Programmbuch: TRISTAN UND ISOLDE

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BAYERISCHE STAATSOPER Richard Wagner

Tristan und Isolde Handlung in drei Aufzügen - 1865 Dichtung vom Komponisten In deutscher Sprache Mit Übertiteln in deutscher und englischer Sprache MÜNCHNER OPERNFESTSPIELE PREMIERE r itale el g i Dienstag, 29. Juni 2021 d Ihr ngszett u Nationaltheater tz Bese Musikalische Leitung Kirill Petrenko Regie Krzysztof Warlikowski Bühne und Kostüme Małgorzata Szczęśniak Licht Felice Ross Video Kamil Polak Choreographie Claude Bardouil Chor Stellario Fagone Dramaturgie Miron Hakenbeck, Lukas Leipfinger

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BESETZUNG

Tristan Jonas Kaufmann König Marke Mika Kares Isolde Anja Harteros Kurwenal Wolfgang Koch Melot Sean Michael Plumb Brangäne Okka von der Damerau Ein Hirte Dean Power Ein Steuermann Christian Rieger Ein junger Seemann Manuel Günther

Englischhorn Heike Steinbrecher Holztrompete Andreas Öttl

Beginn: 17.00 Uhr Pause nach dem 1. Aufzug, ca. 18.15 Uhr (40 Minuten) Pause nach dem 2. Aufzug, ca. 20.10 Uhr (40 Minuten) Ende: ca. 22.05 Uhr

Aus technischen Gründen wird gebeten, während der Pausen den Zuschauerraum zu verlassen.

Anfertigung der Bühnenausstattung und der ­Kostüme in den eigenen Werkstätten.

Bayerisches Staatsorchester Herrenchor der Bayerischen Staatsoper Statisterie der Bayerischen Staatsoper Opernballett der Bayerischen Staatsoper Folgen Sie uns (und sagen Sie uns, wie Ihnen die Vorstellung gefallen hat)! www.facebook.com/baystaatsoper twitter.com/bay_staatsoper www.instagram.com/bayerischestaatsoper #BSOtristan


TRISTAN UND ISOLDE Richard Wagner Bayerische Staatsoper


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RICHARD WAGNER (1813 –1883) TRISTAN UND ISOLDE Handlung in drei Aufzügen Text vom Komponisten nach dem Versroman Tristan von Gottfried von Straßburg (um 1210)

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Uraufführung am 10. Juni 1865 im Königlichen Hof- und Nationaltheater, München Premiere am 29. Juni 2021 im Nationaltheater München


BAYERISCHE STAATSOPER SPIELZEIT 2020 / 2021 Musikalische Leitung: Kirill Petrenko Inszenierung: Krzysztof Warlikowski Bühne und Kostüme: Małgorzata Szczęśniak Video: Kamil Polak

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Licht: Felice Ross Choreographie: Claude Bardouil Chor: Stellario Fagone Dramaturgie: Miron Hakenbeck, Lukas Leipfinger


14 DIE HANDLUNG /  THE STORY / L'ARGUMENT 26 VALÉRIE VAVRE: SUICIDE 38 GOTTFRIED VON STRASSBURG: BLANSCHEFLUR EMPFÄNGT TRISTAN 40 ELISABETH BRONFEN: TRISTANS SCHWERMUT, ISOLDES RACHE. ÜBERLEGUNGEN ZU RICHARD WAGNER, SIGMUND FREUD UND LARS VON TRIER 50 GOTTFRIED VON STRASSBURG: TRISTANS TAUFE 52 SUSAN SONTAG: WAGNERS FLÜSSIGKEITEN 66 GOTTFRIED VON STRASSBURG: DIE „ÄRZTIN MINNE“ 68 TOBIAS JANZ: ZEIT, KLANG UND MUSIKALISCHE DRAMATURGIE IM ERSTEN AUFZUG VON TRISTAN UND ISOLDE

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80 GOTTFRIED VON STRASSBURG: TRISTAN ÜBER DEN LIEBESTRANK 82 LYDIA HARTL: VERHÄNGNISVOLLE KRÄFTE. FRAGMENTE ZUR PSYCHOPHYSIK UND METAPHYSIK DER LEIDENSCHAFTEN 96 GOTTFRIED VON STRASSBURG: ISOLDES ABSCHIED VON TRISTAN 98 KRZYSZTOF WARLIKOWSKI: ÜBER WAGNERS TRISTAN UND ISOLDE 102 VALÉRIE VAVRE: SUICIDE 112 LIBRETTO 146 WILFRIED HÖSL: FOTOS DER KLAVIERHAUPTPROBE 170

TEXT- UND BILDNACHWEISE

171 IMPRESSUM

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DIE HANDLUNG

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1. AUFZUG Nach kriegerischen Auseinandersetzungen herrscht endlich Frieden zwischen den beiden Königreichen Irland und Cornwall. Zeichen dieses Friedensschlusses soll die Hochzeit der irischen Prinzessin Isolde mit Marke, dem König von Cornwall, sein. Arrangiert hat dies Markes Neffe und engster Vertrauter Tristan, der die Braut per Schiff nach Cornwall bringt. Auf dieser Überfahrt sehnt Isolde den Untergang des Schiffes herbei und verflucht ihre eigene Ohnmacht, der unfreiwilligen Hochzeit zu entgehen. Brangäne befragt ihre Herrin nach dem Grund für ihre Verstörung. Statt darüber Auskunft zu geben, verlangt Isolde Tristan zu sprechen, der sie seit Tagen meidet. Dieser lässt Isolde ausrichten, dass seine Pflichten an Bord es ihm nicht erlauben würden, der Bitte seiner zukünftigen Königin nachzukommen. Tristans Gefährte Kurwenal formuliert es anders: In einem Spottlied erinnert er Brangäne daran, dass Isoldes einstiger Verlobter Morold von Tristan im Kampf erschlagen worden ist. Der Kriegsheld Tristan könne also niemals Befehle von der Kriegsbeute Isolde empfangen. Isolde fühlt sich von der Zurückweisung erniedrigt und vertraut Brangäne ein lange gehütetes Geheimnis an: Vom Zweikampf mit Morold lebensgefährlich verwundet, habe sich Tristan unter falschem Namen nach Irland zu der heilkundigen Isolde begeben. Isolde erkannte in dem Verwundeten den Mörder ihres Verlobten und beschloss, ihn zu töten. Als sie ihm in die Augen blickte, verspürte sie allerdings Mitleid mit ihm und pflegte ihn gesund. Dass der genesene Tristan kurze Zeit später noch einmal nach Irland zurückkehrte, um als Brautwerber Isolde seinem Onkel Marke zuzuführen, demütigt sie besonders. Sie fasst den Plan, Tristan und sich selbst zu töten und beauftragt Brangäne, hierfür einen Todestrank vorzubereiten. Als Cornwalls Küste nicht mehr fern ist, erscheint Tristan endlich zu der von Isolde geforderten Unterredung. Isolde erinnert Tristan an ihre erste Begegnung und bietet ihm an, seine unbeglichene Schuld ihr gegenüber durch einen gemeinsamen Sühnetrank auszuräumen. Überzeugt, mit diesem Trank den sicheren Tod zu sich zu nehmen, trinken die beiden. Kurz darauf bekennen sie einander ihre Liebe und können kaum fassen, sich eben noch feindlich gegenübergestanden zu haben. Als das Schiff anlegt und sie von Marke und seinem Gefolge begrüßt werden, sind Tristan und Isolde völlig desorientiert. Auf Isoldes Frage, warum sie noch lebe, erklärt Brangäne, den Todestrank durch ein Liebeselixier ausgetauscht zu haben.

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2. AUFZUG Ungeduldig erwartet Isolde, dass Marke und sein Gefolge zur Jagd aufbrechen, und sie wie in den Nächten zuvor Tristan wiedersehen kann. Brangäne warnt Isolde: Es könne sich bei der nächtlichen Jagd


um einen von Tristans Freund Melot eingefädelten Hinterhalt handeln, um sie und ihren Liebhaber des Verrats am König zu überführen. Isolde aber widersetzt sich Brangänes Drängen und gibt das vereinbarte Zeichen, das Tristan zu ihr ruft. Brangäne soll Wache halten. Tristan und Isolde erinnern sich an ihre schicksalhaften Begegnungen und den Ursprung ihrer Liebe. Beide verfluchen den sie trennenden Tag und preisen die Nacht, in die sie für immer eintauchen wollen. Sie bestärken einander in der Überzeugung, dass sie sich von den Fesseln des Alltags, ihrer Namen und ihrer Existenz entledigen müssen, um durch einen Liebestod zu endgültiger Verschmelzung zu gelangen. Die Aussicht darauf versetzt sie in Ekstase. Doch plötzlich wird dieser Zustand durch die Ankunft Markes und sein Gefolge gestört. Triumphierend hält Melot Tristan für überführt. Tief getroffen von Tristans offensichtlichem Verrat verlangt Marke nach einer Erklärung, doch schweigt Tristan. Stattdessen nimmt Tristan Isolde das Versprechen ab, ihm in eine Welt jenseits des Lebens zu folgen. Er provoziert Melot zum Zweikampf und stürzt sich in dessen Schwert. 3. AUFZUG Schwer verwundet findet sich Tristan an dem Ort seiner Kindheit wieder und schwebt hier zwischen Tod und Leben. Kurwenal wacht an seiner Seite. Tristan glaubt, eine Melodie aus seinen frühesten Lebensjahren zu hören, und ihm wird bewusst, dass sein Leiden an sich selbst und seine lebenslang unstillbare Sehnsucht bis zu seiner Geburt zurückreicht, als er beide Eltern verloren hat. Er will sterben, nur die Sehnsucht nach Isolde hält ihn noch am Leben. Auch Kurwenal hofft auf die baldige Ankunft Isoldes, die Tristan ein weiteres Mal heilen soll. Mit Isoldes Ankunft stirbt Tristan. Sie fühlt sich um den gemeinsamen Tod betrogen. Brangäne, Marke und dessen Gefolge treffen ein, und es kommt zu einem Gefecht, weil Kurwenal deren friedliche Absicht verkennt. Er und Melot bringen sich gegenseitig um. Marke, der Tristan verzeihen und mit Isolde vermählen wollte, beklagt den toten Freund. Isolde ist von all dem unberührt: Losgelöst von der Welt folgt sie Tristan in den Tod.

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THE STORY

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ACT 1 After a period of warfare, peace finally prevails over the kingdoms of Ireland and Cornwall, marked by the wedding of the Irish Princess Isolde and Marke, King of Cornwall. Tristan, Marke’s nephew and closest confidant, has arranged the marriage and is to take the bride to Cornwall by ship. On the way to Cornwall, Isolde longs for the ship to sink, and curses her own lack of power to flee the involuntary wedding. Brangäne questions her mistress as to why she feels this way, and instead of providing any information, Isolde demands to speak to Tristan, who has been avoiding her for days. Tristan informs Brangäne that his duties on board do not allow him to fulfil the wish of his future queen. Tristan’s companion, Kurwenal, puts it differently: in a satirical song, he reminds Brangäne that Isolde’s former fiancé, Morold, was killed in battle by Tristan. The war hero Tristan could therefore never take orders from Isolde, the spoils of war. Isolde is mortified by this rejection and lets Brangäne in on a long-kept secret: severely wounded in the duel with Morold, Tristan had made his way to Ireland under a false name to Isolde, the healer. Isolde recognised her fiancé’s murderer and decided to kill him. However, looking into his eyes, she felt sympathy with him and nursed him back to health, only to be humiliated when a fully recovered Tristan went back to Ireland a short time later to present Isolde as a suitable bride for his uncle, Marke. Isolde plans to kill herself and Tristan and orders Brangäne to prepare a death potion for the occasion. Not far from the coast of Cornwall, Tristan finally appears as requested by Isolde. She reminds him of the first time they met, and offers for him to settle his unpaid debt by drinking an atonement potion with her. Convinced of a certain death, they both drink the potion. A short while later, they confess their love for each other, and can hardly believe that they had been enemies. The ship docks in Cornwall and completely disoriented, Tristan und Isolde are greeted by Marke and his men. When Isolde asks Brangäne why she is still alive, Brangäne explains that she had exchanged the atonement potion for a love elixir.

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ACT 2 Isolde waits impatiently for Marke and his men to leave for their hunt so that she can see Tristan again, as she had done the nights before. Brangäne warns Isolde that the nightly hunt could be an ambush instigated by Tristan’s friend Melot to catch her and her lover in the act of betraying the king. However, Isolde resists Brangäne’s urges and gives the signal for Tristan to join her. Brangäne is to keep watch. Tristan and Isolde recall their fateful encounters and the origin of their love. They both curse the day that separates them and praise the night that they could immerse themselves in forever. They convince


each other that they must free themselves of the binds of their everyday life, of their names and of their existence to be eternally united in a death of love. The mere thought puts them in a state of ecstasy. But all of the sudden, they are interrupted by Marke and his men. Melot triumphantly believes he has overcome Tristan. Deeply hurt by Tristan’s obvious betrayal, Marke demands an explanation. But Tristan remains silent. Instead, Tristan makes Isolde promise to follow him into a world beyond life. He challenges Melot to a duel and throws himself onto his sword. ACT 3 Severely wounded, Tristan finds himself back where he spent his childhood, floating between life and death. Kurwenal keeps watch at his side. Tristan believes he is hearing a melody from his early childhood and he realises that his own suffering and his life-long insatiable longing goes back to his birth where he lost both his parents. He wants to die, only the longing for Isolde is keeping him alive. Kurwenal also hopes that Isolde will arrive soon to heal Tristan one more time. As Isolde arrives, Tristan dies. She feels betrayed of a death together. Brangäne, Marke and his men arrive and a fight ensues as Kurwenal misjudges their peaceful intention. He and Melot kill each other. Marke, whose intention it was to forgive Tristan and marry him to Isolde, mourns his dead friend. Isolde remains unaffected by it all: detached from the world, she follows Tristan to her death.

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L’ARGUMENT

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ACTE 1 Après des affrontements guerriers, la paix règne enfin entre les deux royaumes d’Irlande et de Cornouailles. Le mariage de la princesse irlandaise Isolde avec Marke, le roi de Cornouailles doit sceller ce traité de paix. C’est Tristan, le neveu de Marke et son plus proche confident, qui a tout organisé et qui amène par bateau la fiancée en Cornouailles. Lors de cette traversée, Isolde appelle de ses vœux le naufrage du navire et maudit son impuissance à échapper à ce mariage imposé. Brangäne interroge sa maîtresse sur la raison de sa consternation. En guise de réponse, Isolde exige de parler à Tristan, qui l’évite depuis des jours. Celui-ci fait dire à Isolde que ses obligations à bord ne lui permettent pas d’accéder à la demande de sa future souveraine. Kurwenal, le compagnon de Tristan, voit les choses autrement : par un chant railleur, il rappelle à Brangäne que le feu fiancé d’Isolde, Morold, a été tué au combat par Tristan. Héros de guerre, Tristan ne saurait donc jamais recevoir d’ordres d’Isolde, qui fait partie intégrante du butin. Isolde se sent humiliée par ce rejet et confie à Brangäne un secret longtemps gardé : mortellement blessé lors du combat singulier avec Morold, Tristan s’était rendu en Irlande sous un faux nom pour avoir recours aux dons de guérisseuse d’Isolde. Celle-ci avait reconnu en ce blessé le meurtrier de son fiancé et elle avait décidé de le tuer. Mais lorsque son regard avait plongé dans le sien, la compassion l’avait envahie et elle l’avait soigné et guéri. Que peu après, Tristan rétabli soit revenu en Irlande afin de demander sa main pour son oncle Marke, la mortifie particulièrement. Elle nourrit le dessein de tuer Tristan et de se donner également la mort. A cette fin, elle prie Brangäne de préparer un breuvage mortel. Lorsque la côte de Cornouailles est en vue, Tristan se présente enfin à la sollicitation d’Isolde. Celle-ci lui rappelle leur première rencontre et lui propose, pour régler sa dette envers elle, de partager avec elle un breuvage expiatoire. Convaincus que ce breuvage les mènera à une mort certaine, ils le boivent tous les deux. Peu après, ils se déclarent leur amour et peinent à croire que quelques instants auparavant, ils s’affrontaient en ennemis. Lorsque le navire accoste et qu’ils sont accueillis par Marke et sa suite, Tristan et Isolde sont totalement désorientés. Quand Isolde lui demande pourquoi elle est encore en vie, Brangäne avoue avoir remplacé le breuvage mortel par un philtre d’amour.

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ACTE 2 Isolde attend avec impatience le départ pour la chasse de Marke et de sa suite et la possibilité de revoir Tristan, comme les nuits précédentes. Brangäne alerte Isolde : cette chasse nocturne pourrait être


un guet-apens manigancé par Melot, l’ami de Tristan, pour les convaincre, elle et son amant, de trahison envers le roi. Isolde résiste cependant à l’insistance de Brangäne et émet le signal convenu pour appeler Tristan. Brangäne doit faire le guet. Tristan et Isolde se remémorent leurs rencontres marquées par le destin et l’origine de leur amour. Tous deux maudissent le jour qui les sépare et magnifient la nuit dans laquelle ils souhaitent s’abandonner pour toujours. Ils se confortent mutuellement dans la conviction qu’ils doivent s’affranchir des entraves du quotidien, de leur nom et de leur existence, afin d’atteindre la fusion parfaite par une mort d’amour. Cette perspective les plonge en extase. Mais cet état est soudainement interrompu par l’irruption de Marke et de son escorte. Triomphant, Melot croit que Tristan est démasqué. Profondément affecté par la trahison manifeste de Tristan, Marke exige une explication, mais Tristan reste muet. Au lieu de cela, il fait promettre à Isolde de le suivre dans le monde de l’au-delà. Il provoque Melot en duel et il se jette sur l’épée de ce dernier. ACTE 3 Grièvement blessé, Tristan se retrouve sur les lieux de son enfance, suspendu entre la vie et la mort. Kurwenal veille à ses côtés. Tristan croit entendre une mélodie remontant à son plus jeune âge, et il prend conscience que la souffrance au plus profond de lui et le désir inassouvi de toute sa vie remontent à sa naissance, lorsqu’il a perdu ses deux parents. Il veut mourir, seul le regret d’Isolde le maintient en vie. Kurwenal attend lui aussi l’arrivée prochaine d’Isolde, qui pourrait guérir Tristan cette fois encore. Mais à l’entrée d’Isolde, Tristan expire. Elle se sent spoliée de la mort qu’ils auraient voulu partager. Arrivent Brangäne, ainsi que Marke et sa suite, et une escarmouche s’ensuit, car Kurwenal se méprend sur leurs intentions pacifiques. Lui et Melot s’entretuent. Marke, qui voulait pardonner à Tristan et épouser Isolde, se lamente sur la mort de son ami. Isolde semble ne pas percevoir ce qui se passe autour d’elle : détachée du monde, elle suit Tristan dans la mort.

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VALÉRIE FAVRE SUICIDE Die Serie Suicide entstand zwischen den Jahren 2003 und 2013 und besteht aus 129 kleinformatigen Leinwänden à 24 x 18 cm. Ausgangspunkt ist die Frage nach dem selbstgewählten Tod. Die Künstlerin interessiert sich für den subjektiven Vorgang im Inneren eines Menschen, der sich dem Mysterium des Todes durch Selbstbestimmung willentlich nähert. Zugleich wählt Valérie Favre eine Perspektive, die das Todesszenario von außen betrachtet. Der Moment des Übergangs vom Leben in den Tod scheint in der bildlichen Inszenierung auf: Der sterbenswillige Mensch ist auf den ersten Blick oftmals nicht zu erkennen, weil er in den malerischen Gesten gleichsam aufgeht. Die Palette der Ölfarben ist reduziert und bewegt sich zwischen Gelb, Blau und Schwarz, wobei die Kontraste durch die Aufhellung mit Weiß an Trennschärfe verlieren. Möglichkeiten, sich das Leben zu nehmen, gibt es unzählige: Die eine schläft im Schnee ein (S. 31), der andere kommt durch einen Sprung von der Klippe zu Tode (S. 105). Zuweilen handelt es sich um legendenumwobene Selbsttötungsszenarien wie im Falle Ludwig II. (S. 33), ein anderes Mal inszeniert Valérie Favre fiktive Zusammenhänge oder die Todesarten von Künstlerinnen und Schriftstellern. Auch der nüchtern berichtete Selbstmord aus der Zeitung findet statt. Die Serie Suicide konfrontiert das Leben mit der ungeheuerlichen Möglichkeit des Todes. Katrin Dillkofer

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27 Vergiftet, mit Tabletten, 2007 28 Überdosis, 2007– 2009 29 In der Badewanne, 2007 30 Von Zug überrollt, 2007– 2008 31 Im Schnee einschlafen, 2009 – 2011 32 Tristan und Isolde, verblutet, 2012 33 Ludwig II. von Bayern, ertrunken, 2008 – 2012 34 Klaus Mann, vergiftet, 2013 35 Hannelore Kohl, vergiftet, 2012 36 Stefan Zweig, vergiftet, 2012

Valérie Favre wurde 1959 im schweizerischen Evilard geboren und lehrt seit 2006 als Professorin für Malerei an der Universität der Künste in Berlin. Anfang der 1980er Jahre begann ihre künstlerische Karriere in Paris – zunächst als Schauspielerin und Bühnenbildnerin für Film und Theater. Seit den 1990ern stieg sie zu einer der viel diskutiertesten Malerinnen Frankreichs auf.


SUS WAS, DAZ RIWALÎN GENAS UND BLANSCHEFLÛR DIU SCHOENE WAS VON IME ENTLADEN UNDE BELADEN MIT ZWEIER HANDE HERZESCHADEN: GRÔZ LEIT LIE SÎ BÎ DEM MAN UNDE TRUOC DAZ GROEZER DAN; SÎ LIE DÂ SENEDE HERZENÔT UND TRUOC MIT IR VON DAN DEN TÔT: DIE NÔT SÎ MIT DER MINNE LIE, DEN TÔT SÎ MIT DEM KINDE ENPFIE.

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RIWALIN WURDE ALSO GESUND UND DIE SCHÖNE BLANSCHEFLUR WURDE DURCH IHN BELADEN UND BEFREIT MIT UND VON ZWEIERLEI HERZENSKUMMER: SIE LIESS GROSSES LEID BEI IHM ZURÜCK UND TRUG NOCH GRÖSSERES DAVON; SIE LIESS DORT DEN LIEBESSCHMERZ UND NAHM DEN TOD MIT; DURCH IHRE LIEBE VERGING IHR SCHMERZ, MIT DEM KIND EMPFING SIE DEN TOD.

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Gottfried von Straßburg: Blanscheflur empfängt Tristan (1331 – 1340)


ELISABETH BRONFEN: TRISTANS SCHWERMUT, ISOLDES RACHE. ÜBERLEGUNGEN ZU RICHARD WAGNER, SIGMUND FREUD UND LARS VON TRIER

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LIEBESTOD Auf der Überfahrt nach Cornwall klagt die Braut Isolde ihrer Magd Brangäne, sie sei nur noch eine lebende Leiche. Die bevorstehende Hochzeit mit dem alten König Marke empfindet sie als tödliche Schmach, ist diese doch rein den Friedensverhandlungen ihrer Eltern geschuldet. Die Möglichkeit, selber einen Gatten zu wählen, wurde ihr abgesprochen. Von Tristan fühlt sich Isolde besonders verraten: Er habe für seinen Herrn eine Braut als Leiche gewonnen. Aus Dank dafür, dass sie einst seine Kriegswunden heilte, hatte er ihr ewige Treue geschworen. Bald darauf aber habe er laut Isolde am Hof seines Onkels mit ihrer Schönheit geprahlt. Nun will sie Rache. Doch weil Brangäne den Todestrank, den Isolde sie hat bringen lassen, durch einen Liebestrank austauscht, tauchen Wagners „Nachtgeweihte“, wie sie sich selbst während ihres ausufernden Liebesduetts im zweiten Akt bezeichnen, am Ende des ersten Aktes stattdessen in einen Liebeswahn ein. Zwar gelingt es der Magd somit, den leiblichen Tod ihrer Herrin aufzuschieben, der Traumzustand, in den die beiden dank dieses Zaubertranks eintreten, kommt jedoch einer rauschhaften Abkehr vom gewöhnlichen Leben gleich. Von dem Augenblick an, in dem sich ihre betörten Blicke treffen, haben Tristan und Isolde nur ein Verlangen: sich in gegenseitiger Verschmelzung ganz zu verlieren. In diesem alles umfassenden Begehren versunken meinen sie, von der Welt mit all ihren Sorgen und Machtspielen entrückt zu sein, als wären sie geisterhafte Doppelgänger ihrer selbst. Im süßen Verlangen, das an die Stelle ihres vorangegangenen Streits getreten ist, sind sich beide nur noch gegenseitig gewahr. Auch nach der Ankunft in Cornwall suchen sie am Hof des König Marke, den Isolde trotzdem heiraten musste, in eine ewige Nacht der Liebe – außerhalb des gewöhnlichen Alltags, aber noch in der Welt – zu fliehen. Genießen sie somit ihre vorgängige Todeslust nun unter den veränderten Vorzeichen einer Liebesverzückung, benennt Isolde im zweiten Akt diesen fließenden Übergang zwischen Liebestraum und Todessehnsucht. Damit Tristan ungesehen zu ihr in den nächtlichen Garten vor dem Schloss kommen kann, versichert sie Brangäne: „Die Leuchte, und wär’s meines Lebens Licht – lachend sie zu löschen zag’ ich nicht“. Mit dem Erlöschen der Leuchte erhoffen sich die beiden Nachtgeweihten auch eine erlösende Auslöschung ihrer alltäglichen Welt. In dieser ewigen Einheit jenseits irdischer Gefühlsregungen sollen sich nicht nur „all Gedenken, all Gemahnen“ verflüchtigten. Aus dieser Weltentrückung wollen sie auch nie mehr erwachen. Vielmehr soll die Grenze zwischen Leben und Tod aufgehoben werden. Ungetrennt, ewig einig, namenlos, ganz sich selbst gegeben, wollen sie nur diese Liebe leben. Der von ihnen heraufbeschworene Liebestod macht zugleich alle Setzungen rückgängig, die auf einer Trennung zwischen


mein und dein zurückzuführen sind. Das Verlangen „ewig ein“ zu sein bedeutet für die beiden Nachtgeweihten eine „Wonne – fern der Sonne, fern der Tage Trennungsklage“. Sie sehnen sich also zurück zu einem ursprünglicheren Zustand, zu jenem „ewig heim“, aus dem ihr auf Differenzen basierendes irdisches Leben entsprungen ist. Statt schmachten, meiden oder scheiden wollen sie ein Vergehen in „ungemessnen Räumen übersel’ges Träumen“. Wagners Libretto nennt diesen Zustand „ein-bewusst“, verwandeln sich im Liebestod die beiden Personen doch nicht nur ineinander. Sie sind sich auch der an diesen Austausch gekoppelten Entäußerung ihrer eigenen Identität bewusst. Am Höhepunkt ihres Duetts versichert Tristan verzückt: „Tristan du, ich Isolde, nicht mehr Tristan“ und seine verbotene Geliebte antwortet ebenso begeistert: „Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Isolde“. Doch diese Identitätsverschmelzung ist eben nur ein rauschhafter Traum. Die Ankunft des betrogenen König Marke und seiner Gefolgschaft bringt das Erwachen in einen weiteren öden Tag mit sich, und daran geknüpft auch jenes fatale Gefecht zwischen Tristan und dem ehemaligen Kriegskameraden Melot, welches im dritten Akt den Tod beider zur Folge haben wird.

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TODESTRIEB Ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung von Wagners Oper formuliert Sigmund Freud in seiner Schrift Jenseits des Lustprinzips (1920) ein ähnliches menschliches Verlangen nach einem ursprünglicheren Zustand vor dem Widerstreit zwischen äußeren Erwartungen und innerem Begehren, der das soziale Leben ausmacht. Er nennt diesen Drang den Todestrieb. Dabei geht er davon aus, dass der seelische Apparat grundsätzlich darauf angelegt ist, Lust und Unlust auszutarieren. Das Leben im gewöhnlichen Alltag mag einem oft den Verzicht auf mancherlei Wünsche aufzwingen. Dennoch gilt im gesunden Seelenleben die Herrschaft eines Lustprinzips, welches darauf ausgerichtet ist, Unlust zu vermeiden und Befriedigung zu erzeugen. In den seelischen Zerrüttungen seiner Patienten konnte Freud hingegen eine andere Tendenz entdecken, die elementarer und triebhafter war als dieses Streben nach Gleichgewicht. Dazu zählten auch die traumatischen Neurosen der Veteranen des Ersten Weltkrieges, der damals gerade beendet worden war. In ihren Träumen kehrten diese Veteranen nämlich immer wieder zu jenem Erlebnis an der Front zurück, welches ihr seelisches Leiden überhaupt ausgelöst hatte. An diesem Wiederholungszwang wiederum erkannte Freud statt dem Versuch, weiteren Schmerz zu vermeiden, regelrecht eine psychische Fixierung an ein Moment des Traumas. War die Erkrankung ursprünglich eingetreten, weil der Soldat ein ihn zutiefst erschütterndes Ereignis nicht bewältigen konnte, drängt es ihn nachträglich, in Gedanken zwanghaft wieder zu erleben, was ihm


nur Unlust bereiten konnte. Statt Balance also eine Hingabe an die Verwundung der Seele, die eine Rückkehr ins normale Alltagsleben unerträglich erscheinen lässt. Freud nennt zwar seine Folgerung, es müsse im Seelenleben der Menschen zwei konkurrierende Triebe geben – ein Lustprinzip und einen Wiederholungszwang, der sich über dieses hinwegsetzt – eine weitausholende Spekulation. Eben die Einsicht jedoch, er würde mit dieser Behauptung wissenschaftlich gesichertes Terrain verlassen, rückt seinen Begriff des Todestriebes in die Nähe von Wagners Liebestod. Ausgehend von dem Zwang, im Traum zu einem traumatischen Ereignis zurückzukehren, meint auch Freud einen dem seelischen Apparat innewohnenden Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes zu erkennen. Dabei handelt es sich laut dem Psychoanalytiker um eine Regression in einem ganz bestimmten Sinn. Das Endziel des Triebes, der jenseits des Lustprinzips drängt, ist kein Zustand, der nie zuvor erreicht worden ist. Es ist vielmehr jener Ausgangszustand, den das Leben einmal verlassen hat und zu dem der Mensch über alle Umwege der Entwicklung zurückstrebt. Mit einer Formel bringt Freud es auf den Punkt: „Das Leblose war früher da als das Lebende.“ Entwickelt sich Anorganisches zu Leben im Mutterleib, wird die Abnabelung von diesem, die mit der Geburt einhergeht, im Tod wieder rückgängig gemacht: Als Rückkehr in ein ewiges Heim. Erweist sich somit der Tod als das eigentliche Ziel des Lebens, ergibt sich daraus laut Freud ein Wettstreit zwischen Selbsterhaltungstrieb und Todestrieb. Dafür bietet er ein militärisches Denkbild: „Die eine Triebgruppe stürmt nach vorwärts, um das Endziel des Lebens möglichst bald zu erreichen, die andere schnellt an einer gewissen Stelle dieses Weges zurück, um ihn von einem bestimmten Punkt an nochmals zu machen und so die Dauer des Weges zu verlängern.“ Beide Handlungen – vorwärtsstürmen und zurückschnellen – setzen auf Wiederholung, wenn auch im entgegengesetzten Sinn. Der Lebenstrieb sucht Umwege, beginnt immer wieder von Neuem, um das Erreichen des Endziels hinauszuschieben. Der Todestrieb hingegen sucht eine Abkürzung, um den früheren unbelebten Zustand unmittelbar wiederherzustellen: Jenseits eines Erwachens in einen trüben Tag samt seiner Trennungsklage.

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WIEDERHOLUNGSZWANG Ist der von Tristan und Isolde gefeierte Traum vom Liebestod von dem Verlangen gezeichnet, das psychische Gleichgewicht zwischen Lust und Unlust zugunsten einer todesähnlichen Wonne aufzugeben, ist der Hintergrund, vor dem sich dieser Wunsch entwickelt, ebenfalls ein ähnlicher wie Freuds Entdeckung des Wiederholungszwangs. Auch der Liebesrausch von Wagners Nachtgeweihten lässt sich zurückführen auf ein Moment des Traumas während eines Kriegsgeschehens.


