo ‚die Kunst‘ gibt?“ Dass sie nicht als Sphärenmusik von oben kommt, sondern immer wieder Einzelköpfchen braucht, um quer durch deren Zeitstil, Tonwolf und deren Klemmkorsett hervorzutönen.

Welche Regeln braucht die Kunst? Vor x Jahrhunderten meuterten neben x Regelverletzern x Beckmesser herum; inzwischen, seit Künstler mit ihren Zielgruppen peinlich koinzidierten, flossen Tabubrecher und Kästchenausfüller, alias: Brandstifter und Gemäßigte, derart zum Einheitsbrei namens Konsens zusammen, dass keiner mehr die eigendynamische Uniform ablegen kann, ohne irgendwie flöten zu geh‘n.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Manche halten echte Perlen für kostbarer als unechte. Es soll Neureiche geben, die ihre Juwelen in den Hotelsafe stecken, statt da auch mal was Vernünftiges reinzutun, Äpfel oder Bücher. Was wird durch die Kunst vermessen? Hefeteig, der über seine Aggregatzustände selten hinausguckt. Religion hängt nicht hoch genug, um über irgendwas rauszuquellen. Kunst könnte so schön sein, wenn sie un poco schöner wäre. Philosophie doktert am IQ jener Denkbeulen, die ihrer Hirntätigkeit irgendwas abkaufen.

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Die Oper ist … ein Ding, das ­weiterhin darlegen möchte, dass auch Familienclinch, Bundestagsdebatten, Talkshows, Gerichts­ verhandlungen gesungen werden sollten, am besten per Gesetz, punktuell unübertönt von Heavy Metal. Die Oper kann … auch noch so weitermachen, falls das ­Niveaumilieu es auch fürderhin hinbekommt, dem Jungbrunnen universellen Recyclings weiterhin weißhaarig zu ent­ steigen. Die Oper muss … was musse denn? Kein Mensch muss müssen, und die Oper müsste? Dankbar sein z.B., dass sie nicht vom Spielfilm abgelöst ward, wie die Heldenepopöe vom Roman, und wacker drauf zuarbeiten, genau wie der Song of Joy tausendköpfig in Japan, dass das Außenministerium von China eines Tages uns ganz lieb trösten wird: „Macht doch nichts, dass die Deutschen samt Oper ausstarben. Wir werden sie in guter Erinnerung behalten.“

Ulrich Holbein lebt im Knüll, einem hessischen Mittelgebirge, und in Bamberg. „Lachen oder in Deckung gehen“ ­waren in einer Zeit-Rezension die beiden einzigen Möglichkeiten, mit Holbeins Buch Weltverschönerung (2008), ­einer Art Anleitung zur Lebenskunst, umzugehen. Zuletzt veröffentlichte er Ich ging ohne mich zu Gott. Lebensbilder komischer Derwische (2014).


Philipp Lachenmann Bildender Künstler

Black & White Self Portrait_1 (2006/2016)

Was vermisst die Kunst? In Black & White Self Portrait_1 (2006/2016) vermisst die Kunst gewissermaßen sich selbst. Ein alter zerkratzter Kopierer/Scanner macht – über einen Spiegel – eine Kopie seines eigenen Scan-Vorgangs. Anschließend auf einer reflektierenden Onyx-Platte abfotografiert, fügt sich diese „Vermessung“ wieder in den Raum ein.

Philipp Lachenmann lebt und arbeitet in Berlin. In seinen Arbeiten untersucht er die Wirkungsweisen des Imaginären, insbesondere die Verschiebungen des sogenannten kollektiven Gedächtnisses.

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Christoph Brech Bildender Künstler Wie vermessen darf Kunst sein? Wenn man vermessen in Analogie zu anderen Verben mit dem Präfix „ver-“ stellt, wie z.B. verrechnen, verschätzen, verspielen, verhas­ peln oder versingen und vertun, wird deutlich, dass vermessen, also ein falsches Maß finden, sich mit Kunst nicht vereinen lässt. Geht man jedoch von der zweiten Bedeutung dieses schillernden Wortes aus, gilt, dass prinzipiell der Kunst keine Grenzen gesetzt werden sollten. Sie ist vielleicht die einzig wirklich noch freie Disziplin. Das gilt sowohl für die Form als auch für den Inhalt. Ich möchte sogar so weit gehen und behaupten, dass Kunst, um sich weiterzuentwickeln, Grenzen sprengen und über sie hinausge­ hen muss.

Welche Regeln braucht die Kunst? Sprache und Kunst gehören zum Wesen des Menschen. Wie die Sprache eine Syntax benötigt, um verstanden zu werden, so braucht auch die Kunst, um verstehbar zu sein, eine Syntax. Sprache und Kunst aber sind gleichermaßen evolutionäre, lebendige Organis­ men, ihre Regeln werden von Generation zu Generation weiter­ gegeben, um neu definiert zu werden.

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Wonach bemisst sich der Wert der Kunst?

Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

Ist die Ermittlung des Geldwertes von Kunst gemeint, dann bemisst sich dieser nach den Gesetzen des Kunstmarktes. Meint man aber den ideellen Wert der Kunst, so wird dieser immer ein individuell bemessener Wert sein, und deshalb für den Schöpfer eines Kunstwerkes ein anderer als etwa für eine Gruppe von Rezipienten oder gar für die allgemeine Gesellschaft.

Ihre Freiheit aufzugeben und politische, gesellschaftliche oder marktorientierte Systeme zu bedienen.

Was wird durch die Kunst ­vermessen?

Die Oper ist … ein wunderbarer Ort der (beinahe) unbegrenzten Möglichkeiten.

Alles: die Kunst ist das Maß aller Dinge. Wenn wir uns die Geschichte der Menschheit ansehen, ist es, noch vor dem technischen Stan­ dard, die Kunst, nach der wir die jeweilige Zivilisation beurteilen.

Die Oper kann … verzaubern, begeistern, anregen, entführen, kann beunruhigen, hinterfragen, aufrütteln, verstören und im Innersten berühren, kann trösten, kann süchtig machen. Die Oper muss … auch in Zu­ kunft ein Ort bleiben, an dem experimentiert, geträumt, disku­ tiert, gestritten, gebuht, gelacht und geweint werden darf.

Christoph Brech wurde vor allem für seine Videoarbeiten und Installationen bekannt. Seine Werke befinden sich u.a. in den ­Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden, der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München oder in den Vatikanischen­Museen. Für die ­Porträtgalerie der Bayerischen Staatsoper erstellte er ein Videoporträt des Baritons Wolfgang Koch. Ab 13. Mai ist seine Schau ÜBERLEBEN im Bayerischen Nationalmuseum zu sehen. Zur gleichen Zeit zeigt die Deutsche ­Gesellschaft für christliche Kunst e.V. weitere Arbeiten von Christoph Brech in ihrer Galerie in München.


MaxJoseph_03-2016_210x280mm.pdf

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04.03.16

14:29


Karin Berger Kunstsammlerin

zu 1. – 5.: Es gibt für mich keine ­Regeln, Tabus, messbaren Bewertungen und Irrtümer in der Kunst. Top-Können und Talent sind allerdings die Voraussetzung. Frei nach Nietzsche: „Begabung setzt sich kämpferisch durch“. Im Übrigen beziehen sich auch die Erneuerer auf die Tradition.

zu 6.: Die Oper ist … ein Gesamtkunstwerk, da sie Musik, Schauspiel, Literatur und bildende Kunst vereint. Die Oper kann … Inhalte optimal transponieren. Die Oper muss … sich ­immer wieder verändern, erneuern, weiterentwickeln und ­zeitgemäße Themen behandeln.

Karin Berger verantwortet die Sammlung „The Roland Berger Art Collection“, die seit Firmengründung der Unternehmensberatung Roland Berger 1967 auf über 1.000 Exponate angewachsen ist.

Sophie von Kessel Schauspielerin Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst darf alles! Sie darf nur nicht langweilen ... Welche Regeln braucht die Kunst? Wie könnte es für Kunst Regeln geben? Sie definiert sich in einem Faktor X, der die Natur oder die Realität erweitert. Diesen Faktor X messbar oder beschreibbar zu machen, ist ungefähr so kompliziert wie die Existenz Gottes zu erklären oder Hirntote wiederzuerwecken.

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Wonach bemisst sich der Wert von Kunst? Je teurer, desto besser! Je besser, desto teurer! Ich allerdings beurteile Kunstwerke rein subjektiv – und das hat dann nicht unbedingt etwas mit ihrem finanziellen Wert zu tun. Was wird durch die Kunst vermessen? Träume. Irrsinn. Schmerz. Kindheit. Tod. Sehnsucht.

Die Oper ist … eine faszinierende, aber in weiten Teilen antiquierte Kunstform. Das betrifft die P­ro­ duzenten gleichermaßen wie die Rezipienten. Die Oper kann … Gefühle und Bereiche treffen, von denen wir ohne sie keine Ahnung hätten. Die Oper muss … endlich auch mal Leute unter 60 reinlocken können!!!

Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Nazi-Kunst. Kunst-Experten.

Sophie von Kessel gehört seit 2011 zum Ensemble des Residenztheaters München. Jüngst war sie als Iokaste in König Ödipus und als Emma Bovary in Madame Bovary zu erleben. Daneben spielte und spielt sie auch in zahlreichen Produktionen für Film und Fernsehen.


Eckart Hahn

Touch, 2014, Acryl auf Leinwand, 100 x 70 cm

Maler

Eckart Hahn lebt und arbeitet in Reutlingen. Er schreitet in seinen Arbeiten den Raum zwischen Wachsein und Traum aus. Seine Arbeit basiert auf einer Lasurtechnik; er walzt, 足schabloniert und malt mit feinsten Pinseln.

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Titus Schade Modelltisch – Häuserfabrik, 2013, Öl und Acryl auf Leinwand, 100 x 80 cm, Foto: Uwe Walter, Leipzig/Berlin, courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Maler

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Titus Schade entwickelt in seinen Gemälden kulissenartige Szenerien, die zwischen Modell- und Bühnensituation changieren. ­Schade lebt und arbeitet in Leipzig, er war Meisterschüler von Neo Rauch.


Bazon Brock Denker im Dienst und Künstler ohne Werk * Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst und Wissenschaften sind Tätigkeiten, von Individuen getragen, die sich ohne das Votum der Kulturen und Religionen Aufmerksamkeit verschaffen. Das heißt, Künstlern und Wissenschaftlern folgt man mit Aufmerksamkeit, auch wenn Zustimmung nicht belohnt und Ablehnung nicht bestraft werden kann; Letzteres kennzeichnet die Autorität von Kulturen und Religionen.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Der Wert der Kunst bemisst sich an der Autorität durch Autorschaft, der einzigen Autorität, die in Kunst und Wissenschaft gilt – nicht Marktwert, nicht Ruhm, nicht legalisierte Fälschung! Folglich, wenn heute Berichte über Auktionserfolge die Kunstkritik ersetzen heißt das, „Kunstwerke“ sind zu Marktplunder ­geworden. Was wird durch die Kunst vermessen?

Welche Regeln braucht die Kunst? Von Aristoteles über Lessing bis heute gilt, dass die Regeln der Kunst sich ausschließlich aus der inneren Logik einer Erzählung von einem Anfang bis zu einem Ende ergeben. Das betrifft insbesondere Dramen und Epen und seit Monteverdi besonders die Oper. Für die bildenden Künste ist die Regel deckungsgleich mit dem Gelingen von Sinnstiftung und Überzeugung. Der Sinn muss durch das Werk als evident erfahrbar werden. Für die Kunst gilt, dass eine Evidenz erst überzeugt, wenn sie das Resultat von Kritik ist. Also Evidenzerzeugung durch Evidenzkritik. Dem Augenschein nicht trauen zu dürfen führt dazu, ihn durch Kritik vernünftig werden zu lassen.

Vergessen wir alles pathetische Gerede über das work in progress, das offene Kunstwerk und derlei Bauernfängerei. Wer immer noch die Grenzen der Kunst sprengen, alte Sehgewohnheiten aufbrechen will, ist bloß denkfaul, um nicht zu sagen kenntnislos.

Durch die Kunst lässt sich erkennen, wieweit noch Individuen in der Lage sind, etwas Sinnvolles und damit Bedeutendes über die Welt auszusagen und sich so der Autorität von Kollektiven zu entziehen. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Die größten Irrtümer der Kunst? Die Anmaßung, Religionen stiften zu können und politischem ­Welt­erlösungswahn Glanz zu verleihen.

Zu 6. Die Oper kann und muss der Entfaltung der Stimme als Medium des Geistes die Bühne bereiten. Die Oper formiert Stimmen zum Körper der Menschheit. Sie hält die Urlaute und die Abgesänge, die Kontaktnahmen wie die Aura-Distanzen, die Fernwirkung wie die Nächstenliebe für immer ­gegenwärtig.

P.S.: „... zerging im Dunst das Heilige Römische Reich, uns bliebe gleich die Heilige Deutsche Kunst.“ Das ist der Inbegriff von Oper als Religionsersatz oder Anstiftung zur Liquidation der Kunst im Namen der Heiligkeit. Die schöne Ausrede gilt nicht, denn hätten die Bürger sich eine Zivilreligion gestiftet, so wäre sie nicht heilig zu nennen, weshalb niemand auf die Idee käme, unser Grundgesetz als heilig darzustellen.

Wer dies gern noch genauer wüsste, lese den Essay ab Seite 80.

* Selbstbezeichnung Bazon Brock ist emeritierter Professor am Lehrstuhl für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal. Von 1968 bis 1992 führte er in Kassel die von ihm begründeten Documenta-Besucherschulen durch. Im Wintersemester 2014 übernahm er die erste Professur für Prophetie an der HBKsaar in Saarbrücken.

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Juliane Köhler Schauspielerin Wie vermessen darf Kunst sein? Kunst ist Freiheit. Daher darf sie so vermessen sein wie nötig. Ich bin bei allen meinen Arbeiten der Überzeugung, dass man keine Angst haben sollte vor Kritik oder der öffentlichen Meinung. Es ist das Schönste, wenn man sich frei fühlen kann, unterstützt vom Regisseur und den Kollegen, wenn es im Arbeitsprozess um die Sache selbst geht, egal, was am Ende dabei herauskommt. Zum Glück hatte ich am Resi, seit ich dort bin, seit 23 Jahren, immer Glück mit meinen Regisseuren.

Welche Regeln braucht die Kunst?

Ohne Disziplin geht nichts. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Je berührter ich bin von einem Kunstwerk, desto höher und größer ist dessen Wert für mich.

Was wird durch die Kunst ­vermessen? Kunst lotet die Seele des Menschen aus. Ich bin in Kassel aufgewachsen, und dort hängt im Schloss Wilhelmshöhe das Bild Jakobs Segen von Rembrandt. Dieses Bild lotet meine Seele aus. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Irrtümer in der Kunst gibt es für mich nicht. Juliane Köhler ist Ensemblemitglied des Münchner Residenztheaters. Sie spielt ­zurzeit dort u.a. in Shakespeares Was ihr wollt. Als Filmschauspielerin wurde sie durch ihre Rollen in Aimée und Jaguar oder dem oscarprämierten Film Nirgendwo in ­Afrika bekannt.

