#PowerUpEurope: Europäische Fusionskontrolle

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POSITION | WETTBEWERBSPOLITIK | EUROPA

Europäische Fusionskontrolle

Erforderliche Anpassungen aus Sicht der Deutschen Industrie

22. August 2024

Einleitung

Eine effektive Fusionskontrolle durch die Europäische Kommission stellt einen entscheidenden Pfeiler des Europäischen Wettbewerbsrechts dar und gehört damit zu den Kernelementen des Europäischen Binnenmarktes. Die rechtlichen Grundlagen für ihre Durchführung finden sich insbesondere in der Fusionskontrollverordnung (EG) Nr. 139/2004 (FKVO), die seit 2004 unverändert fortbesteht. Auch die Horizontal und Non-Horizontal Merger Guidelines sind seit 2004, bzw. 2008, nicht aktualisiert worden. Tiefgreifende wirtschaftliche Veränderungen der vergangenen Jahre, wie die Digitalisierung der Wirtschaft, die Auswirkungen der Globalisierung und neue geopolitische Entwicklungen, spiegeln sich in den Regeln bislang nicht wider.

Daher erscheint 20 Jahre nach Veröffentlichung der FKVO und zu Beginn einer neuen EU-Legislaturperiode ein guter Zeitpunkt gekommen, um das bestehende Fusionskontrollrecht der EU einer Evaluierung und Aktualisierung zu unterziehen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Forderungen nach einer stärkeren Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft ("New European Competitiveness Deal"), den Ankündigungen von Kommissionspräsidentin von der Leyen in ihren politischen Leitlinien 2024-2029, Wettbewerbspolitik und Fusionskontrolle besser auf gemeinsame europäische Ziele und globale Märkte auszurichten, und dem Bekenntnis der Europäischen Institutionen zu besserer Rechtssetzung und einem Abbau des Bürokratieaufwandes.

Aus Sicht des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) muss die Zukunft des Wettbewerbsund Fusionskontrollrechts von einer progressiveren Wettbewerbspolitik geprägt sein, die europäischen Unternehmen effektive Chancen auf globalen Märkten gibt. Dabei ist es wichtig, einen ausgewogenen Ansatz zu finden, der die globale Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum europäischer Unternehmen fördert und gleichzeitig einen fairen Wettbewerb im Binnenmarkt gewährleistet. Wettbewerbs- und Industriepolitik stehen in diesem Sinne auch nicht in einem Widerspruch zueinander, sondern ergänzen sich.

Insbesondere mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen muss die Europäische Kommission bei Fusionsentscheidungen grundsätzlich eine zukunftsgerichtete Marktbetrachtung vornehmen und neben dem Wettbewerb im Binnenmarkt auch die globale Wettbewerbssituation, die dynamische Marktentwicklung und den potenziellen Wettbewerbseintritt anderer Unternehmen sowie

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. | Abteilung Recht, Wettbewerb und Verbraucherpolitik | www.bdi.eu

mögliche Effizienzgewinne stärker einbeziehen. Abgesehen von den traditionellen Bewertungskriterien sollten auch die langfristigen positiven Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf Innovation, Qualität, Nachhaltigkeit und Standortinvestitionen eine entscheidende Rolle in der Prüfung der Kommission spielen.

In Diskussionen zur Reichweite der Fusionskontrolle richtet sich das Augenmerk seit einigen Jahren verstärkt auf Fälle, an denen Unternehmen mit aktuell geringen Umsätzen, aber hohem Wettbewerbsund Innovationspotenzial beteiligt sind („nascent competitors“), insbesondere, wenn diese durch große etablierte Unternehmen aufgekauft werden. Die Europäische Kommission sucht nach Wegen, im Einzelfall auch diese Vorhaben zu prüfen, selbst wenn sie originär nicht zuständig ist. Im Kompetenzgefüge der Europäischen Institutionen ist es aber nicht Aufgabe der Kommission, festzulegen, welche Zusammenschlüsse grundsätzlich einem Genehmigungserfordernis unterworfen werden. Dies obliegt dem Rat. Ein entscheidendes Kriterium für rechtssichere Unternehmensentscheidungen mit Blick auf Zusammenschlussvorhaben sind außerdem klare Aufgreif- und Prüfkriterien der Behörden. Der seit 2021 eingeschlagene Weg der Kommission, von den Mitgliedstaaten eine Fallverweisung nach Art. 22 FKVO anzufordern, selbst wenn weder die europäischen noch die mitgliedstaatlichen Aufgreifkriterien erfüllt sind, führt zu großer Rechtsunsicherheit bei europäischen und internationalen Unternehmen. Aus Sicht der Deutschen Industrie muss diese Rechtsunsicherheit beendet werden – erforderlichenfalls auch über Änderungen der europäischen Aufgreifkriterien.

Neben nötigen Anpassungen in der FKVO selbst und den zugehörigen Kommissionsleitlinien ist es zudem entscheidend, Verbesserungen in der Verfahrenspraxis der Europäischen Kommission herbeizuführen. Das 2023 durch die Kommission verabschiedete „Simplification Package“ wird begrüßt, stellt aber nur einen ersten Schritt in der erforderlichen Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung dar. Die Praxis der Kommission muss sich grundsätzlich ändern: Die oftmals exzessiven Informations- und Dokumentenabfragen im Rahmen von Fusionsanmeldungen müssen für alle Beteiligten auf ein vernünftiges und handhabbares Maß reduziert werden und langwierige Pränotifizierungsgespräche sollten nicht die Regel sein.

Inhaltsverzeichnis

1.

