Comic zu Miroslav Srnkas "South Pole" Teil 3

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Der Wettlauf von Roald Amundsen und Robert Scott zum Südpol wurde Geschichte. In dieser Spielzeit wurde die Geschichte zur Oper. Miroslav Srnka komponierte im Auftrag der Bayerischen Staatsoper die Oper South Pole, die am 31. Januar 2016 uraufgeführt wurde. MAX JOSEPH begleitet das Ereignis durch die Spielzeit und erzählt in Folge 3 davon, wie der Wettlauf ausging – vorläufig.


Was bisher geschah: Der britische Marineoffizier Robert Falcon Scott und der norwegische Polarforscher Roald Amundsen sind mit ihren Mannschaften in der ­Antarktis gelandet. Scott hat mehrere Ziele: zum einen die Erforschung des bislang praktisch unbekannten Kontinents, und zum anderen den Südpol zu erreichen, was noch niemandem zuvor gelungen ist. Erst u ­ nterwegs erfährt Scott, dass auch Amundsen der Erste sein will. Dieser verzichtet auf den wissenschaftlichen Ballast, reist mit wenigen, frosterprobten Leuten und konzentriert alle Anstrengungen auf sein Ziel. Nichts davon ahnen seine Geldgeber, als sie ihm eine mehrjährige Drift durchs Nordpolarmeer finanzieren. Überhaupt niemand ahnt etwas, bis Amundsen – mit seinem Schiff, der

Hier läuft alles glatt. Amundsen schreibt über seine Hunde: „Bin heute bei –11° C den ganzen Tag nur in Hemd und Unterhose gegangen. Die Hunde ziehen ausgezeichnet, und das Fahren hier auf der Barriere [Amundsen meint damit die ebene Fläche des Schelfeises in der Bucht der Wale] ist ideal. Ich begreife nicht, was die Engländer meinen, wenn sie sagen, dass man hier keine Hunde einsetzen kann. Unter diesen Bedingungen gibt es keine besseren Zugtiere.“ (11. Februar 1911) „Die Engländer haben laut & offen erklärt, dass

Skier & Hunde in diesen Gegenden unbrauchbar sind und dass Fellkleidung unsinnig ist. Nun, wir werden es ja sehen. Ich will mich nicht rühmen, das liegt mir nicht. Aber will man auf die treibende Kraft hinweisen, die die Norweger zur führenden Klasse der Polarforscher gemacht hat – Skier & Hunde – ja, da muss ich ärgerlich werden dürfen und der Welt zeigen wollen, dass es nicht nur ein bloßer Glücksfall war, der uns mithilfe dieser Dinge nach vorn brachte, sondern Berechnungen und Verstand, sie anzuwenden.“ (5. Juli 1911)


„Fram“, längst auf offener See – Scott und die Welt durch ein Telegramm über seine heimlich ­geänderten Pläne informiert. Einstweilen bleibt Scott bei seinem Vorhaben und will sich nicht zu hektischen Reaktionen hinreißen lassen. Beide Teams bereiten sich auf ähnliche Weise vor, errichten ihre Winterquartiere, legen Depots an, optimieren ihre Ausrüstung und vertreiben sich so gut es geht die Zeit während der antarktischen Polarnacht. Dann geht es los: auf zum Südpol. Sein 100 Kilometer weiter südlich gelegenes Lager verleiht Amundsen einen Vorsprung, der sich durch frühere Abreise und schnelleres Vorankommen noch weiter vergrößert.

Und hier gibt es herbe Rückschläge: „Heute hat [der Ingenieur Bernard] Day einen Vortrag über seinen Motorschlitten gehalten. Er hofft fest auf Erfolg, aber ich fürchte, sein Temperament ist sanguinischer als sein Schlitten zuverlässig.“ (Scott, 19. Juni 1911) Tatsächlich erweisen sich die englischen Motorschlitten als Enttäuschung: Der erste von dreien rutscht beim Ausladen ab, bricht durchs Eis und versinkt in den Fluten. Die Ketten der anderen beiden haften nicht auf den mit wenig

Schnee bedeckten Eisflächen, und die Motoren sind bei den tiefen Temperaturen überfordert. Die Schmierung versagt, ein Zylinderschaden besiegelt das Ende des Experiments in technischer Avantgarde. So setzen die Briten für die flache Strecke auf dem Schelfeis (etwa die Hälfte der gesamten Entfernung) auf die tapferen Ponys; vom Anstieg des Gletschers über das Hochplateau bis zum Pol ziehen die Männer ihre Schlitten dann selber.


