Deutschland mit einer bio-basierten Wirtschaft zukunftsfähig machen
Oktober 2024
Executive Summary
Politik und Gesellschaft haben in den vergangenen Jahren auf die Herausforderungen des steigenden Ressourcenverbrauchs und des Klimawandels mit nationalen und internationalen Programmen und Maßnahmen reagiert. Ihr gemeinsames Ziel ist eine nachhaltige, umweltschonende und CO2-arme Wirtschaft, aber auch die Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln, Impfstoffen und Arzneimitteln. Die industrielle Biotechnologie hat sich dabei zu einer tragenden Säule des Transformationsprozesses in eine bio-basierte und nachhaltige Wirtschaft – eine Bioökonomie – entwickelt. Als Querschnittstechnologie vermag sie ähnlich wie die Digitalisierung einen tiefgreifenden Wandel in Gesellschaft und Industrie auszulösen. In der Medizin ermöglicht sie beispielsweise neue Heilungs- und Behandlungsmethoden – ohne die eine Bewältigung der COVID-19-Pandemie nicht möglich gewesen wäre – während es der breite Einsatz biotechnologisch basierter Produktionsverfahren erlaubt, viele Grundstoffe und Konsumgüter qualitativ besser und ressourcenschonender herzustellen.
Fünf Jahre sind seit Erscheinen der ersten Version des BDI-Positionspapiers „Deutschland mit einer bio-basierten Wirtschaft zukunftsfähig machen“ vergangen; eine Zeit, in der sich die politische und wirtschaftliche Ausgangslage deutlich geändert hat Stichworte sind hier die Corona-Pandemie oder der Ukraine-Krieg. Dies wollen wir zum Anlass nehmen, das Positionspapier zu aktualisieren und den Blick vor allem auf die kommende Bundestagswahl im nächsten Jahr richten. Welche Rahmenbedingungen brauchen Forschung und Innovation im Bereich der industriellen Biotechnologie heute, damit der Transformationsprozess von Wirtschaft und Gesellschaft auch mit Hilfe einer nachhaltigen Bioökonomie gelingt?
Die Politik ist gefordert, den oben genannten Transformationsprozess in eine Bioökonomie durch eine kluge Rahmensetzung zu unterstützen und die Entwicklung der Biotechnologie als Schlüsseltechnologie und Innovationsmotor zu fördern. Spätestens mit der Identifizierung der Biotechnologie als einer der vier kritischen Technologien in der EU Economic Security Strategy sowie der Kommissionsmitteilung zur Stärkung der Biotechnologie vom März 2024 gilt es, der Biotechnologie eine besondere Rolle
auch auf deutscher Ebene zuzuschreiben. Als Innovator und Arbeitgeber ist die Industrie hier der Partner von Politik und Gesellschaft möchte die Zukunft aktiv mitgestalten.
Zentrale Handlungsempfehlungen sind:
▪ Ein klares Bekenntnis der Politik zur zentralen Bedeutung der Biotechnologie bei der Umsetzung der Nationalen Bioökonomie-Strategie und der Zukunftsstrategie
▪ Etablierung einer ressortübergreifenden Plattform für einen gesamtgesellschaftlichen Dialog – einen Biodialog – unter Beteiligung von Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft
▪ Einrichtung öffentlicher Programme zur Förderung von jungen Unternehmen in der Gründungsphase sowie in späteren Wachstumsphasen: Zudem sollten gesetzliche Möglichkeiten für deutsche Kapitalsammelstellen geschaffen werden, um in Venture Kapital zu investieren
Inhaltsverzeichnis
8.
I. Bio-basierte Technologien eröffnen neue Chancen für nachhaltiges Wirtschaften und die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen
Die biologische Transformation setzt Impulse für Innovation und Wertschöpfung in allen Branchen und verhilft gleichzeitig zu mehr wirtschaftlicher Souveränität
Seit rund 10.000 Jahren setzen die Menschen bereits bio-basierte Technologien ein, um Nahrungsmittel zu veredeln – Brot, Käse und Bier waren und sind bekannte Beispiele. Heute ermöglicht Biotechnologie auch in über die Ernährung hinausgehenden Bereichen eine Produktion im Verbund mit der Natur. Beispiele sind unter anderem in den Bereichen Medizin, Umwelt, Klima, Industrie, Landwirtschaft und Energie zu finden.
Bei den biotechnischen Anwendungen liegt die Verbesserung beispielsweise darin, fossile Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe sowie Prozesse in der freien Natur durch solche im geschlossenen System zu ersetzen. In vielen Bereichen aber ermöglicht das heute verfügbare biologische Wissen, völlig neue Produkte und Anwendungen zu schaffen – insbesondere auf den Feldern Medizin, Lebensmittel, Wertstoffe und Agrarwirtschaft (siehe Anhang 1 und 2). Mit Hilfe der Biotechnologie wird die Versorgung mit Industriegütern, Energie und die Ernährungssicherheit verbessert und damit ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Souveränität und Resilienz des Standortes Deutschlands geleistet.
Die Nachhaltigkeit der Technologie ist häufig in den umweltschonenderen biologischen Produktionsverfahren und in der quasi CO2-neutralen Gewinnung und Umwandlung von nachwachsenden Rohstoffen begründet. Biotechnische Produktionsverfahren weisen außerdem oft eine effizientere und nachhaltigere Ressourcennutzung sowie Energieverbräuche im Vergleich zu konventionellen Produktionsabläufen auf. Eine holistische Betrachtung und die Verwendung des Begriffes Nachhaltigkeit erlauben sogar eine breitere Bewertung des Themas im Sinne der Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Dabei wird neben den Umweltaspekten auch der gesamtgesellschaftliche Nutzen bio-basierter Produkte berücksichtigt, z. B. in den Bereichen Ernährung (SDG Nr. 2) und Gesundheit (SDG Nr. 3) sowie Energie (SDG Nr. 7) und nachhaltiger Konsum und Produktion (SDG Nr. 12) bei denen es darum geht, auch mit technologisch modernen Methoden und Produkten beispielweise ländliche Erwerbs-, Produktions- und Siedlungsformen zu sichern, Umweltschutz zu betreiben oder „ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters [zu] gewährleisten und ihr Wohlergehen [zu] fördern“ 1
Die biologische Transformation der industriellen Produktion kann aber auch über den Einsatz biologischer Materialien und Prozesse hinausgehen. Biologisches Wissen wird zum Beispiel bereits genutzt, um die Eigenschaften oder die Effizienz von Materialien und Oberflächen, Bewegungsabläufen, Schwarmverhalten sowie autonome, autarke und / oder lernende Systeme chemisch, physikalisch oder in silico zu verbessern. Damit eröffnen sich auch für viele weitere Industriesektoren, die bisher noch gar nicht mit der biologischen Transformation in Berührung gekommen sind, neue Impulse für Wertschöpfung, Geschäftsmodelle und Märkte.