1. Zusammenschlussvorhaben unterhalb der Umsatzschwellen – Prüfkompetenz der Europäischen Kommission

▪ Verweisungen nach Art. 22 FKVO

Das neu entstandene Interesse der Kommission an Artikel 22 FKVO-Verweisungen in Fällen, in denen weder europäische noch nationale Schwellenwerte überschritten werden, steigert die Rechtsunsicherheit bei geplanten Zusammenschlüssen insbesondere in innovativen Geschäftsfeldern deutlich. Während bislang die bestehenden Umsatzschwellen eine klare Einordnung ermöglichten, wann ein Vorhaben durch die Europäische Kommission aufgegriffen wird, ist nun nicht mehr sicher, ob ein grundsätzlich nicht anmeldepflichtiger Fall doch noch zur Prüfung in Brüssel landen wird – mit dem damit verbundenen Zeit- und Kostenaufwand und unsicherem Ausgang. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kommission angekündigt hat, gegebenenfalls auch Verweisungen zu bereits vollzogenen Zusammenschlüssen anzunehmen und diese nachträglich zu untersagen. Die Veröffentlichung von Leitlinien und Q&As sowie die wiederholte Versicherung der Europäischen Kommission, die neue Praxis nur in wenigen Sonderfällen anwenden zu wollen, kann die grundsätzlichen rechtlichen Bedenken der Wirtschaft, die bestehende Rechtsunsicherheit und den zusätzlichen Aufwand für Unternehmen nicht ausreichend eindämmen. Seit 2021 hat sich die Kommission nach eigenen Angaben bereits ca. 80 Fälle in Hinblick auf eine mögliche Verweisung nach Art. 22 FKVO angesehen. Auch wenn letztlich nur einige wenige Fälle tatsächlich verwiesen wurden, bleibt es unvorhersehbar, welche Fälle die Kommission aufgreifen wird. Der BDI spricht sich daher auch unabhängig vom Ausgang des laufenden EuGH-Verfahrens im Fall Illumina/Grail gegen die Fortführung der Verweisungspraxis nach Art. 22 FKVO aus.

Sollte die Kommission trotz der großen Kritik und der bestehenden Rechtsunsicherheit an der neuen Verweisungspraxis nach Art. 22 FKVO festhalten und sollte dies auch die Zustimmung des EuGH finden, müssen in jedem Fall deutliche Verfahrensverbesserungen vorgenommen werden. Hierzu zählen engere Rahmenbedingungen, z. B. eine klarere zeitliche Begrenzung und die Einführung eines One-Stop Shop Regimes. Die Parteien sollten die Möglichkeit haben, ähnlich wie bei der CMA durch Vorlage eines überblicksartigen „Briefing Papers“ (vergleichbar mit den Anforderungen nach Art. 14 Abs. 2 DMA) an die Kommission binnen einer Frist von zwei Wochen oder darunter eine verbindliche Aussage zu erhalten, ob die Kommission die Transaktion aufgreifen würde oder nicht.

▪ Einführung einer EU-Transaktionswertschwelle

Im Vergleich zu der durch Verweisungen nach Art. 22 FKVO bestehenden Rechtsunsicherheit erscheint die Einführung eines neuen Aufgreifschwellenwertes, etwa in Form einer Transaktionswertschwelle, wie in Deutschland oder Österreich, klar vorzugswürdig. Hierdurch könnten Fälle aufgegriffen werden, in denen ein an dem Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen zwar bislang keine nennenswerten Umsätze im Europäischen Wirtschaftsraum erzielt, aber dennoch über ein erhebliches Marktpotenzial verfügt, das sich durch einen hohen Kaufpreis ausdrückt. Eine solche Transaktionswertschwelle könnte voraussichtlich auch ohne eine offizielle Überarbeitung der FKVO, auf Grundlage des vereinfachten Verfahrens nach Art. 1 Abs. 5 FKVO, eingeführt werden. Zwar entstünde durch eine neue europäische Transaktionswertschwelle zusätzlicher Aufwand für Unternehmen aufgrund der neuen Anmeldepflichten, dafür würde eine solche Schwelle – insbesondere im Zusammenhang mit vereinfachten Anmeldeverfahren und schnellen Prüfungen – aber auch für die dringend nötige Rechtssicherheit sorgen. So wäre zum einen klar, welche Fälle ex ante anzumelden sind und welche Fälle rechtssicher abgeschlossen werden können und zum anderen hätten die Unternehmen es selbst in

der Hand, Rechtssicherheit herbeizuführen und müssten keine Sorge vor letztlich willkürlichen Verweisungen und Prüfungen auf Grundlage von Art. 22 FKVO haben.

Die Einführung einer Transaktionswertschwelle könnte ähnlich wie in Deutschland ausgestaltet werden, d.h. grundsätzlich bliebe es beim Vorrang der Umsatzschwellen. Die Transaktionswertschwelle käme erst dann zum Zug, wenn die Umsätze des Targets unter den Umsatzschwellen bleiben. Sobald die europäische Transaktionswertschwelle überschritten ist, entfällt eine Anmeldepflicht nach nationalen Transaktionswertschwellen (aktuell in Deutschland oder Österreich).

Der Höhe nach müsste eine klare Abgrenzung zu den bestehenden Transaktionswertschwellen in den Mitgliedstaaten erfolgen (z.B. Deutschland (EUR 400 Mio.) und Österreich (EUR 200 Mio.)). Die Transaktionswertschwelle auf Ebene der EU könnte etwa bei EUR 1-2 Mrd. liegen. Um sicher-zustellen, dass nur Transaktionen mit tatsächlich substanziellen Auswirkungen auf den Wettbewerb im Europäischen Wirtschaftsraum von der Anmeldepflicht bei der Europäischen Kommission erfasst werden, muss ein „Local Nexus“-Erfordernis in die Europäische Fusionskontrolle aufgenommen werden (siehe auch unten unter 3.)

