MAX JOSEPH #2 Vermessen: Der Raum

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Max Joseph

Bayerische staatsoper

#2 Vermessen: Der Raum Rolando Villazón trifft Polarfahrer Arved Fuchs – Uraufführung South Pole Zubin Mehta über Verdi – Premiere Un ballo in maschera Heute: Burgfriede in der Antarktis? Gerhard Polt vermisst D: 6,00 Euro A: 6,20 Euro CH: 8,00 CHF


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2015 2016 VERMESSEN

Max Joseph 2  2015 – 2016 Das Magazin der Bayerischen Staatsoper


MichaĂŤl Borremans, The (Courmajeur) Conducinator, 2002


EDITORIAL Neuland, unbekanntes Terrain. Der Erste sein, den anderen schlagen. Ein Duell auf Leben und Tod. Um nur einige der Zutaten jenes Dramas zu nennen, das im Jahr 1910 durch ein Telegramm seinen Lauf nahm und zu einem Stoff für die Ewigkeit wurde: Erst als der norwegische Polarabenteurer Roald Amundsen den britischen Marineoffizier Robert Falcon Scott per Telegramm wissen ließ, dass er ebenfalls Kurs auf den Südpol halte, wurde aus einer gewagten Expedition jener Wettlauf, der uns bis heute fesselt. In der Uraufführung der Oper South Pole ist dieses Drama nun auf der Bühne zu erleben, inszeniert von Hans Neuenfels, unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Kirill Petrenko. Ob auch eine Uraufführung eine Expedition und eine Expedition auch ein Kunstwerk sein kann, darüber unterhielten sich für diese Ausgabe von MAX JOSEPH der Tenor Rolando Villazón, der die Partie des Robert Scott singt, und der Polarfahrer Arved Fuchs – der bereits selbst zu Fuß die Antarktis durchquert hat. Bariton Thomas Hampson, Interpret des siegreichen Roald Amundsen, schildert seine Sicht des Zweikampfs. Und Komponist Miroslav Srnka und Librettist Tom Holloway erzählen, wie sie in jahrelanger intensiver Zusammenarbeit den Auftrag der Bayerischen Staatsoper umsetzten: die Komposition der Oper South Pole. Neuland, unbekanntes Terrain, fordert auch zur Vermessung heraus. Dies ist das zweite große Thema dieser Ausgabe der Spielzeit 2015/16, die wir mit dem Wort „Vermessen“ überschrieben haben. Etwas zu vermessen bedeutet, es kontrollieren und letztlich auch dominieren zu können. Die Essays dieser Ausgabe machen dies deutlich: Ein Blick auf die Landkarte des afrikanischen Kontinents zeigt willkürliche Grenzziehungen als Ausdruck von Unterwerfung. In der Arktis haben die dort lebenden I­ nuit das Eis nie nach westlichen Maßstäben vermessen und in Besitz genommen. Land zu vermessen, das bedeutete lange Zeit nur eine expansive Stoßrichtung: Immer weiter verschoben sich die Grenzen „unentdeckten“ Terrains nach Westen, Osten, Süden, Norden, bis hin zum Mond. Gefragt nach den kommenden Verschiebungen erklärt Gerd Gruppe, Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, dass der Wettlauf um Neuland mittlerweile zwei Richtungen kennt: Neben dem Wettrennen zu neuen Planeten, als nächstes dem Mars, findet auch ein Wettrennen zur Vermessung der Erde aus dem All statt. Über Satelliten wird durch immer bessere Messtechniken die Oberfläche der Erde genauer kartografiert denn je – Herrschaftswissen dies, selbstverständlich. Auch über eine weitere Neuproduktion des Jahres lesen Sie in dieser Ausgabe: Zubin Mehta spricht mit unverwechselbarem Charme über Giuseppe Verdis Un ballo in maschera, das er – unglaublich – zum ersten Mal in seiner langen Laufbahn szenisch aufführt. Die Neuinszenierung leitet er zusammen mit Regisseur Johannes Erath, der uns sensibel über sein Verständnis von Regie Auskunft gibt. Und sollten noch Fragen um das Vermessen und die Vermessenheit des Menschen offen sein – Gerhard Polt gibt Antworten, die bis zu Prometheus zurückreichen.

Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper


Fotos Rolando Villazón und Thomas Hampson: Tanja Kernweiss und Julian Baumann

23 Das Duell – URAUFFÜHRUNG Bariton Thomas Hampson über Roald Amundsen

Spielzeit 2015/16 #2 Vermessen: Der Raum 3

Editorial Von Nikolaus Bachler

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Contributors/Impressum

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Ich als Forscher Diesmal zu Gast: Klaus Maria Brandauer

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Die vollkommene Abwesenheit von allem Teil 1 der Essay-Reihe: Tina Uebel über das Reisen als Obsession

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Grenzerfahrung – URAUFFÜHRUNG Tenor Rolando Villazón im Gespräch mit dem Polarexperten Arved Fuchs über Robert Scott, South Pole und den echten Südpol

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Packeis, das im Meer verschwindet Teil 2 der Essay-Reihe: Christian Holtorf über unterschiedliches Vermessen am Nordpol

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„Im Moment wollen alle zum Mars“ Was kommt als nächstes? Gerd Gruppe, Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, gibt Antworten

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Eine Expedition namens Oper – URAUFFÜHRUNG Über die Zusammenarbeit des Komponisten Miroslav Srnka mit dem Librettisten Tom Holloway. Eine Collage von Kilian Kirchgeßner

Illustration Jay Dart

Das Magazin der Bayerischen Staatsoper

Inhalt

Max Joseph 2


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Mit den Augen hören, mit den Ohren sehen PREMIERE Johannes Erath, Regisseur der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Un ballo in maschera, im Porträt

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Südpol – URAUFFÜHRUNG Die Graphic Novel zur Uraufführung von Miroslav Srnkas South Pole geht weiter. Gezeichnet von Viktor Hachmang

60 Burgfriede in der Antarktis? Über die Lage am Südpol heute. Von Heidi Gmür 64 Eine Frage der Ehre Aus Anlass der Themenkonzerte der ­Bayerischen Staatsoper: Ein Interview mit der Historikerin Ute Frevert über die Gefühlslage zu Zeiten von Scott und Amundsen Foto Gerhardt Kellermann

Grenzen der Unterwerfung Teil 3 der Essay-Reihe: Andrea Jeska über Afrikas Grenzen

Inhalt

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O Fledermaus, o Fledermaus Ein Rätsel für Kurzweil, angelehnt an die großartigen Sinnesorgane des Tiers

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Die Opernästhetik auf Linie gebracht? Das Team des Forschungsprojekts Bayerische Staatsoper 1933 – 1963 präsentiert Fundstücke zur Aufführungsästhetik aus den 1930er Jahren

Illustration Viktor Hachmang

80 „Ich mag Verdis menschliche Sichtweise“ – PREMIERE Zubin Mehta im Interview über die Neuproduktion von Un ballo in maschera 86 „Und Demosthenes rollte sein Fass …“ Der Kabarettist Gerhard Polt im großen Gespräch über das Vermessen

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Spielplan

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Die Vermesser Bühnen-Konstrukteur Peter Buchheit über sein Handwerk

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Vorschau

COVER Das Coverfoto zeigt eine Aufnahme von der Erstbesteigung des Mount Everest durch Edmund H ­ illary und den nepalesischen Sherpa Tenzing Norgay am 29. Mai 1953 im Rahmen einer ­britischen Expedition: Edmund Hillary (l.) und Tenzing Norgay erreichen 8.500 Meter Höhe, Standort des Lagers IX. Der Fotograf George Lowe war ebenfalls Teilnehmer der Expedition.

Foto George Lowe / akg-images

AGENDA


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Impressum

Contributors

Max-Joseph-Platz 2 / 80539 München T 089 – 21 85 10 20 / F 089 – 21 85 10 23 maxjoseph@staatsoper.de www.staatsoper.de Herausgeber Staatsintendant Nikolaus Bachler (V.i.S.d.P.) Redaktionsleitung Maria März Gesamtkoordination Christoph Koch Redaktion Miron Hakenbeck, Rainer Karlitschek, Malte Krasting, Daniel Menne, Julia Schmitt, Benedikt Stampfli, Nicole Brodhof Mitarbeit: Sabine Voß Bildredaktion Yvonne Gebauer Gestaltung Bureau Mirko Borsche Mirko Borsche, Moritz Wiegand, Sophie Schultz, Jean-Pierre Meier, Felix Plachtzik Autoren Shirley Apthorp, Klaus Maria Brandauer, Rasmus Cromme, Dominik Frank, Katrin Frühinsfeld, Heidi Gmür, Tobias Haberl, Gabriela Herpell, Christian Holtorf, Andrea Jeska, Kilian Kirchgeßner, Dirk Liesemer, Christiane Lutz, Tina Uebel Fotografen & Bildende Künstler Julian Baumann, Michaël Borremans, Nicola Carignani, Jay Dart, Viktor Hachmang, Claire Harvey, Ben Heine, Gerhardt Kellermann, Tanja Kernweiss, Kirchknopf & Grambow, Johannes Kuczera, Saddo, David Shrigley

Jay Dart Seite 10

Heidi Gmür Seite 60

Viktor Hachmang Seite 49

Mit zum Wesen des Forschens gehört, dass man das Ende nicht kennt, sich aber auf den Anfang einlassen muss. Auf eine schöne Weise sieht man dies in den ­Illustrationen des kanadischen Zeichners, Grafikdesigners und Installa­ tionskünstlers Jay Dart für Klaus Maria Brandauers Gedanken über das Forschen. Jay Darts Arbeiten wurden in Kanada, den USA und Deutschland ausgestellt. Er arbeitete u.a. für Magazine und die internationale Werbeagenturgruppe Leo Burnett.

Vom denkbar besten Standort aus berichtet Heidi Gmür, Korrespondentin der Neuen Zürcher Zeitung, über den Schauplatz des ScottAmundsen-Wettlaufs heute: Nahe dem Hafen von Hobart im australischen Tasmanien, von wo aus Expeditionsschiffe in die Antarktis auslaufen, sprach sie mit Forschern über wissenschaftliche Aufrüstung in der Antarktis. Ihr spannen­ der Text entstand kurz vor ihrer Rückkehr in die Schweiz, wo sie nun das Bundeshaus-Team der NZZ in Bern leitet.

Das Nähen der Schuhe im polaren Winter; das An­ peitschen der Hunde im Schnee; der Schock in Robert Scotts Team, als ein schwar­ zer Punkt am weißen Horizont erscheint: In der mehrteiligen Graphic Novel des niederlän­ dischen Illustrators Viktor Hachmang rund um die Entstehung und Handlung von South Pole werden diese Momente lebendig. ­Hachmangs Arbeiten sind beeinflusst von der euro­­pä­ischen Comic-Tradition des Clear Line und der japa­n­ischen Ukiyo-e Druckgrafik.

Tina Uebel Seite 12

Tobias Haberl Seite 86

Saddo Seite 34

Bei Erscheinen dieser Ausgabe ist sie bereits wieder über alle Berge: Wieder in die Antarktis aufgebrochen, diesmal auf den Spuren von Ernest Shackletons Endurance-­ Expedition. In ihrem Essay beschreibt sie die Sehnsucht nach unbetretenem Land und die euphorische Bereitschaft, Entbehrungen zu ertragen. Seit 1993 veröffentlicht sie ihre Texte, 2005 erschien ihr Antarktisroman Horror Vacui, zuletzt das Reisebuch Nordwestpassage für 13 Arglose und einen Joghurt.

Der Journalist und Buchautor Tobias Haberl schreibt am liebsten ausführliche Porträts über Menschen, von denen viele behaupten, dass man sie links oder rechts liegen lassen sollte, dies seit zehn Jahren für das Süddeutsche Zeitung Magazin. Von seinem ­Gesprächspartner in dieser Ausgabe würde dies nun niemand behaupten, wohl aber wollte dieser herausgefordert und auch herausgelockt werden aus dem schönen Holzkirchen: Gerhard Polt im großen Gespräch über das Vermessen.

Ein Chor der Pinguine, ein Trompetensolist und ein gesunkener Konzertflügel: Dies und vieles mehr ist in den Illustrationen zu sehen, die der frühere Street Art-Künstler Raul Oprea alias Saddo für den Text über die Entstehung der Oper South Pole an­fertigte. Die Arbeiten des ­rumänischen Künstlers sind mittlerweile nicht mehr nur in Außen-, sondern auch in Innenräumen zu sehen, darunter in Galerien in Berlin, Kopenhagen oder New York.

Marketing Gabriele Brousek T 089 – 21 85 10 27 / F 089 – 21 85 10 33 marketing@staatsoper.de Schlussredaktion Nikolaus Stenitzer Anzeigenleitung Imogen Lenhart T 089 – 21 85 10 06  imogen.lenhart@staatsoper.de Lithografie MXM Digital Service, München Druck und Herstellung Gotteswinter und Aumaier GmbH, München Vertrieb Zeitschriftenhandel Axel Springer Vertriebsservice GmbH Süderstraße 77 20097 Hamburg www.as-vertriebsservice.de ISSN 1867-3260 Nachdruck nur nach vorheriger Einwilligung.­ Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu ­erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.

Foto Tina Uebel: Stefan Malzkorn

Magazin der Bayerischen Staatsoper www.staatsoper.de/maxjoseph


Photo Jens Mauritz

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In der Spielzeit 2015/16 schildern Künstler für MAX JOSEPH, woran sie gerade forschen – was sie zur Zeit vermessen.

Illustration Jay Dart

Ich als Forscher:


Denn die Realität ist für einen Menschen mit seinen Sinnen nur für den Moment fassbar. Wir sehen die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie wir sind, und das ändert sich immer und immer wieder. Man könnte das auch ganz einfach das Spiel des Lebens nennen. Es ist nötig, immer ­wieder an die unheimlichen ­Punkte zu gehen, und ebenso, die scheinbar eindeutigen Dinge zu verklären. Nur so ändert sich etwas, gibt es Bewegung, Er­fahrung, Erkenntnis. Auf dem Theater geht es deswegen auch nie darum, die Menschen zu ­zeigen, wie sie sind – sondern so, wie sie sein könnten. Das ist ein entscheidender Unterschied, der das Ganze erst so reizvoll macht. Denn dann ist es nicht vorher­ sehbar und in jedem Moment neu. Das ist nicht einfach, aber s­ chwere Arbeit ist schöne Arbeit.

Foto Christof Mattes

Was bedeutet es eigentlich zu forschen? Es geht um die Grenze zwischen Glaube und Wissen, diese immer weiter von sich weg zu schieben oder – das ist mitunter ebenso wichtig – ganz nah an sich ran zu holen. Shakes­peares ­Hamlet sagt im ersten Akt des Stückes einen oft zitierten und genauso oft missverstandenen Satz: „Es gibt mehr Ding’ im ­Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.“ Im Original heißt das: „There are more things in heaven and earth, Horatio, than are dreamt of in your philosophy.“ Das meint ­natürlich die Erschei­ nung von Hamlets Vater, aber eben nicht nur. ­Zugleich ist es auch einer der vielen Schlüssel für ­Shakespeares Werk und damit natürlich auch für alles andere, was auf einer Bühne oder in einem Leben stattfinden kann.

Zu den großen Rollen des österreichischen Schauspielers Klaus Maria ­Brandauer gehören etwa die Titelpartien in Jedermann bei den Salzburger Festspielen, Hamlet und König Lear am Wiener Burgtheater oder Wallenstein am Berliner Ensemble. International bekannt ist Brandauer seit seinen Hauptrollen in István Szabós Filmen in den 1980er Jahren, Mephisto, ­Oberst Redl und Hanussen, sowie seiner Rolle des Maximilian Largo im James Bond-Film Sag niemals nie und des Baron Bror ­Blixen-Finecke in Jenseits von Afrika. 2006 inszenierte er im Berliner ­Admiralspalast Brechts D ­ rei­groschenoper. Zu seinen vielen Auszeichnungen kam 2014 der ­N­estroy-Theaterpreis für sein Lebenswerk.

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Claire Harvey, postcard ek0771, 2014

Neuland Raum vermessen, erobern, Grenzen ziehen: Drei Autoren blicken auf 1 unbekanntes 2 umkämpftes  3 vereinnahmtes Terrain.


Die ­vollkommene Abwesenheit von allem Vor 14 Jahren war Tina Uebel das erste Mal am Südpol. Kurz vor ihrem nächsten Aufbruch dorthin schreibt sie über das Reisen als lebenslange Obsession.

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Men go out into the void spaces of the world for various reasons. Some are actuated simply by the love of adventure, some have the keen thirst for scientific knowledge, and others are drawn by the lure of „little voices“, the mysterious fascination of the unknown. Ernest Shackleton, The Heart of the Antarctic, 1909

„Die Menschen gehen hinaus in die leeren Weiten dieser Welt aus unterschiedlichen Gründen. Einige treibt schlicht die Liebe zum Abenteuer an, einige der leidenschaftliche Hunger nach wissenschaftlicher Erkenntnis, und andere werden angezogen von lockenden ‚leisen Stimmen‘, der unerklärlichen Faszination des Unbekannten.“ Die ersten Sätze aus Ernest Shackletons The Heart of the Antarctic, dem Bericht über seine Antarktis-Expedition 1907–1909. Weiße Flecken. Leere Weiten. Die vollkommene Abwesenheit von allem. Das Eis eben, bis zum Horizont. Man kann die Erdkrümmung sehen; der Himmel wolkenlos; der Wind gewaltsam und ohne jeden Geruch. Eine Welt aus nichts als Weiß und Blau. Irgendwo hinter mir steckt im Eis das Schiff, der Eisbrecher „­Kapitan Khlebnikov“. Vom Hubschrauber aus wird einem klar, ­ wie winzig und flüchtig er ist inmitten dieser ungeheuerlichen Leere. Ich habe ein Foto gemacht, damals vor­ 14 Jahren, auf meiner ersten Reise in die Antarktis, das nichts zeigt außer Weiß und Blau, um mich daran zu erinnern und an den Moment vollkommenen Glücks, das ich empfand. Ich hielt diese Reise vor ihrem Beginn für die Erfüllung eines Lebenstraums. Ich Einfaltspinsel. Es war der Beginn einer lebenslangen Obsession. „Die kargen polaren Lande ergreifen das Herz eines Menschen, der in ihnen gelebt hat, in einem Maße, das diejenigen, die das Gehege der Zivilisation nie verließen, kaum je verstehen werden.“ So fährt Shackleton fort in The Heart of the Antarctic. In kaum einem Bericht der historischen Polarfahrer fehlt der Absatz, in dem sie beschreiben, dass es sich eigentlich nicht beschreiben lässt, wie es ist, dort zu sein, oder welche Gründe es sind, die einen dorthin ziehen. Auch ich kann es nicht sagen. Ich habe diese lockenden Stimmen, Shackletons little voices, mein ganzes Leben lang gehört. Ich kenne mich nicht ohne diese Sehnsucht. Während die Barbies meiner Kindergartenfreundinnen hübsche Kleider anzogen für ein Date mit Ken, hatten meine keine Zeit für so etwas. Sie waren am Nordpol oder am Amazonas unterwegs. Ich bin mit Fernweh geboren. Mit Fernweh und dieser Sehnsucht. „Es ist verborgen. Geh und find es. Geh und such ­jenseits der Berge – Es ist verloren jenseits der Berge. Dort ­erwartet es dich. Geh!“ flüstert es in Rudyard K ­ iplings Gedicht The Explorer. Little Voices. George Mallory, ­gefragt, warum er den Everest besteigen wolle, sagte, ­legendär: „Weil er da ist.“

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Die tiefe Demut angesichts der Wucht einer gnadenlosen Schöpfung, der jubilierende Narzissmus, sich einen Flecken Welt zu erobern, an den unsereins eigentlich nicht hingehört.

Im März 2008 kämpfe ich mich, auf Skiern vor einen 70-­Kilo-Schlitten gespannt, durch das Eis der kanadischen Arktis. Getürmtes, gebrochenes Eis, viel größer als ich. Mein Schlitten ist schwerer als ich. Sollte ich hier sein auf der Suche nach etwas, das größer, schwerer, sonderbarer ist als ich, bin ich gut beraten. Das Eis – es ist größer als wir alle, es ist immens. Abends errichten wir die Zelte, entfachen die Kocher, schmelzen Eis zu Trinkwasser, kochen, trocknen Socken und Mützen, die im Zeltfirst baumeln wie hässliche kleine Fledermausfamilien. Das Leben schrumpft in einer lebensfeindlichen Welt auf sehr überschaubare Parameter. Und dann: die Aurora! Wir zwängen uns aus dem Zelt. Die Kälte beißt mit minus 40 Grad in die Tiefen der eigenen Existenz, und in den Himmel weben sich geschmeidige Vorhänge aus irisierendem grün-lila Irrsinn, über das komplette Firmament gespannt, Gottes höchsteigene Gardinen. Das Zelt leuchtet warm und verloren im Dunkel des Eises. Nirgendwohin gehöre ich mehr als an diesen Ort. Eine größere Richtigkeit der Dinge ist schwerlich zu haben. Die tiefe Demut angesichts der Wucht einer gnadenlosen Schöpfung, der jubilierende Narzissmus, sich einen Flecken Welt zu erobern, an den unsereins eigentlich nicht hingehört. Ist das anmaßend, ist das menschlich? Hören wir alle diese leisen Stimmen oder nur einige von uns? Haben wir, die wir sie hören, schlicht einen Dachschaden? Ist es männlich? Schwer zu sagen. Wir Frauen haben keine Narration des Entdeckens. Es sind Männer gewesen, die zuerst auf den Polen, dem Everest, dem Mond standen. ­Sicher ist nur, es ist keine Entscheidung. Es ist eine Notwendigkeit, wie atmen. Man sucht es sich nicht aus. „Schritt für Schritt drang ich voran in eine unbetretene und unbekannte Welt. Obgleich abgestumpft von den Entbehrungen, war ich doch durchdrungen von dem Gefühl des Erforschers neuer Lande, der Erregung von Entdeckung und Eroberung.“ So Frederik Cook in My Attainment of the Pole; der Nordpol, den er vermutlich nie ­erreicht hat. Ich wünschte, ich wäre in einer Zeit geboren, als noch Welt übrig war, die noch nicht betreten, benannt und vermessen worden war. Ich tröste mich damit, dass jeder Meter der Welt untrodden and unknown ist, bevor man ihn selbst erobert hat. Vor mir liegt eine Expedition entlang der Spuren von Shackletons Endurance-Expedition. Wir werden nach Elephant Island segeln, dann nach Südgeorgien, das wir auf Skiern überqueren wollen. Das Innere dieser antarktischen Insel ist nach wie vor unkartiert, die meisten Berge dort tragen noch keine Namen, nur Nummern. Hinter ihnen liegt verborgen, was ich suchen muss. „Geh und find es. Geh und such jenseits der Berge.“ Die Luft, ich weiß das, wird so riechen, als hätte kein Mensch sie je geatmet.

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Mehr über die Autorin auf S. 8


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Grenzerfahrung Ein ­Polarfahrer, der zu Fuß am Südpol war. Ein Tenor vor der Uraufführung von South Pole. Was erzählen sie ­einander? Ein Gespräch zwischen Rolando ­Villazón und Arved Fuchs.

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Uraufführung South Pole


Rolando Villaz贸n


Arved Fuchs


MAX JOSEPH Herr Villazón, Sie werden in der Uraufführung von South Pole den Robert Scott singen. Robert Falcon Scott, der im September 1910 aufbrach, um als Erster den Südpol zu erreichen. Wir sind im Moment per Skype verbunden, zusätzlich ist uns Arved Fuchs zugeschaltet. Herr Fuchs war am Südpol, kennt sich aus im ewigen Eis. Was fragen Sie ihn? ROLANDO VILLAZÓN Vor allem möchte ich wissen, Herr Fuchs: Wie ist das Gefühl, allein zu sein? Sie waren zweimal am Südpol, richtig? ARVED FUCHS Wir haben die gesamte Antarktis durchquert, das ist eine Gesamtdistanz von 2500 Kilometern Luftlinie, de facto waren das 2800 Kilometer in 92 Tagen. Und die einzige Station, die wir auf dem Weg angelaufen haben, war etwa auf halbem Weg der Südpol. Dort gibt es heute eine US-amerikanische Forschungsstation, die Amundsen-Scott-Südpolstation. Das war auch das einzige Mal, dass wir anderen Menschen begegnet sind. RV Wie viele Leute waren Sie bei der Expedition? AF Wir waren zu zweit. [Mit Reinhold Messner, Anm. d. Red.] RV Zu zweit? Oh mein Gott! Ich werde diese Figur spielen, Scott. Scott und sein Team sind weit weg vom Ziel, und das Gefühl in dieser weißen Wüste, das kennen Sie. Tagelang nur weiß, der nächste Sturm kommt auf. Was ist das für ein Gefühl, tief drin? Braucht man viele starke Gedanken, um im Gleichgewicht zu bleiben? AF Zunächst: Es ist nicht nur kalt und weiß und öde und langweilig, sondern es ist, wie Sie richtig sagen, eine Wüste. Aber auch wenn Sie in die Sahara gehen, wachsen da zwar keine Bäume, aber keiner würde sagen, dass es langweilig ist. Und ja, es ist eine kalte Wüste, trocken, mit wenigen Niederschlägen, und natürlich dominiert die Farbe Weiß, aber es gibt in diesem Weiß eine Menge Nuancen. Man muss sich auf die Kälte und auf die Landschaft einlassen. Das gilt für alles, egal, ob Sie in die Sahara fahren oder in den tropischen Regenwald. Wenn man sich auf die Landschaft einlässt, verliert sie an Schrecken. Und: Man muss über das richtige Handwerkszeug verfügen. Man kann nicht jemanden hinschicken, der das gar nicht möchte oder keine Erfahrung hat, denn der kommt um in so einer Landschaft. Aber wenn jemand weiß, wie er sich

Moderation Gabriela Herpell

zu verhalten hat und entsprechend ausgestattet ist, lebt er in dieser Kälte eigentlich ganz normal. Klar, wenn man an Scott denkt, kommt einem gleich das fatale Ende in den Sinn. Aber es gibt ja auch andere Expeditionen, die erfolgreich waren, nicht nur die Roald Amundsens. Andere, die von der Ästhetik dieser Naturlandschaft geschrieben haben. RV Was Sie sagen, ist sehr gut. Wir denken, Scotts Geschichte ist tragisch, aber sie beginnt ja mit Enthusiasmus, sogar mit der Freude auf die Reise. Er weiß, wo er hingeht. Er ist ein Polarforscher, und er liebt, was er tut. Am Ende ist es natürlich traurig und dramatisch. Aber es ist wichtig für uns, am Anfang nicht zu denken: Oh, jetzt gehe ich in dieses schreckliche Abenteuer! Nein, es ist wichtig zu spüren, dass man zu einem wunderbaren Abenteuer aufbricht, in diese einzigartige Landschaft. Danke dafür, Herr Fuchs. MJ Herr Villazón, wie allein kann man auf einer Bühne sein? RV Man kann ganz allein sein, aber das wechselt sich ab mit Momenten, in denen es ein sehr intensives Zusammengehörigkeitsgefühl mit den anderen gibt. Wenn du singst, bist du allein und ganz auf dich gestellt. Wenn es ein Problem gibt, musst du es lösen. Du musst es schaffen, etwas Bestimmtes zu singen. Du hast die Verantwortung. Und du musst weitermachen, es geht nicht nur um dich, sondern um das Stück. Du bist nicht allein, wenn du mit den anderen spielst und Energie von ihnen bekommst. Du hast ein Orchester, mit dem du in Dialog trittst. So eine Aufführung ist ein großes Abenteuer mit vielen Menschen. Und wenn es gut läuft, gibt es keine Konkurrenz. Ich glaube nicht an die sogenannte gesunde Konkurrenz auf der Bühne. Ich glaube an ein Miteinander. Denn wenn alle zusammenarbeiten möchten, werden alle besser sein. Manche Leute spielen nur für sich selbst, und du fühlst das, da ist eine Grenze, die man nicht überschreiten kann. Dann bist du allein und musst deine Rolle und deine Energie finden. MJ Und was treibt Sie an, Herr Fuchs? Ihre Reisen sind ungeheuer strapaziös und gefährlich. AF Ich mache das gerne, weil es für mich sinnvoll ist. Nicht, weil ich Masochist bin und es gern gefährlich und entbehrungsreich habe. Das Ertragen von Strapazen und ein gewisser Minimalismus gehören dazu, wenn man Zugang zu diesen Naturlandschaften finden möchte. Es ist ein großer Unterschied, ob man so eine

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Landschaft durch das Fenster eines Kreuzfahrtschiffes betrachtet oder ob man draußen in der Kälte steht und eintaucht in das große Ganze. Ich begebe mich ja nicht um der Gefahren willen auf eine solche Reise. Aber gewisse Unwirtlichkeiten auszuhalten ist die Eintrittskarte. So wie Sie eine Eintrittskarte kaufen müssen, um das Erlebnis Oper zu genießen, müssen Sie die Kälte und die Einsamkeit und die Strapazen auf sich nehmen, wenn Sie das Erlebnis Südpol haben wollen. Wer heute mit dem Flugzeug zum Südpol fliegt, hat doch keine Ahnung, was das bedeutet. Nicht der Pol ist entscheidend, sondern der Weg dorthin. MJ In der Oper South Pole ist der Weg auch sehr entscheidend, aber alles dreht sich um den Wettlauf zwischen Amundsen und Scott. Beide denken ständig an den Widersacher. Wo ist er wohl gerade? Welchen Einfluss hat diese Konkurrenzsituation auf die beiden gehabt? AF Man muss die Zeit berücksichtigen, in der die beiden zum Pol aufgebrochen sind. Da ging es nicht um zwei sportlich ausgerichtete Expeditionen, bei denen der Ehrgeiz des Expeditionsleiters eine übergeordnete Rolle spielte. Natürlich waren die beiden ehrgeizig, aber in dieser Epoche ging es um sehr viel mehr: um nationales Pathos. Um König und Vaterland. Die Protagonisten, die da unterwegs waren, waren Vertreter einer Nation. Wenn ich eine Expedition führe und scheitere, scheitert Arved Fuchs. Wir können heute viel unbeschwerter losgehen, weil nicht diese überladene Erwartung dahinter steht. Man muss sich vorstellen, dass die Polarfahrer damals Popstars waren. Die waren so bekannt wie Ende der 60er Jahre die Mondfahrer der NASA. Und ich glaube, Scott ist an dieser Erwartungshaltung auch zerbrochen. Er wird sehr genau gewusst haben, dass er den Pol wohl erreichen wird, aber auf dem Rückweg kaum eine Chance hat. Wenn er als Privatmann unterwegs gewesen wäre, hätte er die Zeichen der Zeit für sich anders interpretiert. Darin liegt seine Tragik. Als er den Südpol mit seiner Truppe erreicht und dieses Zelt von Amundsen stehen sieht, der schon einen Monat vor ihm dagewesen ist, hat ihm das den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie sind am Ende ihrer Kräfte, und dann liegen noch diese 1300 Kilometer Rückweg vor ihnen. Der Verlust der Perspektive wirkt sehr demoralisierend, da kommt es dann auch zu irrationalem Verhalten. MJ Wissen Sie schon, Herr Villazón, wie Sie dieses Nicht-Mehr-Können interpretieren werden?

