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MEISTER UND KÖTER
Richard Wagner in München, betrachtet durch die altersschwachen Augen seines Hundes.
Text Albrecht Selge Illustrationen Dr Julian Gravy Festspielpremiere Tristan und Isolde
Grr-r, hu-u … ein scheußliches Wetterchen ist das und eine Uhrzeit, da jagt man doch keinen Hund vor die Tür, vor allem keinen einst stolzen, jetzt leider sterbenskranken Jagd- und Wachthund der edlen Art (früher gehörte ich ja einem Baron!), arg gebildet et similiter, aber hustend, und schon mal gar nicht mein treues Herrchen, das lieber Meister genannt werden will. Meister, jawohl! Eine richtige Persönlichkeit ist der! Und dann so was, wie die begossnen Pudel stehen wir jetzt da, es nieselt auch eiskalt, ist das zu fassen? Meister ist ebenfalls stinksauer, wie ein Gespenst schaut er aus, schlaff hängt sein graues Haar, er murmelt: Scheißdrecks-Schnüffler, und: Sodomiten, und (aber bin nicht sicher, ob ichs richtig verstehe, man ist ein klein wenig harthörig geworden in den vergangenen Hundejahren): Arschgeigen, jawohl, das scheint Meister zu murmeln, lauter Arschgeigen in München. Bene dictum, wrruff! Dabei hatten die uns hier empfangen wie die schmachtende Braut den Bräuterich, ein einziges Hosianna, keine zwölf Hundejahre ist das her, und jetzt das, und jetzt das …
Ich fühl mich ja selbst schon wie ein Gespenst (wie der Herr, so der Köter – auch wenn Meister das Wort nicht mag, aber ich benutz es mit uraltem Köterstolz), Rheuma, überall kneifts, Zipperlein eines langen Hundelebens, die Pumpe ist auch schon flattrig. Bin leider nicht an der Leine, der Meister mag keine Leinen, das gab schon oft Ärger mit garstigen Parkwächtern. Dabei lauf ich gern an seiner Leine! Seltsame verhedderte Welt, der Anleinende möchte die Leine verneinen, der Anzuleinende aber wünscht sie … Der Bahnhof, vor dem wir stehen, sieht aus wie eine Kirche, wo du mal besser nicht die Mauer anpinkelst, Basilika mit ganz hübschen Bögen, gelbe Backsteine und noch eine andere Farbe, keine Ahnung, ob rot oder grün. Jedenfalls nicht blau. Die immer schon schwachen Hundeaugen sind auch müde geworden, huu-u, ich möchte mich nur noch hinlegen zu Meisters Füßen, die Schnauze gemütlich auf meine Pfoten betten …
An die Marken meiner Tage bin ich gelangt. Wie schön wars noch vor zwei Sommern mit der glänzenden Köterin am Starnberger See. Wie wir da Schwäne jagten, huii, wrr – aber niemals werd ich die Wunderbare wiedersehen, ach, niemals!
Die komische Frau ist auch zum Bahnhof gekommen, die mit der charaktervollen Nase. Eine veritable Kleopatra, würdig einer richtigen Persönlichkeit, wie Meister eine ist! Woher kennt ein Köter Kleopatra, werden vielleicht manche fragen, aber man lebt doch nicht acht Hundejahre lang in der Brienner Straße, keine deutsche Hundemeile vom Königsplatz entfernt, ohne ein paar saftige Happen klassischer Bildung aufzuschnappen, zumindest wenn man ein echter Jagdhund ist und nicht irgendeine zusammengemischte Straßentöle. Wie diese unbelehrbaren Gossenköter von hinter der Glyptothek, die Abfallwühler mit dem verbrühten Fell und verkrüppelten Pfoten und brummenden Mägen, die mich frech anknurren und feiner Pinkel nennen, Wauwau eines Zugereisten. Was fällt denen ein? Trotzdem ziehts mich manchmal zu denen, man will ja Klatsch und Tratsch erfahren, und ab und zu eine Straßenhündin, caro autem infirma …
Was jedenfalls Meister angeht: Ich war ja immer und überall dabei – ich, Jagdhund Pohl mit dem braun glänzenden kurzen glatten Fell und großen Schlappohren. Ich war und bin noch immer Meisters treuester Begleiter, selbst in seiner höchsten Stunde in dieser Stadt war ich anwesend, bei der großen Opernpremiere, hab nur ganz wenig gegreint dabei, weniger als einige Menschen. Überhaupt, man kriegt schon einiges mit, wenn man nicht strohdumm ist wie ein Karnickel oder uninteressiert an allen menschlichen Angelegenheiten wie so eine arrogante Katze (grrr-r, da erwacht nochmal der alte Jagdinstinkt im sterbensmüden Hund). Und natürlich nicht völlig deppert wie ein verzogener Schoßfiffi.
