FrĂźhester, grauester Morgen. Alles grau, der Fluss, der Nebel darĂźber, die Steine am Ufer, die BrĂźcke, die StraĂ&#x;e. Von der StraĂ&#x;e aus hat man uns nicht sehen kĂśnnen, es muss von der BrĂźcke gewesen sein, oder wer weiĂ&#x;. Das Bild, das ich davon vor Augen habe, ist aus einer Perspektive, die kein Mensch hätte einnehmen kĂśnnen. Ein Vogel, ein Gott. Wie ein hängengebliebenes Bild im Klickkino, so steht es zitternd vor meinen Augen: zwei verdrehte KĂśrper auf einem Feld eifĂśrmiger Steine, von einander abgewandt, grau in grau, nur das Blut ist dunkelrot. Auf den ersten Blick sehen wir beide tot aus. Zwei schĂśne Leichen, zwei schĂśne MĂśrder. Mal hieĂ&#x; es, die Frau sei eine Greisin, mal, sie sei ein junges Mädchen gewesen. Die Wahrheit liegt diesmal im statistischen Mittel. Zum Zeitpunkt, da wir dort hingefallen waren, war ich noch nicht ganz 42 Jahre alt. Mit sieben verlor ich den Vater, mit 17 die Mutter. Muna, meine SchĂśne, sagte die Tante, die mich bei sich aufnahm, die Zeiten der Selbstvergessenheit sind nun vorbei. Du kannst nicht mehr durch die Stadt gehen, sonnenblind, mit schwingenden Armen, und deine Ăźppigen BrĂźste, jede fĂźr sich, bewegen sich unter deinem Top in alle Richtungen, so dass dem einfachen Mann vor Staunen der Mund aufgeht. Wunderst du dich nicht, was sie dir alles hinterherrufen? Ich wunderte mich nicht, ich bemerkte es gar nicht. Mein erstes gutes Gedicht war in der Lokalzeitung erschienen und ich dachte, das wäre der Anfang einer unaufhaltsamen Karriere. Die Zeitungsredakteure waren alles Männer, das war nicht meine Schuld, und auch nicht, dass sie mich ins Herz geschlossen hatten. Mag sein, es ist nur wegen meines Aussehens, nicht wegen meines Talents, dass sie mich kleine Artikel Ăźber Schule und Kultur schreiben lassen, aber deswegen ist das noch lange keine Hurerei, sagte ich wahrheitsgemäĂ&#x; zur Tante. Am Tisch von Männern zu sitzen, die Wein trinken und Witze erzählen auch nicht. Eine Decke mit dem Mann der Tante zu teilen an einem bitterkalten Winterabend auch nicht, dennoch verbrachte ich das letzte halbe Jahr vor meiner Volljährigkeit besser in einem Wohnheim. Zum Abitur machten mir die Redakteure Heiratsanträge und wir lachten herzlich, denn die meisten waren bereits verheiratet. Sie fĂźllten mein Glas mit Rotwein nach und erzählten bis tief in die Nacht Witze. Als mir Ăźbel wurde, nahm mich der, der nicht verheiratet war, mit zu sich nach Hause und stellte einen Eimer neben das Bett. Keine Sorge, sagte er am nächsten Morgen. Du bist immer noch Jungfrau. Nehme ich an. Ich verlieĂ&#x; die Stadt am nächsten Tag. Die Zeit der Unbeschwertheit war nun tatsächlich vorbei. Ich hĂśrte, was man mir auf der StraĂ&#x;e hinterherrief. Ich war einsam geworden, wie es Menschen ohne Verwandte werden, ob sie Ăźppige Frauen sind oder nicht. Ich tat so, als wäre ich taub, als ginge mich das alles nichts an. WeiĂ&#x;t du, was du bist? fragte einer, der eine Zigarette so rauchte, als steckte sie in einer elfenbeinernen Spitze. In Wahrheit war er nur, wie ich, ein armer Student. WeiĂ&#x;t du, was du bist? Du bist eine
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hin lief ich denn? Ich entfache, was ich will, ich laufe hin, wo ich will, sagte ich und wandte mich zum Gehen. Warte, sagte er, bis du einmal verliebt bist. Es gibt da eine Ăœbung, sagte er, wenn man die absolviert, kann man sich in jeden verlieben. In jeden wollte ich mich gerade nicht verlieben, aber einsam wollte ich auch nicht länger sein. Ich willigte ein. Wir standen nachts auf einer BrĂźcke und sahen einander in die Augen, und als die Zeit abgelaufen war, tat ich so, als hätte es funktioniert. Ich verlieĂ&#x; ihn drei Wochen später fĂźr unseren Professor, dessen Klugheit so hell strahlte wie die Sonne. Er brachte mir bei, dass eine Dame schluckt, nicht spuckt. Es endete, als er mir fĂźr meine Arbeit nur ein „Ausreichend“ gab. Ich schrie: Ich zeige dich an! Er zuckte mit den Schultern, und alle Männer und alle Frauen im Seminar grinsten mich an.