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RV Das Stück beginnt damit, dass Scott Amundsens Telegramm liest und weiß, dass jetzt ein Wettlauf ­beginnt. Es ist sehr interessant, einen Helden zu spielen, der verliert. Wie geht er damit um? Zu verlieren, wenn die Erwartungen groß sind und du alle Möglichkeiten hast, zu gewinnen, das ist spannend. Für sein Land einzustehen hat ja auch etwas Nobles, und wir romantisieren das. Dabei muss es schrecklich sein, 1300 Kilometer durch diese Kälte gehen zu müssen und schon zu ahnen, wir schaffen das nicht. Einfach nur weiterzugehen, weil man weitergehen muss. Das ist wie bei Prometheus: Du warst ein Gott, das Feuer ist dir genommen worden, und jetzt bist du nur ein Mensch, mit dem Tod vor Augen. Aber du kämpfst weiter. Scott stirbt als Letzter. Er muss ­aushalten, dass alle Männer aus seinem Team vor ihm umkommen. Die unerbittliche Langsamkeit, in der sich das abspielt. Der Mann verliert alles und geht weiter, immer weiter. Dieses Weitergehen, was ihr da macht, das ist für mich unfassbar. AF Die hohe Kunst des Expeditionsreisens besteht im Monitoring. Man funktioniert gerade bei solchen Durchquerungen wie eine Maschine. Man läuft und läuft und läuft. Man ist müde, man ist hungrig, und trotzdem funktioniert man. Ich bin ja im gleichen Jahr wie am Südpol auch am Nordpol gewesen, wo sich nicht mal eine Station befindet. Den Punkt muss man sich ernavigieren. Da stellt man fest, du bist am Nordpol, aber der Impuls ist, du musst weiterlaufen, weil da nichts ist. Man muss sich richtig stoppen. Was ich damit sagen will: Man läuft, solange die Füße es mitmachen, aber viel wichtiger ist, dass man sich gedanklich immer wieder von seiner Situation löst. Dass man sich fragt: Ist das eigentlich noch sinnvoll, weiterzulaufen? Das ist etwas, das der Kollege Shackleton, der vor Amundsen und Scott zum Südpol aufgebrochen ist, erkannt hat: Wenn wir jetzt weitergehen, kommen wir zwar als allererste an, aber auf dem Rückweg kommen wir um. Er schrieb seiner Frau: Lieber ein lebendiger Esel als ein toter Löwe. Für mich war ­Shackleton­­ der perfekte Expeditionsleiter, weil er sich die existenzielle Frage gestellt hat. Das tat Scott nicht. MJ Das heißt, Scott hat sich von der Erfüllung seiner vaterländischen Pflicht nicht abbringen lassen? AF Im Gegenteil. Abgesehen davon, dass Scott einige Planungsfehler begangen hat, verlor er auf dem Rückweg auch noch Zeit, weil er, nachdem er schon nicht als Erster den Südpol erreicht hatte, seinen wissenschaftlichen Auftrag in den Vordergrund schob. Wenn

„Wenn man sich auf die Kälte und die L ­ andschaft einlässt, verliert sie an Schrecken. Und: Man muss über das richtige Handwerkszeug verfügen.“ – Arved Fuchs, Polarexperte


das Team nicht diese zusätzliche Schlittenlast, den Ballast – sie haben irgendetwas gesammelt, das kann ich nicht verstehen – mitgeschleppt hätte, wenn dann nicht auch noch der Sturm aufgekommen wäre, hätten sie überleben können. Denn das rettende Depot war ja gar nicht weit entfernt von dem Ort, von dem sie nicht mehr weiterkamen. MJ Scott ist trotz dieser Umstände der Held. Wie erklären Sie sich das? AF Er ist der tragische Held. Er ist posthum sehr verklärt worden. Man hat Amundsen den Vorwurf gemacht, dass er an Scotts Untergang schuld sei, weil er den Wettlauf initiiert hätte und unangekündigt dorthin gefahren sei. Aber wer schreibt da die Regeln? Es ist ja jedem freigestellt – zur damaligen Zeit allemal – eine Expedition zum Südpol oder wohin auch immer zu unternehmen. Die Briten haben versucht, den Norwegern den Schwarzen Peter unterzuschieben. Der Untergang, die Schmach für die Nation, war besser auszuhalten, wenn man Scott zum Märtyrer und Amundsen zum Buhmann machte. MJ Amundsen wurde von seinem eigenen Land nicht so gefeiert. AF Er war kein großer Charismatiker wie Fridtjof Nansen, wie Shackleton oder auch Scott. Amundsen war der nüchterne Logistiker, einsilbig, hocheffizient und darum keiner, dem die Herzen der Menschen nur so zuflogen. MJ Sie beide stellen Rekorde auf. Sie gehen dahin, wo noch keiner war – im Wortsinn und auch im übertragenen Sinn. Also landschaftlich und stimmlich. Sie durchqueren tiefe Täler, überwinden Krisen, und dann haben Sie Erfolg. Wie gut fühlt sich dieser Erfolgsmoment an, im Vergleich zu dem, was man durchsteht?

RV Erfolg ist natürlich schön. Aber das ist nicht vor allem mein Ziel. Ich mache etwas, das ich liebe und an das ich glaube. Ich gebe mein Herz und mein Talent und meine Arbeit. Ich gebe das Beste in meine Rollen und in die Musik. Als Künstler ist das Ziel, die beste Kunst zustande zu bringen. Klar ist die Karriere hilfreich: Wenn du Erfolg hast, kannst du an den besten Theatern singen. Aber das ist nicht so wichtig. Ich habe wunderschöne Erinnerungen an Auftritte, aber nicht wegen des Erfolgs, nicht wegen mir als „Star“, sondern weil das Zusammenspiel mit den anderen Sängern und Musikern so gut gelungen ist. Nehmen wir diese Oper jetzt, South Pole. Das ist für mich etwas ganz Neues, eine neue musikalische Sprache. Ich brauche viele Stunden, um zwei Seiten zu lernen, weil es nicht das Repertoire ist, das ich kenne. Ich weiß nicht, wohin ich gehe, und es ist wunderbar. MJ Eine Expedition ins Ungewisse? RV Ja! Es ist zwar nicht kalt und ich habe viele Leute um mich, aber wir alle wissen nicht, was passieren wird. Für mich ist es ein Erfolg, wenn wir das als Team entstehen lassen, was wir selbst erwarten. Egal, was die Leute sagen. Egal, was die Kritiker sagen. Wir als Team werden zusammen arbeiten, wir werden uns selbst und gegenseitig korrigieren. Und wenn wir damit glücklich sind, ist das Ziel erreicht. AF Eine Expedition ist auch ein Werk. So wie ein Komponist schöne Musik schreibt, wie ein Sänger sie singt, wie ein Maler Bilder malt, so können Expeditionsleiter interessante, schöne, komplexe Expeditionen erschaffen, die für sich ein Kunstwerk darstellen. Das ist keine Urlaubsreise, ob es nun der Südpol ist oder der Nordpol. Es ist ein Projekt, und es ist auch ein Team­erlebnis. Selbst wenn einer allein unterwegs ist, hat er in seiner Peripherie Leute, die ihn in seiner Logistik unterstützen. Er hängt immer von der Leistung seines Teams ab. Wenn alle gemeinsam das Ziel erreichen, ist das Werk vollbracht.

„South Pole ist für mich etwas ganz Neues. Ich brauche viele Stunden, um zwei Seiten zu lernen. Ich weiß nicht, wohin ich gehe. Es ist zwar nicht kalt, aber wir alle wissen nicht, was passieren wird.“ – Rolando Villazón, Tenor

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Fotografie Arved Fuchs: Johannes Kuzcera Fotografie Rolando Villazón und Thomas Hampson: Tanja Kernweiss und Julian Baumann

Rolando Villazón studierte Gesang u.a. am Nationalen Musikkonser­ vatorium in seiner Geburtsstadt Mexico City. 1998 wurde er S ­ tudent des Merola Opera Programs der San ­Francisco Opera. S ­ either gibt er Gastspiele u.a. an den Opernhäusern von New York, London, Paris, Mailand, Barcelona, Wien und Berlin sowie bei den Festspielen von Bregenz und Salzburg. Sein Repertoire umfasst ­Partien wie Don José (Carmen), Nemorino (L’elisir d’amore), Don ­Ottavio (Don Giovanni), Lenski (Eugen Onegin) sowie die Titel­partien in Werther und Les Contes dʼHoffmann. Zudem ist er auch als R ­ egisseur tätig. Neben ­seiner Rolle als Robert Scott in South Pole ist er 2015/16 an der ­B ayerischen Staatsoper auch in der Titelpartie von Werther und als Alfredo (La traviata) zu erleben.

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Der deutsche Polarexperte Arved Fuchs schrieb im Jahr 1989 Geschich­ te, als er in 56 Tagen rund 1.000 Kilometer über das Packeis zum geo­ grafischen Nordpol ging. Noch im selben Jahr erreichte Fuchs zusammen mit Reinhold Messner den Südpol und war damit der erste Mensch, der innerhalb eines Jahres beide Pole auf Skiern erreichte. Zudem gelang es dabei erstmals zwei Menschen, den gesamten antarktischen Kontinent zu Fuß zu durchqueren. 1996 vollendete er mit der Expedition „Zwischen Tropen und ewigem Eis“ Roald Amundsens Idee der Umrundung beider Amerikas. Im Jahr 2000 empfand Fuchs die berühmte Shackleton-­ Expedition nach – sein zweites Abenteuer in der Antarktis. Seine ­Expeditionen beschrieb Fuchs in eindrucksvollen Reiseberichten, in ­denen er immer wieder auch die Folgen des Klimawandels thematisierte.

Rolando Villazón, Arved Fuchs


Das Duell

MAX JOSEPH Herr Hampson, Sie werden in der Oper South Pole den norwegischen Polarforscher ­Roald Amundsen singen. Wie verstehen Sie ihn? THOMAS HAMPSON Es erscheint mir fast ein bisschen überheblich, mich hundert Jahre nach der spektakulären Südpol-Expedition von Robert Falcon Scott und Roald Amundsen in einem Sessel zurückzulehnen, um über Amundsens Motive und seinen Charakter zu spekulieren. Er war ein unglaublich interessanter Mann. Seine Disziplin und sein Einsatz für das, was er erreichen wollte, waren beachtlich. MJ Spekulieren Sie doch noch ein bisschen weiter für uns, bitte. TH Es sind natürlich extreme Leistungen, von denen wir hier reden. Grenzerfahrungen. Große Entdecker und Abenteurer sind Getriebene. Ich finde es hochinteressant, wie der Komponist Miroslav Srnka die Musik für diese Oper geschrieben hat. Das Duell der beiden steht im ­Vordergrund. Diese beiden Männer haben Großes für ihr jeweiliges Land geleistet, sie haben zahlreiche Expeditionen geleitet und viel für die Wissenschaft getan. Nichts von all dem jedoch hat, als Hauptmotiv, das Zeug zur Oper – nur dieses Duell. MJ Das Duell hat Amundsen gewonnen. Trotzdem ist nicht er als Held in die Geschichte eingegangen, sondern Scott. Warum? TH Amundsen wird für das, was er erreicht hat, respektiert, allerdings klebt an ihm auch ein Makel ... als wäre er von dunklen Mächten getrieben, etwas zu schaffen, das niemand von ihm erwartet hat, womit er letzten Endes auch Scott geschadet hat. Aber vielleicht ist das zu vereinfachend. Übrigens glaube ich nicht, dass Scott oder Amundsen auf eine solche Tour gegangen sind, um berühmt zu werden. MJ Der Bergsteiger Reinhold Messner sagt, Scott sei zum Helden geworden, weil er seine Geschichte besser aufgeschrieben hätte.

Erst durch das Duell zwischen Scott und Amundsen wurde aus dem historischen Stoff große Oper, sagt Bariton Thomas Hampson, der die Partie des Roald Amundsen singen wird. Ein Gespräch über die beiden Kontrahenten und die Frage nach der Schauspielerei in der Oper.

Thomas Hampson

TH Man muss sich fragen, was in den Köpfen dieser Männer, die für Gott und Vaterland durch ewiges Eis marschierten, vorgegangen ist. Was war ihr Streben, was ihre Träume? Wir reden von einer Zeit, in der man um Territorium kämpfte. Das British Empire betrachtete es als seine Verantwortung, möglichst viele und große Teile der Welt zu dominieren. In dieser Zeit wurden Menschen in die Rolle hineingeboren, die Welt zu erobern. Sie wuchsen mit die-

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Thomas Hampson


sen Werten auf. Scott war ein Paradebeispiel für diesen Zeitgeist des Britischen Königreiches vor dem Ersten Weltkrieg, ein recht begabter Offizier, der von den Menschen seines Umfeldes zu Höherem ermutigt wurde. Damals standen sich Politik, König und Militär nicht nur nahe, sie waren geradezu eine Einheit. Durch seine Herkunft und gesellschaftliche Stellung erfuhr er sehr viel Unterstützung für seine Projekte. Doch seine Vorbereitungen für ein dermaßen mutiges Projekt waren alles andere als perfekt. Das lag allerdings nicht nur an ihm selbst, sondern an den Umständen. MJ Er nahm Ponys und Motorschlitten mit, Amundsen­ Hunde. Was hat das mit den Umständen zu tun? TH In Scotts letztem Brief kann man nachlesen, dass er erkannte, wie sehr sich Skier als Fortbewegungsmittel auf dem Schnee geeignet hätten. Die Briten hatten allerdings Vorurteile dem Skifahren gegenüber, weil die in ihren Augen primitiven Völker, wie zum Beispiel die Eingeborenen in Grönland, Ski fuhren. Es wäre ihnen nie in den Sinn gekommen, zu beobachten, wie Menschen jahrhundertelang unter diesen extremen Bedingungen lebten und überlebten. Die Briten haben mit ihrer Arroganz und ihren Vorurteilen auf ihren Expeditionen und in ihren Kolonien unendlich viel Unheil angerichtet. Scott war aber ähnlicher Gesinnung. Daher war es für ihn normal, Pferde mit in die Antarktis zu nehmen, obwohl Hunde dort als Begleiter viel geeigneter gewesen wären. Seine Erfahrung, seine Disziplin, sein Wille und sein Durchhaltevermögen konnten seiner britischen Denkweise und diesen verhängnisvollen Missverständnissen nicht genug entgegensetzen. So wurde er zum Opfer und tragischen Helden. MJ Und wie war der historische Hintergrund, vor dem Amundsen agierte? TH Amundsen war einer der ersten Repräsentanten der neu erlangten norwegischen Freiheit. Norwegen hatte sich 1905 aus der Union mit den Schweden befreit. Er war ein Pragmatiker, der sich im Gegensatz zu Scott ohne Vorurteile genau überlegte, was er in dieser Eiswüste brauchte, um voranzukommen und zu überleben. Er war wesentlich strenger zu seinen Begleitern als Scott und ging mit großer Zielstrebigkeit und Härte mit sich und seinem Team um, was ihm oft keine Freunde verschaffte. Er war dadurch aber wesentlich besser vorbereitet als Scott, hatte weniger Fehler gemacht und letztendlich überlebt. MJ Amundsen wollte selbst ursprünglich zum Nordpol und wusste, dass Scott zum Südpol aufbrechen

würde. Nachdem Frederick Cook und Robert Peary unabhängig voneinander für sich in Anspruch genommen hatten, als erste den Nordpol erreicht zu haben, disponierte Amundsen heimlich um. Selbst seine Männer erfuhren erst unterwegs, wohin die Reise ging. TH Intrige war oft Teil seiner Expeditionen. Er wollte seine Ziele um jeden Preis erreichen, und so ging er trotz Geldproblemen immer wieder an seine letzten Ressourcen, um auf Expedition gehen zu können. Er war auf bewundernswerte Weise fokussiert. Es hat ihm nicht genügt, den Südpol als Erster zu erreichen. Er hat nie aufgehört mit seiner Suche. So hat er die Nordwest-Passage bestritten, ist in die neue Welt der Flugzeuge eingestiegen und letzten Endes dabei ums Leben gekommen. Das ist eine Tragik, bei der es keine Rolle spielt, ob die Geschichte vor dreißig oder hundert Jahren spielt. Es geht um Menschen mit ihren Unzulänglichkeiten und Abgründen, die übermenschliche Anstrengungen auf sich nehmen, um Außerordentliches zu vollbringen. Das ist doch große Oper: Sie handelt von Menschen, die sich dazu berufen fühlen, eine Heldentat zu begehen. Mir kommt zu South Pole immer wieder ein Spruch von Arnold Schönberg in den Sinn: „Ich glaube: Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen.“ MJ Sie meinen, Forscher wie Künstler kämpfen nicht gegeneinander, sondern mit sich selbst? TH Ja, und das haben der Komponist Miroslav Srnka und der Autor der Oper, Tom Holloway, großartig zum Ausdruck gebracht. Dieses unbedingte Müssen einerseits und die steten Selbstzweifel andererseits, die diese großen Persönlichkeiten plagen. Amundsen erscheint mir wie eine verwundete Figur. Von Liebe und erfülltem Familienleben kann man bei ihm ja nicht gerade sprechen. Man kann nun aus der Ferne darüber urteilen und sagen, dass er all das seinen Zielen, seinem Ehrgeiz geopfert hat. Man kann es aber auch so betrachten, dass sein Schicksal es von ihm verlangt hat, dorthin zu gehen, wo ein erfülltes Familienleben nicht möglich ist. Darin besteht in gewisser Weise auch eine Parallele zum Künstlertum. In diesem unbedingten Machen-Müssen. MJ Inwiefern sehen Sie dieses Müssen im Libretto von South Pole? TH Holloway hat versucht, tief ins Innere der Figuren zu blicken. Auch die Orchestrierung ist unglaublich anspruchsvoll. Sowohl der Autor als auch der Komponist haben genau das vermieden, was in der Oper unbedingt

„Man kann es auch so betrachten, dass Amundsens Schicksal es von ihm verlangt hat, dorthin zu gehen, wo ein erfülltes Familienleben nicht möglich ist. Darin besteht in gewisser Weise auch eine Parallele zum Künstlertum. In diesem unbedingten Machen-Müssen.“

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­ ermieden werden sollte, nämlich sich auf das banal Narrav tive zu beschränken. Wir begegnen hier Zweifeln, Zielen, Getriebenheit und einem dramatischen Wettbewerb. MJ Welche Rollen spielen die beiden Ehefrauen in South Pole? TH Diese Frauenstimmen, die nur in den Köpfen und Herzen der Männer leben, bringen eine zusätzliche interessante Dimension. Sie sind zweifelnd, vorwurfsvoll und äußerst wirksam in ihrer Spiegelung der Männer, sowohl im euphorischsten Moment, beim Erreichen des Pols, wie auch in dem Moment, als Scott verzweifelt und allein in seinem Zelt sitzend weiß, dass er dem Tod nahe ist. Zu diesem Zeitpunkt wenden sich beide in Selbstgesprächen an ihre Frauen. MJ Wie wichtig ist Schauspielerei in der Oper? TH Es gibt doch die wunderbare Geschichte der unvergleichlichen Joan Sutherland. Ihr wurde vorgeworfen, dass man sie, bei all ihrem Ausdruck und ihrer Stimmgewalt, nicht wirklich gut verstehen konnte. Eine Journalistin fragte sie einmal ganz vorsichtig danach, und ohne zu zögern sagte Joan Sutherland: „Meine Liebe, ich bin mir dessen sehr bewusst, aber ich verstehe jedes Wort, das ich singe.“ Das Verhältnis von Wort und Ton ist die Basis des

Operngesanges. Oper ist eine musikalische Kunstform, sie findet in einer theatralischen Auseinandersetzung statt, die Figuren agieren miteinander und schauspielern. Aber letzten Endes geht es auf der Opernbühne darum: Warum sagt man etwas, und wie sagt man es? Das Wie verbinden wir oft mit dem Schauspiel, aber es ist meistens schon in der musikalischen Syntax vorgegeben. Jeder Atemzug, den ich mache, ist von Mozart oder Verdi oder Srnka vorgegeben. Wir Sänger entziffern rhythmische Harmonie, aber wir interpretieren keine Rollen. Das hörbare Erlebnis in der Oper bleibt wichtiger als das schaubare Erlebnis. MJ Ist so eine moderne Oper wie South Pole ein Wagnis für Sie? TH Jede neue Aufgabe ist ein gewisses Abenteuer, so natürlich auch diese Uraufführung. Sich eine Figur gemeinsam neu zu erarbeiten ist vielleicht noch erfüllender, als sich in Figuren hineinzuversetzen, die sich die Regie ausgedacht hat. Das ist manchmal eine Gefahr bei unseren vielen Repertoire-Vorstellungen. Wir kennen diese Stücke seit Jahren, es sind Meisterwerke, und wir beschäftigen uns damit, sie neu zu interpretieren. Auftragswerke wie South Pole sollten unverzichtbar im Spielplan jedes zeitgemäßen Opernhauses werden. Für die Kunstform Oper und auch für unser Publikum ist dieser kreative Prozess, diese Neuerfindung, sehr wichtig.

Gabriela Herpell schreibt am liebsten für Magazine, ­derzeit vor a ­ llem für das Süddeutsche Zeitung Magazin, zuvor für Tempo, Glamour und den Stern.

Der US-amerikanische Bariton Thomas Hampson studierte u.a. bei Marietta Coyle und Elisabeth Schwarzkopf. Er debütierte 1981 an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und wechselte von dort nach Zürich, wo seine internationale Karriere begann. Er trat an allen großen internationalen Opernhäusern u.a. in Wien, Paris, London, Mailand und New York sowie bei den Salzburger ­Festspielen auf. Zu seinem Repertoire gehören Partien wie ­Amonasro (Aida), Giorgio Germont (La traviata), Mandryka (Arabella), A ­ mfortas (Parsifal), Scarpia (Tosca), Jago (Otello), Il Conte di ­Almaviva (Le nozze di Figaro) und die Titelpartien in Wozzeck und Simon Boccanegra. In South Pole singt er die Partie des Roald Amundsen.

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South Pole Eine Doppeloper in zwei Teilen Von Miroslav Srnka, Libretto Tom Holloway Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper Uraufführung am Sonntag, 31. Januar 2016, Nationaltheater

Weitere Termine im Spielplan ab S. 93

Interview Gabriela Herpell


ELISABETH

SCHWARZKOPF IKONE DER GESANGSKUNST

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Packeis, das im Meer verschwindet Auch am Nordpol war Roald Amundsen als Erster. Heute beginnen die dort lebenden Inuit, sich gegen die zunehmende ­Rohstoffförderung der Industrie­ nationen zu wehren. Ihr ­Verständnis von Vermessung und Raum stellt das unsere in Frage. Von Christian Holtorf

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Die erste Fahne am Nordpol hinterließ der Polarabenteu­ rer Roald Amundsen. Er erreichte damit sowohl den Süd­ pol als auch den Nordpol zuerst – den Nordpol allerdings ohne es selbst zu wissen. Über Jahrhunderte hinweg war Expedition um Expedition in die Arktis aufgebrochen, doch keine kam bis zum Nordpol, und meist kehrten die Expeditionsteilnehmer nur mit geringen Erkenntnissen oder gar nicht zurück. Dem Pol am nächsten kamen die Amerikaner Frederick Cook, Robert Peary und Richard Byrd in den Jahren 1908, 1909 und am 9. Mai 1926 – drei Tage vor Amundsen. Doch entgegen ihren Behauptungen hatten sie, wie man heute weiß, ihr Ziel gar nicht erreicht. So bohrte sich nach jahrhundertelangen, bis in die Antike zurückreichenden Spekulationen darüber, wie das Gebiet des Nordpols beschaffen sei, am frühen Morgen des 12. Mai 1926 die norwegische Fahne in eine unwirtliche Pack­ eislandschaft. Amundsen fand dort keine Erdachse und keinen Magnetberg, kein warmes Polarmeer und keinen Zugang ins Erdinnere – allesamt Vorstellungen, die man seit dem späten Mittelalter mit dem Nordpol verbunden hatte und die etwas von der Faszination transportieren, die das Erreichen dieses Punktes seit jeher motivierte. Amundsen musste sich an Messgeräten und Sonnenstand orientieren, um die genaue Stelle des Pols überhaupt iden­ tifizieren zu können. Dies ist im Übrigen bis heute so ­geblieben, denn der Nordpol liegt mitten im Arktischen Ozean und ist meistens mit schnell treibendem Packeis bedeckt – anders als der Südpol, wo die Amundsen­-ScottSüdpolstation auf Land errichtet ist (siehe auch das ­Gespräch ab S. 16). Amundsen war auch weder auf einem eistüchtigen Schiff noch mit Skiern oder Schlitten wie in der Antarktis unterwegs. Im Jahr 1926 flog man schon in einem Luft­ schiff zum Nordpol. Am 90. Breitengrad wurde der Motor gedrosselt, die 16 Besatzungsmitglieder nahmen ihre Müt­ zen ab und das Luftschiff kreiste langsam um den Pol. Es wurden nacheinander drei Flaggen abgeworfen: Amundsen­­ warf die an einer Stange befestigte Fahne Norwegens aus einer Höhe von knapp 100 Metern hinunter und sah, wie er schrieb, dass sie sich in das Eis bohrte. Nach ihm ließ ­Lincoln Ellsworth, der Sponsor der Expedition, die US-ame­ rikanische Flagge folgen. Schließlich warf der Offizier ­Umberto Nobile auch noch das italienische Hoheitszeichen aus dem Fenster. Auf Fotos wurde der Abwurf für die Nachwelt festgehalten. Man kann auf dem Eis, in einem gewissen Abstand zueinander, drei dunkle Punkte erken­ nen. Einer der letzten weißen Flecke auf der Landkarte war beseitigt. Der Nordpol war, jedenfalls in den Augen der Akteure, „erobert“. In der gesamten Arktis jedoch leben seit Jahrhun­ derten die Inuit. Sie haben heute begonnen, sich gegen die westlichen Staaten zu wehren, denn ihre Kultur ist be­ droht, seit in der Arktis riesige Rohstoffvorräte entdeckt wurden. Die Klimaerwärmung führt dazu, dass sich das sogenannte ewige Eis zunehmend in eine Meeresfläche verwandelt. Es ist dadurch den Industrienationen leichter möglich geworden, die Bodenschätze zu erschließen:


Die Bilder stammen aus dem Annual Report of the Board of Regents of The Smithsonian Institution von 1927, Tafel 11 nach S. 330.

