Kein Bedürfnis in der Praxis
16. Januar 2023
Einleitung
Im Rahmen der Herbsttagung der letzten Justizministerkonferenz (JuMiKo) im November 2022 wurden Überlegungen zu einer künftigen Kodifizierung des Unternehmenskaufs angestellt
Dabei wurde Folgendes festgestellt:
„Weder im BGB noch im HGB existieren Normen, die eine verlässliche Grundlage für Fusionen und Übernahmen bilden. Die entsprechend anwendbaren Vorschriften des Sachkaufs werden in der Praxis häufig als untauglich empfunden und abbedungen und durch komplexe Vertragswerke ersetzt. Streitigkeiten werden in privaten Schiedsverfahren beigelegt und erreichen selten die staatlichen Gerichte. Der bisherige Verzicht des Gesetzgebers auf eine grundlegende Regelung des Unternehmenskaufs führt zu Rechtsunsicherheit.“
Nach Auffassung der JuMiKo könnte eine Kodifikation des Rechts des Unternehmenskaufs die Rechtssicherheit erhöhen und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland steigern. Auch würden die Anstrengungen der Justiz ergänzt, mit den neuen „Commercial Courts“ an die Schiedsgerichte verlorenes Terrain wiederzugewinnen. Offen bleibt, welche Regelungsbereiche im Einzelnen kodifiziert werden sollen.
Aus Sicht des BDI ist eine Kodifizierung des Rechts des Unternehmenskaufs (M&A-Recht) kritisch zu sehen.
Funktion des rechtlichen M&A-Markts in Deutschland
Maßgeblich für den M&A-Markt in Deutschland ist die internationale M&A-Praxis, die angelsächsisch dominiert ist. Die aktuelle rechtliche Gestaltung von M&A-Verträgen befindet sich in einem stetigen Wandel, um flexibel auf den Markt sowie maßgebliche Entwicklungen in anderen maßgeblichen Bereichen (Finanzierung, Steuer etc.) reagieren zu können.
Dr. Kerstin Lappe | Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik | T: +49 30 2028-1554 | k.lappe@bdi.eu | www.bdi.eu
Deutschrechtliche M&A-Verträge sind von internationalen Vertragskonzepten und -mustern geprägt. In Deutschland wie in nahezu allen anderen Jurisdiktionen hat sich vor allem der angelsächsische Standard etabliert, mit M&A-Vereinbarungen (Share Deals oder Asset Deals) ein autonomes und in sich abgeschlossenes Vertragswerk zu schaffen. Das geht darauf zurück, dass es im angelsächsischen Recht gerade keine umfassend kodifizierten Regeln gibt, auf die verwiesen werden kann. Dieses Vorgehen ist – unter Abbedingung dispositiven deutschen Rechts - seit mehr als 30 Jahren auch in Deutschland flächendeckend adaptiert, da es leicht praktikabel und für ausländische Investoren nachvollziehbar ist.
M&A-Vereinbarungen enthalten regelmäßig Schiedsgerichtsklauseln. Sinn und Zweck solcher Regelungen ist es vor allem, den Sachverstand von M&A-Juristen zu nutzen und Streitigkeiten nicht in der Öffentlichkeit deutscher Gerichte behandeln zu müssen, sondern in vertraulicher Form durch „private“ Schiedsgerichte.
Probleme einer Kodifizierung des M&A-Rechts
1. Kein Bedürfnis der Praxis für eine Kodifizierung des Unternehmenskaufs
Bereits die Prämisse, dass der bisherige Verzicht des Gesetzgebers auf eine grundlegende Regelung des Unternehmenskaufs zu Rechtsunsicherheit führt, können wir nicht teilen. Aus Sicht erfahrener M&A-Praktiker leidet die deutsche Praxis nicht unter Rechtsunsicherheiten. Die Kautelarpraxis kommt mit der derzeitigen Rechtslage hervorragend zurecht.
2. Kautelarjuristischer Regelungsbedarf
Die Kodifizierung des M&A-Rechts könnte für zusätzlichen kautelarjuristischen Regelungsbedarf zum Ausschluss der Kodexregeln sorgen. Die Praxis wird versuchen, an ihren bewährten, international abgestimmten Vertragsstandards festzuhalten. Durch die Schaffung gesetzgeberischer Regelungen in Form eines Kodex könnten daher Rechtsunsicherheiten entstehen.
3. Dispositive Kodifikation wird abbedungen werden
Entscheidend ist, wie die Regeln eines Kodex ausgestaltet werden sollen, d.h. ob es sich um dispositives oder zwingendes Recht handeln soll. Gegen eine dispositive Kodifikation wäre im Grunde nichts einzuwenden, aber sie dürfte in der Praxis - jedenfalls für großvolumige Transaktionen - ohne erhebliche Auswirkungen bleiben, weil man sie weitgehend abbedingen würde.
4. Nachteilig für den Wirtschaftsstandort Deutschland
Eine Regulierung der M&A-Praxis könnte schließlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland schädlich sein, sofern sie zu Abweichungen der kautelarjuristischen Praxis von international anerkannten Vertragskonzepten führen würde.
5. Kein Zwang zur Einbeziehung staatlicher Gerichte
Durch die Vereinbarung von Schiedsgerichtsklauseln sollen jahrelange Rechtsstreitigkeiten durch mehrere Instanzen verhindert werden. Ziel ist ein schnelles und schlankes Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Schiedsgerichte sind mit international erfahrenen Fachleuten besetzt, die mit der zu behandelnden Frage vertraut sind Die deutsche Handelsgerichtsbarkeit in Form der Kammern für Handelssachen bietet kein ausreichendes Forum für derartige Rechtsstreitigkeiten.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die aktuellen Bemühungen der Justiz, englischsprachige Prozesse vor Landgerichtskammern und im Fall des Commercial Courts Baden-Württemberg auch in zweiter Instanz vor ausgewählten Senaten durchzuführen Wir unterstützen auch das Vorhaben aus dem aktuellen Koalitionsvertrag, die deutsche Handelsgerichtsbarkeit in Form der Kammern für Handelssachen zu reformieren.
Fazit
Aus Sicht des BDI ist eine Kodifizierung des Unternehmenskaufrechts kritisch zu bewerten. In der Unternehmenspraxis besteht kein Bedürfnis für einen entsprechenden Kodex oder ein weiteres gesetzliches Regelwerk. Eine Kodifizierung dürfte sogar für einen zusätzlichen kautelarjuristischen Regelungsbedarf zum Ausschluss der Kodexregeln sorgen. Die internationalen Vorgaben lassen sich durch bestehendes deutsches Recht gut abbilden. Eine zusätzliche Regulierung könnte für die Rechtssicherheit und den Wirtschaftsstandort Deutschland nachteilig sein.
Über den BDI
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