Europäisches Umweltrecht auf den Prüfstand stellen
Umsetzungsschwierigkeiten auflösen
20.06.2024
„Veraltete, langwierige und übermäßig bürokratische Genehmigungsverfahren für die Industrie sind ein strategischer Engpass, der die Unternehmen in ihrem Wandel behindert und sie daran hindert, grüne und digitale Lösungen einzusetzen. Trotz einiger Fortschritte in letzter Zeit im Bereich der erneuerbaren Energien ist die Gesamtsituation für die Industrie nach wie vor sehr lückenhaft und ein strategischer und strukturierter Dialog auf EU-Ebene ist dringend erforderlich.“
Business Europe, Februar 2024 2024-02-13_businesseurope_permitting_swot_analysis_-_final_report.pdf
Einleitung
Europa steht vor der Aufgabe, seine Zukunft auf nachhaltige Weise zu sichern. Es gilt, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden, die natürliche Umwelt zu bewahren und die Ressourcen durch eine effiziente Kreislaufwirtschaft zu sichern. Das ehrgeizige Nachhaltigkeitsprogramm der EU, der Green Deal mit seinen unzähligen neuen klima-, umwelt- und verkehrspolitischen Vorschriften, ist für die Unternehmen ein enormer Kraftakt . Die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie kam dagegen in der europäischen Politik bisher viel zu kurz. Inzwischen wächst die Erkenntnis, dass die Nachhaltigkeit Europas ohne eine wettbewerbsfähige Industrie nicht gelingen kann. So bezeichnen die EU-Staatsund Regierungschefs „starke und wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaften“ als „die treibende Kraft bei der Verwirklichung unserer Ziele“ Auch aus dem Europäischen Parlament komme verstärkt Rufe nach einer europäischen Wettbewerbsstrategie. Diesen Worten müssen nun Taten folgen.
BusinessEurope hat im Februar 2024 die Ergebnisse einer Umfrage unter Unternehmen in 21 europäischen Ländern über ihre Erfahrungen mit den Genehmigungsverfahren in der EU veröffentlicht. Von den 16 Herausforderungen für die Unternehmen bei der Erteilung von Genehmigungen, steht die Komplexität der EU-/nationalen Rechtsvorschriften mit 79 Prozent der Befragten auf Platz 3.
Das deutsche Planungs- und Umweltrecht ist maßgeblich vom europäischen Recht geprägt. Das ist Planungs- und Genehmigungsverfahren zu prüfende materielle Recht hat ganz überwiegend europäische Ursprünge. Das EU-Recht jedoch verwendet viele unbestimmte Rechtsbegriffe, deren Auslegung Vorhabenträger und Behörden vor große Probleme stellt. Die Anforderungen aus dem europäischen Recht haben in den letzten Jahren in der Praxis zu erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten geführt und im Rahmen des Green Deal der EU sind weitere Verschärfungen hinzugekommen. Dieses zunehmend komplexe, teilweise unübersichtliche und teilweise überholte Regelwerk bedarf dringend einer Modernisierung Eine umfassende kritische Bilanz der einzelnen Vorschriften ist notwendig mit einem Plan zur deutlichen Vereinfachung.
Materielles EU-Umweltrecht überprüfen
1. Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit/REACH-Verordnung
Die von der EU-Kommission im Rahmen des Green Deal veröffentlichte Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit (CSS) macht die Verschiebung von einem risikobasierten Ansatz hin zu einem gefahrenorientierten Ansatz deutlich. Die Umsetzung der CSS und dabei insbesondere die anstehende (derzeit aber verschobene) Überarbeitung der REACH-Verordnung muss daher mit Augenmaß erfolgen. Seit 2007 setzen die Unternehmen die Anforderungen des europäischen Chemikalienrechts mit hohem Aufwand um. Auch bei einer Revision der REACH-Verordnung müssen die regulatorischen Optionen zur Erreichung der gesetzten Ziele so gestaltet werden, dass die sichere Verwendung von Chemikalien weiterhin möglich ist, wenn kein inakzeptables Risiko für Mensch und Umwelt besteht. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung für die weitere Produktion nachhaltiger Produkte und die Wertschöpfung in Europa. Auch zukünftig muss daher die Regulierung von Chemikalien auf Basis wissenschaftlicher Risikoanalysen erfolgen. Insbesondere in Bezug auf das Zulassungs- und Beschränkungsverfahren gibt es einen erheblichen Verbesserungsbedarf. So sollte beispielsweise das Zulassungsverfahren angepasst und vereinfacht werden. Fristen und Prozesse müssen hierbei so festgelegt werden, dass die Unternehmen eine ausreichend hohe Planungssicherheit haben.