Handlungsempfehlungen

▪ Klare und rechtssichere Aufgreifkriterien in der Europäischen Fusionskontrolle gewährleisten

▪ Die neue Kommissionspraxis, Fallverweisungen nach Art. 22 FKVO anzufordern, wenn weder europäische noch nationale Aufgreifschwellen überschritten sind, aufgeben. Hilfsweise deutliche Verfahrensverbesserungen einführen, um Zeit- und Kostenaufwand und Rechtsunsicherheit für Unternehmen zu verringern

▪ Im Vergleich zu Art. 22 FKVO-Verweisungen vorzugswürdig: Eine EU-Transaktionswertschwelle als neues Aufgreifkriterium einführen, um auch den Aufkauf von „nascent competitors“ einer Wettbewerbskontrolle zu unterziehen

2. Anpassung der EU-Umsatzschwellenwerte

Die EU-Umsatzschwellenwerte in Art. 1 FKVO sind seit 1989 nicht angepasst worden. Eine Anhebung ist angebracht, um dem Inflationsausgleich angemessen Rechnung zu tragen. Seit 2004 beträgt die Preissteigerung allein in Deutschland 47,9%, seit 1989 sogar 106,4%. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf entsprechende Überlegungen zur Anhebung der nationalen Umsatzschwellenwerte in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten müssen die EU-Schwellenwerte deutlich angehoben werden - der gemeinschaftsweite Umsatzschwellenwert beispielsweise auf 500 Mio. EUR, vergleichbar mit den Vorgaben in der Foreign Subsidies Verordnung. Hierdurch kann sich die Kommission auf Fälle mit gemeinschaftsweiter Bedeutung konzentrieren.

Ferner muss auch nach Erhöhung der Schwellenwerte sichergestellt werden, dass eine zukünftige Anpassung nicht wieder mehrere Jahrzehnte ausbleibt. Unabhängig von der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung gilt es eine derart lange Inaktivität von vorneherein auszuschließen. Ein turnusmäßiger Mechanismus, etwa eine jährliche Anpassung der Werte an die Inflation wie in den USA oder Italien, würde zwar das jeweils aktuelle Inflationslevel widerspiegeln, könnte aber auch zu zufälligen

Anmeldepflichten führen, je nachdem in welchem Stadium sich die Transaktion zum Zeitpunkt der Anhebung befindet.

Es muss aber zumindest in regelmäßigem Abstand eine Überprüfung der Angemessenheit der Schwellenwerte erfolgen, die dann gegebenenfalls zu neuen Anpassungen führen kann. Eine solche Überprüfung könnte z.B. alle 3-5 Jahre stattfinden. Eine Anpassung der Schwellenwerte sollte in Zukunft in einem vereinfachten Verfahren möglich sein, wie es etwa Art. 1 Abs. 5 FKVO bereits für Anpassungen in Art. 1 Abs. 3 FKVO vorsieht, ohne dass hierfür ein umfangreicher Gesetzgebungsprozess zur Änderung der FKVO erforderlich ist. Denkbar wäre auch eine regelmäßige Anpassung der Schwellenwerte über Delegierte Rechtsakte, vergleichbar mit dem Verfahren zur Anpassung der Schwellenwerte im Europäischen Vergaberecht.

Gleichzeitig muss die Effizienz des „One-Stop-Shop“, den die Kommission bietet, möglichst umfassend gewährleistet bleiben, sofern Unternehmen dies im Einzelfall wünschen. Die entsprechenden Verweisungsvorschriften in Art. 4 Abs. 5 FKVO müssen dergestalt angepasst werden, dass die Kommission bei einem Verweisungsantrag durch die anmeldenden Parteien diese Verweisung auch annehmen muss und die Verweisung nur dann verweigert wird, sofern alle Mitgliedsstaaten, in denen nach nationalem Recht eine Anmeldung der Transaktion erforderlich ist, diese ablehnen.

Handlungsempfehlungen

▪ Die EU-Umsatzschwellenwerte mit Blick auf den Inflationsausgleich deutlich anheben und regelmäßig auf ihre Angemessenheit überprüfen

▪ Die Effizienz des „One-Stop-Shops“ gewährleisten, indem Verweisungen nach Art. 4 Abs. 5 FKVO durch Einschränkung des Vetorechts erleichtert werden

3. Local Nexus Erfordernis / Effects Test

In die Europäische Fusionskontrolle muss ein Local Nexus Erfordernis eingeführt werden, um Transaktionen ohne jeglichen Bezug zur EU von vornherein von einer Anmeldepflicht auszuklammern. Dies ist insbesondere relevant, sofern eine EU-Transaktionswertschwelle eingeführt werden sollte. Ein Local Nexus kann beispielsweise mit einer zusätzlichen Umsatzschwelle, aber auch mit einem „appreciable local effect on the internal market in the foreseeable future“ erreicht werden. Entsprechend völkerrechtlichen Grundsätzen und den Recommended Practices des ICN sollten Fusionskontrollverfahren nur dort geführt werden, wo eine Transaktion auch substanzielle, d.h. nicht nur unerhebliche oder gar nur potenzielle, Auswirkungen hat. Dies entspricht auch der deutschen Rechtslage und der Verwaltungspraxis anderer Kartellbehörden. Nach EU-Rechtslage müssen derzeit beispielsweise Joint Ventures außerhalb der EU, die keinerlei Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben, bei der Kommission angemeldet werden, wenn die Mütter die europäischen Umsatzschwellenwerte erreichen. Aufgrund der Vorbildwirkung, die die Kommission auf viele Fusionskontrollbehörden weltweit hat, hätte eine solche Änderung auch über die EU hinaus effizienzsteigernde Effekte (z.B. auch mit Blick auf Verfahren in der Ukraine und anderen EU-Beitrittskandidaten).

