Das Heilmittel gegen Unwiderruflichkeit – dagegen, dass man Getanes nicht rückgängig machen kann, obwohl man nicht wusste, und nicht wissen konnte, was man tat – liegt in der menschlichen Fähigkeit, zu verzeihen. […] Könnten wir einander nicht vergeben, das heißt uns gegenseitig von den Folgen unserer Taten wieder entbinden, so beschränkte sich unsere Fähigkeit zu handeln gewissermaßen auf eine einzige Tat, deren Folgen uns bis an unser Lebensende im wahrsten Sinne des Wortes verfolgen würden, im Guten wie im Bösen; gerade im Handeln wären wir das Opfer unserer selbst, als seien wir der Zauberlehrling, der das erlösende Wort: Besen, Besen, sei’s gewesen, nicht findet. Ohne uns durch Versprechen für eine ungewisse Zukunft zu binden und auf sie einzurichten, wären wir niemals imstande, die eigene Identität durchzuhalten; wir wären hilflos der Dunkelheit des menschlichen Herzens, seinen Zweideutigkeiten und Widersprüchen, ausgeliefert, verirrt in einem Labyrinth einsamer Stimmungen, aus dem wir nur erlöst werden können durch den Ruf der Mitwelt, die dadurch, dass sie uns auf die Versprechen festlegt, die wir gegeben haben und nun halten sollen, in unserer Identität bestätigt, beziehungsweise diese Identität überhaupt erst konstituiert. Beide Fähigkeiten können sich somit überhaupt nur unter der Bedingung der Pluralität betätigen, der Anwesenheit von Anderen, die mit-sind und mit-handeln. Denn niemand kann sich selbst verzeihen, und niemand kann sich durch ein Versprechen gebunden fühlen, das er nur sich selbst gegeben hat. Versprechen, die ich mir selbst gebe, und ein Verzeihen, das ich mir selbst gewähre, sind unverbindlich wie Gebärden vor dem Spiegel. Die Fähigkeiten, zu verzeihen und zu versprechen, sind in dem Vermögen des Handelns verwurzelt; sie sind die Modi, durch die der Handelnde von einer Vergangenheit, die ihn auf immer festlegen will, befreit wird und sich einer Zukunft, deren Unabsehbarkeit bedroht, halbwegs versichern kann.
HANNAH ARENDT
aus: Vita activa oder Vom tätigen Leben
BAYERISCHE STAATSOPER Wolfgang Amadeus Mozart
Idomeneo Dramma per musica in drei Akten - 1781 Libretto von Giambattista Varesco In italienischer Sprache Mit Übertiteln in deutscher und englischer Sprache MÜNCHNER OPERNFESTSPIELE aler l t i g i e d PREMIERE Ihr ngszett u z t e Montag, 19. Juli 2021 Bes Prinzregententheater Musikalische Leitung Constantinos Carydis Inszenierung Antú Romero Nunes Choreographie Dustin Klein Bühne Phyllida Barlow Kostüme Victoria Behr Licht Michael Bauer Mitarbeit Bühnenbild Anna Schöttl Dramaturgie Rainer Karlitschek Chor Stellario Fagone
2020
2021
BESETZUNG
Idomeneo Matthew Polenzani Idamante Emily D‘Angelo Ilia Olga Kulchynska Elettra Hanna-Elisabeth Müller Arbace Martin Mitterrutzner Oberpriester Poseidons Caspar Singh Die Stimme (Orakel) Callum Thorpe Bayerisches Staatsorchester Continuo-Gruppe Violoncello Yves Savary Cembalo Mark Lawson Hammerklavier/Orgel Andreas Skouras Erzlaute/Barockgitarre Thomas Boysen Bühnenmusik Violine Nina Takai, Elisabeth Heuberger Viola Katharina Schmid Violoncello Katerina Yiannitsioty Kontrabass Gabriela Couret González Oboe Katharina Haritonov, Bettina Balke Horn Svenja Hartwig, Irakli Zandarashvili Chor der Bayerischen Staatsoper Extrachor der Bayerischen Staatsoper Opernballett der Bayerischen Staatsoper Statisterie der Bayerischen Staatsoper Technik der Bayerischen Staatsoper
Beginn: 18.00 Uhr Pause nach dem zweiten Akt, ca. 19.45 Uhr Ende: ca. 21.35 Uhr Aus technischen Gründen wird gebeten, während der Pause den Zuschauerraum zu verlassen. Anfertigung der Bühnenausstattung und der Kostüme in den eigenen Werkstätten. Neue Mozartausgabe, Bärenreiter-Verlag Kassel Basel London New York Praha
STAATSOPER.TV: Die Vorstellung am 24. Juli 2021 wird live ab 18.00 Uhr auf www.staatsoper.tv übertragen. Kostenloses Video-on-Demand ab 26. Juli, 19.00 Uhr Die Vorstellung am 24. Juli 2021 wird live ab 18.00 Uhr auf BR-KLASSIK übertragen.
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IDOMENEO
Bayerische Staatsoper Spielzeit 2020–21
WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756–1791) IDOMENEO
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Dramma per musica in drei Akten Libretto von Giambattista Varesco
MUSIKALISCHE LEITUNG Constantinos Carydis
Uraufführung am 29. Januar 1781 im Cuvilliés-Theater in München
INSZENIERUNG Antú Romero Nunes
Premiere am 19. Juli 2021 im Prinzregententheater in München
CHOREOGRAPHIE Dustin Klein BÜHNENBILD Phyllida Barlow KOSTÜM Victoria Behr LICHT Michael Bauer MITARBEIT BÜHNENBILD Anna Schöttl CHOR Stellario Fagone DRAMATURGIE Rainer Karlitschek
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INHALT
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Die Handlung The Story L’Argument
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PHYLLIDA BARLOW Notizen zu Idomeneo
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ALBERT OSTERMAIER idomeneo
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BARBARA ZUBER Im Zeichen der Aufklärung: Mozarts Idomeneo
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ALBERT OSTERMAIER elektra
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JÜRGEN SCHLÄDER Eine erneuerte Musikdramaturgie für das Individuum: Über die Perfektionierung und Innovation einer neuen Opernstrategie in Mozarts Idomeneo
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ALBERT OSTERMAIER idamante ilia
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MARTIN ZIMMERMANN Idomeneo – vom Grundvertrauen in die Macht des Menschen
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ALBERT OSTERMAIER die stimme
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WILFRIED HÖSL Bühnenbildoberflächen / Bühnenperspektiven
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Das Libretto
118
Probenfotos Die Autorinnen und Autoren Nachweise Impressum
140 142 143
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DIE HANDLUNG
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ERSTER AKT Die trojanische Prinzessin Ilia hat es als Kriegsgefangene nach Kreta verschlagen. Sie muss sich eingestehen, dass sie für den kretischen Prinzen Idamante – eigentlich ihr Feind – Gefühle entwickelt hat. Dessen Vater, der König Idomeneo, ist noch nicht aus dem Krieg zurückgekehrt. Zudem glaubt sie, Idamante liebe Elettra, die von ihrer Heimat Argos verbannt auch auf der Insel lebt. Ilia quälen angesichts der Toten ihrer Familie Gewissensbisse, weil sie sich in einen Feind verliebt hat. Gänzlich unerwartet will Idamante den trojanischen Gefangenen die Freiheit schenken. Zudem eröffnet er Ilia seine Gefühle. Doch sie erinnert ihn skeptisch an die verfeindeten Väter. Die Trojaner und die Kreter freuen sich gemeinsam, den langen Konflikt endlich überwinden zu können. Lediglich Elettra, die Idamante liebt, empfindet die Begnadigung ihrer Feinde ihr gegenüber als ehrenrührig. Idamante jedoch hält das für unbegründet. Idomeneos Vertrauter und Berater Arbace überbringt die Nachricht, sein Herr sei als Opfer Neptuns ertrunken. Elettra sieht sich angesichts von Idomeneos Tod ohnmächtig gegenüber Idamante, der nun als Herrscher uneingeschränkte Hoheit hat. Sie empfindet unermessliche Wut gegen Ilia, weil diese ihr Idamante abspenstig macht, und gegen Idamante, von dem sie sich verraten fühlt. Die Besatzung auf Idomeneos Schiff fleht den Meeresgott Neptun an, sie mit seinem Unwetter zu verschonen. Neptun erhört die Bitte, weil Idomeneo schwört, den ersten Menschen, dem er auf dem Festland begegnen werde, zu opfern. Als er endlich wieder festen Boden unter den Füßen hat, ist er zwar erleichtert, fürchtet aber, mit seinem Versprechen zu weit gegangen zu sein: Er wird einen Unschuldigen opfern müssen. Idamante ist verzweifelt über den vermeintlichen Tod seines Vaters. Beide treffen aufeinander. Erst allmählich begreifen sie, wen sie jeweils vor sich haben. Doch die Freude Idamantes über das Wiedersehen mit dem Vater bedeutet für diesen einen Schock: Er muss seinen Sohn opfern. Idamante ist verwirrt, weil ihn sein Vater so schroff abweist. Die erleichterten Kreter danken dem Meeresgott, der sie nicht hat untergehen lassen. ZWEITER AKT Idomeneo gesteht Arbace sein verhängnisvolles Versprechen. Arbace schlägt vor, das Problem vor dem Volk zu verschweigen und Idamante aus dem Land zu schaffen. Er möge auf Argos für Elettra den Thron zurückgewinnen. 7
Die Pläne des Vaters sind für Idamante wenig erfreulich, würden sie ihn doch von Ilia trennen. Doch diese erinnert Idamante an dessen Verpflichtung gegenüber Elettra. Für Ilia unerwartet bietet ihr auch Idomeneo die Hand an, um als Zeichen des Friedens und der Zuneigung an seiner Seite über Kreta zu gebieten. Ilia zeigt sich dankbar, kann aber in Idomeneo nicht mehr als eine Vaterfigur sehen. Idomeneo erkennt, was Ilias sanfte Zurückweisung eigentlich bedeutet: Er glaubt nun, dass Idamante allein aus Liebe zu Ilia die Gefangenen befreit und dadurch erst den Zorn der Götter und den Sturm Neptuns ausgelöst habe. Er richtet seine Wut allerdings gegen Neptun, der ihn, seinen Sohn und Ilia zerstören wolle. Elettra hat erfahren, dass sie zusammen mit Idamante in ihre Heimat zurückkehren soll. Sie baut darauf, mit der Zeit seine Leidenschaft entflammen zu können. Die momentane Windstille verspricht einen guten Zeitpunkt für die Abreise. Aber nur Elettra glaubt, in eine positive Zukunft zu gehen. Plötzlich bedroht ein Meerungeheuer das Schiff. Idomeneo, der den Grund dieses neuerlichen Zürnens Neptuns kennt, klagt den Gott der Grausamkeit an und will sich selbst opfern. DRITTER AKT Ilia gesteht sich inzwischen ein, Idamante zu lieben. Sie überlegt, wie sie sich ihm erklären könnte. Idamante will den Kampf mit dem Seeungeheuer suchen. Im Kampf zu sterben ist für ihn erstrebenswerter, als Ilia für immer verlassen zu müssen und so seinen Liebesschwur nicht einhalten zu können. Zudem glaubt er, hinter der Bedrohung stecke eine verborgene Schuld des Vaters, für die er sich aus Pflichtgefühl opfern will. Das ist für Ilia zu viel: Sie erklärt Idamante endlich auch ihre Liebe. Beide hoffen nun, ihre Liebe werde alle Schwierigkeiten überwinden. Doch die beiden werden von Idomeneo und Elettra überrascht. Idomeneo sieht seine Befürchtungen gegenüber dem Sohn bestätigt. Elettra wiederum fühlt sich betrogen und verraten. Idamante plagen Gewissensbisse, sodass er der Aufforderung des Vaters, endlich aufzubrechen und den Kampf zu suchen, sofort nachkommen will. Ilia will ihm folgen und sterben. Einzig Arbace hofft noch auf die Milde der Götter: Idomeneo und Idamante verdienten Gnade. Der Oberpriester erinnert Idomeneo an seine Pflicht, sich dem Wohl des Volkes zu widmen. Die erzürnten Götter verlangten nach einem Opfer. Der Frieden liege allein in Idomeneos Verantwortung. Wütend verkündet Idomeneo, er werde seinen Sohn opfern. 8
Oberpriester und Volk können die Entscheidung Idomeneos nicht begreifen und beklagen den drohenden Tod des unschuldigen Sohnes. Trotzdem wird das Opferritual vorbereitet. Noch einmal bitten Idomeneo und die Priester Neptun um Milde. Arbace überbringt die vermeintlich freudige Neuigkeit, dass Idamante das Seeungeheuer wagemutig besiegt habe. Doch Idomeneo glaubt, dass dies Neptun nur noch mehr erzürnen werde. Der siegreiche Idamante will sich dem Willen seines Vaters unterordnen und steht als Opfer bereit. Er bittet Idomeneo, Ilia als seine Tochter anzunehmen, selbst wenn sie nicht mehr seine Braut werden kann. Idomeneo will das Opfer vollziehen. Da tritt Ilia dazwischen: Sie will Idamantes Leben gegen ihres eintauschen. Doch dieser weiß, dass das nichts helfen würde, weil der Schwur des Vaters noch immer nicht eingelöst wäre. Sowohl Ilia als auch Idamante sind bereit zu sterben. Eine Stimme verkündet, dass Neptun Idomeneo vergeben habe – doch nicht dem König, sondern dem Vater und Menschen. Er solle daher die Macht an seinen Sohn weiterreichen. Elettra muss sich eingestehen, dass sie niemals die Liebe Idamantes erlangen wird, und stürzt in tiefe Verzweiflung. Ihr Schmerz und die Last des Familienerbes zerreißen ihr Inneres. Sie verliert den Verstand. Idomeneo übergibt geläutert und erleichtert die Königswürde an seinen Sohn Idamante. Endlich besteht die Hoffnung, dass die Verbindung von Ilia und Idamante den Segen der Götter habe und so der Frieden zwischen den ehemaligen Kriegsparteien besiegelt sein möge.
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THE STORY
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ACT 1 The Trojan princess, Ilia, ends up as a prisoner of war in Crete. She admits to herself that she has feelings for the Cretan prince, Idamante – who is actually her enemy. His father, King Idomeneo, has not yet returned from war. Furthermore, she believes that Idamante loves Electra, who lives on the island, exiled from her native Argos. Remorse for the deceased in her family torments her for falling in love with the enemy. Completely unexpectedly, Idamante decides to free the Trojan prisoners, subsequently declaring his love for Ilia. However, she is sceptical and reminds him of their warring fathers. The Trojans and the Cretans celebrate the long-awaited end to the conflict together. It is only a jealous Electra, who loves Idamante, who reacts disapprovingly at his clemency towards her enemies. Idamante, however, sees no reason for this. Idomeneo’s confidant and advisor, Arbace, brings the news that his master has been lost at sea at the hands of Neptune. Electra feels powerless towards Idamante, who now has unrestricted sovereignty as a ruler, as she tries to overcome Idomeneo’s death. She feels immeasurable anger towards Ilia, as Ilia had seduced Idamante away from her, and also towards Idamante for betraying her in such a way. Meanwhile, the crew on Idomeneo’s ship begs Neptune, god of the sea, to spare them of his storm, to which Neptune agrees as Idomeneo swears to sacrifice the first person he meets on the mainland. When they are finally on land, he feels the relief, however he is worried that he took his promise one step too far as he would now have to sacrifice an innocent man. Idamante is devastated at the supposed death of his father. They both meet each other. Only gradually do they realise who they have before them. However, his joy at seeing his father again soon turns into shock for Idamante: he has to sacrifice his son. Idamante is confused as to why his father rejects him so harshly. The relieved Cretans thank the god of the sea that he did not drown them. ACT 2 Idomeneo confides in Arbace and tells him of his fateful promise. Arbace suggests keeping it from the people and trying to remove Idamante from the country. He may regain the throne on Argos for Electra. Idamante is not so amused by his father’s plans as it would mean being apart from Ilia. However, she soon reminds him of his duty towards Electra. 11
Unexpectedly, Idomeneo also offers his hand to Ilia as a sign of peace and affection to rule Crete at his side. Ilia expresses her gratitude, but sees no more than a father figure in Idomeneo. He, however, knows what Ilia’s soft rejection actually means: he now believes that Idamante only set the prisoners free out of his love for Ilia, thus provoking anger among the gods and setting off Neptune’s storm. However, he directs all his anger at Neptune, who wants to destroy him, his son and Ilia. Electra finds out that she is to go back home with Idamante. She hopes to evoke his passion as time passes. A brief pause in the wind offers a chance to set off. But only Electra believes they are heading for a positive future. All of the sudden, a sea monster threatens the ship. Idomeneo, who is aware of the reason for Neptune’s latest anger, accuses the god of cruelty and wants to sacrifice himself. ACT 3 Meanwhile, Ilia confesses her love for Idamante to herself, and tries to work out how to tell him. Idamante wants to fight the sea monster as he feels it is worth dying in battle over having to leave Ilia forever and not being able to keep his vow of love to her. Furthermore, he believes that his father’s hidden guilt lies behind the threat and that he wants to sacrifice himself for this reason. This becomes too much for Ilia: she finally confesses her love to Idamante. Both now hope that their love will conquer all difficulties. However, both are surprised by Idomeneo and Electra. Idomeneo’s fears about his son are confirmed. Electra, on the other hand, feels deceived and betrayed. Idamante is tormented by remorse so much that he immediately wants to set out and seek battle, following his father’s request. Ilia wants to follow him and die. Only Arbace still holds out hope that the gods will have mercy: if the Cretans are carrying the weight of guilt on their shoulders, may the gods take him as a sacrifice. Idomeneo and Idamante, however, deserve mercy. The High Priest reminds Idomeneo of his duty to serve the people and devote himself to their welfare. The angry gods demanded a sacrifice. Peace is solely Idomeneo‘s responsibility, who announces, angrily, that he will sacrifice his son. The High Priest and the people cannot understand Idomeneo‘s decision, and lament the impending death of an innocent son. But preparation for the sacrificial ritual goes ahead. Idomeneo and the priest beg Neptune for leniency one last time. Arbace brings the supposedly joyful news that Idamante has boldly defeated the sea monster. But Idomeneo believes that this will only trigger new reprisals from Neptune. 12
A victorious Idamante is still prepared to take a subordinate role to his father and be sacrificed. He asks Idomeneo to accept Ilia as his daughter, even if she can no longer be his bride. Idomeneo is about to sacrifice his son when Ilia intervenes, asking to exchange her life for Idamante’s. But everyone knows that this would not change a thing as the father’s oath would still not be redeemed. Both Ilia and Idamante are prepared to die. A voice announces that Neptune has forgiven Idomeneo – not as the king but as a father and person. For this reason, he should hand over the power to his son. Electra has to admit to herself that she would never gain Idamante’s love and she falls into deep desperation. Her pain and the burden of the family heritage tear her apart and she loses her mind. Relieved and reformed, Idomeneo hands over his royal standing to his son, Idamante. Finally, there is hope that the marriage will be blessed by the gods, and peace between the once warring parties therefore sealed.