Du hast den Butterblick in das furchtbare Wesen der Dinge, sagte Meister einmal zu mir auf einem stundenlangen Spaziergang, seltsamerweise sprach er Butter wie Budda oder Budha aus, aber was soll das sein. Jedenfalls versuche ich, immer so buttrig zu blicken, wie er es an mir mag, und manchmal denk ich dabei an die schöne Köterin, vielleicht ist ja sie das furchtbare Wesen der Dinge.
Die Nasenfrau jedenfalls, die trotz nächtlicher Stunde auch zum Bahnhof gekommen ist – ich sags, wies ist, ganz schlau werd ich nie aus den beiden. Hab zwar von Anfang an alles (omnia!) mitangesehen, was sie und Meister miteinander getrieben haben. Trotzdem ist mir noch immer nicht klar, ob sie nun seine Herrin oder seine Sklavin ist. Vielleicht ist es beim Menschen am Ende wie beim Hund, der rallige Rüde ergreift Besitz von der läufigen Hündin, zugleich aber beherrscht die läufige Hündin den ralligen Rüden.
Wie verwirrend ist das Leben! Wie verheddert sind alle Leinen!
Zwei andere Männer sind auch hier zum Abschied, der kindliche König hingegen ist nicht zum Bahnhof gekommen. Dabei liebt er meinen Meister vielleicht sogar heftiger, als die undurchsichtige Nasenfrau es tut, auch wenn die beiden – Meister und König – niemals übereinander hergefallen sind und sich abgeschleckt haben. Innig umarmt et similiter haben sie sich allerdings schon, aber immer komplett anständig und honestum. Der kindliche König hat die abstehenden Haare eines Papillons, dabei aber die Länge von einem dürren Dobermann, er musste sich also herabbeugen zu Meister, der für einen Menschen (amicus Meister sed magis amica veritas) recht kurz geraten ist – kurz mit arg großem Kopf allerdings –, der König beugte sich also herab, um Meister zu herzen, und dann gings immerzu hin und her, parfumiertes Gefasel von Äther und Inbrunst, Allerheiligstem und Wonnenschauern, in einer verwirrenden und schmeichelnden Art, dass kein Hund mehr durchblickt, wer führt hier nun das Rudel und wer ist der Pudel. Hier wedele ja die Rute mit der Töle, hörte ich auch manchmal die Herrschaften, die um den König scharwenzeln, heimlich einander zuraunen. Dabei sind die selbst eher Hunde als Herrchen, Pfi und Pfo wurden sie beispielsweise genannt und waren irgendwelche Berater oder Minister und konnten Meister aufs Verrecken nicht leiden und Meister sie genauso wenig, und am Ende stecken vielleicht Pfi und Pfo hinter unserer traurigen jähen Abreise vor Morgengrauen, wer soll da durchblicken?
Da gehts endlich zum Bahnsteig, da steht schon der Zug. Die Dampflokomotive qualmt schon, pfui waff, wie der Rauch einen in die Lunge beißt. Aber was freu ich mich aufs warme Coupé! Also, was ist los, können wir jetzt einsteigen? Hinein ins Unvermeidliche, darin ist wenigstens geheizt. Jaja, ich weiß schon, die Arschgeigen, die Sodomiten, nun ist aber auch mal gut.