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Tristan wurde in der Schlacht mit Morold schwer verletzt. Isolde hingegen musste ihrerseits erleben, wie statt dem geforderten Zins das Haupt ihres Bräutigams, der ihretwegen in den Krieg gezogen war, nach Irland zurückgeschickt wurde. Nachdem anschließend der sterbende Tristan inkognito als Tantris in einem Kahn an Irlands Küste angeschwommen kam, hat sie zwar in ihm den Mörder ihres Geliebten erkannt. Als sie jedoch bereits mit erhobenem Schwert vor ihm stand, hat sein messender Blick sie derartig erschüttert, dass sie, statt Rache zu üben, das Schwert fallen ließ und seine Wunde pflegte. Sie hat ihn geheilt, gesteht sie Brangäne noch bei der Überfahrt, damit sein Blick sie nicht mehr beschweren würde. Entscheidend für die Fixierung auf ein Moment des Traumas ist auch in ihrem Fall, dass sie die Erschütterung, die er bewirkte, nicht bewältigen konnte. Noch zweimal kehrt Isolde im ersten Akt zu dieser Szene, die ihr nur Unlust bereiten kann, zurück. Um Tristan davon zu überzeugen, den Sühnetrank mit ihr zu teilen, erinnert sie auch ihn daran, wie ihre Rache für Morold scheiterte. Dann kommt sie ein letztes Mal auf diese Szene zu sprechen, während sie ihm den Becher reicht, von dem sie meint, er würde den Todestrank enthalten. Hämisch stellt sie sich vor, wie er König Marke berichtet hat, dass sie, statt ihn zu töten, seine Wunde heilte. Dieses miteinander geteilte Moment des Traumas, als er – ihr gänzlich ausgeliefert – sie ihres Willens entmächtigte, ist somit nicht nur die Kehrseite des Liebestraums, sondern auch ursprünglicher als dieser. Der Umweg zum Tod, den der Liebestrank ihnen aufgedrängt hat, ist kein Zurückschnellen zugunsten des Lebenstriebes. Wie Tristans Kriegslust und Isoldes Rachelust ist auch der von ihnen ersehnte Liebestod jenseits des Lustprinzips. Dieser verspricht allerdings für die Verletzungen, die beide im Krieg erfahren haben, Heilung, wenn auch nur im Sinne einer Schutzdichtung. Der Umstand, dass für diese Entrückung ein Zaubertrank verantwortlich ist, macht nämlich auch sichtbar, wie sehr der Liebestod ein Trieb ist, dem sie nachgeben müssen. Er ist keiner eigenen Entscheidung geschuldet. Nachdem die Ankunft des König Marke wie schon im ersten Akt, so auch am Ende des zweiten Aktes die beiden Nachtgeweihten zwingt, doch wieder in einen öden Tag zu erwachen, nimmt das Libretto in der Beschreibung des Todes, den Tristan sich als Antwort darauf ersehnt, ein weiteres Mal Freud vorweg. Er fragt Isolde, ob sie ihm in das dunkle nächt’ge Land folgen will, aus dem die Mutter ihn entsandte, als sie selber im Sterben lag. Isolde wird ihm erst im dritten Akt folgen. Das Libretto setzt somit konsequent auf einen Wiederholungszwang, der immerfort ein früheres Moment des Traumas nachstellt. Tristan ist wieder ein tödlich Verwundeter und Isolde soll ihn ein weiteres Mal heilen. Ein letztes Mal kehrt nun er in Gedanken zu der Szene zurück, als er sterbend im Kahn bei ihr ankam. Der Umstand, dass er bei dieser Erinnerung die alte Weise vernimmt, die er mit dem Tod seiner Mutter


bei seiner Geburt verknüpft, lässt gleichzeitig erkennen, wie sehr bereits die Kriegsverletzung auf ein vorgängiges Trauma zurückgreift. Kurwenal meint zwar, sein Herr würde die Geliebte so sehnlichst erwarten, um mit ihr ins Leben zurückzukehren. Es könnte aber auch sein, dass Tristan ihre Anwesenheit braucht, um endlich zu vollziehen, was ihm bislang nicht gelungen ist. In dem Augenblick, in dem Isolde zu ihm stürzt, reißt er den Verband der Wunde auf, nicht aber, damit sie diese „ewig schließe“ im Sinne einer Heilung, sondern im Sinne einer Erlösung. Die dramaturgische Auflösung allerdings bleibt ambivalent. Zweimal wurde Isolde davon abgehalten, Tristan den Tod zu geben: Als sein messender Blick sie mit erhobenem Schwert traf und als Brangäne ihr statt dem Todestrank den Liebestrank reichte. Jetzt stirbt er in ihrer Umarmung und überlässt es ihr, ihm mit ihrem Gesang – aber vielleicht auch nur in diesem – zu folgen. In Isoldes Schlussgesang, der wahlweise als „Verklärung“ oder „Liebestod“ bezeichnet wird, steigert sie sich in jenes „Ein-bewusst“ hinein, welches sich die beiden im zweiten Akt erträumten. Am Ende sinkt sie wie verklärt auf Tristans Leiche, als ginge es darum, eine höchste Lust jenseits des Lebensprinzips zu bezeugen. Die Darbietung bringt das Geschehen aber auch an den Anfang zurück, als sie Brangäne verkündete, sie sei als Braut eine Leiche. Das ganze Bühnengeschehen könnte als Isoldes Imagination ihren rachelüsternen Gedanken entsprungen sein.

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SCHWERMUT ALS KATASTROPHE Auf der Tonspur seines apokalyptischen Films Melancholia (2011) kehrt Lars von Trier wiederholt zwanghaft zum Tristanakkord zurück: zu jenem Akkord, der zu Beginn von Wagners Oper erklingt und in seiner harmonischen Undurchsichtigkeit als Klangchiffre für Schmachten, Verlangen, Sehnsucht oder allgemein einen Spannungszustand leitmotivisch mehrfach wiederkehrt und erst am Ende der Oper aufgelöst wird. Lars von Triers Aneignung Wagners entpuppt sich nicht nur als narratives Leitmotiv, sondern auch als ästhetische Erschütterung, um die seine Filmbilder kreisen. Von den Klängen der Wagnerschen „Einleitung“ begleitet setzt Melancholia mit einem prophetischen Vorspiel ein: Eine Serie an Vignetten, die das, was sich alsdann auf der Leinwand entfalten wird, vorwegnehmen. Im Zentrum dieser Bildserie steht die von Kirsten Dunst gespielte schwermütige Braut Justine. Mal schwimmt sie mit geschlossenen Augen in ihrem Brautkleid im Wasser, mal bewegt sie sich mühsam durch eine Lichtung, weil ein modriges Gewächs ihre Taille und ihre Füße umschlungen hat. Mal hebt sie verzückt ihre Hände zum Himmel und betrachtet den Rauch, der aus ihren Fingerspitzen emporsteigt. In Zeitlupe sehen wir auch ihre Schwester Claire und deren Sohn Leo, die ebenfalls in einem Schlosspark verweilen, während ein blau umrandeter Planet sich in Richtung Erde bewegt. Die Zeitlupe weist darauf hin, dass alle Figuren, die ge-


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bannt dem Bewegungsverlauf dieses flyby verfolgen, aus ihrer Alltagswelt entrückt sind. Schließlich mündet die Bildsequenz in der Kollision von Erde und Melancholia, die Feuer und Rauch verströmend miteinander verschmelzen. Der wiederholte Einsatz des Tristanakkords untermalt zugleich die Umschrift, die Lars von Trier von Wagners Liebestod darbietet, wird er doch vorwiegend der depressiven Justine zugeschrieben. Wie Isolde soll sie im ersten Teil des Films heiraten. Doch das Brautpaar kommt nicht nur verspätet bei der Schwester an, die mit ihrem Gatten die Hochzeitsfeier auf ihrem Schloss ausrichtet. Die Braut hegt auch Zweifel daran, ob sie diesen Ehebund eingehen will. Anders als König Marke weiß Michael von der pathologischen Schwermut seiner Braut, glaubt aber, sie habe diese im Griff. Innerhalb der Filmgeschichte ertönen Wagners Klänge das erste Mal, als Justine in ihrem Brautkleid das Fest verlässt und mit dem Golfwagen über den Rasen fährt, weil etwas am nächtlichen Sternenhimmel sie anzieht. Aus Wagners leichenhafter Braut ist eine Schlafwandlerin geworden, die vom Tristan­ akkord begleitet wenige Szenen später ihrer Schwester den Traum beschreibt, der als Vignette im Vorspann zu sehen war. Es ist ihr Zaudern, das ihre Schritte in den Ehezustand beschwert. Zwar erklingt dieses Leitmotiv auch als musikalische Ausmahlung einer verzauberten nächtlichen Szene. Die Hochzeitsgäste haben sich draußen auf der Wiese versammelt, trinken Champagner und lassen beschriftete Himmelslaternen aufsteigen. Doch Justine, in ihrer Traurigkeit gefangen, erscheint weiterhin wie eine Entrückte. Bei Lars von Trier wird zudem aus dem hehren Ehebruch Isoldes ein gänzlich unromantischer sexueller Beischlaf, zu dem Justine einen jungen Mann auf der Wiese vor dem Haus zwingt, während ihr Bräutigam Michael vom Fenster ihres Schlafzimmers sie beobachtet. Ohne ihr große Vorwürfe zu machen, wird er am Ende der Feier zusammen mit allen anderen Gästen den Schauplatz verlassen. Am augenfälligsten aber sind die veränderten Umstände, in denen sich diese vereitelte Hochzeit abspielt. Aus dem Kriegsgeschehen bei Wagner ist eine Naturkatastrophe geworden, von der man noch hofft, sie würde nicht eintreten. Doch am nächsten Morgen wird das morgendliche Ausreiten der Schwestern einmal mehr vom Tristanakkord begleitet. In ihrer Melancholie eingesponnen, ist Justine weitaus empfänglicher für das sich anbahnende Verhängnis und erkennt sofort, dass eine Veränderung in der Sternenkonstellation eingetreten ist. Dieser unglücklichen Braut, zu der das Drehbuch die Nachtgeweihten Wagners verdichtet, geht es nicht um Rache. Sie verkörpert vielmehr ein allumfassendes Todesverlangen. Ihr Zögern hat das Liebestodmotiv – als Klang und als dramaturgisches Element – in das Gut der Schwester eingeführt und lässt uns ahnen: Mit ihrem Verlangen nach Weltentronnenheit ist sie es, die den blau umrandeten Planeten anzieht.


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Im zweiten Teil rückt Claire in den Vordergrund. Justine hat einen Nervenzusammenbruch erlitten und ist zu ihrer Schwester gezogen, damit diese sie pflegen kann. Die unterschiedliche Einstellung der beiden Frauen zu der immer näher rückenden Katastrophe lässt sich als Wettstreit zwischen Lebenstrieb und Todestrieb verstehen. Dieser Gegensatz erhält in einer zweiten Hochzeitsnacht seinen dramaturgischen Höhepunkt. Beide Schwestern haben sich auf die Wiese vor dem Schloss begeben, die sowohl vom Mond als auch Melancholia beleuchtet wird. Claire, die ihrer Schwester in den anliegenden Wald folgt, findet diese nackt auf einem Felsen ausgestreckt, wo sie sich dem gleißenden Licht des flyby in erotischer Ekstase hingibt. Statt dem leiblichen Geschlechtsverkehr im ersten Teil ist Justine nun mit dem bedrohlichen Planeten „ein-bewusst“. Wagners Liebestod wird als autoerotische Verschmelzung mit ihrer eigenen Schwermut gezeichnet. Claire schaut ihrerseits verwundert zu, als hätte sie die Position Brangänes übernommen, greift aber nicht ein. Vielmehr zwingt sie dieser Anblick, die reale Bedrohung einer Kollision zu ahnen, die ihr Gatte weiterhin verharmlosen will. Als Verkörperung des Selbsterhaltungstriebes hält Claire dennoch an ihrem Drang fest, ihren Sohn und sich vor der Katastrophe zu schützen. Justine hingegen gibt sich dem Verhängnis unmittelbar hin, als wolle sie die tödliche Begegnung der beiden Planeten regelrecht beschleunigen. Indem die Frauen in den Vordergrund rücken, entsteht auch eine neue Konstellation des Liebestodes. Während Claires Ehemann einfach sang- und klanglos eines Morgens im Pferdestall Selbstmord begeht, wechselt Justine die Rollen. Die psychische Verletztheit, die sie im ersten Teil noch vor den Hochzeitsgästen verbergen konnte, muss sie vor ihrer Schwester nicht verheimlichen. War sie am Anfang wie Isolde in der Position der Entrückten, ist sie nun wie Tristan in ihrer Weltenflucht entschlossen. Die Erlösung aus der Welt, nach der sie sich sehnt, betrifft allerdings nicht nur ihr persönliches Schicksal. Das Drehbuch verallgemeinert, was bei Wagner eine intime Angelegenheit war und macht aus dem Liebestod einen Weltuntergang. Dabei kann es auch in Melancholia keinen einsamen Selbstmord geben. Wenn der Tristanakkord einmal mehr erklingt, während Claire begreift, dass jegliches Fliehen sinnlos ist und deshalb mit ihrem Sohn zu Justine zurückkehrt, die auf der Veranda des Schlosses auf sie wartet, wird klar: Sie kehrt zu ihrer Schwester in der Position Isoldes zurück, nicht um sie zu heilen, sondern um auch sich von deren Todeslust in den Bann ziehen zu lassen. Wagners Leitmotiv ruft bis zum Schluss musikalisch jene Unabwendbarkeit auf, die das Vorspiel des Films bereits angekündigt hat. Für dieses Schwesternpaar gibt es kein Entkommen. In der letzten Szene sitzen die beiden zusammen mit dem Buben händehaltend unter den Ästen, aus denen Justine das Gerüst eines Zelts errichtet


hat. Sie nennt es ihre Zauberhöhle. Angesichts eines Todes, der nicht mehr umgangen werden kann, sind sie miteinander „ein-bewusst“. Als Kulisse rückt hinter ihnen der blau umrandete Planet immer näher, bis er schließlich den Bildrahmen sprengt und das Filmbild sich im Feuerrausch auflöst. Die Leinwand wird schwarz. Die Musik verstummt. Es hallt nur das Geräusch der Explosion nach. Lars von Trier entledigt sich des von Wagner gefeierten Höhepunkts. In seiner Umschrift des Liebestodes gibt es keine Überlebenden, die ergriffen auf die Leichen blicken, und somit auch keine Hoffnung auf Fortleben, sondern nur die gemeinsame Auslöschung. Verdeckt in Wagners Libretto der Liebeswahn die Mordgelüste des vom Krieg geschädigten Liebespaars, wird in Melancholia die traumatische Erkrankung der Heldin zur Zerstörungskraft der Natur erhöht. Der musikalische Wiederholungszwang, der sich so exzessiv in die Tonspur des Films einschreibt, lässt sich aber auch als mediale Selbstreflexion verstehen: Es könnte alles nur die rauschhafte Halluzination einer vom Wagnerschen Liebestodmotiv inspirierten Braut gewesen sein.

Elisabeth Bronfen ist Professorin für englische und amerikanische Literatur an der Universität Zürich und Professorin an der New York University im Rahmen des Global Distinguished Professorship-Programms. Sie promovierte an der LMU München mit der Arbeit Der literarische Raum. Eine Untersuchung am Beispiel von Dorothy M. Richardsons Romanzyklus “Pilgrimage”. Ihre Habilitationsschrift wurde ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik veröffentlicht. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Gender Studies, Psychoanalyse, Film, Kulturtheorie und Bildwissenschaft. Zu ihren zahlreichen Publikationen gehören ferner Bücher wie Liebestod und Femme fatale. Der Austausch sozialer Energien zwischen Oper, Literatur und Film oder zuletzt Serial Shakespeare: An Infinite Variety of Appropriations in American TV Drama.


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NU HEIZET TRISTE TRIURE, UND VON DER ÂVENTIURE SÔ WART DAZ KINT TRISTAN GENANT, TRISTAN GETOUFET AL ZEHANT. VON TRISTE TRISTAN WAS SÎN NAM. DER NAME WAS IME GEVALLESAM UND ALLE WÎS GEBAERE. DAZ KIESEN AN DEM MAERE. SEHEN WIR TRÛRECLÎCH EZ WAS, DÂ SÎN SÎN MUOTER GENAS. SEHEN WIE VRUO IM ARBEIT UND NÔT ZE RUCKE WART GELEIT. SEHEN WIE TRÛRECLÎCH EIN LEBEN IME ZE LEBENE WART GEGEBEN. SEHEN AN DEN TRÛRECLÎCHEN TÔT, DER ALLE SÎNE HERZENÔT MIT EINEM ENDE BESLÔZ, DAZ ALLES TÔDES ÜBERGENÔZ UND ALLER TRIURE EIN GALLE WAS. DIZ MAERE, DER DAZ IE GELAS, DER ERKENNET SICH WOL, DAZ DER NAM DEM LEBENE WAS GEHELLESAM. ER WAS REHT ALSE ER HIEZ EIN MAN UND HIEZ REHT ALSE ER WAS: TRISTAN.

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‚TRISTE‘ HEISST ‚TRAUER‘, UND DESHALB WURDE DAS KIND TRISTAN GENANNT UND SOGLEICH AUF DEN NAMEN TRISTAN GETAUFT. SEIN NAME TRISTAN LEITETE SICH VON ‚TRISTE‘ HER. DER NAME PASSTE ZU IHM UND WAR IN JEDER WEISE ANGEMESSEN. DAS WOLLEN WIR AN DER GESCHICHTE ÜBERPRÜFEN. SEHEN WIR, WIE TRAURIG ES WAR, ALS SEINE MUTTER IHN GEBAR. SEHEN WIR, WIE FRÜHZEITIG IHM MÜHE UND DRANGSAL AUFGEBÜRDET WURDEN. SEHEN WIR, WELCH TRAURIGES LEBEN IHM ZU LEBEN AUFGEGEBEN WURDE. SEHEN WIR, WIR SEIN TRAURIGER TOD ALL SEINE HERZENSQUALEN MIT EINEM ENDE ABSCHLOSS, DAS SCHLIMMER WAR ALS JEDER TOD UND BITTERER ALS ALLE TRAUER. JEDER, DER DIESE GESCHICHTE GELESEN HAT, SIEHT GENAU, DASS DER NAME DEM LEBEN ENTSPRACH. ER WAR GENAU SO, WIE ER HIESS, UND ER HIESS, WAS ER WAR: TRISTAN. 51

Gottfried von Straßburg: Tristans Taufe (1999 – 2022)


SUSAN SONTAG: WAGNERS FLÜSSIGKEITEN

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Wasser, Blut, Wundbalsam, Zaubertrank – Flüssigkeiten spielen in Wagners Mythologie eine entscheidende Rolle. Wagners Geschichten nehmen oftmals von einer Wasserwelt ihren Ausgang. Ankunft übers Wasser und Abreise übers Wasser bilden den Handlungsrahmen im Fliegenden Holländer und in Lohengrin. Die Ring-Sage beginnt buchstäblich im Wasser, und zwar unter der Oberfläche des Rheins (um, vier Opern später, mit einem kosmischen Duett von Wasser und Feuer zu enden). Wagners tollste Erkundung des Flüssigen, Tristan und Isolde, beginnt und endet mit Reisen übers Wasser. Der erste Akt spielt auf einem von Tristan kommandierten stattlichen Schiff, das die irische Prinzessin Isolde, die mit Tristans Onkel, König Marke, verlobt ist, nach Cornwall bringt. Dieser Fahrt war eine frühere Seereise vorausgegangen, als der schwerverwundete Tristan in einem Boot allein nach Irland aufgebrochen war, und zwar in der Hoffnung, von Isolde, die für ihre Heilkunst berühmt war, gesund gepflegt zu werden. Da der Feind, der ihn verwundet und den er getötet hatte, Isoldes Verlobter war, konnte er seine Identität nicht preisgeben. (Einzelgänger mit geheimnisvoller oder verschleierter Identität – Lohengrin, der Holländer, der verwundete Tristan am irischen Hof – kommen gewöhnlich übers Wasser.) Der dritte Akt spielt auf einer Festungsanlage, die auf das Meer hinausgeht, wo Tristan, Ende des zweiten Aktes aufs Neue und diesmal tödlich verwundet, auf die Ankunft eines Schiffes wartet, mit dem Isolde eintreffen soll, nach der gesandt wurde, nicht als seine Geliebte, sondern als seine schon einmal erfolgreiche Heilerin. Doch als sie erscheint, stirbt Tristan, und sie folgt ihm in den Tod. Fahrten übers Wasser sind in Wagners Mythologie mit einer Erlösung verbunden, die nicht eintritt, wie in Lohengrin, oder auf andere Weise eintritt als ursprünglich angestrebt, wie in Tristan und Isolde, wo nahezu alle, entweder besinnungslos oder beseligt, sterben müssen. Parsifal ist, ähnlich wie Tristan und Isolde, in hohem Maße eine Geschichte von Flüssigkeiten. In dieser letzten der dreizehn Opern Wagners jedoch tritt das, was als Erlösung definiert ist – nämlich jemanden zu finden, der den verwundeten König Amfortas heilen und ihm auf den Thron folgen wird –, tatsächlich ein, und sogar in der erhofften Weise. Eine Jungfrau, diesmal männlichen Geschlechts, ein reiner Tor, erscheint wie vorhergesagt. Vielleicht hat diese Erfüllung von Erwartungen unausweichlich zur Folge, dass die Wasserwelt aus dieser Oper weitgehend ausgeschlossen bleibt. Ein majestätisches Außen, der Wald, und ein riesiges geweihtes Innen, der Heilige Gral, sind die beiden positiven Schauplätze (die negativen, Klingsors Reich, sind ein Burgturm und ein Garten voller gefährlicher Blumen). Gewiss, der erste Akt weist gleich hinter der Bühne Wasser auf: einen See, an den der verwundete König zur Hydrotherapie gebracht wird, und eine Quelle, aus der Kundry Wasser besorgt, um


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den in Ohnmacht gefallenen Parsifal wiederzubeleben, nachdem sie ihm brutal vom Tod seiner Mutter berichtet hat; und im dritten Akt gibt es Wasser für eine Weihe, eine Taufe. Doch die Hauptgeschichte der Flüssigkeiten handelt von Blut: der unstillbaren Blutung der Wunde in Amfortas’ Seite, von Christi Blut, das in den Gralskelch strömen soll. Seine Hauptaufgabe als König der Gralsritter, die darin besteht, für die heilige Kommunion der Ritter Christi Blut im Kelch regelmäßig wieder erscheinen zu lassen, ist Amfortas zu einer Qual geworden – so geschwächt ist er von seiner Wunde, die ihm Klingsor mit ebendem Speer beigebracht hat, von welchem Jesu Seite durchbohrt wurde, als Er am Kreuz hing. Der Handlungskern von Parsifal lässt sich zusammenfassen als letztlich erfolgreiche Suche nach einer Ablösung für jemanden, der Schwierigkeiten hat, eine Flüssigkeit erscheinen zu lassen. In Wagners Geschichten werden verschiedene Arten von Flüssigkeit vom Körper aufgenommen, doch nur in einer Form tritt Flüssigkeit aus, und zwar als Blut, und das nur beim männlichen Körper. Frauen sterben eines unblutigen Todes: gewöhnlich scheiden sie plötzlich einfach dahin (Elsa, Elisabeth, Isolde, Kundry), oder sie bringen sich zum Opfer dar, in Wasser (Senta) oder in Feuer (Brünnhilde). Nur Männer bluten – verbluten. (Deshalb erscheint es nicht zu abwegig, wenn man Samen metaphorisch unter Blut subsumiert.) Wenngleich Wagner den hingestreckten, durchbohrten, blutenden männlichen Körper als Folge heldischen Kampfes darstellt, gibt es gewöhnlich hinter der von Speer oder Schwert beigebrachten Verletzung eine erotische Wunde. Liebe, wie sie von Männern erfahren wird, ist sowohl in Tristan und Isolde als auch in Parsifal gleichbedeutend mit einer Wunde. Isolde hatte Tristan geheilt, doch Tristan war in Liebe zu Isolde entbrannt; Wagner signalisiert die emotionale Notwendigkeit einer neuen physischen Wunde, indem er diese schockierenderweise als eine praktisch selbst beigebrachte hinstellt. (Tristan lässt am Ende des zweiten Aktes das Schwert sinken und sich vom treulosen Melot durchbohren.) Amfortas war bereits von Kundry verführt worden; Klingsors Speer machte daraus lediglich eine buchstäbliche Wunde. In Wagners misogyner Logik ist die Frau, die charakteristischerweise in der Doppelrolle als Heilerin und als Verführerin auftritt, oft das eigentliche todbringende Element. Während Isolde eine positive Version dieser Figur ist, wird in Parsifal sowohl der negative als auch der erotische Aspekt weitaus expliziter gestaltet. Die Person, die am Anfang des ersten Aktes mit einem Gefäß kostbarer medizinischer Salbe für den siechen König hereingestürzt kommt – sie bringt Linderung der Schmerzen, jedoch keine Heilung –, ist dieselbe Person, die des Königs Wunde verursacht hat. Wagner entwirft Kundry systematisch als duale Gestalt: in ihrer dienenden Rolle bringt sie Flüssigkeiten; in ihrem Alter ego als Verführerin nimmt sie sie.


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Verführung ist Beredtheit; Dienst ist stumm. Nachdem Kundrys höchste Beredtheit versagt hat – nämlich im zweiten Akt bei ihrem Versuch, Parsifal zu verführen –, wird sie dargestellt als jemand, der nichts mehr zu sagen hat. „Dienen! Dienen!“ sind die einzigen Worte, die ihr im ganzen dritten Akt zugestanden werden. Im Gegensatz dazu wird Isolde, die zuerst als Heilerin, als jemand, der erfolgreich Balsam verabreicht hat (der Hintergrund der Opernhandlung), und dann als Objekt des Verlangens charakterisiert wird, immer beredter. Immerhin lässt Wagner die Oper mit Isoldes ekstatischem Wortschwall enden. Die Flüssigkeit, die von Isolde in ihrer Rolle als Heilerin verabreicht wird, liegt in der Vergangenheit. In der Geschichte, wie sie uns Wagner nun erzählt, ist die Flüssigkeit, die sie Tristan bietet, ein tödliches Gift – das jedenfalls glauben sie beide. Dabei ist es in Wirklichkeit ein enthemmendes Mittel, das sie, gerade als das Schiff anlegen will, dazu bringt, einander ihre Liebe zu gestehen. Eine alles verändernde Flüssigkeit ist Wesenselement der keltischen Sage von Tristan und Isolde, die seit mehr als sieben Jahrhunderten in den Adern der europäischen Kultur zirkuliert. In der umfassendsten Darstellung, nämlich Gottfrieds von Straßburg romanlangem Versepos Tristan aus dem dreizehnten Jahrhundert, ist es ein Liebestrank, den Isoldes Mutter (die ebenfalls Isolde heißt und die Heilerin aus der Ursprungserzählung ist) für ihre Tochter und König Marke braut und den sie in ihrer Hochzeitsnacht trinken sollen; diesen serviert auf der Reise eine unwissende Dienerin dem Neffen Markes und der künftigen Braut als Wein. Wagners Version verwandelt zufälliges Missgeschick in Notwendigkeit. „Der Liebestrank“, den Brangäne, Isoldes Dienerin, absichtlich gegen das Gift vertauscht hat, führt nicht dazu, dass Tristan und Isolde ihre eigenen Gefühle empfinden – sie fühlen sie ja schon, werden ja schon von ihnen gemartert. Er macht es lediglich unmöglich, dass sie sich weiterhin ihre Liebe nicht eingestehen. In einer anderen Oper wird der Liebestrank im komischen Fach abgehandelt, und zwar in Donizettis L’elisir d’amore (1832); sie beginnt damit, dass die wohlhabende Heldin einer bäuerlichen Zuhörerschaft die keltische Legende vorliest, die hier auf eine Geschichte konventionell unerwiderter Liebe mit einem Happy-End reduziert ist. Der gutaussehende Tristan besorgt bei einem „saggio incatatore“ (einem weisen Zauberer) ein „certo elisir d’amor“ (ein gewisses Liebeselixier); kaum hat die schöne, aber gleichgültige Isolde daran genippt, ist schon die gegenseitige Liebe erwacht – und zwar sofort. „Cambiata in un istante / quella belta crudele / fu di Tristano amante / visse Tristan fidel.“ (Verwandelt im Augenblick / wurde diese grausame Schöne / Tristans Geliebte / und blieb ihm treu.) Das Getränk, das jemanden zur Liebe erweckt, gehört derselben Familie von Getränken, Zaubersprüchen und Wundermitteln an, die Prinzen in Frösche und Nixen in Prinzessinnen


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verwandelt: es ist die sofortige Metamorphose, wie sie im Märchen vorkommt. Und zwar nur im Märchen. Donizettis Buffa-Realismus hat keinen Platz für Zauberei: Die Flüssigkeit, die der Held der Oper einem umherziehenden Quacksalber abkauft, um die Frau zu bezirzen, von der er (fälschlicherweise) annimmt, dass sie ihn nicht liebt, ist in Wirklichkeit Bordeauxwein. Statt dass die Flüssigkeit, die als Wein ausgeschenkt wird, sich tatsächlich als Zaubertrank erweist, ist das, was dem Helden als Zaubertrank angedreht wird, bloßer Wein – so platzt unausweichlich und auf komische Weise der Knoten. Tragisch löst er sich ein Vierteljahrhundert später bei Wagner: ein Trank, der, statt etwas zu ermöglichen, die Unmöglichkeit verstärkt, die Verbundenheit mit dem Leben mindert. Die Flüssigkeit, die Brangäne dem unseligen Paar verabreicht, offenbart (und entfesselt deshalb) nicht nur ein Gefühl. Sie macht eine ganze Welt zunichte. Die Liebe entzieht die beiden auf der Stelle und ganz und gar der geordneten Gesellschaft, kappt die normalen Bindungen und Verpflichtungen und stürzt sie in eine schwindelerregende Verlassenheit (anstelle einer romantischen Einsamkeit à deux), die eine unerbittliche Verdunkelung des Bewusstseins mit sich bringt. „Wo sind wir?“, fragt Isolde zu Beginn der Oper. „Wo bin ich?“, fragt sie Tristan am Ende des ersten Aktes, nachdem sie das Elixier getrunken haben, indes das Schiff in Cornwall landet. Der König ist hier, sagt jemand. „Welcher König?“, fragt Tristan. Und Tristan weiß nicht, wo er ist, als er im dritten Akt erwacht. Welche Herden? Welche Burg? Welche Leute? fragt er, als sein treuer Gefolgsmann Kurwenal erklärt, dass er heim nach Britannien gebracht wurde, in sein eigenes Königreich, dass er auf dem Festungswall seiner eigenen Burg liegt. Liebe ist Antignosis, Aufhebung des Wissens. Jeder Akt beginnt mit quälendem, lähmendem, angstvollem Warten auf den anderen, gefolgt von der ersehnten Ankunft – und endet mit dem unvorhergesehenen Eintreffen anderer Figuren, was nicht nur eine Unterbrechung darstellt, sondern für die Liebenden auch kaum begreifbar ist. Was für eine Pflicht? Was für eine Scham? Leidenschaft bedeutet eine gesteigerte Passivität. Der erste Akt beginnt mit Isolde, die auf einem Ruhebett das Gesicht in Kissen birgt (Wagners Bühnenanweisung), und der dritte Akt zeigt Tristan anfangs im Koma, und dieser bleibt den ganzen Akt über hingestreckt liegen. Wie im Parsifal legt man sich ausgiebig nieder und fleht vielfach inbrünstig um ein Ende im Vergessen. Würde Tristan und Isolde nach den ersten beiden Akten enden, könnte man hier den Zug zur Horizontalen, die Hymnen an Nacht und Dunkelheit, die Gleichsetzung von Lust mit Vergessen und von Tod mit Lust als eine höchst extravagante Form der Beschreibung des wollüstigen Bewusstseinsverlusts im Orgasmus betrachten. Was auch immer auf der Bühne gesagt oder getan wird, die Musik der Begegnung im zweiten Akt ist eine packend unzweideutige Wiedergabe einer idealen Kopulation. (Thomas Mann


hatte nicht unrecht, als er im Hinblick auf diese Oper von der „lasziven Begierde nach dem Bett“ sprach.) Doch der dritte Akt macht deutlich, dass die Erotik eher Mittel als Zweck ist, eine Basis für die Propaganda gegen Luzidität, dass es im tiefsten Grunde um die Kapitulation des Bewusstseins als solchem geht. Schon die emotionale Logik der Worte des Duetts im zweiten Akt ist eine Abfolge zernichtender – und nihilistischer – geistiger Vorgänge. Die Liebenden vereinigen sich nicht einfach gattungsmäßig, wie in der unübertrefflich eleganten Formel im mittelalterlichen Tristan des Gottfried von Straßburg: Ein Mann, eine Frau; eine Frau, ein Mann; Tristan, Isolde; Isolde Tristan. Durchdrungen von der komplexen Auffassung von Einsamkeit und von der Erkundung der Extreme des Fühlens, die als die originellsten Errungenschaften der romantischen Bewegungen in den verschiedenen Künsten gelten können, vermag Wagner noch viel weiter zu gehen: Tristan: Tristan du, ich Isolde, nicht mehr Tristan! Isolde: Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Isolde!