Ein weiteres Beispiel für grundsätzlich überflüssige Anmeldungen sind Finanzierungsrunden bei Venture Capital Investments. Hier kann die Beteiligung zweier oder mehrerer strategischer Global Player an einem kleinen Investment-Vehikel schnell zu einer gemeinsamen Kontrolle nach der FKVO führen.

Dann führen die Umsätze der strategischen Global Player allein zu einer Überschreitung der Umsatzschwellen. Solche Zurechnungen von Umsätzen im Rahmen an sich kleiner Transaktionen lösen die Fusionskontrolle unnötig aus, zumal oft gar kein Interessengleichlauf besteht. Abhilfe würde damit geschaffen, nur die isolierten Umsätze des finanzierenden Anteilserwerbers und des Targets zu betrachten. Sollten letztere gering sein, könnte eine Transaktionswertschwelle - wie oben vorgeschlagendabei helfen, nur die wirklich bedeutsamen Finanzierungsrunden zu erfassen.

Handlungsempfehlungen

▪ Ein Local Nexus-Kriterium in die Europäische Fusionskontrolle einführen, um Transaktionen ohne jeglichen Bezug zur EU von vornherein von einer Anmeldepflicht auszunehmen

▪ Im Rahmen von Finanzierungsrunden bei der Bewertung der Umsätze nur die isolierten Umsätze des finanzierenden Anteilserwerbers und des Targets betrachten, um überflüssige Fusionsanmeldungen zu vermeiden

4. Dynamische Marktanalyse und globaler Wettbewerb

Im internationalen Standortwettbewerb benötigt Europa ein zukunftsfähiges Fusionskontrollrecht, das den Wettbewerb im Binnenmarkt fördert und schützt, aber auch die Wettbewerbsfähigkeit und globale Wettbewerbssituation europäischer Unternehmen mit in den Blick nimmt. Verfahrensverbesserungen und Skaleneffekte spielen hier eine gewichtige Rolle, ebenso die Berücksichtigung der weltweiten Marktverhältnisse. Eine zu enge Betrachtung der Märkte und die oftmals sehr kritische Haltung der Europäischen Kommission zur Konsolidierung in einzelnen Branchen führt zu Nachteilen gegenüber internationalen Marktteilnehmern.

In ihrer überarbeiteten Bekanntmachung zur Abgrenzung des relevanten Marktes stellt die Kommission dar, dass sie einen Markt als über den EWR hinausgehenden Markt oder als weltweiten Markt abgrenzen kann. In der Praxis sollte sie aber noch stärker berücksichtigen, dass Märkte immer häufiger über die nationalen Grenzen und den Binnenmarkt hinausgehen. So sollte beispielsweise in Fällen, in denen die fusionierenden Unternehmen außerhalb der EU miteinander konkurrieren und weitere Wettbewerber aus Drittländern (noch) keine Geschäftstätigkeiten oder Einnahmen in der EU haben, auch das globale Marktumfeld – neben der anfallenden Prüfung der Marktbedingungen im Binnenmarkt - ausreichend berücksichtigt werden. Dies gilt umso mehr, wenn sich nach einer angemessenen wirtschaftlichen Analyse abzeichnet, dass die außereuropäischen Wettbewerber in absehbarer Zeit in der EU tätig werden könnten. Unter diesen Umständen sollte die Kommission verstärkt eine dynamischere Analyse und eine langfristige Sicht der Märkte vornehmen.

Die Bekanntmachung zur Abgrenzung des relevanten Marktes enthält zwar Angaben zu besonderen Fallsituationen, in denen die Kommission eine „vorausschauende Prüfung“ vornimmt oder zu erwartende strukturelle Marktveränderungen beachtet. Grundsätzlich sollte die Kommission bei ihrer Marktanalyse aber stets auch absehbare Marktveränderungen – nicht nur struktureller Art – berücksichtigen. Um die Wettbewerbskräfte, bzw. den Wettbewerbsdruck, denen die Parteien nach erfolgtem Zusammenschluss durch andere Wettbewerber unterliegen würden, zutreffend zu erfassen, sollten auch potenzielle Wettbewerber bereits im Stadium der Marktabgrenzung berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere, wenn Unternehmen ihre Markteintrittspläne bereits öffentlich bekannt gemacht haben oder

wenn sich aus der Historie des Unternehmens ergibt, dass das Unternehmen sich regelmäßig neue Märkte erschließt.

Handlungsempfehlungen

▪ Globale Märkte im Rahmen der Marktabgrenzung und die Wettbewerbsfähigkeit von Sektoren stärker berücksichtigen, um die Entstehung international wettbewerbsfähiger Global Player aus Europa zu fördern

▪ Zukunftsgerichtete Marktanalysen durchführen, die neben dem Wettbewerb im Binnenmarkt auch die internationale Wettbewerbssituation, eine dynamische Marktentwicklung und einen zu erwartenden Wettbewerbseintritt anderer Unternehmen einbeziehen

5. Schadenstheorien

Die Ausweitung und Neuentwicklung von Schadenstheorien durch die Europäische Kommission unterliegt keiner effektiven gerichtlichen Kontrolle. Transaktionen sind in der Regel zeitkritisch und müssen schnell vollzogen werden. Fusionskontrollparteien haben in der Praxis nur die Wahl, die Auffassung der Kommission zu akzeptieren und ggf. entsprechende Zusagen anzubieten oder ihre Transaktionspläne zu beenden bzw. eine Untersagungsverfügung der Kommission zu erhalten. Selbst wenn eine gerichtliche Überprüfung dieser Untersagungsverfügung im Nachgang zu dem Ergebnis kommt, dass die Rechtsauffassungen und/oder Tatsachenbewertungen der Kommission fehlerhaft waren, besteht für die Parteien in der Regel keine Möglichkeit mehr, die Transaktion zu vollziehen. Hier sollten zumindest Schadenersatzansprüche für Unternehmen erleichtert werden in Fällen, in denen sich eine auf neue Schadenstheorien gestützte Auflagen-/Untersagungsentscheidung der Kommission in einem gerichtlichen Beschwerdeverfahren als nicht rechtmäßig erweist.