Der kindliche König hatte so einen verlorenen Blick nach nirgendwo. Das Verhältnis der beiden ist mir auch nie ganz klar geworden. Kapiert hab ich nur eins, der König hatte Meister nach München holen lassen, und Meister hatte dann natürlich seinen treuen Hund aus Wien nachholen lassen, wo ich ihm in Penzing zuverlässig die Einbrecher verbellt hatte. Sein Nachbar, der alte Baron Rachovin von Rosenstern, hatte mich ihm geschenkt, wie bin ich damals aufgeblüht dank dem dauerwandernden Meister nach den Jahren beim fußlahmen Baron. Ach, das waren Zeiten … aber ich verliere den Faden – also, der Ruf des Königs nach München: Aufgespürt wurde Meister vom Königsboten Pfi (Allerweltsgestalt mit Drahtbrille), allerdings wieder woanders, in Stuttgart, wohin Meister Hals über Kopf geflohen war, weil er Schulden hatte wie ein Hund Flöhe. Den Schwanz eingekniffen und sich vor den Gläubigern davongemacht, und zwar in wallenden Frauenkleidern. Und wie er die zu tragen verstand, diese Fischbeinreifen und Krinolinen! Ich sags ja, eine Persönlichkeit! Manche Frau, die ich in meinem langen Hundeleben gesehen hab, die trug ihre Röcke eher wie einen Zwinger, jede Barte der Gitterstab eines Käfigs, Glied einer unerbittlich geschmiedeten Kette – er aber: trägt Röcke und Rüschen wie eine Freiheit, wie eine Erlösung! Überhaupt, seine ewige Erlösung … Aber damals gings ihm erstmal um die Erlösung von seinen Schuldenflöhen, und Pfi war der rettende Bote des kindlichen Königs, der Meister zu sich holte.
Das mit den Frauenkleidern sieht seine Kleopatra gar nicht gern, auch nicht die Seidenunterwäsche mit putzigen Röschen und Quasten, etcetera pp. Wird sie richtig unwirsch. Drum legt er die Frauenkleider nur mehr an, wenn niemand als sein treuer Hund im Haus ist, vor Pohl braucht er keine Geheimnisse zu haben.
Und jetzt steigt sie auch nicht mit ein in die Eisenbahn. Nur ich und der Diener Franz begleiten Meister ins gediegene Coupé. Wie ist das möglich? Nach allem, was war … Ah, sie reden noch miteinander, später, versteh ich, in einigen Tagen, und: Schweigen, Schweigen. Gut, sie hat auch die Kinder am Bein, eine ganze Schar, mir völlig unklar, welches von wem. Verhältnisse sind das! Und immer noch einen Mann hier in der Stadt, diesen Bülow mit seinen traurig hängenden Lidern, der ausschaut wie eine verhungerte Bordeauxdogge. Den mag ich aber, endlich mal ein Verhältnis, das mir klar ist: Meister ist Herr, Bülow ist Hund. Darum hat er auch die Frau herausrücken müssen. Endlich im geheizten Coupé, ab unter die Bank und die Schnauze auf die Pfoten. Ein alter Jagdhund, sterbensmüde. Ach, wie es einen zwickt und zwackt in den morschen Knochen, huu-u …
Schon ist er weggepoft. Seine weichen Pfoten zucken im Schlummer, zart zittern die Lefzen: süßer Hundetraum! Auf leichten Ballen saust er zum See, quer durch den summenden Wald, verbellt auf dem Weg heiter ein dämliches Kaninchen, erschrocken verzieht es sich in sein Erdloch. Dem Eichhörnchen aber folgt er nicht den Baumstamm rauf, das hat er nur ein einziges Mal im vollen Schwung getan, pardauz lag er auf dem Rücken und greinte wie ein Schlosshund. Nicht noch einmal, er ist ja nicht blöd! Nix da, er will zum See, wo er jüngst die glänzende Köterin des Bootsflickers getroffen hat. Ah, welche Anmut! Bereits der Weg zu ihr treibt seine Säfte dicht ans Gären. Und wie herrlich die frische Luft, wenn man aus Meisters verduftetem Landhaus kommt! Hinaus in Feld und Flur, durch Hag und Heide! Sofort vergisst man da die überparfumierte Luft in der Menschenhütte, die einer armen Fellnase die Riechsinne überschwemmt. Dieser Parfumfimmel, für einen Hund ein richtiges Unding, ein Hunding sozusagen. Also, auf zur Köterin mit dem sinnlich glänzenden Pelz … ihre schnuckeligen Schlappohren, ihr federnder Gang … hui, wie sie da wieder Schwäne jagen werden am See! Oder wenigstens die Zähne fletschen und anbellen, wrruff!, aber besser doch von fern, denn die kommen ja immer gleich auf einen zugewatschelt und plustern sich auf, die Schwäne, solche rabiaten Piepmatze! Aggressiv sind die, was soll das denn!