Beschränkungsverfahren, in denen ganze Stoffgruppen auf Basis von Gefahreneigenschaften verboten werden sollen, sind aus Sicht der Industrie nicht angemessen. Auch hier muss die Regulierung allein auf Basis eines nachgewiesenen inakzeptablen Risikos erfolgen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Verfügbarkeit von Stoffen weiter eingeschränkt und die Innovationsfähigkeit der Unternehmen behindert wird, ohne dass dies mit einem Nutzen für Mensch und Umwelt verbunden wäre.
2. Integriertes Wassermanagement
Die Änderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG, WRRL), der EU-Grundwasserrichtlinie (2006/118/EG) und der EU-Umweltqualitätsnormen-Richtlinie (2008/105/EG) führen zu einem Systemwechsel im Hinblick auf Schadstofffrachten und damit zu massiven Problemen bei der Erteilung der wasserrechtlichen Genehmigung. Die Novellierung enthält weitreichende Änderungen im Hinblick auf den chemischen Zustand durch die Aufnahme vieler neuer Stoffe. Auch der Bundesrat weist darauf hin, „dass es sich bei den vorgeschlagenen Änderungen zur WRRL um Anpassungen handelt, welche gravierende Auswirkungen gerade für Industriestandorte sowie den Erhalt und Ausbau von Wasserstraßen erwarten lassen (BT-Drucksache 14/23).“ Dieser Systemwechsel muss revidiert werden.
Darüber hinaus fehlt es an einer klaren Regelung, wie es mit den Zielen und Maßnahmen der WRRL nach 2027 weitergehen soll. Die Umsetzung der WRRL in Genehmigungsverfahren erfordert inzwischen sehr langwierige Vorbereitungen und Studien durch die Vorhabenträger. Die Verunsicherung ist groß im Hinblick auf die Zielerreichung 2027 und das auch und insbesondere im Hinblick auf die in der WRRL vorgesehenen abweichenden Bewirtschaftungsziele und Ausnahmen. Die Einführung von zumindest weiterer drei Bewirtschaftungszyklen sowie eine angemessene Erweiterung der Abweichungs- bzw. Ausnahmemöglichkeiten (insb. Art. 4 Abs. 7 WRRL) im Rahmen der bestehenden
Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie würde zu mehr Rechtssicherheit und damit zur Beschleunigung von Verfahren wesentlich beitragen.
3. Verordnung zur Wiederherstellung der Natur/Natura 2000
Mit der neuen Verordnung zur Wiederherstellung der Natur wird der Biotopschutz deutlich über Natura2000-Schutzgebiete ausgeweitet, Zahl und Fläche von Schutzgebieten werden erheblich steigen. Der heute in Deutschland schon vorhandene Flächendruck, der sich auch in anderen Bereichen zeigt, etwa beim Ausbau der erneuerbaren Energien, dürfte durch die neue Verordnung weiter verschärft werden. Die Verordnung wird in der Praxis andere Flächennutzungen, auch solche für soziale und wirtschaftliche Zwecke, weiter erheblich einschränken. Genehmigungen für industrielle Aktivitäten werden in den betreffenden Gebieten erschwert oder unmöglich gemacht.
Dabei bedarf es bereits heute einer Überarbeitung der Natura-2000-Richtlinien und einer Anpassung an heutige Anforderungen. Die derzeitigen Anforderungen der Natura-2000-Richtlinien in Planungsund Genehmigungsverfahren führen zu Rechtsunsicherheiten und Verfahrensverzögerungen für die Industrie aufgrund teilweise unverhältnismäßiger und oft unspezifischer Anforderungen. Eine Lockerung der Naturschutzstandards ist nicht erforderlich. Dennoch sind deutliche Verbesserungen möglich und notwendig, um schnelle und rechtssichere Genehmigungsverfahren für Industrieprojekte zu ermöglichen, die mit vertretbarem Aufwand zu bewältigen sind. Die FFH-Richtlinie ist 30 Jahre alt und wurde seit ihrer Verabschiedung nicht evaluiert.
4. EU-Notfallverordnung entfristen und ausweiten
Die 2022 beschlossene und inzwischen bis 2025 verlängerte EU-Notfallverordnung gestattet den EUMitgliedsstaaten, Ausnahmen im Bereich Artenschutz und Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) zu erlassen, die die Vorhaben erheblich beschleunigen. Der Anwendungsbereich dieser Verordnung, die aktuell auch von der Bundesregierung angewendet wird. ist jedoch auf den Bereichen Erneuerbare Energien und Stromnetze begrenzt. Die EU sollte daher die Notfallverordnung nicht nur entfristen, sondern deren Anwendungsbereich auch auf grundsätzlich alle Vorhaben erweitern, die zur Erreichung der Klimaschutzziele beitragen. Die Entfristung könnte dabei auch durch eine Novellierung der EU-UVP-Richtlinie und eine Stärkung des Populationsschutzes auch auf EU-Ebene erfolgen.