Um die Rechtssicherheit der Unternehmen bereits bei Planung eines Zusammenschlusses zu erhöhen, sollte die Kommission ihre Berücksichtigung neuer Schadenstheorien, wie z.B. das Abstellen auf Innovationsaspekte oder Ökosysteme, näher erläutern. Grundsätzlich sind auslegende Leitlinien, wie die Horizontal und Non-Horizontal Merger Guidelines, wichtige Orientierungshilfen, sie müssten allerdings in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden. Vorstellbar wäre es auch, in die Leitlinien generelle Vorgaben und Leitplanken zur Bewertung von Schadenstheorien aufzunehmen, um ein valides Gerüst für die künftige Entwicklung und Anwendung neuer Schadenstheorien zu bilden. Auf diese Weise wäre sichergestellt, dass neue Schadenstheorien nicht im luftleeren Raum hängen. Eine wesentliche Rolle sollte der „effects based approach“ einnehmen, über den die wirtschaftlichen Auswirkungen in das Zentrum der Analyse rücken. Noch rechtssicherer wäre es, die FKVO selbst zu ändern, um neuartige Konzepte in der Schadenstheorie zu verankern.

Auch wären konsolidierte Leitlinien zu den Rahmenbedingungen und der Fall- und Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission und der Europäischen Gerichte bei der Anwendung des SIEC-Tests hilfreich, beispielsweise zu der Frage, wann Konzepte wie „Wettbewerbsnähe“ oder „wichtige Wettbewerbskraft“ im Rahmen des SIEC-Tests als erhebliche Behinderung angesehen werden oder welche Beweisstandards zum Nachweis der erheblichen Behinderung in „gap cases“ angewandt werden. Dies ist gerade nach Urteilen wie CK Telecoms UK Investments Ltd (C-376/20 P) von großem Interesse

Handlungsempfehlungen

▪ Die Entwicklung und Anwendung neuer Schadenstheorien besser erläutern, in auslegenden Leitlinien oder in der FKVO selbst, um die Rechtssicherheit für Unternehmen zu erhöhen

▪ Konsolidierte Leitlinien zur Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission und der Gerichte bezüglich der Anwendung des SIEC-Tests veröffentlichen

6. Effizienzerwägungen

Potenzielle Effizienzvorteile und die positiven Auswirkungen auf die globale Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Branche müssen bei der Bewertung eines Zusammenschlussvorhabens ein deutlich stärkeres Gewicht erhalten als bislang. Auch wenn nach Erwägungsgrund 29 FKVO und den Ausführungen in den Horizontal Merger Guidelines und in den Non-Horizontal Merger Guidelines Effizienzerwägungen theoretisch in Betracht gezogen werden können, scheinen diese bislang in der Praxis kaum Bedeutung zu haben. Dies liegt an den sehr hohen Prüfmaßstäben der Europäischen Kommission und den unterschiedlichen Beweisanforderungen für die Bewertung von Schäden und Effizienzvorteilen. Hierdurch werden der Gesellschaft wichtige potenzielle Effizienzgewinne vorenthalten. Auch nach den ICN Recommended Practices for Merger Analysis sollte die Prüfung von Effizienzvorteilen integrierter Bestandteil der Gesamtbewertung einer Transaktion sein: „The assessment of potential efficiencies should be part of a competition agency’s overall analytical framework for merger review. In specific cases where the merging parties assert that a merger is unlikely to harm competition significantly because of expected efficiencies, agencies should carefully assess appropriate efficiency claims.” Die stärkere Berücksichtigung von Effizienzvorteilen steht auch im Einklang mit dem Prinzip des more economic approach

Der Prüfungsmaßstab für Effizienzen sollte kohärent zu den Maßstäben bei Schadenstheorien und Abhilfemaßnahmen sein. Es ist unverhältnismäßig, dass potenzielle Effizienzen nur innerhalb kurzer Zeiträume berücksichtigt werden sollen, bei Schadenstheorien aber teilweise viel längere Zeiträume angesetzt werden. Auch sollten die Beweisanforderungen bei den Effizienzen grundsätzlich nicht höher als bei den Schadenstheorien sein. Eine glaubhafte Darlegung von Effizienzen auf der Grundlage von Geschäftsplänen sollte genügen. Den Parteien wird es nicht möglich sein, Effizienzen, die sich erst in der Zukunft erweisen werden, im Vorhinein vollständig zu beweisen; es handelt sich schließlich um eine Prognose.

Die nach den Horizontal Merger Guidelines und den Non-Horizontal Merger Guidelines erforderlichen Beweise sind in der Praxis nur sehr schwer oder sogar unmöglich zu erbringen. Es ist auch unangemessen, dass die Europäische Kommission laut den Non-Horizontal Merger Guidelines weitgehend dieselben sehr strengen Grundsätze wie bei der Bewertung von horizontalen Fusionen anlegt (RN 53 LL). Da vertikale und konglomerate Fusionen wesentlich seltener zu Wettbewerbsproblemen führen als horizontale Fusionen und ein erhebliches Potential für pro-kompetitive Effizienzen aufweisen, sollten bei der Bewertung von Effizienzvorteilen auch unterschiedliche Prüfstandards gelten.