1 https://www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/
II. Unternehmen der Biotechnologie treiben die steigende Bedeutung der Bioökonomie in Deutschland an
Nach den jüngsten im „German Biotechnology Report 2024” vorgelegten Zahlen (vgl. EY (2014): German Biotechnology Report 20242) verzeichnet die deutsche Biotech-Industrie eine anhaltend positive Entwicklung: Die Anzahl der Mitarbeitenden in den rund 1 000 Biotechnologie-Unternehmen stieg 2023 um zehn Prozent auf 62.000 Beschäftigte. Hinzu kommen biotechnische Arbeitsplätze in den Anwenderbranchen wie u. a. der Chemie, der industriellen Gesundheitswirtschaft und Medizin, der Futterund Lebensmittelindustrie, der Energiewirtschaft sowie der Umwelttechnik. Auch die Investitionen in Forschung und Entwicklung entwickelten sich positiv und nahmen im gleichen Zeitraum ebenfalls um zehn Prozent zu. Lediglich beim Umsatz war ein großer Rückgang zu verbuchen, was sich im Wesentlichen auf die sinkenden Verkäufe des COVID-19-Vakzins zurückführen lässt.
Damit nehmen die Biotech-Unternehmen eine immer wichtigere Rolle ein. Als Schlüsseltechnologie durchdringt die Biotechnologie unterschiedlichste Branchen und trägt dort zur Wertschöpfung bei. Beispiele umfassen die Energie- und Gesundheitswirtschaft, die Lebensmittel- und Futtermittelproduktion, die Chemie-, Textil- und Papierindustrie oder Pflege- und Kosmetikprodukte. Die Biologisierung der Wirtschaft trägt zur Entstehung einer Bioökonomie bei. Sie wird sektoral sehr unterschiedlich abgegrenzt. Zu ihr zählen nach einer Definition der EU-Kommission alle wirtschaftlichen Sektoren und Dienstleistungen, die biologische Ressourcen wie Pflanzen, Tiere oder Mikroorganismen produzieren, ver- und bearbeiten oder in irgendeiner Form nutzen (vgl. European Commission (2012): Innovating for Sustainable Growth: A Bioeconomy for Europe). Laut letzten verfügbaren Berechnungen (2019) erwirtschafteten in der EU rund 18 Millionen Beschäftigte in allen Branchen der Bioökonomie rund 2,4 Billionen Euro Jahresumsatz. Nicht alle Arbeitsplätze sind direkt mit der Biotechnologie verknüpft, aber sehr viele hängen von dieser Schlüsseltechnologie ab3. Eine Studie des WifOR-Instituts für EuropaBio (Measuring the Economic Footprint of the Biotechnology Industry in Europe, 2020) schätzt die Wertschöpfungseffekte der industriellen Biotechnologie in Europa auf 15,1 Milliarden Euro und die Anzahl der direkten und indirekten Arbeitsplätze auf 933.0004. Es wird davon ausgegangen, dass pro Arbeitsplatz in der industriellen Biotechnologie vier weitere Arbeitsplätze an anderer Stelle geschaffen werden (ebd.).
III. Die Politik muss handeln
Bereits seit 2010 gibt es in Deutschland Forschungs- und Politikstrategien für eine bio-basierte Wirtschaft, eine Bioökonomie. Deutschland ist damit einer der industriestrategischen Vorreiter für dieses globale Thema. In der Umsetzung wird das hiesige Potenzial allerdings nicht ausgeschöpft. Die Fortschritte in den Biowissenschaften könnten bereits weitreichendere und umfassendere Handlungsspielräume in der Produktion und in der Versorgung der Menschheit mit Nahrungsmitteln, Impfstoffen und Arzneimitteln erschließen, als das bisher der Fall ist.
Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu bekannt, dass „Deutschland die Chance hat, zum international führenden Biotechnologie-Standort zu werden. Durch den ersten mRNA-Impfstoff aus Mainz hat unser Land weltweite Sichtbarkeit erlangt. Damit ist eine Leitfunktion für die
2 Erhebung von BIO Deutschland e. V. in Zusammenarbeit mit EY (https://www.ey.com/Publication/vwLUAssets/ey-deutscherbiotechnologie-report-2019/$FILE/ey-deutscher-biotechnologie-report-2019.pdf)
3 Europäische Bioökonomie in Zahlen, Nova.-Institut, 2019
4 Measuring the Economic Footprint of the Biotechnology Industry in Europe, WifOR-Institut, 2020
wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der Biotechnologie verbunden.“5 Die 2023 veröffentlichte Zukunftsstrategie erklärt zum Ziel, Deutschland zu einem führenden Biotechnologie-Standort zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen allerdings Taten folgen, mit einer klaren BiotechnologieAgenda für Deutschland. Die EU-Kommission ist hier schon 2024 mit ihrer Kommunikation „Building the future with nature: Boosting Biotechnology and Biomanufacturing in the EU“ mit gutem Beispiel vorangegangen.
Die US-Regierung fokussiert sich mit der „Executive Order on Advancing Biotechnology and Biomanufacturing Innovation for a Sustainable, Safe, and Secure American Bioeconomy“6 auf die Förderung biotechnologischer Verfahren zur Herstellung neuartiger Werkstoffe, chemischer und pharmazeutischer Produkte, von Nahrungsmitteln, aber auch von Biokraftstoffen. Zur Umsetzung dieser Executive Order haben das Office of Science and Technology Policy (OSTP) sowie die Ministerien für Verteidigung und Wirtschaft im März 2023 Pläne und Strategien zur Verwirklichung des präsidialen Dekrets vorgelegt.
Das OSTP stellte den Bericht „Bold Goals for U.S. Biotechnology and Biomanufacturing. Harnessing Research and Development for Further Goals“7 vor. Darin entwirft das OSTP eine Vision für Einsatzmöglichkeiten von Biotechnologie und Bioproduktion und wie Forschung und Entwicklung (FuE) zu deren Verwirklichung beitragen können. Der Bericht versteht sich als Leitfaden für die landesweite Koordinierung staatlicher und privater FuE-Aktivitäten zur Bioökonomie. Mit seiner „Biomanufacturing Strategy 8 steuert das Verteidigungsministerium (Department of Defence, DoD) die im Jahr 2022 im Rahmen der Initiative „National Biotechnology and Biomanufacturing“ angekündigten Investitionen des Ministeriums in Höhe von 1,2 Milliarden USD (1,1 Milliarden Euro) in die heimische bioindustrielle Fertigungsinfrastruktur. Sie regelt unter anderem die Förderung von Forschungsaktivitäten sowie die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor und verbündeten Staaten.