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L ’ARGUMENT
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1ER ACTE La princesse troyenne Ilia est arrivée en Crète comme captive de guerre. Elle doit s’avouer qu’elle a développé des sentiments pour le prince crétois Idamante – en réalité son ennemi. Le père de ce dernier, le roi Idoménée, n’est pas encore rentré de la guerre. De surcroît elle pense qu’Idamante aime Electre, qui vit également sur l’île, exilée loin de son Argos natal. S’être éprise d’un adversaire la ronge de remords, au regard des morts de sa propre famille. Contre toute attente, Idamante veut rendre la liberté aux détenus troyens. En outre, il fait part à Ilia de ses sentiments envers elle. Mais celle-ci, sceptique, lui rappelle l’inimitié entre leurs pères. Ensemble, les Troyens et les Crétois se réjouissent de pouvoir enfin venir à bout de ce long confit. Seule Electre, qui aime Idamante, ressent cette grâce de l’ennemi comme un outrage. Pour Idamante, cette idée est toutefois sans fondement. Arbace, le confident et conseiller d’Idoménée, apporte la nouvelle que son maître s’est noyé, victime de la colère de Neptune. Suite à la mort d’Idoménée, Electre se sent impuissante face à Idamante, qui en tant que monarque, dispose désormais d’une souveraineté sans limite. Elle éprouve une immense fureur contre Ilia qui lui a ravi le cœur d’Idamante, et contre ce dernier, par lequel elle se sent trahie. L’équipage du navire d’Idoménée implore Neptune, le dieu de la mer, de les épargner de sa tempête. Neptune accède à cette demande car Idoménée jure de lui sacrifier le premier être humain qu’il rencontrera sur le continent. Lorsqu’il pose enfin pied sur la terre ferme, il est certes soulagé, néanmoins il craint d’être allé trop loin avec sa promesse : il va devoir sacrifier la vie d‘un innocent. Idamante est désespéré par la mort supposée de son père. Tous deux tombent l’un sur l’autre. Seulement peu à peu, ils prennent conscience de qui ils sont. Mais la joie d’Idamante à ces retrouvailles provoque un choc chez le roi : c’est son propre fils qu’il doit sacrifier. Idamante est interloqué de voir son père le rejeter si abruptement. Les Crétois soulagés remercient le dieu de la mer qui les a sauvés du naufrage. 2ÈME ACTE Idoménée confie à Arbace la funeste promesse faite à Neptune. Arbace lui suggère de dissimuler ce problème au peuple et de faire sortir Idamante du pays. Il pourrait reconquérir le trône d’Argos pour Electre. Les plans de son père ne réjouissent guère Idamante, car ils le sépareraient d’Ilia. Mais cette dernière lui rappelle ses obligations envers Electre. 15
A la surprise d’Ilia, Idoménée lui offre également sa main pour régner sur la Crète à ses côtés en signe de paix et d’affection. Ilia exprime sa reconnaissance, mais elle ne peut plus voir en Idoménée autre chose qu’une figure paternelle. Idoménée discerne ce que signifie en fait le doux refus d’Ilia : il réalise maintenant qu’Idamante a libéré les prisonniers uniquement par amour pour elle, déclenchant ainsi la colère des dieux et la tempête de Neptune. Il dirige cependant sa rage contre Neptune, qui voudrait le détruire avec son fils et Ilia. Electre a appris qu’elle doit, avec Idamante, retourner dans sa patrie. Elle imagine, avec le temps, pouvoir le séduire. Il n’y a actuellement pas le moindre souffle de vent, ce qui est de bon augure pour le départ. Mais seule Electre croit à la perspective d’un avenir heureux. Soudain, un monstre marin menace le navire. Idoménée, qui connaît la raison de cette nouvelle colère de Neptune, accuse le dieu de cruauté et propose de s’offrir lui-même en sacrifice. 3ÈME ACTE Entre temps, Ilia s’avoue à elle-même être éprise d’Idamante. Elle réfléchit à la manière dont elle pourrait s’en expliquer avec lui. Idamante veut affronter le monstre marin. Mourir au combat lui semble plus digne que de devoir quitter Ilia pour toujours et de ne pas pouvoir ainsi respecter son serment d’amour. De plus il lui semble que derrière cette menace pourrait se dissimuler une faute de son père, pour laquelle, par sens du devoir, il veut se sacrifier. C’en est trop pour Ilia : elle avoue enfin à Idamante l’aimer elle aussi. Tous deux espèrent maintenant que leur amour surmontera toutes les difficultés. Mais ils sont surpris par Idoménée et Electre. Idoménée voit confirmées ses craintes envers son fils. Electre, quant à elle, se sent dupée et trahie. Idamante est tourmenté par le remords, si bien qu’il veut immédiatement accéder à la demande de son père de se mettre enfin en route et de livrer le combat. Ilia veut le suivre et mourir. Seul Arbace espère encore en la clémence des dieux : si les Crétois se sont rendus grandement coupables, puissent les dieux accepter son sacrifice. Idoménée et Idamante, par contre, méritent la miséricorde. Le grand prêtre rappelle à Idoménée son devoir, qui est de se consacrer au bien-être du peuple. Les dieux courroucés ont exigé un sacrifice. La paix repose sur la seule responsabilité d’Idoménée. Furieux, celui-ci annonce qu’il va immoler son fils. La décision d’Idoménée est incompréhensible pour le grand prêtre et pour le peuple, qui se lamentent sur la mort imminente du fils innocent. Le rituel sacrificiel est néanmoins préparé. Idoménée et les prêtres sollicitent à nouveau la clémence de Neptune. Arbace 16
apporte la présumée bonne nouvelle de la téméraire victoire d’Idamante sur le monstre marin. Mais Idoménée redoute que cela accroisse encore l’ire de Neptune. Idamante, victorieux, est toutefois prêt à se soumettre à la volonté de son père et il se tient prêt pour le sacrifice. Il demande à Idoménée de prendre Ilia pour fille, même si elle ne peut plus devenir son épouse. Idoménée veut accomplir le sacrifice. Alors, Ilia s’interpose : elle offre sa vie en échange de cette d’Idamante. Or ce dernier sait que cela ne servirait à rien, car le serment de son père ne serait toujours pas honoré. Ilia et Idamante sont résolus à mourir. Une voix annonce que Neptune a pardonné à Idoménée - au père et à l’homme, mais en revanche, pas au roi. Il doit donc abdiquer en faveur de son fils. Electre doit admettre qu’elle ne gagnera jamais l’amour d’Idamante et elle tombe dans un profond désespoir. Sa douleur et le poids de l’héritage familial la broient de l’intérieur. Elle sombre dans la folie. Purifié et soulagé, Idoménée transmet la dignité royale à son fils Idamante. Tous espèrent enfin que le mariage aura la bénédiction des dieux et que la paix sera scellée entre les anciens belligérants.
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PHYLLIDA BARLOW Notizen zu Idomeneo: Vier Strukturen
Meine Antworten auf die in Idomeneo enthaltenen Erzählungen, sowohl auf die musikalischen als die literarischen Themen, geht aus von meiner Faszination für die psychologische und emotionale Beziehung zwischen der Fantasiewelt der Götter – die ihre Macht und Autorität von den Hauptcharakteren erhalten – und der Realität der emotionalen Welten, der jeder der Protagonisten zu entliehen versucht, aber zugleich akzeptieren muss. So ein emotionaler Aufruhr ist eingebettet in einen Rahmen bestehend aus mächtiger Vergangenheit, gefährlicher Gegenwart und ungewisser Zukunft. Es herrschen die Unvorhersehbarkeit der Natur und ein nicht nachlassender halluzinatorischer Glaube an Götter als mächtige Instanz, die es zu verehren und zu besänftigen gilt. Katastrophen fallen zusammen mit fehlendem Mut, sich starke Gefühlen von Liebe und Sehnsucht einzugestehen und sich Betrug und Manipulation entgegenzustellen, sowie mit Unbeweglichkeit, die einen in zerstörerischen Strukturen gefangen hält. Zugleich gibt es Akte der Menschlichkeit: Vorboten einer besseren Zukunft und die Möglichkeit zu Veränderung.
AUSSICHTSPOSTEN Feste Aussichtsposten waren verbreitet um die Küsten Britanniens – hohe Strukturen, an denen man heraufklettern konnte, um eine bessere Sicht auf die See zu bekommen, besonders bei schlechtem Wetter und in Kriegszeiten. – Für mich verkörpern sie die Ungewissheit darüber, was als nächstes kommen wird: zukünftige Ereignisse und die Notwendigkeit von vernünftigem Handeln. Ein Objekt, dass vom Konflikt zwischen Klugheit und Irrationalität erzählt!
WELLENBRECHER Ein Wellenbrecher, der eine menschliche Erfindung zur Kontrolle der Natur darstellt. – Er erzählt von der Macht, mit der die See auf das Land eindringt und wie es diesen Küstenstrukturen sowohl gelingt als auch wie sie daran scheitern, solche Naturkräfte zu bändigen.
FELSEN Symbol unermesslicher Dauer geologischer Zeiträume, eine durchgehend präsente Erinnerung an die Ursprünge der Menschheit. Gleichzeitig drohend mit der Gefahr der Instabilität und der Katastrophe des Zusammenbruchs.
INDUSTRIELLES BAUEELEMENT Zwei ineinandergreifende Konstruktionen – zum Teil Industrieruine und zum Teil Neubau – erinnern an eine beschädigte Vergangenheit, aber auch an die Möglichkeiten, die die Zukunft womöglich bereithält.
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ALBERT OSTERMAIER idomeneo
ich schulde der welt einen toten totgeglaubt spuckt mich das meer aus in den mord an dem sohn der vor dem vater sterben soll das opfer kein trauriges tier hier gerettet ist keine rettung in sicht nur sein gesicht die liebe im blick das ungeheuer ungeheuerlich die tat verrat ich mein blut mit blut dem gott das göttliche beben in der brust begrab ich ihn im herz den schmerz der wiederkehrt welle um welle das wieder und wider die wirklicheit dass er mein toter sein wird
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BARBARA ZUBER
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Im Zeichen der Aufklärung: Mozarts Idomeneo
Der mißversteht die Himmlischen, der sie Blutgierig wähnt, er dichtet ihnen nur Die eignen grausamen Begierden an. J. W. VON GOETHE: Iphigenie auf Tauris Was sind das für Götter, die von einem Menschen in tödlicher Gefahr ein Gelübde verlangen, das ihn zu einer grausamen Tat zwingt. Sie wird sich als so frevlerisch erweisen, dass ihn das Gelöbnis in eine völlig ausweglose Lage bringt. Idomeneo, König von Kreta, auf der Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg in einen fürchterlichen Seesturm geraten, muss Neptun das Versprechen geben, für die Rettung seiner Schiffsbesatzung den Erstbesten, dem er an Land begegnet, dem Meeresgott zu opfern. Es ist Idamante, sein eigener Sohn. Lange, viel zu lange zögert Kretas König, dem Sohn und seinem Volk die Wahrheit über den fatalen Schwur zu sagen. Wie auch immer er sich entscheiden mag: Folgt er dem Imperativ der Vaterliebe, dann verletzt er mit der Rettung des Sohnes das göttliche Gebot. Erleidet Idamante den Opfertod, dann wird Idomeneo ebenso schuldig werden. Sein Zögern provoziert Neptun zu drakonischen Strafmaßnahmen. Blitze eines gewaltigen Unwetters verbrennen das Schiff, das Idamante retten und mit Agamemnons Tochter Elettra nach Argos bringen soll. Ein Meeresmonster verbreitet mit heillosen Verwüstungen Panik und Schrecken unter den Kretern, der schwarze Tod grassiert unter der Bevölkerung. Es liege nun allein an ihm, zu handeln und den Rest seines Volkes zu retten: „Gib Neptun, was ihm gebührt“, verlangt Kretas Oberpriester von Idomeneo. Voller Zorn über seine Ohnmacht, als er erkennt, dass er an eine Grenze des menschlich Zulässigen geraten ist, verrät der Vater den Namen des Opfers. Bis zu dem Augenblick, da Idamante geopfert werden soll, scheint ein tragisches Ende in Giambattista Varescos und Wolfgang Amadeus Mozarts Dramma per musica unausweichlich. DER KORRIGIERENDE EINGRIFF In Antoine Danchets und André Campras Tragédie en musique Idoménée (1712), die Giambattista Varesco, dem Salzburger Librettisten von Mozarts Idomeneo, als Vorlage diente, verliert der König auf Betreiben der Schicksalsgöttin Nemesis den Verstand. Er tötet seinen Sohn und will sich selbst umbringen, als er erkennt, wen er in seinem Wahn ermordet hat. In Prosper Jolyot Crébillons Tragödie Idoménée (1705), die Danchet für Campras Oper umarbeitete, stirbt Idamante von eigener Hand, um das unwiderrufliche Gelübde des Vaters zu erfüllen, mit den Worten: „Dieux, recevez mon sang ; voilà votre victime“ (Götter, empfangt mein Blut; hier ist euer Opfer; 5. Akt, 5. Szene). Derartige unerbitt35
liche Gottheiten waren spätestens seit der Aufklärung um 1750 auf dem Theater nicht mehr zu vermitteln. Und dies verlangte weit mehr als ein Streichen des Prologs und der Götterfiguren, die sich in Campras Idoménée so massiv in die Handlung einmischen, dass die Katastrophe unausweichlich wird. Varesco hat aber nicht nur die fatalistischen Tendenzen in Danchets Opernhandlung eliminiert. Die tragische Kollision, in die sich Idomeneo verstrickt, wird nicht mit einer Katastrophe aufgehoben, sondern in Orientierung an christlichen Diskursen der Aufklärung radikal umgedreht in einen erlösenden Akt der Versöhnung. Völlig überraschend interveniert während des Opferrituals im dritten Akt die trojanische Prinzessin Ilia, die aus Liebe zu Idamante und an seiner Stelle sterben will (Szene 9). Nur ihrem Gewissen verpflichtet, argumentiert Ilia gegen den kretischen Aberglauben, dass eine völlig uneinsichtige Macht über den Menschen sei: „Die Götter sind keine Tyrannen. Ihr alle irrt in der Auslegung des göttlichen Willens.“ Gemessen an der hierarchischen Geschlechterordnung scheint ihr Auftritt geradezu ungehörig: Wie kann eine Frau es wagen, das heilige Ritual der Männer zu stören, und dem König zumuten, dass er sein Wort zurücknehme, und dabei so sicher sein. Hier spricht eine Frau, welche die Lektionen der aufgeklärten Kritik am Aberglauben gelernt hat und sie als Argument einzusetzen weiß. Ihr Motiv ist die bedingungslose Liebe, ihre Waffe die Vernunft – im Gegensatz zu Achill, der mit roher Gewalt droht, als er in Christoph Willibald Glucks Iphigénie en Aulide (1774) mit gezücktem Schwert auf die Bühne stürmt, um die Opferung Iphigenies zu verhindern. Ilias Todesbereitschaft und Lebensgewissheit „zwingt die obere Gnade herbei, indem sie sie fast überflüssig macht“, resümierte Ivan Nagel in seinem Mozartbuch Autonomie und Gnade (1985). „Ihr Ton ist der der Konstanze, der Pamina, Leitfiguren eines neuen Dramas – des Spiels von der Bewährung, vom Anbruch der Autonomie.“ Die Idee der Aufklärung, sich von nicht legitimierbaren Glaubenssätzen und Schicksalsgläubigkeit zu verabschieden, verlangt am Schluss der Oper eine energische Korrektur des bis dahin dramatisierten Mythos über den König von Kreta: Es soll nicht mehr gestorben werden, weder im Namen der Götter noch aus Staatsräson, noch aus Angst vor strafenden überirdischen Mächten. Mythische Ängste werden durch Menschlichkeit und Güte überwunden. Allerdings ist es nicht so, dass Varesco und Mozart erst einmal die Idomeneo-Handlung bis zum Augenblick des angesagten Opfertodes vorantreiben, um dann im letzten Moment nach veralteter Opera-seria-Konvention ein Happy End anzuhängen. Der Faden, an welchem ihre Korrekturen an Danchets und Campras Tragédie en musique aufgehängt sind, spannt sich von der Exposition der Handlung bis zum Ende des dritten Aktes. Von 36
Beginn an ist die Oper überformt und durchdrungen von aufgeklärten Revisionen des französischen Prätextes. Dass dies gelingen konnte, liegt nicht zuletzt am Komponisten. Mozart formte die Figuren als Individuen mit einer musikalischen Differenziertheit geschärfter Emotionen, unterfüttert mit einer enormen Affektenergie der Orchestersprache, deren Modernität und hoher Anspruch um 1781 einzigartig ist. Idomeneo ist Mozarts Durchbruch zu einer neuen Qualität des Musiktheaters. Die Gattung des Dramma per musica wird dabei neu vermessen und in eine neuartige Tragédie en musique im italienischen Gewand umgebaut, eingebunden in einen musikdramatischen Formprozess, der die Szenen der drei Akte im Fluss hält und weit mehr darstellt als eine Symbiose von zwei Operntraditionen, der italienischen und der französischen. In Orientierung an der französisch geprägten Opernästhetik des kurpfälzischen Hofes von Karl Theodor, der 1778 die Nachfolge des bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph antrat, beschließen ein Intermezzo mit Marsch und Chor nach Art eines Divertissements den ersten Akt und ein Ballett mit einer großen Chaconne den letzten Akt. Für den zweiten und dritten Akt schrieb der Komponist große Chor-Solo-Tableaus. Und in der Komposition der Orchestermusik bot er alles auf, was das nach München übersiedelte Mannheimer Orchester, das Beste seiner Zeit, an musikalisch-technischen Errungenschaften erworben hatte. LEIDEN, SEELENSCHMERZ, AUSSERSICHSEIN Es gibt in Mozarts Oper keine Figur, die nicht von erlittenen Leiden, von traumatisch besetzten Erinnerungen an einen zehnjährigen Krieg oder unerträglichem Seelenschmerz und Verlusterfahrungen belastet wäre. Und so wachsen aus der Musik extreme Situationen, durchdrungen von heftigen Affektverstrickungen und widersprüchlichen Gefühlskonfigurationen. Die Areale, in welchen sie sich einnisten, sind nicht allein Solo-, Ensemble- und Chornummern. Vor allem in den vielen hochdramatischen, vom Orchester begleiteten Rezitativen, die den über weite Strecken durchkomponierten Duktus der Oper mitbestimmen, laborierte der Komponist mit einer musiktheatralen Affektkunst, die immer wieder auf der Kippe steht. „Ach, welchen Zwiespalt der Gefühle, ihr Götter, Hass und Liebe, habt ihr mir ins Herz gesät!“ Mitten in Ilias Auftrittsmonolog (Akt I, Szene 1), den Mozart als dramatisches Accompagnato-Rezitativ komponierte, setzt der Komponist im Tempo eines Andante agitato schmerzhafte Stiche synkopisch betonter Oktavsprünge, als sei der Herzschlag der Musik aus dem Rhythmus geraten. Das unruhige Erregungsmotiv, getragen von einem grollenden Streichertremolo, zeichnet das Psychogramm einer Zerrissenen. Und dies noch bevor die Prinzessin ihre 37
verzweifelte Situation auf den Punkt bringt. Ihrem Vater Priamos, der ihr das Leben gab, schulde sie Rache und Dankbarkeit Idamante, der es ihr bewahrte: „Rache schulde ich dem, der mir das Leben gab, und Dankbarkeit dem, der es mir bewahrte …“ Aus dieser doppelten Verpflichtung, weniger aus dem klassischen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung, erwächst das Leiden Ilias, schwankend zwischen widerstreitenden Affekten. Nicht die Raison, nicht die Beherrschung der Affekte, sondern die Sprache des verstörten Herzens, die Mozarts Orchestermusik während des Accompagnato-Monologs seismografisch dokumentiert, bezeugt die Authentizität eines Individuums. Die Orchestermusik als ein Reflex der Gemütsverfassung, in welcher sich Ilia befindet, wird beherrscht von Brüchen und melodischen Ansätzen, die wie fragmentarische musikalische Gedanken auftauchen und verschwinden, weit entfernt von der genormten Stilistik eines Accompagnato. Solche Freiheiten plötzlicher Affektwechsel waren im späten 18. Jahrhundert nicht gerade neu. Dem Komponisten aber boten sie ein willkommenes Experimentierfeld. „Wir haben hier“, diagnostizierte Daniel Heartz, der die Oper für die Neue MozartAusgabe edierte, „Mozarts entschiedensten Versuch, die Scheidewand zwischen Rezitativ und Arie aufzuheben, um unmerklich von einem ins andere überzugehen. Von solchen Experimenten in der Auflösung traditioneller Form ließe sich wohl eine Parallele ziehen zu dem, was vom jungen Goethe und vom jungen Schiller unter dem Banner Shakes peares unternommen wurde.“ Die frappante Nähe von Mozarts obligaten Rezitativen zu den ausdrucksstarken und affektbesetzten Sprechakten der Sturm-undDrang-Dramatik ist erstaunlich. Symptomatisch sind in Elettras Szene vor ihrer Arie „Tutte nel cor vi sento“ (Akt I, Szene 6) heftige theatralische Gesten und eine zerklüftete Melodik der Orchestermusik, nachdem die Agamemnon-Tochter von der Nachricht über Idomeneos vermeintlichen Tod überrascht worden ist. Elettra, die bisher gehofft hat, Idomeneo würde sie bei seiner Rückkehr als Gemahlin für Idamante wählen, ist verzweifelt. Plötzliche Stimmungswechsel, expressive harmonische Progressionen mit chromatischen Gängen sowie unvermutete Affektumschläge mit Umbrüchen der musikalischen Textur signalisieren tiefen Schmerz und rasende Wut, bevor sich der musikalische Wirbelsturm der Emotionen in der Arie „Tutte nel cor vi sento“ noch einmal steigert. Noch nie war bis dahin ein solch entfesseltes Pathos auf der Opernbühne zu vernehmen. Gerüstet mit dem Furor der Eifersucht, begabt mit einer Kraft wilder Affekte, die sie zerstören werden, und unversöhnlich – das ist die Tochter Agamemnons. Mit ihrer unerwiderten Liebe zu Idamante ist sie ein Fremdkörper von Beginn an, eine Frau, die in ihrem Exil auf Kreta nicht heimisch wird. 38