Historische Aufnahme des Abwurfs von drei Fahnen (Norwegen, USA und Italien) aus dem Luftschiff „Norge“ am 12. Mai 1926

­ anada und die USA, Russland und die skandinavischen K Staaten haben längst damit begonnen. Sie berufen sich auf das Seerecht der Vereinten Nationen, dem auch der Arkti­ sche Ozean unterliegt. Es sieht vor, dass jeder Küstenstaat die Natur entlang des Festlandsockels bis in mindestens 370 Kilometer Entfernung von seiner Küste ausbeuten darf – und welche Rechte bleiben dann den Inuit? Die Inuit wehren sich deswegen gegen diese Inbe­ sitznahme des Raums. Ihre traditionelle Geografie rich­ tet sich nämlich nicht nach exakten wissenschaftlichen Vermessungen, sondern gibt an, wie lange bestimmte Reisen dauern oder an welchen Landmarken sie vorbei führen. Karten nach westlichem Vorbild kannten sie nicht. Ihre Wege und Ortsnamen wurden von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Dadurch ist ein Netz von Verbindungen entstanden, das über die gesamte Arktis von Grönland bis Alaska reicht. Das belegen auch archäologische Funde und sprachliche Verwandtschaf­ ten. Heute hat eine internationale Forschergruppe da­ raus eine Karte konstruiert, die zeigt, wie regelmäßig und intensiv die Arktis von den Inuit genutzt wurde ­(siehe http://www.paninuittrails.org). Die Inuit halten den Industrieländern entgegen, dass die nomadische Lebensweise der Inuit darauf beruht, dass sie sich frei bewegen können. Ihr Verständnis von Land ist ein anderes: Es gehört niemandem, aber es dür­

fen alle gemeinsam nutzen. Sie unterscheiden nicht zwi­ schen Meer, Festland und Eisfläche, denn sie leben überall dort, „wohin sie ihre Füße, die Hundeschlitten oder Schneemobile bringen können“, wie es in einer Schrift des Inuit Circumpolar Council Canada heißt. Sie verweisen daher auf die internationalen Vereinbarungen zum Selbst­ bestimmungsrecht der Völker. Das Beharren der Inuit fordert die Vorstellung des Westens von Raum und Besitz heraus. Sie wehren sich ge­ gen eine Vermessung des Raums – die Methode, mit der Europäer und Amerikaner jahrhundertelang die Welt ko­ lonialisiert haben. Wer die Arktis in einem Luftschiff überquert und am Nordpol Fahnen abwirft, macht sich in den Augen der Inuit wohl nur selber lächerlich. Das Geschehen von 1926 war gänzlich unheroisch und nur ein kurzer Schnapp­ schuss in der langen Geschichte der Arktis. Dem Eis am Nordpol war es egal: schon nach kurzer Zeit war es weiter­ getrieben, und alle drei Fahnen gingen im Meer unter.

Christian Holtorf ist Professor für Wissenschaftsforschung und Wissenschaftskommunikation an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Coburg. Zu seinen Forschungs­gebieten gehört auch die Historische Anthropologie. Über die A ­ rktis veröffentlichte er u.a. 2015 den Aufsatz „Der Nordpol – Eine Erzählung“.

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„Im Moment wollen alle zum Mars“ Auf der Erde ist die Vermessung der Oberfläche scheinbar beendet. Wohin geht es als Nächstes? Gerd Gruppe, Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, gibt Auskunft über Wettlauf und Kooperation in der Raumfahrt und die vertrackte Vermessung des Universums.

MAX JOSEPH Seit jeher wett­ eifern Staaten darum, wer zuerst einen Abenteurer ­erfolgreich zu einem noch unerreichten Punkt geschickt hat – zum Südpol, auf den Mount Everest oder zum Mond. Welches nächste große Wettrennen zeichnet sich derzeit ab? GERD GRUPPE Im Moment wollen alle zum Mars. Chinesen, Amerikaner, Russen, Europäer, sogar die Inder träumen davon. Einige Experten sagen zwar: Lasst uns lieber erst die Rückseite des Mondes genauer erkunden, schließlich kennen wir die noch nicht. Trotzdem hat sich der Mars in den Köpfen der Raumfahrer festgesetzt. Niemand kann sich bisher allerdings vorstellen, dass die Eroberung des Mars von einer Nation allein zu schaffen ist. Wir erleben deshalb eine Mischung aus globaler Kooperation und gleichzeitigem Wettlauf. Man arbeitet zusammen, aber jeder möchte der Erste sein.

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MJ Das war beim Wettlauf zum Mond anders. Statt ­Kooperation herrschte blanke Konkurrenz. GG Nach dem „Sputnikschock“ 1957, also dem Start des ersten russischen Satelliten Sputnik, wollten die Amerikaner der Welt und vor allem der Sowjetunion unbedingt beweisen, wie herausragend ihre Technologie ist. Die Mondlandung war ein politisches Prestigeprojekt im Wettlauf der Systeme. Ich denke, die Reise zum Mond war – im Sinne des Wortes – vermessen. MJ Meinen Sie, der Mensch war damals größenwahn­ sinnig? GG Das kann man so sehen. Denn dazu musste man unbedingt zeigen, dass auch der Mensch das Schwerefeld der Erde verlassen kann. Wem wollte man das beweisen? Übrigens: Mit der heute verfügbaren Technik würden wir es nicht schaffen, einen Menschen zum Mond zu bringen. Es fehlen die entsprechend starken Trägerraketen. Das politisch motivierte Wettrennen, das damals diese Leistungen hervorgebracht hat, ist längst zu Ende. MJ Die USA und Russland sind vor 70 Jahren in den Weltraum aufgebrochen. China begann erst vor 25 Jahren mit der bemannten Raumfahrt. Wann wird das Land der Mitte technologisch ebenbürtig sein? GG Das ist es bereits, aber nicht auf allen Feldern. Die Chinesen können Raumstationen bauen, sie können Astronautik, sie können den Mond erreichen, selbst wenn sie ihn noch nicht betreten haben. Niemand zweifelt an ihren Fähigkeiten. Und wenn sie in ein paar Jahren die Chance sehen sollten, den Mars im Alleingang zu erobern, glaube ich, werden sie es wohl wagen. Das gilt für die anderen großen Raumfahrernationen – also für Amerikaner und Russen – natürlich ebenfalls. Zurzeit liegen die Chinesen gut im Rennen. MJ Der erste Mensch auf dem Mars könnte also ein Chi­ nese sein. Wie würde Amerika darauf reagieren? GG Ich will keine Prognose abgeben, aber die Chinesen haben Ehrgeiz, Geld und Ingenieure. Sollten die Chinesen­

Interview Dirk Liesemer


die Ersten sein, wäre das für Amerikaner wie Europäer ganz sicher der nächste „Sputnikschock“. In ihrem Selbstverständnis sehen sich die USA weiter als die unangefochtene technologische Leitnation der Welt. Ein zweiter Platz kommt nicht in Frage. Die Mondlandung war eben auch ein Symbol der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der USA, im Sinne von: Wer Raumfahrt kann, kann alles. Aber es geht immer auch um Wissenschaft. Wer Erkenntnisse über einen anderen Himmelskörper überprüfen will, muss dort landen. Satelliten dienen nur der Fernerkundung. Und bis heute – und nach meiner Meinung noch lange – kann kein Roboter die ­Intuition und Urteilskraft des Menschen ersetzen. ­ Aus solchen Gründen erkunden übrigens noch immer Vulkanologen ihre Krater. Sie wollen sich nicht allein auf Daten verlassen. Auf der Oberfläche eines anderen Planeten kann man am besten untersuchen, ob es dort mal Leben gegeben hat, wie sich das Schwerefeld gestaltet und ob Rohstoffe vorhanden sind. Letzteres wird sehr häufig diskutiert, ist aber meines Erachtens nachrangig. Wir werden es nicht mehr miterleben, dass auf dem Mond Rohstoffe abgebaut werden. Als studierter Bergbauingenieur weiß ich, wie kompliziert so etwas sein würde. MJ Sie hatten zuvor von einer Mischung aus globaler Kooperation und gleichzeitigem Wettlauf in der Raumfahrt gespro­ chen. Kooperieren Amerikaner und Euro­ päer auch bei der Marsmission? GG Das tun sie, aber sie sind auch harte Konkurrenten um Wissenschaftler, um industrielle Unternehmen und technisches Wissen. Außerdem verfolgen die USA neben der Marsmission noch ein weiteres Projekt: Sie wollen einen Asteroiden einfangen, in die Mondumlaufbahn bringen und betreten. Das ist sehr ehrgeizig, und ich bin nicht sicher, ob sie das umsetzen können. Denn sie müssten Menschen auf eine zehnjährige Reise schicken. Die Versuchung eines solchen Projekts kann ich aber gut verstehen.

MJ Und auf welchen Feldern wird kooperiert? GG Internationale Kooperationen gibt es in der astronautischen Raumfahrt, so auf der Internationalen Raumstation ISS. Deutschland gehört hier zu den intensivsten wissenschaftlichen Nutzern. Aber auch in der unbemannten Raumfahrt, sei es bei der Erforschung ­unseres Sonnensystems oder im Bereich der Erdbeobachtung. Da arbeiten wir sehr eng mit unseren internationalen Partnern zusammen. Gesteckte Ziele werden gemeinsam verfolgt, und die erlangten wissenschaftlichen Daten stehen allen Partnern gleichermaßen zur Verfügung. Wie es nach Abschluss der Mission weitergeht, entscheidet dann jeder für sich selbst. MJ Glauben Sie, dass auch Russen und Chinesen miteinander kooperieren könnten, um gemeinsam vor den Amerikanern den Mars zu erreichen? GG Das erscheint mir unwahrscheinlich. Die Chinesen denken nicht in den alten Blöcken. Für sie ist Raumfahrt vor allem eine strategische Technologie, um vom Weltraum aus wesentliche Bereiche des täglichen Lebens auf der Erde zu gestalten. Dabei soll nicht etwa vom Himmel aus einem Menschen beim Zeitunglesen zugeschaut werden. Viel wichtiger ist die Beobachtung von Schiffsrouten und Flugzeugen. Auch der Katastrophenschutz lässt sich vom Weltraum aus verbessern: Eine optimierte Uferverbauung kann man mit Hilfe von Satellitendaten viel präziser planen. MJ Kann man folglich sagen, dass im Weltraum – neben dem Wettlauf zum Mars – noch ein weiteres Wettrennen stattfindet: nämlich jenes um die Erkundung unseres Hei­ matplaneten? GG Eindeutig ja. Die Raumfahrt ermöglicht der Menschheit erstmals einen Blick auf die gesamte Erde – ständig und in Echtzeit. Besonders aufschlussreich und spannend sind scheinbar nutzlose Untersuchungen, etwa die Vermessung des Schwerefeldes der Erde. Aber aus dessen Anomalien kann man z.B. schließen, wo sich Wasser

Neben dem Wettlauf zum Mars findet noch ein weiteres Wettrennen statt: jenes um die Vermessung der Erde vom Weltraum aus.


oder Erz- und Kohlelagerstätten verbergen. In den Raumfahrtstrategien der meisten Staaten geht es daher genauso um pragmatische Forschungen zu Klima und Wetter wie um die Entdeckung ferner Welten. Von den rund 65 Raumfahrtnationen weltweit beherrschen ohnehin nur drei astronautische Flüge: Amerikaner, Russen und Chinesen. Etwa zehn beherrschen Raketentechnologie – die Europäer haben z.B. die Ariane-Rakete. Alle anderen zählen zwar als Raumfahrtnationen, aber die meisten besitzen nur Satelliten. MJ Die Erkundung des Weltraums geschieht heute mit­ hilfe riesiger Teleskope, die uns unfassbar präzise Bilder aus der Tiefe des Universums liefern. Herrscht auch in der Astronomie eine Konkurrenz zwischen den Nationen? GG Kein Land beansprucht einen Teil des Nachthimmels für exklusive Forschungen. Alle arbeiten zusammen über Grenzen hinweg. Aber man kann Phasen und Trends beobachten: Im Moment wird versucht, das gesamte Sonnensystem präziser als jemals zuvor zu erfassen. Später wird man sich sicher wieder mehr dem großen Ganzen, also den Tiefen des Universums zuwenden. MJ Karten waren ja lange Zeit geschütztes ­Herrschaftswissen. Halten Sie es für möglich, dass Geheim­ karten von anderen Planeten existieren? GG Es würde mich verwundern, wenn es solche Karten von Saturn oder Venus gäbe. Ich wüsste nicht, welches Geheimhaltungsinteresse dahinterstehen sollte. Was mit staatlichem Geld für wissenschaftliche Zwecke erstellt worden ist, steht meist allen Forschern offen. Allerdings unterliegen manche Erdkarten, die vom Weltraum aus erstellt wurden, der Geheimhaltung. Wir haben ein Gesetz, Satellitendatensicherheitsgesetz genannt, das den freien Verkauf bestimmter Daten untersagt. So ist beispielsweise ein sehr exaktes digitales Höhenmodell der Erde geschützt. Es wurde von zwei deutschen Radar-Satelliten erstellt, die in jeweils 500 Metern Höhe über der Erde geflogen sind. Sie haben

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­ nseren Planeten in horizontaler und vertikaler Sicht u in bislang unbekannter Präzision vermessen. Der Blick auf die Erde mit Google Earth wirkt dagegen wie durch eine beschlagene Brille. Unsere Satellitenkarte interessiert nicht nur Landentwickler und Energiefachleute, sondern auch die Bundeswehr; denn je genauer eine Karte ist, desto besser lässt sich eine militärische Operation planen. MJ Halten Sie es für möglich, dass unsere Nachfahren eines Tages hinaufschauen und Menschen zuwinken, die auf einem anderen Himmelskörper leben? GG Ich halte es nicht nur für möglich, sondern ich bin davon überzeugt, dass der Mensch andere Himmelskörper betreten wird. Ob er diese, wie auch immer, für sich nutzbar machen wird, ist eine andere Frage. Neugier und Entdeckerdrang wurden dem Menschen aber in die Wiege gelegt. MJ Was, denken Sie, kommt nach dem „Wettrennen zum Mars“? Der Jupiter? GG Gegenwärtig denken wir über die kommenden 20 bis 30 Jahre nach. Die gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen, die in dieser Zeit stattfinden werden, werden uns auch auf neue Gedanken und damit auf neue Ziele bringen. Heute schon über die Zeit nach der Rückkehr auf den Mond, nach dem bemannten Flug zum Mars zu sprechen, wäre vermessen. Denn auch auf der Erde gibt es noch vieles zu entdecken.

Der Münchner Journalist Dirk Liesemer schreibt über Gesellschaft, Natur und Wissenschaft. Seine Texte erscheinen in mare, GEO, FAZ und Focus.

Dr. Gerd Gruppe ist Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Luftund Raumfahrt (DLR) und zuständig für das Raum­fahrtmanagement mit Sitz in Bonn. Er kam als Mitarbeiter des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Infrastruktur, ­Verkehr und Technologie mit der Raumfahrt in Kontakt und war an einigen Raumfahrtprojekten beteiligt, z.B. dem Galileo-­Kontrollzentrum und dem Robotik- und Mechatronik-Zentrum beim DLR in Oberpfaffenhofen.

Die Abbildungen auf den Seiten 30 bis 32 zeigen Karten der Mondober­ fläche. Sie e ­ ntstammen dem Geologic Atlas of the Moon, einer Webseite mit ­Karten von den verschiedenen Mondregionen, ­betrieben vom wichtigsten kartografischen Institut ­Amerikas, der U.S. Geological Survey (USGS).


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Eine Exp namens Oper

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Urauff端hrung South Pole


pedition Vor fast fünf Jahren begann die Zusammenarbeit des Komponisten Miroslav Srnka mit dem Bühnenautor Tom Holloway für die Oper South Pole. Eine Begegnung mit Miroslav Srnka in Prag, dazu ­Nachrichten von Tom Holloway aus Australien und zugleich eine ­Geschichte darüber, wie eine Oper im Jahr 2016 entsteht.

Text Kilian Kirchgeßner

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Der Platz am Fenster ist genau richtig: Mit dem Rücken sitzt Miroslav Srnka zur Wand des Bistros, und neben sich hat er die gläserne Front, die diesen Platz hier oben im ersten Stock zum Beobachtungsposten macht. Andel, eine der meistfrequentierten U-Bahn-Stationen Prags, spuckt dort unten im Minutentakt Menschentrauben aus, die sich schnell im modernen Geschäftsviertel Smíchov verstreuen, ein Hot-Dog-Verkäufer hat seinen Verkaufswagen schon morgens um zehn aufgebaut, ein paar Studenten verteilen Werbeflyer und im Hintergrund fährt eine Trambahn nach der nächsten an die Haltestelle. Miroslav Srnka schaut hinunter in den Trubel, der hinter den raumhohen Scheiben so lautlos an ihm vorbeizieht wie ein Kinofilm ohne Ton, und isst von seinem Omelette, das er sich als zweites Frühstück bestellt hat. Es ist auch dieser Logenplatz mitten in Prag, an dem der Komponist an der Oper South Pole gearbeitet hat. „Eigentlich kann man nicht mehr als sechs, acht Stunden am Tag intensiv schreiben“, sagt er. „Aber wenn es doch einmal sein muss in stressigen Phasen, dann brauche ich eine Platzveränderung.“ Das sind die Momente, in denen er sein Studierzimmer in einem ruhigen Prager Viertel verlässt und ins Zentrum aufbricht, unterm Arm die neongrüne Segeltuch-Umhängetasche mit seinem schwarzen Notizbüchlein, dessen Seiten sich in den Wochen der Arbeit füllen mit Zeichnungen, Symbolen und Stichworten. Und dem Computer. Auf ihm schreibt er seine Noten, und mit ihm bleibt er in Kontakt mit Tom Holloway, dem Librettisten von South Pole. Eine Oper, die über weite Teile per ­Skype und E-Mail entstanden ist. Der erste Kontakt? Tom Holloway, der in Australien lebt, erinnert sich. Re: Max Joseph article  On 4 Nov 2015, at 11:49 pm, Tom Holloway <tholloway@abitofargybargy.com> wrote:

Ich klappte meinen Laptop auf, loggte mich bei Skype ein, und schon erschien auf meinem Computer das nüchterne, sachliche Gesicht dieses unglaublichen tschechischen

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Komponisten. Noch keine Ahnung hatte ich damals, dass er einmal ein so enger Freund werden sollte. Während dieser Unterhaltung sagte er mir, dass er eines meiner Stücke gelesen und es ihm sehr gefallen hätte. Da war mir sofort klar, dass er einen sehr guten Geschmack hat, und ich ergriff sofort die Gelegenheit, mit ihm zu arbeiten.

Miroslav Srnka wirft in dem Prager Bistro seinen Kopf nach hinten und lacht los. „Das ist so typisch für Tom“, ruft er dann: „Dieser Humor, der zieht sich bei ihm durch die ganze Arbeit. Auch wenn wir todernste Themen behandeln, schafft er es, das mit einer wunderbaren Leichtigkeit zu kombinieren.“ Die Zusammenarbeit zwischen Australien und Tschechien, zwischen Librettist und Komponist, fing an, als Miroslav Srnka für seine erste Oper Make No Noise jemanden suchte, der den Text beisteuern würde. Gerade hatte Srnka im englischen Aldeburgh das renommierte Jerwood Opera Writing Fellowship gewonnen, das ihm die Zeit gab, eine Oper zu komponieren. Make No Noise sollte daraus entstehen, zugleich das Debüt des tschechischen Komponisten an der Bayerischen Staatsoper. Zusammen mit dem australischen Regisseur Matthew Lutton machte sich Miroslav Srnka ans Werk. Es war das Jahr 2008, und weil den beiden noch ein Librettist fehlte, gab Matthew Lutton dem Komponisten einen Stapel Theaterstücke von verschiedenen Autoren. Miroslav Srnka zog sich in sein Studierzimmer zurück, las das erste Stück und legte es zur Seite, las das zweite Stück und legte es zur Seite. „Und dann“, erinnert er sich, „nahm ich Love Me Tender von Tom Holloway zur Hand. Ich habe es gelesen und wusste gleich: Mit ihm will ich arbeiten!“ Über die Lektüre vermittelt sich immer auch etwas von der Persönlichkeit des Autors, und Miroslav Srnka sprang sofort ins Auge, was die Arbeit von Holloway ausmacht: die Unaufgeregtheit, mit der er auch über die größten Themen schreibt; die Virtuosität, mit der er selbst in einer unscheinbaren Handlung zwischen zwei Menschen ganze Abgründe andeutet. Und die

Tom Holloway &


Manchmal streicht Miroslav Srnka ganze Sätze von Tom Holloway: ­„Das tut ihm immer weh. Manchmal will er ein Wort wieder drin ­haben. Aber Musik braucht kondensierte Sprache, deshalb muss ich das alleine machen.“ einfache Sprache, die er verwendet. „Biblical English“ nennt Miroslav Srnka sie bewundernd: Wenige Worte, klare Sätze, aber dahinter tut sich eine unbegrenzte F ­ ülle und Tiefe auf. „Je einfacher die Sprache in einer Oper ist“, sagt Mirek Srnka, „desto mehr Freiheit hat der Komponist.“ Dem ersten Gespräch per Skype folgte bald ein Treffen in Kopenhagen. Die zwei Wochen, die wir zusammen verbrachten, waren genial. Es war nicht nur kreativ sehr anregend, sondern wir hatten auch furchtbar viel Spaß. Wir verstanden uns blendend. Aber es gab da ein Problem. Und es fällt mir wirklich nicht leicht, das zuzugeben. Ich hatte quasi keine Erfahrungen mit der Oper, geschweige denn mit dem Schreiben ­eines Librettos. Ich bin Dramatiker. Das Theater kenne ich in- und auswendig, aber die Oper? Na ja, in dem abgeschiedenen Städtchen Hobart, wo ich aufgewachsen bin, war diesbezüglich nicht wirklich viel los. Während dieser Treffen in Kopenhagen und später in Aldeburgh, in England, gingen wir spazieren und sprachen, tranken und sprachen, arbeiteten und sprachen. Ein Großteil der Unterhaltung bestand darin, dass ich Mirek über den Unterschied zwischen einem Libretto und einem Theaterstück ausfragte. Ich sagte immer wieder Sätze wie „Könnte man sagen, der Unterschied ist, dass…“ und Mirek antwortete immer nur „Nein“. So macht er das ständig.

Tom Holloway mit seiner britischen Erziehung, sagt Miroslav Srnka, würde niemals ein trockenes „Nein“ über die Lippen kommen. Er selbst pflegt es hingegen; bei einer

Miroslav Srnka

engen Zusammenarbeit dürfe sich niemand verstellen – „und Tom weiß, dass es nichts Persönliches ist. Er nennt es immer nur ‚your Czech no‘.“ Als Komponist müsse er sich einfach sicher sein, dass eine Idee gut gereift ist, bevor er sich an die Arbeit macht. „Das Komponieren ist die langsamste aller Kunstdisziplinen“, sagt er. „An einem fruchtbaren Tag schaffe ich ein paar Sekunden Orchestermusik, nicht mehr.“ Während ein Librettist innerhalb weniger Tage eine Szene neu ausarbeiten könne, wenn die ursprüngliche Idee nicht trägt, brauche er mindestens einen Monat, um dafür eine neue Partitur zu schreiben. Wir brauchten dann zwei Jahre, um das Thema zu finden. Ich servierte ihm eine Idee nach der anderen und was sagte er? Natürlich „No, … No, … No, …“

Erst als Miroslav Srnka auf das Südpol-Rennen von Amundsen und Scott stieß, wusste er, dass er das Thema für seine zweite Oper gefunden hatte. „Als Komponist frage ich mich natürlich zu Beginn der Arbeit: Warum muss ich singende Menschen auf der Bühne haben, was soll das im 21. Jahrhundert? Wenn ein Mann und eine Frau da stehen und plötzlich aufgeregt zu singen anfangen, wie verliebt sie ineinander sind, dann wirkt das heute stilisiert.“ Und da liege der Reiz der Südpol-Expedition: Das Umfeld, in dem sie sich abspielt – die unendlichen Weiten, die Kälte, die Zivilisationsferne – habe bis heute für die Betrachter surreale Maßstäbe. Und weil die ganze Handlung fremd wirke, stoße sich der Betrachter nicht an der stilisierten Situation auf der Bühne.

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Während dieser Unterhaltung sagte er mir, dass er eines meiner Stücke gelesen hätte und es ihm sehr gefallen hatte. Da war mir sofort klar, dass er einen sehr guten Geschmack hat, und ich ergriff sofort die Gelegenheit, mit ihm zu arbeiten. – Tom Holloway Aber einen Widerspruch gibt es doch: Während Make No Noise, dieses Drama um zwei Traumatisierte, in der Gegenwart spielt, ist die Südpol-Expedition mehr als ein Jahrhundert alt. Wird es damit nicht zu einer Kostüm-Klamotte? Miroslav Srnka schüttelt energisch den Kopf. „Gerade nicht, der Stoff ist absolut zeitgemäß“, ruft er und deutet mit der Hand hinunter auf den Platz, über den die Passanten strömen. Ums Eck herum sind zwei riesige Multiplex-Kinos. „Vor ein paar Tagen war ich mit meinem Sohn in einem dieser Hollywood-Blockbuster, er wollte da unbedingt rein. Matt Damon spielt die Hauptrolle, ein Science-Fiction-Film ist es, der sich um die Frage dreht, was passiert, wenn ein Mensch allein auf dem Mars zurückbleibt, ohne Verbindung zur Erde [Der Marsianer von Ridley Scott, Anm. d. Red.] Merken Sie etwas? Das ist dasselbe wie in South Pole: die völlige Isoliertheit, das Zurückfallen auf sich selbst.“ Aber dann in einem Pub in Aldeburgh, bei einem Pint Bier, rückte er plötzlich damit raus. „Also, schau, ein Libretto ist das gleiche wie ein Theaterstück, nur zwei Drittel kürzer!“ Es war nur eine flapsige Bemerkung, aber plötzlich hatte ich verstanden. Make No Noise und South Pole schrieb ich wie meine Theaterstücke und kürzte den Text dann um zwei Drittel. Und Mirek kürzte dann nochmal ein bisschen.

Eine Oper zu schreiben, das ist ein Kampf. Dreieinhalb Jahre lagen bei Scott zwischen der ersten Planung seiner Expedition und seinem Tod im ewigen Eis, bei Amundsen waren es ein Jahr und vier Monate vom Aufbruch bis zum Südpol. Fünf Jahre brauchten Miroslav Srnka und Tom

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Holloway, um diesen Stoff zu Papier zu bringen. Die einen arbeiteten gegeneinander, die anderen miteinander. Oder? „Wir können uns streiten bis aufs Blut“, sagt Miroslav Srnka. „Inzwischen ahnen wir schon im Voraus, wann der nächste Moment kommt, in dem wir aneinandergeraten.“ So ist das, mit Mirek zusammenzuarbeiten. Es ist weltumspannend, weil wir über das Internet kommunizieren. Wenn man ihm dann persönlich gegenübersitzt, muss man sich anstrengen, um mithalten zu können; und man muss darauf gefasst sein, dauernd ein „No“ zu hören, während man ihm eine Idee nach der anderen vorsetzt. Glücklicherweise bin ich genau der Typ dafür, weil ich eine masochistische Ader habe.

Der Start ist getragen von Enthusiasmus. Monatelang vergräbt sich Miroslav Srnka in einer der Prager Bibliotheken und seinem heimischen Studierzimmer, er liest alles, was geschrieben worden ist über Scott und Amundsen und ihren aberwitzigen Wettstreit, und es ist sehr viel darüber geschrieben worden. Tom Holloway sitzt in Australien am Schreibtisch und entwirft den ersten Aufriss für die Szenen, Miroslav Srnka läuft wie ein Besessener durch einen Wald in der Nähe seines Hauses, wie er es immer macht, wenn er Inspiration sucht. Seine Schritte verdichten sich dort zu einem Rhythmus, die Geräusche ringsum zu einer Melodie, und zu Hause im Studierzimmer schreibt er auf, was er sich im Gehen ausgedacht hat. Die ersten Motive entstehen, die ersten dramaturgischen Ideen. Im ersten Teil, das wissen Holloway und Srnka schnell, star-


ten sie mit dem Überwintern der beiden Teams, sie beleuchten die Motive, sie lassen die Helden losziehen und enden mitten im Wettlauf zum Südpol. Im zweiten Teil dann soll alles anders sein: Die Teams sind allein, die Räume öffnen sich, die Einsamkeit wird undurchdringlich. Und dann, wenn alles das feststeht, wenn jeder seine Ideen entwickelt hat, treffen sie wieder aufeinander, der Komponist und der Librettist. Sie schreiben sich Mails, hunderte sind es in den heißen Phasen, und wenn sie schriftlich nicht weiterkommen, verabreden sie sich zu einem Skype-Gespräch. Manchmal treffen sie sich: Miroslav­ Srnka fliegt zweimal nach Australien, sie arbeiten in London, in Prag. Und immer wieder verschwindet Miroslav Srnka in sein Studierzimmer: Kondensieren nennt er den Vorgang, wenn er den Text von Tom Holloway nimmt und einzelne Worte, manchmal ganze Sätze streicht. „Das tut ihm immer weh. Manchmal will er ein Wort wieder drin haben. Aber Musik braucht kondensierte Sprache, deshalb muss ich das alleine machen.“ Und dann ist da im Schlussteil diese Szene, in der Scott, der Verlierer des Wettrennens, langsam erfriert. „Wie soll ich ihn erfrieren lassen, wenn nicht singend? Das braucht viel Text. Ich wollte einen repetitiven Ausdruck hinbekommen, so als kehre das Gehirn während des Erfrierens immer wieder auf den gleichen Punkt zurück. Tom hat mir für diese Szene nur ein Zitat aus Scotts Tagebuch geliefert, aber das reichte für meine Idee nicht aus. Ich habe ihn lange überzeugen müssen, dass er mir mehr Text schreibt.“ Wir kamen zu dem Schluss, dass wir so etwas wie zwei Opern in einer schreiben mussten. Scotts und Amundsens Geschichten waren sich so ähnlich und gleichzeitig völlig verschieden. Dafür wollten wir eine musikalische Struktur erfinden. Unsere Zusammenarbeit funktioniert ja ganz oft so, dass wir von Anfang an eine gemeinsame Vision haben, aber dann – meist wenn Mireks „No“ kommt – besteht ­meine Arbeit hauptsächlich darin, herauszufinden, was er musikalisch braucht und das dann als Handlung funktio-

Illustration Saddo

nieren zu lassen. In South Pole kommen einmal Raubmöwen vor. Mirek wollte etwas „Fantastisches“, um eine andere musikalische Atmosphäre zu schaffen, die heiter und „luftig“ sein sollte. Aber für die Handlung brauchte ich die Raubmöwen auch, um die Verzweiflung einer der Personen darzustellen.