Das Bureau of Economic Analysis des US-Wirtschaftsministeriums (Department of Commerce, DoC) veröffentlichte zudem den Bericht „Developing a National Measure of the Economic Contributions of the Bioeconomy“. Dieser entwirft ein System zur Bestimmung des wirtschaftlichen Wertes der USBioökonomie.
Die USA haben also die Bedeutung der Biotechnologie und Bioökonomie erkannt und entsprechende Maßnahmen zügig auf den Weg gebracht.
IV. Handlungsempfehlungen
Ohne Beteiligung der deutschen Industrie ist eine schnellere Transformation in eine Bioökonomie nicht möglich. Der BDI setzt sich dafür ein, die Industrie in die Entwicklung einer Biotechnologie-Agenda eng einzubinden.
5 Siehe Koalitionsvertrag der BREG, S. 17, abrufbar unter: Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit (spd.de)
6 Siehe Executive Order on Advancing Biotechnology and Biomanufacturing Innovation for a Sustainable, Safe, and Secure American Bioeconomy | The White House
7 Siehe Bold Goals for U.S. Biotechnology and Biomanufacturing: Harnessing Research and Development to Further Societal Goals (whitehouse.gov)
8 DoD Releases Biomanufacturing Strategy > U.S. Department of Defense
Nachhaltigkeit, Gesundheit, Umweltschutz, CO2-Vermeidung sowie der verantwortungsvolle Umgang mit Energie und Rohstoffen sind Ziele, die von der ganzen Gesellschaft getragen werden müssen.
Der BDI setzt sich dafür ein:
▪ dass die Politik sich klar zur zentralen Bedeutung der Biotechnologie bei der Umsetzung der Nationalen Bioökonomie-Strategie und der Zukunftsstrategie bekennt. Basierend auf dem industrieübergreifenden Einsatz der Biotechnologie ist die ressortübergreifende Arbeit der Bundesregierung dabei zentral.
▪ dass die Bundesregierung eine ressortübergreifende Plattform für einen gesamtgesellschaftlichen Dialog – Biodialog – einrichtet, in der unter Beteiligung von Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft über die Vor- und Nachteile der Anwendung der Biotechnologie in den Bereichen Medizin, industrieller Produktion und Landwirtschaft diskutiert wird
▪ dass etablierte und bewährte öffentliche Programme zur Förderung von jungen Unternehmen in der Gründungsphase sowie in späteren Wachstumsphasen geschaffen werden: Aufgrund des häufig hohen Kapitalbedarfs von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der industriellen Biotechnologie sind diese ganz besonders auf projektspezifische Förderprogramme und programmatische Förderung, beispielsweise durch Gründerfonds für Unternehmen, angewiesen. Die öffentliche Förderung ist eine ganz wesentliche Säule in der Innovationsfinanzierung für nachhaltige Technologien und Produkte und sollte dringend ausgebaut werden. Um mehr privates Kapital für die Wachstumsphase von Unternehmen zu mobilisieren, sollten gesetzliche Möglichkeiten für deutsche Kapitalsammelstellen geschaffen werden, in Venture Kapital zu investieren. Außerdem müssen bessere steuerliche Anreize für Privatinvestoren bei Investitionen in die Anlageklasse Venture Kapital geschaffen werden.
▪ dass die Förderung der Biotechnologie als Schlüsseltechnologie und Innovationsmotor und die Sicherstellung von Schutzrechten geistigen Eigentums im Bereich lebender Organismen unterstützt wird; denn lebende Organismen bilden die Grundlage einer Bioökonomie.
▪ dass die Förderung von innovativen nachhaltigen Lösungen zur Etablierung der biologischen Kreislaufwirtschaft vorangetrieben wird; dazu gehören beispielsweise die Nutzung von organischen Abfallströmen mit biotechnologischen Verfahren sowie die Entwicklung biologisch abbaubarer Polymere.
▪ dass der Vergleich von bio-basierten mit traditionellen, fossil-basierten Produkten und Verfahren unter Einbeziehung aller Kosten erfolgt und auch den ökologischen Fußabdruck berücksichtigt So können die Vorteile der Anwendung innovativer Technologien für Wirtschaft und Gesellschaft sichtbar gemacht werden. Um den Markteintritt bio-basierter Produkte zu erleichtern, bedarf es einen Market-Pulls durch z. B. Beimischungsquoten und Materialvorgaben sowie höhere Abgaben auf die Emission von CO2
▪ Dass die Beschleunigung der Umsetzung bioökonomischer Ansätze in der Industrie durch Förderung von vorwettbewerblichen Pilot-Anlagen und Prototyp-Entwicklungen sowie die Etablierung eines Wachstumsfonds für die biotechnische Produktion in Deutschland erfolgt. Dieser Fonds investiert in die Hochskalierung der Technologie und den Bau entsprechender (Groß-) Anlagen. Dazu bedarf es vor allem auch klarerer und transparenter
Rahmenbedingungen, die den Markthochlauf nicht behindern, sondern unterstützen. Dafür sollten vor allem Regularien in der EU überarbeitet und unnötige Bürokratie vermieden, Planungssicherheit geschaffen und die Beschleunigung neuer Produktzulassungen angestrebt werden.
▪ dass auf europäischer Ebene eine gemeinsame EU-Bioökonomiepolitik angestrebt wird, die die komparativen Stärken der EU-Mitglieder zum Tragen bringt und diese damit international wettbewerbsfähiger macht. Die Kommunikation „Building the future with nature: Boosting Biotechnology and Biomanufacturing“ der EU-Kommission ist ein sehr wichtiger Schritt, um die nötigen Maßnahmen für eine gemeinsame EU-Politik auf den Weg zu bringen. Diese müssen enthalten: eine reformierte gemeinsamen EU-Agrarpolitik, eine Weiterentwicklung der EUBioökonomiestrategie und eine ausreichende finanzielle Ausstattung des nächsten EU-Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (FP10), angemessene und umsetzbare Regulierungen (z. B. Novel Food oder Gentechnik) und weitere öffentlich-private Partnerschaften (z B. IPCEI) Europäische Prozesse sind für die deutsche Bioökonomie von zentraler Bedeutung und deren Ausgestaltung muss aktiv von der Bundesregierung unterstützt und begleitet werden. Darüber hinaus sollte sich die Bundesregierung sich für die Weiterführung des europäischen Bio-Based Industries Consortium (BBI) sowie eine dazugehörige Budgeterhöhung stark machen.