Aino Laberenz Bühnen- und Kostümbildnerin Wie vermessen darf Kunst sein? Sie soll so vermessen sein wie nur eben möglich. Das ist ihre Freiheit. Sie soll nicht bloß widerspiegeln, sondern vergrößern. Sie soll sich nicht in moralische Anstalten zurückziehen, sondern ausbrechen. Sie soll sich nicht auf l´art pour l´art reduzieren, sondern ausarten. Welche Regeln braucht die Kunst? Auf die Gefahr hin, einen Gemeinplatz zu liefern: Kunst braucht keine Regeln. Kunst setzt meiner Erfahrung nach erst da wirklich ein, wo sie die Regeln missachtet oder sogar missbraucht. Jeder wahren Errungenschaft in der Kunst ging ein Regelbruch voraus. Das muss so sein! Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Der Wert einer Kunst bemisst sich für mich vielleicht anhand der Autonomie des Betrachters. Darüber hinaus hat Kunst keinen Wert. Sie ist ein Mehrwert, ein Luxus. Aber eben auch ein Freiraum, die Vergrößerung der Denk- und Handlungsfläche.

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Was wird durch die Kunst vermessen? Bestenfalls all das, was außerhalb des Messbaren liegt, das heißt außerhalb der grauen Theorie, der grausamen Wirklichkeit, der Moral und der Logik. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Kunst nur über Irrtümer funktioniert. Wo Kunst wirken will, kann sie das eigentlich nur in Form von Täuschungsmanövern, die bestenfalls über Missverständnisse zu eigenem Verstehen führen. Kunst ist immer der Gegensatz von etwas, der Widerspruch. Das ermöglicht ihr dann und wann die Chance, im größten Misslingen das perfekte Kunstwerk zu schaffen. Die Oper ist … sich leider zu oft selbst genug. Die Oper kann … viel mehr, als sie weiß – oder will … Die Oper muss … ihren Begriff von Oper erweitern, ausdehnen, überdehnen, kurz: neu vermessen!

Aino Laberenz arbeitete u.a. am Wiener Burgtheater, an der Berliner Volksbühne und der Bayerischen Staatsoper. 2011 gestaltete sie den deutschen ­Pavillon auf der Biennale in Venedig mit, der den Goldenen Löwen gewann. Bis zu seinem Tod 2010 war die gebürtige Finnin mit dem Regisseur Christoph Schlingensief verheiratet, für dessen Operndorf in Burkina Faso sie sich weiter engagiert.


Anne Schwanewilms Sängerin

Wie vermessen darf die Kunst sein? Das Wort „ver-messen“ hat eigentlich zwei Bedeutungen. Messen heißt „eine Einheit finden“. Die Vorsilbe „ver-“ bedeutet „sich davon abwenden, das Gegenteilige von …“ Unter „Vermessen-Sein“ verstehe ich sich erdreisten, unbescheiden und selbst­ herrlich sein, aber auch, etwas wagen, sich etwas trauen. Wie vermessen darf Kunst sein? Ich glaube, der Mensch muss der Kunst genau das erlauben: sich zu erdreisten, unbescheiden zu sein, sich selbst genug zu sein. Kunst muss immer alles wagen, sollte sich alles trauen und darf sich alles erlauben.

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Was waren die größten Irrtümer der Kunst?

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Welche Regeln braucht die Kunst?

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Die Regeln der Kunst könnte man gleichsetzen mit den Regeln unseres zwischenmenschlichen Zusammenseins. Sie gelten für Künstler und Kunstwerk gleichermaßen: Respekt und Demut vor dem Werk sind ebenso nötig wie Hingabe und Ehrlichkeit. Kunst sollte keine Beschränkungen erfahren, sie sucht stets nach Lebendigkeit.

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Der Mensch – und damit auch die Kunst – irrt immer dann, wenn er versucht, die Kunst in Funktionen und Werte einzugliedern – also sie zu vermessen! Zum Beispiel, wenn Kunst zur Geldanlange missbraucht wird. Mit dem Vermessen geht die Intuition verloren, die das Wesen der Kunst ausmacht.

Die Oper ist … ein Zusammenspiel von menschlicher Stimme, Drama und Musikinstrumenten. Die Oper kann … etwas zum Ausdruck bringen, das bewegt, schockiert, mitreißt, berührt, und kann auf diese Weise etwas zum Leben erwecken, kann einen ganzen Kosmos erschaffen. Die Oper muss … dürfen, sich trauen, anstößig sein, aufdecken, berühren, am Leben teilnehmen, lebendig sein.

Die Sopranistin Anne Schwanewilms gilt als eine der wichtigsten Interpretinnen der Werke von Richard Strauss. An der Bayerischen Staatsoper war sie in dieser Spielzeit bereits in Francis Poulencs Dialogues des Carmélites und mit Arnold Schönbergs Gurre-Liedern zu e ­ rleben. 2016/17 singt sie die Feldmarschallin in Richard Strauss’ Der Rosenkavalier.

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Mike Hoolboom Film- und Videokünstler

Wie vermessen darf Kunst sein? Das englische Wort für „vermessen“ im Sinne von „anmaßend sein, sich erdreisten“ – to presume – leitet sich von einem altfranzösischen Wort ab, das „gespannte Erwartung“ bedeutet. „To be presumptuous“ bedeutet auch „sich vorwagen“ und deutet eine bevorstehende Gefahr an. In diesem Wort klingt damit für mich auch die Bedeutung von „Grenze“ an, die Erwartung einer Gefahr, vor der man sich in Acht nehmen muss. Kann Kunst diese Grenze überschreiten? Sie muss es tun, natürlich. Doch wie kann sie erwarten, von uns belohnt zu werden dafür, dass sie uns das gibt, wovor wir zu fliehen versuchen?

Was wird durch die Kunst vermessen? Dieser Moment jetzt, das Lebendige zwischen uns. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? Die Leute sprechen über Kunst immer noch so, als wüssten sie, was das ist, als ob Kunst etwas aus der Vergangenheit wäre.

Welche Regeln braucht Kunst? Kann ich die Frage anders formulieren? Also: Was muss ich mitnehmen, um der Kunst zu helfen, die Grenze zu überschreiten? Tradition und eine Widerstandsfähigkeit gegenüber der Tradition.

Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? Es geht dabei um Bewegung und Energie. Wenn mich etwas bewegt, mich vom Hocker reißt, wenn etwas in meinem Körper mitschwingt, dann ist es etwas Lebendiges. Eine lebendige Erinnerung.

Oper ist … der Anfang eines wichtigen Missverständnisses. Oper kann … uns ein geheimnisvolles Geschenk geben, das so mysteriös ist, dass es selbst dann unerkannt bleibt, wenn es sich zeigt.

Übersetzung Sabine Voß

Oper muss … hier und jetzt sein.

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Mike Hoolboom hat bisher mehr als 50 Filme und Videos gedreht. Seit 2004 arbeitet der kanadische Künstler an Fringe Online (www.fringeonline.ca), einem Internetprojekt, das die Archive von 40 kanadischen Medienkünstlern zugänglich macht.


Auschnitt aus der Serie Chaoten, 2016

Lucia Elena Prusa

Bildende K端nstlerin



Lucia Elena Prusas Serie Chaoten arbeitet mit verschiedensten Sujets: einer ­Detailabbildung des Objekts KENI Cycle, am Körper getragenen Gegenständen zum Abmessen von Einheiten wie Zeit und Größe, einer Abbildung des ­Ziffernblatts der Sonnenuhrskulptur 012 315 621 921. Ihr Interesse gilt hier ­numerischen Systemen und profanen Momenten, die einen Alltag ­determinieren, welche in eine weitere Ordnung übertragen werden. Prusa lebt und arbeitet in Wien und Mexico City.

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Hermann Nitsch Maler und Aktionskünstler

Wie vermessen darf Kunst sein? wie weit kunst vermessen sein kann oder nicht, kann ich nicht nachvollziehen. kunst ist. kunst gibt es. ich würde es so sagen, es gibt gute und schlechte kunst. vielleicht könnte man sagen, kunst ist vermessen, wenn sie schlecht ist und sich aufbläst und zum schlechten publikumsvergnügen wird. ansonsten ist kunst ihrem wesen nach eine metaphysische tätigkeit. die form, die der kunst entspricht, ist ein konzentriertes erfassen der lebendigkeit und des seins. kunst war zu allen zeiten ein entwurf der schöpfung. Welche Regeln braucht die Kunst? die essentielle forderung, die kunst mit sich bringt, ist die form. die form kann sich unendlich aufbreiten. sogenannte regeln der kunst sind beckmesserei. kunst sucht das intensive erleben. die form ist eigentlich undefinierbar. sie ist vielfältig und kann sich prächtig offenbaren. sie entspricht einem irrationalen faktor, der wie im falle einer erleuchtung in erscheinung tritt. Wonach bemisst sich der Wert der Kunst? der wert der kunst entspricht leider nicht immer der qualität der kunst. mode hat zu allen zeiten die jeweils neue gegenwartskunst in den schatten gestellt. Was wird durch die Kunst vermessen? ich wiederhole mich, kunst kann nicht rational vermessen. kunst beansprucht intensives erfassen des seins. eher ein zenbuddhistisches erfahren einer irrationalen wirklichkeit ist gefragt. Was waren die größten Irrtümer der Kunst? die größten irrtümer der kunst waren und sind eben schlechte kunst. auch politische kunst lehne ich ab. Die Oper ist … der versuch, von der griechischen tragöde ausgehend das gesamtkunstwerk weiter voranzutreiben. Die Oper kann … sich steigern bis zu richard wagner, richard strauss, skrjabin und meinem orgien mysterien theater. die oper wurde auch zu einem unwürdigen, virtuosen und antimusikalischen frevel. Die Oper muss … sich zum gesamtkunstwerk steigern.

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Hermann Nitsch gilt als Wegbereiter des Wiener Aktionismus. Seit 1971 verwirklicht er auf dem österreichischen Schloss Prinzendorf sein O ­ rgien Mysterien Theater, ein zum mehrtägigen synästhetischen, rituellen Fest gewordenes Theater, bei dem durch die Beanspruchung aller Sinne ­ eine rauschhafte Existenzerfahrung und Katharsis erreicht werden soll. Nitsch lehrte an zahlreichen Kunsthochschulen und war Gastprofessor an der Universität Wien. An der Bayerischen Staatsoper inszenierte er während der Opernfestspiele 2011 Olivier Messiaens Saint François d’Assise und schuf hierfür auch das Bühnenbild und die Kostüme. Noch bis zum 8. Mai zeigt die Münchner Villa Stuck die A ­ usstellung ExistenzFest. Hermann Nitsch und das Theater. Am 7. Mai zelebriert Hermann Nitsch im Garten des Museums die 147. Aktion des Orgien M ­ ysterien Theaters.


Werner von Siemens Geboren 1816

Werner von Siemens hätte es Erfindergeist genannt. Wir nennen es heute Ingenuity for life. Auch zu seinem 200. Geburtstag in diesem Jahr prägt die Haltung unseres Gründers Werner von Siemens das Unternehmen und alle von uns. Ingenuity for life ist das, was uns antreibt, die Dinge immer noch ein bisschen besser zu machen: Städte lebens- und liebenswerter, öffentliche Verkehrsmittel attraktiver, die Modernisierung von Gebäuden bezahlbar und Industrien zukunftsfähig. Es geht darum, die Welt mit Ingenieurskunst zu verändern und uns auf die Herausforderungen von morgen vorzubereiten. Diesem Anspruch stellen sich täglich rund 348.000 Mitarbeiter von Siemens – und schaffen so langfristig Werte für unsere Kunden, die Gesellschaft und jeden Einzelnen. Wenn man verwirklicht, worauf es ankommt, dann ist das Ingenuity for life.

CGCB-A10120-00

siemens.de/ingenuityforlife


WAS

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Stolzing reitet alleine Oder: Wie das Gesamtkunstwerk sich von ­seinem ­Erzeuger emanzipierte Die zeitgenössische Kunst gleicht heute einer Art ökumenischer Weltkirche für alle möglichen Ästhetiken, politischen und sozialen Anliegen, aber auch für Forschung und Wirtschaft. Richard Wagners Vision eines Gesamtkunstwerks war auf dem Weg dorthin ein Meilenstein. Es ist zur Realität geworden – unter Umständen, die nicht einmal Wagner für möglich, geschweige denn für gut gehalten hätte.

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Richard Wagner macht es seinen Gegnern nicht leicht. Wann immer man ihn abschreiben, ihn allenfalls noch als Leitmotiv­ lieferant für Deutschtümelei oder Tolkien-Verfilmungen durchgehen lassen will, beweist er unerwartet seine Aktua­ lität. Gegenwärtig besteht diese vor allem hinsichtlich jenes amorphen Gebildes, das man zeitgenössische Kunst nennt – ein Gebilde, das gleichsam eine ökumenische Weltkirche für alle möglichen Ästhetiken, politischen und sozialen An­ liegen, aber auch für Forschung und Wirtschaft darstellt. In dieser aufmüpfigen Kirche, so die frohe Botschaft an die globalen Gemeinden, ist der Regelbruch die Regel. Als nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen die im Totalita­ rismus verfolgten Avantgarden rehabilitiert wurden, ent­ stand das Paradoxon einer regulären, ritualisierten Regel­ verletzung: Gerade diejenigen, die sich gegen den Main­ stream gestellt hatten, etwa der Erfinder des Readymade Marcel Duchamp, die Künstler des Blauen Reiter oder Picas­ so, wurden hofiert, musealisiert, institutionalisiert. An den Kunstakademien verlangte man von den Studierenden nicht mehr, dies oder das zu kopieren, sondern über den Tellerrand zu schauen, zu experimentieren, zu hinterfragen, das Schei­ tern in Kauf zu nehmen. Die Avantgarden hatten mit über­ kommenen Maßstäben gebrochen und waren im selben Zuge zum Maß aller Dinge geworden. Schluss mit den Reiterplas­ tiken! Schluss mit den biederen Landschaften! Schluss mit den uninspirierten Porträts! Ein avantgardistischer Cutting-­ edge-Habitus wurde zur Normalität. Ein bisschen so, wie heute ein Tattoo zum guten Ton gehört. Genau deshalb ist zeitgenössische Kunst so beliebt bei einer unüberschaubaren Anzahl von Zielgruppen, bei agitatorischen Kapitalismuskritikern wie auch in neolibera­ len Kreisen, bei Gender-Aktivisten ebenso wie bei kaliforni­ schen Disruptionsdienstleistern: Sie gestattet die Engfüh­ rung von Rebellion und Konformismus. Begünstigend kommt hinzu: Unter dem Begriff „Kunst“ kann mittlerweile fast alles rubriziert werden, von Klassikern wie Ölmalerei und Bildhau­ erei über Kindergebären in einer Kunstgalerie (Marni Kotak) und die Züchtung transgener Pflanzen (Eduardo Kac) bis hin zu politischem Aktivismus in Form von Cultural Hacking (The Yes Men). Selbst Pornos als Abschlussarbeiten sind, wie man munkelt, an Kunsthochschulen nicht tabu. Um zu ver­ stehen, wie es dazu kam, lohnt ein Blick ins 19. Jahrhundert, wo sich die Konturen des heutigen, wenig systematischen Kunstsystems abzuzeichnen begannen. Einen der dicksten Striche zeichnete ein Meister aus Sachsen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte Richard Wagner eine Idee und eine Ästhetik, die heute aktueller ist denn je: Er propagierte die Allzuständigkeit der Kunst. Die Aufsplitterung der Künste in eigenständige, vom sozialen Leben entkoppelte Bereiche wie Malerei oder Skulptur er­ schien ihm als Spiegelbild der sich funktional ausdifferen­ zierenden Moderne, von Vereinzelung, Entfremdung, Ent­ wurzelung. In seinem 1849 verfassten Traktat Das Kunstwerk der Zukunft entwarf er als Antidot zu dieser angeblich kalten,

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Genau deshalb ist zeit­ genössische Kunst so ­beliebt bei einer unüber­ schaubaren Anzahl von Zielgruppen: Sie gestattet die Engführung von ­Rebellion und ­Konformismus.