Die Raubmöwen sind auch eines dieser Motive, über die sich Srnka und Holloway gestritten haben, „bis aufs Blut“, wie Srnka sagen würde. Zweiter Teil: Die Expeditionsteams haben seit Monaten nichts anderes gesehen als Eis und Schnee. Und auf einmal, je näher sie auf dem Rückweg dem Basislager kommen, kreisen da diese Raubmöwen über ihnen, das erste Zeichen von Leben seit langer Zeit. Miroslav Srnka ist gleich klar, was das für die Musik bedeutet: Eine Durchbrechung der Isolation und der Monotonie, ein Aufscheinen von etwas Neuem, das aber nichts zu tun hat mit der Zivilisation, aus der die Abenteurer aufgebrochen sind. „Tom Holloway war strikt dagegen, den Raubmöwen so eine große Rolle beizumessen“, erzählt Miroslav Srnka, „er wollte die Brechung des Motivs anders darstellen.“ Da kam es wieder, das tschechische „No“ des Komponisten, und schließlich sind die Möwen in der Oper. „Und das ist das Großartige an unserer Zusammenarbeit: Tom Holloway war erst dagegen – und hat es dann geschafft, aus den Möwen eine unglaublich starke Katharsis zu gestalten. Die Szene ist damit viel stärker geworden, als ich sie mir vorstellen konnte.“ Die Welten treffen aufeinander, immer wieder: Der Marineoffizier Scott, der Polarforscher Amundsen. Der Autor Tom Holloway, der genau weiß, wie auf einer Bühne eine Dramaturgie funktioniert, und der Komponist Miroslav­ Srnka, der die Spannungsbögen in der Musik im Blick ­behält. Beim Südpol-Wettlauf gab es auf den ersten Blick einen Gewinner und einen Toten, bei der gemeinsamen Expedition Oper hat das ­jahrelange Ringen ein glückliches Ende, das auf 400 großformatigen Papierbögen niedergelegt ist.

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Unter dem Bistro sind die Studenten verschwunden, die hier Flugblätter verteilt haben, dafür preist ein Mann auf einem Schild eine kostenlose Körperfettmessung an. Miroslav Srnka schmunzelt. Anonyme Menschlichkeit, so nennt er das, was er da draußen vor den Fenstern beobachtet. Und der Wirbel, der lenkt ihn nicht ab von seiner Musik? Er schüttelt den Kopf. „Manche gehen automatisch davon aus, dass in Komponisten eine Art Magie stecke. Aus der Musik spricht nachher die Magie, die wir alle spüren, wenn wir ein Konzert oder eine Oper besuchen, aber die Entstehung der Musik – das ist ein ganz profaner Prozess. So, als würde man eine Software programmieren oder ein Auto entwerfen.“ Und manchmal dauert die Expedition von Komponisten und Librettisten eben fünf Jahre, bis ihre Oper am Ende fertig ist – eine Zeit, in der andere bis zum Südpol kommen.

Foto Vojtěch Havlík

Gestern früh, gleich nach dem Aufwachen, las ich die passend kurze E-Mail: „Ich hab’s geschafft. Ich kann es selbst nicht glauben.“ In der Betreffzeile stand „Die Oper ist fertig“. Ich konnte es auch nicht glauben. Ich war so aufgeregt und so stolz auf ihn. Und wie hat er das gefeiert? Nachdem er dieses große Werk mitten in der Nacht fertiggestellt hatte, stand er um sieben Uhr auf und machte sich auf den Weg zu einer Zahn-OP.

Miroslav Srnka studierte Musikwissenschaft und Komposition in seiner Heimatstadt Prag, später in Berlin und Paris. Er komponiert Werke u.a. im Auftrag des Arditti Quartet, des Ensemble L’Itinéraire sowie der Kasseler Musiktage. 2005 wurde seine Kurzoper Wall an der Staatsoper Unter den Linden Berlin uraufgeführt. Im Rahmen der Opernfestspiele führte 2011 die Bayerische Staatsoper Make No Noise auf, bereits für dieses Werk schrieb Tom Holloway das Libretto. Srnkas Werke wurden u.a. vom Ensemble Modern, ­ dem Klangforum Wien und dem BBC Philharmonic gespielt. Im Sommer 2015 spielte das ­Symphonieorchester des BR im Rahmen der musica viva das zweiteilige Werk move 01 und move 02. Nach mehreren Preisen in seiner Heimat erhielt er 2009 den Förderpreis der Ernst von Siemens Musikstiftung.

Geboren und aufgewachsen in Tasmanien, zählt Tom Holloway zu den führenden Dramatikern Australiens. Seine Stücke wurden in Australien und Europa gezeigt, sein Stück Fatherland etwa im Münchner Volkstheater. Mit dem ­Komponisten Miroslav Srnka zusammen entwickelte er die Kammeroper Make No Noise, die während der Opernfestspiele 2011 im Pavillon 21 der ­Bayerischen Staatsoper uraufgeführt wurde. Seitdem verbindet beide eine fruchtbare Zusammenarbeit und Freundschaft. South Pole ist ihre zweite gemeinsame Arbeit. Tom Holloways Schaffen wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so erhielt er u.a. 2008 und 2010 den AWGIE Award für das beste Theaterstück, 2011 den Max Afford Award und den Victorian Premiers Literary Award for Drama.

Kilian Kirchgeßner arbeitet als Korrespondent für Tschechien und die Slowakei für ARD-Hörfunkprogramme und deutschsprachige Printmedien. Seine Texte wurden mehrfach ausgezeichnet.

Passagen aus dem Tschechischen übersetzt von Kilian Kirchgeßner, aus dem Englischen von Sabine Voß

Mehr über den Illustrator auf S. 8

South Pole Eine Doppeloper in zwei Teilen Von Miroslav Srnka, Libretto Tom Holloway Auftragswerk der Bayerischen Staatsoper Uraufführung am Sonntag, 31. Januar 2016, Nationaltheater Weitere Termine im Spielplan ab S. 93

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Die Vermessung Afrikas ist eine Geschichte von will­ kürlichen Grenzen, Rassismus und Bürgerkriegen. Aber der afrikan­ische Widerstand ­gegen Vermessung im Sinne von Deutungs­hoheit über Menschen und Kultur wächst. Von Andrea Jeska

3 Claire Harvey, postcard amtk69, 2014

Grenzen der Unterwerfung


Im Jahr 1877 beendete der englische Afrikaforscher Henry Morton Stanley seine Reise durch das Kongo­ ­ becken. Damit war Afrika nicht nur so gut wie vollständig kartografiert, sondern endgültig Ziel imperialer Sehn­ süchte und Begehrlichkeiten geworden. Sieben Jahre später, nach dem Ende der sogenannten Kongokonfe­ renz, auf der völkerrechtliche Kriterien für die Anerken­ nung von Kolonialbesitz festgelegt wurden, begann der Wettlauf der europäischen Mächte um Land und Ein­ fluss. Grenzen wurden gezogen, willkürlich und ohne Ansehen der vorhandenen gesellschaftlichen und ethni­ schen Strukturen. Deutschland sicherte sich Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia, Togo und Kamerun, später Teile des heu­ tigen Tansania sowie Ruanda und Burundi. Mit soge­ nannten Schutzverträgen wurden die Stammeschefs um ihr Land und ihre Autonomie betrogen. Tausende von Landvermessern wurden in die Kolonien geschickt, um Farmland für die Siedler und Reservate für die einheimi­ sche Bevölkerung zu vermessen. 8.000 bis 10.000 Hektar stellte man jedem weißen Siedler zur Verfügung. Neuge­ gründete Missionsgesellschaften stellten sich in den Dienst der politischen Interessen, und jede Gegenwehr, etwa der Aufstand der Herero und Nama 1904 im heutigen Namibia, wurde mit größter Brutalität niedergeschlagen. Doch nicht nur Land- auch Menschenvermesser kamen nach Afrika und teilten die Bevölkerung – je nach Nasenbreite, Lippengröße und Körperlänge – in Ethnien und Klassen ein. Lange vor der Rassenlehre der Nazis nahmen Männer wie der Deutsche Carl Peters oder der Engländer John Henning Speke hier folgen­ schweren Einfluss. Peters handelte für Deutschland un­ ter Bismarck Schutzverträge in Tansania und Ruanda aus, indem er die Stammeschefs bedrohte oder betrun­ ken machte. Er prügelte und tötete willkürlich und wur­ de schließlich unehrenhaft entlassen. Von Hitler erhielt er postum eine Rehabilitierung, weil er den „Gedanken des 3. Reiches 50 Jahre vor der Zeit nahe stand.“ Speke, „Entdecker“ des Viktoriasees, begründete die Hamiten­ theorie, die besagt, dass Afrikas Kultur nur durch hell­ häutige nilotische Völker aus dem Norden vorangebracht werden könne, die negroide Bevölkerung dagegen un­ kultiviert sei. Auf der Grundlage dieser Theorie wurden Jahrzehnte später unter der belgischen Kolonialherr­ schaft die Menschen in Ruanda und Burundi vermessen und dann unterteilt: Die hellhäutigen, langbeinigen und schmalnasigen Bewohner waren fortan die kulturfähi­ gen Tutsi, die dunkelhäutigen und breitnasigen die bäu­ erlichen Hutu. Diese fatale ethnische Unterscheidung führte ab 1959 zu Pogromen der Hutu an den Tutsi und mündete 1994 in einen Genozid, dem in Ruanda eine ­Million Menschen zum Opfer fielen. Bis heute sind die Folgen dieser Einteilung in Burundi nicht verwunden.

Gerade steht das Land wieder am Rande eines Völker­ mords, weil das Regime unter Präsident Pierre Nkurun­ ziza einmal mehr versucht, Hutu und Tutsi gegeneinan­ der aufzuhetzen. Und noch immer vermessen wir Afrika – nach wie vor in vermessener Art und Weise. Zum einen ideologisch: Wir teilen den Kontinent ein in dienliche und störende Regierungen sowie in „good guys“ und „bad guys“. Beide Kategorien sind miteinander verwoben. Gut ist oft, wer unseren Interessen dient, der Sicherung von Machtsphä­ ren etwa oder der Ausbeutung von Rohstoffen. Auch mit Schritten vermessen wir den Kontinent; selten noch als Entdecker, in den meisten Fällen als Touristen. In Län­ dern wie Südafrika oder Namibia ist dabei die alte Koloni­ alstruktur erhalten geblieben. In teuren Lodges sind die Gäste weiß, das Personal schwarz. Doch es gibt auch eine Gegenbewegung, die sich nicht nur im Erstarken eines von Schwarzen gelenkten und geleiteten Tourismus ausdrückt, sondern in einer neuen Achtung für die Landschaft und das kulturelle Erbe. „Leave no trace!“ Keine Spur zu hin­ terlassen ist das oberste Credo vieler Safaris und Natur­ wanderungen. Der afrikanische Widerstand gegen Vermessung und Vermessenheit im Sinne von Deutungshoheit über Menschen und Kultur wächst. In Ruanda ist es gut zwei Jahrzehnte nach dem Völkermord zumindest verboten, eine ethnische Klassifizierung vorzunehmen, und Spekes Hamitentheorie wurde ins Land der Legenden verbannt. In Kenias Hauptstadt Nairobi hat sich eine hochtalentier­ te junge Internetszene gebildet, die Apps und Plattformen für afrikanische Bedürfnisse und Probleme konzipiert. Unaufhaltsam emanzipiert sich auch die Literaturszene und findet ihren eigenen Ton. Nigerias preisgekrönte Schriftstellerin Chimamanda Adichie hielt einen millio­ nenfach im Netz geteilten Vortrag: „The danger of a single story.“ Darin kritisiert sie Stereotypen in der Berichter­ stattung aus und über Afrika. Stets ginge es nur um Elend, hungernde Kinder, Kriege und Krankheiten, ganz so, als gäbe es keine Normalität, keine Freude, kein Glück. Manches, was sich über zwei Jahrhunderte zu einer geistigen und spirituellen Landkarte des Kontinents fest­ fügte, muss also neu gezeichnet werden. Es wird vielleicht noch Jahrzehnte dauern, bis die Menschen der afrikani­ schen Länder die Vermessenheit des Westens verwunden und eine eigene Vermessung ihrer Räume vorgenommen haben: der geografischen, kulturellen und historischen. Dass sie dabei sind, ist nicht zu übersehen.

Andrea Jeska wollte als Kind Lotsin auf der Weser werden und kam dann über viele Umwege zum Journalismus. 2013 gewann sie den Theodor-Wolff-Preis für ihre Reportage Der Mann, der die Wüste aufhielt. Sie schreibt unter anderem für GEO, die ZEIT und die Neue Zürcher Zeitung.

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Mit den Augen hören, mit den Ohren sehen Prima la musica … – ein Credo, das Johannes Erath auf b ­ eeindruckende Weise umsetzt. Mit Giuseppe Verdis Un ballo in maschera gibt der Regisseur sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper. Inmitten all des fröhlichen Durcheinanders im Finale des zweiten Akts von Le nozze di Figaro gibt es einen Moment, in dem sich die Musik abrupt verlangsamt. Johannes Erath verlangsamte in seiner letztjährigen Dresdner Figaro-Inszenierung zusätzlich die Bewegungen der Sänger und schuf so wunderbare Momente von Gleichzeitigkeit. Als Zuschauer hatte man den Eindruck, einer Gruppe Aufziehpuppen dabei zuzusehen, wie ihr Federmechanismus langsam zum Stehen kommt. So wurde Mozarts Tempowechsel zu einem dramaturgischen Mittel, einem Kniff, die Zeit langsamer ablaufen zu lassen und dadurch die Komik der Situation zu steigern. Die Komplexität seines Dresdner Figaro und die Tiefgründigkeit seiner Frankfurter Euryanthe zeigen ­Johannes Eraths Fähigkeit, sich durch die vielen Ebenen solch facettenreicher Werke hindurchzuarbeiten. Doch er besitzt eine noch schwieriger zu fassende Eigenschaft: Musik­alität. Und dabei geht es um weit mehr als nur um Verlangsamung oder Beschleunigung. Diese Musikalität zeigt sich in der Art, wie sich die Figuren bei ihm bewegen – individuell und in Beziehung zueinander. Es geht dabei nicht um so offensichtliche Dinge wie das Tanzen im Takt oder einstudierte Schrittfolgen, sondern um ein Gefühl von Nähe und Entfernung – und um fast geometrisch zu nennende Figurationen, die die Form der Partitur widerspiegeln oder mit ihr in ein Spannungsverhältnis treten.

Text Shirley Apthorp

Johannes Erath hat sein musikalisches Leben als Instrumentalist begonnen. Im Gespräch weist er zwar sofort darauf hin, dass er nicht der einzige Opernregisseur sei, der seine Laufbahn auf diese Weise eingeschlagen hat. Aber bevor er zum Inszenieren überging, hat er sein Spiel zu hoher Virtuosität gebracht. Er studierte Violine in Wien und Freiburg, spielte im Orchester der Wiener Volksoper und in der Sommerakademie der Wiener Philharmoniker. „Ich habe mit der Geige sehr viel für mich erreicht und hatte wunderschöne Erlebnisse. Aber es war auch ein Kampf. Wie das halt so ist mit Instrumenten. Sie fordern eine wahnsinnige Disziplin von klein auf. Heute kommt mir das aber zugute. Weil man dadurch eine andere Art von Geduld mit sich selbst bekommt, und eine Fähigkeit, ausdauernd an etwas zu arbeiten. Ich kann Noten lesen, ja, aber noch viel wichtiger ist, dass ich mit musikalischen Strukturen aufgewachsen bin.“ Er beschreibt diesen Gedanken noch genauer: „Musik gibt in der Oper das Zeitmaß vor und ist die erste emotionale Interpretation des Textes, was ich aber nicht als Korsett empfinde. Meine Aufgabe ist es, dem Publikum zu ermöglichen, mit den Augen zu hören und mit den Ohren zu sehen.“ Man versteht diesen Satz besser, wenn man seiner Beschreibung einer Konzertübertragung im Fernsehen folgt, wo die Kamera auf die Kontrabassisten schwenkt. „Man hört die Kontrabässe dann bewusster, obwohl sie gerade nicht die Melodie spielen. Die Balance verändert sich plötzlich. Auf solche Weise versuche auch ich visuell zu arbeiten, weil man ein Detail betonen kann, das man sonst vielleicht gar nicht hören würde.“ Die Musik kommt für Johannes Erath immer an erster Stelle. Beim Musikhören entstehen Bilder. „Es ist ja nicht so, dass die Musik und der Text immer genau dasselbe erzählen. Die Musik ist wie ein Kommentar zum Text. Und ganz oft, wenn man genau hinhört, sagt die Musik eben etwas völlig anderes.“ Zu seiner Arbeitsweise gehört essenziell, die Dinge immer wieder neu zu betrachten, immer andere Perspektiven einzunehmen. Das ist jedoch ein Prozess, der sich wie

Premiere Un ballo in maschera


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Vorstellungsank端ndigung


„Es gibt es eine große Sehnsucht, sich genau mit dem zu konfrontieren, was uns Angst macht. Mit Ulrica bricht eine unheimliche Dimension in dieses Stück ein – und zwar im wörtlichen Sinn: un-heimlich.“ – Johannes Erath

von selbst einstellt, der eher passiert, als dass Johannes Erath diese Blickwinkelwechsel bewusst suchen müsste. Wenn er über die Stücke nachdenkt, entstehen Assoziationswellen, die, wie er es beschreibt, über sein gedankliches Gerüst hinwegfließen: Mit jeder Woge kommen kleine Mosaiksteinchen hinzu, andere werden wieder weggespült, bis sich nach und nach ein bleibendes Muster zeigt. So spielt neben dem zielgerichteten Recherchieren vor allem auch das Auswählen, das Filtern der Gedanken, das Sortieren der Möglichkeiten eine wichtige Rolle. Alles bleibt im Fluss. So kann er auch ohne Weiteres da wieder anknüpfen, wo eine frühere Auseinandersetzung mit einer Oper zum Ende einer Phrasierung gelangt ist. Die Münchner Aufführung von Un ballo in maschera wird Eraths zweite Inszenierung von Giuseppe Verdis vielschichtigem Thriller sein. Vor neun Jahren brachte er die Oper in Bremerhaven das erste Mal auf die Bühne. Seitdem, so Johannes Erath, habe sich sein Verständnis des Stücks weiterentwickelt. Genauso wie sein Handwerk. In Bremerhaven hat er zum ersten Mal mit einem Chor gearbeitet. Zwischen damals und heute liegen die Erfahrungen von einem Jahrzehnt mit Produktionen – immer mehr davon an großen Häusern. Obwohl die Münchner Produktion ganz anders aussehen werde als seine Bremerhavener Inszenierung, gebe es doch eine ähnliche Atmosphäre, sagt der Regisseur. Der Vorteil, die Oper schon einmal aufgeführt zu haben, äußert sich für ihn in einem noch tieferen Verständnis der Partitur und ihrer Struktur. Nach einem Beispiel für eine Stelle gefragt, an der ihm die Musik etwas anderes erzählt als das Libretto, kommt Erath sofort auf die Figur der Wahrsagerin Ulrica zu sprechen. Der Protagonist Riccardo wähle sie dazu aus, ihm einen amüsanten Augenblick zu verschaffen, doch mit dem ersten Akkord der Ulrica-Szene könne man spüren, dass ihm gleich das Lachen im Halse steckenbleiben wird. „Das Stück hat etwas Janusköpfiges“, findet Johannes Erath. „So viel Humor gibt es bei Verdi ganz selten, doch die Stimmung kippt immer wieder, von der Komödie in die Tragödie und umgekehrt. Aber im Grunde ist es eine düstere Geschichte. Ulrica ist dabei für mich eine Art Spiegel der Seelen der drei Hauptfiguren. Ich sehe das ganze Stück als Maskenball. Jeder versucht, verschiedene Rollen zu spielen. Aber Ulrica wirft alle auf sich zurück, und niemand kann mehr vor sich selbst fliehen.“ Wenn Ulrica dem verkleideten Herrscher Riccardo eröffnet, dass sein bester

Fotografie Kirchknopf & Grambow

Freund ihn ermorden wird, dann erfasst diesen zwar eine unglaubliche Angst, die er mit Humor zu verdrängen versucht. „Auf der anderen Seite gibt es immer eine große Sehnsucht, sich genau mit dem zu konfrontieren, was uns Angst macht. Mit Ulrica bricht eine unheimliche Dimension in dieses Stück ein – und zwar im wörtlichen Sinn: un-heimlich.“ Für Johannes Erath ist Un ballo in maschera eigentlich ein Kammerspiel. Die Dreiecksgeschichte erscheint ihm dabei am wichtigsten. „Man hört auch an der Musik, dass die Zahl Drei vorherrschend ist. Da gibt es die drei verminderten Akkorde, wenn Ulrica erscheint. Und auch später kehren manche Themen immer dreimal wieder.“ Trotz aller intellektuellen Komplexität seiner Inszenierungen sieht Johannes Erath sich selbst nicht unbedingt in der deutschen Theatertradition stehend. Obwohl die meisten seiner Produktionen im deutschsprachigen Raum zur Aufführung kamen, hat er auch in anderen Ländern gelebt. Das wirkt sich auf seine Arbeit aus. „Außerhalb Deutschlands herrscht ein anderes Verständnis von Theater, das vielleicht nicht ganz so stark auf den Intellekt bezogen ist. Hier fehlt mir manchmal eine gewisse Sinnlichkeit. Natürlich denke auch ich sehr viel, ich bin ja Deutscher“, fügt er lachend hinzu. Er wünscht sich eine fruchtbare Verbindung von Intellekt und Sinnlichkeit. „Ich will ja selbst an dieses Theaterwunder glauben und es nicht immer nur in Anführungszeichen setzen!“ Der Ursprung von Johannes Eraths Bedürfnis nach Wundern reicht zurück in seine durch die katholische ­Kirche geprägte Kindheit in einem Dorf nahe Rottweil. Obwohl er das Klischee des kleinen Ministranten, der schließlich Regisseur wird, unbedingt vermeiden will, so ist ihm doch bewusst, dass die Zeremonien und Riten des Gottesdienstes durchaus eine Wirkung auf ihn hatten. ­Dabei war es nicht das vordergründig Theatrale, das ihn in der Kirche so faszinierte, sondern deren Inhalt und Sub­ stanz. „Es geht nicht um den Effekt, sondern darum, dass diese rituellen Momente etwas Emotionales auslösen. ­Dadurch kommt man selbst in einen magischen Zustand.“ Der Ritus der Osternacht sei ein besonderes Beispiel für diese Magie. „Wenn eine einzige brennende Kerze in die stockdunkle, verstummte Kirche getragen wird, nach und nach alle ihre Kerzen an dieser einen geweihten Flamme entzünden und die Kirche dadurch erhellt wird, dann zum Gloria die Orgel wieder spielt und alle Glocken läuten, erleben wir etwas Wunderbares.“

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Für Johannes Erath sind Kirche und Theater Orte, an denen Menschen sich zusammenfinden, die an etwas glauben wollen. „Dass wir nicht alles wissen, lässt uns doch gerade hoffen“, betont er. Dieses Bedürfnis sei dem Menschen angeboren. Genauso der besondere Reiz des Zusammenseins in einer anonymen Gruppe, die gemeinsame Konzentration auf etwas. „Im Theater verhält es sich natürlich nochmal anders, weil wir da ja wissen, dass es Inszenierung ist, und trotzdem wollen wir daran glauben.“ Johannes Erath faszinieren auch Schauspiel und Film, doch die Oper nimmt für ihn eine besondere Rolle ein, denn sie kann Zeit außer Kraft setzen. Das gesprochene Wort sei immer an die reale Zeit gebunden. Musik dagegen könne den Eindruck erwecken, die Zeit vergehe schneller oder langsamer oder stehe nahezu still („verweile doch, du bist so schön“). In unserem digitalen Zeitalter, in dem sich alles immer mehr beschleunigt, wo wir immer mehr Dinge gleichzeitig tun müssen und sich Konzentrationsspannen stetig verkürzen, kann die Oper uns zum Innehalten bringen. „Ich glaube, dass diese Momente der Entschleunigung sehr wichtig für uns sind, wichtiger als je zuvor vielleicht.“ Und solche Momente sind es auch, für die ­ Johannes Erath arbeitet. „Ob das eine Arie oder ein ­ ­Terzett ist – es geht um das Gefühl, einen magischen Moment zu erleben.“

Doch zur Erzeugung von Magie auf der Opernbühne sind harte Arbeit und Erfahrung wichtiger als Mystik. Wie der Chor sich bewegt, wie die Sänger in ihren Figuren zu Hause sind, wie ein Abend visuell gestaltet wird – all das hängt vom Können des Regisseurs ab. Erath arbeitete lange Zeit als Assistent für die Regisseure Willy Decker, Graham Vick und Peter Konwitschny und als Spielleiter an der Staatsoper Hamburg. Er hat sein Metier gelernt, indem er sich innerhalb der Theaterlandschaft Stück für Stück vorgearbeitet hat. Und das kann man sehen. „Zum Handwerk gehört die Fähigkeit, Personen zu führen und Raumspannung zu erzeugen, Zeit zu strukturieren und etwas formal aus der Musik heraus zu entwickeln. Ich gebe mich der Gesetzmäßigkeit der musikalischen Form hin, um eine Struktur sichtbar zu machen. Es geht aber nicht darum, zu erklären, um welche musikalische Struktur es sich handelt, sondern darum, eine visuelle Korrespondenz dafür zu finden. Wenn der Chor sich ganz langsam bewegt, ein Solist aber schneller, entstehen zwei Ebenen, was dem Publikum erleichtert, mehrere Informationen gleichzeitig wahrzunehmen.“ Wenn er mit Solisten arbeitet, legt er seine Vorstellungen detailliert dar. Er weiß genau, was er will, gibt aber auch den Sängern Raum für ihre Individualität. Im Idealfall ist das Ergebnis eine Aufführung, in der die Sänger mit ihren Figuren so weit verschmelzen, dass sich die Art, sie zu verkörpern, automatisch ergibt. „Denn für mich geht es immer mehr um das Sein als um das Machen – und um eine innere Notwendigkeit.“ Aus dem Englischen von Sabine Voß Shirley Apthorp, geboren in Südafrika und aufgewachsen in Australien, a ­ rbeitet als Musikjournalistin in Berlin für die internationale Presse. Ihre Organisation Umculo hat sozialen Wandel durch Musik in Südafrika zum Ziel.

Johannes Erath, geboren in Rottweil, war nach einem Violinstudium ­zunächst als Musiker u.a. an der Wiener Volksoper tätig. Nach ­Assistenzen vor allem bei Willy Decker arbeitet er seit 2006 als ­freischaffender R ­ egisseur und inszenierte bislang u.a. in Hamburg (Das schlaue Füchslein, La traviata), Frankfurt (Angels in America, ­Otello, Giulio Cesare in Egitto, Euryanthe), Graz (Lulu, Don Giovanni, Elektra, Lohengrin, Die tote Stadt) und Dresden (Le nozze di Figaro) sowie an der Neuen Oper Wien die U ­ raufführung von Peter Eötvös’ Paradise reloaded (Lilith). Von 2005 bis 2007 war er Stipendiat der Akademie Musiktheater heute, 2008 erhielt er den R ­ egie-Preis der Götz-­Friedrich-Stiftung. Mit der Inszenierung von Un ballo in maschera gibt er sein Hausdebüt an der Bayerischen Staatsoper.

Un ballo in maschera Melodramma in drei Akten Von Giuseppe Verdi Premiere am Sonntag, 6. März 2016, Nationaltheater STAATSOPER.TV: Live-Stream der Vorstellung auf www.staatsoper.de/tv am Samstag, 19. März 2016

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Weitere Termine im Spielplan ab S. 93



Was bisher geschah: Der britische Kapitän zur See Robert Falcon Scott und der norwegische Polarforscher Roald Amundsen, ebenfalls mit Kapitänspatent ausgestattet, sind mit ihren Mannschaften in der Antarktis gelandet. Scotts Expedition wird von distinguierten englischen Gesellschaften wie der Royal Society und der Royal Geographical Society unterstützt, sein Ziel ist zweierlei: den bislang praktisch unbekannten Kontinent zu erforschen – und den Südpol zu erreichen, was noch niemandem zuvor gelungen ist. Erst unterwegs, beim Zwischenstopp in Melbourne, erfährt Scott, dass er einen Konkurrenten hat. ­Amundsen­­ verzichtet auf den wissenschaftlichen Ballast, reist schlank mit wenigen, frosterprobten Leuten und konzentriert alle seine Anstrengungen darauf, der Erste zu sein. Nichts davon ahnen seine Geldgeber – Parlament, König, Det norske geografiskal selskap –, als sie ihm eine mehrjährige Drift durchs ­Nordpolarmeer finanzieren. Überhaupt niemand ahnt etwas, bis Amundsen, mit seinem von Fridtjof Nansen geliehenen Schiff „Fram“ längst auf offener See, Scott und die Welt durch seinen Bruder Leon über seine heimlich geänderten Pläne informiert: mit dem berühmt gewordenen Telegramm „Beg ­leave to inform you Fram proceeding Antarctica.“ („Erlaube mir Sie zu informieren Fram Kurs auf Antarktika“). Scott muss sich entscheiden, wie er mit dieser ­Situation umgeht. Und beide hoffen, sich besser auf die kalte, unwirtliche, feindselige Welt am „tiefsten Punkt der Erde“ (Teil 1, Szene B der Oper) ­vorbereitet zu haben.