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Wenn man glaubt, die Welt könne durch den Druck extremen Fühlens so leicht negiert werden (die noch immer vorherrschende Mythologie des Selbst, die wir den Schriftstellern und Komponisten des 19. Jahrhunderts verdanken), dehnt das fühlende Selbst sich aus, um den leeren Raum zu erfüllen: „Selbst dann bin ich die Welt“, hatten Tristan und Isolde schon unisono gesungen. Der unausweichliche nächste Schritt ist die Aufhebung von Selbst, Geschlecht, Individualität. „Ohne Nennen, ohne Trennen“, singen sie zusammen, „endlos, ewig, ein-bewusst“. Denn wenn ein Selbst danach trachtet, mit einem anderen zu verschmelzen, bedeutet das, wenn die Welt abhandengekommen ist, nach der Eliminierung beider zu trachten. Wenn sich Liebende in der Oper vereinen, wird das dadurch gestaltet, dass sie zumeist dieselben Worte äußern; sie sprechen gemeinsam, wie ein einziges Wesen. Ihre Worte vereinen sich, reimen sich zu derselben Musik. Wagners Libretto für Tristan und Isolde führt dieses formale Prinzip noch buchstäblicher und nachdrücklicher durch als jede andere Oper: Die Liebenden kommen die ganze Oper hindurch auf die Worte des anderen zurück, sind einander Echo. Bei ihrem umfassendsten Austausch, im Garten des zweiten Aktes, wiederholen sie wollüstig ihre Worte füreinander, sie wetteifern miteinander in ihrem Ausdruck des Verlangens, sich zu vereinigen, zu sterben, und in ihrer Schmähung von Licht und Tag. Es versteht sich, dass ihre Texte nicht identisch sind – und das sind die beiden Liebenden ebensowenig, trotz


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all ihrem Verlangen, miteinander zu verschmelzen, gar die Identität mit dem anderen zu tauschen. Tristan ist mit einem komplexeren Bewusstsein ausgestattet. Und nachdem er im zweiten Akt mit Isolde von der Seligkeit ihrer todesverfallenen Sehnsucht gesungen hat, verleiht Tristan im letzten Akt einer weiteren Beziehung zum Tod Ausdruck, und zwar in Form eines Monologs, in dem er sich von Isolde lossagt und die Liebe verflucht. Im zweiten Akt war es Tristan allein gewesen, der sich ekstatisch über den Trank ausließ, der ihn durchströmte, den er mit endloser Wonne trank. Jetzt, im dritten Akt, sind die Flüssigkeiten, die er beschwört, allesamt bitter: „Liebestränen“ und der verfluchte Trank, von dem er nun, da er im Delirium die tiefste Emotionsschicht der Erzählung aufdeckt, verkündet, er habe ihn selbst gebraut. Die charakteristische, handlungsstiftende Situation in Wagners Opern ist eine, die schon zu lange andauert und durchdrungen ist von dem qualvollen Verlangen, ein Ende zu machen. (Die „unendliche Melodie“ – Wagners Bezeichnung für seine charakteristische musikalische Linienführung – ist eins seiner formalen Äquivalente für dieses Grundthema des Hinauszögerns, des Andauerns der Qual.) Ohne Unterlass fließt Blut aus Amfortas’ Wunde, doch er kann nicht sterben. Währenddessen wird sein Vater, Titurel, der vorherige Gralskönig, der bereits in seinem Sarg liegt, von dem Gralsritual am Leben erhalten. Und die alterslose Kundry, die in jedem Akt schmerzlich wiederbelebt wird, will nichts so sehr als wieder einschlafen. Wagner verwandelt die Sage von Tristan und Isolde in eine frühere, weltliche Version des Sehnens, das in Parsifal Ausdruck findet – wobei Tristan vorangeht. Der Tristan des dritten Aktes ist ein Proto-Amfortas: ein Leidender, der sterben will, aber nicht kann – bis er es schließlich doch kann. Den Männern wird ein ausgeprägterer Todeswunsch zugestanden als den Frauen. (Kundry, deren Verlangen nach Auslöschung noch stärker als das des Amfortas scheint, bildet die Ausnahme.) Isolde versucht lediglich im ersten Akt zu sterben, als sie gemeinsam mit Tristan das Elixier trinkt, das sie für Gift hält, während Tristan in allen drei Akten aktiv seinen Tod provoziert, bis es ihm am Ende gelingt zu sterben, indem er sich den Wundverband abreißt, als er erfährt, dass Isolde naht. Isolde hat im zweiten Akt sogar einen Moment des Zweifels (oder gesunden Menschenverstands), als sie „dies süße Wörtlein: und“ beschwört, wie in Tristan und Isolde. Doch wird das Sterben sie denn nicht voneinander trennen? fragt sie. Nein, antwortet er. Von der sich verengenden und sogar noch qualvolleren Per­ spektive des letzten Aktes aus betrachtet ist (oder wird) die Oper hauptsächlich Tristans Geschichte. Umfassender als die Geschichte der beiden betrachtet, weist Wagners Version der alten keltischen Legende in ihrem Ausgang eine Willkürlichkeit auf, die emotional eher an die traditionelle japanische Tragödie des doppelten Selbstmords gemahnt – des Freitods von Liebenden, deren Situation nicht ganz


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und gar hoffnungslos ist – als etwa an Romeo und Julia. (Und Wagners Darstellung der Liebe als qualvoll schmerzliches, bewusstseinszersetzendes Sehnen erinnert an Empfindungen in der japanischen Liebeslyrik der Heian-Zeit.) Bei ihm sind Tristan und Isolde nicht wie in Gottfrieds von Straßburg Dichtung von einem Unstern verfolgte Liebende, denen die üblichen Hindernisse im Wege stehen: dass der Mann einen nahen Verwandten der Frau erschlagen hat bzw. dass die Frau mit einem älteren Verwandten des Mannes verlobt ist, dem Loyalität gebührt. Wagner bedarf eines Elements, das über diese objektiven Behinderungen hinausgeht, dessen Gewicht signalisiert, dass die Liebenden einer Gesellschaft, einer Welt angehören. Das welttranszendierende Hindernis liegt bei ihm folglich im Wesen der Liebe selbst – einer Emotion, die immer ihr Objekt übersteigt, unersättlich ist. Die Erotik, welche Wagner rühmt, ist eine, die selbstzerstörerisch wirken muss. Markes Ankunft am Ende führt nicht etwa dazu, dass er nun erst die Ansprüche dieser Leidenschaft begreift und jetzt, da es zu spät ist, wünscht (wie es die Capulets und die Montagues tun), er hätte mehr Verständnis aufgebracht. Nachdem er von Brangäne erfahren hat, dass die Liebenden durch einen Liebestrank dazu gezwungen wurden, Verrat an ihm zu begehen, beschließt Marke (der als Tristans Vater fungiert und in einigen früheren Versionen der Geschichte auch sein Vater ist), Isolde von ihrem Schwur zu entbinden und die Liebenden einander heiraten zu lassen. Doch Vereinigung ist nicht, was Tristan und Isolde wollen, was sie je gewollt haben. Sie wollen, dass die Lichter ausgehen. Isoldes letzte Worte – die letzten Worte der Oper – sind eine Beschreibung dessen, wie Bewusstsein erlischt: „ertrinken, versinken / unbewusst höchste Lust!“ Die Musik fließt über. Das Bewusstsein ertrinkt. Tristan und Isolde handelt von Gefühl, das überwältigt, das zerstört – doch die Oper handelt nicht nur von einer extremen Erfahrung, sondern beabsichtigt, selbst eine solche zu sein. Dass Wagner Befriedigung oder Inspiration mit Überwältigtsein gleichsetzt, ist eine typisch romantische Auffassung von Kunst, einer Kunst, die nicht nur von Exzess handelt (Tristan und Isolde, die von ihrer Leidenschaft überwältigt werden), sondern auch, von nahezu homöopathischem Geiste, in ihren Mitteln extravagant und überdimensional ist, wie etwa durch ungewöhnliche Masse oder Dauer. Das Element der Tortur, ja, der Gefahr für das Publikum schien bei alldem nur allzu angemessen. Eine gute Aufführung von Tristan und Isolde, so hatte es Wagner Mathilde Wesendonk vorhergesagt, während er den letzten Akt komponierte, „muss die Leute in den Wahnsinn treiben“. Eine von Wagners Lieblingsideen zu seinem eigenen Werk war die, dass sich nur die Starken straflos darein versenken könnten. Als der erste Tristan, der Tenor Ludwig Schnorr, nach den ersten Aufführungen 1865 in München


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erkrankte, befürchteten er wie auch Wagner, es könne heißen, die beispiellosen Anforderungen und Intensitäten der Rolle hätten ihn auf das Krankenlager geworfen; und als Schnorr einige Wochen später unerwartet starb, hatte Wagner (und nicht nur Wagner) das Gefühl, dass es vielleicht die Oper war, die ihn umgebracht hatte. Wagner war kaum der erste Komponist, der, zumindest metaphorisch, das Todbringende mit dem Lyrischen verband. Doch frühere Vorstellungen vom Letal-Lyrischen rankten sich um den Sänger. Bellini schrieb an den Librettisten, mit dem er an I puritani arbeitete: „Präge es dir mit diamantenen Lettern ins Hirn: ein Musikdrama muss die Menschen durch den Gesang weinen, erschauern und sterben lassen.“ Große Sänger waren solche, die ein Publikum in bis ans Delirium grenzende Ekstase versetzen konnten, ein Maßstab, der von Farinelli, Pacchierotti und anderen gefeierten Kastraten des 18. und frühen 19. Jahrhunderts gesetzt wurde – den ersten Diven im modernen Sinne, deren Stimme die Menschen in Ohnmacht fallen ließ und zum Weinen brachte und ihnen das Gefühl gab, von Sinnen zu sein, und deren Erscheinungsbild und extravagant künstliche Manier beide Geschlechter gleichermaßen in erotischen Bann schlug. Um seinen Lieblingssänger zu preisen, erklärte Napoleon, er habe das Gefühl, verrückt zu werden, wenn er Crescentini singen höre. Es ist das Verlangen, sich das normale Bewusstsein durch die Kunst des Sängers in Verzückung versetzen zu lassen, was sich in einem ununterdrückbaren Phänomen erhalten hat, das gewöhnlich als Kuriosität oder Verirrung der Opernwelt abgetan wird: in der Anbetung der Diva. Die ausgeprägt exaltierte Vergötterung, die in jeder Generation einigen Sopranen (und ein oder zwei Tenören) zuteil wird, meint – und bestätigt – dieses hochgepriesene Erlebnis, wie es von der Stimme gewährt wird, nicht nur die Faszination von Berühmtheit und Glamour. Wagner eröffnet ein neues Kapitel in dieser Operntradition der Erschaffung von Schönheit, die erotische Verwirrung stiftet und die Seele durchdringt – das Neue liegt darin, dass die Intensität dadurch verstärkt wird, dass sie sich gewissermaßen breiter verteilt. Das Lyrische, wenngleich es von der Stimme des Sängers getragen wird, findet seinen Höhepunkt nicht im Erlebnis der Stimme. Statt dass es spezifisch, körperlich, mit der Stimme des Sängers identifiziert wird, die über der Musik schwebt, ist es zu einer Eigenschaft der Musik als Ganzes geworden, in welche die Stimme eingebettet ist. (Das ist gemeint, wenn man zuweilen von der Symphonik der Opern Wagners spricht.) Was die Schönheit von Stimmen – ihre Süße, ihre Schnelligkeit – anbelangt, so hat sich das Publikum gerne davon erregen, irritieren, beunruhigen lassen. Doch es gab, zumindest in den Anfängen, beträchtlichen Widerstand gegen ein dereglement du sens, das von der Musik selbst hervorgerufen wurde. Was die Stimme vollbrachte, schien übermenschlich und war als Zurschaustellung von Virtuosität schon


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in sich bewunderungswürdig. Der Klang, den die Kastraten hervorbrachten, suggerierte etwas Körperloses – die Wörter „seraphisch“ und „himmlisch“ wurden häufig gebraucht, um diese Stimmen zu beschreiben, wenngleich die Sänger selbst durchaus Gegenstand erotischer Fantasien waren. Das Lyrische Wagnerscher Prägung, das solchen Unwillen erregte, hatte so gar nichts Seraphisches, was auch immer die spirituellen Botschaften und „höheren“ Gefühle sein mögen, die uns von den Wörtern aufgedrängt werden; vielmehr schien es von „unten“ zu kommen und, wie der Zaubertrank in der Oper, unterdrückten Gefühlen zu freiem Lauf zu verhelfen. Berlioz beschrieb das Vorspiel zu Tristan und Isolde, in dem noch keine Stimmen erklingen, als ein ausgedehntes „Seufzen und Stöhnen“. Wagner hatte sich alle auf Schnelligkeit beruhenden Effekte (und die damit verbundene Entlastung) versagt und Sequenzen tiefen Fühlens absichtsvoll noch verlangsamt, die sodann entweder betörend wurden oder unerträglich niederdrückend schienen. Der Wiener Musikkritiker und Anführer der Anti-Wagnerianer Eduard Hanslick sagte, das Vorspiel zu Tristan und Isolde „erinnert mich an das italienische Gemälde eines Märtyrers, dessen Eingeweide langsam über eine Winde aus seinem Körper abgespult werden“. Parsifal, so meinte er, habe ihn seekrank gemacht. „Es gibt keine echten Modulationen mehr, sondern eher einen ständig hin und her wogenden Prozess der Modulation, sodass der Zuhörer den Sinn für eine bestimmte Tonalität verliert. Wir haben das Gefühl, uns auf dem offenen Meer zu befinden, ohne festen Grund unter den Füßen.“ Genau. So ist es. Die neue emotionale Intensität – im Unterschied zu einer lyrisch­ en –, die Wagner in die Oper einbringt, verdankt sich in erster Linie der Art und Weise, wie er den speziellen Mix der dargestellten Gefühle – Sinnenlust, Zärtlichkeit, Trauer, Mitleid, Euphorie, Weltmüdigkeit – verstärkt und zugleich (trotz der epischen Anlage) quälend intim macht. Gefühle, die in der langen Operntradition der Darstellung gesteigerter Empfindungen zum Grundstoff gehören, wie etwa die Verknüpfung von Liebe und Tod, werden von Wagner ganz und gar umgewandelt. Herzen, die von Liebe verwundet sind, ein Tod, dem gegenüber der Trennung von der geliebten Person oder dem Verlust der Liebe der Vorzug gegeben wird – das sind üblicherweise die Gegenstände der Liebesklagen, der Liebesekstasen, lange vor Wagner, lange vor dem, was wir Romantik nennen. Wagner nun verwendete in Tristan und Isolde und anderen Werken diese alten Opernhyperbeln, die als expressive Übertreibungen galten, in erschütternder Wörtlichkeit. Ungeschützt und mit beispiellosem Nachdruck über Gefühl zu sprechen, mit dem Publikum überwältigend intim zu werden – Wagners Sinnlichkeit, seine Gefühlsbetontheit wurden als gewaltsame Zudringlichkeit erlebt –, das war Mitte des 19. Jahrhunderts Neuland in der Kunst, und es scheint unausweichlich, dass solche


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Schamlosigkeit (wie das damals viele nannten) den Freiheiten zugeschrieben wurde, die sich die Oper nahm, da sie sich umfassend und ungeniert höheren Gefühlszuständen verpflichtet wusste. „Ohne die Oper hätte ich niemals Leaves of Grass schreiben können“, sagte Walt Whitman in fortgeschrittenem Alter zu einem seiner Schüler (wenngleich er die italienische Oper meinte, nicht Wagner). Eine der grundlegenden Neuerungen Wagners liegt darin, wie er die Zeit einsetzt: die Ausdehnung der Dauer als Mittel zur Intensivierung der Emotion. Doch die Tiefe und Größe des Gefühls, dessen Wagner fähig ist, verbindet sich in seinem großartigsten Werk mit einer außerordentlichen Zartheit in der Darstellung von Emotion. Diese Zartheit ist es, die uns vielleicht letztlich davon überzeugt, dass wir tatsächlich Zeugen jener seltensten aller künstlerischen Leistungen sind, der Wiedererfindung des Erhabenen. Nachdem er eine Aufführung von Tristan und Isolde dirigiert hatte, sagte Bruno Walter einmal auf dem Heimweg zu Thomas Mann: „Das ist nicht einmal mehr Musik.“ Er meinte, es ist mehr als Musik. Wagner war der Auffassung, er biete eine Art transformierender Erfahrung oder Ideenwelt, welche die bloße Kunst transzendiere. (Natürlich meinte er, seine Werke seien sehr viel mehr als bloße Opern.) Doch solche Ansprüche sind offenbar in erster Linie eine Idee von Kunst, eine speziell moderne Kunstauffassung, in der sich eine ziemliche Ungeduld gegenüber der Kunst ausdrückt. Wenn Künstler nicht versuchen, den Kunststatus dessen, was sie machen, zu untergraben (indem sie etwa sagen, es handle sich um wirkliches Leben), erheben sie oftmals den Anspruch, etwas zu tun, das mehr sei als Kunst. (Religion? Therapie?) Wagner ist ein bedeutender Bestandteil dieser modernen Geschichte der Inflation und Vergröberung der Erwartungen im Hinblick auf die Kunst, die so viele große Kunstwerke hervorgebracht hat, darunter Tristan und Isolde. Wagner zu hören, so wurde von Anfang an kommentiert, habe eine ähnliche Wirkung wie die Einnahme einer psychotropen Droge: Opium, sagte Baudelaire; Alkohol, sagte Nietzsche. Und wie bei allen enthemmenden Drogen gab es zuweilen heftige Nebenwirkungen. In den frühen Jahren von Tristan und Isolde war immer mal wieder jemand aus dem Theater zu bringen, weil er im Laufe der Aufführung ohnmächtig geworden war oder sich übergeben musste. Heute fällt es vielleicht ebenso schwer, sich Wagners Wirkung auf das erste Publikum insbesondere dieser Oper vorzustellen und auch den Skandal, der zu einem Teil dieser Wirkung wurde (ich meine natürlich den ästhetischen Skandal, lässt man das Thema der widerwärtigen politischen Ansichten Wagners beiseite), wie sich die Ohnmachtsanfälle und Weinkrämpfe vorzustellen, die von Farinellis Stimme hervorgerufen wurden. Doch der Skandal war ungeheuer, wie auch die Leidenschaft, mit der Wagner verteidigt wurde – und ebenso der unberechenbare


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Einfluss seines Werkes. Kein Künstler des 19. Jahrhunderts sollte einflussreicher sein. Wenn Wagner auch der erste Komponist war, bei dem man sich rühmte, ihn nicht nur leidenschaftlich zu bewundern, sondern gar süchtig nach ihm zu sein, so hat es seither doch auch andere gegeben. Und die Verzückungen der Sucht nach Kunst werden heute selten anders als positiv gesehen. Im Zeitalter von Rock ’n’ Roll und von Philip Glass und John Adams ist es offenbar normal und wünschenswert, wenn Musik danach strebt, als Rauschmittel zu wirken. Wir leben in der Zeit des Triumphs der „Theatrokratie“, die schon von Nietzsche beklagt wurde, in welcher wir viele Abkömmlinge von Wagners Lieblingsform finden können, nämlich des pseudospirituellen Erlösungsdramas. Und Wagners charakteristische Mittel (das langatmige, wenig konzentrierte Libretto; die übertriebene Länge; das Prinzip organisierter Wiederholung) und Themen (das Loblied auf das Fehlen von Bewusstheit, die Betonung des Pathos von Helden und Herrschenden) finden sich genauso in einigen der berückendsten Spektakel unserer Zeit. Wagners Adaptionen der Mythen der europäischen und insbesondere der germanischen Vergangenheit (der christlichen wie der heidnischen) haben nichts mit Glauben zu tun. Doch sie haben sehr wohl mit Ideengut zu tun. Wagner war höchst gebildet, literarisch reflektiert; er kannte seine Quellen. Die Urheber von Einstein on the Beach verheimlichten nicht, dass sie nichts über Einstein wussten, und meinten, das bräuchten sie auch nicht. Was an Emblemen und an Nippes der Heldenmythologien der Vergangenheit für das Werk der modernen Wagnerianer abfällt, drückt lediglich ein noch stärker gattungsmäßiges Pathos aus und ein nunmehr allgemein gewordenes Zielen auf den Effekt. Es wird fest davon ausgegangen, dass weder der Urheber noch das Publikum irgendwelche Informationen zu haben brauchen (Wissen, insbesondere geschichtliches Wissen, hat angeblich einen unheilvollen Einfluss auf Kreativität und Gefühl – es ist das letzte und zählebigste der Klischees der Romantik). Das Gesamtkunstwerk wird zu einem Vehikel für Stimmungen – wie etwa Paranoia oder Gelassenheit –, die frei von bestimmten emotionalen Situationen flottieren, und für Nichtwissen als solches. Und die Geschmeidigkeit dieser anti-literarischen, emotional entfernten modernen Erlösungsdramen hat vielleicht einer weniger irritierten Reaktion auf Wagners hochliterarische, inbrünstige Schauspiele Vorschub geleistet. Die sentimentalen erlösenden höheren Werte, die nach Wagners Meinung in seinem Werk ausgedrückt werden, sind endgültig diskreditiert (das immerhin verdanken wir der geschichtlichen Verbindung der Ideologie Wagners mit dem Nationalsozialismus). Nur noch wenige Menschen grübeln darüber nach, was Wagners Opern bedeuten, wie es Generationen von Musikliebhabern taten, die Wagner entweder liebten oder fürchteten. Heute genießt man Wagner nur noch … als Droge.


„Sein Pathos bringt jeglichen Geschmack ins Wanken.“ Nietzsches scharfe Bemerkung über Wagner scheint heute, einhundert Jahre später, treffender denn je. Aber gibt es heute überhaupt noch jemanden, der im Hinblick auf Wagner eine ambivalente Haltung hätte, wie sie Nietzsche und, in geringerem Maße, Thomas Mann einnahmen? Wenn nicht, dann ist in der Tat viel verloren. Ich meine doch, dass die Empfindung von Ambivalenz (das Gegenteil von Indifferenz – man muss verführt werden) immer noch die optimale Gestimmtheit ist, um zu erleben, was für ein authentisch erhabenes Werk Tristan und Isolde wirklich ist und wie befremdlich und verstörend.

Susan Sontags Essay erschien in englischer Sprache zuerst 1987 unter dem Titel „Wagner’s Fluids“. Die vorliegende deutsche Übersetzung stammt von Jörg Trobitius.


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DES NAHTES, DÔ DIU SCHOENE LAC, IR TRIURE UNDE IR TRAHTE PFLAC NÂCH IR TRÛTAMÎSE, NU KAM GESLICHEN LÎSE ZUO DER KEMENÂTEN ÎN IR AMÎS UNDE IR ARZÂTÎN, TRISTAN UND DIU MINNE. MINNE DIE ARZÂTINNE SI VUORTE ZU HANDEN IR SIECHEN TRISTANDEN. OUCH VANT S’ÎSÔTE IR SIECHEN DÂ. DIE SIECHEN BEIDE NAM SI SÂ UND GAB IN IR, IM SÎE EIN ANDER Z’ARZÂTÎE. WER HAETE OUCH DIESE BEIDE VON DEM GEMEINEM LEIDE VEREINET UNDE BESCHEIDEN WAN EINUNGE AN IN BEIDEN, DER STRIC IR BEIDER SINNE? MINNE DIU STRICKAERINNE DIU STRICTE ZWEI HERZE AN IN ZWEIN MIT DEM STRICKE IR SÜEZE IN EIN MIT ALSÔ GRÔZER MEISTERSCHAFT, MIT ALSÔ WUNDERLÎCHER CRAFT, DAZ SI UNRELOESET WÂREN IN ALLEN IR JÂREN.

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ALS DIE SCHÖNE NACHTS DALAG UND IHREN TRAURIGEN GEDANKEN NACHHING ÜBER IHREN LIEBSTEN, DA KAMEN LEISE HEREINGESCHLICHEN IN IHRE KAMMER IHR GELIEBTER UND IHRE ÄRZTIN, TRISTAN UND DIE LIEBE. DIE ÄRZTIN LIEBE FÜHRTE AN DER HAND IHREN PATIENTEN TRISTAN UND FAND AUCH IHRE KRANKE, ISOLDE, DORT. SIE NAHM DIE BEIDEN KRANKEN UND GAB IHN IHR UND SIE IHM EINANDER ALS MEDIZIN. WAS HÄTTE AUCH DIESE BEIDEN, VON IHREM GEMEINSAMEN KUMMER GETRENNT UND GESCHIEDEN ALS DIE VEREINIGUNG DER BEIDEN, DIE FESSEL IHRER SINNE? DIE VERSTRICKERIN LIEBE FESSELTE IHRE ZWEI HERZEN MIT DEM BAND DER SÜSSE ANEINANDER IN SO GROSSER VOLLENDUNG, MIT SOLCHER WUNDERBAREN GEWALT, DASS SIE UNLÖSBAR VERBUNDEN WAREN FÜR DEN REST IHRES LEBENS.

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Gottfried von Straßburg: Die „Ärztin Minne“ (12157 – 12182)


TOBIAS JANZ: ZEIT, KLANG UND MUSIKALISCHE DRAMATURGIE IM ERSTEN AUFZUG VON TRISTAN UND ISOLDE

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Lars von Triers Film Melancholia (2011) beginnt mit einer Adaption des Tristanvorspiels. Zu sehen ist ein Schlosspark in einer unwirklich hellen Sommernacht, die Hauptfigur Justine als Braut, gefangen in pflanzenartigen Wollschlingen, vom Weltall aus dann das Bild einer sich hinter der Erde verbergenden Sonne. Was neben suggestiven Anspielungen auf Bildmotive des Symbolismus und Surrealismus – und nicht zuletzt auf das Szenario von Wagners Tristan und Isolde – an dieser Filmouvertüre fasziniert, ist der massive Einsatz von Slow Motion. Einige Einstellungen sind so nah am eingefrorenen Bild, dass es eine Weile dauert, bis man die Bildbewegung überhaupt registriert. Von Trier nutzt die Extremform der Slow Motion im Filmzusammenhang symbolisch, als kraftvolle visuelle Metapher für die Lähmung, die unter Melancholie und Depression leidende Menschen befällt, als kraftvolle Metapher für das Hauptthema des Films. Treffend ist von Triers vielschichtiger filmischer Rückgriff auf Wagner insofern, als das „traurig Stück“ von Tristan und Isolde (Hans Sachs in den Meistersingern von Nürnberg) nicht nur ein Stück über die Liebe, sondern nicht zuletzt auch ein Stück über die Melancholie ist. Der Antinaturalismus der Bildsprache hat aber auch etwas Irritierendes. Die Langsamkeit der Bildbewegung ist so weit von unserer Alltagserfahrung entfernt, dass uns die gezeigte Filmrealität unheimlich, wie ein quälender Albtraum erscheint. Darin ist der Film Wagner und seiner Opernästhetik näher als man es bei dem für seinen dokumentarischen Stil bekannten Regisseur von Trier erwarten könnte. Der mit der extremen Zeitlupe technisch erzeugte Effekt hat sein Pendant in der Oper, und zwar in einem ihrer Wesensmerkmale, das als solches allerdings meist nicht weiter auffällt, sobald der Opernzuschauer in die Opernhandlung eingetaucht ist: Die Eigenzeitlichkeit des Mediums Musik bewirkt in der Oper, dass die in ihr dargestellte Handlungszeit grundsätzlich anders verläuft, als wir es aus der Lebenswirklichkeit – oder vom Realismus des Kinos her – gewohnt sind. Weil sie den Zeitstrukturen der Musik unterliegt, ist die Handlungszeit der Oper diskontinuierlich und inhomogen. Ihre ursprünglich kaum miteinander vermittelten formalen Grundbausteine sind das Rezitativ und die Arie, wobei dieses die Handlung vorantreibt, während in jener die Handlungszeit stillsteht. Dazu schreitet die Handlungszeit in der Oper generell vergleichsweise langsam voran. Dort wo Affekt und Emotion im Vordergrund stehen, in Arien und kontemplativen Ensembles, ist Slow Motion sozusagen ihre natürliche Zeitform. In Rezitativ, Dialog und Szene nähert sich die Opernwirklichkeit dann zwar einer realistischeren Abbildung alltäglicher Zeiterfahrung an. Das wichtigste Ausdrucksmedium der Oper, die gesungene Sprache, erreicht allerdings nicht einmal in den handlungsbezogenen Momenten die Geschwindigkeit der gesprochenen Sprache. Da der Operndialog selbst bei schnellem musikalischen Tempo viel weniger Text als der Dialog des Sprechtheaters bewältigen kann, können Opern über das Medium Sprache


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weniger Inhalt kommunizieren als das gesprochene Drama. Sie kompensieren dies durch ihren von der Musik getragenen Reichtum des Affekts und der Emotion. Tristan und Isolde ist in diesem Sinne eine ganz normale Oper. Gleichzeitig ist die Zeitdramaturgie in dieser radikalsten Oper Wagners außergewöhnlich. Wagners Versuch, die Künstlichkeit der Oper und deren formale Konventionen zu überwinden, verdichtete sich in einem seiner zentralen Postulate: der Forderung, dass sich im musikalischen Drama alle Dimensionen der Darstellung einheitlich der Handlung unterordnen sollten. Während Lohengrin (1845–1848) noch den Gattungsnamen „Romantische Oper“ trug, bezeichnete Wagner Tristan und Isolde (1854–1859) zehn Jahre später deshalb ganz nüchtern als „Handlung in drei Aufzügen“. Wagners künstlerische Neuorientierung steht nicht beziehungslos neben dem gleichzeitig beginnenden literarischen Realismus. Der geforderte Primat der Handlung bedeutete für Wagner allerdings nicht, die musikalische Dramaturgie einem realistischeren, sachlichen Darstellungsideal (wie es die „Zeitoper“ der 1920er-Jahre kennzeichnen wird) anzunähern. Im langen Beethoven-Aufsatz von 1870, den man als nachträgliche Reflexion der mit Tristan und Isolde gemachten Erfahrungen lesen kann, zeichnet sich (in Anlehnung an Arthur Schopenhauer) vielmehr eine Dramaturgie ab, die der Logik des Traums und nicht dem Realitätsprinzip folgt. Wagners Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Musik die Fähigkeit besitzt, unser Wachbewusstsein zu „depotenzieren“, uns beim Musikhören in einen somnambulen Zustand des Halbschlafs zu versetzen, in dem die Konturen der Außenwelt verschwimmen, wir gleichzeitig – wie im Traum – aber hellsichtig für innere Welten werden. In Wagners Werk deuten sich, wie oft bemerkt wurde, Einsichten der Psychologie Sigmund Freuds an, für den die Traumdeutung vierzig Jahre nach Tristan und Isolde die „Via regia zur Erkenntnis des Unbewussten im Seelenleben“ sein wird. Wagners Interesse ist aber nicht nur das eines Psychologen. Mit seinem ins Unbewusste ausgreifenden Musikbegriff will Wagner die Oper zu einer Kunstform erheben, die auf Augenhöhe an Traditionslinien der literarischen Romantik anschließt. Und es geht ihm um Grundfragen der Metaphysik, wie sie Arthur Schopenhauer gedacht hatte, für den die sichtbare und verstehbare Realität nur die trügerische Außenseite einer dahinter wirksamen blinden Macht war, die er den Willen nannte. Die Lektüre von Schopenhauers pessimistischem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819/44) war für Wagner 1854 einer der Auslöser für die Konzeption von Tristan und Isolde. Inspiriert durch Schopenhauer rückt Wagner die Möglichkeit einer Überwindung des hinter allem Leiden stehenden Weltwillens durch Willensverneinung ins Zentrum seiner Interpretation des Tristanstoffs. Dass sich die Willensverneinung dabei in der Utopie des gemeinsamen Liebestodes verdichtet, ist ein


Einfall Wagners, mit dem er sich – wie ihm durchaus bewusst war – allerdings auch wieder über sein philosophisches Vorbild hinwegsetzt. Der künstlerische Ertrag solcher psychologischen, künstlerischen und philosophischen Überlegungen sind die konkreten Darstellungstechniken einer musikalischen Dramaturgie, die für Wagners Zeitgenossen – und wie er selbst feststellen musste – revolutionär war. Zu ihren Darstellungstechniken gehört das Verfahren, Bruchstellen des Zeitverlaufs, die die Formkonventionen der zeitgenössischen Oper mit sich brachten, durch fließendere Übergänge zu glätten. Dies wird dadurch erleichtert, dass die Handlung immer wieder transgressive Bewusstseinszustände wie Halbschlaf, Liebessehnen, Ekstase, oder Melancholie in den Mittelpunkt rückt. Zu ihnen gehören Techniken subjektivierter Darstellung, die Wagner mit großem psychologischen Raffinement handhabt, sowie schließlich eine – auf den im Ring des Nibelungen entwickelten Prinzipien aufbauende – Mehrschichtigkeit der Zeitebenen, die die Trennlinie zwischen Darstellungszeit (= Aufführungszeit) und dargestellter Zeit durch Hinzufügung von Zwischenebenen durchlässig werden lässt. Das Gewebe der Leitmotive hat seine eigene, auf das Erinnerungs- und Antizipationsvermögen des Publikums gestützte, musikalische Zeitstruktur. Die Leitmotive erfüllen aber auch die Funktion eines quasi literarischen Darstellungsmittels, das dem erzählenden, kommentierenden Autor des Romans verwandt ist und nicht zu den genuinen Darstellungsmitteln der Oper gehört. Wagner flexibilisiert mit all diesen Techniken die traditionellen Verfahren, Formprinzipien und Zeitstrukturen der Oper, ohne sich ganz von ihnen zu lösen. Mit ihrem Grundprinzip, den nichtmusikalischen Medien die Eigenzeit der Musik aufzuzwingen, bricht er dabei nicht. Sprache, Geste und Handlung folgen auch bei Wagner den spezifischen Zeitstrukturen, in denen sich musikalische Gesten artikulieren, die musikalische Klänge zur Entfaltung benötigen, in denen die musikalische Form ihren Sinn erhält.