Bis zu ihrer gallenbitteren Abgangsarie gegen Ende des dritten Aktes bewegt sich Elettra in mehreren Schüben auf einer Kurve des emotionalen Auf und Ab, zwischen Eifersucht und Hoffnung auf Liebe, Zuversicht und Verzweiflung, die schließlich an einem point of no return endet. Knappe Trillerfiguren mit harsch betonten Auftakten irrlichtern und vagabundieren völlig losgelassen durch die Violinstimmen von Elettras Arie „D’Oreste, d’Aiace“ (Akt III, Szene 10). Es ist die todbringende Fackel der Erinnye Alekto, es sind ihre züngelnden Schlangenhaare, die Mozart mit einem kruden Realismus chiffrierte. Bald steuert das Orchester einen Akkord an, der spätestens seit Christoph Willibald Glucks Reformopern zum Sigel allen Unglücks und zum Zeichen eines tödlich verletzten Ich erhoben wurde: die Klangchiffre der pathé, der verminderte Septakkord. Genau in diesem Moment greift Elettra nach dem Gedanken, sich umzubringen: „Ein Dolch soll meinem Schmerz ein Ende machen.“ Mehrmals wird die Klangchiffre der pathé auf verschiedenen Stufen vom Orchester aufgerufen, bevor die Harmonik wieder ein sicheres Terrain erreicht. Geradezu grenzsprengend sind hingegen gegen Ende der Arie die plötzlichen, unkontrolliert ausbrechenden Koloraturen. Die Stimme schwankt und wankt hin und her, als sei Elettra im Begriff, nun endgültig ihr seelisches Gleichgewicht zu verlieren. Schließlich schraubt sich der Gesang chromatisch hinauf bis zum hohen C, bevor er in ein schauriges Staccato-Gelächter ausbricht. Sind es allein die Affekte und Zustände des Außersichseins, an denen Elettra in ihrer furchtbaren Größe scheitert? Was die Anthropologie der Aufklärung an den Affekten und Leidenschaften ziemlich störte, das war das Unberechenbare, Maß- und Vernunftlose. Für Immanuel Kant kamen Affekte und Leidenschaften aus einer „Krankheit des Gemüts“. Er urteilte hart: „Leidenschaften sind Krebsschäden für die reine praktische Vernunft und mehrenteils unheilbar.“ Gleichwohl hört man anders hinein in die aufgewühlte Musik. Anders Hören hieße hier, mitten im hellen Licht eines glücklichen Endes die Gefährdung des traumatisierten Subjekts wahrzunehmen. Allein mit sich selbst, ihren Ängsten und der Geschichte ihrer fluchbeladenen Familie fantasiert sich Elettra in die Rolle einer Verfluchten hinein, in die Qualen des Muttermörders Orest und des Selbstmörders Ajax. NACHTSEITEN DER AUFKLÄRUNG: ANGST, OHNMACHT, ENTFESSELTE NATUR Wurden Furien in der Oper angerufen, dann sollten sie Affektschübe der Rache, des Hasses und des Schreckens auslösen. Sie waren Opern-Monster, die man, wenn nicht mit Gewalt oder Zauberei, dann nur mit göttlicher Hilfe außer Gefecht setzen konnte. Für Elettra jedoch, gepeinigt von den Furien und Dämonen ihrer traumatisch besetzten 39
Erinnerungen, gibt es keine Hilfe. Niemand, so ist dem Libretto zu entnehmen, reagiert auf ihren Ausnahmezustand. Es wäre wohl zu einfach, ihre bedenklichen Ausbrüche als Zeichen einer Verweigerungshaltung gegenüber einer neuen Politik der Menschlichkeit und aufgeklärten Staatsführung zu verstehen. Der Ausnahmefall Elettra offenbart die Abgründe der menschlichen Psyche, die Nachtseiten der Aufklärung. Abgründe der Seele, die sich „hinter der geordneten Vernünftigkeit des Miteinander-Umgehens“ verbergen, so der Literaturwissenschaftler Norbert Miller, hatte bereits der französische Aufklärer Denis Diderot erkannt und beschrieben. Wie Mozart machte er sich keinerlei Illusionen über die menschliche Natur. Das Ineinander von befreienden Momenten der Aufklärung und ihren Nachtseiten, das Gegeneinander von Ohnmacht und Hoffnung, dieses komplizierte Mischungsverhältnis bestimmt im Wesentlichen die musikalische Dramaturgie von Mozarts Oper. Nur so ist zu begreifen, warum der Komponist ein Libretto, das sich der Vernunftwelt der Aufklärung nähert, mit einer ungestümen Sturm-und-Drang-Komposition in Musik setzte, wann immer sich eine Gelegenheit bot. Dazu gehören auch erschreckende Einblicke in eine entfesselte Natur, die in den Sturmszenen des ersten und zweiten Aktes Angst und heillose Panik unter den Kretern hervorruft. Nun wurden ja herkömmliche Konzepte einer Naturnachahmung durch Musik, die sich auf einen harmonischen Naturbegriff stützte, schon im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, wenn nicht vollständig verworfen, so zumindest in Frage gestellt. Betrieb die französische Tragédie en musique nach dem Tod von Jean-Philippe Rameau (1764) noch weitgehend das geschönte, idealisierte Angedenken des Erhabenen, so erklärte bereits Christoph Willibald Gluck anlässlich der Uraufführung der französischen Fassung seiner Orpheus-Oper (1774): „Die Musik wird nicht mehr auf die kalten Schönheiten der Konvention beschränkt sein“. Das war nicht nur eine Kampfansage an die französische Klassik. Das Neue in Glucks Reformopern war ja auch, dass der Schauder in der äußeren Natur wie in der inneren Natur des Menschen gesucht wurde. So zum Beispiel in dem Unwetter, das in Gestalt einer wütenden Sturmmusik die Oper Iphigénie en Tauride eröffnet, oder in der bestürzenden Albtraumszene (Akt II), in der Erinnyen das Trauma des Muttermörders Orest wachhalten. In beiden Fällen ist die Ästhetik der geschönten Natur nicht mehr zuständig. Mozart wird noch einen Schritt weitergehen. Die Sturmmusik, die nach Elettras Hass- und Rachetirade „Tutte nel cor vi sento“ übergangslos mit heftigen, a-metrisch gesetzten Forte-Piano-Attacken durch das Orchester wirbelt, wird zur Theaterbühne einer entfesselten Natur, die Elettras heftige Affekte ins Grandiose einer Katastrophe steigert. Der Komponist hat dazu zwei Chöre der Schiffbrüchigen auf40
geboten. Mal roh und schroff, mal völlig ermattet tönen ihre Hilferufe. Wild gebärdet sich die Orchesterkomposition, die zu Beginn gefährlich anrollende und niederstürzende Klangwellen in den Streicherstimmen losschickt und immer wieder den pfeifenden Wind durch die Stimmen der Holzbläser fahren lässt. Noch radikaler wird in der zweiten Sturmattacke (Akt II, Szene 6) die Nachahmung der Natur auf eine Expression des Terrors entfesselter Natur und den unmittelbaren Ausdruck panischer Angst umgepolt. Ihre Wirkungsmacht bezieht die Sturmmusik, die Mozart für Orchester und den Chor der Kreter komponierte, aus der schockierenden Plötzlichkeit, mit welcher tosende Sturmböen hereinbrechen, als Idamante und Elettra das rettende Schiff nach Argos besteigen wollen. Unbegreiflich und brutal ist die erneute Konfrontation mit den gewaltigen Naturkräften, vor denen nicht der Geist – wie in Immanuel Kants Psychologie des Erhabenen (Kritik der Urteilskraft) – sich seiner eigenen Superiorität bewusst wird. Die Kreatur Mensch ist im Begriff, in all ihrer Ohnmacht zu kapitulieren. Sich auf die rettende Vernunft zurückzuziehen, scheint nur möglich, wenn man den Grund für die ungeheuerliche Katastrophe findet: „Um welcher Vergehen willen zürnt der Himmel? Wer ist der Schuldige?“ Vor diesem Augenblick hat sich die Musik des c-Moll-Chores schlagartig in ein rabenschwarzes b-Moll verfinstert, nachdem die Orchestermusik das Meeresungeheuer mit einer chromatisch steigenden Skala an die Oberfläche katapultiert hat. Auch die Angstelemente, welche die Bläser während der Generalpausen des Chores in Gestalt verminderter Septakkorde aussenden, beleuchten das Grauen vor einem schrecklichen Wunderbaren. Vergeblich bietet sich Idomeneo als Opfer dar, um seinen Sohn zu verschonen. Umsonst ist sein Versuch, die schreckliche Katastrophe abzuwenden. Die Gewittermusik tobt mit verstärkter Kraft weiter. Die Kreter ergreifen die Flucht. In Mozarts Oper ist es endgültig vorbei mit dem unterhaltsamen barocken Merveilleux eines Sturmes, den der Windgott Proteus am Ende des dritten Aktes von Campras Idoménée auf die Bühne zauberte, um Idamantes Flucht nach Argos zu verhindern. Ja, man wiederholte sogar im nachfolgenden Entr’acte das Ballett der Matrosen, als sei nichts geschehen. STANDHALTEN, HOFFNUNG, VERSÖHNUNG Welch eine Wandlung! Der rohe, rüde Ton, mit dem der Vater den Sohn seit ihrer ersten Begegnung am Strand von Kreta abgewiesen hat, um sein schlechtes Gewissen wegen des fatalen Schwurs zu verbergen, dieser Ton ist im Dialog zwischen Idomeneo und Idamante vor der Opferung völlig verschwunden (Akt III, Szene 9). „Es ist das zarteste, rührendste und längste Recitativo accompagnato für zwei Sänger“, 41
so der Mainzer Musikwissenschaftler Karl Böhmer, das Mozart „jemals geschrieben hat.“ Doch wie teuer würde die Versöhnung von Vater und Sohn erkauft werden. Versöhnung und Menschenopfer, das Begriffspaar hat den Goût von Himmel und Hölle. Welcher Verzweiflung bedarf es, einen Menschen zu töten, nur, weil eine Gemeinschaft glaubt, dem Gebot einer Gottheit entsprechen zu müssen, um ihren Fortbestand zu sichern. Würde es sich so verhalten, bliebe am Ende nichts anderes als Fatalismus. Idomeneo scheint dies zu akzeptieren: „Vergib mir: Die grausame Pflicht habe ich mir nicht erwählt, sie ist die Strafe des Schicksals.“ Aber er sagt auch: „Die Natur widersetzt sich und lässt es nicht zu“, als Idamante ihn bittet, zum Schlag auszuholen. Und man muss noch einmal fragen, nun mit den Worten des evangelischen Theologen Matthias Köckert über die Opferung Isaaks: „Was ist das für ein Gott, der ein derartiges Opfer fordert? Was ist das für ein Vater, der sich diesem Ansinnen nicht widersetzt?“ In der Abraham-undIsaak-Erzählung des Alten Testaments kann nur Gott den Menschen vor Gott retten. Hier jedoch, in der Oper Idomeneo, wird die Geschichte von Vater und Sohn umformatiert. Die rituelle Tötung wird verhindert durch den Akt der einschreitenden Vernunft und die erlösende Liebe Ilias. Dann erst wird Neptun einlenken und den Orakelspruch entsenden: „Ha vinto amore“ – „Die Liebe hat gesiegt“. Was in Mozarts Idomeneo thematisiert wird, ist eine Idee des Humanen, gemeint als Aufheben von Leid und Überwindung des Falschen durch Aufklärung (mit christlicher Tönung). Denn die menschliche Natur als Quelle des Leidens ist immer auch eine Quelle der Hoffnung auf Veränderung. Ihr Wesentliches heißt Standhalten: Es könnte doch anders sein.
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ALBERT OSTERMAIER elektra
der schatten ist meine zweite haut der atem im dunkel die hitze des herzens erstickt von den lippen der liebenden liebt mich nur der hass im hades meiner sehnsucht ist alles vergangen ohne je gewesen zu sein verwesen verweist dieser körper des krieges sklave töte ich die hoffnung wo das rettende die gefahr wäre der hauch eines du auch ach nur die schmach
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JÜRGEN SCHLÄDER
Eine erneuerte Musikdramaturgie für das Individuum: Über die Perfektionierung und Innovation einer neuen Opernstrategie in Mozarts Idomeneo
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Das musikalisch-dramatische Geschehen in den drei Akten des Idomeneo ist vielfach in theatralen Parallelen und Korrespondenzen organisiert, besonders auffällig am Beginn vom ersten und dritten Akt: In der ersten und zweiten Szene des ersten Aktes stehen Ilia und Idamante einander gegenüber und versuchen, wie es scheint, vergeblich, die durchlebten und immer noch heftig wirksamen psychischen Katastrophen aus dem Ende des großen Krieges und einer lebensgefährdenden Seefahrt in Idamantes Heimat zu ertragen oder gar zu beherrschen. Ilias Empfinden ist vollständig zerrüttet, den Widersprüchen der einzelnen Empfindungen vermag sie sich nicht mehr zu erwehren, geschweige denn, sie zu kontrollieren. Sie schwankt zwischen Hass und Liebe, zwischen Rache, Eifersucht und Dankbarkeit für ihre eigene Rettung. Aus einem solch vielfältigen Widerstreit vermag sie nur ein Phantom zu generieren: den süßen Tod. Für Idamante steht die Angst, den Vater verloren zu haben, im Zentrum seiner Gefühle. Nahezu vergleichbar schrecklich ist der Gedanke, am grausamen Schicksal der Trojaner schuldlos zu sein und doch für Ilia als Kriegsverbrecher zu erscheinen, der als Sieger nun dreist ein Zeichen der Liebe von der Prinzessin erwartet. Die seelische Zerrüttung sitzt bei beiden tief, denn Ilia weiß um ihr krasses moralisches Vergehen, den Aggressor zu lieben, und Idamante kennt, nach der fälschlichen Nachricht von Idomeneos Tod auf See, seine Verpflichtung, für die Schuld der tyrannischen Götter Mars und Amor büßen und sich als stellvertretendes Sühneopfer das Leben nehmen zu müssen, wenn Ilia es verlangt. Die doppelte Problematik des Gefühlswirrwarrs scheint unlösbar, aber die Freude der von Idamante soeben freigelassenen trojanischen Gefangenen überdeckt für Augenblicke den feindseligen Konflikt und verschiebt dessen Lösung auf später. Rezitativ und Arie für beide, Ilia wie Idamante, sind die formalen Mittel, in denen diese kaum lösbaren Konfliktspannungen musikdramatisch zur Sprache gebracht werden. Die Arienformen sind freilich weit entfernt vom formalen Standard der Arienkomposition um 1780. Die sprunghaften Gedanken und Assoziationen, die im Librettotext scheinbar unkontrolliert aufbrechen, sind in einer ebenso auf Verkettungen mehrerer Motive gestalteten Komposition eingefangen, sodass der psychische Zustand der Figuren in der musikalischen Formanlage gespiegelt wird. Komplexer noch als in Ilias Arie werden in Idamantes Soloauftritt fünf verschiedene Tempi mehrfach wiederholt und immer wieder neu verknüpft – als Spiegelbild des Seelenaufruhrs und der sprunghaften gedanklichen Reflexionen der Figur. Nicht einer festgeschriebenen Form folgt in beiden Auftrittsarien die musikalische Interpretation von Text, szenischer Situation und dramatischem Augenblick, sondern in sprunghaft und in höchster Erregung geäußerten 49
Empfindungen und Gedanken – eine ungewöhnlich ausführliche und ästhetisch innovative Eröffnung der dramatischen Handlung, die immerhin als Exposition des gesamten Musikdramas gilt. Der dritte Akt beginnt mit einer vergleichbaren Konstellation, freilich unter gewandelten Umständen und Bedingungen und folgerichtig mit einem im Vergleich zum Beginn des ersten Aktes veränderten Gefühlsrausch. Der Schauplatz ist verlegt von Ilias Gemächern im feindlichen griechischen Königspalast in die freie Natur, in den königlichen Garten. Die Erwartungshaltung der beiden Liebenden hat sich grundlegend verändert. Ilia ist sich ihrer Liebe zu Idamante nun sicher, aber sie kann sie ihrem Geliebten immer noch nicht unvermittelt gestehen. Deshalb beauftragt sie die sie umgebende Natur, die schmeichelnden Frühlingswinde und die Blumen und Bäume, ihre Gefühle als Boten dem Geliebten zu übermitteln. Doch die Gewissheit des Gefühls bricht erneut zusammen, wenn ein zweites Zusammentreffen mit Idamante überraschend in der Realität bevorsteht. Die neue Begegnung mit dem Geliebten stürzt die trojanische Prinzessin wieder in Seelennot, die erst durch die gegenseitige Versicherung unverbrüchlicher Liebe besänftigt und schließlich aufgelöst werden kann. Das nachfolgende Duett wird in mehreren Phasen gesteigerter melodischer und satztechnischer Annäherung der beiden Sopranstimmen in einem eigens für diese Strategie vorgeschalteten Accompagnatosatz vorbereitet, ehe der homophone Duett-Satz im Terzabstand der Vokalstimmen einsetzt. Mozarts musikdramatische Strategie liegt auf der Hand: die durch Einsicht und Vertrauen gestützte Zuwendung der beiden Liebenden als Ziel eines intensiven Gefühls- und Erlebnis-Prozesses auszustellen und auf diese Weise die Unverbrüchlichkeit der Liebeserfahrung musikdramatisch zu beglaubigen. Da diese Kompositionen, weder die drei Arien vom Beginn des ersten und des dritten Aktes noch das Duett im dritten Akt, einem formalen Muster folgen, lässt sich allein an diesen vier Nummern und ihrer musikdramatischen Bezugnahme aufeinander die Individualisierung der Figurencharaktere ebenso verfolgen wie die realistische Abbildung handelnder Personen und der beständigen Veränderung ihrer Beziehungen zueinander. Auch die kompositorische und dramaturgische Qualität dieser Handlungseröffnung bricht mit der Gewohnheit der Opera seria, zwei Liebhaber um die Gunst einer begehrenswerten Frau mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln streiten und kämpfen zu lassen. Idamante ist, im Gegenteil, der Einzige, der die in Gefangenschaft geratene Prinzessin Ilia begehrt. Sein „Gegenspiel“ – wenn man so will – wäre in vergleichbaren Handlungszusammenhängen dieser Operngattung einerseits besetzt durch seinen Vater Idomeneo, der jedoch in Mozarts Oper schwer genug trägt an der selbstverschuldeten Versündigung 50
an seinem Sohn, den er töten muss, und andererseits durch die griechische Prinzessin Elettra, eben jene mit Zauberkräften begabte Frau, die Idamante ebenfalls begehrt und ihn dank ihrer Zauberkräfte, mithin ohne jedes begründete Herzensbedürfnis, an sich binden will. Die Verschiebung der Figurenbeziehungen gegen die Gewohnheit in SeriaOpern zeitigt deshalb im zweiten und vor allem im dritten Akt innovative, zumindest ungebräuchliche musikalische Ensemble-Konstellationen, von denen das Quartett im dritten Akt in mehreren Aspekten von den gewohnten formalen wie inhaltlichen Dispositionen einer Seria-Oper abweicht: Zum einen sind die Stimmfächer im Quartett keineswegs nach den Regeln eines durchorganisierten mehrstimmigen musikalischen Satzes eingesetzt, sondern oberstimmenlastig – drei Soprane gegen einen Tenor. Klangfarblich wurden freilich in der Münchner Uraufführung 1781 durch den Einsatz eines Kastraten für die Rolle des Idamante zumindest die denkbaren klanglichen Nuancierungen der dreifach besetzten Sopranlage ausgenutzt, was sich auch im Duett von Ilia und Idamante im dritten Akt vorteilhaft einsetzen ließ. Zum andern tritt eigens als vierte Stimme im Quartett Elettra auf, obgleich ihr Beitrag zum musikalischen Dialog mit einigen wenigen Apartes vor und im Quartett und kurzen Rezitativ-Passagen nach dem Quartett kaum der Rede wert ist. Freilich wird in diesen Momenten ihre ausweglose Lage besonders scharf pointiert, denn sie kann stets nur auf Äußerungen und Ereignisse reagieren, aber keinen eigenen Handlungsspielraum schaffen oder gar eine Absicht, geschweige denn eine Strategie entwerfen. Und zum dritten wird am Ende des Quartetts der personale dramatische Zusammenhang ungewöhnlich drastisch gesprengt, denn nach der Quartett-Reflexion vor allem über Idamantes Ausweglosigkeit („Ich geh’ ins tiefste Elend“) sind die Verbliebenen Idomeneo, Ilia, Elettra und der soeben aufgetretene Arbace von der allgemeinen Katastrophe und Idamantes unausweichlichem Tod überzeugt. Arbace resümiert, allein zurückgeblieben, in bemerkenswerter seelischer Anspannung die aktuelle Lage und seine Lösungsvorstellung: Wenn Kreta mit seinen Menschen untergehen muss, dann soll es so sein, aber der König, Idomeneo, muss von den Göttern und dem Orakel verschont bleiben – modern gesprochen ein typischer Cliffhanger vor dem Opern-Finale, aber auch die Konzentration der Handlungsführung und der szenischen Effekte auf die Titelfigur und ihre seelischen Leiden, eben auf Idomeneo und nicht auf den einzigen Liebhaber in der dramatischen Handlung, Idamante, und sein Heldenopfer als vermeintlichen Weg zur Rettung. Kaum integrierbar in die Figurenkonstellation des Liebespaares und der Vater-Sohn-Beziehung ist Elettra, weil sie konsequent als Furie konzipiert ist mit lediglich eindimensionalen Ausdrucksmöglich51
keiten: Schande, Qualen, Schmerz und Unheil sind die wichtigsten, mehrfach wiederholten Empfindungen ihres ersten Soloauftritts, der den Charakter für die gesamte Handlung festlegt. Die geifernde Sprache, durch beständige Dreifach-Wiederholungen von kurzen Satzelementen als rasend charakterisiert, bildet ein singuläres Beispiel der ungezügelten und Hass predigenden, fortschreitenden Anklage an die Menschen wie die Götter. Elettras Racheschwüre bleiben freilich folgenlos, sodass sie letztlich als dramaturgische Hilfsfigur erscheint, um Idamantes (dennoch scheiternde) Abfahrt aus Kreta zu motivieren und zugleich die negativ besetzte Gegenfigur zu Ilia darzustellen. So klug der Plan erschien, mit Idomeneos Zustimmung dessen Sohn zur Regelung der Herrschaftsstreitigkeiten in ihrer eigenen griechischen Heimat aus Kreta und somit aus Ilias Nähe fortzulocken, wird er durch ein schreckliches Naturereignis verhindert: Ein neuerlicher Sturm mit schweren Regenfällen und der Erscheinung eines menschenfressenden Meerungeheuers vereitelt zugleich Elettra Absicht, Idamante für sich zu gewinnen, und Idomeneos kühne Idee, den Sohn zu retten vor der Hinrichtung, die er, Idomeneo, gemäß seines Schwurs an Idamante ausführen müsste. Neptun lässt sich halt nicht betrügen. Anders als Ilia und Idamante, auch verschieden von Idomeneo erfüllt Elektra in allen drei Arien – in jedem Akt eine – das festgelegte Charakterbild der Furie, besonders hasssprühend und rasend in der letzten Arie des dritten Aktes, in der sie sich selbst verdammt zu ewigen Qualen und Tränen. Für das Uraufführungspublikum war dieser Arientypus am Ende der Handlung keine Überraschung, weil sich in den Karnevalsopern des voraufgegangenen Jahrzehnts stets solche extremen Vokalnummern fanden, die im Übrigen nicht auf das Finale des letzten Aktes beschränkt waren, aber bezeichnenderweise in weit überwiegender Zahl für weibliche Figuren geschrieben waren und somit einen eigentümlichen und für das Publikum besonders attraktiven Finaleffekt darstellten. Das musikalische Glanzstück der Oper schrieb Mozart – natürlich, möchte man sagen – für die Titelfigur: Diese Aria di bravura im zweiten Akt (Nr. 12) war das großartige Vorzeigestück der gesamten Komposition, aber sie war auch individuell zugeschnitten auf die sängerischen Fähigkeiten von Anton Raaff, dem prominentesten und über Jahrzehnte wohl auch besten Tenor im deutschsprachigen Bereich und in Süditalien. Mozart kannte die großen Fähigkeiten dieser Tenorstimme ebenso wie die schwächeren Register und verhalf durch seine Komposition und die Gesamtdisposition dem Tenor zu einem fulminanten Erfolg bei der Idomeneo-Premiere in München. Aber Mozart war gerade bei dieser Arie nicht allein auf die vokale Leistung konzentriert, sondern stilisierte die Nummer auch als Glanzstück seiner eigenen 52