▪ Dass die Abstimmung von Förder- und regulatorischen Rahmenbedingungen zwischen nationaler und EU-Ebene verbessert wird. Eine attraktive Förderstrategie entlang der gesamten Entwicklungskette ist nicht vorhanden und wird immer noch benötigt. Gerade die Verzahnung von verschiedenen Fördertöpfen aus verschiedenen Ressorts beziehungsweise zwischen nationalen und europäischen Programmen (z. B. zwischen der Zukunftsstrategie und Horizon Europe) kann hilfreich sein, um vorhandene Gelder effizienter zu nutzen.
Anhang
Anhang 1: Aktuelle Anwendungsbeispiele
1. Insulin (Sanofi-Aventis Deutschland GmbH)
Seit den 80er-Jahren wird Humaninsulin zur Behandlung des Diabetes mellitus gentechnisch hergestellt. Davor wurde es aus geschlachteten Rindern und Schweinen isoliert. Das Ziel einer jeden Diabetestherapie ist das Erreichen einer stabilen und guten Blutzuckereinstellung.
Wichtige Bausteine der Diabetestherapie sind das Mahlzeiten-Insulin und das langwirksame BasalInsulin, das Sanofi anbietet. Bei stoffwechselgesunden Menschen steigt nach der Aufnahme von kohlenhydrathaltigen Nahrungsmitteln der Blutzuckerspiegel, die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse erhalten ein Signal, woraufhin sie verstärkt Insulin produzieren. Wenn die in der Nahrung enthaltenen Kohlenhydrate abgebaut sind, sinken der Blutzuckerspiegel und damit auch die Insulinproduktion.
Mit der Entwicklung von modernen, schnellwirksamen Insulinanaloga ist es möglich, diese natürliche Insulin-Ausschüttung nach der Mahlzeit nachzuahmen. Mahlzeiten-Insuline sorgen schnell und effektiv dafür, dass die Glukose aus dem Blut in die Zellen gelangt, wo sie zur Energiegewinnung benötigt wird.
2. Biotechnologie in der industriellen Gesundheitswirtschaft (WifOR)
Im Jahr 2023 betrug die Bruttowertschöpfung der medizinischen Biotechnologie allein 10,6 Milliarden Euro und machte damit über elf Prozent der Bruttowertschöpfung der industriellen Gesundheitswirtschaft (IGW) in Deutschland aus.9 Die Berechnungen von WifOR im Auftrag des BMWK ergaben außerdem, dass die Zahl der direkt in der Biotechnologie Beschäftigten seit 2014 um 6,4 Prozent auf rund 66.000 gewachsen ist. Das Exportvolumen der Biotechnologie ist in den letzten zehn Jahren von 19,2 Milliarden auf 33,4 Milliarden Euro um 74 Prozent angestiegen. Insgesamt erzeugt Biotechnologie eine Bruttowertschöpfung (inkl. indirekter und induzierter) von über 25 Milliarden Euro, und mit der wirtschaftlichen Aktivität der Branche sind gesamtwirtschaftlich rund 222.000 zusätzliche Erwerbstätige verbunden (ebd.).
3. Biopharmazeutika im Allgemeinen (vfa bio, Biotechnologie im Verband forschender Pharma-Unternehmen vfa)
Im Jahr 2023 wurde in Deutschland mit Biopharmazeutika ein Umsatz von rund 19,2 Milliarden Euro erzielt (zu Herstellerabgabepreisen), was einer Steigerung von 8,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht; das Wachstum der Biopharmazeutika setzt sich also fort. Zum Vergleich: Die Umsätze des gesamten deutschen Pharmamarktes legten im gleichen Zeitraum um 2,8 Prozent zu. Der Anteil der Biopharmazeutika am gesamten Pharmamarkt ist dadurch von 32,5 Prozent auf 34,5 Prozent gestiegen. Das zeigt, dass Biopharmazeutika immer wichtiger für die Versorgung von Patienten werden. Die Immunologie ist mit rund 32 Prozent der umsatzstärkste Bereich. Immunologie, Onkologie und
9 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (2024): Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung (2023)
Stoffwechselerkrankungen kommen zusammen auf 73 Prozent des biopharmazeutischen Gesamtumsatzes. Dabei machen Antikörper, Impfstoffe und Insuline rund 66 Prozent aller Biopharmazeutika aus.10
Der Corona-Impfstoff Corminaty hat dem Unternehmen BioNTech beispiellose Umsatzzuwächse und Gewinne ermöglicht. Allein in den Jahren 2021 und 2022 machte das Biotechnologie-Unternehmen rund 36 Milliarden Euro Umsatz. Dies bescherte dem Unternehmensstandort Mainz zusätzliche Steuereinnahmen von rund 2,4 Milliarden Euro, die jetzt teilweise dort in den Aufbau eines neuen Biozentrum investiert werden.
4. Vitamin B2 (BASF SE)
Vitamin B2 wird Nahrungsmitteln und Getränken, Kosmetika und in großem Maßstab Futtermitteln zugesetzt. Die jährliche Produktion lag 2023 bei ca. 109.000 Tonnen11 .
Während Vitamin B2 früher überwiegend in einem mehrstufigen chemischen Verfahren synthetisiert wurde, ist die Produktion mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen inzwischen weltweit Standard.
Alle großen Vitamin B2-Hersteller haben biotechnische Verfahren entwickelt. Sie nutzen dafür verschiedene gentechnisch optimierte Produktionsstämme (vor allem: Bacillus subtilis, ein Bodenbakterium, auch Pilze und verschiedene Hefe-Stämme).
Einige dieser Mikroorganismen können von Natur aus Vitamin B2 bilden. Durch das Einführen geeigneter Erbgutabschnitte, welche die Bildung der an der natürlichen Vitaminsynthese beteiligten Enzyme regulieren, kann der zu Vitamin B2 führende Stoffwechselweg optimiert und die hergestellte Menge um ein Vielfaches gesteigert werden.
Die biotechnischen Herstellungsverfahren haben gegenüber der chemischen Synthese deutliche Vorteile: Die Produktionskosten sind um 40 Prozent niedriger, der Ressourcenverbrauch um 60, CO2Emissionen um 30 und die Abfallstoffe um 95 Prozent. Partner aus Unternehmen und Hochschulen konnten die Produktivität der Mikroorganismen mit biotechnologischen Methoden noch um 20 Prozent steigern. Für diese erfolgreiche Zusammenarbeit wurde die BASF von der Universität von Salamanca ausgezeichnet.
5. Käseherstellung
Durch die stetig wachsende Käseproduktion erhöhte sich der Bedarf an Lab. Das Angebot von Labmägen junger saugender Kälber konnte dieser verstärkten Nachfrage nicht standhalten. Gentechnisch hergestelltes Lab ist seit Anfang der 90er-Jahre auf dem internationalen Markt, zugelassen in den meisten europäischen Ländern (Frankreich, England, Italien, Niederlande, Spanien, Schweiz u. a.) und in den USA. Seit 1997 ist auch in Deutschland die Verwendung von gentechnologisch hergestelltem Chymosin zur Käseherstellung erlaubt, das in Mikroorganismen (Hefen, Schimmelpilzen, Bakterien) hergestellt wird. Ihnen wurde die genetische Information für die Chymosinproduktion aus dem Kälbermagen in das Erbgut eingefügt
10 Biotech-Report: Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2024, BCG / vfa 11 ChemAnalyst 2024
Der Vorteil des gentechnologisch hergestellten Labs beruht auf seinem geringen Preis und seinem höheren Reinheitsgrad.