Es ist einfache Physik, und sie hat tiefgreifende Folgen. Die sibirischen Ponys, auf die Scott mangels Motorschlitten zurückgreift, sinken im ­weichen Schnee allzu leicht ein und müssen sich mit viel Kraft wieder herausarbeiten, das Stapfen wird für die Tiere zur Qual. Viel früher als erwartet müssen sie mit dem finalen Schuss erlöst werden. Währenddessen ­brechen Konflikte hervor. Der „Opern-Amundsen“ hat seinen Leuten ein Schreibverbot erteilt: Nur er darf Aufzeichnungen machen, er hat mit Zeitungen hochdotierte Exklusivverträge abgeschlossen. Dem „Opern-Johansen“ verwehrt er sogar, einen Brief an seine Mutter zu schrei-

ben. Vorausgegangen ist ein ernsterer Streit: Johansen hat Amundsen ­vorgeworfen, rücksichtslos das Leben der anderen aufs Spiel gesetzt zu ­haben. Dass Johansen als kompetentester Teilnehmer Amundsens Autorität in Frage stellt, kann dieser nicht dulden. Auf der britischen Seite wird Oates immer unduldsamer, wenn er merkt, dass Scott wichtige Entscheidungen hinausschiebt. Das Debakel mit den Ponys hätte seiner Ansicht nach vermieden werden können, wenn man bessere Tiere ausgesucht hätte. Aber auch er selbst ist eigensinnig bis zur Verstocktheit. Sich prügeln, das tun Scott und Oates allerdings nur in der Vision des Zeichners.


„Unter all den vielversprechenden Anzeichen künftigen Erfolges ist keines so auffallend wie die Gesundheit und der Mut meiner Leute. Eine kräftigere Gesellschaft lässt sich kaum denken, und die zwölf guten, treuen Männer, die ich zum Vorrücken nach Süden auserkoren habe, scheinen auch nicht eine einzige schwache Seite zu haben. Alle sind jetzt erfahrene Schlittenreisende und durch ein Freundschaftsband verknüpft, das unter solchen Verhältnissen noch niemals seinesgleichen gehabt hat.“ (Scott, 10. September 1911) Das „Man-Hauling“ genannte Selberziehen der Schlitten ist kein Notbehelf, sondern von Anfang an in Scotts Transportplanung vorgesehen. Alle britischen

Vorgängerexpeditionen haben mit dieser bewährten, aber kräftezehrenden Methode gute Erfahrungen gemacht. Amundsen hingegen ist überzeugt, dass Hunde diese Arbeit sogar besser erledigen können, und bezieht sich auf Berichte von Ernest Shackletons Antarktis-Expedition von 1907–1909: „Wir, die wir mit Hunden & Schlitten im Nordeis gefahren sind, Johansen, Helmer, Hassel & ich selbst, sind uns einig: Kann man eine weite Entfernung im Norden fahren, so kann man die gleiche Entfernung hier im Süden wirklich viel leichter fahren. Entweder müssen die Engländer schlechte Hunde gehabt haben, oder sie verstanden es nicht, sie richtig einzusetzen.“ (Amundsen, 11. Juli 1911)


Schneller als erwartet erreichen die Norweger den Südpol, schon am 14. Dezember 1911. Mit Fotos wird das Ereignis dokumentiert, zur Belohnung gibt es Zigarren, aber dann wird gleich der Rückmarsch angetreten. Und wie sieht es im Innern der Menschen aus? Amund­ sen hat in seinem Reisebericht ein verblüffendes Fazit gezogen: „Ich kann nicht sagen – obwohl ich weiß, dass es so eine viel größere Wirkung hätte –, dass ich am Ziel meines Lebens gestanden hätte. Das würde zu offensichtlich heißen, ein ­Märchen zu erzählen. Besser


