Reform des Beschlussmängelrechts

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Reform des Beschlussmängelrechts

12. Dezember 2022

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung virtueller Hauptversammlungen für Aktiengesellschaften hatte der BDI eine Reform des Beschlussmängelrechts angeregt. Im Juli 2022 hatten dieBerichterstatterderAmpel-Koalitionangekündigt, einesolcheReformdes Beschlussmängelrechts in der aktuellen Legislaturperiode anzugehen. Bislang liegen allerdings noch keine konkreten Pläne vor, in welcher Form diese Reform gestaltet werden sollte.

Die Wirtschaftsrechtliche Abteilung des 72. Deutschen Juristentags (DJT) hatte sich bereits im Jahr 2018 für eine grundlegende Reform des Beschlussmängelrechts ausgesprochen. Auch die Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (VGR) hat sich im Jahr 2021 für eine Reform des Beschlussmängelrechts ausgesprochen.

AusSichtdesBDIisteine ReformdesBeschlussmängelrechtsfüreinemoderneundattraktiveHauptversammlung unerlässlich. Die Reform sollte insbesondere zum Ziel haben, das erhebliche Anfechtungsrisiko bei der Auskunftserteilung in der Hauptversammlung auf ein vertretbares Maß zu reduzieren. Die stets geforderte offene und lebendige Debattenkultur in deutschen Hauptversammlungen ist nicht realisierbar, wenn den Unternehmen bei der Auskunftserteilung weiterhin umfängliche rechtliche Risiken auferlegt werden, insbesondere in Hinblick auf die Wirksamkeit gefasster Beschlüsse. Eine Reform des Beschlussmängelrechts sollte allerdings mit Augenmaß erfolgen. Wichtige Elemente der derzeitigen Regelung, nicht zuletzt das mehrfach reformierte Freigabeverfahren, haben sich bewährt. Die geltenden Regelungen des Freigabeverfahrens werdenzwar immer wieder als zu weitgehend angesehen. Gerade das Freigabeverfahren mit seinen Regelungen zum Quorum und der Interessenabwägunghataberdazugeführt,dassdieZahldermissbräuchlichenKlagenundKlägerdeutlichzurückgegangen ist.

Vor diesem Hintergrund möchten wir – in Anlehnung an die Vorschläge des DJT und der VGR – die folgenden punktuellen Änderungen des Beschlussmängelrechts anregen.

Dr. KerstinLappe | Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik | T: +49 30 2028-1554 | k.lappe@bdi.eu| www.bdi.eu

POSITIONSPAPIER|RECHT|BESCHLUSSMÄNGELRECHT

I.DieBeschlüssedes72.DeutschenJuristentagsalsGrundlagefürdieReformüberlegungen

Die Wirtschaftsrechtliche Abteilung des 72. Deutschen Juristentags hat nach intensiven Beratungen Vorschläge für eine grundlegende Reform des Beschlussmängelrechts erarbeitet. Die an die Politik adressierten Vorschläge fußenauf einer breiten Basis aus der Rechtswissenschaft undder Unternehmenspraxis.InsoweitkommtdenVorschlägeneinegewisseLegitimitätzu,andie–imAusgangspunkt – auch für die anstehenden Reformüberlegungen angeknüpft werden kann.

1. Flexible Rechtsfolgen bei der Anfechtung fehlerhafter Beschlüsse

Zum Kern der Vorschläge des 72. DJT für eine Beschlussmängelrechtsreform gehört, dass die Anfechtung fehlerhafter Beschlüsse nicht in jedem Fall zur Kassation des Beschlusses führen sollte. Stattdessen sollten alternative Rechtsfolgen zur Verfügung stehen, die jedenfalls die Möglichkeit zu einerAufhebungeinesBeschlussesmitWirkungexnunc,dieGewährungvonSchadenersatzoderdie FeststellungderRechtswidrigkeitdesBeschlussesumfassensollten.EssolltederGrundsatzdesVorrangs der Beschlusserhaltung gelten:

Ein Beschluss der Hauptversammlung ist u.a. dannnichtig, wenn er aufgrundeinerAnfechtungsklage rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist. Aus Sicht des BDI ist es nicht zielführend, dass jeder Beschlussmangel zur Nichtigkeit des Beschlusses führen kann. In anderen Rechtsbereichen kennen wir differenzierte Rechtsfolgen.