6. Biotechnologie in der Landwirtschaft
Biologische Lösungen werden weltweit von Landwirten eingesetzt, um nachhaltig zu produzieren. So werden mikrobiologische Produkte zum Schutz gegen Pflanzenschädlinge und Pflanzenkrankheiten und zur Produktivitätssteigerung entwickelt. Diese können auch als „Biostimulanz“ die Pflanzen mit Mikronährstoffen versorgen oder Wurzelwachstum anregen.
Futtermittelenzyme werden ebenfalls seit vielen Jahren erfolgreich in der Tierernährung eingesetzt. Sie helfen, komplexe Proteine, Polyphosphate und Kohlenhydrate zu verdauen und als Nahrungsstoffe den Tieren effizient zur Verfügung zu stellen. Der Einsatz von Enzymen reduziert die Emissionen von Gülle und ermöglicht den ressourcenschonenden Einsatz von Tierfutter. Der globale Enzymmarkt umfasst 2023 ein Volumen von etwa elf Milliarden Euro und hat ein großes Wachstumspotenzial.12
In der Tierhaltung können zudem moderne und nachhaltige Futtermittelformulierungen dazu beitragen, Grundwasser und Atmosphäre vor einem zu großen Stickstoffüberschuss zu schützen. Durch den konsequenten Einsatz von Aminosäuren in der Tierernährung ist es möglich, den Ausstoß reaktiven Stickstoffs deutlich zu senken.
Setzt man dem Futter essenzielle Aminosäuren wie Methionin, Lysin oder Valin zu, lässt sich das Futter besser an den Nährstoffbedarf des Tieres anpassen. Hühner benötigen zum Beispiel mehr Methionin, für Schweine ist Lysin besonders wichtig. Der Effekt der Aminosäuren: Nährstoffe werden besser verwertet, die Tiere fressen insgesamt weniger.
Das ist nicht nur gut für die Wirtschaftlichkeit eines Betriebs, sondern auch für die Umwelt. Denn: Auf diese Weise wird auch weniger Stickstoff ausgestoßen. Weltweit reduziert der Einsatz der Aminosäuren des Spezialchemieherstellers Evonik den Eintrag reaktiven Stickstoffs in die Umwelt um 900.000 Tonnen jährlich. Zum Vergleich: Pro Jahr setzt die Landwirtschaft in Deutschland 2.700.000 Tonnen reaktiven Stickstoffs in Form von Dünger ein.
7. (FMCG) Fast Moving Consumer Goods (AMSilk GmbH)
Seide findet seit Jahrhunderten Einsatz in einer Vielzahl von verschiedenen Körper- und Haarpflegprodukten. Der beliebte Rohstoff wird vorwiegend aus dem Kokon der Seidenraupe Bombyx mori gewonnen und ist daher tierischen Ursprungs. Für die Herstellung der tierischen Seide werden für ein kg etwa 5.000 Kokons und 180 kg Maulbeerbaumblätter benötigt, welche unter anderem mit Pestiziden und Hormonen behandelt werden – nachhaltige und ressourcenschonende Produktionsprozesse sind dadurch schwer umsetzbar.
Die Biotech-Firma AMSilk konnte erstmalig ein biotechnologisches Verfahren zur Herstellung von tierfreier Seide entwickeln und bietet der Kosmetikbranche nicht nur eine vegane Alternative, sondern Inhaltsstoffe in Gel- oder Pulverform mit einzigartigen neuen Funktionen für High-Performance Beautyprodukte. Filmbildende, atmungsaktive Eigenschaften verleihen der funktionalen Seide eine physikalische Schutzwirkung, welche Haut und Haar vor Umweltverschmutzungen, Schadstoffen oder
12 Enzymes Global Market Report 2024
Bakterien schützt. Eingesetzt in Hautcremes bildet das dreidimensionale Seidennetzwerk einen atmungsaktiven Schutzschild aus, welcher wie eine zweite Haut wirkt. Darüber hinaus können funktionale Seidenproteine bestimmte Substanzen, wie z. B. Parfümöle oder Wirkstoffe fixieren und damit lang anhaltende Effekte zur gleichmäßigen Freisetzung und Erhöhung der Wirksamkeit bewirken.
Bereits seit einigen Jahren wird die biotechnologische Seide der AMSilk als Inhaltsstoff in zahlreichen Kosmetikprodukten erfolgreich weltweit eingesetzt.
Auch Enzyme und DNA-Moleküle werden seit vielen Jahren Kosmetika zugesetzt, um von Verbraucherinnen und Verbrauchern gewünschte Effekte zu erzeugen.
Das zweite, noch größere Marktsegment innerhalb FMCG ist Home Care (Reinigungsmittel, Textilpflege etc ), wo in sehr großen Mengen petrochemische Tenside und Polymere, die nur teilweise biologisch abbaubar sind, verwendet werden.
AMSilks rekombinante Seiden-Proteine sind pflanzenbasiert, biologisch abbaubar und setzen kein Mikroplastik frei. Sie zeigen ausgezeichnete Performance in der Applikation. AMSilk ist in der Skalierung für das Home Care Marktsegment zu erschließen
8. Süßen ohne Kalorienzufuhr (Pfeifer & Langen GmbH & Co. KG)
Bereits seit Jahren gibt es das Kundenbedürfnis, Zucker ohne Kalorien genießen zu können. Bisherige Ansätze wie Hochintensivsüßstoffe oder Zuckeralkohole imitieren lediglich die Süße des Zuckers, können seine anderen Eigenschaften aber nicht erfüllen. Allulose ist ein natürlicher Zucker, der enzymatisch aus Fruktose hergestellt werden kann. Er besitzt die technologischen Eigenschaften eines normalen Zuckers, hat aber nahezu keine Kalorien. In den USA, Japan und Korea ist er für Lebensmittelanwendungen bereits zugelassen. Effiziente enzymatische Prozesse machen diesen Zucker für jedermann erschwinglich. Damit steht über den Weg der Biotechnologie erstmals ein echter Zucker ohne Kalorien zur Verfügung.