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entzauberten Zeit „das große Gesamtkunstwerk, das alle Gat­ tungen der Kunst zu umfassen hat, um jede einzelne dieser Gattungen als Mittel gewissermaßen zu verbrauchen, zu ver­ nichten zu Gunsten der Erreichung des Gesamtzwecks aller, nämlich der unbedingten, unmittelbaren Darstellung der vollendeten menschlichen Natur.“ Damit war der Grundstein gelegt für eine potenziell unendliche Erweiterung des Kunst­ begriffs, übertraf Wagners ästhetisch-politisch-soziale Uto­ pie doch „bei weitem die bis dahin gängigen Erwartungen, die mit Kunst und künstlerischen Leistungen verbunden wa­ ren“, wie der deutsche Politikwissenschaftler Udo Bermbach schreibt. Kunst sollte von nun an Aufgaben übernehmen, die traditionell in den Bereich von Religion, Politik, Pädagogik und Wissenschaft fielen. Insbesondere Religion und Politik, so glaubte Wagner nach den ernüchternden Erfahrungen seines Intermezzos als Revolutionär in Dresden und seiner zunehmenden Desillusionierung mit dem Christentum, wa­ ren den Herausforderungen der Moderne nicht gewachsen. Kunst hingegen war noch nicht im historischen Kampf um ein besseres Leben verschlissen worden und schien ihm prä­ destiniert zu erlösen, zu heilen, zu vereinen, zu verzaubern, aber auch Erkenntnis zu stiften und Fortschritt zu bringen. Kurz, Kunst wurde zum Kombipräparat gegen alle tatsäch­ lichen und eingebildeten Wehleiden der westlichen Moder­ ne. Mit Wagner wurde Kunst maßlos. Im Libretto der Meistersinger von Nürnberg, Wagners poppigster und mythenärmster Oper, finden sich zahlreiche Anklänge an das so verstandene Gesamtkunstwerk. So stimmt der Meistersinger Hans Sachs, der ähnlich wie Wag­ ner selbst als Mittler zwischen einer güldenen Vergangen­ heit und einer fortschrittlichen, egalitären Zukunft auftritt, in der fünften Szene des dritten Aufzugs einen Hymnus auf die transkünstlerische Kraft der Kunst, natürlich der deut­ schen, an: „Drum sag‘ ich Euch: ehrt Eure deutschen Meis­ ter, / dann bannt Ihr gute Geister! / Und gebt Ihr ihrem Wir­ ken Gunst, / zerging‘ in Dunst / das Heil‘ge Röm‘sche Reich, / uns bliebe gleich / die heil‘ge deutsche Kunst!“ Die Kunst als „imaginierte Gemeinschaft“, um einen Begriff des ameri­ kanischen Politologen Benedict Anderson zu gebrauchen, tritt an die Stelle des gescheiterten Reiches, sie verwandelt sich in eine Meta-Nation, die allen „echten“ Deutschen – und nicht etwa den verderbten Franzosen, die nur im Zusammen­ hang mit „welsche[m] Dunst mit welschem Tand“ erwähnt werden – offen steht. Traditionen zu achten und gleichzeitig Fortschritt zu suchen, und sei es in Form eines vielleicht di­ lettantischen, aber gerade in seiner Aufrichtigkeit disrupti­ ven Minnegesangs, ist dabei oberstes Gebot. Dass der aus Liebesgründen im Schnellverfahren zum Meistersinger be­ förderte fränkische Ritter Walther von Stolzing am Ende ver­ kündet: „Nicht Meister! Nein! / Will ohne Meister selig sein!“ lässt sich als implizite Kritik an Engstirnigkeit, Hierarchieund Regelgläubigkeit, Technokratie und Quantifizierbarkeit deuten, allesamt verkörpert in der Figur des Sixtus Beckmes­ ser. Daraus ergibt sich fast unausweichlich ein so avantgar­


distisches wie egalitäres Kunstverständnis, wobei Stolzing als Adeliger noch die Aufklärung von oben verkörpert. Spä­ ter sollte es heißen: Jeder Mensch ist ein Künstler. Joseph Beuys, dem Autor dieses Satzes, attestierte sein Kollege Marcel Broodthaers, er habe eine ähnlich unheilvolle Vermischung von Kunst, Macht und Politik betrieben wie Wagner. Denn wenn Kunst Leben und Leben Kunst ist – wie sollte Kunst dann das Leben reflektieren und kritisieren? So butzenscheibenlyrisch die Mär vom meistersin­ genden Minneritter, so utopisch-idealistisch das Gesamt­ kunstwerk heutigen Leserinnen und Lesern auch anmuten mag, stieß Wagner genau damit eine Tür zu unserer hybriden Gegenwart auf, in der das Gesamtkunstwerk unter Umstän­ den, die Wagner abgelehnt hätte, Realität geworden ist. Als Sozialist und zeitweiliger Anarchist war Wagner selbstre­ dend Kapitalismuskritiker – obwohl gerade er für seine Büh­ nenspektakel hochgradig vom Kapital anderer abhängig war. Dessen ungeachtet galt ihm, der er vorgeblich nach „Tiefe“ strebte, die Konsumkultur als Hort des Schalen und Seich­ ten. Im Rheingold singen folglich die Rheintöchter: „Traulich und treu ist’s nur in der Tiefe: / falsch und feig / ist was dort oben sich freut!“ Entsprechend eklig wäre Wagner die heu­ tige Entgrenzung der Kunstbegriffe und der Kunstpraktiken erschienen, insofern sie sich unter den Vorzeichen dessen, was der italienische Kulturkritiker Franco Berardi den „ab­ soluten Kapitalismus“ angloamerikanischer Prägung nennt, vollzieht: Die Entgrenzung der Kunst korreliert mit der Ent­ grenzung des Kapitalismus. Wie die Logik des Kapitals noch die abgelegensten Winkel der Existenz durchzieht, gibt es nichts, was gegen die friendly takeovers der Künste gefeit wäre. Doch man muss nur Wagners Verklärung alles Deut­ schen und seine spätromantisch-sozialistische Emphase ab­ ziehen, um in ihm einen der Sprengmeister hinter der „Ex­ plosion der Ästhetik außerhalb ihrer traditionellen Grenzen“, die, so der italienische Philosoph Gianni Vattimo, das 20. und 21. Jahrhundert kennzeichnet, zu erkennen. Querdenker wie Stolzing gehören längst zur Folklore des Kunstbetriebs, sind aber auch zu Idealfiguren der neo­ liberalen Unternehmenskultur geworden. Gerade in ihnen of­ fenbart sich die tiefe Verwandtschaft zwischen moderner Kunst und modernem Kapitalismus – dem Wagner unfreiwillig in die Hände spielte –, betreiben doch beide, was der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter „schöpferische Zerstörung“ nannte. So verhielt es sich mit Picasso, so verhält es sich etwa mit dem Unternehmer Richard Branson, der ohne formelle Ausbildung zu einem der reichsten Männer Groß­ britanniens wurde. „Ich breche Regeln!“ prangt auf dem Cover einer Ausgabe des Magazins Business Punk, darüber das Por­ trät des Virgin-CEOs mit herausgestreckter Zunge. Branson ist gewissermaßen der Stolzing unter den Großkapitalisten: in Liebe entbrannt zur Innovation und zur corporate culture als „philanthrocapitalism“ – ein etwas sperriger Neologismus der Autoren Matthew Bishop und Michel Green –, voll edlen Ei­ gensinns gegen den Strom schwimmend, aber dabei stets

Essay Jörg Scheller

stromlinienförmig. Kein Anarchist, sondern einer, der wie auch der Apple-Gründer Steve Jobs oder der Internetunter­ nehmer und Elektroautohersteller Elon Musk neue Maßstä­ be setzt – im Bewusstsein, diese immer wieder brechen zu müssen. Branson drückte das einmal so aus: „There are no rules. You don‘t learn to walk by following rules. You learn by doing, and by falling over, and it’s because you fall over that you learn to save yourself from falling over.“ Bemerkenswerterweise ist die von Hans Sachs in den Meistersingern geforderte Rückbindung der Innovation an die Tradition sowohl bei Wagner selbst wie auch bei den Avantgarden um 1900 und den Neoavantgarden seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein gängiges Strukturmerkmal. Wagner griff tief in die germanische Mythenkiste, Kasimir Male­ witsch inszenierte sein Schwarzes Quadrat auf weißem Grund (1915) als moderne Ikone, Picasso ließ sich von der Kunst der sogenannten „Primitiven“ inspirieren, die postmo­ dernen Nachfolger der Avantgarden übten sich im Zitieren, Recyceln und Sampeln. Paradoxerweise gilt: Avantgarde war meistens retro. Und Wagner dahingehend erneut Stichwort­ geber. Im Gesamtkunstwerk deuten sich darüber hinaus Vor­ zeichen dessen an, was man heute Inter-, Trans- oder Multi­ disziplinarität nennt. Gerade in den Künsten ist sie en vogue. Monomediale art pour l‘art hat einen schweren Stand, sie gilt, wie schon bei Wagner, als irgendwie dekadent – in Zeiten umfassender Konnektivität sind die Künste, gerade auch sei­

Querdenker wie Stolzing gehören längst zur Folklore des Kunstbetriebs, sind aber auch zu Idealfiguren der neoliberalen Unternehmens­ kultur geworden. Gerade in ihnen offenbart sich die tiefe Verwandtschaft zwischen moderner Kunst und moder­ nem Kapitalismus – dem Wagner unfreiwillig in die Hände spielte.


tens der Bildungspolitik, aufgefordert, sich ins Getümmel zu stürzen, mal mit Neurophysiologen, mal mit NGOs, mal mit Unternehmen zu kollaborieren. Sie sollen forschen, in­ teragieren, sollen sich partizipativ geben und auf die Gesell­ schaft zurückwirken, anstatt deren Verfasstheit nur zu spie­ geln oder zu kritisieren. So bekundete letztes Jahr, um nur ein Beispiel zu nennen, die Bildungsdirektorin des Kantons Zürich, Silvia Steiner, eine Kunsthochschule solle „nicht da­ für sorgen, dass Kunst um der Kunst willen geschaffen wird. Sie steht nicht für l’art pour l’art, sondern für l’art pour l’homme. Oder l’art pour les autres.“ „L’art pour les autres“ – das hätte auch Wagner unterschrieben. Natürlich auf Deutsch. Und natürlich hätte er gleich danach die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen angesichts der pro­ saischen, ökonomisch durchwirkten Umstände, unter denen sich diese Integration der Künste in die Kultur vollzieht. Der Meister-, ja sogar der weniger pathetische Auto­ renbegriff wiederum wurde nicht nur von Stolzing, sondern auch von postmodernen Künstlern wie Elaine Sturtevant und Autoren wie Michel Foucault zu Grabe getragen. Doch als hätten sie Hans Sachs‘ mahnende Worte noch im Ohr, arbeiteten sich diese bevorzugt an den Meisterdenkern der Vergangenheit (Foucault) und an den Star-Künstlern der Gegenwart (Sturtevant) ab. Dem Ethos der Professionalität und Exaktheit im Sinne von Meisterschaft und Null-Feh­ ler-Quoten aber, wie man sie aus Salonkunst, Handwerk und Industrie kennt, fühlten sich die tonangebenden Künstler des 20. Jahrhunderts nicht länger verpflichtet. Verbindliche Bewertungsmaßstäbe und Kriterien wurden damit proble­ matisch. Jedes Werk, jedes Konzept musste von nun an für sich betrachtet, neu kontextualisiert, auf innere Kohärenz und äußere Originalität geprüft werden. Bereits Marcel Duchamp erkannte, dass Künstler nicht länger mit der Präzision der Maschinen, mit ihrer per­ fekten Ästhetik mithalten konnten. Anstatt diese überbieten zu wollen, galt es von nun an, sie zu konterkarieren – dies durch schmerzhafte Performances (Marina Abramović), be­ tont banale Pop-Art (Andy Warhol), Brüche mit Verhaltensund Wahrnehmungskonventionen oder schlicht Jonglieren mit allem Möglichen. Als „Trickster“ (Yves Klein) bringen Künstler Unordnung in gesicherte Verhältnisse, wirbeln di­ verse Disziplinen durcheinander, wirken aber genau da­ durch kulturbildend und -erweiternd. Schon Prometheus verstieß ja gegen die Regeln, als er den Menschen das Feu­

er brachte. Kunst gewährleistet der westlichen Moderne ein gewisses Maß an Selbst-Irritation oder embedded crisis, um nicht in posthistorischer Selbstgenügsamkeit zu erstarren. Und Irritation entsteht unter anderem dann, wenn das, was einst nicht zusammengehörte, zusammenwächst. So erzähl­ te der Hybridkünstler Vito Acconci 2011 in einem Interview, warum er als Architekt und Literat um 1970 gerade ins Feld der zeitgenössischen Kunst wechselte: „Kunst war ein Feld ohne inhärente Charakteristika, einmal abgesehen davon, dass man es Kunst nannte. Somit war Kunst ein Feld, in das man andere Felder wie Soziologie, Geschichte oder Nach­ richten importieren konnte. Das war der Grund, warum ich – und ich glaube, auch andere Leute – mich der Kunst zuge­ wandt haben. Es schien, als könne man da alles machen.“ Das von Acconci erwähnte „alles machen“ wurde, wie oben skizziert, nicht zuletzt durch die Öffnung des Kunst­ begriffs im 19. Jahrhundert ermöglicht und muss, vom Standpunkt der Experten aus, notwendigerweise in Dilet­ tantismus münden. Künstler machen‘s nicht so perfekt, nicht so präzise, nicht so wasserfest wie die Ingenieure. Aber genau darum geht es – nicht darum, mit der Industrie zu wetteifern oder deren Logik zu adaptieren. Sondern im Gegenteil darum, sie inspirierend zu unterbieten, waghalsig zu übersteigern oder Verknüpfungen herzustellen, die ein in den – vermeintlich – exakten und angewandten Wissen­ schaften trainierter Mensch nicht wagen würde. Kunst ist kein Atomkraftwerk. Dies wiederum macht Künstler, da Ma­ schinen und Algorithmen uns zunehmend die Präzisions­ arbeit abnehmen, so interessant für die Wirtschaft der Zu­ kunft. Erneut begegnet man dem eingangs beschriebenen Prinzip „Regelbruch-wird-Regel“. Schenkt man Christoph Kucklick und seinem Buch Die granulare Gesellschaft. Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auflöst aus dem Jahr 2014 Glauben, dann werden Menschen in der Zukunft primär als kreative Querdenker einen ökonomischen Faktor darstellen – „out-of-the-box-thinking“ ist bislang noch nicht automa­ tisierbar oder programmierbar. Wagner hätte das alles, wie schon erwähnt, wohl als prosaisch, mythenleer und krämer­ seelisch abgetan – als Verbrämungen eines vampirischen, sich bevorzugt am Blute seiner Gegner nährenden Kapita­ lismus. Aber Eltern können nicht kontrollieren, was ihre Kin­ der anstellen, wenn sie einmal ausgezogen sind. Das Gesamt­kunstwerk hat sich von seinem Erzeuger emanzi­ piert. Stolzing reitet alleine.