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Ich dachte, ich mache nur eine kleine Pause, aber ich habe nie wieder studiert, habe keine Artikel mehr geschrieben und meine Gedichte niemandem mehr gezeigt. Ich zog in eine andere Stadt und wurde Barfrau. Gleich mit meiner ersten Stelle hatte ich GlĂźck. Es war eine Bar, in der das Personal sang. Meine Stimmlage ist Mezzo, und ich kann singen, ohne es je gelernt zu haben. Ich sang jeden Abend ein Lied und war glĂźcklich. Ich steckte mir jeden Abend eine frische Blume ins Haar. Ich mag deine Ironie, sagte einer der Stamm gäste, ein Schriftsteller. Wir tranken Wein und er erzählte mir etwas Ăźber eine Geschichte, die er schrieb, dunkel, bedrohlich, Ăźber Menschen, in denen andere Menschen hausten. Er redete stundenlang und sagte dann: Du verstehst kein Wort, hab’ ich Recht? Es ist nicht deine Schuld, sagte er, legte seinen Kopf in meinen Schoss und weinte. Ich schleppte Kohlen aus dem Keller und heizte ein Zimmer von zweien, kaufte ein und kochte etwas zu essen. Er lag vor meinen FĂźĂ&#x;en auf dem Boden und sah an mir hoch. Ich liege dir zu FĂźĂ&#x;en, sagte er, und sehe zu dir hoch.
Eine neue Stadt, eine neue Bar. Ich sang nicht mehr und redete auch kaum. Später, als die Medikamente zu wirken begannen, konnte er wieder verständliche Geschichten schreiben. Er fragte mich nach meiner Meinung. Ich dachte, ich bin lieber vorsichtig und tat so, als verstĂźnde ich nicht so viel davon. Mein Fehler, sagte er. Wieso frage ich auch. Kannst du mich jetzt bitte allein lassen? Als ich schwanger wurde, sah er mich erschrocken an. Später weinte er, vor GlĂźck, Scham und Angst, wie er sagte. Ich versprach ihm, dass wir weiterhin nicht zusammenleben mĂźssten. Trotzdem ging er wenige Tage später schwimmen in den Fluss und kam nicht mehr wieder. Ich sprang von StĂźhlen, Tischen, Mauern, bis ich endlich blutete. Als ich mich auf seiner Beerdigung seiner Mutter vorstellen wollte, drängten mich seine Freunde ab. Ich verlieĂ&#x; auch diese Stadt. Als Barista ďŹ ndest du immer etwas. Ich malte Schaumherzen auf den Kaee und viele Männer lagen mir zu FĂźĂ&#x;en. Ich spielte, dass ich in der BlĂźte meiner Jahre war und das genoss. Ich ging nicht mit dem mit, der mich fragte: Warum bist du so traurig, sondern mit einem anderen, der mich mit der Reitgerte bekannt machte. Wir fanden sie oben auf dem Schrank in dem Zimmer, das er
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Jesus. Als er aus den Weihnachtsferien bei seiner Familie wiederkam, war er bekehrt. Er sagte, er wolle der SĂźnde abschwĂśren, er wolle sich keiner Frau mehr nähern, bis er nicht der einen begegne, die er zum Traualtar fĂźhren werde. Ich gestehe, ich benahm mich gewĂśhnlich, ich lachte und verhĂśhnte ihn, breitbeinig wie eine Kutscherin, ich schämte mich schon selbst, aber ich konnte nicht aufhĂśren, und er sah mich an, mit sanfter FĂźhllosigkeit, wie es Bekehrte tun, so trat er an mich heran, so stieĂ&#x; er mich aus der TĂźr. Önete sie noch einmal und warf auch die Gerte hinaus. Ich lieĂ&#x; sie auf der Schwelle liegen.