Kompositionskunst: Die Besetzung war mit je zwei Flöten, Oboen, Fagotten, Hörnern und Trompeten ausdrücklich symphonisch konzipiert, und diese symphonische Attitüde findet sich auch in den motivischen Verarbeitungstechniken, den überraschenden Modulationen, etwa im Mittelteil, und einer sehr anspruchsvollen kompositorischen Satztechnik für den Orchesterpart. Einerseits steigerte Mozart in dieser Arie den Ausdruck der Musik in kaum gekannte Bereiche der Perfektion, auch für die Vokalpartie des Tenors, andererseits übertrug der Komponist den musikdramatischen Kern der Arie, Verzweiflung und seelischen Aufruhr abzubilden, dem Orchester, das wesentlichen Anteil hatte an diesem unbestrittenen und bei aller Bekanntheit des Arientypus doch neuartigen und glanzvollen Höhepunkt der gesamten Komposition. Im vorangestellten Rezitativ wird Idomeneos ausweglose Lage delikat umrissen, sodass die Titelfigur eine verworrene seelische Empfindung rekapituliert: Liebt Ilia Idamante, liebt Idamante Ilia oder liebt Ilia gar ihn, Idomeneo? Und was empfindet der König selber für Ilia? Im Rezitativ bleiben die Empfindungen noch in der Schwebe: drei Opfer auf dem Altar, den einen (Idamante) tötet das Schwert, die beiden anderen (Idomeneo und Ilia) der Schmerz. Aber welcher Schmerz, der des Verlusts von Idamante, Sohn und Geliebtem? Und auch das treffende Bild vom Schiffsbruch des Herzens klärt nicht restlos Idomeneos Gefühle und Hoffnungen. In jeder Beziehung, musikalisch wie dramatisch, bildet diese Arie das Zentrum einer komplexen Figurenhandlung. Diese wenigen, aber herausragenden Beispiele der farbenreichen und wirkungssicheren Arien und Ensembles belegen Mozarts kompositorische und dramaturgische Überlegenheit gegenüber zeitgenössischen Konkurrenten des vergangenen Jahrzehnts und seiner unmittelbaren Gegenwart. Gerade die individuelle Ausgestaltung der szenisch-dramatischen und formalen Zusammenhänge einzelner musikalischer Szenen beweist Mozarts Souveränität in der musikalischen wie theatralen Disposition. Vor allem die Beispiele individualisierter musikdramatischer Kennzeichnung von szenischen Konstruktionen, Figurenhandlungen und Dialogführungen belegen den ungewöhnlich hohen Standard der kompositorischen und dramaturgischen Ideen sowie der Singularität von Figurenrede und musikalischem Einfallsreichtum. Alle Figuren besitzen ihre spezifische charakterliche Individualität, ihre differenzierte Reaktionsweise auf Krisen und Glücksmomente und ihre Fähigkeit zur Kommunikation. Es gibt gleichsam keine figürlichen Standards, wenn man von der einschränkenden HassAttitüde der Elettra absieht. Aber auch sie besitzt das Potenzial der Reflexion und der präzisen Verortung ihres eigenen Standorts; nach ihrer letzten Arie wird sie auf der Opernbühne – strenggenommen – in 53
neuen dramatisch-theatralen Zusammenhängen nichts mehr zu suchen haben. Gleichwohl bleibt das Bild der menschlichen Furie tief im Gedächtnis. Auch dies ist eine individuell notwendige und einleuchtende Facette der theatralen Welt. Freilich griff Mozart vor allem an den Aktschlüssen auch zu konventionellen musikalisch-szenischen Formen, die er routiniert beherrschte und als klingende Garnitur der Massenszenen einsetzte. Zwischen dem ersten und zweiten Akt fügte er gar ein szenisch ausagiertes Intermezzo in drei Teilen ein, um Idamantes schmerzerfüllte Abgangsarie wegen der abweisenden Haltung des Vaters am Ende des ersten Aktes zu konterkarieren durch die Freude der kretischen Frauen und der heimgekehrten Krieger. Gerade die unausweichliche menschliche Katastrophe Idomeneos, der nach Neptuns Willen seinen eigenen Sohn töten muss, gewinnt erst im Kontrast mit den nachfolgenden Chorpassagen die Schärfe seines menschlichen Elends. Gleichsam die Fortsetzung dieser Figurenkonstellation und theatralen Aktion in Idamantes bevorstehender Hinrichtung durch den Vater füllt das Finale des dritten Aktes, das jedoch im allerletzten Augenblick durch Ilia gewandelt wird in einen Aufschub der Hinrichtung, die dann vom Orakel vollends kassiert wird. Diesmal schließt die theatrale Handlung gar mit einem kompletten vierteiligen Ballett. Die dramatischen Ereignisse am Ende des ersten und dritten Aktes finden musikalisch und theatral ihre Entsprechungen in der Übersteigerung der Familienfreude durch ein offizielles Ritual, das Neptuns Rache zunichtemacht durch eine glanzvolle Inthronisation des neuen Königs und seiner Königin. Zwischen diesen gerade noch erreichten Glücksmomenten der einzelnen Figuren und der Chor- und Ballett-Kollektive erfolgt im Finale des zweiten Aktes der tiefste Absturz, der sich denken lässt: auf der Ebene der Figuren die Verhinderung von Idamantes Reise nach Griechenland und die Vereitelung seiner Verbindung mit Elettra, im Volkskollektiv die tödliche Bedrohung durch das Meerungeheuer. Für das Münchner Publikum waren diese Effekte neu und offenbar sehr willkommen als Innovationen einer Opernaufführung, die nicht nur durch Gesangskunst und musikalische Intensität sowie eine abwechslungsreiche dramatische Handlung Furore machte, sondern ein strukturelles Moment der Opernaufführung, die musikalische Untermalung von Bühnenaktionen, erstmals in diesem szenischen Umfang und vor allem in der für Mozart selbstverständlichen kompositorischen Brillanz präsentierte. Die Perfektion der Figuren-Individualität wurde auf diese Weise künstlerisch hochwertig in den Aufführungsmodus einer dramaturgischen Systematik der spektakulären Theaterszenen eingebunden. Idomeneo ist zweifelsfrei eine „Opera seria“, aber eine „sui generis“ – in einer eigenen Liga der musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten. 54
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ALBERT OSTERMAIER idamante
an dieser küste wurde ich zum fremden dem vater gleicht welle der welle gleiche ich ihm nicht mehr in seinem gesicht nicht meine züge nur entsetzen als wäre ich ein ungeheuer das aus dem wasser steigt mit rotem schaum vor den lippen und blut im auge der mein herz aus der brust riss hätte ich es nicht längst verloren so bleibt dem vater nur ein stein mit dem er mich erschlagen mag seine schuld zu begleichen mit mir als opfer dem gottlosen gott den sohn zur sühne ist meine zukunft dir der tod
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ALBERT OSTERMAIER ilia
der vater mir vater sagt er und will die liebe töten die mein leben ist in seiner hand sind meine gebunden der vogel kann in der faust nicht fliegen die federn im dunkel nur leiden sehe ich kein licht es bricht das herz doch gebrochen ist es nicht der flügel der die sonne sucht und seine nähe fliehen soll er den fluch durch flucht mich trifft er und war längst getroffen der pfeil ist ein teil von mir die spitze nehm ich mir die adern dir zu öffnen bis alles im fluss ist wieder dass schicksal lässt keine andre wahl als diese qual quäle dich nicht es wählte mich für uns gibt es keinen gott der er es wende das blatt fällt
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MARTIN ZIMMERMANN
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Idomeneo – vom Grundvertrauen in die Macht des Menschen
Auf den ersten Blick scheint Idomeneo in Mozarts Oper auf tragische Weise in ein böses Schicksal verstrickt zu sein: Der in höchster Lebensgefahr und zur Abwehr des eigenen Untergangs geleistete Schwur an den Gott Neptun (bei den Griechen Poseidon), die erste Person, die ihm bei seiner Rückkehr begegnet, dem Gott zu opfern, zwingt Idomeneo seinen eigenen Sohn zu töten, den er doch so sehr liebt. Doch ganz so einfach haben weder Giambattista Varesco in seinem Libretto noch Mozart in seiner Komposition die Sache verstanden. Und damit stehen sie in einer schon in der antiken Literatur begründeten Tradition, die trotz aller Bewunderung für die Helden der Frühzeit sehr kritisch über sie richtet und einem alten Regime zurechnet, das zwar mit aller Gewalt um seine Macht kämpft, aber letztlich zum Untergang verdammt ist. Die ältesten Spuren der mythischen Gestalt des Trojakämpfers Idomeneus finden sich im 7. Jh. v. Chr. in der Ilias Homers. Idomeneus gehört hier zur ersten Riege der großen griechischen Helden, welche die Stadt belagern. Sein Großvater war der bedeutende König Minos, der im Palast von Knossos das Monster des Minotaurus halten musste. Das Untier war von seiner Frau Pasiphae geboren worden, Ergebnis der Sodomie mit einem Stier. Regelmäßig waren ihm Jungfrauen aus Athen zu opfern, ein entsetzlicher Fluch, den erst der Held Theseus mit der Tötung des Minotaurus löste. Idomeneus war also wie Minos ein Nachfahre des Göttervaters Zeus und mütterlicherseits des Sonnengottes Helios. Er gehörte mit dieser göttlichen Abstammung folglich in die Frühgeschichte der griechischen Welt, die zeitlich wenige Generationen nach dem Sieg der Götter über die Giganten spielte. Idomeneus führt in den Epen Homers als kretischer König und Herrscher über 100 Städte eine beachtliche Flotte von 80 Schiffen gegen Troja an. Wie Achill und die anderen Helden ist er trotz seines höheren Alters und „obschon halb ergraut“ (Ilias 13, 361) ein gnadenloser Kämpfer, ein echter Handwerker des Nahkampfes, der den Beinamen „der speerberühmte“ nicht umsonst trägt. So tötet er dreizehn Gegner mit seinen Speeren, hat schon die erbeuteten Waffen von 21 Männern in seinem Zelt gehortet und ist schließlich einer der Auserwählten, die sich im Bauch des hölzernen Pferdes in Troja einschleichen, um im Überraschungsangriff möglichst viele Bewohner niederzumetzeln. Poseidon, der sich wie die anderen Götter immer wieder in anthro pomorpher Gestalt in das Geschehen einmischt, kämpft gelegentlich gar Seite an Seite mit ihm gegen die Trojaner (Ilias 13, 210-239). So behütet vom Meeresgott kehrt Idomeneus nach dem Krieg mit all seinen Männern nach Kreta zurück, „und keinen hat ihm das Meer geraubt“, wie es in der Odyssee heißt (Odyssee 3, 191). Für das Verständnis der in Ilias und Odyssee erzählten dramatischen Ereignisse ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass nach 65
der Vorstellung der Griechen die Epen nicht erdichtetes Geschehen wiedergaben, sondern tatsächlich ihre Frühgeschichte erzählten. Sie bildeten den historischen Urgrund ihrer Gemeinschaften ab, weshalb die selbst erlebte Gegenwart in diese Tradition einzuordnen und anzuknüpfen war. Das war zunächst ganz unproblematisch: Als die Ilias und die Odyssee im Laufe des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. ihre endgültige literarische Redaktion erfuhren, spiegelten sie das Selbstverständnis jener Adligen, denen die Verse vorgetragen wurden. Sie erfuhren von Vorzügen, Fehlern und Tugenden ihrer Vorfahren, deren Leben und Taten ihrem eigenen glich, aber zugleich in eine Zeit datierte, die ungefähr 500 Jahre zurücklag, also um 1200 v. Chr. spielte. Die Helden waren die einstmaligen Adligen, genannt Könige („basileis“), Anführer der Städte und Inseln. Freilich war die griechische Welt während dieses halben Jahrtausends in starkem Wandel begriffen. An die Stelle der Königsherrschaft traten andere Formen politischer Verfassung. Neben der gemeinsamen Herrschaft mehrerer Adliger entwickelte sich zumindest in Athen ein bürgerliches Selbstverständnis, das schließlich um 500 v. Chr. die Entstehung der Demokratie zur Folge hatte. Mit diesen Veränderungen waren die Königsherrschaften obsolet, und die Macht in den Händen einzelner galt als Tyrannis im übelsten Sinne. Und etwas anderes kam hinzu: Mit dem Wandel der Verfassungen, mit der Entfaltung eines neuen politischen Lebens und Selbstverständnisses wagte man sich daran, über die Götter und ihre Rolle nachzudenken. Schon im 6. Jh. v. Chr. behaupteten Gelehrte selbstbewusst, die Götter seien eine Erfindung der Menschen und die Monster, von denen man in den alten Geschichten erzählte, seien schlicht ausgedacht. Entscheidend daran war nicht, dass man die Götter etwa abschaffen wollte oder grundsätzlich ihre Existenz bestritt, sondern dass man Möglichkeiten entdeckte, die Geschichten der Frühzeit auch anders zu erzählen und für sich selbst neue erzählerische Spielräume zu entwickeln, die auch im politischen Alltag neue Handlungsoptionen aufzeigten. Über diese Jahrhunderte zeigte sich nun, dass die Mythen mit Bedeutung aufgeladene alte Erzählungen waren, oder, wie es der große Altertumswissenschaftler Walter Burkert ausgedrückt hat, „eine traditionelle Erzählung mit einer sekundären, partiellen Bezugnahme auf etwas von kollektiver Wichtigkeit“. Diese Bezugnahme war zwar historisch an jene Zeit gebunden, in der man den Mythos erzählte. Sie musste zugleich für nachfolgende Generationen nachvollziehbar bleiben, sollten die Mythen für die Zeitgenossen weiterhin ihren historischen Wert behalten. Und das hieß nichts anderes, als die alten Erzählungen fortan immer wieder mit neuen, abgewandelten Inhalten zu füllen, die dem eigenen, sich über Generationen sich ständig wan66
delnden Wahrnehmungshorizont sowie dem eigenen Zeitverständnis entsprachen. In den Tragödien etwa des 5. Jahrhunderts v. Chr. wurden daher diese alten Stoffe wieder und wieder um neue Nuancen bereichert und aktualisiert. Die Macht der Götter blieb dabei unbestritten, und vor allem Zeus als Gott des Rechts fiel weiter die letzte Entscheidung zu. Aber man lotete zugleich die Spielräume der Menschen neu aus. So hat beispielsweise Aischylos in seiner Orestie vorgeführt, dass die Macht der Rachegöttinnen (griechisch: Erinnyen), die man sich als alte stinkende und eitrige Wesen vorstellte und die im Mythos eine nie endende Kette von Morden und Rachemorden inszenierten, durch menschlichen Urteilsspruch zu brechen war – eine Anspielung auf die in dieser Zeit mächtigen Geschworenengerichte Athens. Dass die griechischen Tragödien bis heute interessant und spielbar sind, liegt nicht zuletzt im sich hierin spiegelnden neuen Selbstbewusstsein von Literatur und Philosophie. Es zeigt sich: Jeder Mythos findet auch immer in der Gegenwart seiner Erzählung statt. Auch die Geschichte von Idomeneus wurde nun neu erzählt und in verschiedenen neuen Varianten durchgespielt. Da ein im antiken Griechenland umlaufendes Sprichwort behauptete, die Kreter seien alle Lügner, man dürfe ihnen nicht trauen, wird Idomeneus zum Urbild des lügenden Kreters. Er habe schon zu Beginn des Krieges unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ein gemeinsames Oberkommando mit Agamemnon erschleichen wollen und später bei der Beuteverteilung vor Troja getrickst. Aus dem Helden wird folglich ein zweifelhafter Charakter, weshalb nun auch seine Rückkehr nicht mehr so reibungslos verläuft, wie einst bei Homer geschildert. In einer Variante soll während des Trojanischen Krieges ein Mann namens Nauplios die Herrschaft in Kreta okkupiert und den Sohn des Idomeneus zum Ehebruch mit seiner Mutter verführt haben, um sie schließlich mit ihren Söhnen zu töten. Idomeneus selbst sei vertrieben worden, war mithin nicht der strahlende homerische Held, sondern ein gehörnter Ehemann und ein Schwächling. Mit Blick auf die Oper Mozarts und das Libretto Giambattista Varescos ist von Interesse, dass uns nun im 2. / 1. Jahrhundert v. Chr. auch erstmals die Geschichte begegnete, Idomeneus sei in einen Seesturm geraten, und habe darauf Poseidon geschworen, die erste Person zu opfern, die er bei Landung antreffen werde. Dies sei unglücklicherweise sein Sohn gewesen. Ein Motiv, das im Übrigen auch im Alten Testament um den Richter Jephtha erzählt wurde. Die Folge des Schwurs von Idomeneus wird in zwei verschiedenen antiken Versionen erzählt, die beide ein neues Bild des Helden zeigen. Sie sind im Kommentar des Servius zu Vergils Aeneis überliefert. In der ersten Variante opfert er tatsächlich seinen Sohn und wird darauf von der 67
Bevölkerung Kretas wegen seiner Grausamkeit vertrieben. In der zweiten will er den Sohn töten, vollzieht das Opfer aber nicht, weshalb eine Pest ausbricht und er als Schuldiger wegen seiner Gottlosigkeit die Insel verlassen muss, also ebenfalls seine Herrschaft verliert. Er zieht reumütig weiter nach Italien, gründet dort Heiligtümer und Städte. Um einen mythischen Gründer positiven Charakters zu zeichnen, schildert man ihn als Helden, der die Opferung des Sohnes nicht vollziehen kann und deshalb in der Heimat Kreta seinen Thron verliert. In dieser Version wird folglich die Erklärung dafür gegeben, dass sich italische Städte und Kulte auf ihn als Gründer zurückführen können. Für die Konzeption des Idomeneo im 18. Jahrhundert ist jedoch die erste Variante von größerem Interesse. Hier erscheint Idomeneus als brutaler Kämpfer, der es sogar in Kauf nimmt, für den Erhalt der Herrschaft seinen eigenen Sohn abzuschlachten. Das kretische Volk ist aber nicht mehr bereit, einen solchen Gewaltakt zu dulden und vertreibt den König. Er erscheint gewissermaßen als unglaubwürdige und selbstsüchtige Figur einer anderen Zeit, denn offenbar hält das Volk den Schwur gegenüber Poseidon nicht mehr für bindend. So wenig, wie man sich vor dem Schrecken des Machogottes Poseidon fürchtet, so wenig kann man das Verhalten des Idomeneus nachvollziehen, weshalb er seinen Thron verlieren muss. Man erwartet von ihm, dass er sich gegen das Ansinnen des Gottes stemmt, das als Ausdruck eines überkommenen Systems gedeutet wird, das Idomeneus letztlich aber selbst noch vertritt. Diese märchenhafte Geschichte spiegelt demnach einen doppelten Emanzipationsprozess. Er befreit von alter, blinder Gotteshörigkeit wie von einer Machtbesessenheit, die selbst vor übelster Grausamkeit nicht zurückschreckt. Es ist in dieser antiken Variante nicht überliefert, wer Idomeneus nachfolgt, aber es ist naheliegend, dass ein Vertreter einer neuen Zeit und eines neuen Herrschaftsverständnisses vom Volk auf den Thron gesetzt wird. Und das war genau die Variante antiker mythischer Erzählung, die im Zeitalter der Aufklärung höchste Aufmerksamkeit fand. Die Abkehr von autoritären Alleinherrschern und von zürnenden Göttern ist eines der zentralen Themen jener Zeit. Die Emanzipation des aufgeklärten Bürgertums vom Absolutismus und der Macht der Kirche spiegelt sich in der Weiterführung solcher bereits in der Antike angelegten Neubewertungen des Herrschers wie des Göttlichen. Im Kern ging es auch um ein Überdenken des Verhältnisses von Pflichterfüllung gegenüber den Göttern und der Verantwortung für die Menschen. Man vergegenwärtige sich nur Goethes Iphigenie auf Tauris (uraufgeführt 1779, 1787 als Versdrama erschienen), um sich die intellektuellen Höhenflüge vor Augen zu führen, die bei dieser Auseinandersetzung entstanden. 68
Gerade die griechische Mythologie und ihre schon in der Antike entstandenen modernisierten Fassungen waren daher herausragende Ideengeber. Dies lag auch daran, dass sich gerade der überaus reiche Troja-Mythos mit der eigenen Gegenwart verband. Schon vom 6. Jahrhundert v. Chr. an und noch bis in das 18. Jahrhunderte behauptete man allerorts die Abstammung von Kämpfern des Trojanischen Krieges. Da Homer beide Seiten mit gleicher Sympathie gezeichnet hatte, konnte man Flüchtlinge oder Sieger gleichermaßen als Urahnen postulieren. Damit passte man sich in die Frühgeschichte ein und konnte so Zugehörigkeit zum selben Kulturkreis und Teilhabe von Anbeginn postulieren. Dies machten antike griechische Städte, später selbst Rom, im Mittelalter taten solches die Merowinger, Karolinger, die französischen Karpetinger und Valois, Staufer, Habsburger, ja selbst die Universität Oxford verbreitete im 13. Jahrhundert, ihre Gründung gehe auf Philosophen im Gefolge trojanischer Flüchtlinge, die Britannien erreicht hatten, zurück. Alle, Franzosen, wie Engländer, Iren, Normannen, Dänen, Isländer und viele mehr, ja selbst die neu entdeckten Bewohner Amerikas führte man auf Trojaner zurück. Troja und die lebenden Nachfahren seiner Helden waren also überall und erklären damit die ungeheure Präsenz des Stoffes gerade in Kunst, Musik und Literatur. Und doch hat jede Zeit Gelegenheit, die Mythen und Figuren neu erstehen zu lassen. In Mozarts Idomeneo wird der bereits in der Antike eingeschlagene Weg, den kretischen Helden als unzeitgemäß gottesfürchtig und grausam zu schildern, konsequent weitergegangen. Sein Sohn Idamante hat während des fernen Krieges ein Regime etabliert, das kaum noch etwas mit der Herrschaft seines Vaters gemein hat. Versinnbildlicht wird dies in der Liebe zur Trojanerin Ilia. Die Entlassung der Kriegsgefangenen in die Freiheit ist unerhört und in dieser Konsequenz nicht griechisch und gar nicht antik, was die eifersüchtige Elettra als Vertreterin des alten Regimes auch sofort ausspricht, wenn sie Idamante in Folge dieser Freilassung als unter den Herrschern Griechenlands isoliert sieht. Aber Elettra ist eben diese alte Welt, die noch glaubt, von Furien verfolgt zu werden, während Ilia zu Idomeneo sagen kann: „die Götter sind gerecht, ihr missversteht, was sie wirklich von euch wollen“. Idamante und Ilia, das ist deutlich, sind die Zukunft, ihnen sind die Herzen des Volkes zugewandt. Deshalb erhalten sie letztlich auch den Segen Poseidons. Die Liebe und die Handlungsmacht der Menschen stimmen den Gott um – er folgt den Menschen, nicht umgekehrt. Angesichts der den gebildeten Zeitgenossen noch sehr präsenten homerischen Tradition musste man sich im 18. Jahrhundert aber auch ganz andere Fragen stellen: Hat Poseidon, den Homer im 13. Gesang als Gefährte des Idomeneo zeigt, während des Krieges von 69
den Veränderungen auf Kreta erfahren? Hat er Idomeneo etwa vorgewarnt und mit ihm einen Pakt geschlossen gegen den eigenen Sohn? Sind der Sturm und der angebliche Schwur eine perfide Inszenierung und müssen scheitern, weil Idamante bereits einer Gemeinschaft angehört, die den Monstren des alten Regimes trotzt? Dieser Verdacht zieht sich durch die gesamte Oper. Wenn deshalb die Stimme (La Voce) am Schluss davon spricht, dass der Friede nach Kreta zurückgekehrt sei, kann das doch nur heißen, dass sie das Geschehen nicht als Folge eines angeblich tragischen Schwurs, sondern als Bürgerkrieg zwischen altem und neuem Regime versteht. Der Chor der Kriegsgefährten kann noch Poseidon danken, weil sie ihn als Repräsentanten der Allmacht und als Beschützer ihres Königs sehen. Idamante, Ilia und die Kreter jedoch stellen sich ihm entgegen, wie dies schon ihre antiken Vorgänger 2000 Jahre früher taten, als sie Idomeneus wegen seiner Grausamkeit verstießen, furchtlos und in unerschütterlichem Vertrauen auf die eigene Kraft, ganz der Zukunft einer besseren Zeit ohne Morde und Gottesfurcht zugewandt. In dieser Perspektive besticht die Oper Idomeneo noch heute durch ein Grundvertrauen in die Kraft des Menschen, der es sich nicht gefallen lassen sollte, dass man ihm mit Verweis auf Götzen jedweder Art von Gewalt und Grausamkeit schmackhaft zu machen versucht – ein Jahrtausende altes Plädoyer von bestürzender Aktualität.