Hier sind Änderungen an den Leitlinien erforderlich. Doch auch in der FKVO selbst sollten die Standards für die Berücksichtigung von Effizienzvorteilen stärker verankert werden, u.a. durch eine Klarstellung, wie der in Erwägungsgrund 29 der Fusionskontrollverordnung genannte Beweisstandard „wahrscheinlich“ im Zusammenhang mit Effizienzvorteilen ausgelegt wird. In bestimmten Fällen sollte

die Kommission auch Effizienzvorteile außerhalb des Marktes berücksichtigen, z. B. im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsvorteilen, die auf anderen Märkten als dem betroffenen Markt entstehen.

Handlungsempfehlungen

▪ Potenzielle Effizienzvorteile als integrierten Bestandteil der Gesamtbewertung stets prüfen und realistische Beweis- und Darlegungsanforderungen für Effizienzvorteile vorsehen

▪ Effizienzvorteile auch außerhalb des betroffenen Marktes anerkennen, z.B. in Bezug auf Nachhaltigkeitsvorteile

7. Abhilfemaßnahmen

Die Europäische Kommission sollte klarstellen, wann aus ihrer Sicht Verpflichtungszusagen in einem „angemessenen Verhältnis zu dem Wettbewerbsproblem“ stehen (Erwägungsgrund 30 der FKVO). Abhilfemaßnahmen sollten sich stets auf den durch die Fusion erwarteten potenziellen Schaden beziehen und nicht als Instrument zur Korrektur von Marktversagen verwendet werden können, das in keinem Zusammenhang zu dem geplanten Zusammenschluss steht. Beispiele für verhaltensbezogene Abhilfemaßnahmen, die sich auf potenzielle Wettbewerbsschäden konzentrieren, können z. B. längerfristige Lieferverpflichtungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und des Angebots zum Nutzen der Verbraucher sein.

Handlungsempfehlung

▪ Abhilfemaßnahmen nicht als Instrument zur Korrektur von Marktversagen verwenden, das in keinem Zusammenhang zu dem geplanten Zusammenschluss steht

8. Erforderliche Verfahrensverbesserungen

Die im Jahr 2023 durch die Europäische Kommission veröffentlichten Maßnahmen zu Vereinfachungen in der Fusionskontrolle enthalten viele gute Ansätze für tatsächliche Verfahrenserleichterungen. Eine Straffung der Anmeldeformulare durch „Tick the box“-Optionen, die Erweiterung der Fallkategorien, die nach dem vereinfachten Verfahren zu prüfen sind oder die Verankerung des „extrem vereinfachten Verfahrens“ ohne Pränotifizierung werden von Unternehmensseite begrüßt. Gleichzeitig hat die Kommission es in ihrem Vereinfachungspaket jedoch verpasst, Erleichterungen in den Bereichen einzuführen, die für die Unternehmen einen besonders hohen Aufwand mit sich bringen; dies gilt insbesondere in Bezug auf Zusammenschlüsse, die nicht unter das vereinfachte Verfahren fallen. Der den Unternehmen bei diesen Zusammenschlüssen entstehende Aufwand entspricht oft nicht mehr dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. So sollte beispielsweise das Erfordernis, sämtliche möglichen alternativen Marktdefinitionen sowie die entsprechenden Marktdaten vorzutragen, gestrichen oder zumindest deutlich reduziert werden. An anderer Stelle hat die Kommission die Informationspflichten der Unternehmen durch das Simplification Package sogar noch erhöht, so z.B. bei der Abfrage nach Pipeline-Produkten.

So bleibt es dabei, dass Fusionskontrollverfahren vor der Europäischen Kommission oftmals sehr lange dauern und unverhältnismäßig aufwendig sind. Die exzessiven Informations- und Dokumentenabfragen müssen für alle Beteiligten auf ein vernünftiges und handhabbares Maß reduziert werden und die oft langwierigen Pränotifizierungsgespräche sollten nicht die Regel sein. Häufig entsteht der Eindruck, dass Informationen „pro forma“ abgefragt werden, obwohl sie im konkreten Fall zu der eigentlichen wettbewerblichen Prüfung nicht beitragen können oder nicht berücksichtigt werden. Oftmals stehen die angefragten Marktdaten den Unternehmen auch nicht unmittelbar zur Verfügung, sondern müssen individuell ermittelt oder geschätzt werden, was zu erheblichem personellem und zeitlichem Aufwand führt. Neben Verbesserungen des Verfahrens sollten auch die Elemente der „Checks and Balances“ innerhalb der Kommission signifikant gestärkt werden, etwa durch die Schaffung separater Teams bei der Ermittlung und Vorbereitung der Entscheidung.

▪ Straffung der Pränotifizierungsphase

Unternehmen sind im Rahmen von Zusammenschlussvorhaben grundsätzlich einem sehr engen Zeitplan unterworfen: Regelmäßig hängt der Erfolg eines Zusammenschlusses von einem schnellen Vollzug und der Geschwindigkeit der sich anschließenden Integration der beteiligten Unternehmen ab. Verzögerungen verursachen den Unternehmen Kosten, lähmen die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs und wirken demotivierend auf die Mitarbeiter, insbesondere des Zielunternehmens in den Fällen eines Unternehmenskaufs. Vor diesem Hintergrund ist eine zügige Durchführung des Fusionskontrollverfahrens für die betroffenen Unternehmen von größter Bedeutung. Während das eigentliche Fusionskontrollverfahren engen Verfahrensfristen unterliegt, ist die Dauer der Pränotifizierungsphase völlig offen und überschreitet häufig die Dauer des offiziellen Prüfverfahrens erheblich.