„Bring as much as you can“, fordert Robert Scott am Beginn der Oper South Pole seine Mannschaft auf. „Bring only what we need“, ermahnt Roald Amundsen die seine. Damit gibt der Operntext einen frühen Hinweis auf die unterschiedlichen Ansätze der zwei Expeditionsleiter. Doch beiden, Scott wie ­Amundsen, ist klar, dass bei einer auf mindestens zwei Jahre angesetz­ ten Expedition nicht alles bloß auf Nützlichkeit hin geplant werden kann. Wer monatelang im Polarwinter mit einem Haufen anderer Männer auf eng­ stem Raum auskommen will, muss für Abwechslung sorgen: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – und da die Frauen schließlich alle daheimbleiben

müssen, sind andere Formen der Erquickung vonnöten. So sind die Gram­ mofone und Klaviere, die beide Gruppen mit auf den antarktischen Kon­ tinent brachten, alles andere als absurd: Es erweist sich als sinnvoll, in der lebensfeindlichen Umgebung ein bisschen bürgerlichen Salon zu be­ haupten. Die Basislager sind auch ein Zuhause. Und solange die Sonne noch genügend Licht wirft, dass man halbwegs sehen kann, ist ein Fuß­ ballspiel die ideale Zerstreuung für jeden Engländer, „die britische Art“ eben – genauso wie es den Norwegern gefällt, sich eine Sauna zu zimmern und sich vom Temperaturwechsel den Kreislauf anregen zu lassen.


„We’ll set the hut up on land. This way we are safe.“ (Scott) – „We’ll set the hut up on the ice. This way we are further south.“ (Amundsen; Teil 1, Szene B) Die Briten errichten ihr Quartier auf Kap Evans, einer Landzunge von Ross Island am Rand des Ross-Meeres. Scott hat diese Gegend schon auf seiner ersten Antarktis-Reise erkundet. Das Ross-Meer bildet eine riesenhafte Einbuchtung in den antarktischen Kontinent; nirgends kommt man dem Pol näher als hier. Allerdings ist es weitgehend von Schelfeis bedeckt, auf einer Fläche so groß wie ganz Deutschland: eine aus Gletschern gespeiste, auf dem Wasser schwimmende Eisschicht, die noch mit dem Festland verbunden ist. Die Bruchkante, von der sich immer wieder Eisberge lösen, ist teils bis zu 50 Me­ ter hoch. Nur an wenigen Stellen ist es überhaupt möglich, mit einem Schiff anzulegen. Eine solche Stelle, in der das Schelfeis flacher ausläuft, findet

Amundsen in der Bucht der Wale: rund 650 Kilometer entfernt von Scotts La­ ger – vor allem aber knapp hundert Kilometer weiter südlich. Allerdings geht Amundsen ein Risiko ein: Seine Hütte, die er als zerlegtes Fertighaus mitge­ bracht hat, stellt er auf Eis. Festes Eis, zugegeben – aber die Gefahr, dass sich Risse bilden, dass das Lager abgetrieben wird, ist nicht von der Hand zu wei­ sen. Beide Teams haben Fotoapparate dabei, die Briten sogar einen professi­ onellen Fotografen, Herbert Ponting, der auch mit Filmkameras experimentiert. Das Ziel ist schließlich, die Reise zum Südpol wissenschaftlich zu dokumen­ tieren. Scott lässt sich persönlich einweisen, um auch von der letzten Pol-Etap­ pe Bilder mitbringen zu können. Amundsen und seine Leute machen eher Schnappschüsse, bei ihrem Marsch zum Pol hat Tempo Priorität. Amundsens eigener Fotoapparat geht außerdem irgendwann unbemerkt kaputt.


Beide Teams starten Mitte September 1910 ihre Schiffsreisen nach ­Süden, beide kommen im Januar 1911 in der Antarktis an. Und beide nut­ zen das folgende Vierteljahr bis zum Einbruch des polaren Winters im Mai, um ihre jeweiligen Basislager zu errichten, Lebensmittel zu verstauen, Quartiere für die Hunde und Ponys zu bauen. Alles, was man sich im mil­ den Europa ausgedacht und ausgetüftelt hat, wird nun ausprobiert und überprüft. Und dann gleich eingesetzt: Über die vorgesehenen Routen über das Schelfeis in Richtung Pol werden Depots angelegt, für Aus­ rüstungsgegenstände, Vorräte und Brennstoff, damit die eigentliche ­Expedition im folgenden Frühjahr schneller vorankommen kann. Genaue Kalkulationen, wie viel Material mitgeführt und was in welchen Abständen für die Rückreise deponiert werden soll, sind von lebenswichtiger Bedeu­

tung. Außerdem unternehmen beide Gruppen erste Exkursionen mit wis­ senschaftlichem Anspruch, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. (Der war Amundsen nämlich ziemlich gleichgültig.) Während die Norweger nach einigen Anlaufschwierigkeiten gute Erfahrungen mit ihren Schlit­ tenhunden machen, erweisen sich die englischen Motorschlitten als ­Enttäuschung: Die Ketten haften nicht auf den mit wenig Schnee bedeck­ ten Eisflächen, und die Motoren sind bei den tiefen Temperaturen über­ fordert. Ein Zylinderschaden besiegelt das Ende dieses Experiments. So setzen die Briten für die flache Strecke auf dem Schelfeis – etwa die Hälf­ te der gesamten Entfernung – auf die tapferen Ponys, vom Anstieg des Gletschers über das Hochplateau bis zum Pol dann auf das bewährte, aber kräftezehrende Selberziehen.


Die Polarnacht: Am südlichen Polarkreis heißt das von Mai bis September rund fünf Monate ununterbrochene Dunkelheit. Teilnehmer früherer Polar­ expeditionen in Nord und Süd sind an dieser Monotonie wahnsinnig gewor­ den. Daraus haben alle ihre Lehren gezogen: Wer unter diesen Umständen nicht durchdrehen will, braucht eine starke Konstitution – und einen streng eingeteilten Tagesablauf, mit Aufgaben und Ritualen, mit Arbeit und Ver­ gnügen. Amundsen hat sogar vieles, was später benötigt würde, bewusst unfertig mitgebracht. Schlittengeschirre werden auf der Überfahrt und jetzt in Framheim montiert, die Fellmäntel genäht, Schuhe gefertigt; die Zelte wer­ den verbessert und schwarz gefärbt (um besser im Schnee entdeckt zu wer­ den und die Sonnenstrahlung zu absorbieren), die Schlitten leichter ge­ macht. Und natürlich erfordern die Hunde ständige Betreuung.

Auch Scott lässt seine Männer nicht untätig werden. Meteorologische Unter­ suchungen und magnetische Messungen beschäftigen das Forscherteam rund um die Uhr. Es wird dokumentiert und kartografiert. Am Kap Evans ste­ hen auch Abendunterhaltungen auf dem Programm (schließlich ist Scotts Truppe mehr als dreimal so groß wie die von Amundsen, 65 gegenüber 19): Vorträge der teilnehmenden Wissenschaftler über Botanik, Zeichnen, Geo­ grafie, jeder, der mag, erzählt von seinem Fachgebiet, gelegentlich mit mo­ dernsten medialen Hilfsmitteln. Ponting zum Beispiel berichtet über seine Asienreise und zeigt Dias aus seinem Buch In Lotus-Land: Japan. Und da man daran gewöhnt ist, im Winter Weihnachten zu feiern, wird der Kalender ent­ sprechend angepasst: Am 22. Juni feiert man in der fahnengeschmückten Hütte antarktische Wintersonnenwende mit Kuchen und festlichen Getränken.


Wer mit ihnen spricht, könnte denken, sie wären dabei gewesen, so gut kennen sich die Autoren von South Pole mit dem Gegenstand ihrer Oper aus. Doch so erstaunlich es sein mag, am Südpol waren beide nicht. Miroslav Srnka, der Komponist (rechts), stammt aus Prag. Lange Wanderungen über schneebedeckte Berge, Hüttennächte weitab von der Zivilisation, provi­ antbeladene Rucksacktouren kennt er allerdings gut, wenn auch eher in Mitteleuropa. Tom Holloway, der Librettist, war zwar auch noch nie in der Antarktis. Aber näher als er dürfte kein anderer Mitwirkender von South Pole dem Ziel von Scott und Amundsen gekommen sein: Schließlich ist er im tasmanischen Hobart aufgewachsen, lächerliche 2692 Kilometer von der Küste des Kalten Kontinents entfernt. Keine Stadt liegt näher am Süd­ pol. Von Hobart aus sendete Amundsen seine Siegesnachricht in alle Welt,

hier ist bis heute die erste und letzte Station von Schiffen auf dem Weg nach Süden. Tom lebt inzwischen mal in Australien, mal in England, aber meist doch zu weit weg von Prag, als dass er mit Miroslav Srnka gemütlich beisammensitzen könnte (siehe den Text ab S. 34). So geht der Austausch anders vonstatten: in tausenden E-Mails, langen Telefonaten, Gesprächen über Skype – alles, was die Kommunikationstechnik anbietet, wird genutzt. Und schon bald nachdem sie sich auf die Geschichte der ersten Süd­ pol-Entdeckung geeinigt haben, stoßen sie auf ein in Opernhinsicht we­ sentliches Manko dieses Stoffes: Es waren keine Frauen dabei. Eine Oper ohne Frauenstimmen ist nicht unbedingt eine erstrebenswerte Angelegen­ heit. Wie also lassen sich weibliche Stimmen in diese Geschichte verwe­ ben? Wenig später gibt es auch dazu Ideen.


Träume. Ängste. Hoffnungen. Enttäuschungen. Wie fühlen sich die Men­ schen, die nicht einmal auf Briefe zurückgreifen können, geschweige denn auf Funk oder gar Telefon, Menschen, die vielmehr auf Jahre von jeglichem Austausch mit den Ihren abgeschnitten sind? In der Monotonie der polaren Winternacht, träumend im Halbschlaf des Nachts oder grübelnd in der Ein­ samkeit der Schneewüste schweifen die Gedanken von Scott und Amundsen immer wieder ab, driften in Visionen und wenden sich den daheimgebliebe­ nen Frauen zu. Natürlich denkt der Engländer an seine starke Kathleen, die Künstlerin, die so souverän mit der Welt umgeht und ihre Vorstellungen ver­ wirklicht, die ihn angespornt und beraten hat – und nun mit dem kleinen Sohn Peter in London auf seine Rückkehr, ja mehr noch auf eine Erfolgsmeldung wartet. Viele Gedanken plagen Scott, die Herausforderung durch Amundsen lässt ihn zeitweise in Depressionen verfallen. Aber er hält an seinem ur­

sprünglichen Vorhaben fest: Wettlauf ja, aber zum Besten der Wissenschaft. Amundsens Sorgen gelten dem technischen Vorsprung, den Scott haben könnte. Seine Sehnsüchte hingegen sind weniger eindeutig zu benennen. „There isn’t a love waiting for you?“ fragt Scott ihn in einem imaginären Ge­ spräch (Teil 1, Szene G). „Sometimes I think there is. I hear her voice on the wind.“ Bis Hundegebell oder Warnrufe sie aus ihren Hirngespinsten heraus­ reißen oder der Wecker zum Aufstehen mahnt. Der britische Wecker allerdings hat den Transport nicht überlebt. Daraufhin wird das Grammofon umgebaut: Immer wenn eine Kerze bis zu einer bestimmten Stelle abgebrannt ist, löst sie über einen Bindfaden den Plattenspieler aus. Die Entscheidung, welche von den mitgebrachten Schellackplatten die Ehre erhalten soll, als Weckruf zu dienen, fällt aus praktischen Erwägungen. Man wählt die Platte mit der Blumen­arie aus Carmen, gesungen von Enrico Caruso. Das ist die lauteste.


Scott kennt das Ross-Schelfeis von seiner Discovery-Expedition zwischen 1901 und 1904. Sein damaliger Offizier Ernest Shackleton hatte drei Jahre später auf seiner eigenen Nimrod-Expedition die Route über den Beard­ more-Gletscher erprobt und war auf dem rund 3000 Meter über dem Mee­ resspiegel liegenden Polarplateau – der Hochebene, auf der man den Süd­ pol vermutete – bis auf rund 180 Kilometer an den Pol herangekommen. Das sind verlässliche Erfahrungswerte. Amundsen hingegen geht auch hier ein enormes Risiko ein. Zum einen hat er selbst noch nie die Antarktis bereist und muss sich bei seiner Planung auf die Berichte anderer, eigene

Berechnungen und nicht zuletzt sein Gespür verlassen. Von der Bucht der Wale aus hat noch niemand einen Vorstoß ins Landesinnere vorgenommen. Ob es an dieser Stelle überhaupt einen Zugang auf die sogenannte Eis­ barriere gibt, ist alles andere als gewiss, genauso ob die Expedition einen überwindlichen Weg auf das Polarplateau finden wird, über und durch das Transantarktische Gebirge hindurch. Das Glück bleibt Amundsen hold: Sie finden genau solch einen Zugang, einen bezwingbaren Gletscher (Amundsen benennt ihn nach seinem Förderer Axel Heibert), praktisch auf der Ideal­ linie ihrer Route, der Direttissima zum Pol.


South Pole wird zu der Zeit geplant, als Kirill Petrenko zum Generalmusik­ direktor der Bayerischen Staatsoper ernannt wird. Für ihn ist es selbst­ verständlich, sich persönlich für diese Uraufführung zu engagieren. Schon als Chefdirigent in Meiningen hat er junge Komponisten gefördert und neue Orchesterwerke in Auftrag gegeben. South Pole ist die erste Oper, die er aus der Taufe hebt – und nach Die Soldaten im Mai 2014 und Lulu genau ein Jahr später das dritte Musiktheaterwerk der Moderne, das er in München dirigiert. Als Regisseur kommt mit Hans Neuenfels ein kundiger Lotse an Bord, der beim Inszenieren ebenso zu Hause ist wie beim Schreiben. An

seiner Seite: die Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer (links) – die bei­ den kennen sich seit Jahren und haben auch ihre jüngsten Produktionen gemeinsam gestaltet –, und erstmals dabei die Bühnenbildnerin Katrin Connan (Mitte). Immer wieder gibt es lange Besprechungen in großer Run­ de, auch mit dem Komponisten, in denen nach bühnen- und klangtechni­ schen Lösungen für die verschiedenen Szenen gesucht wird, in einer ­Mischung aus dokumentarischer Exaktheit und stilisierter Über­höhung. Und je näher der Premierentermin heranrückt, desto enger wird die Ab­stimmung zwischen den Künstlern: den Geburtshelfern dieser neuen Oper.


im Zelt eng ist und die Rationen e ­ in­g eschränkt werden mussten. (Dafür hat allerdings auch ­j eder Einzelne weniger zu schleppen und benötigt entsprechend weniger Kalorien.) Bowers wird wegen seiner schnabelähnlichen Nase von seinen Kameraden „Birdie“ genannt. Und scharfe Augen hat er auch. Da ist also ein kleiner schwarzer Fleck, weit voraus, nicht mehr als ein Punkt in der unendlichen Weißheit der Eiswüste. Scott begutachtet die Entdeckung seines Leutnants. Was mag das sein? Ein Felsbrocken in der Eiswüste? Ein unbekanntes Lebewesen? Oder etwa …?

Text Malte Krasting

Leutnant Henry Bowers sichtet ihn als Erster. Bowers, den rothaarigen Schotten, nur 1,60 Meter groß, aber zäh und von unverwüstlich guter Laune, hatte Scott unbesehen und einzig auf Empfehlung seines ­ Mentors Clements Markham angeheuert. Er gehört zunächst auch nur zur Mannschaft des ­E xpeditionsschiffes Terra Nova. Aber dann hat Scott ihn doch in der Antarktis mit an Land genommen – und kurzentschlossen sogar als fünften Mann auf die letzte Etappe zum Pol. Für den Vorteil, zu fünft den Treck schneller voranzubringen und einen erfahrenen Navigator ­d abeizuhaben, hat er in Kauf genommen, dass es


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Burgfriede in der Antarktis? Unter der Oberfläche des Antarktis-Vertrags ­verfolgen heute 29 ­N­ationen Forschungs­interessen am Südpol. Die Australien-­­ Korres­pondentin Heidi Gmür b ­ erichtet aus ­Hobart.

Am Südpol Heute


Je nachdem, woher der Wind weht, kann man im Hafen von Hobart, der südlichsten Stadt Australiens auf der Insel Tasmanien, eine Prise Antarktis schnuppern. Der Südliche Ozean liegt einem zu Füßen, Abenteuer liegt in der Luft – das entschädigt für den selbst im Hochsommer bisweilen beißenden Wind. Von Hobart aus hatte Roald Amundsen im März 1912 per Telegramm den König von Norwegen informiert, dass er das Wettrennen zum Südpol gegen den Briten Robert Falcon Scott gewonnen habe; im Dezember 1911 hatte er die norwegische Flagge am südlichsten Punkt der Welt ins ewige Eis gesteckt. Nahe der Bucht, in der Amundsens Schiff „Fram“ damals ankerte, erinnert heute die Skulptur seines markanten Kopfes an das geschichtsträchtige Ereignis. Sie steht vor dem Eingang zum modernen Glas-Stahl-Gebäude der Universität von Tasmanien, das sowohl das Institute for Marine and Antarctic Science (IMAS) wie das Antarctic Climate and Ecosystems Cooperative Research Centre (ACE CRC) beherbergt. Tony Press sitzt in der Kantine, zweite Etage, der Blick geht über den Hafen, wo der rostrote australische Eisbrecher „Aurora Australis“ ankert, der für die nächste Expedition in die Antarktis fit gemacht wird. Press ist ein alter Hase im Geschäft. Er ist außerordentlicher Professor am ACE CRC, viele Jahre hat er das Zentrum geführt, war davor zehn Jahre lang Direktor der Antarktis-Division der australischen Regierung und zuletzt Autor von deren Antarktis-Plan für die nächsten 20 Jahre, der 2014 publiziert wurde. Darin hatte Press die strategische Bedeutung der Antarktis für Australien unterstrichen und die Exekutive aufgefordert, mehr in die Präsenz des Landes auf dem Weißen Kontinent zu investieren. Dazu gehöre auch, sagt er und zeigt in die Richtung der „Aurora Australis“, ein neuer Eisbrecher – denn „gute Forschung ist die Währung, mit der man sich in der Antarktis Einfluss sichert“. Und die Welt steht nicht still: Länder wie China, aber auch Indien oder Südkorea haben in den vergangenen Jahren

wissenschaftlich „aufgerüstet“. Während Australien drei Forschungsstationen in der Antarktis unterhält, plant etwa China bereits seine fünfte Basis – es wäre seine dritte neue Station in nur fünf Jahren. Damit wandelt sich das Reich der Mitte laut Anne-Marie Brady, Antarktis-Expertin an der Canterbury Universität in Neuseeland, von einem einst unbedeutenden zu einem führenden Mitspieler in der Antarktis, und das innerhalb von weniger als zehn Jahren. Insgesamt verfolgen heute 29 Nationen bedeutende – und außerordentlich kostspielige – Forschungsaktivitäten in der Antarktis. Diese multinationale Präsenz erklärt sich nicht ausschließlich mit hehrem wissenschaftlichen Er­ kenntnisinteresse. Es geht auch um ­Gebietsansprüche. Und es geht um den potenziellen Zugang zu Ressourcen. Mit abenteuerlichen Expeditionen wie jenen von Amundsen und Scott hatten mehrere Länder versucht, sich frühzeitig Rechte am letzten unentdeckten Kontinent zu sichern. Von 1908 bis 1943 erhoben nach und nach insgesamt sieben Nationen territoriale Ansprüche. Seither macht Australien mit 42 Prozent der Fläche das größte Stück des Kuchens geltend, dazu kommt je ein Stück für Norwegen, Großbritannien, Neuseeland, Frankreich, Chile und Argentinien. Die einzelnen Nationen berufen sich dabei unter anderem auf Erstentdeckungen, während Chile und Argentinien ihr Hoheitsrecht von einer päpstlichen Bulle (Urkunde) aus dem 15. Jahrhundert ableiten. Die Ansprüche überlappen sich jedoch teilweise und werden jeweils von den meisten anderen Nationen bestritten. So behalten sich etwa auch die USA und Russland ihr jeweiliges Recht auf hoheitliche Ansprüche am Südpol explizit vor. Vor diesem Hintergrund stieg im Kalten Krieg die Sorge, dass die Antarktis zum Spielball geopolitischer Interessen werden könnte. Bereits ab 1948 trachteten daher die USA nach einer Art Stabilitätspakt. 1958 brachten sie schließlich alle zwölf Staaten, die damals bereits in der Antarktis forschend aktiv waren, an einen Tisch. Neben den USA selbst und

den sieben erwähnten Staaten waren dies die damalige Sowjetunion, Japan, Südafrika und Belgien. 1959 einigte man sich auf den Antarktis-Vertrag für das gesamte Gebiet südlich des 60. Breitengrades. „Es liegt im Interesse der ganzen Menschheit“, hielten die Vertragsparteien in der Präambel fest, „die Antarktis für alle Zeiten ausschließlich für friedliche Zwecke zu nutzen und nicht zum Schauplatz oder Gegenstand internationaler Zwietracht werden zu lassen“. Mit diesem wegweisenden Friedensvertrag wurden jegliche Gebietsansprüche auf Eis gelegt, militärische Manöver und Nukleartests verboten und Kooperation sowie Freiheit wissenschaftlicher Forschung festgeschrieben. Allerdings tauchten bereits in den 1970er Jahren neue Fragen auf. Territorialen Expansionsgelüsten hatte der Vertrag zwar erfolgreich einen Riegel vorgeschoben, nun aber lockten plötzlich die verborgenen Schätze der Antarktis, zumal unter den massiven Eisschichten unter anderem bedeutende Vorkommen an Eisenerz vermutet werden, und in den Tiefen des Eismeeres wertvolle Öl- und Gasfelder. Die kontroverse Frage der Ausbeutung dieser Ressourcen weckte das Interesse weiterer Nationen am Südpol; auch Deutschland, Österreich und die Schweiz schlossen sich in jener Zeit dem Antarktis-­Vertrag an. Es folgten jahrelange schwierige Verhandlungen, bevor 1988 eine Konvention vorlag, die der Rohstoffausbeutung zwar einen äußerst engen Rahmen gesetzt, sie aber grundsätzlich zugelassen hätte. Umweltorganisationen wie Greenpeace und WWF bauten mit Protestaktionen öffentlichen Druck auf, bis Australien und Frankreich schließlich nachgaben und aus dem Konsens ausscherten. Zusammen mit Neuseeland, Italien und Belgien forderten sie nunmehr ein explizites Verbot jeglicher Rohstoffförderung – und sie setzten sich durch. 1991 verabschiedeten die Vertragsparteien in Madrid das „Protocol on Environmental Protection“, 1998 trat es in Kraft.

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Das Vertragssystem hat zugleich einen neuen Antrieb für die Forschung in der Antarktis geschaffen. Denn stimmberechtigt ist nur, wer in der Antarktis ­signifikante Forschungsaktivitäten entfaltet hat – heute sind dies 29 der insgesamt 53 Signatarstaaten. Das erklärt, warum Forschung als antarktische Währung bezeichnet wird. Oder, wie es der russische Minister für Umwelt und Rohstoffe Sergei Donskoy laut lokalen ­Medien im Januar 2015 formuliert hat: „Wissenschaftliche Forschung in der Antarktis ist das hauptsächliche Instrument, um Russlands geopolitische Interessen auf dem Kontinent zu sichern.“

Weder der Antarktis-Vertrag noch das Madrider Protokoll haben ein Verfallsdatum. Theoretisch besteht zwar die Möglichkeit zur Revision, beim Vertrag braucht es dafür allerdings den Konsens der stimmberechtigten Mitglieder. Derweil kann das Verbot der Rohstoffausbeutung auf Antrag eines Mitgliedstaates erstmals im Jahr 2048 überprüft werden; für eine Änderung der Bestimmung braucht es jedoch mindestens eine Dreiviertelmehrheit. Die Situation unterscheidet sich damit klar von jener in der Arktis, wo es kein dem Antarktis-Vertrag vergleichbares Abkommen gibt. Der Klimawandel lässt das nördliche Eismeer schmelzen – und mit der besseren Zugänglichkeit hat der Wettlauf um die dort schlummernden Rohstoffe bereits begonnen. Dabei machen die fünf Anrainerstaaten, allen voran Russland, einen privilegierten Anspruch auf die Ressourcen geltend, der von anderen Nationen allerdings bestritten wird. Die Frage ist, ob der bisherige Burgfriede in der Antarktis mit aufkeimenden geopolitischen Spannungen und der Verknappung der Ressourcen zunehmend brüchig werden könnte. Vor allem Chinas Ambitionen in der Antarktis scheinen immer wieder Argwohn zu wecken. Antarktis-Forscherin Brady machte unlängst geltend, „dass chinesische Dokumente das Interesse des Landes an antarktischen Mineralien sehr, sehr klar machten“. Andernorts hielt sie indes auch fest, dass Chinas Interessen und Perspektiven in der Antarktis mit jenen der USA und Russlands vergleichbar seien; das eröffne Chancen für Partnerschaften, berge aber zugleich das Potenzial für Interessenkonflikte. Tony Press vom ACE CRC sieht das alles deutlich entspannter. „Die Welt müsste sich schon sehr verändern, damit das Verbot der Rohstoffausbeutung fällt“, glaubt er. Dagegen spricht aus seiner Sicht nicht nur das solide Vertragswerk. Die physischen und ökonomischen Hürden seien ebenfalls sehr hoch – und daran werde im Falle der Antarktis auch der Klimawandel so schnell nichts ändern.

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Das Foto auf Seite 60 zeigt die Amundsen-Scott-Südpolstation in der Antarktis, aufgenommen von einer in der Nähe installierten Webcam der US-amerikanischen Forschungsstation.

Gute Forschung gilt als antark­ tische Währung. Der Grund: ­„Signifikante Forschungs-­­ akti­vitäten“ ­verleihen Stimmberech­ tigung im Antarktis­-Vertrag.