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ALBERT OSTERMAIER die stimme
die liebe liebt sich nicht sie liebt das lieben die lüge es nicht zu tun und tut es doch das herz schlägt um sich gegen wände aus wäre und würde und wird nicht aber war wie nichts zuvor das wahre warum noch leben ohne und wie den mit und für und gegen sie mit diesem ewigen nie sie verlieren um sie zu finden wo man nichts verloren hat ist sie nicht ein widerspruch auf den lippen der sich nur löst im küssen und lieben müssen ohne wenn und wann
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WILFRIED HÖSL
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Bühnenperspektiven
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IDOMENEO
Libretto
WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756–1791)
Dramma per musica in drei Akten Libretto von Giambattista Varesco
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PERSONEN
ORCHESTERBESETZUNG
IDOMENEO, KÖNIG VON KRETA Tenor
2 Flöten, Piccolo, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte – 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen – Pauken – Streicher
IDAMANTE, SEIN SOHN Sopran ILIA, TROJANISCHE PRINZESSIN, TOCHTER DES PRIAMOS Sopran ELETTRA, PRINZESSIN, TOCHTER AGAMEMNONS, DES KÖNIGS VON ARGOS Sopran ARBACE, VERTRAUTER DES KÖNIGS Tenor OBERPRIESTER NEPTUNS Tenor DIE STIMME (ORAKEL) Bass ZWEI KRETERINNEN Sopran und Alt ZWEI TROJANER Tenor und Bass Chor der Trojaner und Kreter; gelandete Krieger Die Handlung spielt in Sidon, der Hauptstadt von Kreta
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ATTO PRIMO
ERSTER AKT
Appartamenti d’Ilia nel palazzo reale, in fondo al prospetto una galleria
Gemächer der Ilia im Königspalast, im Hintergrund an der Stirnseite eine Galerie
SCENA I (Ilia sola)
SZENE I (Ilia allein)
ILIA Quando avran fine omai l’aspre sventure mie? Ilia infelice, di tempesta crudel misero avanzo, del genitor e de’ germani priva, del barbaro nemico misto col sangue il sangue vittime generose, a qual sorte più rea ti riserbano i Numi? … Pur vendicaste voi di Priamo e di Troia i danni e l’onte? Perì la flotta argiva, e Idomeneo pasto forse sarà d’orca vorace … Ma che mi giova, oh ciel! se al primo aspetto di quel prode Idamante, che all’onde mi rapì, l’odio deposi, e pria fu schiavo il cor, che m’accorgessi d’essere prigioniera. Ah qual contrasto, oh Dio! d’opposti affetti mi destate nel sen, odio ed amore! Vendetta deggio a chi mi diè la vita, gratitudine a chi vita mi rende … Oh Ilia! oh genitor! oh prence! oh sorte! Oh vita sventurata! oh dolce morte! Ma ehe? m’ama Idamante? … ah no; l’ingrato per Elettra sospira, e quella’Elettra, meschina principessa esule d’Argo, d’Oreste alle sciagure a queste arene fuggitiva, raminga, è mia rivale. Quanti mi siete intorno carnefici spietati? … orsù sbranate, vendetta, gelosia, odio, ed amore, sbranate sì quest’infelice core!
ILIA Wann, ach, wird mein Leiden enden? Unglückliche Ilia, dem furchtbaren Sturm mit knapper Not entronnen, des Vaters beraubt und der Brüder, edle Opfer, deren Blut sich mit dem Blut des unmenschlichen Feindes vermischte, für welches noch grausamere Schicksal sparen die Götter dich auf? … Rächtet ihr etwa des Priamos und Trojas Schmach und Untergang? Zwar sank die argivische Flotte, und Idomeneo wird womöglich das Mahl eines gierigen Raubwals … Aber was nützt mir das, o Himmel, wenn ich, kaum dass ich diesen tapferen Idamante erblickte, der mich den Wellen entriss, abließ vom Hass und mein Herz versklavte, ehe ich begriffen hatte, dass ich Gefangene bin! Ach, welchen Zwiespalt der Gefühle, o Gott! Hass und Liebe habt ihr mir ins Herz gesät. Rache schulde ich dem, der mir das Leben gab, und Dankbarkeit dem, der es mir bewahrte … O Ilia! O Vater! O Prinz! O Schicksal! Unseliges Leben! Süßer Tod! Und wenn nun … Idamante mich liebte? … Aber nein, das Herz des Grausamen schlägt für Elektra, und diese Elektra, die arme, aus Argos verbannte Prinzessin, die sich vor dem Unglück des Orest hierher geflüchtet hat, diese Heimatlose, ist meine Rivalin. Unerbittliche Peiniger, wie viele gibt es noch, die mich umgeben? … Wohlan, so zerreißt, Rache, Eifersucht, Hass und Liebe, zerreißt dieses unglückliche Herz!
N° 1 ARIA
NR. 1 ARIE
Padre, germani, addio! voi foste, io vi perdei. Grecia, cagion tu sei, e un greco adorerò? D’ingrata al sangue mio so che la colpa avrei; ma quel sembiante, oh Dèi! odiare ancor non so.
Vater, Brüder, lebt wohl! Ihr seid nicht mehr, ich habe euch verloren. Es ist deine Schuld, Griechenland! Und einen Griechen sollte ich lieben? Des Verrates wäre ich schuldig, ich weiß es, an meinem Blut; doch dieses Antlitz, ihr Götter, ich kann es dennoch nicht hassen!
[…]
[…]
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SCENA II (Idamante, Ilia; seguito d’Idamante)
SZENE II (Idamante, Ilia; Gefolge des Idamante)
[…]
[…]
IDAMANTE [Non temer:] Del fato de Troian più non dolerti. Farà il figlio per lor quanto farebbe il genitor e ogn’altro vincitor generoso. Ecco: abbian fine, principessa, i lor guai: rendo lor libertade, e omai fra noi sol prigioniero fia, sol fia che porte chi tua beltà legò care ritorte.
IDAMANTE [Seid unbesorgt:] Das Los der Trojaner soll dich nicht länger schmerzen. Der Sohn wird für sie tun, was der Vater getan hätte und jeder andere großmütige Sieger. Nun denn, Prinzessin, ihr Ungemach soll ein Ende haben: ich gebe ihnen die Freiheit, und künftig soll hier nur noch einer Gefangener sein, der eine, der die süßen Fesseln trägt, die deine Schönheit ihm anlegt.
ILIA [Signor], che dici? [Che ascolto implacabili dei!]
ILIA [Mein Herr,] was sagst du da? [Was höre ich, unerbittliche Götter!]
[…]
[…]
IDAMANTE [Oh ciel!] A l’amor mio d’ira e rossor tu avvampi?
IDAMANTE [Oh Himmel!] Meine Liebe lässt dich vor Zorn erröten?
ILIA In questi accenti mal soffro un temerario ardir. Deh pensa, pensa Idamante, oh Dio! il padre tuo qual è, qual era il mio.
ILIA An deinen Worten missfällt mir die unbesonnene Kühnheit. Bedenke doch, Idamante, bedenke, wer dein Vater ist und wer der meine war.
N° 2 ARIA
NR. 2 ARIE
IDAMANTE Non ho colpa, e mi condanni idol mio, perché t’adoro. Colpa è vostra, o Dèi tiranni, e di pena afflitto io moro d’un error che mio non è. Se tu il brami, al tuo impero aprirommi questo seno. Ne’ tuoi lumi il leggo, è vero, ma mel dica il labbro almeno, e non chiedo altra mercé.
IDAMANTE Ich bin ohne Schuld, doch du verdammst mich, meine Angebetete, weil ich dich liebe. Schuldig seid ihr, tyrannische Götter, und in tiefer Kümmernis sterbe ich für ein Unrecht, das ich nicht beging. Wenn du es verlangst und befiehlst, zerreiße ich mir die Brust. Wohl kann ich es in deinen Augen lesen, doch soll es auch dein Mund mir sagen, eine andere Gnade erbitte ich nicht.
[…]
[…]
SCENA III
SZENE III
[…]
[…]
N° 3 CORO (Coro de’ Troiani e Cretesi)
NR. 3 CHOR (Chor der Trojaner und Kreter)
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TUTTI Godiam la pace. Trionfi Amore: ora ogni core giubilerà.
ALLE Lasst uns den Frieden genießen. Amor triumphiere: jedes Herz soll jetzt frohlocken.
DUE CRETESI Grazie a chi estinse face di guerra: or sì la terra riposo avrà.
ZWEI KRETERINNEN Dank sei dem, der die Fackel des Krieges löschte: endlich wird nun die Erde wieder Frieden haben.
TUTTI Godiam la pace. Trionfi Amore: ora ogni core giubilerà.
ALLE Lasst uns den Frieden genießen. Amor triumphiere: jedes Herz soll jetzt frohlocken.
DUE TROIANI A voi dobbiamo, pietosi Numi, e a’ quei bei lumi la libertà.
ZWEI TROJANER Euch, ihr gütigen Götter, und diesen schönen Augen verdanken wir die Freiheit.
TUTTI Godiam la pace. Trionfi Amore: ora ogni core giubilerà.
ALLE Lasst uns den Frieden genießen. Amor triumphiere: jedes Herz soll jetzt frohlocken.
SCENA IV (Elettra, e detti)
SZENE IV (Elektra und die Vorigen)
ELETTRA (agitata da gelosia) Prence, signor, tutta la Grecia oltraggi; tu proteggi il nemico.
ELEKTRA (außer sich vor Eifersucht) Prinz, Gebieter, du beleidigst ganz Griechenland; du beschützt den Feind.
IDAMANTE Veder basti alla Grecia vinto il nemico. Opra di me più degna a mirar s’apparecchi, oh principessa: vegga il vinto felice. (vede venire Arbace) Arbace viene.
IDAMANTE Es sollte Griechenland genügen, den Feind besiegt zu haben. Man mache sich darauf gefasst, Taten zu sehen, die meiner würdiger sind, o Prinzessin: ich möchte den Besiegten glücklich sehen. (sieht Arbace kommen) Da kommt Arbace.
SCENA V (Arbace, e detti. Arbace è mesto.)
SZENE V (Arbace und die Vorigen. Arbace ist tief betrübt.)
IDAMANTE (timoroso) Ma quel pianto che annunzia?
IDAMANTE (besorgt) Was bedeuten diese Tränen?
ARBACE Mio signore, de’ mali il più terribil …
ARBACE Mein Gebieter, das fürchterlichste Unglück …
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IDAMANTE (ansioso) Più non vive il genitor?
IDAMANTE (angstvoll) Ist mein Vater nicht mehr am Leben?
ARBACE Non vive: quel che Marte far non poté finor, fece Nettuno, l’inesorabil Nume, e degl’eroi il più degno, ora il riseppi, presso a straniera sponda affogato morì!
ARBACE Er lebt nicht mehr: was Mars nicht gelungen ist, hat Neptun jetzt vollendet, der unerbittliche Gott. Soeben erfuhr ich es: der würdigste aller Helden fand im Meer vor fremden Gestaden den Tod.
IDAMANTE Ilia, de’ viventi eccoti il più meschin. Or sì dal cielo soddisfatta sarai … barbaro fato! … Corrasi al lido … ahimè! son disperato! (parte)
IDAMANTE Ilia, von allen Lebenden siehst du hier den Elendesten. So wird dir nun der Himmel Genugtuung verschaffen … grausames Schicksal! … rasch zum Strand … weh mir, ich bin verzweifelt! (geht ab)
[…]
[…]
SCENA VI (Elettra sola)
SZENE VI (Elektra allein)
ELETTRA Estinto è Idomeneo? … Tutto a’ miei danni, tutto congiura il ciel. Può a suo talento Idamante disporre d’un impero e del cor, e a me non resta ombra di speme? A mio dispetto, ahi lassa! vedrò, vedrà la Grecia a suo gran scorno una schiava Troiana di quel soglio e del talamo a parte … Invano Elettra ami l’ingrato … E soffre una figlia d’un re, che ha re vassalli, che una vil schiava aspiri al grand’acquisto? … Oh sdegno! oh smanie! oh duol! … più non resisto.
ELEKTRA Idomeneo ist tot? … Der Himmel hat sich gegen mich verschworen. Kann Idamante nun nach seinem Gutdünken über ein Reich verfügen und über sein Herz, und mir bleibt nicht der Schatten einer Hoffnung? Zu meiner Schmach, weh mir, und zu Griechenlands Schande soll ich zusehen, wie eine trojanische Sklavin mit ihm diesen Thron und das Brautgemach teilt! … Vergebens, Elektra, liebst du den Grausamen … Und soll eines Königs Tochter, der Könige Tribut zollen, zulassen, dass eine niedrige Sklavin ihr Glück macht? … O Groll, o Wut, o Schmerz … das ertrage ich nicht!
N° 4 ARIA
NR. 4 ARIE
Tutte nel cor vi sento, furie del crudo Averno. Lunge a sì gran tormento amor, mercé, pietà. Chi mi rubò quel core, quel che tradito ha il mio, provin dal mio furore, vendetta e crudeltà. (parte)
Tief im Herzen fühle ich euch, Furien des grausigen Hades. Fremd sind solcher Qual Liebe, Gnade, Erbarmen. Sie, die mir dieses Herz raubte, er, der das meine verriet, sollen Rache und Grausamkeit meines Zornes spüren. (geht ab)
SCENA VII (Spiagge del mare ancora agitato attorniate da dirupi. Rottami di navi sul lido.
SZENE VII (Küste am immer noch aufgewühlten Meer, von steil aufragenden Felsen umgeben. Schiffstrümmer im Sand.
Coro di gente vicina a naufragare)
Chor von Zeugen des Schiffbruchs)
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N° 5 CORO
NR. 5 CHOR
TUTTI (forte) Pietà, Numi, pietà! Aiuto, o giusti Numi! a noi volgete i lumi …
ALLE (laut) Erbarmen, Götter, habt Erbarmen! Helft, ihr gerechten Götter, wendet eure Augen uns zu …
PARTE DEL CORO (scemando) Pietà, Numi, pietà! Il ciel, il mare, il vento ci opprimon di spavento …
EINIGE (leiser) Erbarmen, Götter, habt Erbarmen! Der Himmel, das Meer, der Sturm erfüllen uns mit Entsetzen …
ALTRA PARTE DEL CORO (piano) Pietà, Numi, pietà! In braccio a cruda morte ci spinge l’empia sorte …
ANDERE (leise) Erbarmen, Götter, habt Erbarmen! In die Arme eines qualvollen Todes treibt uns das grausame Schicksal …
SCENA VIII
SZENE VIII
PANTOMIMA
PANTOMIME
(Nettuno comparisce sul mare. Fa cenno ai venti di ritirarsi alle loro spelonche. Il mare poco a poco si calma. Idomeneo, vedendo il Dio del mare, implora la sua potenza. Nettuno, riguardandolo con occhio torvo e minaccevole, si tuffa nell’onde e sparisce.
(Neptun erscheint auf dem Meer. Er bedeutet den Winden, sich in ihre Höhlen zurückzuziehen. Das Meer wird nach und nach ruhiger. Als Idomeneo des Meeresgottes ansichtig wird, erfleht er seine mächtige Hilfe. Neptun wirft ihm einen finsteren, drohenden Blick zu, taucht unter und verschwindet.
Idomeneo con seguito)
Idomeneo mit Gefolge)
IDOMENEO (al suo seguito) Eccoci salvi alfin. Oh voi, di Marte e di Nettuno all’ire, alle vittorie, ai stenti fidi seguaci miei, lasciatemi per poco qui solo respirar, e al ciel natìo confidar il passato affanno mio.
IDOMENEO (zu seinem Gefolge) So sind wir endlich gerettet. Ihr, die ihr meine treuen Gefährten wart, wenn Mars und Neptun zürnten, im Sieg wie in der Not, lasst mich hier ein wenig Atem holen und dem heimatlichen Himmel anvertrauen, welches Unheil ich zu überstehen hatte.
SCENA IX (Il seguito si ritira, e Idomeneo solo s’inoltra sul lido, contemplando.)
SZENE IX (Das Gefolge zieht sich zurück, und Idomeneo ergeht sich sinnend am Strand.)
IDOMENEO Tranquillo è il mar, aura soave spira di dolce calma, e le cerulee sponde il biondo Dio indora. Ovunque io miro, tutto di pace in sen riposa, e gode. Io sol, io sol su queste aride spiagge, d’affanno e da disagio estenuato, quella calma, oh Nettuno, in me non provo, che al tuo regno impetrai. Oh voto insano, atroce! Giuramento crudel! Ah qual de’ Numi
IDOMENEO Das Meer ist still, ein lindes Lüftchen atmet süße Ruhe, und golden färbt der blonde Gott das blaue Ufer. Wohin ich auch blicke, alles ruht friedlich und in Freuden. Nur ich, erschöpft von Schmerz und Ungemach an dieser ausgedörrten Küste, nur ich, Neptun, ich spüre diese Ruhe nicht in mir, die ich von deiner Macht erflehte. O törichtes, entsetzliches Gelübde! Grausamer Schwur! Ach, welcher Gott
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mi serba ancor in vita, o qual di voi mi porge almen aita?
erhält mich noch am Leben, wer von euch Göttern ist geneigt, mir zu Hilfe zu kommen?
N° 6 ARIA
NR. 6 ARIE
Vedrommi intorno l’ombra dolente, che notte e giorno: Sono innocente m’accennerà. Nel sen trafitto nel corpo esangue il mio delitto, lo sparso sangue m’additerà. Qual spavento, qual dolore! Di tormento questo core quante volte morirà! (vede un uomo che s’avvicina) Cieli! che veggo? Ecco, la sventurata vittima, ahimè!, s’appressa … […] E queste mani le ministre saran? … Mani esecrande! Barbari, ingiusti Numi! Are nefande!
Schon sehe ich ihn vor mir, den traurigen Schatten, der bei Tag und bei Nacht „Ich bin unschuldig“ mir bedeuten wird. Die Brust durchbohrt, den blutlosen Leib, meinen Frevel, das vergossene Blut wird er mir zeigen. Welch ein Greuel, welch ein Schmerz! Wie oft noch soll dieses Herz vor Kummer sterben? (sieht einen Mann näherkommen) Himmel! Was muss ich sehen? Weh mir, schon naht das unglückliche Opfer … […] Und diese Hände sollen das Werkzeug sein? … Fluchwürdige Hände! Grausame, ungerechte Götter! Frevlerische Altäre!
SCENA X (Idomeneo, Idamante in disparte)
SZENE X (Idomeneo, Idamante für sich)
IDAMANTE Spiagge romite, e voi, scoscese rupi, testimoni al mio duol siate e cortesi di questo vostro albergo a un agitato cor … Quanto spiegate di mia sorte il rigar, solinghi orrori! …
IDAMANTE Einsame Ufer, und ihr, schroffe Felsen, ihr sollt Zeugen meines Schmerzes sein und meinem aufgewühlten Herzen Zuflucht gewähren … Wie gleicht ihr doch der Grausamkeit meines Geschicks, öde Bilder des Schreckens! …
[…]
[…]
IDOMENEO Misero tu? che dici? ti son conte le tue sventure appien?
IDOMENEO Bekümmert auch du? Was soll das heißen? Ist dir schon so viel Ungemach widerfahren?
IDAMANTE Dell’amor mio, cielo! il più caro oggetto, in quelli abissi spinto giace l’eroe Idomeneo estinto. Ma tu sospiri, e piangi? T’è noto Idomeneo?
IDAMANTE Der meiner Liebe das Teuerste war, o Himmel … in diese Abgründe gerissen, liegt tot der Held Idomeneo. Doch warum weinst du und seufzest? Kanntest du Idomeneo?
IDOMENEO Uom più di questo deplorabil non v’è, non v’è chi plachi il fato suo austero.
IDOMENEO Kein Mensch ist beklagenswerter als er, und keiner kann sein schweres Schicksal ihm erleichtern. 97
IDAMANTE Che favelli? Vive egli ancor? (da sé) Oh Dèi! torno a sperar. Ah dimmi, amico, dimmi, dov’è? dove quel dolce aspetto vita mi renderà?
IDAMANTE Was redest du da? Lebt er? (für sich) O Götter, neue Hoffnung! Sag mir, ach, sag mir, mein Freund, wo ist er, wo? Dass mir der holde Anblick das Leben wiedergebe!
IDOMENEO Ma d’onde nasce questa che per lui nutri tenerezza d’amor?
IDOMENEO Doch was ist der Grund dieser zärtlichen Liebe, die du für ihn hegst?
[…]
[…]
IDAMANTE (con enfasi) Ah, ch’egli è il padre …
IDAMANTE (leidenschaftlich) Weil, ach, weil er der Vater ist …
IDOMENEO (interrompendolo impaziente) Oh Dio! Parla: di chi è egli il padre?
IDOMENEO (fällt ihm ungeduldig ins Wort) O Gott! Sprich: wessen Vater ist er?
IDAMANTE (con voce fiacca) È il padre mio!