Jörg Scheller ist Kunstwissenschaftler, Journalist, Musiker und ­Dozent für Kunstgeschichte und Kulturtheorie an der Zürcher ­Hochschule der Künste. Er schreibt Essays und Kri­ tiken u.a. für Die Zeit, die Süddeutsche Zeitung und die FAZ. 2012 erschien sein Buch Arnold Schwarzenegger oder die Kunst, ein Leben zu stemmen. 2013 war er Kurator des Salon Suisse auf der 55. Biennale di Venezia.


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VERMISST

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Google Lit oder: Literatur ist reine Ermessenssache Die literarische Landschaft ist durch die Maßstäbe des Betriebs bestens vermessen. Genau deshalb ist nichts aufregender als Fleisch und Blut einer Autorin. Die Landvermesser der Literatur sind ständig unterwegs. Sie rammen ihre Markierungen in den Boden, stellen Wegweiser auf und karto­ grafieren das schlüpfrige Gelände immerzu aufs Neue. Aber die Land­ schaft ist unermesslich, es gibt kaum Aussichtspunkte, und die Wander­ karten müssen alle paar Jahre auf den neuesten Stand gebracht wer­ den. Google Earth für Literatur ist leider noch nicht erfunden. Dafür werden dauernd neue Formationen entdeckt. Landvermesser streichen den Ruhm ein für immer neue, lese­ touristisch erschließbare Routen. Die Aufmerksamkeit der Leser-Käu­ fer ist die Währung, mit der die Kartografierung der gegenwärtigen Literatur betrieben wird. Trends, Skandale, neue Stimmen, frische Gesichter – das lässt immer noch, immer wieder aufhorchen. Gut, wenn man sich auf der Literatour nicht verlaufen muss: Die Feuille­ tons sagen, wo es langgeht. Doch im Netz bauen sich die Leser inzwi­ schen ihr eigenes literarisches Feld. Also müssen die Feuilletons noch lauter rufen: Neues Erzählen! Neu­ er Trend! Migration, Berlin, Pro­ vinz, Familien, Generationen, Post-Colonial, Transgender, Trans­ kulturalität! Auch die Ranking-­ Listen, Longlists, Shortlists und Preise schlagen Schneisen in den literarischen Urwald. In dessen Dschungelcamps sitzen die immer­ gleichen Autoren und reden sich um Kopf und Kragen. Bis wieder einer rausgewählt wird.

Text Annette Pehnt

Währenddessen schwingen die Le­ serInnen die Walkingstöcke und versuchen, Schritt zu halten. Aber weil sie auch nicht mehr die Jüngs­ ten sind und ihre Buchhandlung um die Ecke gerade zugemacht hat, und weil die Wegweiser in alle Richtungen weisen und manchmal sogar rotieren, und weil das Feuilleton auch nicht mehr das ist, was es mal war, und weil sie dem Amazon-Algorithmus, der ihnen die Bücher gleich rudelweise zusammen­ geschnürt zum Kauf empfiehlt, auch nicht über den Weg trauen, hilft nur noch eines: hingehen. Zum Dichter gehen. Zur Dichterin gehen. Nur sagt ja heute niemand mehr „Dichterin“ und auch nicht „Schrift­ stellerin“, sondern „Autorin“. Also zur Autorenlesung. Falls die Leser­ Innen noch eine erwischen. Die Herrschaften Veranstalter haben sich nämlich so einiges einfallen las­ sen mit den Lesungen, die so, wie sie zu sein pflegten, nicht mehr recht in die bunte Landschaft des Spek­ takels passten. Deswegen gibt es jetzt Leseereignisse, Festivals, Shows, Podien und Workshops, Lese­nächte, Buchkonzerte, Bücher­ clubs. Lesungen, einfach so mit Lämpchen und Wasserglas, eher we­ niger. Auch wenn man ja meinen könnte, dass in den unendlichen Landschaften des Literaturbetriebs eigentlich für alles Platz ist: Aber für die stillen Dinge ist da eben doch sehr wenig Platz. Und wenn es sie dennoch gibt, errichten die Land­ vermesser der Literatur so große

Schilder, dass sofort viele Menschen zu den stillen Dingen stoßen und sie dann nicht mehr still sind. Vielleicht ist also das Gelände allzu gut vermessen statt allzu schlecht. Vielleicht sollten die Leser­ Innen sich mehr Unübersichtlich­ keit wünschen. Kleine graue Ecken, in denen sich Literatur abspielt. Aber das darf man gar nicht laut sagen. Die Google-Lit-Fraktion kann da nur lachen. Warum sollte man sich freiwillig in kleine grauen Ecken setzen? Niemand möchte das. Wir alle wollen es schön haben und be­ quem. Schließlich sind wir keine Kulturprotestanten, die sich quälen und abrackern müssen, damit es ei­ nen Lohn gibt. Und überhaupt: Was kann es bei einer Expedition für einen Lohn geben? Doch nur die Freude der Entdeckung. Und die leuchtet einfach nicht sehr stark, wenn die Entdeckung eine graue Ecke ist. Andererseits: Vielleicht doch, wenn ich allein die graue Ecke entdecke, ganz ohne Hinweisschild und Navigator? Die LeserInnen auf der Suche nach unvermessenen oder schlecht vermessenen literarischen Land­ schaften, oder auf der Suche nach einer neuen Kartografierung, oder gar nach einem eigenen Navigations­ system, strömen, falls sie eine fin­ den, zur Lesung. Und sie strömen wirklich. Natürlich nur, wenn es im Vorfeld ein wenig Werbung gab, ein wenig Pressearbeit und eine Auto­ rin, von der man zumindest schon mal gehört hat.

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Und nun sitzt dort vorne die leib­ haftige Autorin. Und sie sitzt da nicht nur. Sie räuspert sich, sie lä­ chelt (fast keine Autorin, mich ein­ geschlossen, lächelt nicht; ich ken­ ne nur eine einzige, die übrigens großartig ist, aber selten öffentlich auftritt), sie greift zum Wasserglas. Ihre Haare stehen rechts am Ohr ein wenig ab. Sie nestelt an ihrer Halskette, vielleicht ist sie nervös. Sie wird lesen. Aber noch bevor sie dazu kommt, wird sie befragt von einem professionellen Vermesser. Die Maßeinheit, das wissen die Le­ serInnen, und darum kommen sie (auch ich gehe aus einzig diesem Grund zu Lesungen von Kollegen), ist das Authentische. Der Modera­ tor prüft die Autorin sofort auf Echtheit. Nicht nur, dass sie in Fleisch und Blut dort vorne anwe­ send ist (je fleischiger und blutiger, desto besser). Sie soll auch sprechen über Fleisch und Blut. Und da sie das nicht tun wird, soll sie Auskunft geben über das, was jenseits des Textes von ihr zu erfahren ist: das Schreiben. Die LeserInnen, die nun alle Antennen ausfahren und zu Zu­ hörerInnen werden, warten auf den Blick in die Schreibstube. Werkstatt­ arbeit. Schweiß und Blut. Wie geht das mit dem Schreiben? Dauert es lang, woher kommt die Idee, was passiert, wenn nichts passiert? Schreibt die Autorin genialisch, überstürzt, kalkuliert, strategisch? Ist sie gut im Training? Ist sie gut im Futter? Kann sie mit Leib und Leben einstehen für den Text? Die Buchstaben reichen nicht; ihnen muss Leben eingehaucht wer­ den, Leben durch Atem, durch Stim­ me, durch Körper. Der Körper der Autorin verleiht dem Körper des Textes Volumen und Erdenschwe­ re, Saft und Sinnlichkeit. Dem Ver­ messer sei Dank für diese neue Kar­ te, diese neue Landschaft, wo sich Brüste wölben wie Hügel, wo Au­ gen blitzen wie Seen, unergründlich tiefe Seen natürlich, aber man kann auf ihnen segeln; wo die Stimme

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Sie nestelt an ihrer Halskette, vielleicht ist sie nervös. Sie wird lesen. Aber noch bevor sie dazu kommt, wird sie befragt von einem professionellen Vermesser. Die Maßeinheit, das wissen die LeserInnen, und darum kommen sie (auch ich gehe aus einzig diesem Grund zu Lesungen von Kollegen), ist das Authentische.

der Pfad ist, der uns in den Text führt, aber ob sie uns in den Text führt, ist in dem Moment gar nicht wichtig, wir gehen mit, dafür sind wir ja hier. Wir schwingen die Stö­ cke und folgen der Autorin, die nun auch keinen Mittler mehr braucht und kein Google Maps, sie weiß selbst, wo es langgeht und sie sagt es uns, denn dafür wird sie bezahlt. Ihre Geschichten vom Schreiben la­ gern sich an den Text an und er­ schließen weitere Kontinente, wir dürfen an ihrer Hand hinein in den Schöpfungsakt und dann auch wie­ der hinaus, wir dürfen zurücktreten und sie feiern für ihre Beharrlich­ keit, oder für ihre stürmische Im­ pulsivität, je nachdem. Doch ob sich das alles wirklich an den Text anlagert, ist gar nicht ausgemacht. Es kommt uns schon so vor. Aber wenn wir den Text hin­ terher in die Hand nehmen, wirkt er merkwürdig vertrocknet, wie aus­ gewrungen. Er ist eben nicht so schön wie die Autorin. Und er at­ met auch nicht. Sondern wir müs­ sen ihn beatmen. Und das ist so anstrengend. Aber immerhin wissen wir nun, dass auch die Autorin sich ange­ strengt hat. Und wir haben diese Anstrengung mit ihr geteilt. Wir wissen nun alles von ihr. Jedenfalls was diesen Text angeht. Wir ken­ nen uns aus in ihrer inneren Land­ schaft. Jedenfalls was den Text an­ geht. Jedenfalls für diesen Abend (morgen Abend erzählt sie vielleicht andere Schöpfungsgeschichten). Und wir glauben ihr, weil wir ein feines Gespür für das Authentische haben, und wenn es sich beglaubigt anhand von Atem, Schweiß und gelegentli­ chen Versprechern, die zeigen, dass das alles nicht durchgeprobt, keine Inszenierung ist – dann glauben wir ihr allemal. Und ob wir uns dann noch mit dem trockenen Text herums­ chlagen wollen, sei mal ­dahingestellt.

Die Schriftstellerin Annette Pehnt lebt in Freiburg. 2012 erhielt sie den Solothurner­Literaturpreis sowie den Hermann-Hesse-Literaturpreis. 2013 erschienen ihr Erzählungsband Lexikon der Angst und das Kinderbuch Der Bärbeiß, zuletzt ihr ­Roman Briefe an Charley.



DIE KUNST? Rubrikentitel


Auf dem Markt Nach dem Examen müssen junge Künstler zum ersten Mal selbst Maß an ihre Arbeit legen und sie mit Preisschildern versehen. Vier Absolventen der Münchner Akademie der Bildenden Künste erzählen. Es ist kühl hier unten und auch ein bisschen chaotisch. Ein paar altersschwache Möbel warten auf den endgültigen Ruhestand, jeder Blickwinkel ist vollgestopft mit Büchern, Mappen und Prospekten, an der Wand hängt ein Gummihuhn. Seit fast einem Jahr arbeiten Stefanie Hammann, 30, und Maria von Mier, 31, im Tiefparterre eines Hinterhauses in der Maxvorstadt. Nahe am kunstkulturellen Zentrum Münchens befindet sich das junge Künstler­duo also schon einmal – wenn auch noch nicht auf Augenhöhe mit der lokalen Prominenz, sondern eben ein bisschen tiefer, im Keller. Von hier aus soll es mit der „Hochleistungskunst“, wie sie ihre Arbeit im Spaß nennen, aufwärts gehen. „Zu zweit sind wir viermal so schnell“, sagen sie. Stefanie Hammann und Maria von Mier stehen noch am Anfang. Sie haben Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste (ADBK) in München studiert. Doch in eine Schublade wollen sie sich nicht einsortieren. „Player“ gefällt ihnen besser als „Bildhauer“. Wie sollen sie das erklären? Stefanie Hammann setzt an: „Meistens verknüpfen wir

Skulptur, Grafik und Performance zu raum- und ortsspezifischen Installationen ...“ Mitten im Satz steht sie plötzlich auf und kramt aus allerlei Fächern Aufnahmen ihrer Werke hervor. Die Kunst soll für sich selbst sprechen. Maria von Mier pflückt parallel ein Performance-­ Kostüm von der Tür und führt es eifrig vor. Wenn es um ihre Arbeit geht, werden Schalter umgelegt, die Augen angeknipst – Spotlights auf das Wesentliche. Seit einem Jahr sind die beiden als Duo freischaffend tätig, sind für ihre Gagen und Honorare also selbst verantwortlich. Nur: Wie rechnet man künstlerische Kreativität in Geldwerte um? Was kostet Kreativität? Was schreibt man auf das Preisschild eines Werks, das nicht in Aussicht auf kommerziellen Erfolg geschaffen wurde? Und wie überlebt man als Künstler und als Mensch, wenn man nicht nur Toast, sondern auch mal Biobrot essen will? Kurz: Wonach bemessen Künstler den Wert ihrer Kunst, und wie vermessen dürfen sie dabei sein? Fast 2.700 selbstständige bildende Künstler arbeiteten 2014 in München – mehr als die Hälfte von ihnen

verdiente jährlich weniger als 17.500 Euro, sie sind also höchstens Kleinunternehmer. Bei Hammann und von Mier ist es noch weniger – vermutlich. Ganz genau wissen sie es selbst nicht. Laufende Kosten wie die Miete können sie monatlich zwar decken, aber nicht alleine mit der Kunst. Maria von Mier arbeitet nebenbei in einem Schuhladen und zehrt von Erspartem. Stefanie Hammann sichert sich mit einem Kunstpädagogik-Studium an der ADBK ab und gibt Workshops. Beide jobben in Künstlerbars. „Wir können gar nicht so viel über Geld reden, wir haben ja noch fast nichts verkauft“, schießt von Mier gleich los und schenkt etwas verlegen Tee auf ihren Tee. Geld ist nicht ihr Lieblingsthema. Ignoriert wird es deshalb freilich nicht. Sie nutzen Künstler­förderungen, und das sehr erfolgreich: „Es ist fast ein eigener Job, die zu beantragen. Wir sind schon Profis“, sagt Stefanie Hammann. Die beiden denken in kurzen Etappen. Zukunftsängste? Niemandem steht die Panik weniger ins Gesicht geschrieben als ihnen. „Wir sind entspannter, weil wir schon ein paar Dinge erreicht haben. Die

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Nigin Beck kennt ein paar Regeln, die ­Künstlern helfen ­sollen, „die ­mo­netäre Schiene zu fahren“. Etwa: Mache ­immer das Gleiche und schaffe dir so ein Markenzeichen. Sie selbst folgt diesen Rezepten allerdings nicht: „Ich richte meine Kunst nicht nach Regeln aus, um Erfolg zu haben.”