9. Carbon Capture and Utilisation (CCU) durch Gasfermentation (Lanzatech Global Inc.)
Spezialisierte Mikroorganismen können gasförmigen Kohlenstoff aus industriellen Abfallströmen aufnehmen und in hochwertige Chemikalien umwandeln. Das neuseeländische Unternehmen Lanzatech kooperiert weltweit mit Industrieanlagen, um Kohlenoxide aus Rauchgasanlagen zu fixieren und mittels biotechnologischer Gasfermentation Plattformchemikalien herzustellen, die dann als Ausgangsstoff für Gummi, Synthesefasern oder nachhaltiges Flugbenzin dienen können. Der Kohlenstoffausstoß von industriellen Prozessen wird so nicht nur reduziert, sondern der Kohlenstoff auch in energiehaltigen Verbindungen weiter genutzt. Das europaweit erste Projekt zur CCU und fermentativen großtechnischen Herstellung von Ethanol ist im belgischen Gent im Aufbau.
10. Bio-basierte waschaktive Substanzen (Evonik Industries AG)
Rhamnolipide sind Biotenside, die von dem Unternehmen Evonik durch einen umweltfreundlichen Fermentationsprozess aus europäischem Maiszucker hergestellt werden. Dieser biogene, kohlenstoff-basierte Prozess kommt ohne petrochemische Rohstoffe oder tropische Öle aus. Da Rhamnolipide vollständig biologisch abbaubar sind, stellen sie eine umweltschonende Alternative zu konventionellen Tensiden dar. Ihre Rohstoffe sind bio-basiert und sie weisen ein geringes toxikologisches und ökotoxikologisches Risiko auf. Dank ihrer hervorragenden Schaumbildung und sanften Wirkung eignen sie sich besonders für Haushaltsreiniger und Körperpflegeprodukte wie Shampoos und Mizellenwasser.
Zudem überzeugen sie in industriellen Anwendungen, beispielsweise bei Beschichtungen, im Bergbau sowie in der Öl- und Gasindustrie.
Im Januar 2024 gab Evonik bekannt, das erste Produkt aus seiner großtechnischen Anlage am Standort in der Slowakei für nachhaltige Biotenside hergestellt zu haben.
11. Abfall in „grüne Energie“ umwandeln
Gemeinsam mit Ørsted (ehemals DONG Energy) hat Bigadan eine großtechnische Biogasanlage in Kalundborg (Dänemark) errichtet, die ausschließlich Reststoffe aus der Insulin- und Enzymproduktion bei Novo Nordisk und Novenesis (ehemals Novozymes) nutzt. Das Werk wurde 2018 eröffnet. Aus 300.000 Tonnen Reststoffen produziert es heute genug Biogas um 15.000 Haushalte für ein Jahr zu beheizen und spart somit 72.000 Tonnen CO2 13
12. Biochemikalien aus Buchenholz (UPM GmbH)
Das finnische Unternehmen UPM plant, 2024 eine Buchenholz-Bioraffinerie in Leuna in Betrieb zu nehmen. Aus nachhaltig erwirtschaftetem Laubholz sollen dort mittels Mikroorganismen Biochemikalien zur Fertigung von Alltagsgegenständen und Materialien hergestellt werden. Diese ermöglichen eine Vielzahl von Anwendungen, darunter Textilien, Kunststoffe, Gummi, Kosmetika und Medikamente und reduzieren deutlich sowohl den Verbrauch fossiler Rohstoffe wie auch CO2-Emissionen.14
13 Quelle: https://bigadan.com/cases/kalundborg-bioenergy
14 Quelle: https://www.upmbiochemicals.com/de/uber-upm-biochemicals/bioraffinerie-leuna/
Anhang 2: Forschungs- und Pilotprojekte Bioökonomie
1. Biosteel® – die biotechnische Herstellung von Textilfasern (AMSilk GmbH)
Die meisten Sporttextilien bestehen aus synthetischen Fasern, die die Umwelt belasten, da zu ihrer Herstellung nicht-erneuerbare Ressourcen zum einen als Rohstoff und zum anderen für die Erzeugung von Prozesswärme verbraucht werden. Darüber hinaus ist der Abrieb solcher Fasern z. B. aus der Waschmaschine einer der Gründe für die steigende Menge an Mikroplastik in unseren Weltmeeren.
Das Biotechnologie-Unternehmen AMSilk kann diese Entwicklung radikal verändern. Es hat u. a. einen Weg gefunden, im industriellen Maßstab eine Art künstliche Spinnenseide zu produzieren, die auf die bisherige Verwendung von Seidenraupen gänzlich verzichten kann Die naturbasierte und vollständig biologisch abbaubare Hochleistungsfaser namens „Biosteel“ hat Eigenschaften, die sie für viele Anwendungen interessant macht. Die Faser vereint mechanische Performance und gute Hautverträglichkeit mit nachhaltiger Herstellung und ist dabei potenziell das stärkste, bislang verfügbare Naturmaterial.
Ein Anwendungsbeispiel ist die Kooperation mit dem Sportartikelhersteller Adidas. So präsentierte Adidas auf der Biofabricate-Konferenz in New York im November 2016 den weltweit ersten Performance-Schuh aus Biosteel-Fasern. Laut Pressemitteilung der Adidas ist dieser ca. 15 Prozent leichter als vergleichbare Schuhe hergestellt aus Synthetikfasern. Daneben arbeitet AMSilk mit zahlreichen anderen Partnern an weiteren Anwendungsbeispielen der Biosteel-Faser – nicht nur bei Sportartikeln, sondern auch bei anderen textilen Anwendungen, wie beispielsweise im Automobilbereich, wo mit Mercedes Benz Applikationen vorgestellt wurden.
Weiterhin werden in großem Umfang aus Tieren gewonnene Proteinfasern wie Wolle, Seide oder Kaschmir in der hochwertigen Mode verwendet. Die rekombinanten Seidenproteine von AMSilk bieten eine qualitativ bessere Alternative, die gleichzeitig in hohem Maße zur Dekarbonisierung beiträgt.
2. Neue Möglichkeiten der Zelltherapie (Bayer AG & BlueRock Therapeutics)
BlueRock Therapeutics konzentriert sich auf die Entwicklung von Zelltherapien für schwer zu behandelnde Krankheiten in den Bereichen Neurologie, Kardiologie und Immunologie unter Verwendung einer CELL+GENE™-Plattform auf Basis von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC). Nach der Gründung von BlueRock Therapeutics als gemeinsames Joint Venture der Bayer AG und Versant Ventures im Jahr 2016 hat Bayer das Biotechnologieunternehmen im Sommer 2019 vollständig übernommen.
