Genehmigungsbehörden stärken und Prüftiefe zurücknehmen
Eigenverantwortung stärken, Verwaltungsgerichte entlasten
01.Juli 2024
Einleitung
Für die Erteilung einer Genehmigung prüft ein Behördenmitarbeiter zu 90 Prozent Umweltrecht und damit eine Fülle von interpretationswürdigen unbestimmten Rechtsbegriffen. Die Behörde trifft damit eine Reihe von Prognose- und Risikoentscheidungen, in denen sie ein Wahrscheinlichkeitsurteil zumeist mit Hilfe von externen Gutachtern fällen muss. Die naturwissenschaftlichen Beurteilungen der Behörde werden von deutschen Verwaltungsgerichten bis in kleinste fachliche Details hinein vollumfänglich und wiederum mit Hilfe von externen Gutachten überprüft.
Diese überbordende Bürokratie verbessert nicht den Schutz der Umwelt, vielmehr gilt der Umwelt- und Naturschutz zunehmend als Blockierer und Bremse für wichtige Vorhaben. Dies kann keinesfalls im Sinne des Schutzes der Umwelt und damit Ziel von NGOs sein. Es braucht einen Wandel hin zu einer Lösungs- und Entscheidungskultur, statt Vorhaben zu verhindern. Die politische Ebene muss diese Kultur vorleben und Entscheidungsbefugnisse sowie den Beurteilungsspielraum der Verwaltung entschieden stärken.
Die deutschen Probleme mit dem europäischen Umweltrecht sind im europäischen Vergleich nahezu einmalig, obwohl die meisten Mitgliedstaaten vergleichbare Umweltprobleme.
Forderung
Die deutsche Industrie fordert daher eine Anpassung der Prüftiefe der deutschen Verwaltungsgerichte an das europäische gerichtliche Überprüfungsniveau. Es sollte auf politischer Ebene dringend die Frage geklärt werden, inwieweit die gerichtliche Vollkontrolle im deutschen Umweltrecht noch zeitgemäß und im europäischen Kontext angemessen ist.
Eine entsprechend der Sendler-Kommission für ein Umweltgesetzbuch in § 43 UGB-KomE gefundenen Regelung könnte hinter den Bestimmungen über den Amtsermittlungsgrundsatz in § 86 VwGO eingefügt werden.
UGB-KomE § 43 Überprüfung von Prognosen und Bewertungen
Bei der Anwendung von Vorschriften im Umwelt- und Technikrecht sind behördliche Prognosen und Bewertungen, die technischen oder naturwissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen, im gerichtlichen Verfahren nur darauf zu prüfen, ob
1. das für die Prognose und Bewertung vorgeschriebene Verfahren eingehalten worden ist und
2. die behördliche Prognose oder Bewertung nachvollziehbar ist, insbesondere ob die Sachverhaltsermittlung und -feststellung zutreffend und vollständig ist, ob die einschlägigen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse in Betracht gezogen worden sind und die Bewertungsmaßstäbe der Sache angemessen sind.
Begründung
Rechtsunsicherheiten in Genehmigungsverfahren sind nicht nur auf die europäischen Vorgaben, sondern auch auf Eigenheiten des deutschen Rechtssystems zurückzuführen. Die Kontrolldichte der deutschen Verwaltungsgerichte muss an das allgemeine europäische Niveau angepasst werden. Deutsche Verwaltungsgerichte überprüfen ein inzwischen fast ausschließlich durch europäische Vorgaben geprägtes deutsches Umweltrecht und verlangen dabei, offenbar abweichend von den Gerichten in anderen Mitgliedstaaten, dass bis in kleinste fachliche Details hinein der Nachweis der Richtigkeit der Behördenentscheidung erbracht wird. Es sollte auf politischer Ebene dringend die Frage geklärt werden, inwieweit die gerichtliche Vollkontrolle im deutschen Umweltrecht noch zeitgemäß und im europäischen Kontext angemessen ist.
Eine umfängliche gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns führt dazu, dass Richter zu „Ersatzgesetzgebern“ werden (Beispiel: Urteil OVG Münster zu Trianel 2016 8 D 99/13.AK zum Abschneidekriterium Critical Loads). Nach der sog. normative Ermächtigungslehre (h.L. und BVerwG) besteht eine volle gerichtliche Überprüfbarkeit von unbestimmten Rechtsbegriffen. Ein auch von den Gerichten zu beachtender Beurteilungsspielraum der Verwaltung setzt jedoch grundsätzlich voraus, dass der Gesetzgeber diesen ausdrücklich für die anzuwendenden Norm geregelt, die Verwaltung also zu einer autonomen Bewertung ermächtigt hat. Da dies im deutschen Umweltrecht bisher weitgehend nicht erfolgt ist, kann nur im Einzelfall im Wege der Auslegung für jede einzelne Norm entschieden werden, ob sie ausnahmsweise Ansätze für einen Beurteilungsspielraum enthält oder nicht. Dies kann nicht zu der benötigten Rechtssicherheit von Genehmigungsverfahren führen.
Eine Begrenzung der gerichtlichen Überprüfung vor allem bei stark fachlich geprägten Regeln auf eine Vertretbarkeitsprüfung scheint daher geboten. Es müssen gesetzliche Vorgaben aufgestellt werden, wie weit eine Sachverhaltsprüfung gehen darf.
Insoweit enthielt der Entwurf der Sendler-Kommission für ein Umweltgesetzbuch in § 43 UGB-KomE einen gelungenen Regelungsvorschlag. Er will die Überprüfung von Prognose- und Bewertungsentscheidungen der Verwaltung, die technischen oder naturwissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen, auf die Frage beschränken, ob das für die Prognose und Bewertung vorgeschriebene Verfahren eingehalten wurde und die behördliche Prognose oder Bewertung nachvollziehbar ist, insbesondere ob die Sachverhaltsermittlung und -feststellung zutreffend und vollständig ist, ob die einschlägigen technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse in Betracht gezogen worden sind und die Bewertungsmaßstäbe der Sache angemessen sind.
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