IDAMANTE (mit brechender Stimme) Er ist mein Vater!
IDOMENEO (da sé) Spietatissimi Dèi!
IDOMENEO (für sich) Ihr unbarmherzigen Götter!
IDAMANTE Meco compiangi del padre mio il destin?
IDAMANTE Beweinst du mit mir das Schicksal meines Vaters?
IDOMENEO (dolente) Ah figlio! …
IDOMENEO (schmerzerfüllt) Mein Sohn! …
IDAMANTE (tutto giulivo) Ah padre! … ah Numi! Dove son io? … oh qual trasporto! … soffri, (vuole abbracciarlo; il padre si ritira turbato) genitor adorato, che al tuo seno … e che un amplesso … ahimè! perché ti sdegni? Disperato mi fuggi? … ah dove, ah dove?
IDAMANTE (voller Freude) Vater! … Ihr Götter! Wo bin ich? … O welches Entzücken! … Lass mich, (will ihn umarmen; der Vater weicht erregt zurück) geliebter Vater, an deiner Brust … in einer Umarmung … weh mir! Warum zürnst du, fliehst mich verzweifelt? … Wohin, ach, wohin?
IDOMENEO Non mi seguir, te’l vieto: meglio per te saria il non avermi veduto or qui. Paventa il rivedermi! (parte in fretta)
IDOMENEO Folge mir nicht, ich verbiete es dir: es wäre besser für dich gewesen, hättest du mich hier nicht gesehen. Hüte dich, mir noch einmal unter die Augen zu treten! (hastet davon)
IDAMANTE Ah qual gelido orror m’ingombra i sensi! … Lo vedo appena, il riconosco, e a’ miei teneri accenti in un balen s’invola. Misero! in che l’offesi, e come mai quel sdegno io meritai, quelle minacce? … Vuo’ seguirlo e veder, oh sorte dura! Qual mi sovrasti ancor più rea sventura.
IDAMANTE Eisiges Entsetzen lähmt mir die Sinne! … Kaum sehe ich ihn, erkenne ihn, da entzieht er sich in größter Hast meinen zärtlichen Worten. Ich Unglücklicher! Womit habe ich ihn beleidigt, wodurch erregte ich seinen Zorn, diese Drohung? … Ich will ihm folgen und sehen, o schweres Los, was mir an noch größerem Unheil bevorsteht.
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N° 7 ARIA
NR. 7 ARIE
Il padre adorato ritrovo, e lo perdo. Mi fugge sdegnato fremendo d’orror. Morire credei di gioia e d’amore; or, barbari Dèi! m’uccide il dolor. (parte addolorato)
Den innig geliebten Vater finde ich und verliere ihn wieder. Er flieht mich erzürnt, schaudernd vor Entsetzen. Ich glaubte zu sterben vor Freude und Liebe; jetzt, ihr grausamen Götter, tötet der Schmerz mich. (geht tiefbetrübt ab)
INTERMEZZO
INTERMEZZO
(Il mare è tutto tranquillo. Sbarcano le truppe cretesi arrivate con Idomeneo. I guerrieri cantano il seguente coro in onore di Nettuno. Le donne cretesi accorrono ad abbracciare i loro felicemente arrivati, e sfogano la vicendevole gioia con un ballo generale, che termina col coro. Marcia guerriera durante lo sbarco.
(Das Meer liegt unbewegt. Die Truppen der Kreter, die mit Idomeneo zurückgekommen sind, gehen an Land. Die Krieger singen zu Ehren Neptuns den nachfolgenden Chor. Die kretischen Frauen eilen herbei und umarmen die glücklich Heimgekehrten, tanzend und singend geben sie der Wiedersehensfreude Ausdruck. Der Tanz endet mit dem Chor. Zur Ausschiffung erklingt ein kriegerischer Marsch.
Coro de’ guerrieri sbarcati.)
Chor der gelandeten Krieger.)
N° 8 MARCIA
NR. 8 MARSCH
N° 9 CORO
NR. 9 CHOR
TUTTI Nettuno s’onori, quel nome risuoni, quel Nume s’adori, sovrano del mar. Con danze e con suoni convien festeggiar. […] Or suonin le trombe, solenne ecatombe andiam preparar.
ALLE Neptun sei Ehre, sein Name erschalle, Lobpreis diesem Gott, dem Herrscher der Meere. Mit Tanz und Gesang wollen wir ihn preisen. […] Lasst nun Trompeten erklingen, feierliche Dankopfer wollen wir ihm darbringen.
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ATTO SECONDO
ZWEITER AKT
SCENA I (Appartamenti reali) (Idomeneo, Arbace)
SZENE I (Königliche Gemächer) (Idomeneo, Arbace)
[…]
[…]
ARBACE Tutto m’è noto.
ARBACE Das weiß ich.
IDOMENEO Gonfio di tante imprese al varco alfin m’attese il fier Nettuno …
IDOMENEO Stolz war ich auf meine Taten, doch lauerte mir der grimme Neptun auf …
ARBACE E so che a’ danni tuoi, ad Eolo unito e a Giove, il suo regno sconvolse …
ARBACE Und dir zum Schaden versetzte er, mit Aeolus und Jupiter im Bunde, sein Reich in Aufruhr …
IDOMENEO Sì, che m’estorse in voto umana vittima.
IDOMENEO Ja, und er nötigte mich zu dem Gelübde, ihm einen Menschen zu opfern.
ARBACE Di chi?
ARBACE Und wen?
IDOMENEO Del primo, che sulla spiaggia incauto a me s’appressi.
IDOMENEO Den ersten, der sich an Land arglos mir nähert.
[…]
[…]
ARBACE Or dimmi: chi primo tu incontrasti?
ARBACE Doch sage mir: wem bist du als erstes begegnet?
IDOMENEO Inorridisci: il mio figlio …
IDOMENEO Erschaudere: meinem Sohn …
ARBACE (perdendosi d’animo) Idamante! … lo vengo meno …
ARBACE (entsetzt) Idamante! … Mir schwinden die Sinne …
[…]
[…]
IDOMENEO Dàmmi Arbace il consiglio, salvami, per pietà, salvami il figlio.
IDOMENEO Gib mir einen Rat, Arbace, rette um Himmels willen, rette meinen Sohn.
ARBACE (pensa, poi risolve.) Trovisi in altro clima altro soggiorno. […] Purché al popol si celi. Per altra via intanto Nettun si placherà, qualche altro Nume di lui cura n’avrà.
ARBACE (denkt nach, dann entschlossen) Man muss ihn fortschicken in ein anderes Land. […] Es muss vor allem dem Volk verborgen bleiben. Neptun wird man dann schon auf andere Weise beschwichtigen können, irgendein anderer Gott wird sich schon seiner annehmen.
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IDOMENEO Ben dici, è vero … (Resta un poco pensoso e poi decide.) In Argo ei vada, e sul paterno soglio rimetta Elettra … Or vanne a lei e al figlio, [salvalo dal periglio].
IDOMENEO Wohlgesprochen, so soll es sein … (Er denkt kurz nach, trifft dann eine Entscheidung.) Er soll nach Argos gehen und Elektra den väterlichen Thron zurückgewinnen … Geh nun zu ihr und zu meinem Sohn [… und rette ihn aus der Gefahr!].
N° 10 ARIA
NR. 10 ARIE
ARBACE Se il tuo duol, se il mio desìo sen volassero del pari, a ubbidirti qual son io, saria il duolo pronto a fuggir. Quali al trono sian compagni chi l’ambisce or veda e impari: stia lontan, o non si lagni, se non trova che martir. (parte)
ARBACE Würden dein Schmerz und mein Bestreben einen Wettstreit beginnen, dir zu gehorchen wie ich, würde der Schmerz bald enteilen. Wie sehr sie Gefährten des Thrones sind, sollte, wer ihn anstrebt, jetzt sehen und lernen: er bleibe ihm fern oder klage nicht, wenn er dort nur Qualen findet. (geht ab)
N° 10B SCENA CON RONDO
NR. 10B SZENE MIT RONDO
ILIA Non più. Tutto ascoltai, tutto compresi. D’Elettra e d’Idamante noti sono gli amori, al caro impegno omai mancar non dei, va, scordati di me, donati a lei.
ILIA Nicht weiter. Ich habe alles gehört, alles verstanden. Die Liebe von Elektra und Idamante ist bekannt, gegen die teure Verpflichtung darfst du nicht verstoßen, geh, vergiss mich, schenke dich ihr.
IDAMANTE Ch’io mi scordi di te? Che a lei mi doni puoi consigliarmi? e puoi voler che in vita … […] Ah no, sarebbe il viver mio di morte assai peggior. […] Venga la morte, intrepido l’attendo, ma, ch’io possa struggermi ad altra face, ad altr’oggetto donar gl’affetti miei, come tentarlo, ah, di dolor morrei.
IDAMANTE Ich soll dich vergessen? Wie kannst du mir raten, mich ihr zu schenken? Und wollen, dass ich lebe … […] Ach nein, mein Leben wird schlimmer sein als der Tod. […] Der Tod möge kommen, ich erwarte ihn unerschrocken, aber mich verzehren nach einem anderen Gesicht, einer anderen meine Gefühle schenken? Wenn ich es versuchen würde, ach, ich würde vor Schmerz sterben.
RONDO Non temer, amato bene, per te sempre il cor sarà. Più non reggo a tante pene, l’alma mia mancando va. Tu sospiri? oh duol funesto! pensa almen che istante è questo! Non mi posso, oh Dio, spiegar. Non temer, amato bene, per te sempre il cor sarà. Stelle barbare, stelle spietate, perché mai tanto rigor? Alme belle, che vedete le mie pene in tal momento, dite voi, s’egual tormento può soffrir un fido cor. (Parte)
RONDO Fürchte nichts, meine Geliebte, mein Herz wird dir immer gehören. Ich ertrage nicht länger solche Qualen, meine Seele stirbt. Du seufzest? O unheilvoller Schmerz! Bedenke wenigstens, was dies für ein Augenblick ist! O Gott, ich kann es mir nicht erklären. Fürchte nichts, meine Geliebte, mein Herz wird dir immer gehören. Grausame Sterne, erbarmungslose Sterne, warum so große Strenge? Schöne Seelen, die ihr meine Qualen in diesem Augenblick seht, sagt, ob ein treues Herz gleiche Schmerzen ertragen kann. (Er geht ab) 101
SCENA II (Idomeneo, Ilia)
SZENE II (Idomeneo, Ilia)
[…]
[…]
IDOMENEO Principessa gentil, il bel sereno anche alle tue pupille omai ritorni. Il lungo duol dilegua. […] Di me, de’ miei tesori, Ilia, disponi, e mia cura sarà dartene chiare prove dell’amicizia mia.
IDOMENEO Holde Prinzessin, auch in deine Augen kehre nun der heitere Seelenfriede zurück. Die lange Zeit des Leidens sei nun vergessen. […] Verfüge über mich und meine Reichtümer, Ilia, es wird mein Bestreben sein, dich meiner Freundschaft mit sichtbaren Beweisen zu versichern.
ILIA Son certa, e un dubbio in me colpa saria.
ILIA Des bin ich gewiss, und es wäre Frevel, zu zweifeln.
[…]
[…]
N° 11 ARIA
NR. 11 ARIE
Se il padre perdei, la patria, il riposo, (ad Idomeneo) tu padre mi sei, soggiorno amoroso è Creta per me. Or più non rammento le angosce, gl’affanni, or gioia e contento, compenso a’ miei danni il cielo mi diè. (Parte.)
Zwar verlor ich den Vater, die Heimat, den Frieden, (zu Idomeneo) doch bist du mir jetzt Vater, und liebreiche Heimat ist Kreta für mich. Ich gedenke nun nicht mehr der Ängste und Schmerzen, Freude und Zufriedenheit schenkte der Himmel mir als Lohn meiner Leiden. (Er geht ab.)
SCENA III (Idomeneo solo)
SZENE III (Idomeneo allein)
IDOMENEO Qual mi conturba i sensi equivoca favella? … Ne’ suoi casi qual mostra a un tratto intempestiva gioia la Frigia principessa? … Quei, ch’esprime teneri sentimenti per il prence, sarebber forse … ahimè … sentimenti d’amor, gioia di speme? … Non m’inganno, reciproco è l’amore. Troppo, Idamante, a scior quelle catene sollecito tu fosti … Ecco il delitto che in te punisce il ciel … Sì, sì, a Nettuno il figlio, il padre ed Ilia tre vittime saran sull’ara istessa, da egual dolor afflitte, una dal ferro, e due dal duol trafitte.
IDOMENEO Wie verstören mich ihre vieldeutigen Worte! … Welch eine unerklärliche Freude zeigt plötzlich die phrygische Prinzessin trotz ihrer Lage! … Könnten sich darin zarte Gefühle für den Prinzen andeuten, oder womöglich … weh mir … Gefühle der Liebe, freudige Hoffnung? … Ich täusche mich nicht, die Liebe wird erwidert. Zu rasch, Idamante, warst du bereit, ihre Ketten zu lösen … Das ist das Vergehen, für das der Himmel dich straft … Ja, drei Opfer werden auf Neptuns Altar sein: der Sohn, der Vater und Ilia, vom selben Leiden gequält, den einen tötet das Schwert, die anderen beiden der Schmerz.
102
N° 12 ARIA
NR. 12 ARIE
Fuor del mar ho un mar in seno, che del primo è più funesto. E Nettuno ancora in questo mai non cessa minacciar. Fiero Nume! dimmi almeno: se al naufragio è sì vicino il mio cor, qual rio destino or gli vieta il naufragar?
Dem Meer entronnen, tobt ein anderes Meer in meiner Brust, unheilvoller als das erste. Und Neptun wird auch in diesem niemals aufhören zu drohen. Grausamer Gott, sage mir wenigstens: wenn mein Herz dem Schiffbruch schon so nahe ist, welches böse Geschick hindert es noch an seinem Untergang?
[…]
[…]
SCENA IV (Idomeneo, Elettra)
SZENE IV (Idomeneo, Elektra)
[…]
[…]
ELETTRA Chi mai del mio provò piacer più dolce?
ELEKTRA Wer fühlte je süßere Freude als ich?
SCENA V (Elettra sola)
SZENE V (Elektra allein)
ELETTRA Parto, e l’unico oggetto che amo ed adoro, oh Dèi! meco sen vien? Ah troppo, troppo angusto è il mio cor a tanta gioia! Lunge della rivale farò ben io, con vezzi e con lusinghe, che quel foco, che pria spegnere non potei a quei lumi s’estingua e avvampi ai miei.
ELEKTRA Ich gehe fort, und das einzige Wesen, das ich liebe und anbete, ihr Götter, geht mit mir! Ach, zu klein ist mein Herz für eine so große Freude! Fern von der Rivalin wird es mir gelingen, mit Liebkosungen und Schmeichelei, dass dieses Feuer, das ich zuvor nicht löschen konnte, nicht länger für ihre Augen, sondern für die meinen brennt.
N° 13 ARIA
NR. 13 ARIE
Idol mio, se ritroso altra amante a me ti rende, non m’offende rigoroso, più m’alletta austero amor. Scaccierà vicino ardore dal tuo sen l’ardor lontano; più la mano può d’Amore s’è vicin l’amante cor.
Mein Geliebter, wenn eine andere widerstrebend dich mir zurückgibt, so kränkt mich diese Härte nicht, sie macht die herbe Liebe nur noch anziehender für mich. Das Feuer, das dir nahe ist, wird aus deiner Brust die ferne Glut verdrängen; es vermag die Hand des Liebesgottes mehr, wenn das liebende Herz nahe ist.
N° 14 MARCIA (S’ode da lontano armoniosa marcia.)
NR. 14 MARSCH (Man hört von ferne Marschmusik.)
ELETTRA Odo da lunge armonioso suono che mi chiama all’imbarco. Orsù, si vada. (parte in fretta. Si sente sempre più vicina la marcia a misura che si muta la scena.)
ELEKTRA Von fern höre ich festliche Klänge, sie rufen mich aufs Schiff. Wohlan, ich eile. (Geht hastig ab. Der Marsch wird mit dem Szenenwechsel lauter.) 103
SCENA VI (Porto di Sidone con bastimenti lungo le spiagge –
SZENE VI (Der Hafen von Kydonia mit Schiffen, die vor Anker liegen –
Elettra, truppa d’Argivi, di Cretesi, e de’ marinari)
Elektra, argivische Soldaten, Kreter und Seeleute)
ELETTRA Sidonie sponde! O voi, per me di pianto e duol, d’amor nemico crudo ricetto, or che’astro più clemente a voi mi toglie, io vi perdono e in pace al lieto partir mio alfin vi lascio e dò l’estremo addio!
ELEKTRA Gestade Kydonias! Ihr wart für mich ein Ort der Tränen und des Schmerzes, der unerwiderten Liebe; da nun aber ein gütigeres Geschick mich von hier wegführt, bin ich versöhnt, ich scheide in Frieden und sage euch ein letztes Lebewohl.
N° 15 CORO
NR. 15 CHOR
TUTTI Placido è il mar, andiamo; tutto ci rassicura. Felice avrem ventura, su su, partiamo or or.
ALLE Das Meer ist ruhig, lasst uns eilen; alle Vorzeichen sind günstig. Das Glück ist uns gewogen, wohlan, so lasst uns fahren.
ELETTRA Soavi Zeffiri soli spirate, del freddo Borea l’ira calmate, d’aura piacevole cortesi siate, se da voi spargesi per tutto amor.
ELEKTRA Sanfte Zephirwinde, ihr allein sollt wehen, besänftigt den Zorn des kalten Nordwinds, gebt uns das Geleit mit euren linden Lüften, auf dass allüberall die Liebe blühe.
TUTTI Placido è il mar, andiamo; tutto ci rassicura. Felice avrem ventura, su su, partiamo or or.
ALLE Das Meer ist ruhig, lasst uns eilen; alle Vorzeichen sind günstig. Das Glück ist uns gewogen, wohlan, so lasst uns fahren.
SCENA VII (Idomeneo, Idamante, Elettra; Seguito del re)
SZENE VII (Idomeneo, Idamante, Elektra; Gefolge des Königs)
IDOMENEO Vattene prence.
IDOMENEO Du musst fort, Prinz.
IDAMANTE Oh ciel!
IDAMANTE O Himmel!
IDOMENEO Troppo t’arresti. Parti, e non dubbia fama di mille eroiche imprese il tuo ritorno prevenga. Di regnare se l’arte apprender vuoi, ora incomincia a renderti de’ miseri il sostegno, del padre e di te stesso ognor più degno.
IDOMENEO Du säumst schon zu lange. Geh, und möge kein fragwürdiger Ruhm von tausend Heldentaten dir vorauseilen, wenn du zurückkehrst. Willst du die Kunst des Regierens erlernen, so sei von nun an der Elenden Stütze und werde des Vaters und deiner selbst immer würdiger.
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N° 16 TERZETTO
NR. 16 TERZETT
IDAMANTE Pria di partir, oh Dio! soffri che un bacio imprima sulla paterna man.
IDAMANTE Bevor ich nun gehe, o Himmel, lass mich noch einen Kuss auf die Hand des Vaters drücken.
ELETTRA Soffri che un grato addio sul labbro il cor esprima: addio, degno sovran!
ELEKTRA Lass ein dankbares Lebewohl mein Herz durch diese Lippen dir sagen: lebe wohl, edler Herrscher!
IDOMENEO (a Elettra) Vanne, sarai felice, Figlio! tua sorte è questa.
IDOMENEO (zu Elektra) Geh, werde glücklich. Mein Sohn, es ist dein Schicksal.
IDAMANTE, ELETTRA, IDOMENEO Seconda i voti, oh ciel!
IDAMANTE, ELEKTRA, IDOMENEO Sei, o Himmel, unseren Wünschen gewogen!
ELETTRA Quanto sperar mi lice!
ELEKTRA Auf wievieles darf ich nun hoffen!
IDAMANTE Vado! (da sé) e il mio cor qui resta.
IDAMANTE Ich gehe! (für sich) Mein Herz aber bleibt hier.
IDAMANTE, ELETTRA, IDOMENEO Addio!
IDAMANTE, ELEKTRA, IDOMENEO Lebe wohl!
IDOMENEO, IDAMANTE (ognuno da sé) Destin crudel!
IDOMENEO, IDAMANTE (jeder für sich) Grausames Schicksal!
IDAMANTE (da sé) Oh Ilia!
IDAMANTE (für sich) O Ilia!
IDOMENEO (da sé) Oh figlio!
IDOMENEO (für sich) O mein Sohn!
IDAMANTE Oh padre! oh partenza!
IDAMANTE O Vater! O Abschied!
ELETTRA Oh Dèi! che sarà?
ELEKTRA O Götter, was wird geschehen?
TUTTI Deh cessi il scompiglio; del ciel la clemenza sua man porgerà. (Vanno verso le navi. Mentre vanno ad imbarcarsi sorge improvvisa tempesta.)
ALLE Es möge nun die Wirrsal enden! Der gütige Himmel wird die Hand uns reichen. (Sie gehen zu den Schiffen. Während sie sich anschicken, sich einzuschiffen, erhebt sich plötzlich ein Sturm.)
N° 17 CORO
NR. 17 CHOR
CORO Qual nuovo terrore! qual rauco muggito! De’ Numi il furore
CHOR Welch neues Entsetzen! Welch dumpfes Gebrüll! Der Zorn der Götter
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ha il mar infierito. Nettuno, mercé!
läßt das Meer tosen. Neptun, Erbarmen!
(Incalza la tempesta, il mare si gonfia, il cielo tuona e lampeggia, e i frequenti fulmini incendono le navi. Un mostro formidabile s’appresenta fuori delI’onde.)
(Das Unwetter wird heftiger, die Wogen gehen hoch, am Himmel Blitz und Donner, die einschlagenden Blitze setzen die Schiffe in Brand. Ein schreckliches Ungeheuer taucht aus dem Meer auf.)
Qual’odio, qual’ira Nettuno ci mostra! Se il cielo s’adira, qual colpa è la nostra? Il reo, qual’è?
Welchen Hass, welchen Zorn lässt uns Neptun schauen! Um welcher Vergehen willen zürnt der Himmel? Wer ist der Schuldige?
IDOMENEO Eccoti in me, barbaro Nume! il reo. Io solo errai, me sol punisci e cada sopra di me il tuo sdegno. La mia morte ti sazi alfin; ma se altra aver pretendi vittima al fallo mio, una innocente darti io non posso, e se pur tu la vuoi, ingiusto sei, pretenderla non puoi.