1.1 Internationaler Vergleich

Im internationalen Vergleich ist eine Diversifizierung der Rechtsfolgen bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten nicht unbekannt. Der englische Gesetzgeber hat etwa in sec. 996 (1) Companies Act dem Gericht ein Rechtsfolgeermessen im Rahmen des mit Beschlussmängelklagen vergleichbaren unfair-prejudice-Behelfs eingeräumt und in sec. 996 (2) Companies Act beispielhaft fünf Abhilfemöglichkeiten genannt. Eine vergleichbare unbestimmte Rechtsfolge sehen die oppression remedies im Gesellschaftsrecht einzelner US-Bundesstaaten vor. Auch das schweizerische Obligationenrecht hat in Art. 736 Ziff. 4 OR diese angelsächsische Konzeption übernommen, wonach das Gericht statt der Auflösung der Gesellschaft auf eine andere sachgemäße und den Beteiligten zumutbare Lösung erkennen kann.

1.2 Vergleich zum Kaufrecht und dem öffentlichen Recht

Schließlich sind auch dem deutschen (Zivil-)Recht unterschiedliche Rechtsfolgen für ein- und denselbenSachverhaltnichtfremd.SokönnenbeispielsweiseimKaufrechtverschwiegeneMängeldesKaufgegenstands zur Anfechtung mit der Wirkung ex tunc, zum Rücktritt ex nunc, zu einem Anspruch auf Nacherfüllung, zur Minderung des Kaufpreises oder zum Schadensersatz berechtigen (§ 437 BGB). Im öffentlichen Recht ist ebenfalls eine Differenzierung der Rechtsfolgen bei Verfahrens- und Inhaltsmängeln anerkannt. So führen etwa Mängel in einem Planfeststellungsverfahren nur in Ausnahmefällen bei gravierenden Rechtsverstößen zur Kassation des Plans; alle anderen Mängel sind entweder vonvornhereinunbeachtlichoderkönnengeheiltwerden(vgl.§75Abs.1aVwVfG).EsgiltderGrundsatz des Vorrangs der Planerhaltung. Dieser Grundsatz sollte im übertragenden Sinne auch im Beschlussmängelrecht gelten („Grundsatz des Vorrangs der Beschlusserhaltung“).

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2. Entscheidungskriterien für die angemessene Rechtsfolge

ImRahmen der Entscheidungüber die angemessene Rechtsfolgesollte das Gericht beurteilen, ob es zweckmäßig ist, den fehlerhaften Beschluss etwa für nichtig zu erklären. In diesem Zusammenhang mussaucheineAbwägungdesNutzensundderGefahreneinerAnerkennungdesBeschlussesfür die Gesellschaft und ihre Aktionäre sowie die Schwere des Rechtsverstoßes erfolgen. Diese Abwägung ist aus dem Freigabeverfahren (§ 246a AktG) bekannt und hat sich dort bewährt.

Aus Sicht des BDI sollte bei der Entscheidung über die angemessene Rechtsfolge keine AusdifferenzierungderRechtsfolgenanhandeinerKategorisierungderBeschlussmängelerfolgen.Vielmehrsollte die Entscheidung des Gerichts stets anhand der Umstände des Einzelfalls entscheiden. Das schließt nicht aus, dass das Gesetz weiter an bewährte Kriterien, wie etwa die Beteiligungshöhe des Klägers oderdieSchweredesRechtsverstoßesanknüpft:SinddieseKriteriennichterfüllt,sollteeineKassation des Beschlusses ausgeschlossen sein.

3. Erstreckung des Ausschlusses der Kassationswirkung auf alle Beschlüsse

Der mögliche Ausschluss der Kassationswirkung sollte nicht auf strukturverändernde Beschlüsse begrenzt sein, sondern auf alle Beschlüsse erstreckt werden. Denn zunehmend werden von Klägern Personalentscheidungen/ Aufsichtsratswahlen in das Visier genommen und nicht die klassischen strukturändernden Beschlüsse.

4. Frist

Über dieFrage,ob der Beschluss bei einem Erfolg der Klage tatsächlichmitder Wirkung ex tunc oder ex nunc aufgehoben wird, sollte jedenfalls bei eintragungsbedürftigen Beschlüssen in maximal drei Monaten rechtskräftig entschieden werden, auch wenn das Verfahren im Übrigen weiter betrieben wird.