Dann fressen die beiden Hunde am Ufer schmatzend einen toten Fisch, und dann rennen sie, rennen immer weiter, Pohl und jene betörende, namenlose Köterin ... unbewusst –
Traumerkoren, traumverloren, Hundejammer. Gleichmäßig rattert die Eisenbahn, vor dem Fenster zieht der Qualm der Dampflokomotive, im Coupé hängen die beißenden Schwaden von Meisters Cigarre. Überdecken letzten Traumdunst. All die Parfums und Cigarren, keinen blassen Schimmer hab ich, warum er sich in solch künstlicher Dickluft derart pudelwohl fühlt. Bei Menschen riecht es ja immer etwas komisch, aber bei denen ist es extrem, ehrlich gesagt. Na, man gewöhnt sich an alles. Ach, Dunst meines Traums! Mit halboffnen Lidern wie Bülow gedenk ich der verlornen glänzenden Köterin vom Starnberger See, die dem stolzen, aber nicht mehr jungen Jagdhund alsbald irgendeine dahergestrolchte Promenadenmischung vorzog, nur weil der so eine fette Wamme hatte, dieser unerträgliche Angeber. Stechender Herzschmerz noch in der verblassten Erinnerung.
Die Nasenfrau erschien alsbald im Idyll am Starnberger See, das der kindliche König Meister zur Verfügung gestellt hatte, mit ihren kleinen Kindern tauchte sie auf, aber ohne Mann. Die Kinder schliefen tief und fest, während ihre Mutter und Meister im Nebenzimmer trieben, was kleine Kinder ohnehin nicht verstehen, aber ein ausgewachsner Rüde schnallt sowas ex instinctu. Da wackelten die Fauteuils und flatterten die Satindraperien. Und fünf Hundejahre später war, schwupps (so lang dauert das bei denen), das nächste Töchterlein da. Da waren Meister und ich mitsamt kompletter Entourage schon ins Stadtinnere gezogen, Brienner Straße mit Blick auf die Propyläen, und wieder die ganze Bude durchparfumiert, überall Seidenplunder, Vorhänge, Draperien, Girlanden voller Rosen und Teppiche, in denen die Pfoten versinken – und im Herzen der Wohnung ein Cabinet mit Bett und ringsum vertüddeltem Spiegel, das irgendein Besucher den Gral nannte. Die Nasenfrau war jetzt immerzu da, ihr Bülow hatte sich wohl abgefunden, dabei hatte er zuerst noch Zeter und Mordio geschrien und mit den Fäusten auf den Boden gehämmert, aber dann war er furchtbar kränklich und bettlägrig geworden. Der Vater der Nasenfrau kam bald darauf auch vorbei, der Tochter wie aus dem Gesicht geschnitten und fürchterlich zornig, mich erinnerte er an ein … na, ich komm grad nicht drauf … genau, an ein karibisches Lisztäffchen! Meister beruhigte ihn aber durch stundenlanges Vorlesen.
Mir war gleich klar, der ganze Radau ist sinnlos. Manchmal liegt da einfach ein Duft in der Luft, da erschnupperst du sofort, was Sache ist, egal wie sie alles zuparfumiert haben. So eine Aura, so ein Zauber. Dann ist alles klar. Egal wie klein Meister ist, egal wie leise er spricht (wie ein Schneegestöber, raunte mal ein Gast dem andern zu), manchmal trällert und bellcantiert er auch was vor, lang, lang – sie hören ihm dennoch alle zu, etliche Stunden, und damit meine ich keine Hundestunden, bei diesen abendlichen und nächtlichen Rudelbildungen in seinem Salon.
Ach, hu-u, das schöne Haus, der Garten, also auch verloren? Alles futsch? Die Bahn rattert und rattert –
Und dann war da eben noch die Liebe des kindlichen Königs. Aber das war alles ein bisschen delirierend, und es wurde auch hintertrieben von irgendwelchen hinterlistigen Pinschern, das konnte ja ein Anosmiker riechen und das kläfften die Tölen aus den Gossen. Einmal hatte Meister (ich lag zu seinen Füßen und hielt die Lauscher offen) soundsoviel Geld vom König bestellt, und später fuhr die Nasenfrau mit zwei Fiakern vor, die gestopft waren mit Säcken voller Moneten, dazu wildes Gekreische, einen bösen Jux hätten die Arschgeigen in der Residenz sich gemacht und alles in Münzen ausgezahlt. Was haben die Straßenköter gelacht über uns! Und gelästert. Wir haben nichts gegen Zugereiste, knurrte irgendeine Gossentöle, aber dieser Zugereiste ist nicht von hier!