Die Technologie zur Zelldifferenzierung von BlueRock Therapeutics basiert auf der Entwicklungsbiologie der Zellen: Gewöhnliche adulte Stammzellen wie Hautzellen werden durch die Zugabe genetischer Faktoren neu programmiert, sodass sie in beliebige funktionale Körperzellen wie Herzmuskelzellen oder Gehirnzellen ausdifferenziert werden. Ziel ist die vollständige Heilung von Krankheiten. Vor allem die regenerative Zelltherapie bietet bei degenerativen Erkrankungen mit massivem Zellverlust und geringer Möglichkeit zur Selbstreparatur ein beispielloses Potenzial mit einem erheblichen Nutzen für die Patienten. Beispielerkrankungen sind Parkinson, bei der Dopaminzellen im Mittelhirn untergehen, aber auch der akute Verlust von funktionsfähigem Herzmuskelgewebe nach Herzinfarkten. Das Leitprogramm in der Indikation Parkinson hat die erste Phase der klinischen Entwicklung erfolgreich durchlaufen und wird noch 2024 in die zweite Phase überführt werden – die Parkinson-Krankheit galt bisher als unheilbar.
3. Nachhaltige Materialentwicklung: Bio-basierte Kunststoffe aus regionalen Ressourcen (Fraunhofer-Gesellschaft)
Bio-basierte Kunststoffe machen aktuell nur etwa ein Prozent des Gesamtkunststoffmarktes aus und sind somit noch in einem Nischensegment positioniert. Nur wenige davon, wie etwa PLA (Polymilchsäure), lassen sich heute schon wettbewerbsfähig herstellen und werden für kommerzielle Anwendungen genutzt.
Das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP) arbeitet in mehreren Projekten mit Partnern aus Forschung und Industrie daran, den bio-basierten und recyclingfähigen Kunststoff Polybutylensuccinat (PBS) erfolgreich am Markt zu etablieren. Dabei liegt der Fokus auf der Synthese und Entwicklung neuer PBS-Typen für thermoplastische Verarbeitungsverfahren. Mittlerweile liegen marktreife Typen vor, die zusammen mit den Partnern bis in den Vorserieneinsatz skaliert werden.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Kunststoffen, deren Ausgangsstoffe oft fossiler Natur sind, werden Zucker als Rohstoffe verwendet. Die Zucker sollen aus der regionalen Land- und Forstwirtschaft gewonnen werden (Gärreste, Weizenstroh, Strauchverschnitt, Holzreste). Dieser Ansatz bietet den entscheidenden Vorteil, dass die Rohstoffe aus lokal verfügbaren pflanzlichen Reststoffen gewonnen werden, ohne dabei in direkter Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion zu stehen.
Die Entwicklung bio-basierter Kunststoffe stellt eine Herausforderung dar, die sowohl technische Eigenschaften als auch Marktakzeptanz berücksichtigen muss. In den letzten Jahren sind wichtige Schritte in Richtung einer nachhaltigen und zirkulären Kunststoffwirtschaft erfolgt. Die Ergebnisse tragen dazu bei, langfristig kritische Ressourcen zu sichern und den Übergang zu einer umweltverträglichen Materialproduktion voranzutreiben.
4. Zellen als biologischer Rohstoff (Fraunhofer Gesellschaft)
Zellen werden im Zentrum der biologischen Transformation und Forschung stehen. Sie sind der wichtigste Baustein einer Vielzahl biotechnologischer Prozesse, molekularbiologischer Diagnostik und zelltherapeutischer Verfahren. Und sie sind ein nachwachsender Rohstoff. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IMTE, Abteilung Aquakultur und Aquatische Ressourcen, arbeiten an der Bereitstellung gut differenzierter, funktional aktiver Zellen. Ein Verfahren zur kommerziellen Vermehrung adhärent wachsender Zellen wurde durch das Fraunhofer IMTE patentiert, und eine erste Firmenausgründung mit der Produktion von Fischzellen für den Lebensmittelmarkt hat stattgefunden. Die Zelltechnologie besitzt großes Potenzial, nicht nur für die Nahrungsmittelindustrie, sondern auch für neue Märkte, wie der Medizin und der Kosmetikbranche. Zukünftig ist es so beispielsweise möglich, dass mittels Zellkulturen verschiedenste Substanzen auf ihr Schadpotenzial z. B. bei Fischen getestet werden, ohne Tierversuche durchführen zu müssen. Zellkulturen bieten die Möglichkeit von in-vitro-Versuchen aller Art und sind damit ein wichtiges Mittel zur Umsetzung des 3R-Prinzips (Ziel des 3R-Prinzips ist es, Tierversuche vollständig zu vermeiden (Replacement) und die Zahl der Tiere (Reduction) und ihr Leiden (Refinement) in Versuchen auf das unerlässliche Maß zu beschränken). Das Fraunhofer IMTE konnte in bereits abgeschlossenen Projekten erfolgreich Fischzellkulturen als Tool für die Impfstoffforschung für Fische etablieren. Beispielhaft genannt sei das Projekt KHV-Vacc, welches sich mit der Etablierung von Zellkulturen aus Karpfen zur Bekämpfung des Koi-Herpesvirus beschäftigte. Auch in der Humanmedizin können komplexe Zellsysteme zukünftig ihren Beitrag leisten, um auf Patienten zugeschnittene Immun- oder Gewebetherapien auf den Weg zu bringen.
5. Mikroalgen als Biomasse-, Roh- und Wertstoffquelle (Fraunhofer-Gesellschaft)
Mikroalgen bieten viele Vorteile und Möglichkeiten, wenn es um die Produktion hochwertiger Inhaltsstoffe und bio-basierter Produkte für die Lebensmittel-, Kosmetik-, Pflanzenstärkungs- oder Textilindustrie geht. Sie verbinden die Einfachheit der Kultivierung einzelliger Organismen mit der Fähigkeit, nur aus CO2, Licht und einigen wenigen Mineralien Biomasse und wertvolle Inhaltsstoffe zu bilden, was sonst im Wesentlichen nur Landpflanzen und Makroalgen vermögen. Dabei produzieren Mikroalgen bis zu fünfmal mehr Biomasse als Landpflanzen pro Fläche und Zeit. Zudem brauchen sie keine Felder und Wiesen, um zu wachsen, und ihre Ernte ist nicht an Jahreszeiten gebunden. In mittels flächig aufgebrachten LED künstlich beleuchteten und kompakten Stack-Photobioreaktoren des Fraunhofer IGB können Mikroalgen und ihre Inhaltstoffe dezentral, unabhängig von Klima- und Lichtverhältnissen sowie von nutzbarer Agrarfläche über das ganze Jahr hinweg wirtschaftlich hergestellt werden.
Ein weiterer Vorteil: Für die Kultivierung der Algen lassen sich CO2-haltige Abgase nutzen und so die Mikroalgenproduktion an Industrieprozesse koppeln. Das Fraunhofer IGB hat zudem vielfach gezeigt, dass Mikroalgen mit stickstoff- und phosphathaltigen Abwässern zur Deckung ihres Nährstoffbedarfs kultiviert werden können. Beides trägt zur Kreislaufwirtschaft und zur Kostenreduktion der Mikroalgenproduktion bei.