Eine neue Stadt, eine neue Bar. Ich sang nicht mehr und redete auch kaum. Selbst mein Spiegelbild erkannte ich nur mehr, weil ich wusste: die Blonde mit dem allmählich in StĂźcke zerfallenden Gesicht: das bin ich. Ich dachte an den Zeitungsredakteur aus meiner Heimatstadt. Vielleicht hätte ich nie etwas anderes wollen sollen? Fast hätte ich schon wieder die Koer gepackt, als ich eine Frau kennenlernte. Ihr Name war Katia. Mit 35 fängt das Leben doch erst an, sagte sie. Sie hatte gerade ein Kind in Pege genommen. Ich wusste nicht, dass auch Ledige ein Kind in Pege nehmen durften. Es erwachte sofort so eine Liebe zu dem kleinen Mädchen in mir, dass ich sie einfach nicht mehr verlassen konnte. Wir lebten glĂźcklich fast zwei Jahre zusammen. Wir waren im Viertel bekannt als das schĂśne lesbische Paar mit dem Kind, und obwohl das nicht stimmte, genossen wir auch das. Singend saĂ&#x;en wir auf Schaukeln. Wie konnte es da geschehen, dass, ab dem Moment, da ich ihn zum ersten Mal sah, nichts und niemand mehr zählte? Als wäre alles, mein ganzes Leben bis dahin, nur Zeitvergehen gewesen.
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Er war weder schĂśn noch kräftig, es war seine Seele, die stark war. Ich lieĂ&#x; mich in ihn fallen, wie ich es noch nie, nicht einmal bei meinen Eltern konnte. Ich lernte ihn, natĂźrlich, in der Bar kennen. Er sah mich einen ganzen Abend lang nur an. Wer auch immer kam und ging, er blieb und behielt mich im Auge, bis ich Feierabend hatte, und sagte dann: Komm mit mir. Wir blieben zusammen, bis ich wieder zur Arbeit musste, und bevor meine Schicht vorbei war, kam er und holte mich ab. Er trug mich auf Händen. Ich war ganz leicht. Er sagte, du brauchst nichts zu tun, ich tue alles, du sei nur hier. Deine einzige Aufgabe ist die EmpfängnisverhĂźtung. Er hatte schon mehrere Kinder mit anderen Frauen. Da lasse ich nicht mit mir handeln, sagte er. Tut mir leid, aber nein. Den ersten Streit gab es, als ich das erste Mal weinte. Ich hatte seinen Kindern Zimtschnecken gebacken, als mir das kleine Mädchen einďŹ el, mit dem ich zusammengelebt hatte. Drei Tage später sagte er: Wenn du nicht aufhĂśren kannst zu heulen, geh bitte woanders hin. Ich sagte, was man in so einer Situation sagt. Was fĂźr ein fĂźhlloser Egoist. Was hält dich dann noch hier? fragte er. Ich versuchte es mit Flehen, er solle mich doch verstehen. Er sagte: Ich lasse mich nicht manipulieren. Ich nannte ihn ein Arschloch. Er schlug mir auf den Mund: So lass ich nicht mit mir reden! Er benutzte nur die ache Hand, niemals die Faust und auch nichts
Blicke KĂźsse Bisse
Als ich 30 wurde, gab ich eine Annonce auf: suche Mann, um eine Familie zu grĂźnden. Es meldeten sich vierzehn. Ich wählte den Anwalt und wir schlossen einen mĂźndlichen Vertrag Ăźber mindestens zwei, hĂśchstens vier Kinder. Ich will nichts Schlechtes sagen, er war ein guter Mann, nur war er so unendlich langweilig, dass ich mich irgendwann dabei ertappte, dass ich die Stunden zählte, die ich mit ihm verbringen musste. Als ich schwanger wurde, erschrak ich zu Tode, aber zum GlĂźck wurde auch diesmal nichts daraus. Ich lieĂ&#x; den Verlobungsring in den Brunnen fallen und verlieĂ&#x; wieder eine Stadt von einem Tag auf den anderen.