Überhaupt wurden die Straßenköter von hinter der Glyptothek, zu denen es mich weiterhin heimlich zog (denn ich witterte, man muss mehr denn je die Ohren spitzen), immer frecher wurden die: Meister liege dem Volk auf der Tasche, behaupteten sie, der König wolle ihm eine sündhaft teure Festspielhütte bauen und dazu eine Allee quer durch die Stadt rasieren und was nicht alles. Dazu ein Tohuwabohu im Haus, Besuche rein und Besuche raus, auch ein Frauchen Dangl tauchte mal auf, das sich Wahrsagerin schimpfte, und Briefe hin und Briefe her, dazu Worte wie Intrige und Verrat, und immer wieder gings um Pfi und Pfo, da wird ja der Mops in der Pfanne verrückt – aber ich hatte den Eindruck, am Ende blickten die Menschen selbst nicht mehr durch, und Meister und König am allerwenigsten. Alles, was ich weiß: Der Zug rattert. Meister muss fort. Doch nicht ohne Pohl, dem er versonnen den Kopf streichelt. Das Coupé ist warm.
Und doch, und doch: hohes Rätsel, tiefster Traum, aus all dem Murks eine Magie. Da war jenes große Ereignis im vorigen Sommer, dreieinhalb Hundejahre ist das auch schon wieder her. Hunde, wie die Zeit vergeht! Alle waren damals ganz ergriffen, was das menschliche Wort für zerzaust ist: Tristan! (Wie das Mistvieh aus der Türkenstraße, grrr.) Ich war – natürlich – dabei, wie ein sehr dicker Mann bellte und jaulte und jaulte und bellte, ich dachte schon, der hört nie mehr auf, aber Meister war völlig ergriffen und viele andere ebenso (einige schnarchten aber auch), der kindliche König natürlich am allerergriffensten und zerzaustesten. Ganz ehrlich, dreißig Hundestunden oder mehr, da bin ich schon ins Dösen gekommen und hab ein bisschen die Zunge über die Schulter gehängt, um mich abzukühlen, zumal diese dicke Luft – aber den Menschen ging es wohl auch so, doch danach sagten sie: Also, mir fehlen die Worte – die Worte fehlen einem da, mehr kann man gar nicht sagen – Schnorr hieß der dicke Jauler, verdächtig katerhafter Name, schon bald darauf war er tot, schnappte ich erschrocken auf, und die Gassenköter von hinter der Glyptothek kläfften mir frech nach, Meister wär schuld, dass er gestorben sei, es käme daher, weil er ihn zu viel hätte singen lassen, der elende Zugereiste. Der Tote sei Schnorr, aber Meister sei Schnorrer, eine richtige Heuschrecke nämlich, etcetera pp., wutheulend fletschte ich die Zähne gegen die heimtückischen Belferer, aber das beeindruckte sie nicht.
Na und? Dreißig Hundestunden für die Ewigkeit! Jetzt ist die schwere Stunde nach der Ewigkeit. In ihr steckt Meister mir ein Leckerli zu. Niemals werd ich ihn verlassen, mir kommen glatt die Tränen, wenn ich an unsre Treue denke.
EPILOG: WO DER HUND BEGRABEN LIEGT 29. Januar 1866: Der weiterhin von König Ludwig II. finanzierte Exilant Richard Wagner kehrt von einer Reise durchs warme Südfrankreich nach Genf zurück, in die frostige Villa Aux Artichauts. Dicke Luft in seiner Seele. Vor drei Tagen ist in Dresden seine Frau Minna gestorben, von der er seit Langem getrennt lebte. Er fährt nicht zur Beerdigung. Stattdessen lässt er den seit einer Woche toten Hund Pohl ausbuddeln, der während der Frankreichreise gestorben ist und im Gemüsegarten vergraben wurde. Pohl bekommt sein abgenommenes Halsband umgelegt und wird erneut bestattet, im Sarg gewärmt von seiner alten Lieblingspelzdecke, in einem Hain mit Blick auf den Genfer See. Ein Schwan, von keinem der Anwesenden bemerkt, sieht vom Ufer aus zu.