Münchner Kunstszene ist recht klein, wir konnten uns schon einen Namen machen“, sagt Maria von Mier sacht, aber sichtbar stolz. Den Namen machte sich das Duo schon vor dem Examen. Seit 2013 verlegen sie Künstler­ bücher, die selbst Kunstwerke sind. „In dem Bereich ist München noch unbefleckt. Am Anfang wurden wir nicht wegen unserer Kunst, sondern wegen unserer Bücher eingeladen“, erzählt von Mier. In der Schule lernt man fürs Leben, sagt man. Das mit dem Geldverdienen haben Stefanie Hammann und Maria von Mier dort aber nicht

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gelernt. Und allein von Luft und Liebe zur Kunst überlebt man nicht. „An der Akademie lernt man, ohne Vorgaben aus sich heraus zu arbeiten. Einen ‚Kunden‘ gibt es nicht, Kunst ist keine Auftragsarbeit“, sagt von Mier. Sie findet den idealistischen Ansatz der Akademie gut. Schön und gut – nur

lernen die Studenten dabei eben nicht, die eigene Arbeit nach objektiven Kriterien einzuschätzen. Das liberale Lehrsystem kennt keine Noten und keine Credit Points. Keiner ist Klassenbester, keiner muss eine Ehrenrunde drehen und dabei über alternative Karrieren meditieren. Irgendwie hat eben jeder auf seine individuelle Art und Weise eine Das e i n s b e r e c h t i g u n g . „Preisgestaltung ist so subjektiv“, sagt Nigin Beck und lächelt. Ihr Lächeln wirkt wie eine Entschuldigung. Weil sie den Satz so oft sagt, weil er banal klingt, und weil er natürlich trotzdem stimmt. Die 32-jährige Deutsch-Perserin studierte Bildhauerei an der ADBK, seit vier Jahren ist sie selbstständig. Und sie spricht aus Erfahrung: „Bei meiner ersten Ausstellung habe ich bestickte Tücher gezeigt, die für mich irre wertvoll waren. Ich hatte die schon mit 15, 16 gesammelt. Den Preis dafür habe ich einfach nach meinem Empfinden bestimmt: 800 Euro pro Tuch. Die Galeristin hatte für mein Empfinden nicht viel übrig: ‚Geht gar nicht! Viel zu teuer!‘ Mir hat es zwar die Kehle zugeschnürt, aber ich bin bei dem Preis für die Tücher stur geblieben. Dafür musste ich den Preis für die Bilder drücken.“ Denn ein Preis muss sich auch den Honorar-Charts einer Galerie anpassen. „Die Frau hat dann ziemlich gut an mir verdient: Meine zwei älteren Brüder, mein Vater und viele Bekannte haben einige Tücher gekauft“, erzählt Nigin Beck. Die preisreduzierten Bilder fanden auch einen glücklichen Käufer: Die Galeristin kaufte sie für sich selbst.


Die Kunst sei immer ein Draufzahlgeschäft, sagt Beck. Ihr ist völlig klar, dass sie mit ihrer Kunst eher nicht reich wird. „An manchen Sachen wurschtle ich jahrelang herum, da steckt so viel Herzblut drin. Da kann ich schlecht Arbeitszeiten berechnen, das würde sonst teuer werden.“ Am Ende boxt sie lieber ihre Ideale als anständige Gagen durch. Nigin Beck will sich nicht in den Vordergrund stellen, sie verschwindet fast in ihrer riesigen Bomberjacke, die sie wie eine Rüstung anbehält, obwohl die Sonne scheint. „Auf eine meiner beliebtesten Arbeiten habe ich draufgezahlt,

die Künstlern helfen sollen, „die monetäre Schiene zu fahren“. Etwa: Mache immer das Gleiche und schaffe dir so ein Markenzeichen – wie Jeff Koons und seine Ballon-Figuren. Sie selbst folgt solchen Rezepten aber nicht: „Ich richte meine Kunst nicht nach Regeln aus, um Erfolg zu haben. Ich liebe die Spielmöglichkeiten, die ich habe.“ Da ist er wieder, der künstlerische Eigenanspruch, die Renitenz gegen Ge-

stickte Tücher, ich hatte Spiegel. Regelverstoß.“ Ein Glück, dass inzwischen ein Galerist die Preise für Becks Arbeiten – Polaroids, Zeichnungen, Stickereien, aktuell Col­ lagen – verhandelt und festlegt. „Ich bin da einfach ein bisschen schizophren. Klar will ich von der Kunst leben, aber wenn jemandem meine Arbeit gefällt, bin ich oft so gerührt, dass ich sie einfach verschenke.“ Schenken ist edel. Doch wer als Künstler von seiner Arbeit leben möchte, muss auch unternehmerisch denken, ob er will oder nicht.

In Christian Muscheids Klasse gab man einen Künstlerfaktor als ­Richtwert an die Hand: Je bekannter der Künstler, desto höher der Faktor. Bei einem Bild rechnet man: Länge plus Breite mal ­Faktor. Sein erstes verkauftes Bild: (40 + 30) x 10, macht 700 Euro.

weil ich meine Idee nicht wegen der sparsamen Bezahlung aufgeben wollte. Ich sollte für eine Bar ein ‚Give-away‘ für Gäste gestalten. 500 Euro Produktionskosten. Für die Spiegelobjekte, die es dann wurden, habe ich 300 Euro selbst berappt. Auf die Arbeit werde ich heute noch angesprochen.“ Nigin Beck kennt ein paar Regeln,

Text Pauline Krätzig

setze des Marktes, und der Grund, warum Nigin Beck bei einer Ausstellung nichts verkaufte: „Die Leute wollten be-

Christian ­Muscheid denkt ­unternehmerisch. Der 34-jährige Maler trägt „Business Casual“, auf den ersten Blick könnte er auch Marketing Manager, Jurist oder ein bayerischer Prinz

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sein. Ihn ärgert das Klischee vom blauäugigen Künstler – und erst recht ärgern ihn solche Künstler, die dieses Klischee auch noch erfüllen. Vor sechs Jahren beendete Muscheid die ADBK. An die ersten Jahre und die ewige Krux mit dem Geld erinnert er sich noch sehr gut: „In meiner Klasse hat man uns einen Künstlerfaktor als Richtwert in die Hand gegeben: Je bekannter der Künstler, desto höher der Faktor. Als Greenhorn war meiner wohl zehn. Ein bekannterer Künstler hätte dann vielleicht 100. Bei einem Bild rechnet man: Länge plus Breite mal Faktor.“ Eine recht einfache Rechnung, die vielleicht nicht immer funktioniert, die aber zumindest ein wenig Ordnung ins Chaos bringen kann. Seine erste Arbeit verkaufte Christian Muscheid per Zufall: „Das war pures Glück. Zu der Zeit habe ich in den Fünf Höfen in einem Laden gejobbt. Ich kam mit einem Kunden ins Gespräch und habe ihm von meinen Bildern erzählt. Keine Ahnung warum, aber er kam einige Zeit später extra nach München geflogen, um mir ein Bild abzukaufen. Die Entscheidung fiel auf eine kleinformatige Arbeit, damit sie auf dem Rückflug in sein Handgepäck passte. Es war ein Selbstporträt, wie ich als letzter Mann das Theatinerkino absperre, in dem ich gejobbt habe. Es ging für 700 Euro nach Griechenland: (40 + 30) x 10.“ Sich für ein unstetes Künstlerdasein zu entscheiden erfordert Mut. Man braucht nicht nur einen dicken Pullover, um den kühlen Keller zu überdauern, sondern auch eine dicke Haut. Zu viele Ignoranten. Zu viele doofe Phrasen: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Christian Muscheid juckt das nicht mehr: „Das Wichtigste, was ich an der Akademie gelernt habe, ist mit Kritik umzugehen. Meine erste Klassenbesprechung war ein Albtraum. Ich hatte meine Bilder stolz wie Oskar auf-

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gehängt, und die ganze Klasse hat sie zerpflückt. Damals ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Aber es war meine beste Erfahrung.“ Man spürt, dass Christian Muscheid Selbstvertrauen hat – oder besser: ein Selbstwertgefühl. Auch seine Bilder strahlen Selbstbewusstsein aus: kräftige, leuchtende Farben auf großen Formaten und über breite Flächen; minimalistisch und plakativ. Gerade beendet er eine Arbeit: „Yves-Klein-Blau“ auf 5 mal 3,5 Metern. Davor steht eine Stufenleiter. Muscheid will hoch hinaus. Wie hoch eine Gage und wie teuer eine Arbeit sein kann, hängt auch davon ab, wie gefragt ein Künstler ist. „Klar geht es uns auch um Fame“, gibt Stefanie Hammann offen zu. Auch – aber nicht primär. „Für mich war Kunst immer das Wertvollste, was man machen kann. Natürlich wollen wir davon leben. Aber wir sind nicht bereit, dafür unsere Ideale zu killen.“ Eine wissenschaftliche Panel-Studie erklärt es statistisch: Künstler sind wesentlich glücklicher, obwohl sie länger arbeiten und weniger verdienen als der Rest. Weil sie selbst bestimmen, weil sie sich ausprobieren und spielen können. Weil sie eben nicht nur sensibel und kreativ sind, sondern auch zäh und zuversichtlich. „Es klingt vielleicht hart, aber es ist ja gut, dass manche Künstler wieder aufgeben. Das zeigt, wer wirklich dafür gemacht ist“, sagt Nigin Beck. „Ich saufe auch mal fünf Tage lang und denke mir: Wird schon wieder was bei rauskommen. Und das tut es komischerweise auch immer“, sagt sie sehr ehrlich. „So oft war ich kurz davor, alles hinzuschmeißen. Und dann kommt doch immer wieder der Punkt, an dem von hinten etwas in mich hineinkriecht, das umgesetzt werden will. Es gibt kein Entkommen. Es gibt keine Alternative. Es muss weitergehen.“

Arbeiten von HAMMANN VON MIER, Nigin Beck und Christian Muscheid sind zu sehen auf den Seiten 54, 13 und 42.

Die Journalistin Pauline Krätzig schreibt für Magazine wie Neon oder das Süddeutsche Zeitung Magazin.


Fotos: Marc Gilsdorf, Shutterstock; Design: www.vor-zeichen.de


Bühnen-Dinner 2016 ein künstlerischer und kulinarischer Abend auf der Bühne des nationaltheaters mit Künstlern der Bayerischen Staatsoper, des Bayerischen Staatsorchesters und des Bayerischen Staatsballetts Der Spendenerlös des Bühnen-Dinners kommt dem Campus-Programm zugute. Fr, 16.09.2016 Bühne des Nationaltheaters

Detaillierte Informationen und Tickets erhalten Sie direkt über das Development-Büro:

Max-Joseph-Platz 2 80539 München

www.staatsoper.de buehnen-dinner@staatsoper.de

T + 49.(0)89.21 85 10 40 F + 49.(0)89.211 04 80 15


Der Wettlauf von Roald Amundsen und Robert Scott zum Südpol wurde Geschichte. In dieser Spielzeit wurde die Geschichte zur Oper. Miroslav Srnka komponierte im Auftrag der Bayerischen Staatsoper die Oper South Pole, die am 31. Januar 2016 uraufgeführt wurde. MAX JOSEPH begleitet das Ereignis durch die Spielzeit und erzählt in Folge 3 davon, wie der Wettlauf ausging – vorläufig.


Was bisher geschah: Der britische Marineoffizier Robert Falcon Scott und der norwegische Polarforscher Roald Amundsen sind mit ihren Mannschaften in der ­Antarktis gelandet. Scott hat mehrere Ziele: zum einen die Erforschung des bislang praktisch unbekannten Kontinents, und zum anderen den Südpol zu erreichen, was noch niemandem zuvor gelungen ist. Erst u ­ nterwegs erfährt Scott, dass auch Amundsen der Erste sein will. Dieser verzichtet auf den wissenschaftlichen Ballast, reist mit wenigen, frosterprobten Leuten und konzentriert alle Anstrengungen auf sein Ziel. Nichts davon ahnen seine Geldgeber, als sie ihm eine mehrjährige Drift durchs Nordpolarmeer finanzieren. Überhaupt niemand ahnt etwas, bis Amundsen – mit seinem Schiff, der

Hier läuft alles glatt. Amundsen schreibt über seine Hunde: „Bin heute bei –11° C den ganzen Tag nur in Hemd und Unterhose gegangen. Die Hunde ziehen ausgezeichnet, und das Fahren hier auf der Barriere [Amundsen meint damit die ebene Fläche des Schelfeises in der Bucht der Wale] ist ideal. Ich begreife nicht, was die Engländer meinen, wenn sie sagen, dass man hier keine Hunde einsetzen kann. Unter diesen Bedingungen gibt es keine besseren Zugtiere.“ (11. Februar 1911) „Die Engländer haben laut & offen erklärt, dass

Skier & Hunde in diesen Gegenden unbrauchbar sind und dass Fellkleidung unsinnig ist. Nun, wir werden es ja sehen. Ich will mich nicht rühmen, das liegt mir nicht. Aber will man auf die treibende Kraft hinweisen, die die Norweger zur führenden Klasse der Polarforscher gemacht hat – Skier & Hunde – ja, da muss ich ärgerlich werden dürfen und der Welt zeigen wollen, dass es nicht nur ein bloßer Glücksfall war, der uns mithilfe dieser Dinge nach vorn brachte, sondern Berechnungen und Verstand, sie anzuwenden.“ (5. Juli 1911)


„Fram“, längst auf offener See – Scott und die Welt durch ein Telegramm über seine heimlich ­geänderten Pläne informiert. Einstweilen bleibt Scott bei seinem Vorhaben und will sich nicht zu hektischen Reaktionen hinreißen lassen. Beide Teams bereiten sich auf ähnliche Weise vor, errichten ihre Winterquartiere, legen Depots an, optimieren ihre Ausrüstung und vertreiben sich so gut es geht die Zeit während der antarktischen Polarnacht. Dann geht es los: auf zum Südpol. Sein 100 Kilometer weiter südlich gelegenes Lager verleiht Amundsen einen Vorsprung, der sich durch frühere Abreise und schnelleres Vorankommen noch weiter vergrößert.