Zur Straffung der Pränotifizierungsphase ist es entscheidend, dass die Europäische Kommission von Beginn an ausreichend und erfahrenes Personal einsetzt, welches auch eine verbindliche Aussage zur Vollständigkeit des Anmeldungsentwurfs treffen kann. Aus Sicht der Unternehmen darf die Europäische Kommission, wenn eine Pränotifizierungs-Phase durchgeführt wurde, nicht mitunter Wochen nach einer Anmeldung deren Vollständigkeit wieder in Frage stellen. Ansonsten würde der Transaktionszeitplan der betroffenen Unternehmen unnötig gefährdet und die von der FKVO vorgegebenen Verfahrensfristen verlören an Glaubwürdigkeit. Hier sollten klarere Vorgaben eingeführt werden – z.B. die Regelung, dass die Anmeldung spätestens nach zwei Überprüfungen des Entwurfs der Form CO durch die Kommission in der Pränotifizierungsphase erfolgen kann und dass diese Prüfung in der Vorphase eine spätere Incomplete-Entscheidung nach Art. 5 Abs. 2 VO 2023/914 ausschließt. Die Kommission hätte in diesem Fall auch weiterhin die Möglichkeit, im Verfahren Informationen nachzufordern.

Die zuständigen Casehandler sollten für einen längeren Zeitraum mit Fallprüfungen im selben Wirtschaftssektor befasst werden, wie es z.B. auch beim Bundeskartellamt der Fall ist. Durch eine solche Spezialisierung würden die Casehandler bereits zu Beginn eines Verfahrens über einen großen Erfahrungsschatz und profunde Kenntnisse des betroffenen Marktes und ein besseres Verständnis für unternehmensinterne Abläufe verfügen, was nicht nur zu kürzeren Pränotifizierungsphasen, sondern auch zu zielgerichteteren Auskunftsersuchen beitragen würde.

▪ Zielgerichtetere Auskunftsersuchen

Die Europäische Kommission verlangt von den betroffenen Unternehmen vielfach bereits in der Pränotifizierungsphase sehr detaillierte Informationen, die auch über den Bedarf des Formblatts CO oder des vereinfachten Formblatts hinausgehen. Für die betroffenen Unternehmen sind viele Informationen, insbesondere solche zu Märkten, auf denen sie lediglich geringfügige Aktivitäten entfalten oder zu möglichen alternativen Marktabgrenzungen – wenn überhaupt – nur mit großem Aufwand in

akzeptabler Qualität zu beschaffen. Daher ist es erforderlich, dass die Kommission bei der Anforderung von Informationen von den betroffenen Unternehmen in der Pränotifizierungsphase und in der späteren Prüfphase flexibler und pragmatischer auftritt und auch häufiger von ihrer Möglichkeit Gebrauch macht, auf bestimmte Informationen zu verzichten.

Das zuständige Case Team sollte mit Augenmaß agieren und auch innerhalb der eigenen Hierarchie die nötige Befugnis und Unterstützung erhalten, je nach Fall nur die für die Entscheidung relevanten Angaben anzufordern. Es sollte sichergestellt werden, dass die Fragen eindeutig und auf die jeweilige Partei zugeschnitten sind. Auskunftsverlangen sollten – soweit wie möglich – zusammengefasst und konsolidiert werden. Eine diesbezüglich größere Flexibilität des Case Teams würde wiederum auch zu einer deutlichen Straffung des Pränotifizierungsverfahrens beitragen.

Unternehmen sind im Rahmen von Fusionskontrollverfahren verpflichtet, richtige und vollständige Angaben zu machen. Das wird von der Kommission kritisch untersucht, wie aktuell die Mitteilung von Beschwerdepunkten im Fall Kingspan zeigt. Auch vor diesem Hintergrund gilt es, die Anzahl der erforderlichen Informationen und Dokumente auf ein notwendiges Maß zu beschränken, damit Unternehmen die Kapazitäten bündeln, diese Informationen mit der nötigen Sorgfalt zusammenstellen können und sich keinen unnötigen Haftungsrisiken ausgesetzt sehen.

Auskunftsersuchen enthalten regelmäßig sehr detaillierte Fragen zu allen möglichen Märkten und Segmenten, die häufig sehr nah beieinander liegen. Der enorme Detaillierungsgrad der Auskunftsersuchen ist in den meisten Fällen weder erforderlich noch hilfreich, um sich ein realistisches Bild von den Bedingungen auf dem betreffenden Markt zu machen. Kritisch festgestellt wird auch zunehmend ein Trend zu E-Discovery-Verfahren im Rahmen von Zusammenschlussprüfungen. Datenabfragen sollten dabei auf wenige Custodians beschränkt werden, um den Unternehmensaufwand möglichst gering zu halten. Schließlich handelt es sich nicht um ein Bußgeldverfahren.

Auch an Dritte (Wettbewerber, Kunden, Lieferanten) gerichtete Auskunftsersuchen sind häufig unverhältnismäßig komplex und wenig sachdienlich. Dies zeigt sich auch daran, dass die Abfragen für Kunden und Wettbewerber oft identisch und daher nicht auf den jeweils befragten Marktteilnehmer zugeschnitten sind. Der Einsatz von Online-Tools zur alleinigen Beantwortung von Fragebögen ist auch nicht in jedem Fall sachgerecht. Gepaart mit den in der Regel sehr kurzen Bearbeitungsfristen führt die zunehmende Komplexität gerade in an Dritte gerichteten Fragebögen tendenziell dazu, dass Fragen nur kurz oder ausweichend beantwortet werden können. Das wiederum mindert die Qualität der Aussagen, damit die Qualität des Markttests und damit die Qualität der finalen Entscheidung der Kommission.

Die Kommission sollte daher bemüht sein, den Informationsbedarf erheblich zu vermindern und auf das Notwendige und Sinnvolle zu beschränken. Die Norm sollten – wie in der Praxis der USA – Besprechungen und Telefonate mit den Zusammenschlussparteien und Dritten sein. Falls die Sachverhaltsaufklärung doch noch ein Auskunftsersuchen erforderlich macht, sollte dies kurz und selbsterklärend sein und am besten im Dialog mit den Verfahrensparteien erstellt werden. Auch eine strengere Qualitätskontrolle der Fragebögen innerhalb der Hierarchie der Europäischen Kommission könnte für Abhilfe sorgen.