­ leibe ich ehrlich und sage geradeheraus, dass ich glaube, es habe sich noch kein menschb liches Wesen so diametral entgegengesetzt vom Ziel seiner Wünsche wiedergefunden wie ich in diesem Augenblick. Die Gegend rund um den Nordpol – ach, hol ihn der Teufel – der Nordpol hat mich seit den Tagen meiner Kindheit angezogen, und nun fand ich mich am Südpol. Lässt sich überhaupt etwas Entgegengesetzteres v­ orstellen?“ (Roald Amundsen, Die Eroberung des Südpols, 1912)


Für die Briten wird das Erreichen von 90 Grad Süd zum Albtraum. Der schwarze Punkt, den Bowers erspäht hat, entpuppt sich als Zelt, das die Norweger am Südpol hinterlassen haben. Für Scott ist der Wettlauf verloren: „Großer Gott! Und an diesen entsetzlichen Ort haben wir uns mühsam hergeschleppt, und erhalten als Lohn nicht einmal das Bewusstsein, die Ersten gewesen zu sein!“ (Scott, 17. Januar 1912) Und was, außer ein paar

Ausrüstungsgegenständen, findet er in diesem Zelt? „Ein Zettel Amund­ sens bittet mich, einen Brief an König Haakon zu befördern! Ich steckte ihn zu mir.“ Ist es ein Affront, ein Zeichen von Geringschätzung, Kapitän Scott zum Briefträger des Polarforschers Amundsen zu degradieren? Oder hat Amundsen einfach sichergehen wollen, dass sein Sieg bekannt würde, selbst im Fall, dass er den Rückweg nicht überleben sollte?


Über viereinhalb Jahre Zeit liegen zwischen dem Auftrag, eine Oper zu schreiben, und der Uraufführung. Zeit nicht nur, über Stoffe nachzudenken, das Libretto zu entwickeln, Klänge zu konzipieren, sondern sich auch ganz konkret mit den Sängern zusammenzusetzen und über ihre Stimmen zu sprechen. So trifft sich Miroslav Srnka mit Thomas Hampson nach einem Konzert in dessen Garderobe im Wiener Konzerthaus und besucht Rolando Villazón in dessen Pariser Wohnung. Dort entsteht die Idee, an manchen Stellen mit „Wohnzimmerstimme“ besonders intime Momente auszudrücken: in den imaginierten Begegnungen von Scott und Amund­

sen mit den Frauen ihrer Gedanken oder in den „Winter-Monologen“ des britischen Teams. Deren Texte werden bis kurz vor der Generalprobe immer weiter verfeinert und verdichtet. Gut, dass Tom Holloway in den beiden Endprobenwochen stets dabei ist und den Sängern die Sätze in die Kehle schreibt. Und während auf der Probebühne die szenischen Vorgänge ­erarbeitet werden, ist die Bühnentechnik des Nationaltheaters schon zugange, den Eis-Raum von Katrin Connan und Hans Neuenfels aufzubauen – und die historisch präzise recherchierten Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer warten auf ihre erste Anprobe.


Schon in der Generalprobe – wie üblich vor einem vollen Haus mit Kollegen und Angehörigen der Künstler – zeigt sich, dass die Oper einen Nerv trifft. Zwei Tage später steht die Uraufführung an. Jetzt geht es ums Ganze. Mit dem über zwanzig Minuten währenden Premierenapplaus fällt eine große Anspannung von allen Beteiligten ab. Am meisten wohl vom Komponisten. Als er vors Publikum tritt, schlägt er die Hände vors Gesicht, als könne er diesen Moment nicht fassen. Aber mit der Premiere hört South Pole nicht auf, die Menschen zu faszinieren. Ein namhafter Wissenschaftler schreibt dem Komponisten: „Vergangenen Mittwoch h ­ atte ich die große Freude, die zweite Vorstellung Ihrer Oper South Pole an der Baye­ rischen Staatsoper in München zu hören. Bitte lassen Sie mich einfach sagen, dass dies das größte und berührendste musikalische Erlebnis war, das ich je ­hatte. Über die wunderbare Inszenierung und die herausragende Arbeit der ­Sänger und des Orchesters und Kirill Petrenkos hinaus war Ihre Komposition eine Offenbarung für mich. Ich bin tief begeistert.“

Text Malte Krasting


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