Ich entfache, was ich will, ich laufe hin, wo ich will, sagte ich und wandte mich zum Gehen. anderes. Er kam kaum mit den Fingerspitzen auf, er winkte fast nur in meine Richtung und schon flog ich, mir kam es so vor, als wäre es ewig. Ich fiel weich, ich stand gleich wieder auf und sah sein verwundertes Gesicht. Als müsste er allein schon aus Neugierde wieder zuschlagen, um zu sehen, ob es stimmen konnte, was er sah. Dass ich zwar ein Körper war, der fest genug für Schläge war, da war Haut, da war Fleisch, aber dann flog ich in der Wohnung hin und her, als wäre ich leichter, als es ein Mensch je sein könnte. Ich weiß nicht, wie lange es ging. Lange. Es tat weh, aber nur wie ein wilder Tanz, ein harter Ritus zwischen Zweien. Ich hörte auf zu weinen und fing zu lächeln an. Da wurde er doch noch wütend. Er machte das hier nicht zu meinem Vergnügen, er wollte nichts zelebrieren an einem Sonntagnachmittag, er wollte mich bestrafen. Er gab seine Gemessenheit auf, er hörte auf, darzustellen, wie er später sagte, und begann tatsächlich zu handeln. Mich aus der Wohnung prügeln, wenn ich nicht freiwillig ginge. Ich dachte erst, das schafft er nicht, aber dann musste ich sehen, dass er es doch schaffte. Er stieß mich vor sich her, auf die Tür zu und aus der Tür in den Hausflur, ich hätte nicht gedacht, das sich mich nicht am Türrahmen festhalten kann. Ich ging zurück zu dem kleinen Mädchen und ihrer Mutter. Als Katia meine blauen Flecken sah, wollte sie die Polizei rufen. Ich sagte nein. Später sagte sie, dass sie auf mich kotzen könnte, buchstäblich, dass jemand wie ich keine gute Gesellschaft für ihr Kind sei, und setzte mich vor die Tür. Eine Weile wohnte ich mal hier, mal da. Ich sagte, ich sei auf der Suche nach einer Wohnung, aber in Wahrheit wartete ich darauf, dass er kam, um mich abzuholen. Er ließ einen Monat vergehen, dann kam er einfach wieder in die Bar und setzte sich so, dass er mich im Auge behalten konnte. In meinen Händen zitterten die Gläser. Ich bemühte mich, nicht zu früh, nicht zu triumphierend zu lächeln. Auch als er am Ende der Schicht an mich herantrat und fragte: Kommst du mit?, nickte ich nur bescheiden. Der Winter war schön, ich ging mit seinen Kindern Schlittschuhlaufen, der Frühling war schön, ich durfte seinen Balkon bepflanzen, und der Sommer, wenn alle Welt zu den Seen fährt, war ganz unglaublich schön. Ich sah sehr wohl, dass er im Sommer jemand Neuen kennenlernte. Er erklärte es mir auch, denn er ist ein ehrlicher Mensch. Manchmal, sagte er, brauche er mich und manchmal eben diese Maja. Er brauche außerdem einen Tapetenwechsel, also werde er mit dieser Martha wegfahren, aber ich könne gerne die Wohnung benutzen, solange er und diese Anna unterwegs seien. Natürlich, jemand mit Selbstachtung wäre gegangen, aber ich liebte mittlerweile auch die Wohnung, die ich mir ohne ihn niemals hätte leisten können. Selbst wenn es nur wenige Wochen wären, in denen ich spielen könnte, dass das mein Leben sei, wäre es mir wert. Eine Karriere werde ich nicht mehr haben, und dieses Zuhause vielleicht auch nur temporär, aber so lange ich bleiben kann, bleibe ich. Mein Geliebter war auf Reisen,