II. Erweiterung des Freigabeverfahrens auf alle eintragungspflichtigen Beschlüsse

Das Freigabeverfahren nach § 246a AktG und ähnlichen Regelungen des AktG (§ 319 Abs. 6) und UmwG (§ 16 Abs. 3) hat sich in der Praxis bewährt und sollte auf alle eintragungspflichtigen Beschlüsse erweitert werden – jedenfalls soweit nicht, entsprechend unserem Vorschlag gem. oben Ziff. I.4, sichergestellt ist, dass bei eintragungsbedürftigen Beschlüssen anderweitig innerhalb kurzer Zeit (drei Monate) rechtskräftig über die Frage der Wirksamkeit bzw. der Aufhebung eines angefochtenen Hauptversammlungsbeschlusses entschieden wird.

Durchdie Regelung in § 246a AktG wurde für eintragungsbedürftige Hauptversammlungsbeschlüsse, dieKapitalmaßnahmenoderdieZustimmungzuUnternehmensverträgenzumGegenstandhaben,ein Freigabeverfahren eingeführt, mit dem die Blockade der Registereintragung durch eine Anfechtungsoder Nichtigkeitsklage aufgelöst werden konnte. Ohne Freigabebeschluss hat das Registergericht die Möglichkeit, die Eintragung gem. §§ 21, 381 FamFG auszusetzen, bis das Prozessgericht über die Beschlussmängelklage entschieden hat. Erhebt ein Aktionär Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen einen Hauptversammlungsbeschluss über eine Kapitalmaßnahme oder einen Unternehmensvertrag,kann die beklagte Gesellschaft bei demfür die KlagezuständigenProzessgerichteinen Freigabebeschluss beantragen. In erfolgreichen Verfahren stellt das Prozessgericht durch Beschluss fest, dass die Erhebung der Klage der Eintragung nicht entgegensteht und Mängel des

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Hauptversammlungsbeschlusses die Wirkung der Eintragung unberührt lassen (§ 246a Abs. 1 AktG).

Damit wird die faktische Registersperre überwunden, die eine Beschlussmängelklage sonst auslösen würde. Professionelle Kläger, die nur über wenige Aktien verfügen, konnten vor Einführung des FreigabeverfahrensdiefaktischeRegistersperredazunutzen,denVollzugwichtigerHauptversammlungsbeschlüssezublockieren.ÄhnlichwirkendieFreigabeverfahrengem.§319Abs.6AktGund§16Abs. 3 UmwG, durch die die entsprechenden gesetzlichen Registersperren überwunden werden können.

Der Gesetzgeber bezwecktemit der Anwendungdes Freigabeverfahrens imRahmendes Aktien- und Umwandlungsrechts, die Anfechtungsklage gegen Beschlüsse der Hauptversammlung als „wichtiges Schutzinstrument“zuerhaltenundgleichzeitigeine„missbräuchlicheAusnutzung“ desKlagerechtszu unterbinden. Diese Missbrauchsgefahr besteht jedoch nicht nur beieintragungsbedürftigen Hauptversammlungsbeschlüssen, die Kapitalmaßnahmen, die Zustimmung zu Unternehmensverträgen, eine EingliederungodereinenSqueeze-outbzw.UmwandlungsmaßnahmenzumGegenstandhaben.Vielmehr sollte dieser Missbrauch bei sämtlichen eintragungspflichtigen Beschlüssen verhindert werden, wie insbesondere (sonstige) Satzungsänderungen.

III. Nichtigkeitstatbestand

Der eigenständigeNichtigkeitstatbestand des §241AktGsollteerhaltenbleiben,aberbeschränktund präzisiert werden, wobei insbesondere Verstöße gegen gläubiger- und gemeinwohlschützende Normen weiterhin erfasst sein sollten.

IV. Entschärfung der Anfechtungsrisiken wegen behaupteter Verletzung des Auskunftsrechts in der Hauptversammlung

Von entscheidender Bedeutung für die unternehmerische Praxis ist die Ausgestaltung des AnfechtungsrechtsbeiAuskunftsfehlern. Sokannnach§243 Abs.4 AktGeinHauptversammlungsbeschluss wegen „unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen“ angefochten werden, wenn „ein objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte“.