IDOMENEO Sieh in mir den Schuldigen, grausamer Gott! Ich allein habe gefehlt, so strafe mich allein und lass mich deinen Unwillen spüren. Mein Tod sei dir genug; verlangst du aber für mein Vergehen ein anderes, unschuldiges Opfer, kann ich es dir nicht geben. Forderst du es dennoch, bist du ungerecht, du hast kein Recht, es zu verlangen.
(La tempesta continua. I Cretesi spaventati fuggono e nel seguente coro col canto e con pantomime esprimono il loro terrore, ciò che tutto forma un’azione analoga e chiude l’atto col solito divertimento.)
(Das Unwetter dauert an. Die entsetzten Kreter fliehen und bringen im nachfolgenden Chor mit Gesang und Pantomime, die den Chor wie eine Handlung begleitet, ihren Schrecken zum Ausdruck. Der Akt schließt mit dem üblichen Divertimento.)
N° 18 CORO
NR. 18 CHOR
CORO Corriamo, fuggiamo quel mostro spietato. Corriamo, fuggiamo, Ah preda già siamo! Chi, perfido fato, più crudo è di te?
CHOR Lasst uns rennen, lasst uns fliehen vor dem erbarmungslosen Ungeheuer. Lasst uns rennen, lasst uns fliehen, ach, schon sind wir seine Beute! Wer, heimtückisches Schicksal, könnte grausamer sein als du?
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ATTO TERZO
DRITTER AKT
SCENA I (Giardino reale –
SZENE I (Königlicher Garten –
Ilia sola)
Ilia allein)
ILIA Solitudini amiche, aure amorose, piante fiorite e fiori vaghi, udite d’una infelice amante i lamenti che a voi lassa confido. Quanto il tacer presso al mio vincitore, quanto il finger ti costa, afflitto core!
ILIA Wohltuende Einsamkeit, linde Lüfte, blühende Bäume und ihr, liebliche Blumen, hört die Klage einer unglücklich Liebenden, die sie in ihrer Seelennot euch anvertraut. Wie mühsam ist dir das Schweigen vor meinem Bezwinger und die Verstellung, bekümmertes Herz!
N° 19 ARIA
NR. 19 ARIE
Zeffiretti lusinghieri, deh volate al mio tesoro e gli dite ch’io l’adoro, che mi serbi il cor fedel. E voi piante e fior sinceri, che ora innaffia il pianto amaro, dite a lui che amor più raro mai vedeste sotto al ciel.
Weht, verführerische Zephirwinde, weht zu meinem Liebsten hin und sagt ihm, dass ich ihn liebe, er soll mir die Treue bewahren. Und ihr, arglose Bäume und Blumen, die ich mit bitteren Tränen benetze, sagt ihm, ihr habt eine innigere Liebe nie unter dem Himmel gesehen.
Ei stesso vien … oh Dèi! … mi spiego o taccio? Resto … parto … o m’ascondo? … Ah risolver non posso, ah mi confondo!
Da kommt er … weh mir! … Offenbare ich mich oder schweige ich? … Bleibe ich? … Fliehe ich? … Verberge ich mich? Ach, ich kann mich nicht entschließen, ach, ich vergehe!
SCENA II (Ilia, Idamante)
SZENE II (Ilia, Idamante)
IDAMANTE Principessa, a’ tuoi sguardi se offrirmi ardisco ancor, più non mi guida un temerario affetto. Altro or non cerco che appagarti e morir. […] Un fiero mostro fa da pertutto orrida strage. Or questo a combatter si vada e vincerlo si tenti, o finisca la morte i miei tormenti.
IDAMANTE Prinzessin, ich wage es noch einmal, dir unter die Augen zu treten, doch ist es nicht vermessene Liebe, die mich leitet. Ich will nur noch eines, dir Genugtuung geben und sterben. […] Ein wildes Ungeheuer richtet überall furchtbare Verwüstungen an. Ich will es bekämpfen, ich will es besiegen, oder der Tod soll meine Qualen beenden.
ILIA Calma, oh prence, un trasporto sì funesto: Rammenta che tu sei d’un grand’impero l’unica speme.
ILIA Zügle, o Prinz, deinen unheilvollen Eifer: Bedenke, du bist eines großen Reiches einzige Hoffnung.
IDAMANTE Privo del tuo amore, privo, Ilia, di te, nulla mi cale.
IDAMANTE Ohne deine Liebe, ohne dich, Ilia, kümmert mich das alles nicht.
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ILIA Misera me! … deh serba i giorni tuoi.
ILIA Ich Unglückliche! … Ach, erhalte dein Leben!
IDAMANTE Il mio fato crudel seguir degg’io.
IDAMANTE Ich muss meinem grausamen Schicksal folgen.
ILIA Vivi … Ilia te’l chiede.
ILIA Lebe! … Ilia bittet dich darum.
IDAMANTE Oh Dèi! che ascolto? Principessa adorata! …
IDAMANTE O Götter, was höre ich? Geliebte Prinzessin! …
ILIA Il cor turbato a te mal custodì la debolezza mia; pur troppo amore e tema indivisi ho nel sen.
ILIA Das verstörte Herz verbarg meine Schwäche nur schlecht vor dir; zu nahe liegen Liebe und Furcht beieinander in meinem Herzen.
IDAMANTE Odo? o sol quel che brama finge l’udito, o pure il grand’ardore m’agita i sensi, e il cor lusinga oppresso un dolce sogno?
IDAMANTE Höre ich recht, oder täuscht, was ich ersehne, das Ohr? Verwirrt brennende Leidenschaft meine Sinne, betört ein süßer Traum das beklommene Herz?
ILIA Ah! perché pria non arsi che scoprir la mia fiamma? Mille io sento rimorsi all’alma. Il sacro mio dovere, la mia gloria, la patria, il sangue de’ miei ancor fumante, oh quanto al core rimproveranno il mio ribelle amore! … Ma alfin che fo? Già che in periglio estremo ti vedo, oh caro, e trarti sola io posso, odimi, io te’l ridico: t’amo, t’adoro, e se morir tu vuoi, pria che m’uccida il duol morir non puoi.
ILIA Ach, warum habe ich dir nicht schon früher meine Liebe entdeckt? Tausendfach bereue ich es in meiner Seele. Meine heilige Pflicht, mein Stolz, das Vaterland, das frisch vergossene Blut der Meinen, ach, wie sehr tadeln sie mein Herz für meine unbotmäßige Liebe! … Doch was soll ich tun? Du bist in höchster Gefahr, Geliebter, und ich allein kann dich retten, darum höre, ich sage es dir wieder: ich liebe dich von Herzen, und sterben darfst du erst, wenn mich der Schmerz getötet hat.
N° 20 DUETTO
NR. 20 DUETT
IDAMANTE S’io non moro a questi accenti, non è ver, che amor uccida, che la gioia opprima un cor.
IDAMANTE Wenn ich nicht sterbe bei diesen Worten, dann ist es nicht wahr, dass Liebe töten, dass Freude ein Herz erdrücken kann.
ILIA Non più duol, non più lamenti; io ti son costante e fida, tu sei il solo mio tesor.
ILIA Keine Schmerzen, keine Klagen mehr; ich bin dir treu ergeben, mein einzig Geliebter!
IDAMANTE Tu sarai …
IDAMANTE Du wirst …
ILIA Qual tu mi vuoi.
ILIA … sein, wie immer du willst.
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IDAMANTE La mia sposa …
IDAMANTE Meine Braut…
ILIA Lo sposo mio sarai tu?
ILIA … mein Bräutigam wirst du sein?
IDAMANTE, ILIA Lo dica amor. Ah! il gioir sorpassa in noi il sofferto affanno rio, tutto vince il nostro ardor!
IDAMANTE, ILIA So will es die Liebe. Ach, die Freude in unseren Herzen ist größer als der erlittene Schmerz, unsere Liebe wird alles überwinden!
SCENA III (Idomeneo, Elettra, e detti)
SZENE III (Idomeneo, Elektra und die Vorigen)
IDOMENEO (da sé) Cieli! Che vedo?
IDOMENEO (für sich) Himmel! Was muss ich sehen?
ILIA (a Idamante) Ah siam scoperti, oh caro.
ILIA (zu Idamante) Wir sind entdeckt, Geliebter.
IDAMANTE (a Ilia) Non temer, idol mio.
IDAMANTE (zu Ilia) Hab keine Angst, meine Geliebte.
ELETTRA (da sé) Ecco l’ingrato.
ELEKTRA (für sich) Da ist er, der Undankbare.
IDOMENEO (da sé) Io ben m’apposi al ver. Ah crudo fato!
IDOMENEO (für sich) Meine Ahnung war richtig. Grausames Schicksal!
IDAMANTE Signor, già più non oso padre chiamarti, a un suddito infelice, deh, questa almen concedi unica grazia.
IDAMANTE Herr, ich wage es kaum noch, dich Vater zu nennen. Einem unglücklichen Untertan gewähre, ach, nur noch eine einzige Gnade!
IDOMENEO Parla.
IDOMENEO Sprich.
ELETTRA (da sé) Che dirà?
ELEKTRA (für sich) Was wird er sagen?
IDAMANTE In che t’offesi mai? Perché mi fuggi, m’odi e aborrisci?
IDAMANTE Womit habe ich dich nur beleidigt? Warum fliehst du, hasst du, verabscheust du mich?
[…]
[…]
IDOMENEO (a Idamante) Parti, te lo comando, fuggi il paterno lido, e cerca altrove sicuro asilo.
IDOMENEO (zu Idamante) Geh fort von hier, ich befehle es dir, entfliehe den heimatlichen Gestaden und suche anderswo sichere Zuflucht.
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ILIA Ahimè! … (a Elettra) Pietosa principessa, ah mi conforta!
ILIA Weh mir! … (zu Elektra) Gütige Prinzessin, ach, tröste mich!
ELETTRA Ch’io ti conforti? E come? (da sé) Ancor m’insulta l’indegna.
ELEKTRA Ich soll dich trösten? Wie könnte ich? (für sich) Beleidigt mich die Schändliche auch noch.
IDAMANTE Dunque io me n’andrò … ma dove? … Oh Ilia! … oh genitor!
IDAMANTE Nun denn, ich gehe … aber wohin? … O Ilia! … O Vater!
ILIA (risoluta) O seguirti, o morir, mio ben, vogl’io.
ILIA (entschlossen) Ich will dir folgen oder sterben, Geliebter!
IDAMANTE Deh resta, oh cara, e vivi in pace … Addio!
IDAMANTE Oh, bleibe, Geliebte, und finde Frieden … Leb wohl!
N° 21 QUARTETTO
NR. 21 QUARTETT
IDAMANTE Andrò ramingo e solo, morte cercando altrove fin che la incontrerò.
IDAMANTE Ich gehe und will allein umherirren, ich will den Tod anderwärts suchen, bis ich ihn gefunden habe.
ILIA M’avrai compagna al duolo, dove sarai, e dove tu moia, io morirò.
ILIA Ich werde im Schmerz deine Gefährtin sein, wo immer du bist, und wo du stirbst, sterbe auch ich.
IDAMANTE Ah no …
IDAMANTE O nein …
IDOMENEO Nettun spietato! Chi per pietà m’uccide?
IDOMENEO Grausamer Neptun! Wer hat Erbarmen und tötet mich?
ELETTRA (da sé) Quando vendetta avrò?
ELEKTRA (für sich) Wann wird meine Schmach gerächt?
IDAMANTE, ILIA (a Idomeneo) Serena il ciglio irato.
IDAMANTE, ILIA (zu Idomeneo) Erheitere den zornigen Blick.
ILIA, IDAMANTE, IDOMENEO Ah il cor mi si divide!
ILIA, IDAMANTE, IDOMENEO Ach, mir bricht das Herz!
ILIA, ELETTRA, IDAMANTE, IDOMENEO Soffrir più non si può. Peggio è di morte sì gran dolore. Più fiera sorte, pena maggiore nissun provò!
ILIA, ELEKTRA, IDAMANTE, IDOMENEO Mehr kann ein Mensch nicht ertragen. Schlimmer als der Tod ist so bitteres Leid. Ein grausameres Schicksal und härtere Drangsal hat nie ein Mensch erfahren!
IDAMANTE Andrò ramingo e solo. (parte addolorato)
IDAMANTE Ich gehe und werde allein umherirren. (geht schmerzerfüllt ab)
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SCENA IV (Arbace, Idomeneo, Ilia, Elettra)
SZENE IV (Arbace, Idomeneo, Ilia, Elektra)
[…]
[…]
[W. A. MOZART: FANTASIE IN D (FRAGMENT) KV 397 (385G)]
[W. A. MOZART: FANTASIE IN D (FRAGMENT) KV 397 (385G)]
SCENA V (Arbace solo)
SZENE V (Arbace allein)
ARBACE Sventurata Sidon! in te quai miro di morte, stragi e orror lugubri aspetti? Ah Sidon più non sei, sei la città del pianto, e questa reggia quella del duol! … Dunque è per noi dal cielo sbandita ogni pietà? … Chi sa? Io spero ancora che qualche Nume amico si plachi a tanto sangue; un Nume solo basta tutti a piegar; alla clemenza il rigor cederà … Ma ancor non scorgo qual ci miri pietoso … Ah sordo è il cielo! Ah Creta tutta io vedo finir sua gloria sotto alte rovine! No, sue miserie pria non avran fine.
ARBACE Weh dir, Kydonia! Welch schauriger Anblick von Tod, Verheerung und Entsetzen! Du bist nicht mehr unser Kydonia, du bist die Stadt der Tränen, und dieser Palast ist eine Stätte des Schmerzes! … Hat der Himmel mit uns kein Erbarmen mehr? … Wer soll es wissen? Noch habe ich Hoffnung, dass sich vielleicht ein wohlwollender Gott durch so viel Blut versöhnen lässt; ein Gott ist genug, um alle zu besänftigen; die Strenge wird der Milde weichen … Doch noch sehe ich keinen, der Mitleid hat… Ach, der Himmel ist taub! Ach, Kretas ganzen Ruhm sehe ich schon unter Bergen von Trümmern begraben! Nein, eher wird sein Unglück nicht enden.
N° 22 ARIA
NR. 22 ARIE
Se colà ne’ fati è scritto, Creta, oh Dèi, s’è rea, or cada, paghi il fio del suo delitto; ma salvate il prence, il re. […] (parte)
Wenn im Schicksalsbuch geschrieben steht, dass Kreta schuldig ist und fallen muss, dann lasst es, ihr Götter, bitter büßen, doch verschont den Prinzen, den König. […] (geht ab)
SCENA VI (Gran piazza abbellita di statue avanti al palazzo, di cui si vede da un lato il frontispizio.
SZENE VI (Großer, mit Statuen geschmückter Platz vor dem Palast, dessen Giebelfront auf der einen Bühnenseite zu sehen ist.
Arriva Idomeneo accompagnato d’Arbace e dal seguito reale; il re scortato d’Arbace si siede sopra il trono destinato alle pubbliche udienze; Gran Sacerdote e quantità di popolo.)
Idomeneo tritt auf, begleitet von Arbace und dem königlichen Gefolge; von Arbace geleitet, setzt er sich auf den Thron für öffentliche Audienzen; Oberpriester und Volksmenge.)
N° 23 RECITATIVO
NR. 23 REZITATIV
GRAN SACERDOTE Volgi intorno lo sguardo, oh sire, e vedi qual strage orrenda nel tuo nobil regno fa il crudo mostro. Ah mira allagate di sangue quelle pubbliche vie; ad ogni passo vedrai chi geme e l’alma
OBERPRIESTER Sieh dich um, o König, und erkenne, welch furchtbare Verwüstung das Ungeheuer in deinem stolzen Reich anrichtet. Sieh die Straßen, von Blut überschwemmt; auf Schritt und Tritt wirst du Sterbende sehen, die stöhnen, und die Leiber aufgebläht 111
gonfia d’atro velen dal corpo esala. Mille e mille, in quell’ampio, e sozzo ventre, pria sepolti che morti perire io stesso vidi. Sempre di sangue lorde son quelle fauci, e son sempre più ingorde. Da te solo dipende il ripiego, da morte trar tu puoi il resto del tuo popolo, ch’esclama sbigottito, e da te l’aiuto implora, e indugi ancor? … Al tempio, sire, al tempio. Qual è, dov’è la vittima? … a Nettuno rendi quello ch’è suo …
vom schwarzen Gift die Seele aushauchen. Ich selbst sah, wie Tausende, bei lebendigem Leib verschlungen, in diesem widerlichen und unersättlichen Bauch verschwanden. Von Blut trieft stets sein Maul, und es wird immer gefräßiger. Es liegt allein an dir, einen Ausweg zu finden und den Rest deines Volkes vom Tod zu erretten; es ruft verzagt nach dir und fleht dich um Hilfe an. Was zauderst du noch? … Zum Tempel, König, zum Tempel! Wer ist das Opfer, wo ist es? … Gib Neptun, was ihm gebührt …
IDOMENEO Non più … Sacro ministro, e voi popoli, udite: la vittima è Idamante, e or or vedrete, ah Numi! con qual ciglio? svenar il genitor il proprio figlio. (parte turbato)
IDOMENEO Es ist genug … Heiliger Priester, und ihr, mein Volk, hört: Das Opfer ist Idamante, und ihr werdet jetzt sehen, o Götter, was für ein Anblick, wie der Vater den eigenen Sohn entleibt. (geht bestürzt ab)
N° 24 CORO
NR. 24 CHOR
CORO Oh voto tremendo! Spettacolo orrendo! Già regna la morte, d’abisso le porte spalanca crudel.
CHOR O schreckliches Gelübde! Grausiges Schauspiel! Schon herrscht der Tod, die Pforten der Hölle tun grausam sich auf.
GRAN SACERDOTE Oh cielo clemente! Il figlio è innocente, il voto è inumano; arresta la mano del padre fedel.
OBERPRIESTER O gütiger Himmel! Der Sohn ist ohne Schuld, unmenschlich ist das Gelübde; halte die Hand des liebenden Vaters zurück.
CORO Oh voto tremendo! Spettacolo orrendo! Già regna la morte, d’abisso le porte spalanca crudel. (partono tutti dolenti)
CHOR O schreckliches Gelübde! Grausiges Schauspiel! Schon herrscht der Tod, die Pforten der Hölle tun grausam sich auf. (alle gehen tiefbetrübt ab)
SCENA VII (Veduta esteriore del magnifico tempio di Nettuno con vastissimo atrio che lo circonda, attraverso del quale si scopre in lontano la spiaggia di mare.
SZENE VII (Vorderansicht des prächtigen Neptuntempels. Durch die weite Säulenvorhalle hindurch kann man in der Ferne den Meeresstrand sehen.
L’atrio e le gallerie del tempio sono ripiene d’una moltitudine di popolo, i sacerdoti preparano le cose appartenenti al sacrifìcio.)
In der Vorhalle und auf den Galerien des Tempels eine große Menschenmenge, die Priester bereiten das Ritual des Opfers vor.)
N° 25 MARCIA
NR. 25 MARSCH
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(Arriva Idomeneo accompagnato da numeroso e fastoso seguito.)
(Idomeneo tritt auf, begleitet von einem großen, prunkhaften Gefolge.)
N° 26 CAVATINA CON CORO
NR. 26 CAVATINE MIT CHOR
IDOMENEO Accogli, oh re del mar, i nostri voti, placa lo sdegno tuo, il tuo rigor!
IDOMENEO Erhöre unsere Bitten, o König des Meeres, besänftige deinen Zorn, deine Strenge!
SACERDOTI Accogli, oh re del mar, i nostri voti, placa lo sdegno tuo, il tuo rigor!
PRIESTER Erhöre unsere Bitten, o König des Meeres, besänftige deinen Zorn, deine Strenge!
IDOMENEO Tornino a lor spelonche gl’Euri, i Noti, torni Zeffiro al mar, cessi il furor. Il pentimento e il cor de’ tuoi devoti accetta, e a noi concedi il tuo favor.
IDOMENEO Schicke den Südost und den Südwind in ihre Höhlen zurück, lass den Zephir wehen über dem Meer, das Wüten habe ein Ende! Nimm die Reue und die Herzen der dir Ergebenen gnädig an und gewähre uns deine Gunst.
IDOMENEO E SACERDOTI Accogli, oh re del mar, i nostri voti, placa lo sdegno tuo, il tuo rigor!
IDOMENEO UND PRIESTER Erhöre unsere Bitten, o König des Meeres, besänftige deinen Zorn, deine Strenge!
CORO (dentro le scene) Stupenda vittoria! Eterna è tua gloria; trionfa oh signor!
CHOR (hinter der Szene) Wunderbarer Sieg! Ewig ist dein Ruhm; triumphiere, o Herr!
IDOMENEO Qual risuona qui intorno applauso di vittoria?
IDOMENEO Was ist das für ein Siegesjubel, der ringsumher erschallt?
SCENA VIII (Arbace frettoloso, e detti)
SZENE VIII (Arbace in Eile und die Vorigen)
ARBACE Sire, il prence, Idamante l’eroe, di morte in traccia disperato correndo il trionfo trovò. Su l’empio mostro scagliossi furibondo, il vinse, e uccise. Eccoci salvi alfin.
ARBACE Mein König, der Prinz, der Held Idamante, der verzweifelt den Tod suchte, hat den Sieg errungen. Er stürzte sich wütend auf das abscheuliche Ungeheuer, er hat es besiegt und getötet: wir sind endlich gerettet.
IDOMENEO Ahimè! [… oh Numi!]
IDOMENEO Weh mir! [… o Götter!]
SCENA IX
SZENE IX
N° 27 RECITATIVO (Idamante in veste bianca con ghirlanda di fiori in capo, circondato da guardie e da sacerdoti. Moltitudine di mesto popolo, e suddetti.)
NR. 27 REZITATIV (Idamante, in ein weißes Gewand gekleidet, mit einem Blumenkranz auf dem Kopf, umgeben von Wachen und Priestern. Die Volksmenge mit allen Anzeichen der Trauer, die Vorigen.)
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IDAMANTE Padre, mio caro padre, ah dolce nome! Eccomi, a’ piedi tuoi. In questo estremo periodo fatal, su questa destra che il varco al sangue tuo nelle mie vene aprir dovrà, gl’ultimi baci accetta. Ora comprendo che il tuo turbamento sdegno non era già, ma amor paterno. Oh mille volte e mille fortunato Idamante, se chi vita ti diè vita ti toglie, e togliendola a te la rende al cielo, e dal cielo la sua in cambio impetra, ed impetra costante a’ suoi la pace e de’ Numi l’amor sacro e verace.