Eine Zwischenposition nimmt Alan Hemmings ein, der wie Brady an der Universität von Canterbury forscht. Er glaubt, dass das Verbot der Rohstoffausbeutung dereinst tatsächlich unter Druck geraten könnte, aber mitnichten nur vonseiten Chinas. Generell habe sich die Welt gewandelt, hätten sich zum einstigen „Club westlicher Staaten“ aufstrebende Nationen gesellt, die mit zunehmendem Selbstvertrauen ihre Interessen verträten. Das mache die Konsensfindung zwangsläufig schwieriger, umso mehr vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen. Einen Vorgeschmack darauf bieten in seinen Augen die Verhandlungen über die Errichtung zweier Meeresschutzgebiete im fischreichen Südlichen Ozean, die im Oktober bereits zum fünften Mal scheiterten, vor allem am Widerstand Russlands. Besorgt um den Schutz des einzigartigen Kontinents ist auch Greenpeace. In der Theorie sei der Vertrag an sich durchaus solide, sagt dessen Vertreterin Maritza Schäfer. Der globale Kontext habe sich seither aber derart stark verändert, dass seine Implementierung nicht mehr sichergestellt sei. Insbesondere sei der Einfluss der Privatwirtschaft auf die Regierungen weltweit gestiegen – „und falls in der Antarktis dereinst ein Profit gemacht werden ­ kann“, sagt sie, „dann wird er zweifelsohne auch gemacht werden.“ Daher plädiert sie für eine Stärkung des Vertragswerks, bevor es allenfalls zu spät ist. Unter Druck kommen könnte freilich auch die Forschung. Diese profitiert dank des wissenschaftlichen Wettrüstens zwar von zusätzlichen Mitteln. Hemmings schließt aber nicht aus, dass sich zunehmende kommerzielle Interessen künftig auch in der Art der durchgeführten Forschung spiegeln könnten. Ohnehin wünschte er sich eine stärkere wissenschaftliche Kollaboration zwischen den Nationen als bisher. „Warum“, fragt er, „haben wir eine ­ ­Internationale Raumstation, aber nichts dergleichen in der Antarktis?“

Mehr über die Autorin auf S. 8


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Ehrliche Lautsprecher


Eine Frage der Ehre

Themenkonzerte der Bayerischen Staatsoper


Die Themenkonzerte der Bayerischen Staatsoper bestehen auch in dieser Spielzeit aus der ganz besonderen Mischung: Musik an spektakulären Orten, Vorträge jenseits ausgetretener Pfade. Die Historikerin Ute Frevert spricht in d ­ iesem Rahmen über die Motive von Robert Scott und Roald Amundsen. Für MAX JOSEPH beantwortete sie einige Fragen vorab. MAX JOSEPH Frau Professor Frevert, Sie erforschen die Geschichte der Gefühle. Gefühle gehören doch zum Subjektivsten überhaupt. Wie treffen Sie darüber gültige Aussagen? UTE FREVERT Wir sind ja Historiker und keine Neurowissenschaftler. Die Objekte unserer Begierde sind schon längst unter der Erde. Wir können sie nicht mehr befragen oder in den Gehirnscanner schieben. Wir haben es mit Texten, Bildern oder Tonaufnahmen zu tun, die uns Hinweise auf Gefühle und Stimmungen geben. Wir gehen allerdings nicht davon aus, dass die Gefühle das Innerste und Subjektivste überhaupt sind: In erster Linie sind sie Kommunikationsmedium. Um zwischenmenschliche Verständigung über Gefühle herzustellen, müssen sie sichtbar und verstehbar sein. Wir merken in allen möglichen Situationen, dass wir über Gefühle und deren Ausdruck – unsere Mimik, unsere Körperhaltung, unsere schwitzenden Hände – unglaublich viele Informationen über uns vermitteln. Es gibt eine Sprache der Gefühle, an der Generationen von Menschen gefeilt haben. Wir versuchen jetzt, diese Sprache zu entschlüsseln und in ihrem historischen Wandel zu erklären. MJ Eine solche Sprache wird sich vermutlich im Laufe der Zeit stark verändern. UF Sie ändert sich eher graduell und langsam. Kulturphänomene sind meist von langer Dauer. Bevor wir bestimmte Sprech- und Fühlweisen ablegen, muss einiges passieren. Manchmal geschehen aber auch dramatische, schnelle Umbrüche. Ein Beispiel dafür waren die neuen sozialen Bewegungen der 1960er und -70er Jahre. Sie haben großen Wert ­darauf gelegt, eine andere Sprache der Gefühle zu entwickeln, Gefühle zuzulassen – bis zu dem Punkt, dass fast permanent über sie gesprochen wurde. „Wie fühlst du dich?“ ist eine Frage, die man in den 1950er Jahren nicht ­gestellt hätte, die aber seit den 1980ern zum selbstverständlichen Umgangston bei uns gehört. Auch dadurch hat sich unser Gefühlswortschatz massiv geändert. MJ Dann unternehmen wir jetzt eine Zeitreise zu Scott und Amundsen. Welche Gefühle haben diese beiden dazu bewegt, diese Strapazen auf sich zu nehmen? Wie kommen Sie den beiden auf die Spur? UF Historiker lesen Texte wie Tagebücher oder Briefe und gleichen sie mit anderen Quellen ab. Bei der Lektüre prüfen wir, ob sich im Laufe der Zeit etwas ändert, beispielsweise zwischen dem, was ein Amundsen vor seiner Expedition dem besten Freund anvertraut, und dem, was er hinterher den Radiosendern in Australien erzählt. Etwa über seine Motivation, diese Expedition zu unternehmen. Warum stellten sich Menschen – genauer: Männer – damals unter

in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft

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„Marathonläufern und Ironman-Teilnehmern geht es darum, sich selber als Hochleistungsathleten zu beweisen und zu vermarkten. Die Forschungsreisenden damals, die ebenfalls körperliche und psychische Höchstleistungen erbrachten, orientierten sich an der Ehre der Nation.“ 66 – Ute Frevert, Historikerin Vorstellungsankündigung


Die Bilder auf diesen Seiten entstanden im Windkanal des Aerodynamischen ­Versuchszentrums der BMW Group in München. Der Windkanal dient dazu, die aerodynamischen ­Eigenschaften von Fahrzeugen im ­Hinblick auf Luftwider­ stand und Fahrstabilität zu testen. Das Zentrum wurde 2009 in Betrieb ­genommen und gilt als eine der moderns­ ten Einrichtungen seiner Art weltweit. ­ Bedingt durch seine spezielle Auslegung und die integrierte Bodensimulation ­verfügt der Kanal über eine sehr hohe ­Realitätsnähe im Vergleich zum Realbe­ trieb auf der Straße. Die maximale Wind­ geschwindigkeit beträgt 300 km/h. Wer in dieser Räumlichkeit gern einmal Musikern des Bayerischen Staatsorchesters lauschen würde, hat Glück: Am 23. Januar findet hier das 5. und für diese Spielzeit letzte Themenkonzert der beliebten Reihe statt.

­ ufbietung ihrer letzten Reserven und im Angesicht von A Todesgefahr solche Aufgaben? Was bot ihre Gesellschaft für Anreize, Angst und Unsicherheit zu überwinden und anderen Gefühlen wie Stolz oder Ehrgeiz Raum zu geben? Einer der Hauptanreize war zweifellos das Motiv nationaler Ehre. Man wollte die Ehre des eigenen Landes mehren, und dadurch mehrte man selbstverständlich auch seine eigene Ehre. MJ Wenn Ehre ein Gefühl war, das in der Gesellschaft damals als Antrieb gewirkt hat, was haben dann Frauen gemacht, um Ehre zu erlangen? UF Sie mussten Ehre nicht erlangen, sondern bewahren, indem sie ihre „Keuschheit“, ihre sexuelle Integrität schützten. Männer dagegen mussten ihren Mut, ihre Tatkraft, ihre Entschiedenheit, ihre Unbeugsamkeit unter Beweis stellen, um Ehre zu erwerben. Sie mussten der Welt zeigen, dass sie keine Feiglinge waren, sondern potenzielle Helden. Der Held, das kennen wir bereits aus der Antike, lässt sich von keiner Gefahr abschrecken und handelt notfalls auch gegen seinen Überlebenswillen. Und er handelt, das ist um 1900 ganz wichtig, nicht im eigenen Interesse, sondern für etwas Größeres. Zu Scotts und Amundsens Zeiten hieß dieses Größere „Nation“. MJ Und eine Frau konnte nur zur Heldin werden, indem sie sich als Krankenschwester in einem Lazarett für die Nation aufopferte? UF Interessanterweise machte sie selbst das noch nicht zur Heldin. Es fehlte ihr der aktive, vorwärtsstürmende Gestus, und der war ausschließlich Männern vorbehalten. MJ Da hat sich doch bis heute viel verändert … UF Meinen Sie wirklich? MJ Ist nicht auch die Heldenfigur von einer wachsenden Sensibilisierung oder dem Hineinfluten der Gefühle erfasst? Oder ist das Heldenbild in Stein gemeißelt? UF Schwierige Frage. Einerseits könnte man sagen, wir küren andauernd neue „Helden des Alltags“, „Helden wie wir“, wie im Titel des Romans von Thomas Brussig. Wir lieben also Helden, möchten sie aber zugleich auf unser relativ banales Niveau herabziehen. Jeder, der einem Migrantenkind bei den Schulaufgaben hilft oder der dem Ehepartner eine Niere spendet, ist ein Held, zumindest steht es so in der Zeitung. Und wir können alle zu Helden werden, wenn wir uns ähnlich kooperativ verhalten. Andererseits schwingt in dieser Banalisierung des Heldischen doch noch etwas Unabgegoltenes mit, eine Erinnerung an die „echten“ Helden, die wir in unseren Jugendbüchern kennengelernt haben. Sie haben ihren Heldenstatus nicht durch alltägliches Handeln erworben, sondern dadurch, dass sie für eine bestimmte Wertidee durchs Feuer gegangen sind, ohne Rücksicht auf Leib und Leben. Von dieser Aura des Heldischen – die auch im Film immer wieder reproduziert wird – lebt und profitiert der Begriff des Helden bis heute, selbst dort, wo er, in durchsichtiger politisch-pädagogischer Absicht, „normalisiert“ wird. MJ Wer könnten Scott und Amundsen heute sein? Wie würden Sie etwa Extremsportler einordnen, und die Tendenz, dass viele Menschen sich im Breitensport extremen Erfahrungen aussetzen? Hier ist sicher weniger die Erlangung von Ehre der Antrieb, wohl aber setzen auch sie ihr Leben aufs Spiel.

Fotografie Gerhardt Kellermann

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Das Interview führten Maria März und Malte Krasting.

Veranstaltungstermine (nach Erscheinen):

3. Themenkonzert Vortrag: Vermessung von Treibhaus­ gasen in der Atmosphäre Prof. Dr. Martin Heimann, Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena Musik von Edvard Grieg, Miroslav Srnka und Edward Elgar Mittwoch, 20. Januar 2016, 19:00 Uhr, Alpines Museum _ 4. Themenkonzert Vortrag: „To go forward and do our best for the honour of the country“: Vermessene Gefühle Prof. Dr. Ute Frevert, Max-Planck-Ins­ titut für Bildungsforschung, Berlin Musik von Edvard Grieg, Miroslav ­Srnka und Ralph Vaughan Williams Freitag, 22. Januar 2016, 19:00 Uhr, Deutsches Museum _ 5. Themenkonzert Vortrag: Materialforschung – ein Schlüssel zur Lösung von Klima- und Energieproblemen Dr. Markus Klapper, Max-Planck-­ Institut für Polymerforschung, Mainz Musik von Bohuslav Martinů, Philippe Manoury, Milan Slavicky, Ivan Fedele, Miroslav Srnka und Mátyás Seiber Samstag, 23. Januar 2016, 17:00 Uhr und 20:00 Uhr, Aerodynamik-­Windkanal der BMW Group

Foto David Ausserhofer

UF Da fehlt genau die Komponente, die für die Helden um 1900 so maßgeblich war, nämlich dass sie ihr Handeln nicht als Selbstoptimierungsstrategie sahen, wie es heutige Marathonläufer und Ironman-Teilnehmer tun. Diesen Leuten geht es in erster Linie darum, sich selber als Hochleistungsathleten zu beweisen und anschließend zu vermarkten. Die Forschungsreisenden von damals aber hatten die Vorstellung: Wenn wir das schaffen, dann sind wir die Avantgarde – eine Avantgarde, die Wege bahnt, auf denen andere folgen werden, zum Nutzen aller und besonders zur Ehre der eigenen Nation. Obwohl sie sicher auch ihre eigenen Interessen an Ruhm und Reichtum hatten, orientierten sie sich doch viel stärker an überindividuellen Zielen. Das zeitgenössische Phänomen der Selbstoptimierung war damals weit geringer ausgeprägt und lässt sich als Zeichen einer extremen Individualisierung im neoliberalen Geist deuten. MJ Und was wäre heute eine vergleichbare Forschungsexpedition? UF Auf dieser Ebene wären wohl der nächste Flug zum Mars oder die Eroberung des Weltraums die Fortsetzung dessen, was Scott und Amundsen gemacht haben. Aber solche Missionen sind ungleich stärker auf Technik und Technologie angewiesen als die vor hundert Jahren. Damals ging es in letzter Instanz um das, was der männlich-menschliche Körper aushalten konnte – und natürlich auch die Psyche. Vor allem die körperliche Dimension tritt bei heutigen „Abenteurern“ deutlich in den Hintergrund. MJ Das hieße für uns, dass wir eine solche vergleichbare Geschichte, in der Ehre, Nationalgefühl, das Überwinden von Kälte und existenziellen Bedrohungen und der Wunsch, gesellschaftliche Avantgarde zu sein, ­heute nicht mehr haben. UF Weder Astronauten noch Rennfahrer oder Bungee-Springer passen in das alte Muster. Letztere sind individuelle Akteure, Extremsportler – und motivational meilenweit entfernt von den Männern um 1900. MJ Ist heute grundsätzlich mehr Schwäche erlaubt? Hatten die Leute ­früher weniger Angst? Oder wurde das einfach nicht kommuniziert? UF Angst spielte tatsächlich im männlichen Gefühlshaushalt um 1900 keine Rolle, denn sie war die Vorstufe zur Feigheit. Das heißt nicht, dass Männer völlig angstfrei gewesen sind. Aber indem sie dem Gefühl keinen legitimen Raum geben konnten, haben sie es zugleich in sich unterdrückt und entwertet, unter Umständen sogar ganz ausgeschaltet. Heute beobachten wir eine andere Strategie: Wir sprechen andauernd über Gefühle, benennen sie und geben ihnen damit Raum. Das kann zweierlei bewirken: Es kann das Gefühl verstärken und mich noch ängstlicher machen. Es kann aber auch zu Gegenmaßnahmen führen, um die Angst einzudämmen oder zu überwinden. Wenn man ein Gefühl thematisiert, kann man es auch besser bearbeiten. Insofern ist das, was wir heute beobachten, nämlich eine viel stärkere Benennung und Thematisierung von Gefühlen, nicht nur Ausdruck von Emotionalisierung, sondern auch Bedingung von Rationalisierung. MJ Eine letzte Frage: Was ist Ihre Lieblingsoper? UF Oje – ich habe zwei: Lohengrin und Tristan und Isolde. Beide haben viel mit Helden zu tun. Wenn ich mich entscheiden muss: Lohengrin. MJ Was wäre das wichtigste Gefühl im Lohengrin? Die Hingabe? Oder das Vertrauen? UF Elsas Hingabe setzt bedingungsloses, blindes Vertrauen voraus – das, was sich Wagner immer von einer Frau gewünscht hat. „Nie sollst du mich be­ fragen“. Das Frageverbot aber installiert eine Asymmetrie, die für Vertrauen tödlich ist – und für Elsa auch.

Die Historikerin Ute Frevert ist seit 2008 Direktorin des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungs­ forschung. Dort leitet sie den ­Forschungsbereich „Geschichte der Gefühle“ und untersucht Emotionen in gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kontexten. Bis 2007 lehrte sie an der US-amerikanischen Yale University. Zuletzt veröffentlichte sie das Buch Vertrauensfragen: Eine ­Obsession der Moderne.


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Finden Sie den Weg! Vermessen Sie den Raum, um ans Ziel des 足 Labyrinths zu kommen.


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Ziel

Der Fledermaus-Code Fledermäuse orientieren sich im Dunkeln, indem sie Räume per Echoortung vermessen. Sie senden Rufe aus und bemessen anhand der zurückgeworfenen Schallwellen die Entfernungen. Das Fledermausohr kann dabei sogar Ziele unterscheiden, die nur zehn Millimeter auseinander liegen. Im Fledermausgehirn entsteht dabei ein 3-D-Bild der Umgebung. Diese beeindruckende Vermessungstechnik hat der Mensch sich bereits auf viele Weisen zunutze gemacht. In der Medizin kommt sie bei Ultraschalluntersuchungen zum Einsatz. Geologen kartografieren mittels Bodensonartechnik den Meeresgrund oder durchforschen die Erdkruste nach Ölfeldern. Archäologen suchen auf diese Weise nach unterirdisch verborgenen Ruinen. Einige Forscher sind mittlerweile damit beschäftigt, die Echoortung per Computeralgorithmus nachzubilden. So könnte uns vielleicht schon bald das Smartphone zu digitalen Fledermäusen machen.


Forschungsprojekt Bayerische Staatsoper Folge 10 1933 – 1963

Die Bayerische Staatsoper beauftragte in der Jubiläumsspielzeit 2013/14 ein Forschungsteam des Instituts für Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München damit, die Geschichte des Hauses von 1933 bis 1963 zu untersuchen. Auch in dieser Spielzeit berichten die Forscher in MAX JOSEPH kontinuierlich von ihrer Arbeit.

Die Opernästhetik auf Linie gebracht? In den 1930er Jahren schlug sich die NS-Ideologie auch auf die Ästhetik der Aufführungen an der Bayerischen Staatsoper nieder. Die Beeinflussung, ­angestoßen von Mitarbeitern des Hauses oder von externen Stellen, fand ­jedoch auch ihre Grenzen: Das Archivmaterial auf den folgenden Seiten belegt erfolgreiche und weniger erfolgreiche Versuche, die Münchner Opernbühne in Einklang mit der nationalsozialistischen Ideologie zu bringen.

Der Alltag und die Lebenswirklichkeit während des NS-Regimes änderten sich vor allem in den 1930er ­Jahren ästhetisch auf eine durchdringende Weise. Unübersehbar bedienten sich die Nationalsozialisten in allen Facetten ihres H ­ andelns ästhetischer Gestaltung und verleibten diese einer ausgeklügelten Propagandamaschinerie ein: Die Nürnberger Reichsparteitage ­waren als Massenchoreographie und Volksgemeinschafts-Erlebnis konzipiert, was die Monumentalarchitektur und insbesondere der Lichtdom von Albert Speer ästhetisch überhöhten. Individuum blieb dabei allein Adolf Hitler, indem er als unangefochtene Führer- und Erlöserfigur herausgehoben in Szene gesetzt wurde. Hakenkreuzflaggen fungierten allgegenwärtig als Emblem. Das leitende Körperbild ­ ­verdichtete sich in den sportlichen und gestählten Idealkörpern der Olympia-Bilderwelt von Leni Riefenstahl. NS-Rituale wie die Blutfahne oder Gedenkfeiern zum­ 9. November 1923 hatten vor allem in München, der „Hauptstadt der Bewegung“, einen Fluchtpunkt, indem das Scheitern des Marsches auf die Feldherrenhalle in eine Gründerlegende und mythische Vergangenheit umgebogen wurde. Im Vergleich zur gesamtgesellschaftlichen Ästhetisierung und Fanatisierung erscheinen politisierende und ideologisierende Eingriffe in die Bühnenästhetik

der Bayerischen Staatsoper der 1930er Jahre in vielerlei Hinsicht subtiler und weniger plakativ. Der politische Kontext war zum einen bereits durch Ehrenlogen, Beflaggung oder ideologische Programmheftabdrucke als Rahmen g­esetzt. Zudem gefiel und zeigte sich das Regime vor allem als bewundernder und demütiger Kunstmäzen ohne direkten Eingriff auf die ästhetische Erfahrung. Die Recherchen des Forschungsprojekts Bayerische Staatsoper 1933 bis 1963 zur Aufführungsgeschichte zeigen beispielhaft Formen ideologischer Ästhetisierung auf und beleuchten die jeweiligen Hintergründe: ­Welche Elemente einer Aufführung waren besonders anfällig für eine nationalsozialistische Vereinnahmung? Von wem wurden die Eingriffe angeleitet und wie wurden sie durchgesetzt? In welchem Umfang nahm das Publikum derartige Änderungen wahr? Wie bewegten sich die Opernaufführungen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, wo positionierten sie sich zwischen Ideologietreue einerseits und dem Zugeständnis an das bewährte Standardrepertoire andererseits? Auszüge aus dem ­ Archiv­ material werfen im Folgenden aus unterschiedlichen Perspektiven Schlaglichter auf den Staatsopernbetrieb der NS-Zeit.

Thomas Kuchlbauer


Kostspieliger Auftakt für die „Ära Krauss“

73 Szenenbild Aida, 1937. Regie: Rudolf Hartmann, Bühne: Ludwig Sievert, Musikalische Leitung: Clemens Krauss. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt.

Im Januar 1937 übernahm der österreichische Dirigent Clemens Krauss auf Hitlers Veranlassung hin offiziell das Amt des Generalmusikdirektors und Opernleiters der Bayerischen Staatsoper. Zwar hatte er seine Arbeit schon im Dezember 1936 aufgenommen, doch seine E ­ inführung sollte eine Renaissance der Oper in München markieren. [Vgl. hierzu MAX JOSEPH Nr. 1-2014/15, „1937 – Die Pläne der Nationalsozialisten für die Münchner Oper“]. Krauss’ Vision war es, die Oper in neuer „Glanzzeit“ mit alten Traditionen wieder aufleben zu l­assen. Sein Eintritt sollte opulent mit einer nach Vollkommenheit strebenden Aufführung gefeiert werden: mit der Premiere der Aida am 31. Januar in einer neuen Inszenierung von Rudolf Hartmann, dirigiert von Krauss selbst. Die Ankündigungen schürten höchste Erwartungen, Aida hatte schon vor der Aufführung den Anspruch, ein Großereignis zu sein. Noch elf Tage vor der Premiere verkündete die Generalintendanz, dass die Eintrittspreise um 25 Prozent angehoben würden. Tage zuvor hatten technische und künstlerische Abteilungen des Hauses Kostenvoranschläge eingereicht

und über Mangel an M ­ itarbeitern geklagt. Clemens Krauss’ Ziel des erheblichen Arbeits- und Geldaufwandes war eine „wahrhaft festliche“, prachtvolle Inszenierung, die „alles bisher Dagewesene übertreffen“ sollte. Krauss sah es als seine ­Aufgabe an, mit einer musterhaften Produktion den Maßstab für die kommenden Jahre so weit anzuheben, dass ein würdiges Ensemble mit repräsentablem Repertoire in das von Hitler geplante neue Münchner Opernhaus Einzug halten konnte. Bilder der Aida-Inszenierung zeigen eine bis zum Rand ausgereizte Bühne, die ägyptischen Gebäude und Landschaften reichen hoch und weit. Das Augenmerk liegt auf großen Massenszenen und dem Bild des Herrschers als allmächtige Zentralfigur. Auffällig ist der größtenteils mit der linken Hand ausgeführte huldigendende Gruß in Richtung des Pharaos, der stark den Hitlergruß assoziiert. Clemens Krauss’ Vision von einem „Neubeginn“ der Oper sollte mit dieser Szenerie nicht nur gefeiert, sondern auch erlebt werden. Elisabeth Hartl


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„Warum lässt sich der Librettist die Szenen mit dem Juden entgehen?“

Schreiben von Ludwig Schrott, Gauobmann der NS-Kulturgemeinde, Gaudienststelle München Oberbayern an die Operndirektion der Bayerischen Staatstheater, 10. April 1937. Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Intendanz Bayerische Staatsoper Nr. 1340 (Die Zaubergeige).

(…)

Georg Hann als Guldensack, 1937. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt.

Dieses Rechtfertigungsschreiben an die Operndirektion verfasste Ludwig Schrott, Gauobmann der NS-Kulturgemeinde, ­einer staatlichen Organisation, welche der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ untergeordnet war. Diese überwachte beispielsweise die NS-nahe Ausrichtung der Spielpläne und bestimmte zugleich die Auslastung und den finanziellen Erfolg einer Produktion durch organisierte Theater­besuche mit. Das Schreiben des Obmannes der einflussreichen Organisation legt eine, wenn auch indirekte, ideologisch-ästhetische Einflussnahme eines NS-Verbands nahe: In der Spielzeit 1936/37 wurde Werner Egks Oper Die Zaubergeige nur fünfmal aufgeführt, bei den Festspielen und in der folgenden Spielzeit 1937/38 gar nicht mehr. Die Übereinstimmung mit der NS-Ideologie erschien Schrott sowohl in der Partitur als auch in der Inszenierung an der ­Bayerischen Staatsoper offenbar nicht e ­ rkenntlich oder plakativ genug. So kritisierte er am Libretto, dass die antisemitische Grundhaltung der Oper, welche auf einer Marionetten-

komödie von Franz Graf von Pocci basiert, eingedämmt worden sei. Entgegen den Aussagen Schrotts lässt sich der antisemitische Grundton der Oper durchaus belegen. So wurde der Name der Figur Mauschel zu Guldensack geändert, zudem war die negative Charakterisierung der Figur durch stupide musikalische Elemente oder durch ihr Kostüm offensichtlich. Gerade Letzteres befeuerte das NS-Judenfeindbild, da dieses antisemitische und historisierende Elemente verband und daher als überzeitlich gültig wirkte. Die Musik sah Schrott als zufällige Vermischung mehrerer Stile, obwohl diese die unterschiedlichen Figuren und Atmosphären konform zur NS-Ideologie und damit auch in Schrotts Sinne charakterisieren: So treten beispielsweise oberbayerische Melodien bei der dem NS-Frauenbild entsprechenden Gretl auf, während ihre Gegenspielerin Ninabella artifiziell im Stil des Neoklassizismus eines Strawinsky gestaltet ist. Thomas Kuchlbauer


Inszenierung auch jenseits der Bühne

75 Ehrenjungfrauen bei Tristan und Isolde. Foto von Heinrich Stahl im Illustrierten Beobachter, ohne Datum. Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Intendanz Bayerische Staatsoper Nr. 1271.

Mit einer Festvorstellung von Richard Wagners Musikdrama Tristan und Isolde wurde am 18. Juli 1937 im ­Nationaltheater der „Tag der Deutschen Kunst“ in München eröffnet. Oskar Walleck, von 1934 bis 1938 amtierender Generalintendant der Bayerischen Staatstheater, verantwortete die Inszenierung. Das nationalsozialisti­ sche Regime beabsichtigte offensichtlich, mithilfe der pompösen Inszenierung seinen Anspruch der proklamierten Neuschaffung einer „deutschen Kunst“ vor festlichem Publikum und der Presse zu untermauern. Tristan und Isolde diente in diesem Unterfangen als Vehikel: Die ­Geschichtsträchtigkeit der Oper – seit der Uraufführung im Jahr 1865 am Königlichen Hof- und Nationaltheater war sie eine Konstante im Münchner Spielplan – eignete sich besonders gut zur Manifestation einer „deutschen“

Ästhetik, sogar einer „Verdeutschung der Kunst“. Nicht die Opernbühne allein wurde inszeniert; die prachtvolle Ausstattung der Produktion spiegelte sich in dem ebenso aufwendig in Szene gesetzten Zuschauerraum und im ­Foyer wider, Kunst und Politik verschmolzen. Die stetige Überhöhung war Prinzip: Das Foto von Heinrich Stahl zeigt Statistinnen in griechischen Togen und mit stili­ sierter Frisur auf einer Treppe im Foyer, sie sollten atmosphärische Dichte garantieren. Die Bildunterschrift ­lautet: „Anmut und Grazie beherrschen das Bild. Ehrenjungfrauen, die zur Begrüßung der Festgäste in künstle­ rischen Kostümen Vorräumen und Aufgängen ein lieb­ liches Bild verleihen, gönnen sich eine Ruhepause.“ Heilwig Schwarz-Schütte


Eine Änderung der Zauberflöte: Abgelehnt Schreiben von Oskar Walleck, Generalintendant der Bayerischen ­Staatstheater, an den Dramaturgen Dr. Wolfgang Freiherr von ­Gersdorff vom 9. März 1936. Quelle: Bayerisches Hauptstaats­archiv, ­Intendanz Bayerische Staatsoper, Sachakt 1339 (Die Zauberflöte).

Im November 1937 inszenierte Rudolf Hartmann Die Zauberflöte an der Bayerischen Staatsoper unter der musikalischen Leitung von Clemens Krauss und in einem Bühnenbild Ludwig Sieverts. Die Produktion war von Kritikern im In- und Ausland geradezu eingefordert ­worden: Die Bayerische Staatsoper hatte in den Jahren unmittelbar vor Krauss’ Amtsantritt den Vorwurf hinnehmen müssen, dass ihre Mozartpflege auf ein niedriges ­Niveau gesunken sei − mit Clemens Krauss sollte nun das Image der Staatsoper und der Stadt München als Kulturstadt zu neuen Höhen geführt werden. Wolfgang Freiherr von Gersdorff arbeitete als Dramaturg in Berlin, er verfasste theaterhistorische Schriften sowie Romane und Theaterstücke. Er bearbeitete das Schikaneder’sche ­Libretto der Zauberflöte offenbar in eigener Initiative und bot die Fassung vermutlich verschiedenen Theatern an. Wallecks Ablehnung war durchaus im Sinne Hitlers: So ist von Augenzeugen überliefert, dass Hitler, als ihm ein ideologisch beflissener Textdichter als Alternative zu dem „angeblich jüdischem Geist entsprungenen Schikaneder-­ Text“ einen neuen, „arischen“ Text der Zauberflöte vorlegte, diesen mit dem Kommentar zurückwies, „er habe

nicht die Absicht, sich vor der Welt lächerlich zu machen“ (vgl. Brigitte ­Hamann, 2001: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators). In seiner Rede auf dem Nürnberger Reichsparteitag 1937 verkündete Hitler in Bezug auf die freimaurerischen Züge der Oper: „Nur ein national respektloser Mann wird Mozarts Zauberflöte verurteilen, weil sie vielleicht im Text weltanschaulich seinen Auffassungen entgegensteht. […] Das große Kunstwerk trägt einen absoluten Wert in sich.“ (aus dem offiziellen Bericht der ­NSDAP über den Verlauf des Reichsparteitags 1937). Bei den Szenenbildern von Hartmanns Zauberflöte 1937 fällt – ähnlich wie bei der hier vorgestellten Aida-­ Inszenierung – auf, dass die Chorsänger mehrheitlich den linken Arm zum Gruß erheben. Die Parallele zum Hitlergruß in Optik und Attitüde ist augenfällig, jedoch finden sich keine Hinweise darauf, ob dieser modifizierte „deutsche Gruß“ auf der Bühne jeweils eine inszenatorische Einzelentscheidung oder eine betont linientreue „Spezialität“ von Hartmann war, oder ob er etwa generell um 1937 zum szenischen Repertoire auf der Theaterbühne gehörte. Manuel Kröger


77 Szenenbild Die Zauberflöte. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt

Szenenbild Die Zauberflöte. Quelle: Deutsches Theatermuseum München, Archiv Hanns Holdt


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Die Neuübersetzung von Don Carlos

Aus dem Fränkischen Volksblatt, 11. Dezember 1937 (ohne Titel, ohne Verfasser).