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Fast beiläufig führt Wagner die Grundprinzipien der Tristan-Dramaturgie gleich mit dem Beginn des ersten Aufzugs ein. Isolde ruht, das Gesicht in die Kissen gedrückt, fährt dann jäh und verstört auf, als sie – vom Mast her – das Lied des Seemanns hört, von dem sie sich verhöhnt fühlt. Isoldes Hören, mit dem die Oper indirekt auf eine Voraussetzung ihrer selbst als Kunstgattung verweisend beginnt, ist das exakte Gegenteil der zuvor beschriebenen Musikerfahrung. Keine Wendung nach Innen, sondern der gewaltsame Einbruch eines Außen, der sie aus dem Halbschlaf aufschrecken lässt. Anlass ist nicht die soeben verklungene Musik der Einleitung, sondern Musik auf der Bühne, ein banales unbegleitetes Lied, das als Lied zur Handlung gehört. Ein Detail lässt jedoch erkennen, dass hier mehr passiert als nur das, was auf der Bühne zu sehen und als Teil der Handlungswirklichkeit zu hören


ist: Die ersten sechs Töne des Seemanns passen nicht zur volkstümlichen Melodik seines Lieds und stehen auch harmonisch in Spannung dazu. Wer genau hört, erkennt in ihnen den Affekt und die melodische Kontur einer anderen Musik wieder, nämlich den Anfang der orches­ tralen „Einleitung“, die mit dem Seemann in keiner unmittelbar plausiblen Verbindung steht, wohl aber mit Isoldes emotionaler Verfassung vor dem Erwachen. Warum dieser melodisch merkwürdige Beginn des Lieds? Meint der junge Seemann mit seinen Worten Isolde („Westwärts [= nach Irland] schweift der Blick …“), ahmt er im vokalen Gestus ihren aufgewühlten Zustand nach? Aber was genau würde sein Gesang hier imitieren? Oder ist es vielmehr Isoldes Hören, dessen innere Unruhe auf das Gehörte abfärbt und die wir hier miterleben können? Wagner wird die musikalische Dramaturgie immer wieder eine Innenperspektive einnehmen lassen, etwa zu Beginn des zweiten Aufzugs, der mit einem Dialog Isoldes und Brangänes über die von ihnen unterschiedlich gehörte Klangumgebung der Sommernacht beginnt. Was Brangäne als Hörnerklang hört, hört Isolde (und das Orchester lässt uns das mithören) als Rauschen von Blättern und rieselndes Wasser. Indem Wagners Dramaturgie zu Beginn des ersten Aufzugs nicht nur den – für Isolde und den Zuschauer nur akustisch vorhandenen – Seemann vorführt, sondern auch andeutet, wie Isolde ihn halbbewusst hört, lässt sie gleich zu Beginn die Grenzen zwischen normalerweise getrennten Dimensionen der Fiktion verschwimmen. Das unscheinbare Detail zeigt Wagners dramaturgisches Geschick und seine Fähigkeit, funktional unterschiedene Elemente der Dramaturgie miteinander zu verklammern. Das Seemannslied markiert konventionell Ort und Zeit der einsetzenden Handlung, gleichzeitig bindet die musikalische Verknüpfung mit dem Orchestervorspiel dieses rückwirkend in das Bühnengeschehen ein. Wie ein Unterstrom des Bewusstseins werden Fragmente von dessen Musik im Verlauf des ersten Aufzugs immer wieder an die Oberfläche dringen. So erneut zu Isoldes ersten Worten („Wer wagt mich zu höhnen?“), die – im Affekt von Verstörung und Erschrecken – die Melodielinie der überschwänglichen Viertonfigur aufnehmen, mit der die Violinen beim ersten Forte-Einsatz des vollen Orchesters zu Beginn der „Einleitung“ zu hören waren. Zu eindeutig wird die Figur in den Leitmotivkatalogen als „Tristanmotiv“ bezeichnet, denn die Musik spricht in den Leitmotiven nie den Klartext eines wissenden Erzählers. An dieser Stelle deutet sie durch das verfremdete Motivzitat lediglich die komplexe Gefühlslage Isoldes an. Wagner selbst sprach von „Gefühlswegweisern“, betonte also mehr ihre emotionale und weniger ihre erzählende Funktion.

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Der erste Aufzug hat, abgesehen von dem berühmten Vorspiel, wenig von der rauschhaft-erotischen oder auch nachtschwarz-depressiven Musik, für die Tristan und Isolde berühmt ist. Er ist in der Psychologie


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der Personenführung und der Stringenz seiner Dramaturgie aber der vielleicht raffinierteste der drei Aufzüge. Die Episode mit dem Seemann eröffnet lapidar die Exposition des Dramas. Auf die Vorstellung von Zeit, Ort und lokalem Kolorit mit dem Seemannslied folgt eine kurze, äußerst erregte Auftrittsarie Isoldes in c-Moll („Entartet Geschlecht …“), ganz vom Affekt getragen. Kommentatoren haben bemerkt, wie in Seemannslied und Arie wichtige sprachliche Leitmotive gesetzt werden, auf die die Oper – unter verkehrten Vorzeichen – ganz zum Schluss zurückkommen wird. Ist es am Ende des „Weltatems wehende[s] All“, in dem sich Isolde unbewusst, in höchster Lust ekstatisch versinken fühlt, verwünscht sie hier zornig den „wehenden Atem“ von Tristans Gefolge, den die vom Seemann – eventuell böse ironisch auf Isolde anspielend – besungenen Winde holen sollen. Die wesentlich längere und erzählend ausholende zweite Arie Isoldes („Wie lachend sie mir Lieder singen, wohl könnt’ auch ich erwidern!“) reagiert erneut auf ein Bühnenlied, diesmal auf Kurwenals Spottlied („Wer Kornwalls Kron’ …“). In der noch unverbrauchten Tonart e-Moll orientiert sie sich formal am mehrteiligen Arientypus, Einlassungen Brangänes gliedern sie in drei auch harmonisch voneinander abgesetzte Teile. Ihrem Schluss („,… mir lacht das Abenteuer!‘“, E-Dur) schließt sich ein melodramatischer Fluch an, auch dies ein Topos der Gattung, mit dem die Musik zum Affekt und zur Tonart c-Moll der Auftrittsarie zurückkehrt. Wagners Neuerungen zeigen sich auch hier an den gleitenden Übergängen, mit denen die nach wie vor erkennbaren konventionellen Formen der Oper vernäht werden. Sie betreffen aber auch die Zeitstrukturen der Dramaturgie. Die Themen und Motive der Arie lassen sich den unterschiedlichen Schichten des vom Stück in Anspruch genommenen musikalischen Gedächtnisses zuordnen und werden von Wagner dementsprechend unterschiedlich behandelt. Auf kurze Distanz, und mit jeweils expliziter Benennung im Dialog, lassen musikalische Reminiszenzen Kurwenals Spottlied nachklingen, auf das Isoldes Rede ja unmittelbar reagiert. Mit dem Hauptthema der Arie, einem vielfach variierten Ritornell, wird ein neues musikalisches Thema eingeführt, das motivisch aus der exzessiven Chromatik des Vorspiels abgeleitet ist, auf der Ebene der musikalischen Zeitstruktur also nach dem Prinzip der entwickelnden Variation aus diesem folgt. Leitmotivisch und symbolisch ist es dabei so, dass das (absteigende) „Leidensmotiv“ zur Oberstimme wird, während das (aufsteigende) „Sehnsuchtsmotiv“ in der Basslinie angedeutet wird – die Konstellation vom Beginn des Vorspiels wird auf den Kopf gestellt, um die Affektlage von Schmerz und Leiden zu betonen. Als dritte Erinnerungsschicht neben dem Nachklingen des Bühnenlieds und der musikalisch-abstrakten Motivableitung gibt es wiederum leitmotivische Rückbezüge auf den Beginn des Vorspiels. Leit-


motive verbinden das, was Isolde erzählt – die Vorgeschichte der Bühnenhandlung, ihre erste Begegnung, Tristans Verwundung und Genesung –, mit dem, was das Publikum gehört hat, bevor sich der Vorhang hob, also der musikalischen Vorgeschichte des aktuellen Operngeschehens. Konkret sind es Isoldes Worte „… nicht auf das Schwert, nicht auf die Hand, er sah mir in die Augen. Seines Elendes jammerte mich …“, in denen die (handlungsinterne) inhaltliche Erinnerungsschicht mit der (handlungsexternen) musikalischen verknüpft wird. Isoldes Worte geben der erinnerten Musik einen klar umrissenen Handlungssinn, den sie zuvor nicht hatte. In Isoldes Gesang sind Tristans Blick („Er sah mir in die Augen“) und ihr eigenes Mitleid („Seines Elendes jammerte mich“) dabei kontrastierend aufeinander bezogen – die Melodie folgt erst einer steigenden, dann einer fallenden chromatischen Linie. Es sind die schon am Beginn des Vorspiels verwendeten musikalisch-rhetorischen „Figuren“ oder Pathosformeln, aus denen Wagner beziehungsreich das Ritornell-Thema der Arie abgeleitet hatte. Der beschriebene Moment ist eine der Schlüsselstellen der gesamten Oper, weil mit diesem Augenkontakt der Ursprungsmoment von Tristans und Isoldes Liebe greifbar wird. So wie Isolde ihn erinnert, ist Tristans Blick kein Blick des Begehrens, sondern ein Blick rückhaltloser Offenheit. Tristan schaut nicht auf Schwert und Hand, die Symbole sozialer Zwänge und ständischer Ordnung, er fixiert Isoldes Blick. Isolde spiegelt seinen Blick, indem sie ihrerseits von sozialen Zwängen, von Motiven der Ehre und der Rache absieht: Sie nimmt Tristan mitleidend in seinem Elend war. Das Begehren der Liebenden folgt diesem unverstellten Augenkontakt und nicht umgekehrt. Die Lesart entspricht hier noch dem modernen Ideal romantischer Liebe. Wagner komponiert den Moment schlicht, kammermusikalisch und in äußerster Präzision, dazu „sehr zurückhaltend“ im verlangsamten Tempo der Einleitung. Auf das zentrale Wort „Augen“ singt Isolde nicht den von der Parallelstelle im Vorspiel her zu erwartenden übermäßigen Quartvorhalt fis2– e2, sondern die Oktave e2–e1, geteilte Celli spielen einen reinen C-DurKlang, an den eine Solobratsche mit dem „Blickmotiv“ anschließt. Das ungetrübte, ausdrucksvoll zarte C-Dur symbolisiert den Nullpunkt der Liebe, musikalisch markiert es den Nullpunkt und Grenzwert der von dissonanten Akkorden mit starker Innenspannung geprägten Harmonik der Tristanmusik.

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Das Finale des ersten Aufzugs wird Vorgeschichte und Gegenwart in der erneuten, für ihr Schicksal entscheidenden Begegnung der beiden Hauptfiguren zusammenführen. Tristan meidet (in seiner Melancholie) Isoldes Blick. Isolde ist gekränkt, gedemütigt, isoliert und greift deshalb


auf die einst fallengelassene soziale Rolle derjenigen zurück, der es von Standes wegen zukommt, Sühne für Morold zu fordern. Psychologisch ist dies ebenso plausibel wie kompliziert. Innerlich wie äußerlich blockiert führen Isolde und Tristan wie unter Zwang die Wiederholung des von Isolde zuvor erinnerten Augenblicks herbei – Isolde mit dem Schwert vor Tristan –, wissend, dass ihr Trotz und die Situation ihnen verbieten, was sie unausgesprochen und uneingestanden begehren. Lösung verspricht in einem verzweifelten Akt der gegen sich selbst gerichteten Aggression nur der (vermeintliche) Todestrank, den beide in Erwartung des sicheren Todes trinken. Mit dieser Peripetie, und dem vertauschten Trank, löst sich die Blockade und dreht sich die gesamte Handlungskonstellation. In der Symbolik dieses entscheidenden Umschlagmoments zeigt sich, worin Wagner vom Topos der romantischen Liebe abweicht. Er verbindet die in der Vorstellung romantischer Liebe mitgedachte Dauerhaftigkeit nicht mit der Per­ spektive der Veralltäglichung (in der Ehe), sondern proto-psychoanalytisch mit dem sexuell konnotierten Todeswunsch. Die fesselnde Dramaturgie des Finales folgt einem Verlauf, der sich am ehesten in Begriffen der Filmtheorie wie „Cut“ und „Suspense“, Schnitt und Spannung fassen lässt. Das magisch wirksame szenische Schlüsselwort des Finales ist „Trank“. Während der Todestrank (zum Entsetzen Brangänes) bereits am Ende der dritten Szene von Isolde ins Spiel gebracht wird, zögert Wagner den Moment, in dem er tatsächlich getrunken wird, etwa eine halbe Stunde mit zahlreichen Wendungen immer wieder hinaus. Er nutzt dafür die szenische Dramaturgie des Innen und Außen, die zu Anfang mit dem Seemann außen auf dem Schiff und Isolde im Inneren ihres Lagers etabliert wurde. Mit dem Effekt sukzessiver Spannungssteigerung werden Bühneninnenraum und Bühnenaußenraum nun als unabhängige Handlungsdimensionen einander gegenübergestellt. Ihnen entsprechen kontrastierende Zeitverläufe. Auf dem Schiff macht sich zunehmend Geschäftigkeit breit, da sich die Mannschaft auf die baldige Landung vorbereitet. Innen spielt die eigentliche dramatische Handlung, die unaufhaltsam auf die Einnahme des fatalen Trankes zusteuert. Wie im Filmschnitt lässt Wagner die Darstellung zwischen den beiden kontrastierenden Räumen und Zeitverläufen springen und sie sich in zunehmend kürzeren Abständen kreuzen. Auslöser ist jedes Mal das Wort „Trank“ oder ein verwandter Ausdruck: Isolde: Der Trank ist’s, der mir taugt! Brangäne: Der Todestrank! (Sie weicht entsetzt zurück.) [Man hört, wie die Matrosen beginnen, die Segel „am Untermast“ einzuholen.] 75

Isolde: Bist du mir treu?


Brangäne: Der Trank? [Kurwenal tritt ein und meldet Tristan. (Brangäne erhebt sich erschrocken und verwirrt.)] Isolde (zu Tristan): Nun lass uns Sühne trinken! [Man hört, wie die Matrosen beginnen, die Segel „am Obermast“ einzuholen.] Isolde: So guter Gaben / holden Dank / schuf mir ein süßer / Sühnetrank; / den bot mir ihre Huld / zu sühnen alle Schuld. [Man hört, wie die Matrosen Anker werfen und Taue einholen.] Das Spiel von virtuellem Schnitt und akustischem Ortswechsel setzt sich nach der Peripetie, das heißt nach der tatsächlichen Einnahme des Trankes fort. (Isolde sinkt Tristan an die Brust.) Tristan: Seligste Frau! Matrosen (draußen): Heil König Marke, Heil!

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Die beiden Handlungsräume sind durch musikalischen Kontrast deutlich voneinander unterschieden, draußen heiter lebhafte Musik, innen ausdrucksvolle, den Affekten der Figuren folgende Musik. Ein klarer Kontrast der entsprechenden Zeitstrukturen trägt zur Konturierung bei: Außen ist der musikalische Zeitverlauf konstant, gleichförmig gerastert, man könnte von objektiver, räumlich-physikalischer Zeitstruktur sprechen, dem „temps espace“ in der Zeittheorie Henri Bergsons. Innen ist der Zeitverlauf extrem variabel, mal schnell als gestische Grundierung hektischer Handlungen, dann aber vor allem geprägt durch Dehnung und Beschleunigung als zeitlichen Ausleuchtungen des Affekts. Entsprechend wäre hier von subjektiver Erlebniszeit, dem „temps vécu“ bei Bergson, zu sprechen. Die Gegenwart des Todestranks wirkt auch auf der Ebene der Affekte als auslösendes Moment. Die Schwankungen des musikalischen Tempos in dem Moment etwa, in dem Isolde das Fläschchen aus dem Schrein holt und es Brangäne reicht, sind extrem: Von „schnell“ über „allmählich etwas zurückhaltend“ zu „gedehnt und langsam“ und „wieder bewegter“ krümmt sich die musikalische Zeit, gefolgt von einer Wiederholung der letzten beiden Phasen des Verlaufs. Wiederholungen von Musik und Text nutzt Wagner an dieser Stelle mehrfach, um die Perspektive zu subjektivieren. Isolde knüpft wiederholend („Kennst du der Mutter Künste nicht? …“) an das Gespräch mit der Dienerin an, das von den Matrosen unterbrochen worden war. Sie zitiert dabei Brangänes Worte wörtlich, deutet sie aber um, denn sie denkt nicht an den Liebes-, sondern den Todestrank. Wagners Klangdramaturgie leuchtet die mit solchen Wiederholungen verbundenen situativen Schattierungen und Affektänderungen mit den Mitteln seiner Instrumentation aus.


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Motivisch liegt der Wiederholung die prägnante Chiffre aus Takt zwei der Einleitung („Tristanakkord“ und „Sehnsuchtsmotiv“) zugrunde, die Wagner aber dreimal anders orchestriert: zu Brangänes Worten unvermischt (Oboe, Englischhorn, Fagotte), zu denen Isoldes durch Unisonoverdopplung der Holzbläser verschleiert, im Vorspiel in einer Kombination beider Effekte. Die instrumentale Klangeintrübung unmittelbar vor der unheimlichen Nennung des Todestranks geht mit der starken Verlangsamung des Tempos, einem musikalisch realisierten Zeitlupeneffekt einher. Beim Wort „Todestrank“ und auf den Vokal „o“ lässt Wagner die instrumentale Farbe zusammen mit dem starken, chromatischen Harmonieschritt von As-Dur (Sextakkord) nach A-Dur dann allerdings in den Klang von Posaunen umschlagen, den schon Claudio Monteverdi in L’Orfeo als klangliches Symbol für die Sphäre des Todes eingesetzt hat. Die abschließende fünfte Szene zeigt dann die Wiederbegegnung von Tristan und Isolde, auf die die Handlung dieses ersten Aufzuges zusteuert, das Gegenteil einer intimen oder erotisch aufgeladenen Liebesszene. Steif und fremd, wie in Masken, gehen Isolde und Tristan aufeinander zu. Wagner greift auch hier auf einen musikalischen Topos zurück, den charakteristischen Rhythmus der Sarabande, deren spanisch-strengen höfischen Gestus er sich an dieser Stelle aus Beethovens Egmont borgt. Das Sarabanden-Thema ist auch unabhängig von der Beethovenallusion ein Beispiel des wagnerschen Beziehungszaubers. Wagner präsentiert mit ihm eine ausdrucksmäßig gewandelte, nur schemenhaft wiederzuerkennende Version der ersten Takte des Vorspiels. Das chromatische „Sehnsuchtsmotiv“ wird dabei durch Isoldes Viertonfigur („Wer wagt mich zu höhnen?“) vom Beginn des Aufzugs ersetzt. Wie in einer Passacaglia werden Isoldes Worte in Variationen immer wieder von diesem ernsten, symbolbeladenen Thema getragen. Sein Rhythmus und seine Harmonien weichen erst, als sich Isolde in zunehmend selbstsicheren und am Ende zynischen, provozierenden Worten daran macht, Tristan aus seiner wortkargen Starre zu locken. Die dramatische Peripetie des Aufzugs – Isolde: (Sie entwindet ihm den Becher.) „Verräter! Ich trink’ sie dir!“ (Sie trinkt.) – fällt dann mit einer umfassenden Reprise der Musik des Vorspiels im fortissimo zusammen, die hier nach vielen Andeutungen sozusagen zu sich selbst zurückfindet wie das Hauptthema in einer Symphonie nach dem Durchführungsteil. Charakteristische Ergänzungen verkörpern gestisch-musikalisch das Zittern und die krampfartigen Zuckungen, von denen die Liebenden nach Einnahme des Gifttranks ergriffen werden. Im Moment höchster Erregung plötzlicher totaler Stillstand. Wie unter Schock blicken Tristan und Isolde ein zweites Mal einander in die Augen, während die biologische Zeit verstreicht, die das Gift zur Entfaltung seiner Wirkung benötigt. Die Liebenden scheinen aber auch vor sich


selbst zu erschrecken und einen Moment innezuhalten, bevor sie sich in die Arme fallen. Der Klang ist aufs Äußerste gespannt, langsamstes Tempo und gleichzeitig rasende Geschwindigkeit des Streichertremolos im pianissimo. Dann wird die Musik des Vorspiels erneut von schärfsten Dissonanzen einer „krampfhaften“ musikalischen Geste im fortissimo zerschnitten. Der zweite Blick der Liebenden ist musikalisch und psychologisch das Gegenteil des ersten. Mit ihm ist die Vorgeschichte der Handlung abgeschlossen, die Geschichte beginnt auf anderer Ebene von Neuem. Wenn man den mittelalterlichen Tristanstoff vor Augen hat, beginnt erst jetzt die eigentliche Liebestragödie. Der zweite und dritte Aufzug werden sie in anderen, spektakuläreren Farben schildern. In ihnen erschließen sich andere innere und neue musikalische Welten, die Gegenwelten von Liebesnacht und Liebestod, die Abgründe von Tristans schonungsloser Selbstanalyse. Es ist aber die Psychologie des ersten Aufzugs in ihrer musikalischen Dramaturgie, von der her gesehen Wagners Lesart des Tristanstoffs als selbstzerstörerische Amour fou zwischen Melancholie und dem Phantasma der gemeinsamen Erlösung im Liebestod plausibel wird.

Tobias Janz studierte Klavier, Kammermusik und Musiktheorie an der Musikhochschule Lübeck sowie Musikwissenschaft und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2005 promovierte er über die Dramaturgie des Orchesterklangs in Wagners Der Ring des Nibelungen. Er war unter anderem Juniorprofessor an der Universität Hamburg, Vertretungsprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie 2013 und 2017 Gastwissenschaftler an der National Taiwan University, Taipeh. Ab 2013 war er Professor an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, seit Oktober 2017 hat er einen Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn inne. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Musik des 17.–21. Jahrhunderts, Globalgeschichte der Musik, Musiktheorie (Geschichte und Systematik), Klang, Musikästhetik, Musikphilosophie, Musiksoziologie und Musikhistorik. Außerdem ist er Mitherausgeber der Zeitschrift Musik & Ästhetik und als praktizierender Musiker aktiv.


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„EZ WAERE TÔT ODER LEBEN: EZ HÂT MIR SANFTE VERGEBEN. INE WEIZ, WIE JENER WERDEN SOL; DIRRE TÔT DER TUOT MIR WOL. SOLTE DIU WUNNECLÎCHE ÎSÔT IEMER ALSUS SÎN MÎN TÔT, SÔ WOLTE ICH GERNE WERBEN UMBE EIN ÊWECLÎCHEZ STERBEN.“

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„OB TOD ODER LEBEN: ES HAT MICH ANGENEHM VERGIFTET. ICH WEISS NICHT, WIE DER ANDERE TOD IST; DIESER JEDENFALLS GEFÄLLT MIR GUT. WENN DIE HERRLICHE ISOLDE IMMER SO MEIN TOD SEIN SOLL, DANN WILL ICH MICH MIT VERGNÜGEN BEMÜHEN UM EINEN EWIGEN TOD.“

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Gottfried von Straßburg: Tristan über den Liebestrank (12495 – 12502)


LYDIA HARTL: VERHÄNGNISVOLLE KRÄFTE. FRAGMENTE ZUR PSYCHOPHYSIK UND METAPHYSIK DER LEIDENSCHAFTEN

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„HIER IST ALLES DURCH UND DURCH TRAGISCH …“ (R. WAGNER) Die Geschichte der menschlichen Kultur ist eine Geschichte der menschlichen Leidenschaften, von Liebe und Hass, Aufbegehren und Resignation, Kampf und Untergang, die sich in schauerlicher Einfachheit wiederholt und uns besonders dann, wenn glückliche Auflösungen nicht möglich sind, immer neu bewegt. An solchen Geschichten arbeiten wir uns seit jeher ab, verbinden sie mit den Erfahrungen unseres individuellen Lebens und fühlen uns, auch wenn uns manches rätselhaft bleibt, im Scheitern nicht allein. Die Erotik als archaisches, ungebändigtes, ahistorisches Phänomen hat dabei eine Sonderrolle, steht außerhalb der Kultur und dadurch auch de facto über deren Gesetzen. Besonders zügellose Leidenschaft ist ein Widerpart jeder gesellschaftlichen Ordnung und bringt den Sturz selbst der Mächtigsten zuwege. Denn gesellschaftliche Regeln zielen auf die Kontrolle, besser noch auf ein Unschädlichmachen der triebhaften Kräfte von Eros und Thanatos, ob nun diese Kräfte im Privaten oder im Öffentlichen wirken, bis hin zum Krieg. Die Geschichte von Tristan und Isolde hat im Abendland seit dem Mittelalter das Bild der unerfüllten und vielleicht unerfüllbaren großen Liebe geprägt, die sich nur in der menschlichen Sehnsucht zeigt: Eine problematische, aber unzerbrechliche Liebe erfüllt sich nicht. Das Ende: ein oder zwei gebrochene Herzen, einer der beiden erst in unerreichbarer Ferne, dann tot, der andere stirbt am Versagen der körperlichen Kräfte aus unstillbarem Schmerz über die Nichterfüllung der Liebe im Diesseits – ein stilistisches Mittel, um die Todessehnsucht des Liebenden nicht im tabuisierten Suizid enden zu lassen. Nur scheinbar aber bleibt ein Liebestod mit dem Christentum vereinbar. Im Zeichen des Eros als übergeschichtlichem, archaischen, triebhaften Prinzip stehen Tristan und Isolde bereits im Mittelalter der zivilisierten Ordnung unversöhnlich gegenüber und werden beide schuldig, denn der Gegensatz vom Naturrecht der unzähmbaren Liebe und dem Gesellschaftsrecht der Ehe als geregeltem Zustand ist durch nichts auszugleichen. So mag es kein Zufall sein, dass Gottfried von Straßburg sein Tristanepos unvollendet hinterließ, hatte er doch Tristans und Isoldes individuelle Empfindungen absolut gesetzt: Die Idee der Auflösung des Individuums und die Sehnsucht nach dem immerwährenden Einswerden waren ein Novum für ein höfisches Epos und sind zugleich zeitlos. Richard Wagners Version davon hat die Attraktion dieser Tristanliebe nochmals gesteigert: In einer Zeit der bürgerlichen Blüte entwirft er ein Szenario des Untergangs durch eine fatale Leidenschaft, die allen Konventionen zum Trotz in den Tod führt. Seine Anziehungskraft gründet allerdings nicht auf der Sehnsucht nach einer romantischen Liebe, umweht vom Hauch der Selbstlosigkeit, sondern auf der Faszination vom machtvollen erotischen Magnetismus zweier Menschen,


die sich einander auch unter widrigsten Umständen und unvereinbaren Lebensplänen nicht entziehen können. Wagners Figuren handeln im Rahmen eines komplexen Seelendramas von innen heraus – und scheitern. Schließlich stirbt jeder für sich allein: Tristan tötet sich in einem Raptus, kaum bei Sinnen, und entzieht sich so einer tatsächlichen letzten Vereinigung mit Isolde in einem Doppelsuizid. Ihr, die für ein gemeinsames Leben und Sterben alles nur Erdenkliche auf sich genommen hat, bleibt keine Kraft mehr, sie löst sich selbst im Moment der Übersteigerung alles Erträglichen in einem synästhetischen Wahn auf. Und ihre Liebe? Sie ist ungleich und nicht stark genug, um die beiden zu retten, erst recht nicht durch eine von irdischen Verstrickungen gereinigte, in Ewigkeit und Transzendenz versetzte Überhöhung. Ihr leiblicher Tod ist nicht nur Folge ihrer zunehmenden gesellschaftlichen Isolation, sondern auch ihrer unterschiedlichen Bereitschaft, bis zur Neige füreinander einzustehen: Hans Sachs wird sie schon bald in den Meistersingern eine Unglücksgeschichte nennen.

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PSYCHOPHYSISCHE WAHLVERWANDTSCHAFTEN Wie Wagner an den Tristanstoff gekommen war, ist unklar. In einer Zeit der Wiederentdeckung der Mythen und der ästhetischen Glorifizierung der Nacht seit der Romantik hatten sich auch andere Komponisten wie Schumann und Mendelssohn für den Stoff der unmittelbaren, unentrinnbaren und überzeitlichen Liebe, die als Naturgewalt hereinbricht, interessiert, damals ganz im Zeitgeist: Denn auch die populären Wissenschafts- und Philosophietheorien des 19. Jahrhunderts befassen sich mit dem „Willen zur Macht“ (Friedrich Nietzsche), der Urkraft ewiger Kreisläufe von Leben und Tod, Entstehen und Vergehen, Lust und Schmerz, als formendem Prinzip in anthropologischer, ethischer und ästhetischer Gestalt. Schopenhauer war keine Privatentdeckung Wagners, sondern galt mit der Idee vom Ur-Willen zum Leben als einziger Realität um die Mitte des Jahrhunderts als der Modephilosoph schlechthin. Für eine ähnliche Urkraft, eine Naturgewalt, hielt man im 19. Jahrhundert die damals wiederentdeckte mythische Wahrheit. So beschäftigt sich nicht nur Wagner in einer Zeit der Suche nach dem Ursprung allen Lebens mit dem Mythos der anfänglichen Ungetrenntheit der Geschlechter, der in Platons Symposium beschrieben wird: Das ursprüngliche Doppelwesen wird durch die Götter brutal auseinandergehauen und muss seither im irdischen Leben nach der ergänzenden Ur-Hälfte suchen – eine schmerzhafte Strafe. Ein Erkennen einer quasi naturgegebenen, physikalisch-chemischen Abstoßungsreaktion von Elementen wird nun, ebenso wie ein vollzogenes Ritual der Wiedervereinigung des ursprünglich Ungetrennten in der Liebe, in Übertragung der Reaktionen und Gesetze der Natur auch als gelebte – und


auch zu lebende – menschliche Wirklichkeit vorstellbar. Zwar bleibt diesen Urgewalten etwas Angsteinflößendes, Zauberisches, das aber gesellschaftsfähiger wird und weniger verstört, weil man in der Natur selbst menschliche Züge entdeckt, die die Distanz zwischen Individuum und Welt ein wenig schwinden lassen. Wagner hat während der Arbeit am Tristan die Wahlverwandtschaften geradezu verschlungen, „Wort für Wort“, wohl Goethes besten und zugleich rätselhaftesten Roman, in dem die unerwartete erotische Anziehung als gleichsam unausweichliche chemische Reaktion über Menschen hereinbricht, die Vernunft in einer komplex problematischen Konstellation außer Kraft setzt und alles erst im Chaos und dann in Tragik enden lässt: einem Liebestod zweier Menschen, die trotz ihrer unüberwindlichen gegenseitigen Anziehungskraft nicht zueinander finden können. Ottilie nimmt keine Nahrung mehr zu sich und stirbt im Gefühl ihres schuldhaften Handelns, Eduard verliert nach ihrem Tod seinen Lebenswillen und stirbt bald nach ihr an gebrochenem Herzen. Kein „echter“ Doppelsuizid, sondern eine Art vegetatives Verkümmern, das zuallerletzt am Sarg Ottiliens das Schöne im Tragischen sichtbar macht. Denn in Goethes ästhetischer Morphologie ist Gestaltlehre Verwandlungslehre: Das Ganze entsteht als Naturerscheinung aus dem Kampf polarer Gegensätze. Der Mensch dient, wirkt und formt sich in diesem Prozess unaufhaltsam, besonders in den süßen Trieben, die er Liebe nennt, beinahe ebenso blind wie eine Pflanze. Das ist gefährlich.