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Ich wurde wieder schĂśn und ein sehr netter junger Mann interessierte sich fĂźr mich. Als Magnus schrieb, er kehre mit dieser Clara zurĂźck, ich solle die Wohnung frei machen, zog ich bei dem jungen Mann ein. Ich kochte und buk, er kĂźsste meine Hand. Ich ging mit ihm in Magnus’ Viertel spazieren, damit wir uns auf der StraĂ&#x;e begegneten und ich ihm sagen konnte: WeiĂ&#x;t du, manchmal brauche ich dich, und manchmal brauche ich ihn. Und fast so kam es dann auch, auĂ&#x;er, dass er alleine unterwegs war, und als ich ihn sah, fuhr es mir in die Beine und ich wusste, dass ich nicht manchmal so und manchmal so, sondern fĂźr immer und egal wie: ihn. Ich verlieĂ&#x; den netten jungen Mann noch an demselben Abend. Magnus sagte nichts, er lächelte nur. Ich erzählte ihm, wie mein Sommer war. Ich redete viel, ich war glĂźcklich, bis er sagte: Du hast die Bananenstaude eingehen lassen. Wie hast du das geschat? Im Sommer? Tut mir leid, sagte ich, ich kaufe dir eine neue. Aber ich kaufte keine neue. Eine groĂ&#x;e Bananenstaude ist teuer und schwer, und der Transport kostet extra. Ich hätte eine kleine kaufen kĂśnnen und sie pegen, bis sie groĂ&#x; wird, damit er wieder eine groĂ&#x;e Bananenpanze hätte, aber ich spĂźrte, dass eine kleine Panze ihn mĂśglicherweise wĂźtender machen wĂźrde, als wenn ich es ganz sein lieĂ&#x;e. Es war nicht wegen der Bananenstaude, dass es soweit gekommen ist. Er hat die Staude nie wieder auch nur mit einem Wort erwähnt. Es war so, dass ich, sobald ich wieder bei ihm lebte, anďŹ ng, hässlicher zu werden. Er brachte es zur Sprache. Warum lässt du dich so gehen, sobald du bei mir bist? Weil das hier mein Zuhause ist, sagte ich. Er lächelte erst, dann presste er die Lippen zusammen. Am nächsten Tag sagte er: Einmal mĂśchte ich einer Frau aus dem Osten begegnen, die sich nicht aushalten lassen will. Diesmal verlieĂ&#x; ich ihn, bevor er mich wegschickte. Und wieder: irgendwie schlägt man sich durch. Einmal kam Katia zu einem Abend, an dem ich sang. Wir schlossen einander in die Arme. Ich fand eine Wohnung im Parterre, deren TĂźr von der Sonne beschienen wurde. Ich stellte einen Stuhl vor die TĂźr und trank meinen Kaee in der Sonne. Die alten Frauen, die in den anderen Parterrewohnungen wohnten, nickten mir freundlich zu. Katia erlaubte mir, einen Nachmittag in der Woche mit der kleinen Elena zu verbringen. Wenn wir spazieren gingen, nahm sie meine Hand. Liebst du mich? fragte sie. Ja, sagte ich. Und wen liebst du noch? Deine Mama. Und wen noch? Sonst niemanden, sagte ich und das Herz schlug mir bis zum Hals. Wir sahen uns zwei Jahre nicht. Ich hĂśrte, er war viel auf Reisen. Er ist auf Reisen, dachte ich, und ich bin hier und es fĂźhlt sich an, als hätte er mich hiergelassen wie einen Koer mit alten Sachen. Ich hatte zu Hause einen, der groĂ&#x; genug war, dass ich mich hineinlegen konnte. Elena lachte und klatschte in die Hände. Jetzt ich, rief sie. Zieh den ReiĂ&#x;verschluss zu! Kurz darauf sahen wir uns wieder. Wir saĂ&#x;en an zwei entfernten Enden eines groĂ&#x;en Tisches auf einer Party und unterhielten uns, jeder mit seinen Tischnachbarn. Ich schaute nicht in seine Richtung. Ich trank einige Cocktails, ich redete und lachte viel. Solange, bis wir nur noch zu zweit am Tisch saĂ&#x;en, er plĂśtzlich mir gegenĂźber, und er mit tiefer Stimme sagte: Du kannst jetzt aufhĂśren zu labern. Ich lachte und sagte, ich wĂźrde nicht aufhĂśren, denn mir ginge es gerade sehr gut, und wenn es mir sehr gut gehe, rede ich gerne, wenn er es nicht hĂśren wolle, solle er sich woanders hinsetzen.