„Wenn wir Verdis Oper „Don Carlos“ […] gerecht beurteilen wollen, d ­ ürfen wir sie nicht als Vertonung der ­Schillerschen Tragödie betrachten. Wohl hat die Verehrung, die Verdi dem deutschen Dichter entgegenbrachte, den Anstoß zu diesem drittletzten Opernwerke des italienischen Meisters gegeben. […] Aber den Textverfassern der Opern Verdis lag es fern, den Geist und die Dramatik des deutschen Dichters ins ­Italienische zu übersetzen. Sie schufen mit handwerklichem Zugriff daraus Libretti nach ihrem Geschmack, und die Mängel ihrer Textbearbeitungen, die natürlich in Deutschland weit empfindlicher störten als in Italien, sind der Grund, warum die „Schiller-Opern“ Verdis an den deutschen Bühnen bis heute weit weniger Fuß fassen konnten, als an italienischen. Ein nicht genannter Bearbeiter hat sich nun bemüht, für die Münchner Aufführung einen vom italienischen Beiwerk wie den Unbeholfenheiten der alten ­Ricordi-Übersetzung gereinigten Text herzustellen. […] Im großen und ganzen kann man mit dem neuen Textbuch zufrieden sein, namentlich in Hinsicht der sprachlichen Natur und gesanglichen Treffsicherheit. Auch der neue Schluß des Dramas ist zu billigen: Don Carlos ersticht sich, statt wie (bei Ricordi) durch den Geist Karls V. in das Kloster St. Just entführt zu werden (!).“

Quelle: BayHstA, Intendanz der Bayer. Staatsoper, Sachakt Nr. 784, Umschlag „Pressenotizen“

Nach der Don-Carlos-Premiere an der Bayerischen Staatsoper am 4. Dezember 1937 kommentierten die Presse­kritiken besonders ausführlich die neu angefertigte ­Libretto-Fassung. Zur NS-Zeit wurde überwiegend die vieraktige italienische Fassung der Verdi-Oper gespielt, deren starke Kürzungen gegenüber der fünfaktigen französischen Originalversion oft bemängelt wurden. Da Clemens Krauss die gängige deutschsprachige Textfas­ sung als inadäquat empfand, beauftragte er Hans Swarowsky, Kapellmeister an der Zürcher Oper, mit einer Neuübersetzung des italienischen Librettos ins Deutsche. Mit welcher Zielsetzung die neue Übersetzung in Auftrag gegeben wurde, geht aus den Dokumenten nicht direkt hervor. Die Reaktionen der Presse in den Premierenkritiken ­deuten jedoch darauf hin, dass dieses Vorhaben mit der Begründung gehandelt wurde, man wolle Verdis künstlerische Intention der ursprünglichen französischen, ­fünfaktigen Fassung auch für die vieraktige Fassung rekonstruieren, da diese angeblich durch ein mittelmäßiges Libretto und eine schlechte Übersetzung getrübt worden war. Mit der neuen deutschen Übersetzung sollte

vermeintlich auch eine Annäherung an die originale Dramenvorlage von Friedrich Schiller verbunden sein, den man als deutschen Dichter für die NS-Ideologie vereinnahmen wollte. Tatsächlich jedoch wurden ideologisch motivierte Änderungen am Libretto vorgenommen, die einer Rückführung zum Original entgegenstehen: Der neue Schluss der Oper, die jetzt mit Don Carlos’ Selbstmord endete, entsprach weder der ursprünglichen Fassung Verdis, noch dem Schillerschen Drama. Entgegen der erklärten Absicht, ein verlorenes Original wieder­ herzustellen, handelte es sich um eine drastische Umarbeitung. Von der Presse wurde diese jedoch positiv ­auf­genommen und als „ein neuer Don Carlos“ und eine eigentliche „Uraufführung des 1867 entstandenen Wer­ kes“ gefeiert – der offensichtliche Widerspruch kam in keiner Kritik zur Sprache. Ein Selbstmord nach römischem Vorbild als ehrenvoller Ausweg im Angesicht der sicheren Niederlage entspricht der NS-Ideologie eher als eine spirituelle Entrückung des Helden.

Rebecca Sturm

Die Verfasser der Texte sind wie in der vorangegangenen Folge Master-Studierende des Instituts für Theaterwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Texte entstanden in einer Projektübung mit Archivarbeit im Rahmen des Forschungsprojektes zur Geschichte der Bayerischen Staatsoper 1933 – 1963 unter der Leitung von Rasmus Cromme, Dominik Frank und Katrin Frühinsfeld. Scans und Reproduktionen wurden ermöglicht durch das Praxisbüro des Departments Kunstwissenschaften der LMU.


TV

Erleben Sie ausgewählte Opern- und Ballettaufführungen live und kostenlos auf www.staatsoper.de /tv

19.03.2016 GIUSEPPE VERDI –

Un ballo in maschera Zubin Mehta, Johannes Erath; mit Anja Harteros, Piotr Beczala

12.06.2016 MARIUS PETIPA / IVAN LIŠKA –

Le Corsaire Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts

26.06.2016 FROMENTAL HALÉVY – La Juive Bertrand de Billy, Calixto Bieito; mit Kristine Opolais, Roberto Alagna

31.07.2016 RICHARD WAGNER –

Die Meistersinger von Nürnberg Kirill Petrenko, David Bösch; mit Wolfgang Koch, Jonas Kaufmann

2015

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„Ich mag Verdis menschliche Sichtweise“ Er hat einen Terminkalender, der selbst hartgesottenen Geistern die Sprache verschlägt: Zubin Mehta, der in aller Welt Zuhörer durch Musik bewegt. Und doch ­findet der Maestro eine halbe Stunde nach der Generalprobe von Giuseppe Verdis Rigoletto in Florenz Zeit, um über Un ballo in maschera zu reden, eine Oper, die er – kaum zu glauben – nun in München zum ersten Mal in seiner ­Karriere szenisch dirigiert.

Zubin Mehta

MAX JOSEPH Maestro Mehta, mögen Sie den Karneval? Gehen Sie gerne auf Kostümfeste? ZUBIN MEHTA Ja, wenn es geschmackvoll gemacht ist! Wir fangen Rigoletto jetzt auch mit einer Art Karneval an, auch mit Masken. Aber wenn ich Un ballo in maschera und Rigoletto miteinander vergleiche, fällt mir auf, wie unterschiedlich diese zwei Herrscher sind. In beiden Opern hat Verdi Herrscher als Hauptfiguren genommen. Derjenige in Rigoletto ist vollkommen dekadent, ohne Moralität: Im zweiten Akt sagt er uns, dass er diese Frau nur liebt, weil er sie im Bett haben will, und im dritten Akt ist er schon mit Maddalena zusammen. Dagegen ist Riccardo in Un ballo in maschera ein wahrer Souverän, ein würdiger Mensch, der in die falsche Frau verliebt ist. Aber er gibt sie ihrem Mann zurück, und er gibt am Ende sogar sein Leben. Außerdem ist auffällig, dass Verdi Ballo sehr viel später als ­Rigoletto komponierte und in dieser Zwischenzeit sein eigenes Leben, auch moralisch, verändert hat: Er heiratet nach über zehn Jahren seine Freundin Giuseppina Strepponi, er wird auf Vorschlag des Grafen Cavour zum Staatssenator ernannt: Er wird innerlich ein anderer Mensch … MJ … und er wird zu einer öffentlichen Persönlichkeit. ZM Vielleicht sucht er einen Herrscher, der sein neues Italien regieren könnte. All diese Gedanken gehen mir durch den Kopf. MJ Verdi selbst spricht ja davon, dass er immer eine ganz spezifische „tinta“, also eine eigene Farbe, in seinen Stücken erzielen will. Können Sie diese Färbung musikalisch beschreiben? ZM Un ballo in maschera hat auf jeden Fall eine ganz eigene Atmosphäre. Das Ausladende der vorangegangen Opern, Les vêpres siciliennes und Simon Boccanegra, ist gewichen zugunsten einer großen Klarheit. Die Kontrapunkte und die Concertati, also alle Ensemblestücke, sind sehr sauber und rein, sind viel ebener und gleichmäßig temperamentvoll geschrieben. Das ist eine ganz pure Tonsprache, viel abgeklärter als der frühere Verdi. Zum Beispiel der Tod von Riccardo: Das ist nicht laut. Da stürzt nicht etwa unter Blitz und Donner der Himmel ein, sondern Riccardo stirbt ruhig und gefasst im Kreise der Gesellschaft, seinen Untertanen, „seinen Kindern“, wie er sagt. MJ Das historische Vorbild für das Drama hat sich in Schweden zugetragen. So wollte es auch Verdi ursprünglich aufführen. Auf Wunsch des Teatro San

Premiere Un ballo in maschera



„Ist Ulrica eine Manipulatorin? Es ist eher eine Manipulation von Verdi. Verdi spielt mit uns, wenn er Ulrica mit Riccardo spielen lässt.“ – Zubin Mehta

Carlo in Neapel hat der Librettist dann eine Version vorgeschlagen, die in Pommern spielt, die Zensur hat eine Fassung erstellt mit dem Florenz des frühen Mittelalters als Handlungsrahmen, und schließlich hätte Verdi das Stück fast in den Kaukasus verpflanzt, bevor er sich für Nordamerika entschieden hat. Wenn Verdi immer nach einer ganz besonderen klanglichen Atmosphäre sucht, wie kann denn das mit den geografischen Verlegungen funktionieren? ZM Er hat die Oper ja auch jeweils geändert für die verschiedenen Theater. Als sie für Neapel geplant war, hat ihm das Attentat auf Napoléon III. dazwischengefunkt, denn natürlich hätte jeder die Oper als Kommentar auf diesen Anschlag verstanden. Oder jedenfalls hat die Zensur das befürchtet. Verdi aber hat seinen Standpunkt behauptet, er wollte sich keine Änderungen aus politischen Gründen aufzwingen lassen. Das wurde zu so einem Skandal, dass Verdi dort nicht mehr auftreten durfte. Die politische Situation war eben sehr wichtig zu dieser Zeit. Dann ist er mit seinem Opernplan nach Rom gegangen. Er hat mit diesem Ballo sehr viel durchgemacht. Das, was wir aufführen, ist das Resultat einer langen Reise, die die Oper hinter sich gebracht hat. Der Regisseur ­Johannes Erath und ich haben uns nun bewusst für die Boston-Fassung entschieden. Und ich bin auch mit ihm einer Meinung, dass wir es nicht in Stockholm oder Boston spielen sollten, sondern den Schauplatz allgemein halten, so dass der Charakter der Figuren viel stärker herauskommt als die historische Geschichte eines bestimmten Ortes. MJ In Rigoletto, in Il trovatore, in Macbeth, fast ständig bei Verdis mittleren Opern kommt Übersinnliches ins Spiel, Unerklärliches geschieht, prophetische Kräfte nehmen Einfluss. Wieso scheint Verdi dies so fasziniert zu haben, obwohl er doch so ein aufgeklärter und rationaler Mensch war? ZM Er hat wahrscheinlich sehr viel dazu gelesen. Er hat sich dazu ja auch ganz bewusst die Libretti schreiben lassen. In unserem Fall war er außerdem sehr beeindruckt von Aubers Oper Gustav III. ou Le bal masqué. Das war die Vorlage zu Un ballo in maschera, von Auber für Paris auf ein Libretto von Eugène Scribe komponiert. Verdi hatte mit vielen Librettisten über dieses Stück gesprochen und nicht einfach angefangen zu komponieren, sondern sich schon im Vorfeld viele Gedanken zu der Oper gemacht. Und wie pur und durchsichtig ist dieser Text geworden! Er lässt viele Ausdrucksfacetten zu. Das, was die beiden Intriganten singen, Samuel und Tom, ist zum Beispiel auch sehr operettenhaft.

Fotografie Nicola Carignani

MJ Das Lachen ist auch eine wichtig Komponente … ZM Genau, das sind zwei Welten! Das fast karikaturistisch Überzeichnete der Verschwörer und die Reinheit der Liebe von Amelia zu Riccardo. Eigentlich passiert nichts zwischen ihnen, sie küssen sich noch nicht einmal, und Amelia hat trotzdem große Schuldgefühle. Dank ihrer Willenskraft bleibt diese Liebe platonisch. MJ … und ihre einzige Begegnung zu zweit findet bezeichnenderweise auf dem Galgenberg statt, wo die Verbrecher gehenkt werden, an einem Ort des Todes also, so ziemlich das Gegenteil eines Liebesnests. Kommen wir noch einmal zu Ulrica: Bei Auber gibt es Stellen, wo ganz deutlich wird, dass sie eine Betrügerin oder Manipulatorin ist. Bei Verdi bleibt es zumindest offen. Wie verstehen Sie diese Ulrica? Ist das wirklich eine Frau mit seherischen Gaben? ZM Es ist eher eine Manipulation von Verdi. Verdi spielt mit uns, wenn er Ulrica mit Riccardo spielen lässt. Sie warnt Riccardo vor der Gefahr, in der er sich befindet, sie sagt ihm voraus, von der Hand eines Freundes umgebracht zu werden, aber er nimmt sie nicht ernst – und wir sehen ihm dabei zu und ahnen, dass es schlimm enden wird. Vielleicht ist es ein Hinweis, eine Warnung an uns. Ulrica könnte aber auch Riccardos innere Stimme sein, die ihm sagt: „Das wird dein Tod sein.“ MJ Spielt Übersinnliches oder Metaphysik denn in Ihrem persönlichen Leben eine Rolle? Hatten Sie solche Erlebnisse, dass Ihnen jemand etwas vorausgesagt hat oder Sie etwas geahnt haben? ZM Nein. Ich verstehe diese Werke auch auf einer anderen Ebene. Ich mag Verdis menschliche Sichtweise. Jeder von uns kann wohl Riccardos Liebe zu einer Frau nachvollziehen, die er nicht haben darf, aber ich habe großen Respekt davor, dass er diese Frau in einer noblen Weise aufgibt. Den Duca di Mantova in Rigoletto verstehe ich da weniger. MJ Der bleibt auch am Leben! ZM Genau, er bleibt am Leben, und wir haben wenig Zweifel, dass er am nächsten Tag weiterschnackselt, ob mit Maddalena oder wem auch immer. Alle Figuren sind noch da, nur der Kanarien­ vogel im Goldenen Käfig stirbt. Gilda opfert bewusst ihr Leben. MJ Sie spielen ja Musik aus unterschiedlichen Epochen, Sie haben die großen Werke des Repertoires gestaltet, aber auch viele Uraufführungen dirigiert und in Auftrag gegeben. Können Sie mit Ihrer Erfahrung sagen, was gute Musik ist? ZM Von Afrika über Indien bis China findet man überall gute Musik – wenn sie von Herzen kommt. Sei es Rock’n’Roll oder

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auch Rap zum Beispiel. Rap hat damit angefangen, dass die schwarze Bevölkerung ihr Leiden in Harlem und an ähnlichen Orten zum Ausdruck gebracht hat. Diese Menschen haben geweint, und daraus ist der Ausdruck ihrer Musik entstanden. Später erst hat das durch die Kommerzialisierung nach und nach diese Bedeutung verloren. Aber erst durch dieses Leiden entsteht auch Musik. Kein Zweifel! Ob es sich um Ibsen, ­Shakespeare oder das indische Epos Mahabharata handelt, dort gehen die Emotionen immer auf und ab, die großen Geschichten sind alle voller Krieg und tragischer Liebe. MJ Sie haben Ihr ganzes Leben ja nicht nur der Musik, sondern auch der Überzeugung gewidmet, dass man mit Musik Völker und Religionen verbinden kann. Glauben Sie immer noch daran? ZM Unbedingt! Ich mache es nur leider nicht genug. Leider habe ich nicht so viel Zeit dafür, aber ich tue, was ich kann. Das Bayerische Staatsorchester und ich, wir sind zum Beispiel nach Kaschmir gefahren und haben dort gespielt. Ich glaube, das hat viel Gutes in Gang gesetzt. MJ Als Ihre Zeit als Generalmusikdirektor hier an der Bayerischen Staatsoper zu Ende ging, haben Sie Schönbergs einzige Oper Moses und Aron als Finale ausgewählt. Jetzt kommen Sie für ein Akademiekonzert mit Schönbergs Gurre-Liedern wieder. Zwei absolute Gipfelwerke ihrer jeweiligen Gattung, aber vollkommen verschieden – man würde kaum auf den Gedanken kommen, dass sie vom selben Komponisten sind. Was verbindet diese beiden Stücke? ZM Die Gurre-Lieder sind für mich der jüngere Bruder von ­Tristan und Isolde. Nach einer Aufführung der Gurre-Lieder kann ich wirklich nicht einschlafen, genauso wie bei Tristan und Isolde. Diese sphärischen Motive lassen mich einfach nicht los. Nach einem Rigoletto schlafe ich immer gut … MJ Und nach Moses und Aron? ZM Ich wünschte, ich könnte Moses und Aron so souverän dirigieren wie die Gurre-Lieder, aber das kann ich noch nicht. In Moses und Aron kämpfe ich bei jeder Szene und bin ganz auf das Technische konzentriert, damit alle Orchesterstimmen hörbar sind, damit die Musik in Balance mit der Bühne bleibt, damit die Sänger durchkommen … Ich habe einmal Poèmes pour Mi von Olivier Messiaen mit einer Sopranistin in Montreal gemacht. Das Stück ist für das Orchester sehr schwergewichtig geschrieben, und die Sopranistin – die sehr gut war! – hatte Schwierigkeiten, sich mit ihrer Stimme gegen den Orchesterklang zu behaupten. Da hat Messiaen schließlich gesagt: „Gib ihr doch ein Mikrofon!“ – damit das Orchester endlich spielen und sie singen kann und keiner sich quälen muss. MJ Messiaen selbst hat das vorgeschlagen? ZM Ja! Das haben wir dann natürlich mit Freuden so gemacht, der Komponist hat es ja erlaubt. Ein anderes Mal habe ich die Gurre-Lieder mit Jessye Norman im Amphitheater von Caesarea in Israel gemacht – da muss sowieso alles verstärkt werden. Und es war ein solches Vergnügen für das Orchester, ich konnte sie einfach frei aufspielen lassen, ohne dass sie sich ständig

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hätten zurückhalten müssen. Aber bei Moses und Aron geht das natürlich nicht, da muss ich bei der Balance sehr aufpassen, da singt ein Sänger gegen fast zwei Orchester. MJ Wenn Sie zurückdenken an die Zeit hier als Chef­ dirigent, gibt es einen Moment oder ein Erlebnis, wo Sie sagen, das war das entscheidende oder das wichtigste? ZM Da muss ich nachdenken … Mit dem Orchester war es sicher die Dritte Symphonie von Mahler. Mit dieser Symphonie sind wir auch auf Tournee gegangen, waren in Wien und Barcelona. Das werde ich nie vergessen! Schon deswegen wird es uns leicht fallen, gemeinsam die Gurre-Lieder zu machen, weil wir mit diesem Stil schon vertraut sind. MJ Gibt es neben Un ballo in maschera noch ein großes Werk, das Sie bislang noch nicht gespielt haben und unbedingt noch dirigieren wollen? ZM Parsifal! Ich habe alles von Wagner gemacht, auch Rienzi. Aber ich muss Parsifal noch machen. Ich warte, ich bin noch jung.

Das Interview führte Malte Krasting.

Zubin Mehta, geboren in Indien, arbeitet mit den bedeutendsten Orchestern der Welt wie u.a. den Berliner, den Wiener und den Münchner Philharmonikern, den New Yorker Philharmonikern oder dem Los Angeles Philharmonic Orchestra. Seit 1985 ist er Chefdirigent des Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino, das ­Israel Philharmonic Orchestra ernannte ihn zum Music Director auf Lebenszeit. Er dirigierte an den Opernhäusern in New York, ­London, Mailand, Wien, Chicago sowie bei den Salzburger ­Festspielen. Von 1998 bis 2006 war Zubin Mehta GMD an der ­B ayerischen Staatsoper. In der Saison 2015/16 kehrt er für ­Fidelio, die Neuproduktion von Un ballo in maschera und das 4. Akademiekonzert zurück.

Un ballo in maschera Melodramma in drei Akten Von Giuseppe Verdi Premiere am Sonntag, 6. März 2016, Nationaltheater STAATSOPER.TV: Live-Stream der Vorstellung auf www.staatsoper.de/tv am Samstag, 19. März 2016

4. Akademiekonzert Gurre-Lieder Von Arnold Schönberg Montag 15. Februar 2016, Nationaltheater

Weitere Termine im Spielplan ab S. 93



„Und Demosthenes rollte sein Fass und sagte: ‚Naja, wenn alle was tun, da muss ich schon auch was tun.‘ ­Verstehen Sie?“ Ein Gespräch mit dem Kabarettisten und Lebens­philosophen Gerhard Polt über das Vermessen.

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MAX JOSEPH Es gibt eine berühmte Zeichnung des britischen Künstlers David Shrigley, darauf zu sehen ist ein Mensch auf einer Liege, darüber der Schriftzug I am ready to be evaluated. Finden Sie das lustig oder macht Sie das wütend? GERHARD POLT Interessant, weil drüben in den Kammerspielen spiele ich auch gerade einen, der daherkommt und sagt: „Ich bin gerade evaluiert worden“. Aber wütend, nein, wütend macht mich das nicht. MJ Auch nicht, wenn Sie daran denken, wie heutzutage jeder Mensch vermessen, bewertet, überwacht wird – von den Körperfunktionen über das Kaufverhalten bis hin zum Aufenthaltsort? GP Naja, diese Kritik steckt schon drin in dieser Zeichnung, auf Deutsch gesagt: Wie viel Zaster bin ich wert? Es scheint, als hätten wir den Drang, alles zu vermessen, zu bewerten und in Relation zueinander zu setzen. Wir wissen doch längst, was ein Kotflügel im Verhältnis zu einem Herzpatienten kostet. Wo du hinschaust, geht es um Kosten und Nutzen, um Preis und Leistung, also

wird ausgerechnet, was ein Rentner kostet, der nicht mehr arbeitet, oder ein Flüchtling, der im Heim sitzt. Alles, einfach alles wird in Geldwert umgerechnet. Letztlich geht es um die Fragen: Was ist ein Mensch wert? Was kostet und was bringt er? MJ Und das macht Sie wirklich nicht wütend? GP Nein, das kann ich auch lustig finden, weil gute Komik ja immer auf Wirklichkeiten beruht, über die man bitter lachen kann. Dieser David Shrigley hat ja Recht. Es ist genau so. Die rechnen alles aus: Was kostet ein Herz, was kostet ein Dickdarm, was kostet eine Leber? MJ Sind Sie deswegen so gelassen, weil Sie auf dem Land in Oberbayern sitzen und keiner weiß, was Ihr Dickdarm wert ist? GP Sie wissen doch, wie das ist. Kommt einer daher und sagt: „Du, morgen ist der Atomkrieg.“ Und dann sag’ ich: „Des is mir wurscht, weil da bin i in Holzkircha.“ Man kann auf bestimmte Dinge sarkastisch reagieren, weil man eh nichts machen kann, weil man ohnmächtig ist, und ein bisschen geht’s mir auch so. Jeden Tag werden andere


Säue durchs Dorf getrieben. Heute kriegst du Krebs, weil du gern Wurst isst, morgen wirst du von irgendwem abgehört. Du liest in der Zeitung das, von dem du hoffst, dass es nicht eintritt, aber es passiert trotzdem. Also nimmst du es hin. MJ Ist das nicht zu resignativ für einen, der sich immer auch gesellschaftskritisch geäußert hat? GP Es gibt nun mal Dinge, von denen wissen die Menschen, dass sie nicht drüber hinwegkommen, zum Beispiel den Tod. Und weil der Tod sich nicht überwinden lässt, gibt es Humor. Der Humor ist ein Ventil, das es uns ein bisschen leichter macht. Mir hat mal einer nach der Vorstellung ein Buch in die Garderobe gebracht mit dem Titel Der Witz in Auschwitz. Erst hab’ ich gedacht: naja, aber dann hat mir der Mann e ­ rzählt, wie die Menschen im KZ die grauenhaftesten Situationen meistern konnten, indem sie sich die miesesten Kalauer ausgedacht haben. Das hat mich berührt, weil es zeigt, dass nichts so banal ist, als dass man sich nicht dran festhalten könnte. MJ Sie haben mal gesagt: „Ich sinnlose so vor mich hin, und das mit Begeisterung.“ Ist das Ihr Geheimnis, vielleicht sogar Ihre persönliche Rache an der Evaluierungsgesellschaft?

Gerhard Polt

GP Das ist keine Rache, sondern meine Einstellung. Schauen Sie, als Athen belagert wurde, haben alle wie verrückt Bogen und Pfeile geschnitzt, es herrschte ein Riesenbetrieb, nur Demosthenes rollte ein Fass hin und her. Die anderen riefen: „Demosthenes, der Gegner steht vor den Toren. Was machst du da mit dem Fass?“ Und Demosthenes sagte: „Naja, wenn alle was tun, da muss ich schon auch was tun.“ Verstehen Sie? Er will sozial nicht abseits stehen, aber ob das sinnvoll ist, was er tut, wer kann das beurteilen? Und da sind wir wieder beim Vermessen. Leider gibt es viele, die vorschnell wissen, was sinnvoll ist und was nicht. Und ich sage, ich weiß das gar nicht. Vieles wird als groß

angepriesen und danach stellt sich raus, es war gar nicht so toll. Ich finde, man sollte keinen verurteilen, der nicht sofort von etwas begeistert oder bereit ist, sich einer Sache anzuschließen. MJ Eine andere Äußerung von Ihnen ist: „Für mich wäre es kein Ziel, mich selbst zu suchen. Weil, wenn man sich gefunden hätte, dann könnte man sich zu Ende denken.“ GP Das ist ja auch so. So viele reden davon, dass man sich selbst finden sollte. Ich glaube, man darf sich nicht so wichtig nehmen, dass man wichtig wird, das ist gefährlich. Es gibt das schöne Wort „definieren“, aber wenn etwas definiert ist, ist es festgelegt, dann ist es nicht mehr in der Schwebe. In der Tatsache, dass ich etwas noch nicht genau weiß, ja dass ich nicht mal drüber nachdenke, liegt viel Freiheit. MJ Haben Sie keine Angst, als Mensch und Künstler vermessen und letztlich zu einem bloßen Marktteilnehmer degradiert zu werden? GP Der Mensch kann doch auch paradox sein. Zum Beispiel hat er vielleicht keine Angst, weil er weiß, dass er eh nichts machen kann, er kann den Spieß also umdrehen. Das ist eine fatalistische Einstellung, aber sie ­ funktioniert. Es gibt in Neapel eine ganz bestimmte Art von Humor, in der mischt sich der Existenzkampf der Leute mit einer gewissen Komik. Sie wissen ja, dass der Vesuv als ständige Drohung über dieser Stadt thront, und

„Autorität ist ja nicht qua Amt einfach da, sie entsteht, wenn ein Mensch die Chance hat, zur Persönlichkeit zu reifen und ein Gegenüber dieses Gewordensein begreift.“ 87


da könnte man doch denken, dass am Fuße dieses Vulkans niemand sein Haus hinbauen will, weil jeder weiß, dass er irgendwann ausbrechen wird. Es ist aber umgekehrt: Die Menschen bauen ihre Häuser hin, obwohl sie wissen, dass er irgendwann ausbrechen wird. MJ Warum tun sie das? GP Weil sie wissen, dass sie eh nichts machen können, also haben sie keine Angst. Das ist fast etwas Religiöses, wie wenn man sich in Gottes Hand fühlt und sagt: „Es wird schon werden.“ ­So­krates hat mit dem Giftbecher in der Hand gesagt: Ein Mensch, der sich bemüht hat, den werden die Götter doch nicht im Stich lassen. Dieses vage Hoffen, das finde ich wunderbar. MJ Glauben Sie, dass hinter dem Bedürfnis des Vermessens der Wunsch nach Ordnung und Sicherheit, also letztlich Angst steht? GP Vor allem steht eine Vermessenheit dahinter. Was machen sich die Menschen anheischig, andere Leute auszuspionieren und ihren Wert und ihre Kaufkraft zu kalkulieren. Wenn ich im Geschäft gefragt werde, ob ich eine Kundenkarte möchte, sage ich grundsätzlich nein, weil ich weiß, dass die nur mein Einkaufsverhalten berechnen wollen. Ich hab’ ja noch das Glück, dass ich nicht im Internet unterwegs bin.