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NATURGEWALTEN: „DIE WAHRHEIT IST, DASS MIR AUF ERDEN NICHT ZU HELFEN WAR.“ (H. V. KLEIST) Der Drang, seinem Leben ein Ende zu setzen, ist nahezu allgegenwärtig: Etwa alle 50 Minuten bringt sich in Deutschland jemand um, alle 5 Minuten versucht es jemand, die Zahlen waren vor 40 Jahren noch rund doppelt so hoch. Zwar hat 2011 der Europäische Gerichtshof das Recht auf Beendigung des eigenen Lebens als Menschenrecht anerkannt, jedoch geht die Weltgesundheitsorganisation weiter davon aus, dass Suizidhandlungen stigmatisierend sind. Es bleibt ein Tabu um die Lebensmüdigkeit, jenen psychischen Zustand, in dem Gedanken, Fantasien, Impulse und Handlungen anhaltend, wiederholt oder in krisenhaften Zuspitzungen darauf ausgerichtet sind, gezielt den eigenen Tod herbeizuführen. Bis heute gibt vor allem der Doppelsuizid der Wissenschaft Rätsel auf, es gibt kaum Studien dazu, das Thema lässt schaudern: Lange vor Sigmund Freuds Sexualtheorie ahnte man, dass die Liebe mit ihrer Heftigkeit und ihren Erwartungen in der Liste der zerstörenden Kräfte der menschlichen Vernunft ganz oben steht und mehr Wahnsinn schafft als alle anderen Affekte. Erst recht, als man im 19. Jahrhundert die psychophysiologische Verfasstheit des Menschen in


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Analogie zu den Naturwissenschaften, der Elektrizität und den chemischen Verbindungen mit ihren Anziehungs- und Abstoßungsreaktionen zu sehen begann. So verfasst der Dichter Stendhal bereits 1822 eine Physiologie der Liebe und beschreibt die „amour-passion“ als „cristallisation“, in der sich wie bei einem Zweig, der in Salzluft liegt, Kristalle ansammeln und zu einer Unendlichkeit an Diamanten wachsen, analog der geliebten Person, die sich in einem dynamischen Prozess mit unendlichen Facetten für ihr Gegenüber immer weiter vervollkommnet. Der Bewusstseinsforscher Paolo Mantegazza, der seine populäre Schrift über die Physiologie der Liebe allen „edlen Frauen“ widmete, nennt die Liebe eine Kraft, die von den niedrigsten Stufen des unbewussten Instinkts bis in die erhabensten Höhen des Übersinnlichen reicht und wie keine andere Seelenkraft fern voneinander liegende Pole zu berühren vermag. Der Forensiker Lombroso erklärt die Physiologie des Doppelselbstmords durch eine Art von Wahlverwandtschaften der Liebeswirkung, die durch eine solche der zeugenden Organe vervielfacht ist, bis die Moleküle des Organismus des einen Partners sozusagen einen Teil des Organismus des anderen bilden und eine Trennung von diesem unerträglich wird. Gustav Theodor Fechners zunächst als befremdlich empfundener Gedanke, dass Tod und Lust miteinander zu tun haben, wird annehmbarer, sobald man feststellt, dass angesichts einer bedrückenden Realität selbst die Todessehnsucht, die in die absolute Ruhe des Anorganischen zurückzuführen verspricht, lustvoll erlebt werden kann. Dies wird Sigmund Freud nachhaltig beeinflussen. Liebeslust und Todessehnsucht: ein psychischer Reflexbogen also, ebenso unwillkürlich und unentrinnbar wie die damals entdeckten, dem Bewusstsein nicht zugänglichen Nervenreflexe. Wird deren Hunger nach Reizen nicht ständig mit Neuem gefüttert, so erstirbt er, wie der Ton einer Saite verhallt, wenn sie nicht erneut gespielt wird, wie ein Bild in der Seele erlischt, wenn sein Gegenstand nicht leibhaftig vor uns tritt. Man glaubt nun, alle Sehnsucht, alles Zurückverlangen sei im Urgrund nichts anderes als ein Gefühl des partiellen Sterben-Müssens. So auch in der Liebe. „La petite mort“, der kleine Tod, nimmt in der sexuellen Ekstase die dauerhafte Auflösung des Bewusstseins im Tod vorweg. Doch vor dem Erlöschen steigert sich dieser wesenhaft unbefriedigte Hunger immer wieder bis zu gewaltigen Gefühlsausbrüchen in kaum erträglicher innerer Spannung, deren einzig mögliche, radikale und plötzliche Befreiung endlich nur noch der Tod sein kann: ein äußerster, irreparabler Gewaltakt, der nicht selten auch das Leben des unerreichbar geliebten Menschen mit in die Selbstvernichtung reißt. Dass die Grenzen der sogenannten Normalität in der Ekstase überschritten werden, fasziniert die Künstler. Das Lauschen auf die inneren Stimmen wird ästhetische Vorbedingung für Imagination, Kreativität und das Schaffen neuer Formen, musikalisch in Tristan und


Isolde, in der Dichtung in Flauberts La Tentation de Saint-Antoine. Dies darf aber keineswegs als Irrewerden missverstanden werden: Es geht vielmehr um die ästhetische Verdichtung von Grenzzuständen des Bewusstseins durch den Abstieg ins Innere des individuellen Ichs, ein Vorgang, der früher allein Mystikern und Propheten als kaum kommunizierbarer Ab- oder Aufstieg in andere Welten vorbehalten war. Das Schwierige und Dunkle beim Tristan ist wesenhaft, weil sich das Pu­ blikum, geleitet von dramatischer Handlung und Musik, in die Innensicht der Figuren begeben muss, für deren Verständnis es immer weniger Außenkriterien erhält. Der miterlebte Zusammenbruch zwischenmenschlicher Beziehungen lässt Dialoge kollabieren, gar absurd werden. Erschöpfen sich die Wortbedeutungen, erst recht dann, wenn sie Bezug zur Außenwelt herstellen sollen, dann gehen sie in Wortmusik über, die inhaltliche Bedeutung tritt hinter ihrer Klanghaftigkeit zurück.

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DAS UNSPIELBARE WERK – EINE TÖDLICHE GEFAHR? Wagner unterbrach die Arbeit an der Ring-Tetralogie, um sich mit dem Tristan aus seinen finanziellen Problemen zu befreien. Nur wenige Protagonisten, kaum Bühnenaufwand, ein kleiner Chor: Das müsste sich doch gut verkaufen lassen. Weit gefehlt. Der Uraufführung in München gingen Schwierigkeiten voraus, die auch ein notorischer Schwarzseher kaum erahnt hätte. Dennoch ahnte der Komponist: „Nur ein Hochgefühl wird bleiben, das Bewusstsein, das hier ein Wunder vorging, das die Natur nur in Jahrhunderten einmal webt, das ihr so edel aber vielleicht noch nie gelang.“ Als Richard Wagner im Mai 1864 in München eintraf, hatte er drei fertiggestellte Partituren im Gepäck: Das Rheingold, Die Walküre und Tristan und Isolde. Die Alliance des schönen Königs Ludwig II. (bei Wagners Berufung nach München ein schwärmerischer Jüngling, der nach dem Tod seines Vaters erst kürzlich Königswürde und -last hatte übernehmen müssen) mit Wagner wird, wie der Wagnerbiograf Martin Gregor-Dellin es nennt, zu einer „erstklassig besetzten Farce“, selbst ein der Bühne würdiger Stoff, ein kompliziertes Verhältnis. Es rettet zwar Wagners persönliche und künstlerische Existenz, ist aber zugleich ein beschämend intrigantes Intermezzo, bei dem alle Beteiligten ihr Gesicht verlieren. Dass sich Ludwig und Wagner gegenseitig versicherten, ihr Leben und Lebenssinn sei untrennbar verbunden, war von Ludwig, der von „Tristanliebe“ spricht, wohl ernster gemeint als von Wagner. „Sein Todestag ist auch der meine. – Das ist sicher, denn die Liebe zu ihm, die der Grund meiner Wonnen und Leiden ist, ward in mir zum religiösen Cultus, ohne ihn kann ich nicht leben“, gesteht Ludwig II. 1866 seiner Cousine Sophie. Pierre Boulez nennt ihren Austausch eine Parodie, ein Zwiegespräch von Maskierten, bei dem jeder den anderen von der Echtheit seiner Verkleidung zu überzeugen suchte. Das anfängliche Idyll wird trotz der zunächst toleranten Haltung


der Münchner bald getrübt. Denn während Ludwig II. im Wunsch nach einem von irdischen Trieben freien Kunstkönigtum, das er mit dem idealisierten Leben Wagners untrennbar verbunden sah, nicht nur finanzielle Unterstützung gewährleistete, sondern selbst vor Ehrenerklärungen für Cosima und Wagner nicht zurückschreckte, gaben die beiden ihn, durchaus bewusst, zunehmend der Lächerlichkeit preis, Wagner zumindest etwas ambivalenter als Cosima. Das Ehepaar Wagner wird später nach Bayreuth gehen, die Umstände von Ludwigs Tod bleiben spekulationsumwoben. Am Werk selbst, das mit einem Leichenberg endet, haftet hartnäckig Schauerliches: Eine zu intensive Auseinandersetzung mit dem Tristan sei lebensgefährlich. Wagner entsetzte sich über das, was er von Ludwig Schnorr von Carolsfeld, seinem ersten Tristan, im dritten Aufzug verlangte, so sehr, dass er sich kurzzeitig wünschte, dies möge die letzte Vorstellung gewesen sein – nahezu prophetisch, denn der Sänger starb kurz nach den ersten Aufführungen mit nur 29 Jahren aus ungeklärten Gründen mit den Worten „Leb wohl, Siegfried! Tröstet meinen Richard!“ Seine Ehefrau Malvina, die erste Isolde, versank in tiefe Depressionen und trat nie mehr auf. Es war das erste, aber nicht das letzte kolportierte Todesopfer: Die Dirigenten Felix Mottl und Joseph Keilberth brachen während Tristan-Vorstellungen am Pult des Orchestergrabens im Münchner Nationaltheater zusammen.

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TRISTANLIEBE? TRISTANTREUE? „DAS IST NUN EINMAL SO: DER MANN LEBT VON SICH.“ (R. WAGNER) Als sich Held und Heldin erstmals begegnen, gibt es bereits eine unverzeihliche Vorgeschichte: Der ruhmreiche, aber besitz- und elternlose Emporkömmling Tristan hat im Streit um Zinszahlungen ungerechterweise Isoldes Verlobten Morold erschlagen und grausam verhöhnt. Isolde dagegen kommt aus den geordneten Verhältnissen des keltisch geprägten irischen Matriarchats, das man im 19. Jahrhundert wiederzuentdecken glaubte, ist gebildet und weit entfernt von einem Dornröschen. Anders als ihre englischen Geschlechtsgenossinnen hat sie Selbstbewusstsein, ihren eigenen Kopf und ihre eigene Ehre. Daher wagt sie es, entgegen der Racheregeln Tristan nicht zu erschlagen, als er unter leicht zu enträtselndem falschen Namen bei ihr andernorts nicht erreichbare Heilung seiner Kampfwunde suchte, an der er partout nicht sterben wollte. Sein halbbewusster risikoreicher Plan geht auf: Sie verzichtet auf Rache, nachdem sich ihre Blicke getroffen hatten und die Leidenschaft füreinander entfacht war – Liebe auf den ersten Blick. Unfassbar für sie, dass Tristan dies ungeschehen machen will – zu spät erkennt sie ihren Anteil an Schuld: der eigenen Herkunft gegenüber nicht loyal gewesen zu sein. Der herrlichste aller Helden ist nicht der charakterstärkste. Zurück bei Marke überwiegt seine Karrieresucht, für die er, wie schon in Irland


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mit der Weigerung, den berechtigten Zins zu zahlen, auch über Leichen geht. Er kämpft trotz seiner heimlichen Lebensangst um Selbsterhöhung. Mag sein, dass – wie biografisch bei Wagner ja auch – seine Herkunft dabei eine Rolle spielt, wie er gegen Ende erkennt: Der Vater stirbt nach der Zeugung, die Mutter bei der Geburt, sie kann, innerlich versteinert, die verlorene Liebe nicht auf ihren Sohn übertragen und weiterleben. Er verlässt noch als Kind seine Heimat, die ihm keine ist und keine mehr wird, weil er alles verschenkt hat, und sucht Bewährung in der Fremde, ein Außenseiter von Beginn an. Dort bringt er es weit. Tristan holt Isolde für eine Zwangsheirat, die den Waffenstillstand zwischen Cornwall und Irland fleischgeworden bezeugen sollte, in der Rolle des Brautwerbers und nicht, wie von ihr ersehnt, als Bräutigam. Sie durchschaut das infame Spiel, das für die anderen eine politische Geste des Friedens zwischen Irland und Cornwall ist, und wirft Tristan vor, er benutze nach dem Aufspießen von Morolds Haupt nun sie als Trophäe und stelle sie, gemartert und entehrt, in England zur Schau: ein erneuter Affront und eine Warnung an alle, die sich mit Tristan anlegen. Sie weiß, dass er ihr hiermit alles bis auf ihr nacktes Leben geraubt hat. Selbst wenn Brangäne ihr und Marke einen Liebestrank eingeflößt hätte, wäre ihre Selbstbestimmtheit für immer dahin, da hätte auch der neue Status als Königin wenig geholfen. Keiner hilft ihr. Die Überfahrt verbringt sie fast besinnungslos vor Wut, nicht nur auf den kühnen und zugleich feigen Mann, sondern auch auf ihre Mutter, die die mythische Macht, über Meer und Sturm zu gebieten, für das zahme Brauen von Balsamtränken aufgab, und beschwört die Naturgewalten, das Schiff zu verschlingen. Aber nichts rührt sich, das Meer bleibt ruhig, auch sie hat ihre Macht verloren. Er versteckt sich. Unter dem Zeitdruck der nahenden Ankunft erzwingt sie den Showdown. Wenn ihr Leben schon zu Ende sein soll, ehe es richtig begonnen hat, dann soll er doch mit zugrunde gehen. Ein beidseitig nicht ganz freiwilliger Doppelsuizid im Affektrausch, symbolisch vollzogen in der schwankenden Zwischenwelt eines Schiffes, einem Ort ohne Ort. Und wieder geschieht, was schon in Irland geschah: Die beiden können sich im Angesicht des bevorstehenden Todes ihrer gegenseitigen Anziehung erneut nicht entziehen, fallen vom Extrem der negativen Gefühle in den Rausch eines nahezu gewaltsamen, unentrinnbaren Liebesverlangens, für einen Moment bleibt die Zeit stehen. Isolde bricht erneut die Regeln und gibt sich Tristan hin. Entrückt und geschwächt geht sie an Land. Seit Isoldes Landgang an Tristans Arm, wo beide nur scheinbar festen Boden erreichen, und der Vermählung mit König Marke, sind die Würfel gefallen. Isolde, buchstäblich eingeschlossen im hortus conclusus ihrer neuen Rolle, den Wagner zum Bühnenbild des zweiten Aufzugs wählt, ist zum Sehnen und Warten verdammt, Tristan dagegen


darf sehnen und handeln, er hat seine Freiheit ja behalten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich nun nicht mehr aus dem überwältigenden Gefühl des Augenblicks, sondern mit Kalkül verhalten und bewusst das begehen, was man Betrug nennt. Die heimlichen nächtlichen Treffen in strikt verbotener ehebrecherischer Leidenschaft kann niemand mehr entschuldigen. Tristan und Isolde überschreiten damit eine Grenze, ein Tabu. Beide wissen, dass eine Entdeckung nur eine Frage der Zeit ist, falls es ihnen nicht gelingen sollte, sich zu zügeln. Ihr Begehren entfernt sie aus dem Gebiet der geltenden Gesetze und macht sie noch einsamer. Ein Paradies auf Erden wird es nicht mehr geben können, zumal ein tatsächlich gemeinsames Leben, auf das Isolde hofft, nie auf Tristans Agenda stand, obwohl beide, sonst durchaus nicht risikoscheu, die reale Fähigkeit zu einer Flucht mit Neubeginn im Irdischen, und sei es am anderen Ende der Welt, besäßen. Aber Tristan schlägt ihr kein diesseitiges Zusammenleben vor, vielleicht scheint ihm tatsächlich der Tod weniger mühevoll als ein Leben ohne Ruhm und ohne Mittel. Also wandeln sie auf einem unumkehrbar abgründigen Pfad, überlassen sich immer unbedachter ihren nächtlichen Ekstasen und halten diese bald für wirklicher als die immer problematischere Tagwelt. Isolde drängt immer wilder auf diese Nächte, in deren Rausch sie vergessen kann, was ihr widerfahren ist und fortgesetzt widerfährt. Aber die Spuren der Vergangenheit und der Selbstlügen lassen sich nicht tilgen. Sie und das Gesetz der realen Welt, symbolisiert von Melots Schwert, sind es, die die einander Verfallenen einholen. Tristan wartet nicht mehr ab, ob andere über ihn richten, sondern stürzt sich, nach einem Moment der Schocklähmung, in dieses Schwert, um sich, diesmal bewusst, eine tödliche Wunde zu schlagen, und allein, ohne Isolde, in den Tod zu gehen, die er damit erneut um die ersehnte Gemeinsamkeit bringt. Man sehe sich schließlich in der Ur-Nacht wieder, und dann für immer. Der Plan geht nicht auf. Auch bei Wagner nicht, der sich selbst nach einer letztlich doch befreienden irdischen Liebe sehnt. Es ist eben eine Illusion, dass vollkommene Erfüllung erreicht werden könnte, wenn es nur kein Verbot gäbe. Das Einzige, was bleibt, ist unstillbare Sehnsucht. Das erkennt Wagner, für sich und für seinen Tristan.

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„DER FURCHTBARE TRANK!“ – SELBSTGEBRAUT AUS LACHEN UND WEINEN Erst am Ende reflektiert Tristan im Bewusstseinszustand eines trügerischen Erwachens, geschwächt von schwerer Krankheit, sein suizidales Lebensprogramm, und befreit sich von seiner lebenserhaltenden Sehnsucht, indem er sich in orgiastischer Selbstverletzung die Verbände abreißt: Das Verströmen seines Bluts im Zustand von Größenwahn und Minderwertigkeitsgefühlen zugleich ist die letzte Handlung eines im psychologischen Sinn narzisstischen, emotional instabilen Wesens.


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Isolde aber, bei Wagner weit entfernt von einer Gleichrangigkeit der Geschlechter, bleibt letztlich in der Rolle des Opfers, der Fragenden, die bis zum Schluss ihr Scheitern nie ganz erkennen will. Im „Liebestod“ verfällt sie nach der kurzen Verzweiflung über Tristans Tod dem Wahn, sie könne noch einmal alles rückgängig machen und seine Auferstehung erwirken, ohne Trank, nur durch die Kraft der Imagination. Bis zum Schluss bleibt ein Funken Hoffnung in ihr, sie setzt auf das Wörtchen „und“ selbst angesichts des leblosen Körpers und sinkt entseelt nach einer halluzinierten, demonstrativen, finalen Vereinigung im synästhetischen Wiederempfinden der realen Vereinigungen im einstigen Blumengarten darnieder. Mit der Erkenntnis, dass Tristan dabei immer ein Doppelspiel mit ihr aufgeführt hat, will sie nicht sterben. Die bittere Wahrheit ist: Es gibt keinen Weg von der einen in die andere Welt. Beide irren, Tristan ebenso wie Isolde, jeder auf seine Art. Wer die Liebe nicht leben kann, kann sie auch ins Jenseits nicht mitnehmen. Robert Musil bemerkt später, dass es das poetische Motiv der aufgebahrten Geliebten seit hunderten, wenn nicht tausenden Jahren gibt, dem aber etwas Knabenhaftes anhafte, denn wer male sich schon aus, dass ihm nur der Tod die edelste der Geliebten schenkt? Doch nur der, dem der Mut oder die Möglichkeit fehle, eine lebende zu haben. Hans Sachs hat wohl recht, wenn er auf seine heimliche Liebe verzichtet: „Von Tristan und Isolde kenn’ ich ein traurig Stück“. Das Publikum vergisst durch die rauschhafte Wirkung der Musik bis heute immer wieder, auf welcher Betrugsgeschichte Isoldes Liebe letztlich beruht. Tristan und Isolde sehnen sich nach Vergessen des eigenen Seins und des eigenen Schicksals in der wiederkehrenden nächtlichen Ekstase, die eine Ausdehnung der Zeit in die Unendlichkeit vorgaukelt: Vergessen, um nicht mehr zurückfinden zu müssen in eine Welt von Pflichten und der von ihnen selbst geschaffenen Fakten. Aber gibt es Selbstbesinnung im, wenn nicht gar als Rausch? Wagner wendet sich von der mittelalterlichen Exkulpation der beiden durch den Trank als Schicksalhaftigkeit, die jeglicher Verantwortung enthebt, ab. Angesichts der Gewalt der Leidenschaft, wie es Tristan zuletzt erkennt, hat er sich diesen Trank selbst gebraut, da es besser ist, nicht mit wachen Sinnen auf das zuzugehen, was die beiden unausweichlich bestimmt. Zugleich hatte er sich selbst zu lange an seinem dunklen Lebensüberdruss berauscht und in diesem Zustand immer nur die abgründige Seite als letzten Weg sehen können, nicht das Licht. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen: ein Grund, der nicht wenige Menschen zu Rauschmitteln greifen lässt. Schon früh wird Wagners Musik selbst eine solche Rauschwirkung zugeschrieben. Als Charles Baudelaire 1861 das Lohengrin-Vorspiel hört, schreibt er: „Wenn man dieser glutvollen und despotischen Musik zuhört, scheint es zuweilen, als fände man, in den vom Traume dem Grund der Finsternis entrissenen Bildern, die schwindelnden Vorstel-


lungen des Opiums wieder”. Auch Nietzsche beschreibt in seiner Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik Wagners Musik „als berauschendes und zugleich benebelndes Narkotikum“ und Wagner als „Meister hypnotischer Griffe”, der sein Publikum in Trance versetzt.

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„DIE MUSIK ÜBERHAUPT IST DIE MELODIE, ZU DER DIE WELT DER TEXT IST.“ (A. SCHOPENHAUER) 1849 erkennt Richard Wagner, dass der Mensch erst dann Mensch ist, wenn er jenseits der Prädikate von Gesellschaft, Religion, Staat und Politik lebt. Die Folge: „Denn wie der Mensch nur frei wird, wenn er sich seines Zusammenhanges mit der Natur freudig bewusst wird, so wird die Kunst nur frei, wenn sie sich ihres Zusammenhanges mit dem Leben nicht mehr zu schämen hat.“ Das Leben in all seinen Facetten muss also in die Kunst dringen und in ihr aufgehen. So verhält er sich auch, als er in einer Existenzkrise der unmöglichen Liebe zur Frau seines Gönners Otto Wesendonck begegnet. Die waghalsige und zugleich aussichtslose Situation überhöht er durch die Kunst. In der Zeit der ersten Konzeption des Tristanstoffs im Herbst 1854 schreibt er aus dem Züricher Asyl an Franz Liszt: „Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten aller Träume noch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: ich habe im Kopfe einen Tristan und Isolte entworfen, die einfachste, aber vollblutigste musikalische Conception; mit der ‚schwarzen Flagge‘, die am Ende weht, will ich mich dann zudecken um – zu sterben.“ Wagner hat sich Schopenhauers These, die Musik sei direkter Ausdruck des Willens und höchste aller Künste, zu eigen gemacht: Durch diese Fähigkeit, episodisch das Leid zu verdrängen, könne sich der Künstler über das Missgeschick der Welt erheben. Im Tristan sei ihm „Zukunftsmusik“ gelungen, eine noch „innigere Verschmelzung des Gedichtes mit der Musik“ als je zuvor. Dies sei aber keineswegs eine direkte Übersetzung, „sondern das wirklich vor unseren Augen sich bewegende Drama, als sichtbar gewordenes Gegenbild der Musik, wo dann das Wort und die Rede einzig der Handlung, nicht aber dem dichterischen Gedanken mehr angehören“. Da er Tristan und Isolde schlüssig eine „Handlung“ nennt, kann es nicht gleichgültig sein, was die Personen auf der Bühne tun. Dass dabei seine Sprache – „Musikdunst“ nach Nietzsche – oft schwer verständlich ist, ist ihm nicht so wichtig: „Ich bin kein Dichter, und es ist mir ganz gleich, ob man meiner Diktion Vorwürfe macht, bei mir ist alles Aktion; es ist mir bis zu einem gewissen Grad gleichgültig, ob man die Verse versteht, meine Handlung wird man schon begreifen.“ In seiner frühen Kunsttheorie definiert Wagner diejenige Handlung als würdigste für die dramatische Kunst, die mit dem Leben der Haupt-


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personen abschließt, und setzt endgültige Erkenntnis mit der bewussten lebensfreudigen dramatischen Darstellung des Todes gleich, die den eigentlichen Menschen sozusagen künstlerisch wiederbelebt. Tristans Selbstreflexion im dritten Akt seines von Anfang an unter dem Zeichen der Nacht stehenden Lebens muss also zwangsweise unter dramatischen, nicht unter persönlichen Gesichtspunkten zum Tod führen, ebenso wie Isolde unausweichlich ihre realitätsabweisende Lebenserkenntnis, sei sie auch noch so liebesbejahend und rauschhaft, erst im Moment ihres eigenen Endes erfahren und vor allem künstlerisch zeigen kann. Und doch: Hätten sich Tristan und Isolde wirklich, gleichermaßen aufeinander bezogen und zugleich genussvoll geliebt, statt einander in unterschiedlichen Graden – Isolde mehr, Tristan weniger – verfallen zu sein, dann hätte es für sie einen anderen Ausweg gegeben als den Tod. Das sah auch Wagner von Anfang an so. 1858 begann er einen Brief an Schopenhauer, den er nie absandte, vielleicht weil ihm eine Kritik an Schopenhauers Grundthesen doch zu gewagt erschien, und berichtete von Fällen eines gemeinschaftlichen Selbstmords, „wobei mir inzwischen unerklärlich bleibt, wie die, welche, gegenseitiger Liebe gewiss, im Genusse dieser die höchste Seligkeit zu finden erwarten, nicht lieber durch die äußersten Schritte sich allen Verhältnissen entziehen und jedes Ungemach erdulden, als dass sie mit dem Leben ein Glück aufgeben, über welches hinaus ihnen kein größeres denkbar ist. – Es reizt mich, anzunehmen, dass Sie hiervon wirklich keine Erklärung gefunden hätten, weil es mir schmeichelt, an einen solchen Punkt anzuknüpfen, um Ihnen eine Anschauung mitzuteilen, in der sich mir selbst in der Anlage der Geschlechtsliebe ein Heilsweg zur Selbsterkenntnis und Selbstverneinung des Willens – und zwar nicht eben nur des individuellen Willens – darstellt.“ Wagner selbst war trotz seiner Lebenskrisen gerade in der Zeit der Tristan-Entstehung nie wirklich lebensmüde, anders als seine spätere Frau Cosima, wenn er auch in frühen Jahren manchmal davon sprach, dass der ungewöhnliche, große Mensch sich im Grunde täglich am Rande des Selbstmords befinde. Nur könne er diesem und dem Ernst der Welt etwas dagegensetzen, eine Art edle Ablenkung: das Werk eines aufrichtigen Wahns, der bewusst an die Stelle der Realität gesetzt wird. Das nämlich bewirke die Kunst, denn sie könne die Wirklichkeit so im Wahn auflösen, dass sie vorübergehend selbst zum Wahn werde. Sie könne selbst im entrücktesten Hinblick dem Edlen die Nichtigkeit der Welt hervortreten lassen – etwas, was nach Wagners Ansicht die Religionen nicht mehr vermögen. Er, wie er bekenne, erhalte so sogar das volle Bewusstsein der Heiterkeit zurück. Und so schreibt er 1859 an Mathilde Wesendonck, er sei in guter Stimmung, „da sich meine Gefangenen, Tristan und Isolde, nun bald ganz frei fühlen sollen … Das Angstgefühl, als ob ich vor der letzten


Note sterben würde, habe ich diesmal nicht: im Gegenteil bin ich der Vollendung so sicher, dass ich vorgestern auf dem Spazierritt sogar schon ein Volkslied drauf machte. Nämlich: Im Schweizerhof zu Luzern / von Heim und Haus weit und fern / da starben Tristan und Isolde, / so traurig er, und sie so holde: / sie starben frei, sie starben gern, / im Schweizerhof zu Luzern – / gehalten von Herrn Oberst Seegessern. … der Tristan ist so ziemlich fertig, und Isolde soll, denke ich, diesen Monat auch noch ausgelitten haben.“ – Und dann erzählt er ihr, dass ihm bei der lustigen Hirtenweise eine noch viel lustigere, lebhaftere, eingefallen sei: „Fast wollte ich schon alles wieder umwerfen, als ich endlich gewahr wurde, dass diese Melodie nicht dem Hirten Tristans zugehöre, sondern dem leibhaftigen Siegfried. … So war ich auf ein Mal im Siegfried drin. Soll ich da nicht noch an mein Leben, mein Aushalten glauben?“

Lydia Rea Hartl studierte Medizin, Psychologie und Musikwissenschaft in München und promovierte zur Dr. med. und Dr. phil. 1992 habilitierte sie im Fach Psychologie mit einer Schrift zum Leib-Seele-Problem und zur Geschichte des Körperverständnisses. Nach Forschungstätigkeiten am Max-Planck-Institut für Psychiatrie und an der LMU München wurde sie 1994 Professorin für Wahrnehmungspsychologie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Daneben lehrte sie an der Universität Orléans. 2002 wurde sie als Honorarprofessorin an die LMU München berufen und erhielt im selben Jahr den Ehrendoktortitel der Universität Orléans. Von 2001 bis 2007 war sie Kulturreferentin der Stadt München. Sie forscht und publiziert vor allem zu Kulturwissenschaften, Multimedialität, Transkulturalität und Life Sciences.