5. Ökodesign-Verordnung
Die neue Ökodesign-Verordnung soll mit wenigen Ausnahmen fast alle Produkte umfassen, um diese umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten. Zur Umsetzung wird die Kommission in den kommenden Jahren jeweils produktspezifische delegierte Rechtsakte erlassen. Dies ist mit erheblichem Aufwand verbunden und ein umfassender Eingriff in unternehmensinterne Prozesse. In deren Erarbeitung müssen die betroffenen Unternehmen daher ausreichend miteinbezogen werden, um machbare und effektive Designvorgaben für Produkte zu ermöglichen.
6. Soil Monitoring Law
Deutschland verfügt über ein umfassendes ambitioniertes nationales Bodenschutzrecht sowie spezielles Fachrecht (z.B. Baurecht, Bergrecht), welches bereits heute einen hohen Schutz des Bodens sicherstellt. Ergänzt wird dies durch bereits bestehende europäische Umweltregelungen in verschiedensten Bereichen (u.a. Naturschutz, IED).
Durch die neue „Bodenüberwachungsrichtlinie“ würde das bestehende bewährte deutsche Bodenschutzsystem grundlegend verändert werden (z.B. Einführung verbindlicher Bodenschutzziele). Es besteht damit die Gefahr, dass die Nutzbarkeit des Bodens zu wirtschaftlichen Zwecken, zum Zwecke des Anbaus von Nahrungsmitteln, zur Rohstoffgewinnung und für Siedlungen und Verkehrsflächen erheblich eingeschränkt wird und demnächst aus bodenschutzrechtlichen Gründen höchstens noch in Ausnahmefällen genehmigungsfähig sein wird. Der Kommissionsvorschlag muss daher aus Sicht der Industrie grundlegend revidiert werden – insbesondere muss die Richtlinie auf das Boden-Monitoring beschränkt werden und durch entsprechende Ausnahmen sicherstellen, dass bewährtes Fachrecht weiterhin zur Anwendung kommt.
7. Kapazitäten zur Rohstoffversorgung auf- und ausbauen
Um die Ziele des Green Deal zu erreichen, braucht es eine ambitionierte Umsetzung des beschlossenen Critical Raw Materials Acts. Ein Kernpunkt sind schnellere Genehmigungsverfahren für den Aufund Ausbau von Kapazitäten in Europa für Bergbau, Weiterverarbeitung und Recycling von als strategisch definierten kritischen Rohstoffen. Realität ist, dass Unternehmen im Rohstoffsektor in Deutschland mit langen und komplexen Genehmigungsverfahren zu kämpfen haben. Diese führen zu einer rückläufigen Anzahl von Genehmigungsprozessen für den Rohstoffabbau. Die Beschleunigung solcher Prozesse ist entscheidend, um eine Versorgung mit heimischen Rohstoffen zu sichern und sich somit von Rohstoffimporten unabhängiger zu machen. Daher sollte sich die Bundesregierung stärker zu Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung im Rohstoffbereich bekennen. So können vereinfachte Regeln beim Naturschutzrecht Auseinandersetzungen über Gutachten vermeiden. Grundsätzlich bedarf es eines langfristigen und bedarfsunabhängigen Zugangs zu Rohstofflager- und Rohstoffgewinnungsstätten im Inland. Zur planerischen Sicherstellung der Versorgungssicherheit sollte dazu im Raumordnungsgesetz ergänzt werden, dass die Rohstoffsicherung und -gewinnung im öffentlichen Interesse stehen und der Versorgungssicherheit dienen.
8. EU-Richtlinie über Industrieemissionen (IED)
Mit der neuen IED kommen ein erheblicher finanzieller Mehraufwand und zusätzliche Bürokratie auf die Betreiber von Industrieanlagen zu. Genehmigungsverfahren werden sich erheblich verlängern. Dennoch dürfen Investitionen nicht erschwert und die notwendige Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität nicht verzögert werden. Insofern sollten die Regelungen der Industrieemissionsrichtlinie nochmals überdacht werden. Beispielsweise schafft das neu eingeführte zusätzliche IED-Umweltmanagementsystem inklusive Chemikalienmanagementsystem und Transformationsplan erhebliche zusätzliche Bürokratie und Doppelregelungen ohne erkennbaren Nutzen für die Umwelt.
9. EU-Luftqualitätsrichtlinie
Mit der neuen EU-Luftqualitätsrichtlinie werden sehr ambitionierte neue Luftgrenzwerte vorgegeben. Gleichzeitig hat die Transformation der Industrie zur Klimaneutralität klare Priorität der europäischen Union. Um nicht die Transformation zu behindern, müssen die Vorgaben umfassend überarbeitet werden. Die Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub sind nur durch Maßnahmen wie beispielsweise den Hochlauf der Elektromobilität und Wasserstofftransformation einzuhalten. Auch hier ist eine Überarbeitung erforderlich, da deren Effekte erst weit nach 2030 ausreichend eintreten.
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