In Anlehnung an die Empfehlungen der VGR bedarf der Relevanzfilter des § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG auch aus Sicht des BDI einer zusätzlichen und leichter messbaren Konkretisierung. Denn die Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen sind geprägt von der Minimierung von Anfechtungsrisiken, was zulasten einer lebhaften Debatte als Idealbild einer Hauptversammlung geht. Die Reformbestrebungen sollten daher nicht nur auf eine Entschärfung der drakonischen Rechtsfolgen einer Anfechtungsklage begrenzt sein, sondern müssen auch danach fragen, ob bzw. welche Filter erforderlichundangemessensind,damitnichtjederAktionärauchmitnureiner AktieeinKlageverfahren in Gang setzen kann.

1. Mindestquorum als Relevanzfilter

Ist eine Frage nach Ansicht des Fragestellers nicht oder nicht vollständig beantwortet worden, haben die übrigen Aktionäre aber trotzdem in Kenntnis der erteilten oder auch nicht erteilten Antwort für den Beschluss gestimmt, dürfte dies in der Regel dafürsprechen, dass die Antwort für die Willensbildung und die Beschlussfassung nicht relevant gewesen ist.

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Vor diesem Hintergrund wäre es aus Sicht des BDI sinnvoll, einen Nachweis der Relevanz für die Entscheidungsfindung der Aktionäre dadurch zu verlangen, dass sich Aktionäre mit einer MindestbeteiligungsquotederKlageanschließenunddamitzumAusdruckbringen,dassdiepotenziellnichtoder nicht zutreffend erteilte Antwort für ihre Willensbildung relevant war. Auch insoweit könnte man in Anlehnung an andere Minderheitsrechte an eine (Mindest-) Beteiligung am anteiligen Grundkapital in HöhevonmaximalEUR100.000oder1%desGrundkapitalsdenken.WirddieseVoraussetzungdurch die Kläger nicht erfüllt, könnte dies die Relevanz des behaupteten Auskunftsmangels ausschließen oder eine Vermutung für die fehlende Relevanz begründen.

In § 243 Abs. 4 AktG könnte – in Anlehnung an den Vorschlag der VGR - im Anschluss an Satz 1 klargestelltwerden:"Davon ist [im Zweifel] dann nicht auszugehen, wenn die Kläger nicht seit Bekanntmachung der Einberufung insgesamt Anteile halten, die den [einhundertsten] Teil des Grundkapitals oder einen anteiligen Betrag von [100.000] Euro erreichen."

2. Verhältnismäßigkeitsprüfung

Auch ein verschärftes Relevanzerfordernis könnte es aber nicht verhindern, dass sehr bedeutsame Beschlüsse aufgrund einzelner fehlerhafter Auskünfte kassiert werden können. Vor diesem Hintergrund sprichtsehr vieldafür,das geltende Recht um einegerichtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ergänzen, die es ermöglicht, von der Kassationsfolge im Einzelfall auch absehen zu können.

V. Schadensersatzbei Klagemissbrauch

UmdasRisikomissbräuchlicherAnfechtungsklageneinzudämmenund „räuberischeAktionäre“ abzuschrecken,kannauchdarübernachgedachtwerden,einegesetzlicheSchadensersatzpflichteinzuführen. Kläger sollten danach der Gesellschaft gegenüber verantwortlich sein, wenn diese vorsätzlich oder grob fahrlässig unbegründete Anfechtungsklagen erhoben haben.

Zur Sicherung möglicher Ersatzansprüche sollte das Gericht dabei berechtigt sein, bereits im Vorfeld von klagenden Aktionären eine Sicherheitsleistung zu verlangen.

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Über den BDI

Der BDI transportiert die Interessen der deutschen Industrie an die politisch Verantwortlichen. Damit unterstützterdieUnternehmenimglobalenWettbewerb.ErverfügtübereinweitverzweigtesNetzwerk in Deutschland und Europa, auf allen wichtigen Märkten und in internationalen Organisationen. Der BDIsorgt für diepolitische Flankierung internationaler Markterschließung.Under bietetInformationen und wirtschaftspolitische Beratung für alle industrierelevanten Themen. Der BDI istdie Spitzenorganisation der deutschen Industrie und der industrienahen Dienstleister. Er spricht für 40 Branchenverbände und mehr als 100.000 Unternehmen mit rund acht Mio. Beschäftigten. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. 15 Landesvertretungen vertreten die Interessen der Wirtschaft auf regionaler Ebene.

Impressum

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0

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Ansprechpartnerin

Dr. Kerstin Lappe, MLE Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin) T: +49 30 2028-1554 k.lappe@bdi.eu

BDI Dokumentennummer: D 01524

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