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WART ÎSÔT IE MIT TRISTANE EIN HERZE UNDE EIN TRIUWE, SÔ IST EZ IEMER NIUWE, SÔ MUOZ EZ IEMER STAETE WERN. DOCH WIL ICH EINER BETE GERN: SWELCH ENDEN LANDES IR GEVART, DAZ IR IUCH, MÎNEN LÎP, BEWART. WAN SWENNE ICH DES VERWEISET BIN, SÔ BIN ICH, IUWER LÎP, DÂ HIN. MIR, IUWERN LÎBE, DEM WIL ICH DURCH IUWERN WILLEN, NIHT DURCH MICH, VLÎZ UNDE SCHOENE HUOTE GEBEN. WAN IUWER LÎP UND IUWER LEBEN, DAZ WEIZ ICH WOL, DAZ LÎT AN MIR. EIN LÎP, EIN LEBEN DAZ SÎN WIR. NU BEDENKET IE GENÔTE MICH, IUWERN LÎP, ÎSÔTE. LÂT MICH AN IU MÎN LEBEN SEHEN, SÔ’Z IEMER SCHIEREST MÜGE GESCHEHEN, UND SEHET OUCH IR DAZ IURE AN MIR. UNSER BEIDER LEBEN DAZ LEITET IR. NU GÂT HER UND KÜSSET MICH. TRISTAN UND ÎSÔT, IR UND ICH, WIR ZWEI SÎN IEMER BEIDE EIN DINC ÂNE UNTERSCHEIDE. DIRRE KUS SOL EIN INSIGEL SÎN DAZ ICH IUWER UNDE IR MÎN BELÎBEN STAETE UNZ AN DEN TÔT, NIWAN EIN TRISTAN UND EIN ÎSÔT.“ 96


WENN ISOLDE MIT TRISTAN JEMALS WAR EIN HERZ UND EIN VERTRAUEN, DANN BLEIBT DAS EWIG SO, DANN HÄLT DAS FÜR IMMER. DOCH BITTE ICH UM EINES: WOHIN AUF DER WELT IHR FAHRT, ERHALTET EUER LEBEN, DAS MEIN LEBEN IST. DENN WENN ICH DARAN VERWAIST BIN, MUSS ICH, EUER LEBEN, STERBEN. MICH SELBST, EUER LEBEN, WILL ICH UM EURET-, NICHT UM MEINETWILLEN SORGFÄLTIG UND GUT BESCHÜTZEN. DENN IHR UND EUER LEBEN, DAS WEISS ICH GENAU, LIEGT IN MEINER HAND. WIR SIND EIN LEIB UND EIN LEBEN. DENKT UNABLÄSSIG AN MICH, EUER LEBEN, AN ISOLDE. LASST MICH IN EUCH MEIN LEBEN SEHEN, SO GUT ES NUR GEHT, UND SEHT IHR AUCH DAS EURE IN MIR. UNSER BEIDER LEBEN LIEGT IN EURER HAND. NUN KOMMT UND KÜSST MICH. TRISTAN UND ISOLDE, IHR UND ICH, WIR BEIDE SIND AUF EWIG EIN WESEN OHNE JEDEN UNTERSCHIED. DIESER KUSS MÖGE BESIEGELN, DASS ICH EUER BIN UND IHR MEIN SEID, TREU BIS IN DEN TOD, NUR EIN TRISTAN UND EINE ISOLDE.“ 97

Gottfried von Straßburg: Isoldes Abschied von Tristan (18330 – 18358)


KRZYSZTOF WARLIKOWSKI ÜBER WAGNERS TRISTAN UND ISOLDE

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Die Liebe Tristans und Isoldes könnte man als Liebe auf den ersten Blick bezeichnen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie die zur Rache entschlossene Isolde Tristans Leben verschont, als sich beider Blicke treffen. Aber nicht das allein ist entscheidend. Sie sind zwar Liebende, aber sie sind erst einmal Feinde, Fremde, die sich durch einen Zufall begegnen. Dass sie sich begegnen, ist ihr Schicksal, dem sie nicht entfliehen können. Dabei ist ihre Begegnung von Anfang an mit dem Tod verbunden. Und mit dem Krieg, auch wenn der bei Wagner vor allem Teil der Vorgeschichte ist, und in der Stückhandlung eher über seine Folgen in Erscheinung tritt. Tristan und Isolde gehören einer traumatisierten Generation an. Ich kann mir eine solche schicksalhafte Begegnung wie die ihre in den Kriegen unserer Zeit oder im Europa des 20. Jahrhunderts vorstellen: Ein Mann ist durch einen Kampf lebensgefährlich verwundet, er liegt im Koma oder im Sterben. Eine Frau findet und pflegt ihn. Er wird durch sie zurückgeholt ins Leben, erfährt dank ihr quasi seine Wiederauferstehung. Wegen des Krieges geschieht das im Geheimen, in einem Versteck – die Frau geht nicht zur Polizei, sie ruft keinen Rettungsdienst oder Arzt zu Hilfe. Und irgendwann entdeckt sie, dass dieser Mann ihren Feinden angehört. Dennoch entsteht eine unauflösliche Verbundenheit: Die Frau entwickelt eine Sorge um den mit dem Tod ringenden Mann, verfolgt den Rhythmus seines Atems. Auf paradoxe Weise hat sie sogar eine Befreiung durch ihn erfahren – die Befreiung von ihrem früheren Verlobten. Es gibt viele Filme, die eine solche tabubrechende, transgressive Liebe während des Krieges thematisieren: ein deutscher Soldat und ein Mädchen aus dem polnischen Untergrund, ein Russe und eine Deutsche, eine Polin und ein Russe – durch das Undenkbare an dieser Beziehung spielt der Andere plötzlich mehr als in jeder „normalen“, gesellschaftlich akzeptierten Beziehung eine enorme Rolle. Vielleicht braucht es zur transgressiven Selbsterfahrung auch jemand Fremdes. Es ist vielleicht sogar Voraussetzung, um sich wirklich zu öffnen, um Dinge an die Oberfläche zu bringen, die tief versteckt sind, sowie um sich mit Unerwartetem zu konfrontieren – so wie Isolde, die auf einmal nicht in der Lage ist, für den Tod ihres Verlobten Rache zu üben, obwohl nichts näherliegend wäre. Oder soll man ihren Worten Glauben schenken, dass ihr erst die Rache an einem genesenen und gesunden Tristan wirklich Befriedigung verschafft hätte? War es wirklich ihre Motivation, Tristan das Leben zurückzugeben, um es ihm später zu nehmen? Oder ist diese Aussage gegenüber Tristan Teil ihrer Provokationen, um den schweigenden Tristan endlich zu einem Geständnis zu bewegen? In dieser Oper spielt die Vergangenheit eine Rolle wie in kaum einer anderen Oper. Nach und nach werden Momente der Vorgeschichte freigelegt, die von den Protagonisten zum Teil mit einem Schweigen


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belegt sind und dennoch obsessiv umkreist werden. Bis wir im dritten Aufzug in die tiefste Schicht von Tristans Erinnerung vordringen: sein Waisen-Dasein, den frühen Tod seiner Eltern. Das Vordringen der beiden in die gemeinsame Vorgeschichte enthüllt fortwährend Paradoxien: Wieso sollte Tristan König Marke bitten, ihm Isolde als Braut bringen zu dürfen? Würde er das nicht tun, könnte er sich nach dem beendeten Krieg zur Ruhe setzen. Was also treibt ihn an? Will er sie wiedersehen, um sie sofort in die Hände von jemand anderem zu geben? Will er sich selbst mit etwas konfrontieren? Will er einfach nur die Möglichkeit haben, einige Stunden mit Isolde zu verbringen? Er erwartet auf dem Schiff nichts sehnlicher als Nachricht von ihr und geht einer Begegnung dennoch aus dem Weg. Später behauptet er gegenüber Isolde, von Marke gezwungen worden zu sein, sie nach Cornwall zu holen, dann wieder wirft Tristan seinem Kampfgefährten Melot vor, ihn gedrängt zu haben, die Ehe zwischen Marke und Isolde zu arrangieren. Isolde wiederum stellt sich vor, wie er sie gleich einem Objekt, das man sich rauben kann, vor Marke angepriesen hat. Sie fühlt sich gedemütigt davon, dass Tristan, die Liebe ihres Lebens, zu ihr zurückkommt, um sie als Braut einem anderen Mann zuzuführen. Es geht um Konflikte, die nicht gelöst werden können – deshalb die Idee des magischen Tranks, der an sich überflüssig ist, weil Tristan und Isolde von Anfang an vollkommen aufeinander fokussiert sind und blind gegenüber allem, was um sie herum passiert. Die Widersprüchlichkeiten haben auch kein Ende, nachdem sie ihre Liebe zueinander bekennen. Tristan ist ein destruktiver Charakter, der sich selbst zerstören will, während Isolde Leben zu bewahren sucht und sich um ihn kümmert. Hat Tristan diese Liebe zu Isolde verändert? Vielleicht ist es umgekehrt: Möglicherweise hatte er nur Angst davor, etwas vor seinem Tod nicht mehr zu erleben. Marek Edelmann, ein Kommandeur des Aufstands im Warschauer Ghetto gegen die deutsche Besatzungsmacht im April und Mai 1943, erzählte nach dem Krieg, dass kurz vor der Niederschlagung unter den Aufständischen Sexualität eine immens wichtige Rolle spielte. Wenn man Todesangst hat, will man sich in seiner Vitalität und seinen Gefühlen noch einmal intensiv erleben. Es ist radikal, wie Wagner sich auf zwei Charaktere konzentriert und sie nur mit wenigen anderen Figuren umgibt, die alle auf sie bezogen sind. Entfällt wie in unserem Fall noch der Chor auf der Bühne und verzichtet man auf realistische (wenn auch symbolträchtige) BühnenbildDetails wie das Schiff, den Garten und so weiter, dann beobachten wir vor allem zwei Menschen, die einander auf einem Spielfeld ausgeliefert sind, an einem Ort ohne Ausgang. Ihre Begegnung wird auf einmal obsessiv, unerträglich, düster, belastend. Was besteht also zwischen den beiden? Liebe? Vorwürfe? Schmerzen? Manipulationen?


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Es gibt in dieser Oper eine Reihe von Augenblicken von extremer und erstaunlicher Ehrlichkeit. Es ist eine Ehrlichkeit, die den Charakteren schlicht unterläuft. In diesen Momenten beginnen sie zu sprechen, weil sie nicht anders können, weil die Dinge gesagt werden müssen und die Geständnisse wie von selbst aus ihnen herausströmen. Geständnisse über Dinge, die beide lange verborgen halten, um dem Anderen keine Angriffsfläche zu bieten. Diese Abwehr löst sich nach und nach auf. Dennoch ist Einsamkeit für mich das zentrale Thema dieser Oper. Einsamkeit in jedem von uns. Wagner misst Tristans Einsamkeit eine größere Bedeutung bei als der Isoldes. Isoldes Einsamkeit ist von Tristan verschuldet, mit ihm verbunden. Tristan folgen wir in eine viel frühere, existenzielle Einsamkeit, in das Fehlen elterlicher Liebe. Tristans Leben war trotzdem reich, er machte Karriere und wurde der zweite Mann im Land nach dem König. Er musste sich bewähren, weil er keine Familie hatte. Menschen ohne Familie sind stark, andererseits aber sehr verletzlich. Tristan braucht Isolde, um die Grenze zwischen Leben und Tod zu überschreiten, in einem Moment, da er vom Leben außer dieser Liebe nichts mehr erwartet. Letztlich tut er das aber ohne Isolde. Er stirbt allein. In ihren wortreichen Reflexionen über Tag und Nacht, Leben, Tod und Ewigkeit erzeugen sie miteinander vielleicht eine sie überzeugende Vorstellung von so etwas wie einem Sein jenseits des Lebens, einem Raum, in dem sie sich wiedertreffen können. Aber was hinter der Grenze zum Tod ist, ob wir ihn transzendieren können oder ob er nicht einfach nur Auslöschung bedeutet, können sie nicht wissen. Sicherlich kann es einem helfen, wenn man diese Grenze aus Lebensmüdigkeit überschreiten will, dies mit jemand anderem zu tun. Zu glauben, es sei die gemeinsame Bestimmung. In der alles Normalmaß sprengenden zweiten Szene des zweiten Aktes, in der Tristan und Isolde die mögliche Aufhebung der Grenzen individuellen Seins visionieren, so wie auch die Musik Grenzen überschreitet, sieht es danach aus, als wären beide von Anfang an mit einem letzten und unumkehrbaren Grenzübertritt einverstanden. Jeglicher Konflikt, jegliche Gegensätzlichkeit, jede unterschiedliche Bindung ans Leben ist auf erschreckende Weise versteckt beziehungsweise wird dies von Wagner und den beiden Protagonisten durch diesen enormen Wunsch nach lustvoller, rauschhafter Selbstauflösung verhüllt. Manchmal gibt man lieber auf statt weiterzumachen. Das Leben als Konfrontation verliert dann seine Bedeutung. Suizidgeschichten sind die Nahrung dieser Oper. Eine obszöne Form der Nahrung, aber in einer sublimen Art und Weise! Es ist fast unmoralisch: Menschen ein Werk vorzusetzen, in dem propagiert wird, dass Suizid der einzige Ausweg ist. Als Regisseur muss man nicht zuletzt deshalb Angst vor Tristan und Isolde haben. Wegen meiner eigenen Angst verstehe ich die Angst aller anderen, die sich mit dem Stück auseinandersetzen.


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102 Vor ein Auto springen, 2009 – 2011 103 Heinrich von Kleist, Henriette Vogel, erschossen, 2011 – 2012 104 Euthanasie, begleitet, 2011 – 2012 105 Von einer Klippe springen, 2009 106 Georg Trakl, vergiftet, 2012 107 Nach Thelma und Louise von Ridley Scott, gestürzt, 2012 108 Ophelia, nach John Everett Millais, ertrunken, 2012 109 Sarah Kane, erhängt, 2012 110 Als Geisterfahrer kollidiert, 2008

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RICHARD WAGNER (1813 –1883) Dichtung vom Komponisten nach dem Versroman Tristan von Gottfried von Straßburg (um 1210)

Personen Tristan – Tenor König Marke – Bass Isolde – Sopran Kurwenal – Bariton Melot – Tenor Brangäne – Sopran Ein Hirt – Tenor Ein Steuermann – Bariton Ein junger Seemann – Tenor Schiffsvolk, Ritter und Knappen

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TRISTAN UND ISOLDE HANDLUNG IN DREI AUFZÜGEN Schauplatz der Handlung Erster Aufzug: Zur See auf dem Verdeck von Tristans Schiff, während der Überfahrt von Irland nach Kornwall. Zweiter Aufzug: In der königlichen Burg Markes in Kornwall. Dritter Aufzug: Tristans Burg in der Bretagne.

Orchesterbesetzung 3 Flöten (3. auch Piccolo), 2 Oboen, Englischhorn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 3 Fagotte – 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Basstuba – Pauken, Triangel, Becken – Harfe – Streicher

Bühnenmusik Englischhorn – 6 Hörner, 3 Trompeten, Holztrompete, 3 Posaunen

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ERSTER AUFZUG Einleitung Erste Szene Zeltartiges Gemach auf dem Vorderdeck eines Segelschiffes, reich mit Teppichen behangen, beim Beginn nach dem Hintergrunde zu gänzlich geschlossen; zur Seite führt eine schmale Treppe in den Schiffsraum hinab. (Rechts vom Zuschauer.) Isolde auf einem Ruhebett, das Gesicht in die Kissen gedrückt. Brangäne, einen Teppich zurückgeschlagen haltend, blickt zur Seite über Bord. (Links, im Hintergrund.) Stimme eines jungen Seemanns (aus der Höhe, wie vom Maste her, vernehmbar) Westwärts schweift der Blick, ostwärts streicht das Schiff. Frisch weht der Wind der Heimat zu: mein irisch Kind, wo weilest du? Sind’s deiner Seufzer Wehen, die mir die Segel blähen? Wehe, wehe, du Wind! Weh, ach wehe, mein Kind! Irische Maid, du wilde, minnige Maid! Isolde (jäh auffahrend) Wer wagt mich zu höhnen? (Sie blickt verstört um sich.) Brangäne, du? Sag – wo sind wir? Brangäne (an der Öffnung) Blaue Streifen steigen im Osten auf; sanft und schnell segelt das Schiff: auf ruhiger See vor Abend erreichen wir sicher das Land. Isolde Welches Land? Brangäne Kornwalls grünen Strand. Isolde Nimmermehr! Nicht heut noch morgen!

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Brangäne (lässt den Vorhang zufallen und eilt bestürzt zu Isolde) Was hör’ ich! Herrin! Ha! Isolde (wild vor sich hin) Entartet Geschlecht! Unwert der Ahnen! Wohin, Mutter, vergabst du die Macht, über Meer und Sturm zu gebieten? O zahme Kunst der Zauberin, die nur Balsamtränke noch braut! Erwache mir wieder, kühne Gewalt; herauf aus dem Busen, wo du dich bargst! Hört meinen Willen, zagende Winde! Heran, zu Kampf und Wettergetös! Zu tobender Stürme wütendem Wirbel! Treibt aus dem Schlaf dies träumende Meer, weckt aus dem Grund seine grollende Gier! Zeigt ihm die Beute, die ich ihm biete! Zerschlag’ es dies trotzige Schiff, des zerschellten Trümmer verschling’s! Und was auf ihm lebt, den wehenden Atem, den lass ich euch Winden zum Lohn! Brangäne (im äußersten Schreck um Isolden sich bemühend) O weh! Ach! Ach, des Übels, das ich geahnt! Isolde! Herrin! Teures Herz! Was bargst du mir so lang? Nicht eine Träne weintest du Vater und Mutter; kaum einen Gruß den Bleibenden botest du. Von der Heimat scheidend kalt und stumm, bleich und schweigend auf der Fahrt; ohne Nahrung, ohne Schlaf; starr und elend, wild verstört: wie ertrug ich, so dich sehend,


nichts dir mehr zu sein, fremd vor dir zu stehn? O, nun melde, was dich müht! Sage, künde, was dich quält! Herrin Isolde, trauteste Holde! Soll sie wert sich dir wähnen, vertraue nun Brangänen! Isolde Luft! Luft! Mir erstickt das Herz! Öffne! Öffne dort weit! (Brangäne zieht eilig die Vorhänge in der Mitte auseinander.)

Zweite Szene Man blickt dem Schiff entlang bis zum Steuerbord, über den Bord hinaus auf das Meer und den Horizont. Um den Hauptmast in der Mitte ist Seevolk, mit Tauen beschäftigt, gelagert: Über sie hinaus gewahrt man am Steuerbord Ritter und Knappen, ebenfalls gelagert; von ihnen etwas entfernt Tristan, mit verschränkten Armen stehend und sinnend in das Meer blickend; zu Füßen ihm, nachlässig gelagert, Kurwenal. Vom Maste her, aus der Höhe, vernimmt man wieder die Stimme des jungen Seemanns. Stimme eines jungen Seemanns (auf dem Maste, unsichtbar) Frisch weht der Wind der Heimat zu: mein irisch Kind, wo weilest du? Sind’s deiner Seufzer Wehen, die mir die Segel blähen? Wehe, wehe, du Wind! Weh, ach wehe mein Kind! Isolde (deren Blick sogleich Tristan fand und starr auf ihn geheftet blieb, dumpf für sich) Mir erkoren, mir verloren, hehr und heil, kühn und feig! Todgeweihtes Haupt! Todgeweihtes Herz! (zu Brangäne, unheimlich lachend) Was hältst du von dem Knechte? Brangäne (ihrem Blick folgend) Wen meinst du?

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Isolde Dort den Helden, der meinem Blick den seinen birgt, in Scham und Scheue abwärts schaut: Sag, wie dünkt er dich? Brangäne Fragst du nach Tristan, teure Frau? Dem Wunder aller Reiche, dem hochgepriesnen Mann? Dem Helden ohne Gleiche, des Ruhmes Hort und Bann? Isolde (sie verhöhnend) Der zagend vor dem Streiche sich flüchtet, wo er kann, weil eine Braut er als Leiche für seinen Herrn gewann! Dünkt es dich dunkel, mein Gedicht? Frag ihn denn selbst, den freien Mann, ob mir zu nahn er wagt? Der Ehren Gruß und zücht’ge Acht vergisst der Herrin der zage Held, dass ihr Blick ihn nur nicht erreiche, den Helden ohne Gleiche! Oh, er weiß wohl, warum! Zu dem Stolzen geh, meld ihm der Herrin Wort! Meinem Dienst bereit, schleunig soll er mir nahn. Brangäne Soll ich ihn bitten, dich zu grüßen? Isolde Befehlen ließ dem Eigenholde Furcht der Herrin ich, Isolde! (Auf Isoldes gebieterischen Wink entfernt sich Brangäne und schreitet verschämt dem Deck entlang dem Steuerbord zu, an den arbeitenden Seeleuten vorbei. Isolde, mit starrem Blicke ihr folgend, zieht sich rücklings nach dem Ruhebett zurück, wo sie sitzend während des Folgenden bleibt, das Auge unabgewandt nach dem Steuerbord gerichtet.)


Kurwenal (der Brangäne kommen sieht, zupft, ohne sich zu erheben, Tristan am Gewande) Hab acht, Tristan! Botschaft von Isolde.

ließ’ ich das Steuer jetzt zur Stund’, wie lenkt’ ich sicher den Kiel zu König Markes Land?

Tristan (auffahrend) Was ist’s? Isolde? – (Er fasst sich schnell, als Brangäne vor ihm anlangt und sich verneigt.) Von meiner Herrin? Ihr gehorsam, was zu hören meldet höfisch mir die traute Magd?

Brangäne Tristan, mein Herre! Was höhnst du mich? Dünkt dich nicht deutlich die tör’ge Magd, hör meiner Herrin Wort! So, hieß sie, sollt’ ich sagen: Befehlen ließ dem Eigenholde Furcht der Herrin sie, Isolde.

Brangäne Mein Herre Tristan, Euch zu sehen wünscht Isolde, meine Frau. Tristan Grämt sie die lange Fahrt, die geht zu End’, eh’ noch die Sonne sinkt, sind wir am Land. Was meine Frau mir befehle, treulich sei’s erfüllt. Brangäne So mög’ Herr Tristan zu ihr gehn: das ist der Herrin Will’. Tristan Wo dort die grünen Fluren dem Blick noch blau sich färben, harrt mein König meiner Frau: zu ihm sie zu geleiten, bald nah’ ich mich der Lichten; keinem gönnt’ ich diese Gunst. Brangäne Mein Herre Tristan, höre wohl: Deine Dienste will die Frau, dass du zur Stell’ ihr nahtest, dort, wo sie deiner harrt. Tristan Auf jeder Stelle, wo ich steh’, getreulich dien’ ich ihr, der Frauen höchster Ehr’; 116

Kurwenal (aufspringend) Darf ich die Antwort sagen? Tristan (ruhig) Was wohl erwidertest du? Kurwenal Das sage sie der Frau Isold’! Wer Kornwalls Kron’ und Englands Erb’ an Irlands Maid vermacht, der kann der Magd nicht eigen sein, die selbst dem Ohm er schenkt. Ein Herr der Welt Tristan der Held! Ich ruf’s: du sag’s, und grollten mir tausend Frau Isolden! (Da Tristan durch Gebärden ihm zu wehren sucht und Brangäne entrüstet sich zum Weggehen wendet, singt Kurwenal der zögernd sich Entfernenden mit höchster Stärke nach:) „Herr Morold zog zu Meere her, in Kornwall Zins zu haben; ein Eiland schwimmt auf ödem Meer, da liegt er nun begraben! Sein Haupt doch hängt im Irenland, als Zins gezahlt von Engeland: hei! unser Held Tristan, wie der Zins zahlen kann!“ (Kurwenal, von Tristan fortgescholten, ist in den Schiffsraum hinabgestiegen; Brangäne in Bestürzung zu Isolde zurückgekehrt, schließt hinter sich die Vorhänge, während die ganze Mannschaft außen sich hören lässt.)


Alle Männer Sein Haupt doch hängt im Irenland, als Zins gezahlt von Engeland: hei! unser Held Tristan, wie der Zins zahlen kann!

Dritte Szene Isolde und Brangäne allein, bei vollkommen wieder geschlossenen Vorhängen. Isolde erhebt sich mit verzweiflungsvoller Wutgebärde. Brangäne stürzt ihr zu Füßen. Brangäne Weh, ach wehe! Dies zu dulden! Isolde (dem furchtbarsten Ausbruche nahe, schnell sich zusammenraffend) Doch nun von Tristan! Genau will ich’s vernehmen. Brangäne Ach, frage nicht! Isolde Frei sag’s ohne Furcht! Brangäne Mit höf’schen Worten wich er aus. Isolde Doch als du deutlich mahntest? Brangäne Da ich zur Stell’ ihn zu dir rief: wo er auch steh’, so sagte er, getreulich dien’ er ihr, der Frauen höchster Ehr’; ließ’ er das Steuer jetzt zur Stund’, wie lenkt’ er sicher den Kiel zu König Markes Land? Isolde (schmerzlich bitter) „Wie lenkt’ er sicher den Kiel zu König Markes Land?” (grell und heftig) Den Zins ihm auszuzahlen, den er aus Irland zog!

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Brangäne Auf deine eignen Worte, als ich ihm die entbot, ließ seinen Treuen Kurwenal – Isolde Den hab’ ich wohl vernommen, kein Wort, das mir entging. Erfuhrest du meine Schmach, nun höre, was sie mir schuf. Wie lachend sie mir Lieder singen, wohl könnt’ auch ich erwidern! Von einem Kahn, der klein und arm an Irlands Küsten schwamm, darinnen krank ein siecher Mann elend im Sterben lag. Isoldes Kunst ward ihm bekannt, mit Heilsalben und Balsamsaft der Wunde, die ihn plagte, getreulich pflag sie da. Der „Tantris“ mit sorgender List sich nannte, als Tristan Isold’ ihn bald erkannte, da in des Müß’gen Schwerte eine Scharte sie gewahrte, darin genau sich fügt’ ein Splitter, den einst im Haupt des Irenritter, zum Hohn ihr heimgesandt, mit kund’ger Hand sie fand. Da schrie’s mir auf aus tiefstem Grund! Mit dem hellen Schwert ich vor ihm stund, an ihm, dem Überfrechen, Herrn Morolds Tod zu rächen. Von seinem Lager blickt’ er her, nicht auf das Schwert, nicht auf die Hand, – er sah mir in die Augen. Seines Elendes jammerte mich; – das Schwert – ich ließ es fallen! Die Morold schlug, die Wunde, sie heilt’ ich, dass er gesunde und heim nach Hause kehre, – mit dem Blick mich nicht mehr beschwere!


Brangäne O Wunder! Wo hatt’ ich die Augen? Der Gast, den einst ich pflegen half? Isolde Sein Lob hörtest du eben: „hei! unser Held Tristan.“ – der war jener traur’ge Mann. Er schwur mit tausend Eiden mir ew’gen Dank und Treue! Nun hör, wie ein Held Eide hält! Den als Tantris unerkannt ich entlassen, als Tristan kehrt’ er kühn zurück; auf stolzem Schiff, von hohem Bord, Irlands Erbin begehrt’ er zur Eh’ für Kornwalls müden König, für Marke, seinen Ohm. Da Morold lebte, wer hätt’ es gewagt uns je solche Schmach zu bieten? Für der zinspflicht’gen Kornenfürsten um Irlands Krone zu werben! Ach, wehe mir! Ich ja war’s, die heimlich selbst die Schmach sich schuf! Das rächende Schwert, statt es zu schwingen, machtlos ließ ich’s fallen! Nun dien’ ich dem Vasallen! Brangäne Da Friede, Sühn’ und Freundschaft von allen ward beschworen, wir freuten uns all’ des Tags; wie ahnte mir da, dass dir es Kummer schüf’? Isolde O blinde Augen! Blöde Herzen! Zahmer Mut, verzagtes Schweigen! Wie anders prahlte Tristan aus, was ich verschlossen hielt! Die schweigend ihm das Leben gab, vor Feindes Rache ihn schweigend barg, 118

was stumm ihr Schutz zum Heil ihm schuf, mit ihr gab er es preis! Wie siegprangend heil und hehr, laut und hell wies er auf mich: „Das wär’ ein Schatz, mein Herr und Ohm; wie dünkt Euch die zur Eh’? Die schmucke Irin hol’ ich her; mit Steg’ und Wegen wohlbekannt, ein Wink, ich flieg’ nach Irenland; Isolde, die ist Euer! Mir lacht das Abenteuer!“ Fluch dir, Verruchter! Fluch deinem Haupt! Rache! Tod! Tod uns beiden! Brangäne (mit ungestümer Zärtlichkeit sich auf Isolde stürzend) O Süße! Traute! Teure! Holde! Gold’ne Herrin! Lieb’ Isolde! (Sie zieht Isolde allmählich nach dem Ruhebett.) Hör mich! Komme! Setz dich her! Welcher Wahn! Welch eitles Zürnen! Wie magst du dich betören, nicht hell zu sehn noch hören? Was je Herr Tristan dir verdankte, sag, konnt’ er’s höher lohnen, als mit der herrlichsten der Kronen? So dient’ er treu dem edlen Ohm; dir gab er der Welt begehrlichsten Lohn, dem eig’nen Erbe, echt und edel, entsagt’ er zu deinen Füßen, als Königin dich zu grüßen! (Isolde wendet sich ab.) Und warb er Marke dir zum Gemahl, wie wolltest du die Wahl doch schelten, muss er nicht wert dir gelten? Von edler Art und mildem Mut, wer gliche dem Mann an Macht und Glanz?


Dem ein hehrster Held so treulich dient, wer möchte sein Glück nicht teilen, als Gattin bei ihm weilen? Isolde (starr vor sich hinblickend) Ungeminnt den hehrsten Mann stets mir nah zu sehen! Wie könnt’ ich die Qual bestehen? Brangäne Was wähnst du, Arge? Ungeminnt? (Sie nähert sich schmeichelnd und kosend Isolden.) Wo lebte der Mann, der dich nicht liebte? Der Isolden säh’ und in Isolden selig nicht ganz verging’? Doch, der dir erkoren, wär’ er so kalt, zög’ ihn von dir ein Zauber ab: den bösen wüsst’ ich bald zu binden, Ihn bannte der Minne Macht. (mit geheimnisvoller Zutraulichkeit ganz zu Isolden) Kennst du der Mutter Künste nicht? Wähnst du, die alles klug erwägt, ohne Rat in fremdes Land hätt’ sie mit dir mich entsandt? Isolde (düster) Der Mutter Rat gemahnt mich recht; willkommen preis’ ich ihre Kunst: – Rache für den Verrat, – Ruh’ in der Not dem Herzen! – Den Schrein dort bring mir her! Brangäne Er birgt, was heil dir frommt. (Sie holt eine kleine goldne Truhe herbei, öffnet sie und deutet auf ihren Inhalt.) So reihte sie die Mutter, die mächt’gen Zaubertränke. Für Weh und Wunden Balsam hier; für böse Gifte Gegengift. (Sie zieht ein Fläschchen hervor.) Den hehrsten Trank, ich halt’ ihn hier. 119

Isolde Du irrst, ich kenn’ ihn besser; ein starkes Zeichen schnitt ich ihm ein. (Sie ergreift ein Fläschchen und zeigt es; aufstehend.) Der Trank ist’s, der mir taugt! (Sie hat sich vom Ruhebett erhoben und vernimmt mit wachsendem Schrecken den Ruf des Schiffsvolkes.) Brangäne (weicht entsetzt zurück) Der Todestrank! Schiffsvolk (außen) Ho! He! Ha! He! Am Untermast die Segel ein! Ho! He! Ha! He! Isolde Das deutet schnelle Fahrt! Weh mir! Nahe das Land!

Vierte Szene Durch die Vorhänge tritt mit Ungestüm Kurwenal herein. Kurwenal Auf! Auf! Ihr Frauen! Frisch und froh! Rasch gerüstet! Fertig nun, hurtig und flink! (gemessener) Und Frau Isolden sollt’ ich sagen von Held Tristan, meinem Herrn: Vom Mast der Freude Flagge, sie wehe lustig ins Land; in Markes Königschlosse mach’ sie ihr Nahn bekannt. Drum Frau Isolde bät’ er eilen, fürs Land sich zu bereiten, dass er sie könnt’ geleiten. Isolde (nachdem sie zuerst bei der Meldung in Schauer zusammengefahren, gefasst und mit Würde) Herrn Tristan bringe meinen Gruß und meld ihm, was ich sage. Sollt’ ich zur Seit’ ihm gehen, vor König Marke zu stehen, nicht möcht’ es nach Zucht und Fug geschehn, empfing ich Sühne nicht zuvor


für ungesühnte Schuld: – Drum such’ er meine Huld. (Kurwenal macht eine trotzige Gebärde. Isolde mit Steigerung) Du merke wohl, und meld es gut! Nicht woll’ ich mich bereiten, ans Land ihn zu begleiten; (sich mäßigend) nicht werd’ ich zur Seit’ ihm gehen, vor König Marke zu stehen, begehrte Vergessen und Vergeben nach Zucht und Fug er nicht zuvor, für ungebüßte Schuld: – die böt’ ihm meine Huld.

Isolde Sei du mir treu!

Kurwenal Sicher wisst, das sag’ ich ihm; nun harrt, wie er mich hört! (Er geht schnell zurück. Isolde eilt auf Brangäne zu und umarmt sie heftig.)

Isolde (sehr heftig) Schone du mich, untreue Magd! Kennst du der Mutter Künste nicht? Wähnst du, die alles klug erwägt, ohne Rat in fremdes Land hätt’ sie mit dir mich entsandt? Für Weh und Wunden (ruhig) gab sie Balsam, für böse Gifte Gegengift: Für tiefstes Weh, für höchstes Leid gab sie den Todestrank. Der Tod nun sag’ ihr Dank!

Isolde Nun leb wohl, Brangäne! Grüß mir die Welt, grüße mir Vater und Mutter! Brangäne Was ist? Was sinnst du? Wolltest du fliehn? Wohin soll ich dir folgen? Isolde (fasst sich schnell) Hörtest du nicht? Hier bleib’ ich, Tristan will ich erwarten. Getreu befolg, was ich befehl’, den Sühnetrank rüste schnell; du weißt den ich dir wies? Brangäne Und welchen Trank? Isolde (entnimmt dem Schrein das Fläschchen) Diesen Trank! In die gold’ne Schale gieß ihn aus; gefüllt fasst sie ihn ganz. Brangäne (voll Grausen das Fläschchen empfangend) Trau’ ich dem Sinn?

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Brangäne Den Trank – für wen? Isolde (ernst) Wer mich betrog. Brangäne Tristan? Isolde (ruhig) Trinke mir Sühne! Brangäne (zu Isoldes Füßen stürzend) Entsetzen! Schone mich Arme!

Brangäne (kaum ihrer mächtig) O tiefstes Weh! Isolde Gehorchst du mir nun? Brangäne O höchstes Leid! Isolde Bist du mir treu? Brangäne Der Trank? Kurwenal (eintretend) Herr Tristan! (Isolde sucht mit furchtbarer Anstrengung sich zu fassen. Brangäne erhebt sich erschrocken und verwirrt.)


Isolde (zu Kurwenal) Herr Tristan trete nah.