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Fotografie: Jonas Lindstroem Haare, Make-up: Patrick Glatthaar @ Ballsaal Assistenz: Timothy Schaumburg, Gergana Petrova
Jetzt schweigen wir beide, andere reden über uns. Erst hat man uns beide für tot gehalten, wie es sich zum Schluss großer Dramen gehört. Später versorgten sie meine Wunden und stellten mir endlos dieselben Fragen. Was ist passiert? Wer war dieser Mann? Und wer sind Sie? Ich sage nichts, was könnte ich auch sagen und zu wem? Wer würde verstehen, von welcher Art meine Trauer ist? Er ist tot und ich habe die Hälfte meines Lebens ohne ihn noch vor mir. Im statistischen Mittel.
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wirken streng inszeniert und zeigen gleichzeitig eine ganz intime Nähe zwischen den Paaren, die auch im echten Leben Paare sind. Lindstroem arbeitet in Berlin und London und fotografiert für internationale Magazine, Modelabels und Internetplattformen.
Und du redest dann hier für dich allein weiter? Das lass meine Sorge sein, wollte ich sagen, aber kaum hatte ich zwei Worte gesprochen, hatte er seine Hand schon an meine Kehle gelegt: Scht!, kein Wort mehr! Und ich konnte auch tatsächlich kein Wort mehr sagen. Er drückte mir die Kehle zu. Das Beste. Was du. Machen kannst. Ist. Den Mund. Zu halten. Er ließ mich los und ging weg. Ich saß da, immer noch ohne Ton, mit diesem großen Schmerz im Hals, und sah seinen Rücken, wie er wegging, durch den Raum. Am liebsten hätte ich ihm ein Messer hineingerammt, gleichzeitig spürte ich, wie ich vor Sehnsucht verging. Dass ich nichts anderes wollte, als dass alles wieder gut ist. Ich ging ihm hinterher. Ich traute mich nicht, ihn einzuholen oder anzusprechen. Ich folgte ihm bis hinunter zum Fluss. Er hatte mich natürlich längst bemerkt, aber er drehte sich erst um, als wir unten am Ufer standen. Steine und Wellen, die im Dunkeln glänzten. Auf die Knie, sagte er. Die Steine waren hart, ich fiel beinahe hin, ich musste mich mit der Hand abstützen. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich, dass auch er nun kniete, und große Dankbarkeit und Freude fluteten mich. Wir küssten uns auf den harten Steinen kniend, ich dachte, wir brechen uns sämtliche Knochen, als wir uns hinlegten, aber dann war es auch wieder so, als wären wir draußen im dunklen Weltall, schwebend, kein Oben, kein Unten, in einer vollkommenen Ewigkeit, und ich wünschte mir, ich dürfte mein ganzes Leben so verbringen, in diesem Glück, egal, dass es hart, laut und kalt ist und eng im Hals. Irgendwann begriff ich, dass er das war, er drückte mir den Hals zu und ich hätte ihm gerne gesagt, schlag mich lieber, lass uns nach Hause gehen und schlag mich, ich wische deine Fußstapfen mit meinen Haaren auf, nur, bitte, lass uns nach Hause gehen. Aber ich konnte nichts sagen, ich hatte nicht genug Raum im Hals. Ich hoffte, er würde wenigstens etwas sagen, mir erklären, warum er das tat, aber er sagte kein Wort, er hielt nur meinen Hals umklammert. Ich habe versucht, mich damit abzufinden, mich hinzugeben, ihn durch vollkommene Hingabe zu besänftigen. Wer sich unterwirft, bestimmt, wer sich unterwirft, bestimmt, aber dann begriff ich, dass das gleichbedeutend wäre mit meinem Tod, dass ich erlöst werden kann, aber dafür sterben muss, und da griff ich doch noch nach einem Stein.