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MJ Warum nicht? GP Das würde mich nur belasten. Ich hab’ überall Leute, die mir was erzählen, dadurch kriege ich viel mit. Ich lese die Süddeutsche, den Lokalteil vom Miesbacher Merkur und Bücher. Und wenn ich doch mal fernschau, dann keine Filme oder Diskussionen, sondern Nachrichten auf BBC oder Al Jazeera. Das reicht mir. Es gibt wirklich viel, das ich Gott sei Dank versäumen kann. MJ Was erzählen Ihnen die Leute vom Internet? GP Mir fällt auf, dass viele mit dieser Fülle an Informationen kaum umgehen können. Sie sehen und lesen viel, es geht ständig rund, aber keiner hat die Zeit, die Dinge zu verarbeiten, zu vertie-

fen und zu diskutieren. Ich will jetzt nicht allen Leuten, die im Internet unterwegs sind, Oberflächlichkeit unterstellen, aber ich könnte mit dieser Fülle und Geschwindigkeit nicht umgehen, also lasse ich es. Wenn ich eine schöne Erzählung lese, dann muss ich mich darauf einlassen, das muss nachhallen. Das ist wie beim Essen. Das kann ich auch runterschlingen oder genießen. Wissen Sie, was mich an der ganzen Sache am meisten stört? Es gab mal so was wie Sportsgeist oder Fairness, aber was da im Moment passiert, das ist äußerst unfair. MJ Wie meinen Sie das? GP Ein Fischer, der seine Angel rausschmeißt, der denkt sich: „Naja, heute könnte der Hecht schon anbeißen.“ Trotzdem kann es sein, dass der Hecht keine Lust hat anzubeißen, dass er entkommt oder gar nicht vorbeischwimmt. Fänger und Beute haben ein Verhältnis zueinander, sie bewegen sich auf Augenhöhe, jeder hat eine Chance zu gewinnen. Dieser Dauervernetzung aber kann man nicht entkommen. Sie ist unausweichlich. Für mich ist das Totalitarismus. Die totale Erfassung jedes Menschen, das war der Traum der großen kollektivistischen Ideologien des 20. Jahrhunderts, das wollten die Nazis, das wollten die Kommunisten. Und wir? Haben es geschafft. MJ Wie sicherheitsbedürftig sind Sie? GP Es gibt Leute, die rennen jeden Tag zum Doktor, so bin ich nicht. Wenn ein

„Ich habe kein Problem mit dem Alltag. Ich brauch’ kein Wellnesshotel und keine exotischen Reisen, um mich spüren zu können, im Gegenteil, ich glaube, dass man mit ganz wenig Mitteln eine Riesengaudi haben kann.“ Interview Tobias Haberl


Mensch ein Grundmisstrauen in sich hat, dann tut er sich schwer. Heute gibt es viele Menschen, deren Beruf es ist, Angst zu erzeugen. Es gibt tausenderlei Ängste. Man kann auch Angst haben, dass der eigene Sarg nicht schön genug ist, dass die Leute schlecht über einen reden, dann bestellt man halt noch ein paar Blumen mehr. MJ Sie wirken, als wären Sie gefeit vor solchen Ängsten. GP Ach, ich bin auch nicht ohne Angst. Ich habe Angst, dass ich Menschen, die ich liebe, verlieren könnte. Ich meine das nicht kokett, sondern ganz ehrlich, an mich denke ich da gar nicht so, trotzdem betrifft es mich natürlich, wenn in der Familie jemand Schaden erleidet, das will ich schon aus utilitaristischen Gründen nicht. Aber ich weiß schon, was Sie meinen: Ich habe kein Problem mit dem Alltag. Ich brauch’ kein Wellnesshotel und keine exotischen Reisen, um mich spüren zu können, im Gegenteil, ich glaube, dass man mit ganz wenig Mitteln eine Riesengaudi haben kann. MJ Kann es sein, dass die Menschen mehr Angst haben, je besser es ihnen geht? GP Was mir auffällt, wenn ich nach Italien oder Spanien fahre, das ist die Zaunkultur dort. In Südeuropa zäunen sich die Menschen ein, die bauen Zäune als Schutzwall und Abgrenzung, in Dänemark oder Schweden gibt es das nicht. Das ist doch interessant, auch kulturhistorisch, dass es im Norden fast keine

Zäune gibt, während sie in Italien am liebsten gleich Mauern hinstellen. Oder auch interessant: Dass wir in Mitteleuropa Keller haben. Der Keller als Versorgungsraum, als Bunker, wo immer noch ein paar Kartoffeln lagern. Diese Kellerkultur, die gibt es woanders nicht. Man könnte das ganze Zeug doch auch in einen Schuppen tun, aber nein, die Leute wollen das Gefühl haben, dass da unten noch was ist, ein Schutzraum oder was weiß ich. Ich fand es früher schon immer komisch, wenn einer gesagt hat, dass er im Hobbykeller feiert. Ich meine, warum geht man da runter? Man kann doch auch im Wohnzimmer feiern. MJ Ist der goldene Mittelweg für Sie ein Ideal, das man anstreben

„Natürlich sagt der alte Bäcker, da gehört so viel Zucker und so viel Schokolade rein, das haben wir immer so gemacht. Aber der Lehrling muss probieren, es anders zu machen.“ Gerhard Polt

sollte, oder der direkte Weg zur Mittelmäßigkeit? GP Das kommt drauf an. Wenn ein Künstler nur an Ausgewogenheit denkt, dann macht er einen Fehler. So ein Mensch sollte Lust verspüren, sich auszuprobieren und seine Fantasien ziehen zu lassen. Wenn der vorher schon auf die Bremse tritt, dann stimmt was nicht. Künstler und Wissenschaftler, die sollen Möglichkeiten ausloten, im Grunde ist es ihre Aufgabe, das stellvertretend für den Rest der Gesellschaft zu tun. So gesehen ist auch ein Bäcker oder ein Konditor ein Künstler. Natürlich sagt der alte Bäcker, da gehört so viel Zucker und so viel Schokolade rein, das haben wir immer so gemacht. Aber der Lehrling muss probieren, es anders zu machen. Wenn ein junger Mensch nicht mehr die Lust hat, Ketten zu sprengen, wenn er sagt, es ist ja schon alles ausgemessen, dann stimmt was nicht. MJ Gilt das nicht auch für alte Menschen? GP Ich glaube, wenn ein Mensch älter ist, sollte er sich freuen, weil er über die Jungen die Chance hat, sich selbst noch mal neu und anders zu erleben. Ich versuche ganz bewusst, mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Wenn man sieht, was diese jungen Menschen für Ziele haben,

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gen, was falsch und was richtig ist. Die meinen es ja gut, wollen konstruktiv sein und sagen: „Komm, jetzt malen wir was Schönes“, aber mein Gott, ein Kind muss doch auch mal nicht konstruktiv sein dürfen. MJ Es scheint, als hätten wir so viele Möglichkeiten wie nie zuvor und entwickeln uns mit jeder neuen App und jeder neuen Technologie weiter weg vom dem, was das Leben ausmacht. GP Ich weiß schon, was Sie meinen. Eine digitale Welt, die uns wie Mehltau benetzt und dazu führt, dass sich kaum mehr was bewegt. Und da sind wir wieder beim Definieren. Je mehr ich ausgemessen und zu Ende gedacht habe, desto größer ist die Gefahr, dass die Welt in einen paralysierten Zustand gerät. Ich habe aber die Hoffnung, dass es immer Menschen geben wird, die da nicht mitmachen, die sich dagegenstellen, die weiter ihre Wurst essen, die sagen, ich weiß nicht, wann der Vesuv platzt, und ich will es auch nicht wissen. Dass diese Revolutionäre als Gruppe auch abgemessen und durchkalkuliert werden, ist klar. Die Kassandra damals, die hat ja Recht gehabt mit ihrer Ruferei, und trotzdem haben die Leute ihr nicht zugehört. Das ist irgendwie wohltuend, dass da jemand schreit und Panik schürt und man selber sagt: „Du, das hab ich jetzt gar nicht mitbekommen, weil da war ich in Holzkirchen.“

Zeichnungen David Shrigley: S. 86: aus David Shrigley, Weak Messages Create Bad ­Situations: A Manifesto (Canongate Books, 2014) S. 87, 88. 89: Copyright the artist. ­Courtesy the artist and Stephen Friedman ­Gallery, London

Mehr über den Autor auf S. 8

Foto Herlinde Koelbl

dann kann ich doch nicht sagen: „Alles Blödsinn.“ Nein, da muss man sich freuen, weil das lebendig ist. Natürlich ist nicht alles sinnvoll, aber mein Gott, wenn keiner mehr was ausprobiert, steht die Welt still. MJ Ist ein Mensch, der fasziniert, immer auch vermessen? GP Wahrscheinlich ist das so, ja, wenigstens ein Stück weit. MJ Also sympathisieren Sie mit Prometheus, der den Göttern das Feuer gestohlen hat. GP Ja, natürlich. MJ Aber er ist ein Dieb und stellt die Macht der Götter in Frage. GP Aber er wirft auch die Frage auf, was Autorität eigentlich ist. Sie kennen doch das Beispiel aus der Schule: Die Klasse tobt, ein Lehrer kommt, schreit Ruhe, die Klasse tobt weiter. Und dann kommt ein Lehrer, der sagt nichts, und die Klasse wird still. Das hat mit Charisma zu tun, und was Charisma ist, das ist ein Geheimnis. Autorität ist ja nicht qua Amt einfach da, sie entsteht, wenn ein Mensch die Chance hat, zur Persönlichkeit zu reifen und ein Gegenüber dieses Gewordensein begreift und anerkennt. Aber wenn da einer sitzt, mit einer Krone auf dem Kopf und einem Zepter in der Hand, dann nehme ich dem das Zepter weg, das ist doch klar. Eine gesunde Aufmüpfigkeit ist der Funke, den es braucht, damit was brennen kann. MJ Glauben Sie, dass man auf dem Land geschützter und würdevoller vor sich hinleben kann als in der Stadt? GP Das mag sein. Wenn ich durch München laufe, sehe ich diese Kindergärten mit diesen kleinen Draußen-Bereichen, in denen die Kleinen eingepfercht sind. Wenn ich das mit den Kindergärten auf dem Land vergleiche, naja, da können die einen Stein nehmen und ihn einfach werfen, das geht in der Stadt nicht, und ich glaube schon, dass das was mit einem macht, diese Erfahrung von Raum und Weite. In der Stadt sind Kinder den Erwachsenen viel stärker ausgeliefert. Sie werden ständig betreut. Ständig versuchen Erwachsene, ihnen zu zei-

Der Kabarettist, Autor und Schauspieler Gerhard Polt ist seit dem Film Man spricht deutsh (1988) fest im kollektiven kulturellen Gedächtnis verankert. Mit unterschiedlichen Kleinkunstprogrammen war er v. a. an den Münchner Kammerspielen zu Gast und immer wieder mit der Biermösl Blosn auf Tournee, zahlreiche Preise wurden ihm verliehen. 2012 erschien der Gesprächsband Gerhard Polt: Und auch sonst mit Herlinde Koelbl. 2014 war er in seiner Filmsatire ... und Äktschn! im Kino zu sehen.

Zeichnungen David Shrigley



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Spielplan 22.01.16 – 04.04.16

Karten Tageskasse der Bayerischen Staatsoper Marstallplatz 5 80539 München T 089 – 21 85 19 20 tickets@staatsoper.de www.staatsoper.de

Sofern nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.

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Oper Dialogues des Carmélites Musikalische Leitung Bertrand de Billy Inszenierung Dmitri Tcherniakov Laurent Naouri, Christiane Karg, Stanislas de Barbeyrac, Sylvie Brunet, Anne Schwanewilms, Susanne Resmark, Anna Christy, Heike Grötzinger, Angela Brower, Alexander Kaimbacher, Ulrich Reß, Tim Kuypers, Igor Tsarkov, Andrea Borghini, Johannes Kammler, Tobias Neumann (28.1./1.2.), Oscar Quezada (23./30.1.) 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Richard Wagner

Der fliegende Holländer

Sa 05.03.16 19:00 Uhr Di 08.03.16 19:30 Uhr Fr 11.03.16 19:00 Uhr

Libretto Tom Holloway Musikalische Leitung Kirill Petrenko Inszenierung Hans Neuenfels Rolando Villazón, Tara Erraught, Dean Power, Kevin Conners, Matthew Grills, Joshua Owen Mills, Thomas Hampson, Mojca Erdmann, Tim Kuypers, John Carpenter, Christian Rieger, Sean Michael Plumb 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 18:00 Uhr

Sa 27.02.16 19:00 Uhr Di 01.03.16 19:00 Uhr Fr 04.03.16 18:00 Uhr

Peter Rose, Catherine Naglestad, Klaus Florian Vogt, Heike Grötzinger, Jussi Myllys, Michael Volle

South Pole

31.01.16 03.02.16 06.02.16 09.02.16 11.02.16

Musikalische Leitung Paolo Carignani Inszenierung Jürgen Rose

Musikalische Leitung Asher Fisch Inszenierung Peter Konwitschny

Miroslav Srnka

So Mi Sa Di Do

Norma Aleksandrs Antonenko, Dean Power, Goran Jurić, Carmen Giannattasio, Angela Brower, Golda Schultz

Francis Poulenc

Sa 23.01.16 Do 28.01.16 Sa 30.01.16 Mo 01.02.16

Vincenzo Bellini

Uraufführung

Partner der Uraufführungen der Bayerischen Staatsoper

Giuseppe Verdi

Un ballo in maschera Musikalische Leitung Zubin Mehta Inszenierung Johannes Erath Piotr Beczala, George Petean, Anja Harteros, Okka von der Damerau, Sofia Fomina, Andrea Borghini, Anatoly Sivko, Scott Conner, Ulrich Reß, Joshua Owen Mills So 06.03.16 Mi 09.03.16 Sa 19.03.16 Mi 23.03.16 Mo 28.03.16 Fr 01.04.16

19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 18:00 Uhr 19:00 Uhr

Premiere auch im Live-Stream auf www.staatsoper.de/tv

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Ludwig van Beethoven

Fidelio Musikalische Leitung Zubin Mehta Inszenierung Calixto Bieito Tareq Nazmi, Tomasz Konieczny, Peter Seiffert, Anja Kampe, Franz-Josef Selig, Hanna-Elisabeth Müller, Dean Power, Joshua Owen Mills, Igor Tsarkov So Mi So Di Sa

07.02.16 10.02.16 14.02.16 16.02.16 20.02.16

18:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr 19:00 Uhr

Giuseppe Verdi

Il trovatore Musikalische Leitung Antonello Allemandi Inszenierung Olivier Py Igor Golovatenko, Julianna Di Giacomo, Nadia Krasteva, Yonghoon Lee, Goran Jurić, Anna Rajah, Dean Power, Igor Tsarkov, Petr Nekoranec Do 10.03.16 19:00 Uhr So 13.03.16 19:00 Uhr Do 17.03.16 19:00 Uhr gefördert durch

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Richard Wagner

Lohengrin Musikalische Leitung Lothar Koenigs Inszenierung Richard Jones

Ballett

Günther Groissböck, Klaus Florian Vogt, Edith Haller, Thomas J. Mayer, Petra Lang, Markus Eiche, Joshua Owen Mills, Matthew Grills, Tim Kuypers, Igor Tsarkov, Solisten des Tölzer Knabenchores So Do So Do

20.03.16 24.03.16 27.03.16 31.03.16

16:00 Uhr 17:00 Uhr 16:00 Uhr 17:00 Uhr

gefördert durch

John Neumeier

Illusionen – wie Schwanensee Musik Peter I. Tschaikowsky Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester

Giacomo Puccini

Turandot Musikalische Leitung Dan Ettinger Inszenierung Carlus Padrissa – La Fura dels Baus Elena Pankratova, Ulrich Reß, Goran Jurić, Yonghoon Lee, Golda Schultz, Markus Eiche, Kevin Conners, Matthew Grills, Bálint Szabó, Francesco Petrozzi Sa 26.03.16 19:00 Uhr Mi 30.03.16 19:30 Uhr Sa 02.04.16 19:30 Uhr

Di Fr Fr Sa

02.02.16 05.02.16 12.02.16 13.02.16

19:30 Uhr 19:00 Uhr 20:00 Uhr 19:30 Uhr

Jerome Robbins, Aszure Barton, George Balanchine

Sinfonie in C / In the Night / Adam is Musik Frédéric Chopin, Curtis Macdonald, Georges Bizet Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester Klavier Maria Babanina / Natalia Rysina Fr 29.01.16 20:00 Uhr So 21.02.16 19:30 Uhr Di 23.02.16 19:30 Uhr

Alexei Ratmansky, Marius Petipa

Paquita Musik Edouard-Marie-Ernest Deldevez, Ludwig Minkus u.a. Musikalische Leitung Myron Romanul Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester So Di So Mi

24.01.16 26.01.16 28.02.16 02.03.16

15:00 Uhr und 19:30 Uhr 19:30 Uhr 15:00 Uhr und 19:30 Uhr 19:30 Uhr

Terence Kohler, Léonide Massine

Once Upon An Ever After / Choreartium Musik Peter I. Tschaikowsky, Johannes Brahms Musikalische Leitung Robertas Šervenikas Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Bayerisches Staatsorchester Mo 07.03.16 19:30 Uhr Sa 12.03.16 19:30 Uhr

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Pina Bausch

Terence Kohler / Léonide Massine

Für die Kinder von gestern, heute und morgen – Ein Stück von Pina Bausch

Once Upon An Ever After / Choreartium

Musik Felix Lajko, Naná Vasconcelos, Caetano Veloso, Goldfrapp, Nina Simone, Gotan Project u.a., Musik vom Tonträger So 03.04.16 19:00 Uhr  Premiere Mo 04.04.16 19:30 Uhr Fr 08.04.16 19:30 Uhr

Tanznacht Öffentliche Premierenfeier zur Eröffnung der BallettFestwochen 2016 Tickets sind nur in Kombination mit einer Premierenkarte zu erwerben.

Musik Peter I. Tschaikowsky / Johannes Brahms Musikalische Leitung Robertas Šervenikas So 10.04.16 19:30 Uhr

Oskar Schlemmer / Gerhard Bohner / Mary Wigman

Das Triadische Ballett / Le Sacre du printemps Musik Hans Joachim Hespos / Igor Strawinsky Musikalische Leitung Myron Romanul Di 12.04.16 19:30 Uhr Do 14.04.16 19:30 Uhr

Prinzregententheater Prinzregententheater

So 03.04.16 22:00 Uhr Richard Siegal Alexei Ratmansky / Marius Petipa

Paquita Musik Edouard-Marie-Ernest Deldevez, Ludwig Minkus u.a. Musikalische Leitung Myron Romanul

Model / Metric Dozen Musik Lorenzo Bianchi Hoesch, Musik vom Tonträger Mi 13.04.16 20:00 Uhr

Muffathalle

Di 05.04.16 19:30 Uhr Simone Sandroni John Neumeier

The Passenger

Die Kameliendame

Musik Iggy Pop Solisten und ehemalige Solisten des Bayerischen Staatsballetts, Gäste

Musik Fréderic Chopin Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Mi 06.04.16 19:30 Uhr

Terpsichore-Gala XII Für Ivan Liška Do 07.04.16 19:30 Uhr

Fr 15.04.16 20:00 Uhr Sa 16.04.16 19:30 Uhr Mo 18.04.16 19:30 Uhr

Prinzregententheater  Uraufführung Prinzregententheater Prinzregententheater

John Cranko

Onegin Musik Peter I. Tschaikowsky Musikalische Leitung Aivo Välja

Besetzung – sofern nicht anders angegeben – Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts, Bayerisches Staatsorchester, Veranstaltungsort: Nationaltheater

BallettFestwochen 2016

So 17.04.16 19:30 Uhr Marius Petipa / Ivan Liška

Le Corsaire Musik Dolphe Adam, Léo Delibes u.a. Musikalische Leitung Aivo Välja Sa 09.04.16 19:30 Uhr

George Balanchine / Jerome Robbins / Aszure Barton

Sinfonie in C / In the Night / Adam is Musik Georges Bizet / Fréderic Chopin / Curtis Macdonald Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff Di 19.04 16 19:30 Uhr

Matinee der Heinz-Bosl-Stiftung / Junior Company Studierende der Ballett-Akademie München Bayerisches Staatsballett II

Das hat nicht aufgehört, mein Tanzen – Symposium Zum Werk Pina Bauschs

So 10.04.16 11:00 Uhr So 17.04.16 11:00 Uhr

Fr 08.04.16 – So 10.04.16  Ort wird bekanntgegeben


Die Kunst ist es, Die Dinge auch mal anDers zu sehen

Fachübergreifendes Denken und interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Bereichen Rechtsberatung, Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung und Family Office charakterisieren den Beratungsansatz der Münchner Kanzlei am Siegestor.

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Als Mitglied des Classic Circle unterstützt PSP seit 2005 die Bayerische Staatsoper.


Konzert

4. Akademiekonzert Arnold Schönberg Gurre-Lieder Musikalische Leitung Zubin Mehta Chöre Sören Eckhoff

Themenkonzerte

Stephen Gould, Anne Schwanewilms, Okka von der Damerau, Gerhard Siegel, Goran Jurić

Zur Uraufführung von Miroslav Srnkas Oper South Pole Konzerte und Vorträge in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft

3. Themenkonzert Vortrag Martin Heimann: Vermessung von Treibhausgasen in der Atmosphäre Edvard Grieg / Miroslav Srnka / Edward Elgar Mi 20.01.16 19:00 Uhr Alpines Museum des Deutschen Alpenvereins, Praterinsel

Mo 15.02.16 20:00 Uhr Mi 17.02.16 20:00 Uhr Fr 19.02.16 19:00 Uhr

4. Kammerkonzert Johann Strauß / Franz Schubert So 21.02.16 11:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

4. Themenkonzert Vortrag Ute Frevert: Vermessene Gefühle Edvard Grieg / Miroslav Srnka / Ralph Vaughan Williams Fr 22.01.16 19:00 Uhr

Deutsches Museum, Ehrensaal

5. Themenkonzert Vortrag Markus Klapper: Materialforschung – ein Schlüssel zur Lösung von ­­ Klima- und Energieproblemen Bohuslav Martinů / Miroslav Srnka / Matyas Seiber und weitere Kammermusik des 20. und 21. Jahrhunderts Sa 23.01.16 17:00 Uhr und 20:00 Uhr Aerodynamik-Windkanal der BMW-Group

5. Akademiekonzert Felix Mendelssohn Bartholdy Symphonie Nr. 3 a-Moll op. 56, (Schottische) Gustav Mahler Das Lied von der Erde Musikalische Leitung Kirill Petrenko Peter Seiffert, Christian Gerhaher Mo 14.03.16 20:00 Uhr Di 15.03.16 20:00 Uhr

5. Kammerkonzert Wolfgang Amadeus Mozart / Krzysztof Penderecki / Benjamin Britten / Sergej Prokofjew So 03.04.16 11:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

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Das Bier aus dem Hofbr채uhaus !

Das Theateralphabet...

Standing Ovations.


Campus Porträtkonzert des Opernstudios Solisten Deniz Uzun, Joshua Owen Mills Mi 17.02.16 19:30 Uhr

Künstlerhaus

Ballett extra Paquita von Mayilier / Petipa / Justamant Mi 17.02.16 20:00 Uhr

Ballett-Probenhaus, Platzl 7

Proben zur Premiere Für die Kinder von gestern, heute und morgen – ein Stück von Pina Bausch Solisten und Ensemble des Bayerischen Staatsballetts Einstudierungsteam des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch Fr 18.03.16 20:00 Uhr

Ballett-Probenhaus, Platzl 7

Passionskonzert Konzert des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper und der Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters Giovanni Battista Pergolesi Stabat Mater Solisten Iris van Wijnen, Leela Subramaniam, Anna Rajah, Deniz Uzun, Marzia Marzo Sprecherin Claudia Bausewein

Die Unmögliche Enzyklopädie 35: Theorie u.a. mit Hansjörg Ewert (Musikwissenschaftler) Do 04.02.16 20:00 Uhr

Mo 07.03.16 19:30 Uhr Allerheiligen Hofkirche

Hauptsponsor der Orchesterakademie

Die Unmögliche Enzyklopädie 36: Gefühlsmessung Mi 16.03.16 19.00 Uhr

Extra

Forschungsprojekt Bayerische Staatsoper 1933-1963

Premierenmatinee

Präsentation der Ergebnisse 1-3

Un ballo in maschera

Richard Strauss und Clemens Krauss im Nationalsozialismus: Inszenierung der „politischen Harmlosigkeit“

So 21.02.16 11:00 Uhr Rasmus Cromme, Dominik Frank, Jürgen Schläder

Operndialog South Pole Sa 06.02.16 10:00 Uhr Teil 1 Capriccio-Saal So 07.02.16 10:00 Uhr Teil 2 Capriccio-Saal

Mo 25.01.16 20:00 Uhr

Capriccio-Saal

Scharnierjahre nach 1945: Wegbereiter, Lückenbüßer und alte Bekannte Rasmus Cromme, Dominik Frank, Jürgen Schläder Mo 22.02.16 20:00 UIhr Capriccio-Saal

Un ballo in maschera

Zwischen Restauration und Reform im jungen Freistaat: „Wir sind wieder wer“

Sa 19.03.16 10:00 Uhr Teil 1 Capriccio-Saal So 20.03.16 10:00 Uhr Teil 2 Capriccio-Saal

Rasmus Cromme, Dominik Frank, Katrin Frühinsfeld, Jürgen Schläder Mo 07.03.16 20:00 Uhr

Montagsrunde South Pole Mo 15.02.16 20:00 Uhr

Un ballo in maschera Mo 04.04.16 20:00 Uhr

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Foto Gerhardt Kellermann


Die Vermesser Für das Gelingen einer Opernaufführung müssen viele, sehr viele Dinge vermessen werden. In der Spielzeit 2015/16 schildern Mitarbeiter der Oper in MAX JOSEPH ihr Handwerk.

Foto Wilfried Hösl

Text Christiane Lutz

Folge 2: Bühnen-Konstrukteur Peter Buchheit Auch das schönste Bühnenbild zerlegt Peter Buchheit zuallererst in seine Einzelteile. Gedanklich zumindest, denn das ist für seine Arbeit von größter Wichtigkeit. Die entscheidenden Maße, die er dafür im Kopf haben muss, sind 9,50 Meter mal 2,50 Meter mal 2,20 Meter: die Maße der Container, in die die Bühnenteile verladen werden, und in denen sie hin und her transportiert werden zwischen den Werkstätten, dem Lager im Münchner Vorort Poing und der Oper. „So groß die Staatsoper auch ist, sie hat nie genug Platz, alle ­Bühnenbilder der ­laufenden Produktionen im Nationaltheater aufzubewahren“. Der Diplom-Ingenieur Peter Buchheit ist Konstrukteur. Das bedeutet, er wandelt die Visionen und Entwürfe der Bühnenbildner in konkrete Zahlen und Maße um und erstellt die Konstruktionspläne für die Bühnenbilder. Diese gibt er an die Werkstätten weiter, wo die einzelnen Teile hergestellt werden. Das Werkzeug, mit dem er Maße ermittelt und technische Zeichnungen erstellt, heißt „Computer Aided Design“, also computerunterstütztes Design, kurz „CAD“, und ist eine Software. In seinem spärlich eingerichteten Büro erstellt Peter ­Buchheit an zwei Bildschirmen die kompliziertesten Bauteile in 3-D. Zwei Bildschirme sind praktischer, weil er so an einem Monitor Werte berechnen und sie am anderen gleich ins ­3-D-Modell einsetzen kann. Berücksichtigen muss er dabei die Bedingungen des Bühnenraumes, also die Bühnenhöhe, -tiefe und -breite, dann die Containergröße, die Größe der Bühnenwägen, auf denen Bühnenteile transportiert werden können und die Wünsche des Bühnenbildners. Viele der übrigen Einzelmaße ergeben sich dann ganz automatisch. Per Mausklick konstruiert Peter Buchheit drehbare Wände, Flugbahnen für Drachen, ­fahrende Betten und eine Vorrichtung, an der ein purpurroter Vorhang heruntergelassen werden und ein ganzes Zimmer auskleiden kann, wenn gewünscht. So wie im Bühnenbild für Der f­ eurige Engel. Was dabei geht und was nicht, müssen die Bühnenbildner mit Buchheit aushandeln. „Wenn einer eine zwölf Meter hohe Wand will, kriegt er die, aber dann machen wir irgendwo anders Kompromisse“, sagt er. Zwölf Meter Höhe sind deshalb schwierig, weil das nicht durch die Türen passt, „da muss dann etwas ab- und wieder draufmontiert werden.“ Kunst ist eben immer auch eine Frage des Verhandlungsgeschicks. Und dann ist da noch die Sache mit der Zeit. Ein Bühnenbild muss sich nämlich in etwa zweieinhalb Stunden aufbauen lassen, sonst ist es für den Opernalltag, wo morgens etwas anderes geprobt als abends gespielt wird und ständig Umbauten stattfinden, untauglich. Auch dieses Maß behält Buchheit im Auge. „Der wichtigste Moment für mich ist die Technische Einrichtung, etwa vier Wochen vor der ­Premiere“. Da werden alle von ihm berechneten Teile zum ersten Mal auf der Opernbühne ­im Nationaltheater zusammengebaut. „Wenn man sieht, dass alles aufgeht, ist das wunderbar. Wenn nur ein Teil übersteht, dann habe ich mich vermessen.“

Eine Fülle von Maßen muss der ­Konstrukteur Peter Buchheit berücksichtigen, wenn er die Pläne zum Bau der Bühnenbilder erstellt.

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Ben Heine, Pencil Vs Camera – 7, 2015

MAX JOSEPH 3 Vorschau

#3 VERMESSEN: Die Kunst Wolfgang Koch und David Bösch – Premiere Die Meistersinger von Nürnberg Oksana Lyniv – Premiere Albert Herring Ich als Forscher: Philipp Lahm

MJ 3 2015 – 2016 erscheint am 24.03.2016.


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„Die Schaffung von neuem Wohnraum und außergewöhnlicher, guter Architektur ist die Leidenschaft von Euroboden.“ Euroboden Architekturkultur www.euroboden.de


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