Fünfte Szene Kurwenal geht wieder zurück. Brangäne, kaum ihrer mächtig, wendet sich in den Hintergrund. Isolde, ihr ganzes Gefühl zur Entscheidung zusammenfassend, schreitet langsam, mit großer Haltung, dem Ruhebett zu, auf dessen Kopfende sich stützend sie den Blick fest dem Eingange zuwendet. – Tristan tritt ein und bleibt ehrerbietig am Eingange stehen. – Isolde ist mit furchtbarer Aufregung in seinen Anblick versunken. Tristan Begehrt, Herrin, was Ihr wünscht. Isolde Wüsstest du nicht, was ich begehre, da doch die Furcht, mir’s zu erfüllen, fern meinem Blick dich hielt? Tristan Ehrfurcht hielt mich in Acht. Isolde Der Ehre wenig botest du mir, mit off’nem Hohn verwehrtest du Gehorsam meinem Gebot. Tristan Gehorsam einzig hielt mich in Bann. Isolde So dankt’ ich Geringes deinem Herrn, riet dir sein Dienst Unsitte gegen sein eigen Gemahl? Tristan Sitte lehrt, wo ich gelebt: zur Brautfahrt der Brautwerber meide fern die Braut. Isolde Aus welcher Sorg’? 121

Tristan Fragt die Sitte! Isolde Da du so sittsam, mein Herr Tristan, auch einer Sitte sei nun gemahnt: den Feind dir zu sühnen, soll er als Freund dich rühmen. Tristan Und welchen Feind? Isolde Frag deine Furcht! Blutschuld schwebt zwischen uns. Tristan Die ward gesühnt. Isolde Nicht zwischen uns! Tristan Im offnen Feld vor allem Volk ward Urfehde geschworen. Isolde Nicht da war’s, wo ich Tantris barg, wo Tristan mir verlief. Da stand er herrlich, hehr und heil; doch was er schwur, das schwur ich nicht: zu schweigen hatt’ ich gelernt. Da in stiller Kammer krank er lag, mit dem Schwerte stumm ich vor ihm stund: schwieg da mein Mund, bannt’ ich meine Hand, – doch was einst mit Hand und Mund ich gelobt, das schwur ich schweigend zu halten. Nun will ich des Eides walten. Tristan Was schwurt Ihr, Frau? Isolde Rache für Morold!


Tristan Müht Euch die? Isolde Wagst du zu höhnen? Angelobt war er mir, der hehre Irenheld; seine Waffen hatt’ ich geweiht; für mich zog er zum Streit. Da er gefallen, fiel meine Ehr’: in des Herzens Schwere schwur ich den Eid: würd’ ein Mann den Mord nicht sühnen, wollt’ ich Magd mich des erkühnen. Siech und matt in meiner Macht, warum ich dich da nicht schlug? Das sag dir selbst mit leichtem Fug. Ich pflag des Wunden, dass den Heilgesunden rächend schlüge der Mann, der Isolden ihm abgewann. Dein Los nun selber magst du dir sagen! Da die Männer sich all ihm vertragen, wer muss nun Tristan schlagen? Tristan (bleich und düster) War Morold dir so wert, nun wieder nimm das Schwert, und führ es sicher und fest, (Er reicht ihr sein Schwert dar und wendet sich ab.) dass du nicht dir’s entfallen lässt! Isolde Wie sorgt’ ich schlecht um deinen Herren; was würde König Marke sagen, erschlüg’ ich ihm den besten Knecht, der Kron’ und Land ihm gewann, den allertreusten Mann? Dünkt dich so wenig, was er dir dankt, bringst du die Irin ihm als Braut, dass er nicht schölte, schlüg’ ich den Werber, der Urfehde-Pfand so treu ihm liefert zur Hand? Wahre dein Schwert! Da einst ich’s schwang, als mir die Rache im Busen rang: als dein messender Blick mein Bild sich stahl, 122

ob ich Herrn Marke taug’ als Gemahl: Das Schwert – da ließ ich’s sinken. Nun lass uns Sühne trinken! (Sie winkt Brangänen. Diese schaudert zusammen, schwankt und zögert in ihrer Bewegung. Isolde treibt sie mit gesteigerter Gebärde an. Brangäne lässt sich zur Bereitung des Trankes an.) Schiffsvolk (außen) Ho! He! Ha! He! Am Obermast die Segel ein! Ho! He! Ha! He! Tristan (aus düstrem Brüten auffahrend) Wo sind wir? Isolde Hart am Ziel! Tristan, gewinn’ ich Sühne? Was hast du mir zu sagen? Tristan (finster) Des Schweigens Herrin heißt mich schweigen: fass’ ich, was sie verschwieg, verschweig’ ich, was sie nicht fasst. Isolde Dein Schweigen fass’ ich, weichst du mir aus. Weigerst du die Sühne mir? Schiffsvolk (außen) Ho! He! Ha! He! (Auf Isoldes ungeduldigen Wink reicht ihr Brangäne die gefüllte Trinkschale.) Isolde (mit dem Becher zu Tristan tretend, der ihr starr in die Augen blickt) Du hörst den Ruf? Wir sind am Ziel: In kurzer Frist stehn wir (mit leisem Hohne) vor König Marke. Geleitest du mich, dünkt dich’s nicht lieb, darfst du so ihm sagen: „Mein Herr und Ohm, sieh die dir an: ein sanftres Weib gewännst du nie. Ihren Angelobten erschlug ich ihr einst, sein Haupt sandt’ ich ihr heim;


die Wunde, die seine Wehr mir schuf, die hat sie hold geheilt; mein Leben lag in ihrer Macht: das schenkte mir die milde Magd, und ihres Landes Schand’ und Schmach die gab sie mit darein, dein Ehgemahl zu sein. So guter Gaben holden Dank schuf mir ein süßer Sühnetrank; den bot mir ihre Huld, zu sühnen alle Schuld.“ Schiffsvolk (außen) Auf das Tau! Anker ab! Tristan (wild auffahrend) Los den Anker! Das Steuer dem Strom! Den Winden Segel und Mast! (Er entreißt ihr die Trinkschale.) Wohl kenn’ ich Irlands Königin und ihrer Künste Wunderkraft: Den Balsam nützt’ ich, den sie bot: den Becher nehm’ ich nun, dass ganz ich heut genese. Und achte auch des Sühneeids, den ich zum Dank dir sage! Tristans Ehre – höchste Treu’! Tristans Elend – kühnster Trotz! Trug des Herzens! Traum der Ahnung! Ew’ger Trauer einz’ger Trost: Vergessens güt’ger Trank, dich trink’ ich sonder Wank! (Er setzt an und trinkt.) Isolde Betrug auch hier? Mein die Hälfte! (Sie entwindet ihm den Becher.) Verräter! Ich trink’ sie dir! (Sie trinkt. Dann wirft sie die Schale fort. – Beide, von Schauer erfasst, blicken sich mit höchster Aufregung, doch 123

mit starrer Haltung, unverwandt in die Augen, in deren Ausdruck der Todestrotz bald der Liebesglut weicht. – Zittern ergreift sie. Sie fassen sich krampfhaft an das Herz, – und führen die Hand wieder an die Stirn. – Dann suchen sie sich wieder mit dem Blick, senken ihn verwirrt, und heften ihn wieder mit steigender Sehnsucht aufeinander.) Isolde (mit bebender Stimme) Tristan! Tristan (überströmend) Isolde! Isolde (an seine Brust sinkend) Treuloser Holder! Tristan (umfasst sie mit Glut) Seligste Frau! (Sie verbleiben in stummer Umarmung. Aus der Ferne vernimmt man Trompeten. Brangäne, die mit abgewandtem Gesicht, voll Verwirrung und Schauder sich über den Bord gelehnt hatte, wendet sich jetzt dem Anblick des in Liebesumarmung versunkenen Paares zu und stürzt händeringend voll Verzweiflung in den Vordergrund.) Ruf der Männer (außen) Heil! König Marke Heil! Brangäne Wehe! Weh! Unabwendbar ew’ge Not für kurzen Tod! Tör’ger Treue trugvolles Werk blüht nun jammernd empor! (Tristan und Isolde fahren aus der Umarmung auf.) Tristan (verwirrt) Was träumte mir von Tristans Ehre? Isolde Was träumte mir von Isoldes Schmach? Tristan Du mir verloren? Isolde Du mich verstoßen? Tristan Trügenden Zaubers tückische List!


Isolde Törigen Zürnens eitles Dräu’n! Tristan Isolde! Isolde Tristan! Tristan Süßeste Maid! Isolde Trautester Mann! Beide Wie sich die Herzen wogend erheben, wie alle Sinne wonnig erbeben! Sehnender Minne schwellendes Blühen, schmachtender Liebe seliges Glühen! Jach in der Brust jauchzende Lust! Isolde! Tristan! Welten-entronnen, du mir gewonnen, Du mir einzig bewusst, höchste Liebeslust! (Die Vorhänge werden weit auseinandergerissen; das ganze Schiff ist mit Rittern und Schiffsvolk bedeckt, die jubelnd über Bord winken, dem Ufer zu, das man, mit einer hohen Felsenburg gekrönt, nahe erblickt. – Tristan und Isolde bleiben, in ihren gegenseitigen Anblick verloren, ohne Wahrnehmung des um sie Vorgehenden.) Brangäne (zu den Frauen, die auf ihren Wink aus dem Schiffsraum heraufsteigen) Schnell, den Mantel, den Königsschmuck! (zwischen Tristan und Isolde stürzend) Unsel’ge! Auf! Hört, wo wir sind! (Sie legt Isolden, die es nicht gewahrt, den Königsmantel an.) Alle Männer Heil! Heil! Heil! König Marke Heil! Heil dem König! Kurwenal (lebhaft herantretend) 124

Heil Tristan! Glücklicher Held! Mit reichem Hofgesinde, dort auf Nachen naht Herr Marke. Hei! wie die Fahrt ihn freut, dass er die Braut sich freit! Tristan (in Verwirrung aufblickend) Wer naht? Kurwenal Der König! Tristan Welcher König? (Kurwenal deutet über Bord.) Alle Männer (die Hüte schwenkend) Heil! König Marke Heil! (Tristan starrt wie sinnlos nach dem Lande, bis Isolde seinen Namen ruft.) Isolde (in Verwirrung) Was ist, Brangäne? Welcher Ruf! Brangäne Isolde! Herrin! Fassung nur heut! Isolde Wo bin ich? Leb’ ich? Ha! Welcher Trank? Brangäne (verzweiflungsvoll) Der Liebestrank! Isolde (starrt entsetzt auf Tristan) Tristan! Tristan Isolde! Isolde Muss ich leben? (Sie stürzt ohnmächtig an seine Brust.) Brangäne (zu den Frauen) Helft der Herrin! Tristan O Wonne voller Tücke! O truggeweihtes Glücke!


Alle Männer Heil dem König! Kornwall Heil!

ZWEITER AUFZUG

(Leute sind über Bord gestiegen, andere haben eine Brücke ausgelegt, und die Haltung aller deutet auf die soeben bevorstehende Ankunft der Erwarteten. Der Vorhang fällt schnell.)

Erste Szene

Einleitung

Garten mit hohen Bäumen vor dem Gemach Isoldes, zu welchem, seitwärts gelegen, Stufen hinaufführen. Helle, anmutige Sommernacht. An der geöffneten Türe ist eine brennende Fackel aufgesteckt. – Jagdgetön. Brangäne, auf den Stufen am Gemach, späht dem immer entfernter vernehmbaren Jagdtrosse nach. – Brangäne blickt ängstlich in das Gemach zurück, darin sie Isolde nahen sieht. – Isolde tritt, feurig bewegt, aus dem Gemach zu Brangäne.) Isolde Hörst du sie noch? Mir schwand schon fern der Klang. Brangäne (lauschend) Noch sind sie nah; deutlich tönt’s daher. Isolde (lauschend) Sorgende Furcht beirrt dein Ohr; dich täuscht des Laubes säuselnd Getön, das lachend schüttelt der Wind. Brangäne Dich täuscht des Wunsches Ungestüm, zu vernehmen, was du wähnst. (Sie lauscht.) Ich höre der Hörner Schall. Isolde (lauscht) Nicht Hörnerschall tönt so hold; des Quelles sanft rieselnde Welle rauscht so wonnig daher; wie hört’ ich sie, tosten noch Hörner? Im Schweigen der Nacht nur lacht mir der Quell: Der meiner harrt in schweigender Nacht, als ob Hörner noch nah dir schallten, willst du ihn fern mir halten? Brangäne Der deiner harrt, – o hör mein Flehen! – des harren Späher zur Nacht.

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Weil du erblindet, wähnst du den Blick der Welt erblödet für euch? Als dort an Schiffes Bord, von Tristans bebender Hand, die bleiche Braut, kaum ihrer mächtig, König Marke empfing, als alles verwirrt auf die Wankende sah, der güt’ge König, mild besorgt, die Mühen der langen Fahrt, die du littest, laut beklagt’: ein Einz’ger war’s, ich achtet’ es wohl, der nur Tristan fasst’ ins Auge; mit böslicher List, lauerndem Blick sucht’ er in seiner Miene zu finden, was ihm diene. Tückisch lauschend treff’ ich ihn oft: der heimlich euch umgarnt, vor Melot seid gewarnt! Isolde Meinst du Herrn Melot? O, wie du dich trügst! Ist er nicht Tristans treuester Freund? Muss mein Trauter mich meiden, dann weilt er bei Melot allein. Brangäne Was mir ihn verdächtig, macht dir ihn teuer! Von Tristan zu Marke ist Melots Weg; dort sät er üble Saat. Die heut im Rat dies nächtliche Jagen so eilig schnell beschlossen, einem edlern Wild, als dein Wähnen meint, gilt ihre Jägerslist. Isolde Dem Freund zulieb’ erfand diese List aus Mitleid, Melot, der Freund. Nun willst du den Treuen schelten? Besser als du sorgt er für mich; ihm öffnet er, was mir du sperrst. O spare mir des Zögerns Not! 126

Das Zeichen, Brangäne! O gib das Zeichen! Lösche des Lichtes letzten Schein! Dass ganz sie sich neige, winke der Nacht! Schon goss sie ihr Schweigen durch Hain und Haus, schon füllt sie das Herz mit wonnigem Graus. O lösche das Licht nun aus! Lösche den scheuchenden Schein! Lass meinen Liebsten ein! Brangäne O lass die warnende Zünde, lass die Gefahr sie dir zeigen! O wehe! Wehe! Ach mir Armen! Des unseligen Trankes! Dass ich untreu einmal nur der Herrin Willen trog! Gehorcht’ ich taub und blind, dein Werk war dann der Tod; doch deine Schmach, deine schmählichste Not, mein Werk, muss ich Schuld’ge es wissen! Isolde Dein Werk? O tör’ge Magd! Frau Minne kenntest du nicht? Nicht ihres Zaubers Macht? Des kühnsten Mutes Königin, Des Weltwerdens Walterin, Leben und Tod sind untertan ihr, die sie webt aus Lust und Leid, in Liebe wandelnd den Neid. Des Todes Werk, nahm ich’s vermessen zur Hand, Frau Minne hat es meiner Macht entwandt. Die Todgeweihte nahm sie in Pfand, fasste das Werk in ihre Hand. Wie sie es wendet, wie sie es endet, was sie mir küre, wohin mich führe, ihr ward ich zu eigen: Nun lass mich Gehorsam zeigen!


Brangäne Und musste der Minne tückischer Trank des Sinnes Licht dir verlöschen; darfst du nicht sehen, wenn ich dich warne: nur heute hör, o hör mein Flehen! Der Gefahr leuchtendes Licht, nur heute, heut! die Fackel dort lösche nicht! Isolde Die im Busen mir die Glut entfacht, die mir das Herze brennen macht, die mir als Tag der Seele lacht, Frau Minne will, es werde Nacht, dass hell sie dorten leuchte, (während sie auf die Fackel zueilt) wo sie dein Licht verscheuchte. (Sie nimmt die Fackel von der Tür.) Zur Warte du: dort wache treu! Die Leuchte, und wär’s meines Lebens Licht, – lachend sie zu löschen zag’ ich nicht! (Sie wirft die Fackel zur Erde, wo sie allmählich verlischt. – Brangäne wendet sich bestürzt ab, um auf einer äußeren Treppe die Zinne zu ersteigen, wo sie langsam verschwindet. – Isolde lauscht und späht, zunächst schüchtern, in einen Baumgang. – Von wachsendem Verlangen bewegt, schreitet sie dem Baumgang näher und späht zuversichtlicher. – Sie winkt mit einem Tuche, erst seltener, dann häufiger, und endlich, in leidenschaftlicher Ungeduld, immer schneller. – Eine Gebärde des plötzlichen Entzückens sagt, dass sie den Freund in der Ferne gewahr geworden. Sie streckt sich höher, und, um besser den Raum zu übersehen, eilt sie zur Treppe zurück, von deren oberster Stufe aus sie dem Herannahenden zuwinkt.)

Zweite Szene

Bist du mein? Tristan Hab’ ich dich wieder? Isolde Darf ich dich fassen? Tristan Kann ich mir trauen? Isolde Endlich! Endlich! Tristan An meiner Brust! Isolde Fühl’ ich dich wirklich? Tristan Seh’ ich dich selber? Isolde Dies deine Augen? Tristan Dies dein Mund? Isolde Hier deine Hand? Tristan Hier dein Herz? Isolde Bin ich’s? Bist du’s? Halt’ ich dich fest? Tristan Bin ich’s, Bist du’s? Ist es kein Trug? Beide Ist es kein Traum? O Wonne der Seele, o süße, hehrste, kühnste, schönste, seligste Lust!

Jetzt springt sie ihm entgegen. Tristan (stürzt herein) Isolde! Geliebte! Isolde Tristan! Geliebter! (stürmische Umarmungen beider, unter denen sie in den Vordergrund gelangen.) 127

Tristan Ohne Gleiche! Isolde Überreiche! Tristan Überselig!


Isolde Ewig! Tristan Ewig! Isolde Ungeahnte, nie gekannte! Tristan Überschwenglich hoch erhabne! Isolde Freudejauchzen! Tristan Lustentzücken! Beide Himmelhöchstes Weltentrücken! Mein! Tristan/Isolde mein! Mein und dein! Ewig, ewig ein! Isolde Wie lange fern! Wie fern so lang! Tristan Wie weit so nah! So nah wie weit! Isolde O Freundesfeindin, böse Ferne! Träger Zeiten zögernde Länge! Tristan O Weit’ und Nähe! hart entzweite! Holde Nähe! Öde Weite! Isolde Im Dunkel du, im Lichte ich! Tristan Das Licht! Das Licht! O dieses Licht, wie lang verlosch es nicht! Die Sonne sank, der Tag verging; doch seinen Neid 128

erstickt’ er nicht: sein scheuchend Zeichen zündet er an und steckt’s an der Liebsten Türe, dass nicht ich zu ihr führe. Isolde Doch der Liebsten Hand löschte das Licht; wes die Magd sich wehrte, scheut’ ich mich nicht: In Frau Minnes Macht und Schutz bot ich dem Tage Trutz! Tristan Dem Tage! Dem Tage! Dem tückischen Tage, dem härtesten Feinde Hass und Klage! Wie du das Licht, o könnt’ ich die Leuchte, der Liebe Leiden zu rächen, dem frechen Tage verlöschen! Gibt’s eine Not, gibt’s eine Pein, die er nicht weckt mit seinem Schein? Selbst in der Nacht dämmernder Pracht hegt ihn Liebchen am Haus, streckt mir drohend ihn aus! Isolde Hegt ihn die Liebste am eignen Haus, im eignen Herzen hell und kraus hegt’ ihn trotzig einst mein Trauter: Tristan, – der mich betrog. War’s nicht der Tag, der aus ihm log, als er nach Irland werbend zog, für Marke mich zu frein, dem Tod die Treue zu weihn? Tristan Der Tag! Der Tag, der dich umgliss, dahin, wo sie der Sonne glich, in höchster Ehren Glanz und Licht, Isolden mir entrückt’! Was mir das Auge so entzückt’, das Herze tief


zur Erde drückt’: In lichten Tages Schein wie war Isolde mein? Isolde War sie nicht dein, die dich erkor? Was log der böse Tag dir vor, dass, die für dich beschieden, die Traute du verrietest? Tristan Was dich umgliss mit hehrster Pracht, der Ehre Glanz, des Ruhmes Macht, an sie mein Herz zu hangen, hielt mich der Wahn gefangen. Die mit des Schimmers hellstem Schein mir Haupt und Scheitel licht beschien, der Welten-Ehren Tages Sonne, mit ihrer Strahlen eitler Wonne, durch Haupt und Scheitel drang mir ein, bis in des Herzens tiefsten Schrein. Was dort in keuscher Nacht dunkel verschlossen wacht’, was ohne Wiss’ und Wahn ich dämmernd dort empfahn: ein Bild, das meine Augen zu schaun sich nicht getrauten, von des Tages Schein betroffen lag mir’s da schimmernd offen. Was mir so rühmlich schien und hehr, das rühmt’ ich hell vor allem Heer; vor allem Volke pries ich laut der Erde schönste Königsbraut. Dem Neid, den mir der Tag erweckt’; dem Eifer, den mein Glücke schreckt’; der Missgunst, die mir Ehren und Ruhm begann zu schweren: denen bot ich Trotz, und treu beschloss, um Ehr’ und Ruhm zu wahren, nach Irland ich zu fahren. 129

Isolde O eitler Tagesknecht! Getäuscht von ihm, der dich getäuscht, wie musst’ ich liebend um dich leiden, den, in des Tages falschem Prangen, von seines Gleißens Trug befangen, dort, wo ihn Liebe heiß umfasste, im tiefsten Herzen hell ich hasste! Ach, in des Herzens Grunde, wie schmerzte tief die Wunde! Den dort ich heimlich barg, wie dünkt’ er mich so arg, wenn in des Tages Scheine die treu gehegte Eine der Liebe Blicken schwand, als Feind nur vor mir stand! Das als Verräter dich mir wies, dem Licht des Tages wollt’ ich entfliehn, dorthin in die Nacht dich mit mir ziehn, wo der Täuschung Ende mein Herz mir verhieß; wo des Trugs geahnter Wahn zerrinne; dort dir zu trinken ew’ge Minne, mit mir dich im Verein wollt’ ich dem Tode weihn. Tristan In deiner Hand den süßen Tod, als ich ihn erkannt, den sie mir bot; als mir die Ahnung hehr und gewiss zeigte, was mir die Sühne verhieß: da erdämmerte mild erhabner Macht im Busen mir die Nacht; mein Tag war da vollbracht. Isolde Doch ach, dich täuschte der falsche Trank, dass dir von Neuem die Nacht versank: dem einzig am Tode lag,


den gab er wieder dem Tag! Tristan O Heil dem Tranke! Heil seinem Saft! Heil seines Zaubers hehrer Kraft! Durch des Todes Tor, wo er mir floss, weit und offen er mir erschloss, darin ich sonst nur träumend gewacht, das Wunderreich der Nacht. Von dem Bild in des Herzens bergendem Schrein scheucht’ er des Tages täuschenden Schein, dass nachtsichtig mein Auge wahr es zu sehen tauge. Isolde Doch es rächte sich der verscheuchte Tag; mit deinen Sünden Rats er pflag: was dir gezeigt die dämmernde Nacht, an des Taggestirnes Königsmacht musstest du’s übergeben, um einsam in öder Pracht schimmernd dort zu leben. Wie ertrug ich’s nur? Wie ertrag’ ich’s noch? Tristan O nun waren wir Nachtgeweihte! Der tückische Tag, der Neidbereite, trennen konnt’ uns sein Trug, doch nicht mehr täuschen sein Lug! Seine eitle Pracht, seinen prahlenden Schein verlacht, wem die Nacht den Blick geweiht: seines flackernden Lichtes flüchtige Blitze blenden uns nicht mehr. Wer des Todes Nacht liebend erschaut, wem sie ihr tief’ Geheimnis vertraut, des Tages Lügen, Ruhm und Ehr’, Macht und Gewinn, so schimmernd hehr, 130

wie eitler Staub der Sonnen sind sie vor dem zersponnen! In des Tages eitlem Wähnen bleibt ihm ein einzig Sehnen, – das Sehnen hin zur heil’gen Nacht, wo ur-ewig, einzig wahr, Liebeswonne ihm lacht! (Tristan zieht Isolde sanft zur Seite auf eine Blumenbank nieder, senkt sich vor ihr auf die Knie und schmiegt sein Haupt in ihren Arm.) Beide O sink hernieder, Nacht der Liebe, gib Vergessen, dass ich lebe; nimm mich auf in deinen Schoß, löse von der Welt mich los! Tristan Verloschen nun die letzte Leuchte; … Isolde … was wir dachten, was uns deuchte; … Tristan … all Gedenken, … Isolde … all Gemahnen, – … Beide … heil’ger Dämm’rung hehres Ahnen löscht des Wähnens Graus welterlösend aus. Isolde Barg im Busen uns sich die Sonne, leuchten lachend Sterne der Wonne. Tristan Von deinem Zauber sanft umsponnen, vor deinen Augen süß zerronnen; … Isolde … Herz an Herz dir, Mund an Mund, …


Tristan … eines Atems ein’ger Bund; …

Isolde Doch der Tag muss Tristan wecken?

Beide … bricht mein Blick sich wonn’-erblindet, erbleicht die Welt mit ihrem Blenden: …

Tristan (ein wenig das Haupt erhebend) Lass den Tag dem Tode weichen!

Isolde … die uns der Tag trügend erhellt, … Tristan … zu täuschendem Wahn entgegengestellt, … Beide … selbst dann bin ich die Welt: Wonne-hehrstes Weben, Liebe-heiligstes Leben, Nie-wieder-Erwachens wahnlos hold bewusster Wunsch. (Tristan und Isolde versinken wie in gänzliche Entrücktheit, in der sie, Haupt an Haupt auf die Blumenbank zurückgelehnt, verweilen.) Brangänes Stimme (von der Zinne her, unsichtbar) Einsam wachend in der Nacht, wem der Traum der Liebe lacht, hab der Einen Ruf in acht, die den Schläfern Schlimmes ahnt, bange zum Erwachen mahnt! Habet acht! Habet acht! Bald entweicht die Nacht! Isolde (leise) Lausch, Geliebter! Tristan (ebenso) Lass mich sterben! Isolde (allmählich sich ein wenig erhebend) Neid’sche Wache! Tristan (zurückgelehnt bleibend) Nie erwachen! 131

Isolde (nicht heftig) Tag und Tod, mit gleichen Streichen, sollten unsre Lieb’ erreichen? Tristan (sich mehr aufrichtend) Unsre Liebe? Tristans Liebe? Dein’ und mein’, Isoldes Liebe? Welches Todes Streichen könnte je sie weichen? Stünd’ er vor mir, der mächt’ge Tod, wie er mir Leib und Leben bedroht’, die ich so willig der Liebe lasse, wie wäre seinen Streichen die Liebe selbst zu erreichen? (immer inniger mit dem Haupt sich an Isolde schmiegend) Stürb’ ich nun ihr, der so gern ich sterbe, wie könnte die Liebe mit mir sterben, die ewig lebende mit mir enden? Doch stürbe nie seine Liebe, wie stürbe dann Tristan seiner Liebe? Isolde Doch unsre Liebe, heißt sie nicht Tristan und Isolde? Dies süße Wörtlein: und, was es bindet der Liebe Bund, wenn Tristan stürb’, zerstört’ es nicht der Tod? Tristan Was stürbe dem Tod, als was uns stört, was Tristan wehrt, Isolde immer zu lieben, ewig ihr nur zu leben?


Isolde Doch dieses Wörtlein: und – wär’ es zerstört, wie anders als mit Isoldes eignem Leben wär’ Tristan der Tod gegeben? Tristan (zieht, mit bedeutungsvoller Gebärde, Isolde sanft an sich) So starben wir, um ungetrennt, ewig einig, ohne End’, ohn’ Erwachen, ohn’ Erbangen, namenlos in Lieb’ umfangen, ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben! Isolde (wie in sinnender Entrücktheit zu ihm aufblickend) So stürben wir, um ungetrennt, … Tristan … ewig einig ohne End’ … Isolde … ohn’ Erwachen, … Tristan … ohn’ Erbangen, … Beide … namenlos in Lieb’ umfangen, ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben! (Isolde neigt, wie überwältigt, das Haupt an seine Brust.) Brangänes Stimme (wie vorher) Habet acht! Habet acht! Schon weicht dem Tag die Nacht! Tristan (lächelnd zu Isolde geneigt) Soll ich lauschen? Isolde (schwärmerisch zu Tristan aufblickend) Lass mich sterben! Tristan (ernster) Muss ich wachen? Isolde (bewegter) 132

Nie erwachen! Tristan (drängender) Soll der Tag noch Tristan wecken? Isolde (begeistert) Lass den Tag dem Tode weichen! Tristan Des Tages Dräuen nun trotzten wir so? Isolde (mit wachsender Begeisterung) Seinem Trug ewig zu fliehn! Tristan Sein dämmernder Schein verscheuchte uns nie? Isolde (mit großer Gebärde ganz sich erhebend) Ewig währ’ uns die Nacht! (Tristan folgt ihr, sie umfangen sich in schwärmerischer Begeisterung.) Beide O ew’ge Nacht, süße Nacht! Hehr erhabne Liebesnacht! Wen du umfangen, wem du gelacht, wie wär’ ohne Bangen aus dir er je erwacht? Nun banne das Bangen, holder Tod, sehnend verlangter Liebestod! In deinen Armen, dir geweiht, ur-heilig Erwarmen, von Erwachens Not befreit! Tristan Wie es fassen, wie sie lassen, diese Wonne, … Beide … fern der Sonne, fern der Tage Trennungsklage! Isolde Ohne Wähnen, …


Tristan … sanftes Sehnen, … Isolde … ohne Bangen, … Tristan … süß Verlangen; ohne Wehen … Beide … hehr Vergehen; … Isolde … ohne Schmachten … Beide … hold Umnachten; … Tristan … ohne Meiden, … Beide … ohne Scheiden, traut allein, ewig heim, in ungemessnen Räumen übersel’ges Träumen: … Isolde … Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Isolde! Tristan … Tristan du, ich Isolde, nicht mehr Tristan! Beide Ohne Nennen, ohne Trennen, neu’ Erkennen, neu’ Entbrennen; endlos ewig, ein-bewusst, heiß erglühter Brust, höchste Liebeslust!

Dritte Szene Brangäne stößt einen grellen Schrei aus. Kurwenal stürzt mit entblößtem Schwerte herein. Tristan und Isolde bleiben in verzückter Stellung.

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Kurwenal Rette dich, Tristan! (Er blickt mit Entsetzen hinter sich in die Szene zurück. Marke, Melot und Hofleute, in Jägertracht, kommen aus dem Baumgange lebhaft nach dem Vordergrunde und halten entsetzt der Gruppe der Liebenden gegenüber an. Brangäne kommt zugleich von der Zinne herab und stürzt auf Isolde zu. Diese, von unwillkürlicher Scham ergriffen, lehnt sich, mit abgewandtem Gesicht, auf die Blumenbank. Tristan, in ebenfalls unwillkürlicher Bewegung, streckt mit dem einen Arme den Mantel breit aus, sodass er Isolde vor den Blicken der Ankommenden verdeckt. In dieser Stellung verbleibt er längere Zeit, unbeweglich den starren Blick auf die Männer gerichtet, die in verschiedener Bewegung die Augen auf ihn heften. – Morgendämmerung.) Tristan Der öde Tag zum letzten Mal! Melot (zu Marke) Das sollst du, Herr, mir sagen, ob ich ihn recht verklagt? Das dir zum Pfand ich gab, ob ich mein Haupt gewahrt? Ich zeigt’ ihn dir in offner Tat: Namen und Ehr’ hab’ ich getreu vor Schande dir bewahrt. König Marke (nach tiefer Erschütterung, mit bebender Stimme) Tatest du’s wirklich? Wähnst du das? Sieh ihn dort, den treusten aller Treuen; blick auf ihn, den freundlichsten der Freunde: Seiner Treue freiste Tat traf mein Herz mit feindlichstem Verrat! Trog mich Tristan, sollt’ ich hoffen, was sein Trügen mir getroffen, sei durch Melots Rat redlich mir bewahrt? Tristan (krampfhaft heftig) Tagsgespenster! Morgenträume! Täuschend und wüst! Entschwebt! Entweicht!