▪ Begründung von Freigabeentscheidungen

Fusionskontrollverfahren bei der Kommission sind auch deshalb besonders aufwendig, weil die Kommission selbst in unproblematischen Fällen ausführliche Freigabeentscheidungen erlassen muss. Dazu benötigt sie sowohl von den beteiligten Unternehmen als auch von anderen Marktteilnehmern

detaillierte Informationen, was wiederum zu ausführlichen Auskunftsersuchen führt. Um den bestehenden Aufwand zu verringern, wäre es hilfreich, wenn die Kommission nur in bestimmten Fällen verpflichtet wäre, detaillierte Freigabeentscheidungen zu erlassen:

▪ Wenn sie eine Transaktion nur unter Auflagen genehmigt.

▪ In Fällen, in denen Dritte förmlich zu einem Fusionskontrollverfahren beigeladen werden, da sie ihre Betroffenheit hinreichend dargelegt haben.

In allen anderen Fällen sollte es ausreichen, eine kurze Freigabeentscheidung oder einen kurzen Fallbericht zu veröffentlichen. Auf diese Weise wären auch weiterhin transparente Entscheidungen und die Information der Öffentlichkeit über interessante neue Sach- oder Rechtsfragen gewährleistet, ohne dass es jedoch des Aufwands einer ausführlichen Freigabeentscheidung bedarf.

Handlungsempfehlungen

▪ Pränotifizierungsphase straffen, u.a. durch klarere Vorgaben zur Verbindlichkeit der Aussagen der Kommission in der Pränotifizierungsphase und durch die Spezialisierung der Casehandler auf bestimmte Wirtschaftszweige

▪ Zielgerichtetere Auskunftsersuchen im Dialog mit dem jeweiligen Marktteilnehmer entwickeln

▪ Fixe Vorgaben an Unternehmen, sämtliche möglichen alternativen Marktdefinitionen sowie die entsprechenden Marktdaten vorzutragen, streichen und stattdessen auf den konkreten Fall bezogene Marktdaten anfordern

▪ Datenabfragen in E-Discovery-Verfahren auf wenige Custodians beschränken

▪ Bürokratieaufwand bei Freigabeentscheidungen verringern

9. Vorrang der FKVO gegenüber nationalen Entflechtungsverfügungen

Deutschland hat 2023 im Rahmen der 11. Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen neue Befugnisse für das Bundeskartellamt nach der Durchführung von Sektoruntersuchungen eingeführt. Sofern das Amt eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs feststellt, kann es verhaltensbezogene und strukturelle Auflagen erteilen, selbst wenn sich die betroffenen Unternehmen rechtmäßig verhalten haben. Unter bestimmten Umständen ist selbst die Verpflichtung zur Veräußerung von Unternehmensanteilen oder Vermögen denkbar. Laut deutschem Gesetz besteht dabei eine zehnjährige Sperrfrist für die Zwangsabtrennung von Vermögensanteilen, die zuvor Gegenstand einer fusionskontrollrechtlichen Freigabe durch Europäische Kommission oder Bundeskartellamt waren. Nach Ablauf von zehn Jahren nach der Freigabeentscheidung ist jedoch auch in diesen Fällen die Verpflichtung zur Veräußerung der entsprechenden Vermögensanteile zulässig.

Auf die Freigabe eines Zusammenschlusses können Unternehmen demnach nur noch für einen Zeitraum von 10 Jahren vertrauen – selbst unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle, bei völlig rechtmäßigem Verhalten und unter Einhaltung aller erteilten Auflagen. Danach wäre nach nationalem Recht eine Entflechtung möglich. Durch diese Regelung behält sich das deutsche Recht ausdrücklich die (Teil-)Rückabwicklung einer von der Kommission genehmigten Transaktion vor. Dies stellt die

Verlässlichkeit der deutschen und europäischen Fusionskontrolle in Frage und steht auch im klaren Widerspruch zu den Grundsätzen der FKVO. Ein einmal durch die Europäische Kommission freigegebener Zusammenschluss kann später nicht einfach wieder untersagt und entflochten werden – insbesondere durch eine nationale Behörde. Die Kommission selbst kann ihre Freigabe zwar mit Auflagen und Bedingungen versehen, um etwaige wettbewerbliche Bedenken auszuräumen. Insoweit führt aber nur ein Verstoß gegen diese Nebenbestimmungen zum nachträglichen Entfallen bzw. zur Widerrufbarkeit der Freigabe. Werden die Nebenbestimmungen hingegen eingehalten, und es stellen sich wider Erwarten doch wettbewerbliche Behinderungen im Markt ein, ist auch hier die Freigabe unwiderruflich. Abhilfemaßnahmen im Nachhinein würden dem Prinzip der präventiven Marktstrukturkontrolle durch die Europäische Kommission widersprechen.

Mit Blick auf diesen Verstoß gegen die Kompetenzordnung in der Europäischen Fusionskontrolle sollten entsprechende Klarstellungen in die FKVO – etwa in Artikel 21 FKVO – aufgenommen werden. Anderenfalls besteht auch die Gefahr, dass weitere Mitgliedstaaten ähnliche Vorschriften in ihr jeweiliges nationales Recht einführen werden. Daher sollte dieses Problem für die Zukunft geklärt werden.

Handlungsempfehlung

▪ Klarstellen, dass nach der FKVO genehmigte Zusammenschlüsse aus Kompetenzgründen nicht durch nationale Entflechtungsverfügungen aufgelöst werden können

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