IDAMANTE Vater, mein teurer Vater, o süßer Name! Sieh mich hier zu deinen Füßen. Lass mich in dieser meiner Todesstunde ein letztes Mal die Hand küssen, die mir die Adern öffnen und dein eigen Blut vergießen soll. Jetzt verstehe ich den Grund deiner Verstörung: nicht Zorn war es, sondern Vaterliebe. O tausend- und abertausendmal glücklicher Idamante! Der dir das Leben gab, nimmt dir das Leben, indem er es dir aber nimmt, gibt er es dem Himmel zurück und empfängt dafür vom Himmel das seine, erhält auch den Seinen den Frieden und die heilige und wahre Liebe der Götter.
IDOMENEO Oh figlio! oh caro figlio! … Perdona: il crudo uffizio in me scelta non è, pena è del fato … Barbaro, iniquo fato! … ah no, non posso contro un figlio innocente alzar l’aspra bipenne … Da ogni fibra già sen fuggon le forze, e gl’occhi miei torbida notte ingombra … oh figlio! …
IDOMENEO Mein Sohn, mein teurer Sohn! … Vergib mir: die grausame Pflicht habe ich mir nicht erwählt, sie ist die Strafe des Schicksals … Grausames, ungerechtes Schicksal. … Nein, ich kann das Henkerbeil nicht gegen meinen unschuldigen Sohn erheben … Schon weicht mir aus allen Fasern die Kraft, und meine Augen verdunkelt finstere Nacht … O mein Sohn! …
IDAMANTE (languente, poi risoluto) Oh padre! … Ah non t’arresti inutile pietà, né vana ti lusinghi tenerezza d’amor. Deh vibra un colpo che ambi tolga d’affanno.
IDAMANTE (matt, dann entschlossen) O Vater! … Lass dich nicht von nutzlosem Mitleid lähmen, noch von eitler, liebender Ergriffenheit. Versetze mir den Schlag, der unser beider Leiden beendet.
IDOMENEO Ah che natura me’l contrasta e ripugna.
IDOMENEO Ach, die Natur widersetzt sich und lässt es nicht zu.
IDAMANTE Ceda natura al suo autor: di Giove questo è l’alto voler. Rammenta il tuo dover. Se un figlio perdi, cento avrai Numi amici. Figli tuoi i tuoi popoli sono … Ma se in mia vece brami chi t’ubbidisca, ed ami, chi ti sia accanto e di tue cure il peso teco ne porti, Ilia ti raccomando; deh un figlio tu esaudisci che moribondo supplica e consiglia: s’ella sposa non m’è, deh siati figlia.
IDAMANTE Die Natur beuge sich ihrem Schöpfer: Es ist der erhabene Wille Jupiters. Besinne dich auf deine Pflicht. Du verlierst einen Sohn, doch sind dir hundert Götter gewogen. Deine Untertanen sind deine Söhne … Wünschst du dir aber statt meiner jemanden, der dir gehorcht und dich liebt, der um dich ist und die Last deiner Sorgen mit dir trägt, so wende dich Ilia zu; erhöre, ach, einen Sohn, der sterbend dich anfleht und dir rät: wenn sie mir Braut nicht sein kann, soll sie deine Tochter sein.
N° 27A ARIA
NR. 27A ARIE
No, la morte io non pavento, se alla patria, al genitore frutta, o Numi, il vostro amore e di pace il bel seren.
Nein, ich fürchte den Tod nicht, wenn er der Heimat, dem Vater zu eurer Liebe, o Götter, verhilft und zur Heiterkeit des Friedens.
114
[…]
[…]
Ma che più tardi? Eccomi pronto, adempi il sacrifizio, il voto.
Was zögerst du noch? Ich bin bereit, vollziehe das Opfer, löse das Gelübde ein.
IDOMENEO Oh qual mi sento in ogni vena insolito vigor? … Or risoluto son … l’ultimo amplesso ricevi … e mori.
IDOMENEO Welch ungewohnte Kraft durchströmt die Adern? … Ich bin entschlossen … lasse dich ein letztes Mal umarmen … und stirb.
IDAMANTE Oh padre!
IDAMANTE O Vater!
IDOMENEO Oh figlio! …
IDOMENEO Mein Sohn! …
IDAMANTE, IDOMENEO Oh Dio! …
IDAMANTE, IDOMENEO O Gott! …
IDAMANTE (da sé) Oh Ilia … ahimè! … (a Idomeneo) Vivi felice.
IDAMANTE (für sich) O Ilia … weh mir! … (zu Idomeneo) Werde glücklich.
IDOMENEO E IDAMANTE Addio! (Nell’atto di ferire sopravviene Ilia ed impedisce il colpo.)
IDOMENEO UND IDAMANTE Lebe wohl! (Als Idomeneo zum Schlag ausholt, stürzt Ilia herein und hindert ihn daran.)
SCENA X (Ilia frettolosa, Elettra, e detti)
SZENE X (Ilia, außer Atem, Elektra, die Vorigen)
ILIA (corre a ritenere il braccio d’Idomeneo) Ferma, oh sire, che fai?
ILIA (Idomeneo in den Arm fallend) Halt ein, o König, was tust du da?
IDOMENEO La vittima io sveno che promisi a Nettuno.
IDOMENEO Ich töte das Opfer, das ich Neptun versprach.
IDAMANTE Ilia, t’accheta.
IDAMANTE Ilia, beruhige dich.
GRAN SACERDOTE (a Ilia) Deh non turbar il sacrifizio …
OBERPRIESTER (zu Ilia) Störe nicht die Opferzeremonie …
ILIA Invano quella scure altro petto tenta ferir. Eccoti, sire, il mio, la vittima io son.
ILIA Vergebens sucht diese Axt eines anderen Brust zu verwunden. Hier ist, o König, die meine, das Opfer bin ich.
ELETTRA (da sé) Oh qual contrasto!
ELEKTRA (für sich) Welche unerwartete Wendung!
ILIA (a Idomeneo) Innocente è Idamante, è figlio tuo, e del regno è la speme.
ILIA (zu Idomeneo) Idamante ist ohne Schuld, er ist dein Sohn und die Hoffnung des Reiches. 115
Tiranni i Dèi non son. Fallaci siete interpreti voi tutti del divino voler. Vuol sgombra il cielo de’ nemici la Grecia, e non de’ figli. Benché innocente anch’io, benché ora amica, di Priamo son figlia, e Frigia io nacqui, per natura nemica al greco nome. Orsù, mi svena …
Die Götter sind keine Tyrannen. Ihr alle irrt in der Auslegung des göttlichen Willens. Der Himmel will Griechenland von seinen Feinden befreien, nicht der Söhne berauben. Zwar bin auch ich ohne Schuld und jetzt eure Freundin, doch bin ich des Priamus’ Tochter. Als Phrygierin bin ich von Natur aus der Griechen Feindin. Wohlan denn, so töte mich …
[…]
[…]
(S’ode un gran strepito sotterraneo. La statua di Nettuno si scuote; Il Gran Sacerdote si trova avanti all’ara in estasi. Tutti rimangono attoniti ed immobili per lo spavento. Una voce profonda e grave pronunzia la seguente sentenza del cielo.)
(Man hört ein gewaltiges unterirdisches Grollen, die Neptun-Statue bewegt sich; der Oberpriester steht mit allen Anzeichen der Verzückung vor dem Altar. Alle erstarren vor Furcht und Entsetzen. Eine tiefe und eindringliche Stimme verkündet das Urteil des Himmels.)
N° 28D
NR. 28D
LA VOCE Ha vinto Amore… Idomeneo cessi esser re… lo sia Idamante… ed Ilia a lui sia sposa, e fia pago Nettuno, contento il ciel, premiata l’innocenza.
DIE STIMME Die Liebe hat gesiegt … Idomeneo soll nicht mehr König sein …, sondern Idamante … und Ilia soll seine Gattin sein, Neptun und der Himmel sind zufriedengestellt, die Unschuld wird belohnt.
IDOMENEO Oh ciel pietoso!
IDOMENEO O barmherziger Himmel!
IDAMANTE Ilia …
IDAMANTE Ilia …
ILIA Idamante, udisti?
ILIA Idamante, hast du das gehört?
ARBACE Oh gioia! oh amor! oh Numi!
ARBACE Welche Freude, o Liebe, o ihr Götter!
ELETTRA Oh smania! oh furie! oh disperata Elettra! Addio amor, addio speme! ah il cor nel seno già m’ardono l’Eumenidi spietate. Misera! a che m’arresto? Sarò in queste contrade della gioia e trionfi spettatrice dolente? Vedrò Idamante alla rivale in braccio, e dall’uno, e dall’altra mostrarmi a dito? Ah no, il germano Oreste ne’ cupi abissi io vuo’ seguir. Ombra infelice! Lo spirito mio accogli, or or compagna m’avrai là nell’inferno a sempiterni guai, al pianto eterno.
ELEKTRA O wilde Wut! O Raserei! Verzweifelte Elektra! Leb wohl, Liebe, leb wohl, Hoffnung! Schon versengen mir die unerbittlichen Furien das Herz in der Brust. Ich Unglückliche, warum verweile ich noch? Soll ich an diesem Ort der Freude und des Jubels die gramerfüllte Zuschauerin sein? Soll ich Idamante im Arm der Rivalin sehen, soll ich erleben, wie sie mit Fingern auf mich zeigen? O nein, meinem Bruder Orest will ich in die Abgründe der Finsternis folgen. Unglücklicher Schatten! Heiße meinen Geist willkommen, bald schon werde ich deine Gefährtin sein dort unten in der Hölle zu ewigem Wehklagen, ewigen Tränen.
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N° 29 ARIA
NR. 29 ARIE
D’Oreste, d’Aiace ho in seno i tormenti. D’Aletto la face già morte mi dà. Squarciatemi il core, ceraste, serpenti, o un ferro il dolore in me finirà. (parte infuriata)
Die Qualen von Orest und Ajax fühle ich in meiner Brust. Die Fackel der Alekto gibt mir schon der Tod. Zerreißt mir das Herz, ihr Nattern und Schlangen, oder ein Dolch soll meinem Schmerz ein Ende machen. (geht wütend ab)
SCENA ULTIMA (Idomeneo, Idamante, Ilia, Arbace; Seguito d’Idomeneo, d’Idamante e d’Ilia; popolo)
LETZTE SZENE (Idomeneo, Idamante, Ilia, Arbace; Gefolge Idomeneos, Idamantes und Ilias; Volk)
IDOMENEO Popoli, a voi l’ultima legge impone Idomeneo qual re. Pace v’annunzio, compiuto è il sacrifizio, e sciolto il voto. Nettuno e tutti i Numi a questo regno amici son. Resta che al cenno loro Idomeneo ora ubbidisca. Oh quanto, oh sommi Dèi! quanto m’è grato il cenno. Eccovi un altro re, un altro me stesso. A Idamante mio figlio, al caro figlio cedo il soglio di Creta e tutto insieme il sovrano poter. I suoi comandi rispettate, eseguite ubbidienti, come i miei eseguiste, e rispettaste, onde grato io vi son: questa è la legge. Eccovi la real sposa. Mirate in questa bella coppia un don del cielo serbato a voi. Quanto a sperar vi lice! Oh Creta fortunata! oh me felice!
IDOMENEO Mein Volk, ein letztes Mal gibt euch Idomeneo ein Gesetz als König. Ich verkünde den Frieden, das Opfer ist dargebracht, das Gelübde erfüllt. Neptun und alle anderen Götter sind diesem Reich wohlgesinnt. Nun ist es an Idomeneo, ihrer Weisung zu folgen. Froh und dankbar, ihr erhabenen Götter, gehorche ich eurem Willen. Seht hier einen anderen König und mir gleich. Meinem Sohn Idamante, meinem geliebten Sohn überlasse ich Kretas Thron und damit die unumschränkte Herrschergewalt. Befolgt seine Befehle, führt sie gehorsam aus, wie ihr die meinen befolgt und ausgeführt habt, wofür ich euch danke: das ist das Gesetz. Seht hier die königliche Braut. Erblickt in diesem schönen Paar ein Geschenk des Himmels an euch. Wieviel dürft ihr jetzt hoffen! O glückliches Kreta, und glücklich auch ich!
N° 30 ARIA
NR. 30 ARIE
Torna la pace al core torna lo spento ardore; […]
Friede kehrt wieder ein in mein Herz, das erloschene Feuer ist neu entfacht; […]
(Segue l’incoronazione d’Idamante, che s’eseguisce in pantomima, ed il coro che si canta durante l’incoronazione ed il ballo.)
(Es folgt die Krönung Idamantes in pantomimischer Darstellung; der Chor singt während der Krönung und des Balletts.)
N° 31 CORO Scenda Amor, scenda Imeneo, e Giunone ai regi sposi, d’alma pace omai li posi la dea pronuba nel sen.
NR. 31 CHOR Steigt herab, Amor und Hymen und Juno, steigt herab zu diesem königlichen Paar. Die Göttin der Ehe senke ihnen nun den Frieden der Seele ins Herz.
N° 32 BALLET
NR. 32 BALLETT
Übersetzung: Heidi Fritz, 2009 117
WILFRIED HÖSL
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Fotos der Klavierhauptprobe am 8. Juli 2021
Matthew Polenzani (Idomeneo), Emily D’Angelo (Idamante)
Olga Kulchynska (Ilia)
Matthew Polenzani (Idomeneo), Opernballett der Bayerischen Staatsoper
Hanna-Elisabeth Müller (Elettra)
Martin Mitterrutzner (Arbace), Opernballett der Bayerischen Staatsoper
Matthew 124 Polenzani (Idomeneo)
Hanna-Elisabeth (Müller (Elettra), Chor der Bayerischen Staatsoper, Statisterie der der Bayerischen Staatsoper, Opernballett der Bayerischen Staatsoper
Chor der Bayerischen Staatsoper, Opernballett der Bayerischen Staatsoper, Bühnenmusiker
Chor der Bayerischen Staatsoper, Statisterie der Bayerischen Staatsoper
Olga Kulchynska (Ilia)
Olga 130 Kulchynska (Ilia), Emily D’Angelo (Idamante), Bühnentechniker der Bayerischen Staatsoper
Caspar Singh (Oberpriester), Matthew Polenzani (Idomeneo)
Matthew Polenzani (Idomeneo), Emily D’Angelo (Idamante), Olga Kulchynska (Ilia), Hanna-Elisabeth Müller (Elettra)
Matthew Polenzani (Idomeneo), Martin Mitterrutzner (Arbace), Emily D’Angelo (Idamante), Chor der Bayerischen Staatsoper
Hanna-Elisabeth Müller (Elettra)
Emily D’Angelo (Idamante)
Matthew Polenzani (Idomeneo), Bühnenmusiker
Opernballett der Bayerischen Staatsoper
DIE AUTORINNEN UND AUTOREN
PHYLLIDA BARLOW wurde in Newcastle upon Tyne geboren und studierte am Chelsea College of Art und der Slade School of Fine Art in London. Mit ihren raumgreifenden Skulpturen aus Alltagsmaterialien gehört sie zu den international profiliertesten britischen Künstlerinnen. 2017 vertrat sie Großbritannien bei der Biennale di Venezia. Neben ihrem künstlerischen Schaffen war sie auch beständig als Dozentin tätig, zuletzt bis 2009 als Professorin an der Slade School of Fine Art. Seit 2011 ist sie Mitglied der Royal Academy of Arts, 2015 wurde sie von Queen Elizabeth II. zur Commander des Order of the British Empire ernannt. Das Münchner Haus der Kunst widmet ihr 2021 eine Retrospektive. Mit Idomeneo an der Bayerischen Staatsoper gestaltet sie zum ersten Mal das Bühnenbild zu einer Theaterproduktion. ALBERT OSTERMAIER wurde in München geboren und studierte u. a. Neuere Deutsche Literatur an der Ludwig-Maximilans-Universität in München. 1995 wurde sein Gedichtband Herz Vers Sagen mit dem Lyrik Preis des PEN Liechtenstein ausgezeichnet. Im selben Jahr wurde sein erstes Stück Zwischen zwei Feuern – Tollertopographie am Bayerischen Staatsschauspiel uraufgeführt. Seither wurden seine Stücke etwa am Nationaltheater in Mannheim, am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg sowie am Wiener Burgtheater und bei den Salzburger Festspielen aufgeführt. Darüber hinaus veröffentlichte er Romane und weitere Lyrik-Bände. Zudem erhielt er den Kleist-Preis sowie den Bertolt-Brecht-Preis und hatte verschiedene Gastprofessuren und Poetik-Dozenturen inne. Nebenbei ist er aktiver Fußballtorwart der Deutschen Autorennationalmannschaft und Kurator der DFB-Kulturstiftung.
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JÜRGEN SCHLÄDER, geboren 1948 in Hagen, promovierte in Musikwissenschaft mit der Dissertation Undine auf dem Musiktheater. Zur Entwicklungsgeschichte der deutschen Spieloper. 1986 habilitierte er mit einer Arbeit über das Opernduett. Von 1987 bis zu seinem Ruhestand war er Professor für Theaterwissenschaft, Schwerpunkt Musiktheater, an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Buchveröffentlichungen über die Bayerische Staatsoper, das Prinzregententheater und Giacomo Meyerbeer. Zudem war er Leiter des Forschungsprojekts zur Aufarbeitung der Geschichte der Bayerischen Staatsoper in den Jahren 1933 – 1963 und kuratierte die Ausstellung Vision und Tradition. 200 Jahre Nationaltheater in München am Deutschen Theatermuseum.
BARBARA ZUBER promovierte an der Freien Universität Berlin über das Spätwerk Anton Weberns. Sie war Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung, Dramaturgin bei der Münchner Biennale für Neues Musiktheater bei Hans Werner Henze und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Musiksammlung der Bayerischen Staatsbibliothek. Zuletzt war sie wissenschaftliche Angestellte im Studiengang Dramaturgie/Schwerpunkt Musiktheater am Theaterwissenschaftlichen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Lehrbeauftragte für Geschichte und Dramaturgie der Oper an der Bayerischen Theaterakademie August Everding. Zu ihren Spezialgebieten zählt das Musiktheater des Barock und des 20. Jahrhunderts.
MARTIN ZIMMERMANN studierte Geschichte und Germanistik an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel. 1990 erfolgte die Promotion in Alter Geschichte an der Universität Tübingen, 1997 wurde er ebendort habilitiert. Von 1997 bis 2002 war er Akademischer Rat in Tübingen. Seit 2002 ist er ordentlicher Professor für Alte Geschichte an der Universität München. 2013 wurde er Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Im Kollegjahr 2019 / 2020 war Zimmermann als Senior Fellows am Historischen Kolleg in München, wo er zu „Lost cities – Wahrnehmung von und Leben mit verlassenen Städten in antiken Kulturen“ forschte. Von ihm erschienen Publikationen wie Gewalt. Die dunkle Seite der Antike.
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TEXT- UND BILDNACHWEISE
Die Texte von Barbara Zuber (S. 34), Jürgen Schläder (S. 48) sowie die Gedichte von Albert Ostermaier (S. 32) sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Der Artikel von Martin Zimmermann (S. 64) entstand ursprünglich für eine Idomeneo-Produktion am Royal Opera House Covent Garden in London und erscheint nun vom Autor überarbeitet erstmals auf Deutsch. Hannah Arendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben © Piper Verlag, München (Umschlag). HANDLUNG Rainer Karlitschek ÜBERSETZUNG INS ENGLISCHE Claire Holfelder ÜBERSETZUNG INS FRANZÖSISCHE Laurence Orgeret
Die Strukturen und Detailfotos von Phyllida Barlows Bühnenbild sowie die Aufführungsfotos sind von Wilfried Hösl.
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Für die Originalbeiträge und Originalbilder alle Rechte vorbehalten. Urheber, die nicht zu erreichen waren, werden zwecks nachträglicher Rechteabgeltung um Nachricht gebeten.
IMPRESSUM
Bayerische Staatsoper STAATSINTENDANT Nikolaus Bachler Spielzeit 2020/2021 Programmbuch zur Neuinszenierung Idomeneo von Wolfgang Amadeus Mozart am 19. Juli 2021 im Prinzregententheater, München KONZEPT UND REDAKTION Rainer Karlitschek BILDDRAMATURGIE Dr. Katrin Dillkofer MITARBEIT Sören Sarbeck GESTALTUNG Bureau Borsche, Mirko Borsche Robert Gutmann, Julian Wallis, Stefan Mader SATZ UND DRUCK Gotteswinter und Aumaier GmbH, München
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Verfehlungen sind alltägliche Vorkommnisse, die sich aus der Natur des Handelns selbst ergeben, das ständig neue Bezüge in ein schon bestehendes Bezugsgewebe schlägt; sie bedürfen der Verzeihung, des Vergebens und Vergessens, denn das menschliche Leben könnte gar nicht weitergehen, wenn Menschen sich nicht ständig gegenseitig von den Folgen dessen befreien würden, was sie getan haben, ohne zu wissen, was sie tun. Nur durch dieses dauernde gegenseitige Sich-Entlasten und Entbinden können Menschen, die mit der Mitgift der Freiheit auf die Welt kommen, auch in der Welt frei bleiben, und nur in dem Maße, in dem sie gewillt sind, ihren Sinn zu ändern und neu anzufangen, werden sie instand gesetzt, ein so ungeheueres und ungeheuer gefährliches Vermögen wie das der Freiheit und des Beginnens einigermaßen zu handhaben. [...] Der Grund für diese Vergebensbereitschaft ist nicht, dass die Liebe alles versteht und dass sich für sie der Unterschied zwischen Recht und Unrecht verwischt, sondern dass ihr – in den äußerst seltenen Fällen, wo sie sich wirklich ereignet – eine in der Tat so unvergleichliche Macht der Selbstenthüllung und ein so unvergleichlicher Blick für das Wer der Person in dieser Enthüllung eignet, dass sie mit Blindheit geschlagen ist in Bezug auf alles, was die geliebte Person an Vorzügen, Talenten und Mängeln besitzen oder an Leistungen und Versagen aufzuweisen haben mag.
HANNAH ARENDT
aus: Vita activa oder Vom tätigen Leben