Und hier gibt es herbe Rückschläge: „Heute hat [der Ingenieur Bernard] Day einen Vortrag über seinen Motorschlitten gehalten. Er hofft fest auf Erfolg, aber ich fürchte, sein Temperament ist sanguinischer als sein Schlitten zuverlässig.“ (Scott, 19. Juni 1911) Tatsächlich erweisen sich die englischen Motorschlitten als Enttäuschung: Der erste von dreien rutscht beim Ausladen ab, bricht durchs Eis und versinkt in den Fluten. Die Ketten der anderen beiden haften nicht auf den mit wenig

Schnee bedeckten Eisflächen, und die Motoren sind bei den tiefen Temperaturen überfordert. Die Schmierung versagt, ein Zylinderschaden besiegelt das Ende des Experiments in technischer Avantgarde. So setzen die Briten für die flache Strecke auf dem Schelfeis (etwa die Hälfte der gesamten Entfernung) auf die tapferen Ponys; vom Anstieg des Gletschers über das Hochplateau bis zum Pol ziehen die Männer ihre Schlitten dann selber.


Es ist einfache Physik, und sie hat tiefgreifende Folgen. Die sibirischen Ponys, auf die Scott mangels Motorschlitten zurückgreift, sinken im ­weichen Schnee allzu leicht ein und müssen sich mit viel Kraft wieder herausarbeiten, das Stapfen wird für die Tiere zur Qual. Viel früher als erwartet müssen sie mit dem finalen Schuss erlöst werden. Währenddessen ­brechen Konflikte hervor. Der „Opern-Amundsen“ hat seinen Leuten ein Schreibverbot erteilt: Nur er darf Aufzeichnungen machen, er hat mit Zeitungen hochdotierte Exklusivverträge abgeschlossen. Dem „Opern-Johansen“ verwehrt er sogar, einen Brief an seine Mutter zu schrei-

ben. Vorausgegangen ist ein ernsterer Streit: Johansen hat Amundsen ­vorgeworfen, rücksichtslos das Leben der anderen aufs Spiel gesetzt zu ­haben. Dass Johansen als kompetentester Teilnehmer Amundsens Autorität in Frage stellt, kann dieser nicht dulden. Auf der britischen Seite wird Oates immer unduldsamer, wenn er merkt, dass Scott wichtige Entscheidungen hinausschiebt. Das Debakel mit den Ponys hätte seiner Ansicht nach vermieden werden können, wenn man bessere Tiere ausgesucht hätte. Aber auch er selbst ist eigensinnig bis zur Verstocktheit. Sich prügeln, das tun Scott und Oates allerdings nur in der Vision des Zeichners.


„Unter all den vielversprechenden Anzeichen künftigen Erfolges ist keines so auffallend wie die Gesundheit und der Mut meiner Leute. Eine kräftigere Gesellschaft lässt sich kaum denken, und die zwölf guten, treuen Männer, die ich zum Vorrücken nach Süden auserkoren habe, scheinen auch nicht eine einzige schwache Seite zu haben. Alle sind jetzt erfahrene Schlittenreisende und durch ein Freundschaftsband verknüpft, das unter solchen Verhältnissen noch niemals seinesgleichen gehabt hat.“ (Scott, 10. September 1911) Das „Man-Hauling“ genannte Selberziehen der Schlitten ist kein Notbehelf, sondern von Anfang an in Scotts Transportplanung vorgesehen. Alle britischen

Vorgängerexpeditionen haben mit dieser bewährten, aber kräftezehrenden Methode gute Erfahrungen gemacht. Amundsen hingegen ist überzeugt, dass Hunde diese Arbeit sogar besser erledigen können, und bezieht sich auf Berichte von Ernest Shackletons Antarktis-Expedition von 1907–1909: „Wir, die wir mit Hunden & Schlitten im Nordeis gefahren sind, Johansen, Helmer, Hassel & ich selbst, sind uns einig: Kann man eine weite Entfernung im Norden fahren, so kann man die gleiche Entfernung hier im Süden wirklich viel leichter fahren. Entweder müssen die Engländer schlechte Hunde gehabt haben, oder sie verstanden es nicht, sie richtig einzusetzen.“ (Amundsen, 11. Juli 1911)


Schneller als erwartet erreichen die Norweger den Südpol, schon am 14. Dezember 1911. Mit Fotos wird das Ereignis dokumentiert, zur Belohnung gibt es Zigarren, aber dann wird gleich der Rückmarsch angetreten. Und wie sieht es im Innern der Menschen aus? Amund­ sen hat in seinem Reisebericht ein verblüffendes Fazit gezogen: „Ich kann nicht sagen – obwohl ich weiß, dass es so eine viel größere Wirkung hätte –, dass ich am Ziel meines Lebens gestanden hätte. Das würde zu offensichtlich heißen, ein ­Märchen zu erzählen. Besser


­ leibe ich ehrlich und sage geradeheraus, dass ich glaube, es habe sich noch kein menschb liches Wesen so diametral entgegengesetzt vom Ziel seiner Wünsche wiedergefunden wie ich in diesem Augenblick. Die Gegend rund um den Nordpol – ach, hol ihn der Teufel – der Nordpol hat mich seit den Tagen meiner Kindheit angezogen, und nun fand ich mich am Südpol. Lässt sich überhaupt etwas Entgegengesetzteres v­ orstellen?“ (Roald Amundsen, Die Eroberung des Südpols, 1912)


Für die Briten wird das Erreichen von 90 Grad Süd zum Albtraum. Der schwarze Punkt, den Bowers erspäht hat, entpuppt sich als Zelt, das die Norweger am Südpol hinterlassen haben. Für Scott ist der Wettlauf verloren: „Großer Gott! Und an diesen entsetzlichen Ort haben wir uns mühsam hergeschleppt, und erhalten als Lohn nicht einmal das Bewusstsein, die Ersten gewesen zu sein!“ (Scott, 17. Januar 1912) Und was, außer ein paar

Ausrüstungsgegenständen, findet er in diesem Zelt? „Ein Zettel Amund­ sens bittet mich, einen Brief an König Haakon zu befördern! Ich steckte ihn zu mir.“ Ist es ein Affront, ein Zeichen von Geringschätzung, Kapitän Scott zum Briefträger des Polarforschers Amundsen zu degradieren? Oder hat Amundsen einfach sichergehen wollen, dass sein Sieg bekannt würde, selbst im Fall, dass er den Rückweg nicht überleben sollte?


Über viereinhalb Jahre Zeit liegen zwischen dem Auftrag, eine Oper zu schreiben, und der Uraufführung. Zeit nicht nur, über Stoffe nachzudenken, das Libretto zu entwickeln, Klänge zu konzipieren, sondern sich auch ganz konkret mit den Sängern zusammenzusetzen und über ihre Stimmen zu sprechen. So trifft sich Miroslav Srnka mit Thomas Hampson nach einem Konzert in dessen Garderobe im Wiener Konzerthaus und besucht Rolando Villazón in dessen Pariser Wohnung. Dort entsteht die Idee, an manchen Stellen mit „Wohnzimmerstimme“ besonders intime Momente auszudrücken: in den imaginierten Begegnungen von Scott und Amund­

sen mit den Frauen ihrer Gedanken oder in den „Winter-Monologen“ des britischen Teams. Deren Texte werden bis kurz vor der Generalprobe immer weiter verfeinert und verdichtet. Gut, dass Tom Holloway in den beiden Endprobenwochen stets dabei ist und den Sängern die Sätze in die Kehle schreibt. Und während auf der Probebühne die szenischen Vorgänge ­erarbeitet werden, ist die Bühnentechnik des Nationaltheaters schon zugange, den Eis-Raum von Katrin Connan und Hans Neuenfels aufzubauen – und die historisch präzise recherchierten Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer warten auf ihre erste Anprobe.


Schon in der Generalprobe – wie üblich vor einem vollen Haus mit Kollegen und Angehörigen der Künstler – zeigt sich, dass die Oper einen Nerv trifft. Zwei Tage später steht die Uraufführung an. Jetzt geht es ums Ganze. Mit dem über zwanzig Minuten währenden Premierenapplaus fällt eine große Anspannung von allen Beteiligten ab. Am meisten wohl vom Komponisten. Als er vors Publikum tritt, schlägt er die Hände vors Gesicht, als könne er diesen Moment nicht fassen. Aber mit der Premiere hört South Pole nicht auf, die Menschen zu faszinieren. Ein namhafter Wissenschaftler schreibt dem Komponisten: „Vergangenen Mittwoch h ­ atte ich die große Freude, die zweite Vorstellung Ihrer Oper South Pole an der Baye­ rischen Staatsoper in München zu hören. Bitte lassen Sie mich einfach sagen, dass dies das größte und berührendste musikalische Erlebnis war, das ich je ­hatte. Über die wunderbare Inszenierung und die herausragende Arbeit der ­Sänger und des Orchesters und Kirill Petrenkos hinaus war Ihre Komposition eine Offenbarung für mich. Ich bin tief begeistert.“

Text Malte Krasting



Der provokante Renaissancemensch Das Opernstudio der Bayerischen Staatsoper zeigt in dieser ­Spielzeit die Oper Albert Herring von Benjamin Britten, ­ ins­zeniert von einer schillernden Persönlichkeit: dem u ­ n­garischen ­Regisseur Róbert Alföldi. Ein Porträt.

Der Prophet August 2013. Premiere zum 30-jährigen Jubiläum der sehr populären ungarischen Rockoper Stephan der König in der Inszenierung von Róbert Alföldi. Schreiend werfen sich die Menschen auf der Bühne gegen das sich schließende Tor – doch zu spät, sie sind eingesperrt in eine 20 Meter hohe ­„Heilige Krone“. Gemeint ist die Königskrone des ehemaligen Königreiches Ungarn, auch als Stephanskrone bekannt, der wichtigste ­Gegenstand der ehemaligen ungarischen Krönungs- oder Reichsinsignien. Sie symbolisiert das über 1000-jährige ­Bestehen des Landes. Da steht nun das ungarische Volk unter seinem ersten König Stephan hinter Gittern und singt die Nationalhymne. Mit diesem Bild endet die Rockoper. Ein prophetisches Finale: Knapp zwei Jahre später zäunt sich das ungarische Volk unter der Leitung von Premier Viktor Orbán tatsächlich ein, um sich vor Flüchtlingen zu schützen und „das christ­ liche Europa“ zu verteidigen. „Als hätte Alföldi damals ­gespürt, was auf uns zukommt“, stellt die Direktorin des ­Budapester Festivals für Zeitgenössische Dramatik, Mária Mayer­-Szilágyi, rückblickend fest.

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Während seiner Intendanz am Budapester Nationaltheater von 2008 bis 2013 bekam Alföldi die wachsenden gesellschaftlichen Spannungen in Ungarn zu spüren: von Konservativen und Rechten wurde sein Theater als „Schwulenlobby“, „Tempel der Perversität“, „der Nation unwürdig“ und „nicht ungarisch“ bezeichnet, von „Andersdenkenden“ ­wurde er für seine innovativen Inszenierungen bejubelt. Dennoch: Alföldi möchte nicht politisch instrumentalisiert werden, er möchte für seine Kunst und nicht für seine politischen Auftritte bekannt sein. Regie und Autorität – Keine Demokratie im Theater Spricht man mit Schauspielerkollegen über ihn, entsteht der Eindruck eines autoritären Regisseurs. Dies bestärkt auch das Buch der Theaterkritikerin Judit Csáki, das seine Intendanz dokumentiert und auch Platz für Äußerungen des ­Porträtierten selbst lässt. So ergibt sich das Bild eines arbeitsbesessenen, diktatorischen, aber väterlich liebenden Regisseurs, der sehr viel darüber nachdenkt, wie er seine Schauspieler fördern kann; eines Mannes, der mal zornig entschlossen und mal freundlich umsichtig seine Entschei-

Premiere Albert Herring


dungen trifft und oftmals lange daran zu knabbern hat, wenn er den Weg zu einem Schauspieler, der ihm wichtig war, nicht gefunden hat. Alföldi ist ein wahrer Renaissancemensch: Schauspieler, Theater-, Opern- und Filmregisseur. Man kennt ihn auch als Maler, als Moderator einer Morgensendung, als Coach bei einer Talentshow im TV, als Vortragenden über Nachhaltigkeit und neuerdings auch als Autor eines ­Interviewbandes, in dem er engagierte Ungarn mit starker Ausstrahlung porträtiert. Kürzlich eröffnete er in Budapest eine Ausstellung mit Bildern aus seiner privaten Fotosammlung der Neo-Avantgarde. In seinem, wie üblich, legeren Look, der engen, schwarzen Jacke, ebensolchen Jeans und spitzen Lederschuhen erklärte der Ende-40-jährige schlanke, grauhaarige Künstler den Vernissage-Besuchern, wie sehr ihn der re­volutionäre Charakter der im Sozialismus entstandenen ­Fotos fasziniert. In den Zeiten diktatorischer Kultur­ politik gab es drei Kategorien von Kunst: die geförderte, die ge­duldete und die verbotene. 26 Jahre nach der Wende herrscht in Ungarn ein ­politisches Klima, das manche Erinnerungen an diese Periode anklingen lassen mag. Demokratische Rechte werden von der nationalkonservativen Regierung von FIDESZ und Christdemokraten subtil oder ganz offen eingeschränkt. So ließ sie in den vergangenen Jahren die Verfassung um­schreiben, besetzte wichtige Posten in Wirtschaft, ­Politik und Kultur mit Gesinnungsgenossen und übernahm die Kontrolle über die staatlichen Medien. Zurzeit wird ein weitreichendes Notstandsrecht diskutiert, mit dem die ­ungarische Regierung ohne Mitsprache des Parlaments die bürgerlichen Freiheiten noch weiter massiv einschränken könnte. Gute Kunst, schlechte Kunst Diese Geisteshaltung findet sich auch in der heutigen ungarischen Kulturpolitik: Ihr Kriterium für gute Kunst ­ ­besteht darin, dass sie dem Nationalgefühl dient und christlich-konservative Werte sowie ein patriarchal-heterozen­ tristisches Schema verteidigt. Das Resultat ist eine ge­ spaltene Gesellschaft mit einem liberalen und einem konservativen Theater, einer liberalen und einer konservativen Literatur. Und sogar in der Musikszene scheint es so, als ob die finanzielle Förderung hauptsächlich von der ­politischen Einstellung der einzelnen Künstler abhängt. Als Intendant des Budapester Nationaltheaters ­wurde Alföldi Ende Juni 2013 durch Attila Vidnyánszky ersetzt, der den Vorstellungen der Regierung eher entsprach. Wäre Alföldi diplomatischer gewesen, hätte seine Intendanz vielleicht länger dauern können. Das entsprach aber nicht seinem Charakter.