König Marke (mit tiefer Ergriffenheit) Mir dies? Dies, Tristan, mir? – Wohin nun Treue, da Tristan mich betrog? Wohin nun Ehr’ und echte Art, da aller Ehren Hort, da Tristan sie verlor? Die Tristan sich zum Schild erkor, wohin ist Tugend nun entflohn, da meinen Freund sie flieht, da Tristan mich verriet? (Tristan senkt langsam den Blick zu Boden; in seinen Mienen ist, während Marke fortfährt, zunehmende Trauer zu lesen.) Wozu die Dienste ohne Zahl, der Ehren Ruhm, der Größe Macht, die Marken du gewannst; musst’ Ehr’ und Ruhm, Größ’ und Macht, musste die Dienste ohne Zahl dir Markes Schmach bezahlen? Dünkte zu wenig dich sein Dank, dass, was du ihm erworben, Ruhm und Reich, er zu Erb’ und Eigen dir gab? Da kinderlos einst schwand sein Weib, so liebt’ er dich, dass nie aufs neu’ sich Marke wollt’ vermählen. Da alles Volk zu Hof und Land mit Bitt’ und Dräuen in ihn drang, die Königin dem Lande, die Gattin sich zu kiesen; da selber du den Ohm beschworst, des Hofes Wunsch, des Landes Willen gütlich zu erfüllen: In Wehr wider Hof und Land, in Wehr selbst gegen dich, mit List und Güte weigerte er sich, bis, Tristan, du ihm drohtest, für immer zu meiden Hof und Land, würdest du selber 134

nicht entsandt, dem König die Braut zu frein. Da ließ er’s denn so sein. – Dies wundervolle Weib, das mir dein Mut gewann, wer durft’ es sehen, wer es kennen, wer mit Stolze sein es nennen, ohne selig sich zu preisen? Der mein Wille nie zu nahen wagte, der mein Wunsch ehrfurchtscheu entsagte, die so herrlich hold erhaben mir die Seele musste laben, trotz Feind und Gefahr, die fürstliche Braut brachtest du mir dar. Nun, da durch solchen Besitz mein Herz du fühlsamer schufst als sonst, dem Schmerz, dort, wo am weichsten, zart und offen, würd’ ich getroffen, nie zu hoffen, dass je ich könnte gesunden: warum so sehrend, Unseliger, dort nun mich verwunden? Dort mit der Waffe quälendem Gift, das Sinn und Hirn mir sengend verzehrt, das mir dem Freund die Treue verwehrt, mein offnes Herz erfüllt mit Verdacht, dass ich nun heimlich in dunkler Nacht den Freund lauschend beschleiche, meiner Ehren Ende erreiche? Die kein Himmel erlöst, warum mir diese Hölle? Die kein Elend sühnt, warum mir diese Schmach? Den unerforschlich tief geheimnisvollen Grund, wer macht der Welt ihn kund? Tristan (mitleidig das Auge zu Marke erhebend) O König, das kann ich dir nicht sagen; und was du frägst,


das kannst du nie erfahren. (Er wendet sich zu Isolde, die sehnsüchtig zu ihm aufblickt.) Wohin nun Tristan scheidet, willst du, Isold’, ihm folgen? Dem Land, das Tristan meint, der Sonne Licht nicht scheint: Es ist das dunkel nächt’ge Land, daraus die Mutter mich entsandt, als, den im Tode sie empfangen, im Tod sie ließ an das Licht gelangen. Was, da sie mich gebar, ihr Liebesberge war, das Wunderreich der Nacht, aus der ich einst erwacht: das bietet dir Tristan, dahin geht er voran: ob sie ihm folge treu und hold, – das sag’ ihm nun Isold’! Isolde Als für ein fremdes Land der Freund sie einstens warb, dem Unholden treu und hold musst’ Isolde folgen. Nun führst du in dein Eigen, dein Erbe mir zu zeigen; wie flöh’ ich wohl das Land, das alle Welt umspannt? Wo Tristans Haus und Heim, da kehr’ Isolde ein: auf dem sie folge treu und hold, den Weg nun zeig Isold’! (Tristan neigt sich langsam über sie und küsst sie sanft auf die Stirn. – Melot fährt wütend auf.) Melot (das Schwert ziehend) Verräter! Ha! Zur Rache, König! Duldest du diese Schmach? Tristan (zieht sein Schwert und wendet sich schnell um.) Wer wagt sein Leben an das meine? (Er heftet den Blick auf Melot.) Mein Freund war der, er minnte mich hoch und teuer; um Ehr’ und Ruhm mir war er besorgt wie keiner. Zum Übermut 135

trieb er mein Herz; die Schar führt’ er, die mich gedrängt, Ehr’ und Ruhm mir zu mehren, dem König dich zu vermählen! Dein Blick, Isolde, blendet’ auch ihn; aus Eifer verriet mich der Freund dem König, den ich verriet! (Er dringt auf Melot ein.) Wehr dich, Melot! (Als Melot ihm das Schwert entgegenstreckt, lässt Tristan das seinige fallen und sinkt verwundet in Kurwenals Arme. Isolde stürzt sich an seine Brust. Marke hält Melot zurück.)


DRITTER AUFZUG Einleitung

Hirt Öd und leer das Meer! (Er setzt die Schalmei an den Mund und entfernt sich blasend.)

Erste Szene Burggarten. Zur einen Seite hohe Burggebäude, zur andren eine niedrige Mauerbrüstung, von einer Warte unterbrochen; im Hintergrunde das Burgtor. Die Lage ist auf felsiger Höhe anzunehmen; durch Öffnungen blickt man auf einen weiten Meereshorizont. Das Ganze macht den Eindruck der Herrenlosigkeit, übel gepflegt, hie und da schadhaft und bewachsen. Im Vordergrunde, an der inneren Seite, liegt Tristan unter dem Schatten einer großen Linde, auf einem Ruhebett schlafend, wie leblos ausgestreckt. Zu Häupten ihm sitzt Kurwenal, in Schmerz über ihn hingebeugt und sorgsam seinem Atem lauschend. – Von der Außenseite hört man einen Hirtenreigen blasen. – Der Hirt erscheint mit dem Oberleibe über der Mauerbrüstung und blickt teilnehmend herein. Hirt (leise) Kurwenal! He! Sag, Kurwenal! Hör doch, Freund! (Kurwenal wendet ein wenig das Haupt nach ihm.) Wacht er noch nicht? Kurwenal (schüttelt traurig mit dem Kopf.) Erwachte er, wär’s doch nur, um für immer zu verscheiden: Erschien zuvor die Ärztin nicht, die einz’ge, die uns hilft. – Sahst du noch nichts? Kein Schiff noch auf der See? Hirt Eine andre Weise hörtest du dann, so lustig als ich sie nur kann. Nun sag auch ehrlich, alter Freund: Was hat’s mit unserm Herrn? Kurwenal Lass die Frage: Du kannst’s doch nie erfahren. Eifrig späh; und siehst du ein Schiff, so spiele lustig und hell! (Der Hirt wendet sich und späht, mit der Hand überm Auge, nach dem Meer aus.)

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Tristan (bewegungslos, dumpf) Die alte Weise; – was weckt sie mich? Kurwenal (fährt erschrocken auf) Ha! Tristan (schlägt die Augen auf und wendet das Haupt ein wenig.) Wo bin ich? Kurwenal Ha! Diese Stimme! Seine Stimme! Tristan! Herre! Mein Held! Mein Tristan! Tristan (mit Anstrengung) Wer ruft mich? Kurwenal Endlich! Endlich! Leben, o Leben! Süßes Leben, meinem Tristan neu gegeben! Tristan (ein wenig auf dem Lager sich erhebend, matt) Kurwenal – du? Wo war ich? Wo bin ich? Kurwenal Wo du bist? In Frieden, sicher und frei! Kareol, Herr: kennst du die Burg der Väter nicht? Tristan Meiner Väter? Kurwenal Sieh dich nur um! Tristan Was erklang mir? Kurwenal Des Hirten Weise hörtest du wieder; am Hügel ab hütet er deine Herde.


Tristan Meine Herde? Kurwenal Herr, das mein’ ich! Dein das Haus, Hof und Burg! Das Volk, getreu dem trauten Herrn, so gut es konnt’, hat’s Haus und Hof gepflegt, das einst mein Held zu Erb’ und Eigen an Leut’ und Volk verschenkt, als alles er verließ, in fremde Land’ zu ziehn. Tristan In welches Land? Kurwenal Hei! Nach Kornwall: kühn und wonnig, was sich da Glanzes, Glückes und Ehren Tristan, mein Held, hehr ertrotzt! Tristan Bin ich in Kornwall? Kurwenal Nicht doch: in Kareol! Tristan Wie kam ich her? Kurwenal Hei nun! Wie du kamst? Zu Ross rittest du nicht; ein Schifflein führte dich her: Doch zu dem Schifflein hier auf den Schultern trug ich dich; – die sind breit: Sie trugen dich dort zum Strand. Nun bist du daheim, daheim zu Land: im echten Land, im Heimatland; auf eigner Weid’ und Wonne, im Schein der alten Sonne, darin von Tod und Wunden du selig sollst gesunden. (Er schmiegt sich an Tristans Brust.) Tristan Dünkt dich das? Ich weiß es anders, doch kann ich’s dir nicht sagen. 137

Wo ich erwacht – weilt’ ich nicht; doch, wo ich weilte, das kann ich dir nicht sagen. Die Sonne sah ich nicht, noch sah ich Land und Leute: doch, was ich sah, das kann ich dir nicht sagen. Ich war, wo ich von je gewesen, wohin auf je ich geh’: im weiten Reich der Weltennacht. Nur ein Wissen dort uns eigen: göttlich ew’ges Urvergessen! Wie schwand mir seine Ahnung? Sehnsücht’ge Mahnung, nenn’ ich dich, die neu dem Licht des Tags mich zugetrieben? Was einzig mir geblieben, ein heiß-inbrünstig Lieben, aus Todes-Wonne-Grauen jagt’s mich, das Licht zu schauen, das trügend hell und golden noch dir, Isolden, scheint! (Kurwenal birgt, von Grausen gepackt, sein Haupt. Tristan richtet sich allmählich immer mehr auf.) Isolde noch im Reich der Sonne! Im Tagesschimmer noch Isolde! Welches Sehnen! Welches Bangen! Sie zu sehen, welch Verlangen! Krachend hört’ ich hinter mir schon des Todes Tor sich schließen: – Weit nun steht es wieder offen, der Sonne Strahlen sprengt’ es auf; mit hell erschlossnen Augen muss ich der Nacht enttauchen, – sie zu suchen, sie zu sehen; sie zu finden, in der einzig zu vergehen, zu entschwinden Tristan ist vergönnt. Weh, nun wächst, bleich und bang,


mir des Tages wilder Drang; grell und täuschend sein Gestirn weckt zu Trug und Wahn mir das Hirn! Verfluchter Tag mit deinem Schein! Wachst du ewig meiner Pein? Brennt sie ewig, diese Leuchte, die selbst nachts von ihr mich scheuchte? Ach! Isolde, süße Holde! Wann endlich, wann, ach wann löschest du die Zünde, dass sie mein Glück mir künde? Das Licht – wann löscht es aus? (Er sinkt erschöpft leise zurück.) Wann wird es Nacht im Haus? Kurwenal (nach großer Erschütterung aus der Niedergeschlagenheit sich aufraffend) Der einst ich trotzt’, aus Treu’ zu dir, mit dir nach ihr nun muss ich mich sehnen. Glaub meinem Wort: du sollst sie sehen hier und heut; den Trost kann ich dir geben, ist sie nur selbst noch am Leben. Tristan (sehr matt) Noch losch das Licht nicht aus, noch ward’s nicht Nacht im Haus: Isolde lebt und wacht; sie rief mich aus der Nacht. Kurwenal Lebt sie denn, so lass dir Hoffnung lachen! Muss Kurwenal dumm dir gelten, heut sollst du ihn nicht schelten. Wie tot lagst du seit dem Tag, da Melot, der Verruchte, dir eine Wunde schlug. Die böse Wunde, wie sie heilen? Mir tör’gem Manne dünkt’ es da, wer einst dir Morolds Wunde schloss, 138

der heilte leicht die Plagen, von Melots Wehr geschlagen. Die beste Ärztin bald ich fand; nach Kornwall hab’ ich ausgesandt: ein treuer Mann wohl übers Meer bringt dir Isolden her. Tristan (außer sich) Isolde kommt! Isolde naht! (Er ringt gleichsam nach Sprache.) O Treue! Hehre, holde Treue! (Er zieht Kurwenal an sich und umarmt ihn.) Mein Kurwenal, du trauter Freund! Du Treuer ohne Wanken, wie soll dir Tristan danken? Mein Schild, mein Schirm in Kampf und Streit, zu Lust und Leid mir stets bereit: wen ich gehasst, den hasstest du; wen ich geminnt, den minntest du. Dem guten Marke, dient’ ich ihm hold, wie warst du ihm treuer als Gold! Musst’ ich verraten den edlen Herrn, wie betrogst du ihn da so gern! Dir nicht eigen, einzig mein, mit leidest du, wenn ich leide: nur was ich leide, das kannst du nicht leiden! Dies furchtbare Sehnen, das mich sehrt; dies schmachtende Brennen, das mich zehrt; wollt’ ich dir’s nennen, könntest du’s kennen: – nicht hier würdest du weilen, zur Warte müsstest du eilen, – mit allen Sinnen sehnend von hinnen nach dorten trachten und spähen, wo ihre Segel sich blähen, wo vor den Winden, mich zu finden, von der Liebe Drang befeuert, Isolde zu mir steuert! – Es naht! Es naht


mit mutiger Hast! Sie weht, sie weht – die Flagge am Mast. Das Schiff! Das Schiff! Dort streicht es am Riff! Siehst du es nicht? (heftig) Kurwenal! Siehst du es nicht? (Als Kurwenal, um Tristan nicht zu verlassen, zögert, und dieser in schweigender Spannung auf ihn blickt, ertönt, wie zu Anfang, die klagende Weise des Hirten.) Kurwenal (niedergeschlagen) Noch ist kein Schiff zu sehn! Tristan (hat mit abnehmender Aufregung gelauscht und beginnt nun mit wachsender Schwermut) Muss ich dich so verstehn, du alte ernste Weise, mit deiner Klage Klang? Durch Abendwehen drang sie bang, als einst dem Kind des Vaters Tod verkündet: – durch Morgengrauen bang und bänger, als der Sohn der Mutter Los vernahm. Da er mich zeugt’ und starb, sie sterbend mich gebar, – die alte Weise sehnsuchtbang zu ihnen wohl auch klagend drang, die einst mich frug und jetzt mich frägt: zu welchem Los erkoren, ich damals wohl geboren? Zu welchem Los? Die alte Weise sagt mir’s wieder: mich sehnen – und sterben! Nein! Ach nein! So heißt sie nicht! Sehnen! Sehnen! Im Sterben mich zu sehnen, vor Sehnsucht nicht zu sterben! Die nie erstirbt, sehnend nun ruft um Sterbens Ruh sie der fernen Ärztin zu. Sterbend lag ich stumm im Kahn, der Wunde Gift dem Herzen nah: Sehnsucht klagend 139

klang die Weise; den Segel blähte der Wind hin zu Irlands Kind. Die Wunde, die sie heilend schloss, riss mit dem Schwert sie wieder los; das Schwert dann aber – ließ sie sinken; den Gifttrank gab sie mir zu trinken: wie ich da hoffte ganz zu genesen, da ward der sehrendste Zauber erlesen: dass nie ich sollte sterben, mich ew’ger Qual vererben! Der Trank! Der Trank! Der furchtbare Trank! Wie vom Herz zum Hirn er wütend mir drang! Kein Heil nun kann, kein süßer Tod je mich befrein von der Sehnsucht Not; nirgends, ach nirgends find’ ich Ruh: mich wirft die Nacht dem Tage zu, um ewig an meinen Leiden der Sonne Auge zu weiden. O dieser Sonne sengender Strahl, wie brennt mir das Hirn seine glühende Qual! Für dieser Hitze heißes Verschmachten, ach, keines Schattens kühlend Umnachten! Für dieser Schmerzen schreckliche Pein, welcher Balsam sollte mir Lindrung verleihn? Den furchtbaren Trank, der der Qual mich vertraut, ich selbst, – ich selbst, – ich hab’ ihn gebraut! Aus Vaters Not und Mutter-Weh, – aus Liebestränen eh und je, – aus Lachen und Weinen, Wonnen und Wunden hab’ ich des Trankes Gifte gefunden! Den ich gebraut, der mir geflossen,


den wonneschlürfend je ich genossen, – verflucht sei, furchtbarer Trank! Verflucht, wer dich gebraut. (Er sinkt ohnmächtig zurück.) Kurwenal (der vergebens Tristan zu mäßigen suchte, schreit entsetzt auf) Mein Herre! Tristan! Schrecklicher Zauber! O Minnetrug! O Liebeszwang! Der Welt holdester Wahn, wie ist’s um dich getan! Hier liegt er nun, der wonnige Mann, der wie keiner geliebt und geminnt. Nun seht, was von ihm sie Dankes gewann, was je Minne sich gewinnt! (mit schluchzender Stimme) Bist du nun tot? Lebst du noch? Hat dich der Fluch entführt? (Er lauscht seinem Atem.) O Wonne! Nein! Er regt sich, er lebt! Wie sanft er die Lippen rührt! Tristan (langsam wieder zu sich kommend; sehr leise beginnend) Das Schiff? Siehst du’s noch nicht? Kurwenal Das Schiff? Gewiss, es naht noch heut; es kann nicht lang mehr säumen. Tristan Und drauf Isolde, wie sie winkt – wie sie hold mir Sühne trinkt: siehst du sie? Siehst du sie noch nicht? Wie sie selig, hehr und milde wandelt durch des Meers Gefilde? Auf wonniger Blumen lichten Wogen kommt sie sanft ans Land gezogen. Sie lächelt mir Trost und süße Ruh, sie führt mir letzte Labung zu. 140

Ach, Isolde! Isolde! Wie schön bist du! Und Kurwenal, wie, du sähst sie nicht? Hinauf zur Warte, du blöder Wicht! Was so hell und licht ich sehe, dass das dir nicht entgehe! Hörst du mich nicht? Zur Warte schnell! Eilig zur Warte! Bist du zur Stell’? Das Schiff? Das Schiff? Isoldens Schiff? Du musst es sehen! Musst es sehen! Das Schiff? Sähst du’s noch nicht? (Während Kurwenal noch zögernd mit Tristan ringt, lässt der Hirt von außen die Schalmei ertönen.) Kurwenal (springt freudig auf.) O Wonne! Freude! (Er stürzt auf die Warte und späht aus – atemlos.) Ha! Das Schiff! Von Norden seh’ ich’s nahen. Tristan (in wachsender Begeisterung) Wusst’ ich’s nicht? Sagt ich’s nicht, dass sie noch lebt, noch Leben mir webt? Die mir Isolde einzig enthält, wie wär’ Isolde mir aus der Welt? Kurwenal (von der Warte zurückrufend, jauchzend) Heiha! Heiha! Wie es mutig steuert! Wie stark der Segel sich bläht! Wie es jagt, wie es fliegt! Tristan Die Flagge? Die Flagge? Kurwenal Der Freude Flagge am Wimpel lustig und hell! Tristan (auf dem Lager hoch sich aufrichtend) Hahei! Der Freude! Hell am Tage zu mir Isolde! Isolde zu mir! Siehst du sie selbst?


Kurwenal Jetzt schwand das Schiff hinter dem Fels. Tristan Hinter dem Riff? Bringt es Gefahr? Dort wütet die Brandung, scheitern die Schiffe! Das Steuer, wer führt’s? Kurwenal Der sicherste Seemann. Tristan Verriet’ er mich? Wär’ er Melots Genoss?

Kurwenal Im Hafen der Kiel! Isolde, ha! Mit einem Sprung springt sie vom Bord ans Land. Tristan Herab von der Warte, müßiger Gaffer! Hinab! Hinab an den Strand! Hilf ihr! Hilf meiner Frau! Kurwenal Sie trag’ ich herauf: Trau meinen Armen! Doch du, Tristan, bleib mir treulich am Bett!

Kurwenal Trau ihm wie mir! Zweite Szene Tristan Verräter auch du! Unsel’ger! Siehst du sie wieder? Kurwenal Noch nicht. Tristan Verloren! Kurwenal (jauchzend) Heiha! Heihahaha! Vorbei! Vorbei! Glücklich vorbei! Tristan (jauchzend) Heihahaha! Kurwenal, treuester Freund! All mein Hab und Gut vererb’ ich noch heute. Kurwenal Sie nahen im Flug. Tristan Siehst du sie endlich? Siehst du Isolde? Kurwenal Sie ist’s! Sie winkt! Tristan O seligstes Weib!

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Kurwenal eilt fort. – Tristan, in höchster Aufregung auf dem Lager sich mühend. Tristan O diese Sonne! Ha, dieser Tag! Ha, dieser Wonne sonnigster Tag! Jagendes Blut, jauchzender Mut! Lust ohne Maßen, freudiges Rasen! Auf des Lagers Bann wie sie ertragen! Wohlauf und daran, wo die Herzen schlagen! Tristan, der Held, in jubelnder Kraft, hat sich vom Tod emporgerafft! (Er richtet sich hoch auf.) Mit blutender Wunde bekämpft’ ich einst Morolden: mit blutender Wunde erjag’ ich mir heut Isolden! (Er reißt sich den Verband der Wunde auf.) Heia, mein Blut! Lustig nun fließe! (Er springt vom Lager herab und schwankt vorwärts.) Die mir die Wunde ewig schließe, – sie naht wie ein Held, sie naht mir zum Heil! Vergeh’ die Welt


meiner jauchzenden Eil’! (Er taumelt nach der Mitte der Bühne.) Isolde (von außen) Tristan! Geliebter! Tristan (in der furchtbarsten Aufregung) Wie, hör’ ich das Licht? Die Leuchte, ha! Die Leuchte verlischt! Zu ihr! Zu ihr! (Isolde eilt atemlos herein. Tristan, seiner nicht mächtig, stürzt sich ihr schwankend entgegen. In der Mitte der Bühne begegnen sie sich; sie empfängt ihn in ihren Armen. – Tristan sinkt langsam in Isoldens Armen zu Boden.) Isolde Tristan! Ha! Tristan (sterbend zu Isolde aufblickend) Isolde! (Er stirbt.) Isolde Ha! Ich bin’s, ich bin’s, süßester Freund! Auf, noch einmal hör meinen Ruf! Isolde ruft; Isolde kam, mit Tristan treu zu sterben! Bleibst du mir stumm? Nur eine Stunde, nur eine Stunde bleibe mir wach! So bange Tage wachte sie sehnend, um eine Stunde mit dir noch zu wachen: betrügt Isolden, betrügt sie Tristan um dieses einzige, ewig kurze, letzte Weltenglück? Die Wunde? Wo? Lass sie mich heilen! Dass wonnig und hehr die Nacht wir teilen; nicht an der Wunde, an der Wunde stirb mir nicht: uns beiden vereint erlösche das Lebenslicht! Gebrochen der Blick! Still das Herz! Nicht eines Atems 142

flücht’ges Wehn! – Muss sie nun jammernd vor dir stehn, die sich wonnig dir zu vermählen mutig kam übers Meer? Zu spät! Trotziger Mann! Strafst du mich so mit härtestem Bann? Ganz ohne Huld meiner Leidens-Schuld? Nicht meine Klagen darf ich dir sagen? Nur einmal – ach! nur einmal noch! – Tristan! – Ha! – Horch! – Er wacht! Geliebter! (Sie sinkt bewusstlos über der Leiche zusammen.)

Dritte Szene Kurwenal war sogleich hinter Isolde zurückgekommen; sprachlos in furchtbarer Erschütterung hat er dem Auftritte beigewohnt und bewegungslos auf Tristan hingestarrt. Aus der Tiefe hört man jetzt dumpfes Gemurmel und Waffengeklirr. – Der Hirt kommt über die Mauer gestiegen. Hirt (hastig und leise sich zu Kurwenal wendend) Kurwenal! Hör! Ein zweites Schiff! (Kurwenal fährt heftig auf und blickt über die Brüstung, während der Hirt aus der Ferne erschüttert auf Tristan und Isolde sieht.) Kurwenal (in Wut ausbrechend) Tod und Hölle! Alles zur Hand! Marke und Melot hab’ ich erkannt. Waffen und Steine! Hilf mir! Ans Tor! (Er eilt mit dem Hirten an das Tor, das sie in der Hast zu verrammeln suchen. – Der Steuermann stürzt herein.) Ein Steuermann Marke mir nach mit Mann und Volk: vergebne Wehr! Bewältigt sind wir. Kurwenal Stell dich und hilf! So lang ich lebe,


lugt mir keiner herein!

Zurück! Wahnsinniger!

Brangänes Stimme (außen, von unten her) Isolde! Herrin!

Brangäne (hat sich seitwärts über die Mauer geschwungen und eilt in den Vordergrund.) Isolde! Herrin! Glück und Heil! Was seh’ ich! Ha! Lebst du? Isolde!

Kurwenal Brangänes Ruf? (hinabrufend) Was suchst du hier? Brangäne Schließ nicht, Kurwenal! Wo ist Isolde? Kurwenal Verrät’rin auch du? Weh dir, Verruchte? Melot (außerhalb) Zurück, du Tor! Stemm dich nicht dort! Kurwenal (wütend auflachend) Heiahaha! Dem Tag, an dem ich dich treffe! (Melot, mit gewaffneten Männern, erscheint unter dem Tor. Kurwenal stürzt sich auf ihn und streckt ihn zu Boden.) Stirb, schändlicher Wicht! Melot Weh mir, Tristan! (Er stirbt.) Brangäne (noch außerhalb) Kurwenal! Wütender! Hör, – du betrügst dich! Kurwenal Treulose Magd! (zu den Seinen) Drauf! Mir nach! Werft sie zurück! (Sie kämpfen.) König Marke (außerhalb) Halte, Rasender! Bist du von Sinnen? Kurwenal Hier wütet der Tod! Nichts andres, König, ist hier zu holen; willst du ihn kiesen, so komm! (Er dringt auf Marke und dessen Gefolge ein.) Marke (unter dem Tor mit Gefolge erscheinend) 143

(Sie müht sich um Isolde. – Marke, mit seinem Gefolge, hat Kurwenal mit dessen Helfern vom Tore zurückgetrieben und dringt herein.) König Marke O Trug und Wahn! Tristan! Wo bist du? Kurwenal (schwer verwundet, schwankt vor Marke her nach dem Vordergrund) Da liegt er – hier, – wo ich – liege. (Er sinkt bei Tristans Füßen zusammen.) König Marke Tristan! Tristan! Isolde! Weh! Kurwenal (nach Tristans Hand fassend) Tristan! Trauter! Schilt mich nicht, dass der Treue auch mitkommt! (Er stirbt.) König Marke Tot denn alles! Alles tot! Mein Held, mein Tristan! Trautester Freund, auch heute noch musst du den Freund verraten? Heut, wo er kommt, dir höchste Treue zu bewähren? Erwache! Erwache! Erwache meinem Jammer! (Schluchzend über die Leiche sich herabbeugend.) Du treulos treuster Freund! Brangäne (die in ihren Armen Isolde wieder zu sich gebracht) Sie wacht, sie lebt! Isolde! Hör mich, vernimm meine Sühne! Des Trankes Geheimnis entdeckt’ ich dem König: mit sorgender Eil’ stach er in See, dich zu erreichen,


dir zu entsagen, dir zuzuführen den Freund. König Marke Warum, Isolde, warum mir das? Da hell mir enthüllt, was zuvor ich nicht fassen konnt’, wie selig, dass den Freund ich frei von Schuld da fand! Dem holden Mann dich zu vermählen, mit vollen Segeln flog ich dir nach. Doch Unglückes Ungestüm, wie erreicht es, wer Frieden bringt? Die Ernte mehrt’ ich dem Tod: der Wahn häufte die Not! Brangäne Hörst du uns nicht? Isolde! Traute! Vernimmst du die Treue nicht? (Isolde, die nichts um sich her vernommen, heftet das Auge mit wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche.) Isolde Mild und leise wie er lächelt, wie das Auge hold er öffnet; – seht ihr’s, Freunde? Säht ihr’s nicht? Immer lichter wie er leuchtet, Stern-umstrahlet hoch sich hebt? Seht ihr’s nicht? Wie das Herz ihm mutig schwillt, voll und hehr im Busen ihm quillt? Wie den Lippen, wonnig mild, süßer Atem sanft entweht: Freunde! Seht! Fühlt und seht ihr’s nicht? Höre ich nur diese Weise, die so wundervoll und leise, Wonne klagend, alles sagend, mild versöhnend 144

aus ihm tönend, in mich dringet, auf sich schwinget, hold erhallend um mich klinget? Heller schallend, mich umwallend, sind es Wellen sanfter Lüfte? Sind es Wogen wonniger Düfte? Wie sie schwellen, mich umrauschen, soll ich atmen, soll ich lauschen? Soll ich schlürfen, untertauchen? Süß in Düften mich verhauchen? In dem wogenden Schwall, in dem tönenden Schall, in des Welt-Atems wehendem All, – ertrinken, versinken, – unbewusst, – höchste Lust! (Isolde sinkt, wie verklärt, in Brangänes Armen sanft auf Tristans Leiche. Große Rührung und Entrücktheit unter den Umstehenden. – Marke segnet die Leichen.)


Dieser Abdruck des Librettos folgt im Wesentlichen dem gesungenen Text laut dem von Felix Mottl und Gustav F. Kogel eingerichteten Klavierauszug (C. F. Peters, 1914), der Grundlage für die Proben dieser Produktion war. Die Zeichensetzung wurde in Ausnahmefällen an die heutige Rechtschreibung angepasst.


Wilfried Hösl: Fotos der Klavierhauptprobe

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147 Jonas Kaufmann (Tristan), Anja Harteros (Isolde) 148 Opernballett der Bayerischen Staatsoper 149 Anja Harteros (Isolde), Jonas Kaufmann (Tristan) 150 Okka von der Damerau (Brangäne), Manuel Günther (Ein junger Seemann) 151 Anja Harteros (Isolde) 152 Okka von der Damerau (Brangäne) 153 Jonas Kaufmann (Tristan), Anja Harteros (Isolde) 154 Anja Harteros (Isolde), Jonas Kaufmann (Tristan) 155 Sean Michael Plumb (Melot), Anja Harteros (Isolde), Mika Kares (König Marke) 156 Anja Harteros (Isolde), Jonas Kaufmann (Tristan) 157 Jonas Kaufmann (Tristan), Anja Harteros (Isolde) 158 / 159 Jonas Kaufmann (Tristan), Anja Harteros (Isolde) 160 Anja Harteros (Isolde) 161 Mika Kares (König Marke), Jonas Kaufmann (Tristan), Okka von der Damerau (Brangäne) 162 Sean Michael Plumb (Melot), Mika Kares (König Marke) 163 Wolfgang Koch (Kurwenal), Opernballett der Bayerischen Staatsoper, Dean Power (Ein Hirte) 164 Jonas Kaufmann (Tristan) 165 Jonas Kaufmann (Tristan) 166 Wolfgang Koch (Kurwenal), Jonas Kaufmann (Tristan) 167 Wolfgang Koch (Kurwenal), Jonas Kaufmann (Tristan), Opernballett der Bayerischen Staatsoper 168 Jonas Kaufmann (Tristan), Anja Harteros (Isolde)

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TEXT- UND BILDNACHWEISE Die Texte von Elisabeth Bronfen (S. 40), Tobias Janz (S. 68) und Lydia Hartl (S. 82) sind Originalbeiträge für dieses Programmbuch.

S. 3, 5, 7, 9 Videostills aus der Inszenierung © Kamil Polak S. 27–36 und S. 102 – 110 © Valérie Favre und VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Courtesy die Künstlerin und Galerie Peter Kilchmann, Zürich

Susan Sontags Text (S. 52) ist ein Wiederabdruck. Die hier abgedruckte deutsche Übersetzung von Jörg Trobitius stammt aus Susan Sontags Essayband Worauf es ankommt (Fischer Taschenbuch Verlag). © Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München, Wien.

S. 147 – 168 Fotos der Klavierhauptprobe am 14. Juni 2021 © Wilfried Hösl

Die Textausschnitte aus Gottfrieds von Straßburg Tristan auf S. 38, 39, 50, 51, 66, 67, 80, 81, 96 und 97 werden zitiert nach Friedrich Rankes Edition und Übersetzung. © Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart. Der Text von Krzysztof Warlikowski (S. 98) wurde am Rande der Proben aufgezeichnet und ins Deutsche übertragen von Miron Hakenbeck und Lukas Leipfinger. Die Handlung (S. 14): Miron Hakenbeck und Lukas Leipfinger Übersetzung ins Englische (S. 18): Claire Holfelder Übersetzung ins Französische (S. 22): Laurence Orgeret Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion.

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Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechteabgeltung um Nachricht gebeten.


IMPRESSUM Bayerische Staatsoper Staatsintendant Nikolaus Bachler Spielzeit 2020 / 21 Programmbuch zur Neuinszenierung Tristan und Isolde von Richard Wagner im Nationaltheater München Premiere am 29. Juni 2021 Konzept und Redaktion Miron Hakenbeck, Lukas Leipfinger Bildredaktion Dr. Katrin Dillkofer Mitarbeit Sören Sarbeck Gestaltung Bureau Borsche, Mirko Borsche, Robert Gutmann, Stefan Mader, Julian Wallis Satz und Druck Gotteswinter und Aumaier GmbH, München

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