Vielen aus der rechten und konservativen Szene wurde er zum Dorn im Auge und zum Zielpunkt skrupelloser Kommentare. Gleichzeitig galten homophobe Äußerungen immer mehr als Normalität im alltäglichen Diskurs. Auch dies hat Alföldi dazu bewegt, in seiner Aufführung der Komödie La Cage aux folles (Ein Käfig voller Narren) – der Geschichte eines gleichgeschlechtlichen Paares – mit dem freien Produktionsteam Kultúrbrigád und dem privaten „Átrium Film/ Theater“ im Jahr 2014 ein Credo der Liebe und der Menschenrechte darzubieten. Dieses Stück wird meistens als Komödie inszeniert, der Fokus liegt nicht auf der Liebesbeziehung zwischen den beiden Partnern. Bei Alföldi sind die Komödie und der ernste Kern der Geschichte gleichwertig. In seiner Inszenierung stand diese Liebe im Mittelpunkt, und sie wurde derart überzeugend dargestellt, „dass bei der Premiere der Jubel einfach kein Ende fand“, erinnert sich Mária Mayer-Szilágyi. Alföldi beteuert: „Im Zentrum des Stücks stehen zwei Menschen, die seit Jahrzehnten zusammengehören, Verantwortung füreinander tragen und sich gegenseitig lieben. Man muss einfach nur das Stück von Jean Poiret (1973) lesen, um das zu verstehen. Liebe, Verständnis, Familie, Vertrauen, Verantwortung und Toleranz sind unabhängig von der geschlechtlichen Zusammenstellung.“ Der schrillen Welt der Vorurteile über Homosexualität wird die Liebe gegenübergestellt – in der Intimität einer Beziehung ist es vollkommen egal, ob diese gleichgeschlechtlich ist oder nicht. Mária Mayer-Szilágyi lobt gleichermaßen Alföldis politischen und künstlerischen Mut. „Auch mit Klassikern geht er mutig und radikal um. Er inszeniert zeitgemäß, seine Bühnen­sprache ist stilistisch vielfältig. Außer dem Schauspielerischen ist für ihn auch die Gestaltung des Raums wichtig, dann das Gesamtbild, Farben, Töne und Musik. Er nutzt gerne Humor und Groteske und wechselt seinen Stil auch innerhalb eines Stückes. Seine Bühnenbilder haben einen stark symbolischen Charakter.“ Privat ist Alföldi eher unscheinbar, sein kleiner Hund Panka begleitet ihn überallhin. Umso wirkungsvoller sind hingegen seine öffentlichen Auftritte, etwa seine Rede im Juli 2015 zur Eröffnung der Budapest Pride (des Budapester Christopher Street Day), gefolgt von der Veröffentlichung eines Schreibens auf seiner offiziellen Facebook-Seite als Aufruf gegen den „Zaun“ und für die Flüchtlingshilfe. Er unterstützt karitative Organisationen und sorgt sich immer wieder um benachteiligte Menschen. Welche Organisationen und wen er konkret unterstützt, möchte er für sich behalten – das sei seine Angelegenheit als Privatmensch. Wichtig für ihn ist, als in Ungarn bekannter Künstler vor die Öffentlichkeit zu treten und sich gegen die Kriminalisierung der Flüchtlinge zu positionieren. „Es geht um Menschen, die durch Schicksalsschläge gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. Männer, Frauen, Kinder, alte Menschen.

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Das Stück gefiel Róbert Alföldi sofort: „Schon die Mutter erwartet von ihrem Kind, dass es einer scheinheiligen ethischen Vorstellung entspricht. Es geht darum, wie Menschen angeblich unmoralisch ­handeln, wenn sie ihr Le­ben nicht einer vorge­schrie­benen Ideologie oder ­Philosophie entsprechend führen. Das kann ich als Ungar perfekt verstehen.“ Über Albert Herring 1947 wurde Benjamin Brittens Oper Albert Herring in Glyndebourne urauf­ geführt und ein riesiger Erfolg, der bis heute anhält. Albert Herring ist die ­zweite von Brittens ins­gesamt fünf Kammeropern; sie ­basiert auf einer ­Novelle von Guy de Maupassant. Im Zentrum steht eine kleine englische ­Ortschaft ­namens Loxford. Weil sie sich um den moralischen Ruf ihrer G ­ emeinde sorgt, lobt Lady Billows einen Preis aus: Sie will eine jungfräuliche Mai­königin ­krönen, die der verlotterten Jugend der Gegend ein Vorbild sein soll. Doch bei ­allem Bemühen: Kein Mädchen genügt den hohen moralischen Ansprüchen der edlen Spenderin, die daraufhin auf die Idee ­verfällt, den j­ ungen Albert ­Herring, ein ­unbedarftes und unbeschrie­benes Blatt in puncto Lebenser­ fahrung und -freude, zu ­krönen. ­Dieser ist von der Ehrung zunächst nicht ­begeistert, dann aber so b ­ erauscht, dass er zum Entsetzen von ganz Loxford sämtliche Versäum­nisse in nur ­einer Nacht nachholt.


Indem meine Regierung sie kriminalisiert, appelliert sie an die niedrigsten menschlichen Instinkte. Gleichzeitig behauptet sie von sich selbst, christlich zu sein.“ In seinen Inszenierungen analysiert Róbert Alföldi die Natur der Macht – zuletzt etwa in Büchners Dantons Tod, Shakespeares Julius Caesar (Vígszinház / Lustspiel­ theater, Budapest, 2013 und 2014) oder Ionescos Macbett (Átrium Film/Theater, Budapest, 2015). Er fragt, welche neuen Situationen in einer Gesellschaft entstehen und welche Folgen es haben kann, wenn die Machthaber gestürzt werden. Er ruft gegen Diskriminierung jeglicher Art, Rassismus und Demütigung auf – wie in dem Musical C ­ abaret von Joe Masteroff/John Kander/Fred Ebb (Budapest Puppen­theater, Budapest, 2015) oder in Der Widerspenstigen Zähmung von Shakespeare (Theater Weöres Sándor, Szombathely, 2015).

Eine Geschichte, die – so hofft Alföldi – auch das deutsche Publikum emotional erreicht. „In einer Geschichte, die davon handelt, dass es im Leben nur einen guten Weg gibt, und nur eine mögliche Sichtweise, findet jeder künstlerisch Schaffende sozialen Sprengstoff. In Ungarn gibt es im Moment vielleicht mehr davon als hier in München. Themen wie menschliche Engstirnigkeit und Ausgrenzung werden aber auch hier verständlich sein, davon bin ich überzeugt.“

Die Journalistin Anna Frenyó stammt aus Ungarn und ­arbeitet in Budapest, Berlin und Paris für diverse Medien, u.a. SWR, Deutschlandfunk und taz.

Foto Wilfried Hösl

Albert Herring Überall, wo der charismatische Róbert Alföldi künstlerisch arbeitet, sei es in Ungarn, Österreich, Südkorea oder Deutschland, kann mit vollen Häusern gerechnet werden. Dementsprechend selbstbewusst ist sein Auftreten und genauso klar seine Vorstellung davon, wie ein Stück inszeniert werden muss. Als die Bayerische Staatsoper ihm anbot, mit den Künstlern ihres Opernstudios Benjamin Brittens Albert H ­ erring zu inszenieren, nahm Alföldi sofort an. „Bei der Arbeit passiert allerdings immer das Gleiche, auch an einem der renommiertesten Opernhäuser der Welt: Wir kreieren etwas aus dem Nichts, und da bin ich vorher immer aufgeregt.“ Besonders freute sich Alföldi darauf, in München mit einem sehr jungen Team arbeiten zu können. Die komische Oper Albert Herring aus dem Jahr 1947 ist an Guy de Maupassants Novelle Le rosier de Madame ­Husson angelehnt und versteht sich als Satire auf scheinheilige Moral und Tugendhaftigkeit. Das wenig bekannte Stück war auch für Alföldi neu – die Geschichte gefiel ihm jedoch sofort. „Schon die Mutter erwartet von ihrem Kind, dass es einer scheinheiligen ethischen Vorstellung ­entspricht. Es geht darum, wie Menschen angeblich unmoralisch handeln, wenn sie ihr Leben nicht einer vorgeschriebenen Ideologie oder Philosophie entsprechend führen. Das kann ich als U ­ ngar perfekt verstehen, wenn einem gesagt wird, wie man sich zu verhalten, zu leben, zu lieben hat und was als moralisch gilt.“ Alföldi weiter: „Es wird einem auch vorgeschrieben, wie ein wahrer Ungar zu denken und Gott zu verehren hat – jeder, der es anders macht, ist kein wahrer Ungar.“ Auch ­Albert H ­ erring lebt in einer heuchlerischen Gesellschaft, die auf die Einhaltung einer strengen Tugendhaftigkeit beharrt, welche sich als tiefgehend scheinheilig entpuppt.

Text Anna Frenyó

Róbert Alföldi, geboren in Kalocsa/Ungarn, studierte an der Akademie für Schauspiel und Film in Budapest. Von 1998 bis 2006 war er als freischaffender Schauspieler und ­Regisseur zunächst in Ungarn, ab 2001 auch international tätig. 2003 brachte er mit Gounods Faust seine erste Oper auf die Bühne des Nationaltheaters Szeged. Es folgten u.a. Inszenierungen von Rigoletto, Iphigénie en Tauride, Herzog Blaubarts Burg und Die Zauberflöte. Von 2006 bis 2008 war Alföldi Künstlerischer Leiter des Bárka Theaters in ­Budapest, anschließend bis Juni 2013 Intendant des ­Ungarischen Nationaltheaters.

Albert Herring Komische Oper in drei Akten (fünf Bildern) Von Benjamin Britten Premiere am Dienstag, 5. April 2016, Cuvilliés-Theater Weitere Termine im Spielplan ab S. 113

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OPER a u f B R-K L AS S I K

Oper

Con passione

Samstags, 19.05 Uhr

Montags, 19.05 – 20.00 Uhr

Gesamtaufnahmen

br-klassik.de

Legendäre Sängerstars

facebook.com/brklassik

Oper – live im Radio

Highlights weltweit


Spielplan

Oper Benjamin Britten

07.04.16 – 24.06.16

Albert Herring Musikalische Leitung Oksana Lyniv Inszenierung Róbert Alföldi Miranda Keys, Deniz Uzun, Leela Subramaniam / Anna Rajah, Johannes Kammler, Joshua Owen Mills, Igor Tsarkov, John Carpenter, Petr Nekoranec, Marzia Marzo, Ann-Katrin Naidu Di 05.04.16 Mi 06.04.16 Fr 08.04.16 Sa 09.04.16 Mo 11.04.16 Do 14.04.16

19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Cuvilliés-Theater  Premiere Cuvilliés-Theater Cuvilliés-Theater Cuvilliés-Theater Cuvilliés-Theater Cuvilliés-Theater

Ausstattungspartner der Bayerischen Staatsoper

Giacomo Puccini

Manon Lescaut Musikalische Leitung Asher Fisch Inszenierung Hans Neuenfels Ermonela Jaho, Rodion Pogossov, Brandon Jovanovich, Roland Bracht, Dean Power, Christian Rieger, Ulrich Reß, Rachael Wilson, Christoph Stephinger, Petr Nekoranec, John Carpenter Di 12.04.16 19:00 Uhr Fr 15.04.16 19:00 Uhr Mo 18.04.16 19:00 Uhr sponsored by

Richard Strauss

Elektra KARTEN Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München T 089 – 21 85 19 20 tickets@staatsoper.de www.staatsoper.de Sofern nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.

Musikalische Leitung Simone Young Inszenierung Herbert Wernicke Gabriele Schnaut, Evelyn Herlitzius, Edith Haller, Ulrich Reß, René Pape, Christoph Stephinger, Marzia Marzo, Anna Rajah, Matthew Grills, Peter Lobert, Helena Zubanovich, Okka von der Damerau, Angela Brower, Heike Grötzinger, Eri Nakamura, Golda Schultz Mi 13.04.16 19:30 Uhr Sa 16.04.16 19:30 Uhr Fr 22.04.16 19:30 Uhr

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Gaetano Donizetti

Georges Bizet

Lucrezia Borgia

Carmen

Musikalische Leitung Paolo Arrivabeni Inszenierung Christof Loy

Musikalische Leitung Dan Ettinger Nach einer Inszenierung von Lina Wertmüller

Alex Esposito, Edita Gruberova, Ismael Jordi, Silvia Tro Santafé, Matthew Grills, Christian Rieger, Andrea Borghini, Joshua Owen Mills, Goran Jurić, Dean Power, Bálint Szabó

Tareq Nazmi, Andrea Borghini, Brandon Jovanovich, Ildebrando D’Arcangelo, Matthew Grills, Dean Power, Eri Nakamura, Angela Brower, Elena Maximova, Golda Schultz

Mi 20.04.16 19:30 Uhr So 24.04.16 19:30 Uhr Do 28.04.16 19:00 Uhr

Fr 13.05.16 19:00 Uhr Di 17.05.16 19:00 Uhr Fr 20.05.16 19:00 Uhr

Modest Mussorgsky

Richard Wagner

Boris Godunow Musikalische Leitung Vasily Petrenko Inszenierung Calixto Bieito Alexander Tsymbalyuk, Rachael Wilson, Eri Nakamura, Heike Grötzinger, Maxim Paster, Boris Pinkhasovich, Ain Anger, Sergey Skorokhodov, Vladimir Matorin, Ulrich Reß, Helena Zubanovich, Kevin Conners, Friedemann Röhlig, Sergiu Saplacan, Tareq Nazmi, Christian Rieger Sa 23.04.16 19:00 Uhr Mo 25.04.16 19:30 Uhr Fr 29.04.16 19:00 Uhr

Die Meistersinger von Nürnberg Musikalische Leitung Kirill Petrenko Inszenierung David Bösch Wolfgang Koch, Christof Fischesser, Kevin Conners, Christian Rieger, Markus Eiche, Eike Wilm Schulte, Ulrich Reß, Stefan Heibach, Francesco Petrozzi, Friedemann Röhlig, Peter Lobert, Christoph Stephinger, Jonas Kaufmann, Benjamin Bruns, Sara Jakubiak, Okka von der Damerau, Tareq Nazmi Mo 16.05.16 So 22.05.16 Do 26.05.16 So 29.05.16 Sa 04.06.16

16:00 Uhr 16:00 Uhr 16:00 Uhr 16:00 Uhr 16:00 Uhr

Premiere

sponsored by Mit freundlicher Unterstützung der Mit freundlicher Unterstützung Gesellschaft zur Förderung der Münchner Opernfestspiele e.V.

Wolfgang Amadeus Mozart

Die Entführung aus dem Serail Musikalische Leitung Christopher Moulds Inszenierung Martin Duncan Lisette Oropesa, Sofia Fomina, Pavol Breslik, Matthew Grills, Tobias Kehrer, Bernd Schmidt, Selale Gonca Cerit Di 26.04.16 19:00 Uhr Sa 30.04.16 18:00 Uhr

Leoš Janáček

Die Sache Makropulos Musikalische Leitung Tomáš Hanus Inszenierung Árpád Schilling Angela Denoke, Pavel Černoch, Kevin Conners, Rachael Wilson, John Lundgren, Dean Power, Gustav Beláček, Peter Lobert, Heike Grötzinger, Reiner Goldberg, Deniz Uzun Mi 18.05.16 19:30 Uhr Sa 21.05.16 19:00 Uhr Di 24.05.16 19:00 Uhr

Giacomo Puccini

Tosca

Gaetano Donizetti

Musikalische Leitung Karel Mark Chichon Inszenierung Luc Bondy

Lucia di Lammermoor

Sondra Radvanovsky, Jorge de León, Ambrogio Maestri, Goran Jurić, Christoph Stephinger, Kevin Conners, Christian Rieger, Igor Tsarkov, Solist des Tölzer Knabenchors So 08.05.16 19:00 Uhr Mi 11.05.16 19:00 Uhr Sa 14.05.16 18:00 Uhr

Musikalische Leitung Oksana Lyniv Inszenierung Barbara Wysocka

gefördert durch

Levente Molnár, Nina Minasyan, Pavol Breslik, Philippe Talbot, Goran Jurić, Rachael Wilson, Dean Power Mi 25.05.16 19:00 Uhr Sa 28.05.16 19:00 Uhr Di 31.05.16 19:00 Uhr sponsored by

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Wolfgang Amadeus Mozart

Le nozze di Figaro Musikalische Leitung Ivor Bolton Inszenierung Dieter Dorn Markus Eiche, Guanqun Yu, Anett Fritsch, Ildebrando D’Arcangelo, Tara Erraught, Alexander Tsymbalyuk, Heike Grötzinger, Ulrich Reß, Kevin Conners, Peter Lobert, Leela Subramaniam, Anna Rajah, Marzia Marzo Sa 11.06.16 19:00 Uhr Di 14.06.16 18:30 Uhr Sa 18.06.16 19:00 Uhr

BallettFestwochen 2016

Giuseppe Verdi

La traviata Musikalische Leitung Andrea Battistoni Inszenierung Günter Krämer Maria Agresta, Tara Erraught, Heike Grötzinger, Francesco Demuro, Luca Salsi, Matthew Grills, Christian Rieger, Andrea Borghini, Kristof Klorek, Joshua Owen Mills, Johannes Kammler, John Carpenter Mi 01.06.16 19:00 Uhr So 05.06.16 18:00 Uhr Mi 08.06.16 19:00 Uhr

Pina Bausch

Für die Kinder von gestern, heute und morgen. Ein Stück von Pina Bausch Musik Felix Lajko, Naná Vasconcelos, Caetano Veloso, Goldfrapp, Nina Simone, Gotan Project u.a. Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Musik vom Tonträger So 03.04.16 Mo 04.04.16 Fr 08.04.16 Di 10.05.16 Do 19.05.16 Mo 23.05.16 Fr 10.06.16

19:00 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:00 Uhr 19:30 Uhr

Premiere

Tanznacht Öffentliche Premierenfeier zur Eröffnung der BallettFestwochen 2016 Ticketkauf nur in Kombination mit dem Kauf einer Premierenkarte möglich So 03.04.16 22:00 Uhr

Alexei Ratmansky, Marius Petipa

Paquita Musik Edouard-Marie-Ernest Deldevez, Ludwig Minkus u.a. Musikalische Leitung Myron Romanul Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester Di 05.04.16 19:30 Uhr

John Neumeier

Die Kameliendame Musik Frédéric Chopin Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester Mi 06.04.16 19:30 Uhr Fr 27.05.16 19:30 Uhr Mi 03.06.16 19:30 Uhr

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Terpsichore-Gala XII – Für Ivan Liška Musikalische Leitung Myron Romanul Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Internationale Gäste Bayerisches Staatsorchester Do 07.04.16 19:30 Uhr

Simone Sandroni

The Passenger Musik Iggy Pop Judith Turos, Ivan Liška, Peter Jolesch, weitere Tänzer des Bayerischen Staatsballetts Zu Gast: Chicago Dance Works USA (15.4.), Bayerisches Staatsballett II (16.4.) Junior Company Het Nationale Ballet Amsterdam (18.4.) Fr 15.04.16 20:00 Uhr Sa 16.04.16 19:30 Uhr Mo 18.04.16 19:30 Uhr

Prinzregententheater  Uraufführung Prinzregententheater Prinzregententheater

Marius Petipa, Ivan Liška

Le Corsaire

John Cranko

Musik Adolphe Adam, Léo Delibes u.a. Musikalische Leitung Aivo Välja

Onegin

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester

Musik Peter I. Tschaikowsky Musikalische Leitung Myron Romanul

Sa 09.04.16 19:30 Uhr So 12.06.16 15:00 Uhr So 12.06.16 19:30 Uhr

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester auch im Live-Stream auf www.staatsoper.de/tv

So 17.04.16 19:30 Uhr

Terence Kohler, Léonide Massine

Once Upon An Ever After / Choreartium Musik Peter I. Tschaikowsky, Johannes Brahms Musikalische Leitung Robertas Šervenikas Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester So 10.04.16 19:30 Uhr

George Balanchine, Jerome Robbins, Aszure Barton

Sinfonie in C / In the Night / Adam is Musik Georges Bizet, Frédéric Chopin, Curtis Macdonald Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester Klavier Maria Babanina Di 19.04.16 19:30 Uhr

Oskar Schlemmer / Gerhard Bohner, Mary Wigman

Das Triadische Ballett / Le Sacre du printemps

Marius Petipa / Patrice Bart

Musik Hans Joachim Hespos, Igor Strawinsky Musikalische Leitung Myron Romanul

Musik Ludwig Minkus Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Ensemble des Bayerischen Staatsballetts II / Junior Company Bayerisches Staatsorchester

Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester

Di 12.04.16 19:30 Uhr Do 14.04.16 19:30 Uhr

Prinzregententheater Prinzregententheater

La Bayadère

Di 03.05.16 Do 05.05.16 Sa 07.05.16 So 15.05.16

19:30 Uhr 15:00 Uhr 19:30 Uhr 18:00 Uhr

Ein Tanzfonds Erbe Projekt John Neumeier Richard Siegal

Illusionen – wie Schwanensee

Model Musik Lorenzo Bianchi Hoesch Solisten des Bayerischen Staatsballetts und Gäste Mi 13.04.16 20:00 Uhr

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Muffathalle

Musik Peter I. Tschaikowsky Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester Fr 17.06.16 19:30 Uhr So 19.06.16 18:00 Uhr


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Konzert

Campus

6. Akademiekonzert

NOAH

Peter I. Tschaikowsky / Richard Strauss

Konzeption und Inszenierung Jessica Glause Musik Benjamin Britten, Benedikt Brachtel

Musikalische Leitung Kirill Petrenko Violine Frank Peter Zimmermann Mo 06.06.16 20:00 Uhr Di 07.06.16 20:00 Uhr

5. Kammerkonzert Wolfgang Amadeus Mozart / Krzysztof Penderecki / Benjamin Britten / Sergej Prokofjew So 03.04.16 11:00 Uhr

Allerheiligen Hofkirche

So Di Mi Fr Sa

08.05.16 10.05.16 11.05.16 13.05.16 14.05.16

Rennert-Saal  Premiere Rennert-Saal Rennert-Saal Rennert-Saal Rennert-Saal

SpielBallett Tanzen kann wie Fußball sein Für Jungen Sa 07.05.l6

6. Kammerkonzert

19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 19:30 Uhr 16:00 Uhr

14:00 Uhr

Ballett-Probenhaus am Platzl

Für Mädchen Sa 14.05.16 14:00 Uhr

Ballett-Probenhaus am Platzl

Guillaume Lekeu / Maurice Ravel / Ernest Chausson / Darius Milhaud So 29.05.16

11:00 Uhr

Allerheiligen Hofkirche

Porträtkonzert des Opernstudios Solisten Iris van Wijnen, Igor Tsarkov Do 27.04.16

19:30 Uhr Künstlerhaus

2. Kammerkonzert der Orchesterakademie Fr 29.04.16 20:00 Uhr

Allerheiligen Hofkirche

Hauptsponsor der Orchesterakademie

Sitzkissenkonzerte: Die Sara, die zum Circus will Sa 09.04.16 14:30 Uhr Sa 16.04.16 14:30 Uhr

Parkett-Garderobe Parkett-Garderobe

Oskar und der sehr hungrige Drache Sa 11.06.16 14:30 Uhr Parkett-Garderobe Sa 18.06.16 14:30 Uhr Parkett-Garderobe

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Extra Premierenmatinee Die Meistersinger von Nürnberg So 08.05.16 11:00 Uhr

Matineen der Heinz-Bosl-Stiftung / Junior Company So 10.04.16 11:00 Uhr So 17.04.16 11:00 Uhr

Forschungsprojekt Bayerische Staatsoper 1933-1963 Präsentation der Ergebnisse 4 *

La Juive

Ideologische Praxis vor und hinter den Kulissen: Antisemitismus, Verfolgung, „Deutsche Kunst”

So 19.06.16 11:00 Uhr

Rasmus Cromme, Dominik Frank, Katrin Frühinsfeld, Jürgen Schläder

Operndialog

Mo 30.05.16 20.00 Uhr

Die Meistersinger von Nürnberg

* Begleitende Publikationen, auch zu den Teilen 1 bis 3, kostenlos erhältlich bei der Präsentation sowie beim Concierge des Nationaltheaters

Sa 04.06.16 10:00 Uhr So 05.06.16 10:00 Uhr

Teil 1  Capriccio-Saal Teil 2  Capriccio-Saal

Montagsrunde Un ballo in maschera Mo 11.04.16 20:00 Uhr

Capriccio-Saal

Albert Herring Mo 18.04.16 20:00 Uhr

Capriccio-Saal

Die Meistersinger von Nürnberg Mo 06.06.16 20:00 Uhr

Wernicke-Saal

Ballett extra Das hat nicht aufgehört, mein Tanzen Ein Symposium zum Werk von Pina Bausch 08.04.16 bis 09.04.16

Ein Probentag mit dem Bayerischen Staatsballett Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Mi 25.05.16 9:45–16:15 Uhr  Ballett-Probenhaus am Platzl

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Capriccio-Saal


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Foto Gerhardt Kellermann


Die Vermesser Für das Gelingen einer Opernaufführung müssen viele, sehr viele Dinge vermessen werden. In der Spielzeit 2015/16 schildern Mitarbeiter der Oper in MAX JOSEPH ihr Handwerk.

Foto Wilfried Hösl

Text Christiane Lutz

Folge 3: Schuhmacher Mario Zahn Ganz oben im Opernhaus kümmert sich Mario Zahn um die Körperteile ganz unten: um die Füße. 21 seiner 43 Lebensjahre arbeitet der Schuhmacher an der Baye­­r­ischen Staatsoper. Er fertigt Schuhe nach Maß und nach den Wünschen der Kostümbildner. Der um­ fangreichste und wichtigste Teil seiner Arbeit besteht dabei nicht im Schuhemachen, sondern im Anpassen. „Wo drückt der Schuh?“ ist nicht umsonst zum geflü­ gelten Ausdruck geworden. Und der Schuh drückt tat­ sächlich sehr oft, und das kann einen Künstler, der damit stundenlang auf der Bühne stehen muss, sehr beeinträchtigen. Also biegt, lockert, knetet und weitet Mario Zahn täglich Leder, tauscht pieksende Riemen aus und klebt Gummisohlen auf, damit niemand in der Vorstellung ausrutscht. Selbst ein Schuhmacher kann am Gang eines Menschen nicht hören, ob da ein Flachfuß oder ein Senkfuß daherkommt. So bleibt ihm nur das Ausmes­ sen. Also Schuhe ausgezogen, mit Socken auf das so­ genannte Fußmaßblatt gestellt und mit dem Bleistift erst einmal den Umriss nachgezeichnet. Zahn misst Wadenumfang, Fesselhöhe, Kleinzehmaß, Rist, Ballen und trägt alles auf sein Fußmaßblatt ein. Behilflich ist ihm dabei ein Schuhmachermaßband. Auf dessen Vor­ derseite stehen normale Zentimeterangaben, auf der Rückseite ist der sogenannte Französische Stich an­ gegeben, welcher den europäischen Schuhgrößen entspricht. Anna Netrebko, Anja Harteros und sogar Placido Domingo – von allen großen Opernstars hat Zahn das Fußmaßblatt archiviert. „Aber kein Mensch hat zwei völlig gleiche Füße“, sagt Mario Zahn, „der eine weicht immer ein paar Millimeter vom anderen ab.“ Manche haben große Ballen, andere krumme Ze­ hen, „besonders die Balletttänzer“, sagt Zahn, „die ha­ ben sehr spezielle Füße“. Das Herrenballett nämlich

Vor einer Sonderanfertigung muss Schuhmacher Mario Zahn den Fuß genau vermessen. Nicht weniger als 14 verschiedene Maße notiert er hierfür auf dem Maßblatt.

lässt sich viele seiner Tanzstiefel von den Schuh­ machern anfertigen. Auf sein Augenmaß verlässt sich Mario Zahn niemals, bei ihm können Millimeter ent­ scheidend für das Wohlbefinden eines Künstlers sein. Sind alle Maße genommen, bestellt der Schuhmacher das Leder in „Quadratfuß“, dem alten Längenmaß, das etwa 30 Zentimetern entspricht und in Deutschland kaum mehr verwendet wird. In der Schuhmacherei aber ist der „Fuß“ – wie passend – erhalten geblieben. Aus einem der bis unter die Decke gefüllten Schuhregale unterm Dach holt Zahn den zu seinen Maßen passen­ den Leisten. Die Staatsoper besitzt zu beinahe jeder Fußgröße und jedem Schuhmodell einen solchen pas­ senden Holzfuß. Um den herum baut, nagelt und klebt Mario Zahn die mit einem Modellwinkel ausgemesse­ nen und zugeschnittenen Lederteile. Jahrhunderte­ lang drehten die Schuhmacher die Modelle übrigens auf links, um Schaft und Sohle zu vernähen, und stülp­ ten den Schuh danach um. So waren die Nähte un­ sichtbar. Daher die Redensart: „Umgekehrt wird ein Schuh draus.“ Heute wird das nur noch bei bestimmten Modellen so gemacht. Zuletzt hat Mario Zahn für die Uraufführung von South Pole für Thomas Hampson ein paar schwarze Slipper in Größe 47 hergestellt. Richtig durchgeknall­ te Wünsche sind selten, die meisten Regisseure bevor­ zugten heute eher Alltagsschuhwerk auf der Bühne, das die Schuhmacher einfach kaufen: Pumps, Stiefel, Sneakers. Eine der ungewöhnlicheren Produktionen war La Calisto von David Alden. Einige Sänger sollten Tierfüße einer Kuh und einer Ziege tragen. „Wir form­ ten und schliffen die Holzhufe so, dass die Sänger be­ quem darin stehen konnten und nicht hintenüber fie­ len.“ Damit der Huf-Schuh nicht ganz so schwer wurde, höhlten sie den Holzklotz aus. An sein eigenes Schuhwerk hat der Schuhmacher selbst übrigens nur einen Anspruch: Bequem muss es sein.

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MAX JOSEPH VORSCHAU Sonderausgabe zu den Münchner Opernfestspielen 2016 FESTSPIELPREMIEREN Fromental Halévy, La Juive Jean-Philippe Rameau, Les Indes galantes VERMESSEN Die Preismacher: Eine Reportage von Tina Mendelsohn Politisches Musiktheater? Überlegungen von Heribert Prantl

FESTSPIEL-WERKSTATT Hauke Berheide, Mauerschau – Uraufführung Saskia Bladt/Torsten Herrmann, Tonguecat – Uraufführung Mauricio Kagel, Mare Nostrum – Premiere Forschungsprojekt Bayerische Staatsoper 1933 – 1963: Abschlusssymposium … und vieles andere mehr!

Die Festspielausgabe von MAX JOSEPH erscheint am 24.06.2016.


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