Der Artenreichtum der Mikroalgen ist enorm und damit auch das Potenzial an unterschiedlichen Inhaltstoffen wie Carotinoiden, Phytosterolen oder ß-Glucanen. Wie sich die Algenbiomasse zusammensetzt, steuert das Fraunhofer IGB über eine gezielte Prozessführung der Kultivierung. Allen Mikroalgen gemein ist jedoch: Sie enthalten viele, für die Ernährung von Mensch und Tier wichtige Proteine, unter geeigneten Kultivierungsbedingungen sogar mehr als 60 Prozent der Trockenmasse. Werden die Bedingungen passend eingestellt, produzieren viele von ihnen zudem Öl oder Kohlenhydrate als Speicherstoffe. Je nach Kulturbedingungen können Lipide so bis zu 60 Prozent des Zelltrockengewichts ausmachen. Auch Wertstoffe wie Vitamine und langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren – z. B. als Ausgangsstoff für bio-basierte Polymere – lassen sich aus den Algen extrahieren. Im Projekt AlgaeTex, das im Innovationsraum BioTexFuture vom BMBF gefördert wurde, konnte das Fraunhofer IGB in einem zweistufigen Prozess Mikroalgenbiomasse mit einem Fettsäuregehalt von bis zu 50 Prozent produzieren. Diese Algen-Fettsäuren wurden am Fraunhofer CBP zu einem Fettsäuremethylester aufgearbeitet, aus dem die Projektpartner Polyamide für Sporttextilien herstellten.
6. Anwendungen in der Pflanzenzüchtung für Klimaresilienz und Ernteertrag (Bayer AG)
In der Bioökonomie kommt der Pflanzenzüchtung ein wichtiger Beitrag zu. So ermöglicht der Einsatz von beispielsweise des Geneditierens mit CRISPR die einfachere, schnellere und präzisere Züchtung von widerstandsfähigeren und ertragreicheren Pflanzen, wodurch sie zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz und zugleich zum Ernteertrag beitragen können. Beispiele für die Anwendung der neuen Züchtungsmethoden finden sich bei der Züchtung von Reis, Mais, Soja und Gurken
Rice Blast (Reisbräune) ist die wirtschaftlich bedeutendste Krankheit bei Reis und kommt weltweit in allen Anbaugebieten vor. Die Züchtung resistenter Reissorten ist schwierig und dauert lang. Mit der Genschere CRISPR zeichnet sich eine Alternative zum Einsatz chemischer Fungizide ab. An der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ist es gelungen, ein bestimmtes Gen „herunter zu regulieren“ und so die Immunabwehr der Pflanzen zu verbessern. Im Labor zeigten sich die editierten Reispflanzen deutlich widerstandsfähiger gegen Rice Blast. Wenn das Konzept tatsächlich funktioniert, könnten Blast-Resistenzen in etablierte Reissorten eingeführt werden – schnell, direkt und ohne langwierige Kreuzungsschritte.
Viele Pflanzenkrankheiten werden durch Viren ausgelöst. Da die Züchtung widerstandsfähiger Sorten oft schwierig ist, werden die Überträger – meist Insekten – oft mit vielen Chemiekalien bekämpft. Auch hier eröffnen sich mit der Genschere CRISPR neue Möglichkeiten: Bestimmte Oberflächenproteine können zum Beispiel so verändert werden, dass die Viren nicht mehr in die Zellen eindringen und sie für die eigene Vermehrung kapern können. Einem Team am Volcani Center in Israel ist es so gelungen, Gurken mit einer breiten Resistenz gegen verschiedene Viren zu entwickeln. Abgesehen von einigen frühen Projekten mit herkömmlicher Gentechnik, sind es die ersten virusresistenten Gurken überhaupt.
Mit Hilfe der neuen Techniken können Pflanzen zudem einfacher, schneller und präziser an extreme Wetterbedingungen angepasst werden und somit gegen die Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger gemacht werden. Extreme Wetterereignisse werden in den kommenden Jahrzehnten immer häufiger auftreten und die Landwirtschaft muss sich auf diese Veränderungen einstellen – insbesondere auf weit verbreitete Anbaukulturen wie Mais und Soja. So haben Bayer und sein Kooperationspartner Pairwise den Kurzhalm-Mais entwickelt, eine Sorte, die kürzer ist als herkömmlicher Mais. Der Kurzhalm-Mais bietet einen besseren Schutz vor Ernteverlusten aufgrund extremer Winde und Wetterereignisse und ermöglicht einen gezielteren Einsatz von Ressourcen während der Anbausaison. Ein weiteres Ergebnis der Kooperation zwischen Bayer und des Pairwise sind editierte Sojabohnen, die besser vor Asiatischem Sojarost geschützt werden. Damit müssen weniger Fungizide zur Bekämpfung der Krankheit eingesetzt werden – bei gleichzeitig höheren Erträgen. Zur weiteren Optimierung und Verbesserung des Kurzhalm-Mais hat Bayer 2023 die Kooperation mit Pairwise, die Werkzeuge zur maßgeschneiderten Geneditierung selbst entwickelt haben, um weitere fünf Jahre verlängert.
7. SusBev (BRAIN Biotech AG, TVC, Provadis Hochschule und Zukunftsweine GmbH)
Das Projekt SusBev – Sustainable Beverages – hat zum Ziel, landwirtschaftliche Rest- und Seitenströme aus dem Weinbau und anderen regionalen Agrarprozessen zu verwerten und mithilfe von fermentativen Prozessen zu gesunden und schmackhaften Getränken und Nahrungsmitteln aufzuwerten. Die Fermentation wird traditionell und weltweit eingesetzt, um pflanzliche Lebensmittel nahrhafter, gesünder, schmackhafter und haltbarer zu machen. Im Projekt SusBev soll diese Technologie auf bisher ungenutzte landwirtschaftliche Nebenströme (z. B. Blätter von Weinreben und anderen Kulturpflanzen, Trester und Fruchtfleisch aus der Obst- und Gemüseverarbeitung) angewendet werden, um nachhaltig neue, gesunde Lebensmittel herzustellen. Die verschiedenen Schritte der fermentativen Anwendungsentwicklung – Ernte und Aufbereitung des Pflanzenmaterials, Auswahl und Testung der Mikroorganismen und Anpassung der Fermentationsbedingungen an das jeweilige Substrat – werden in dem Projekt von einem interdisziplinären Konsortium von Partnern durchgeführt. Die BRAIN Biotech AG selektiert und optimiert geeignete Mikroorganismen und etabliert den Basisprozess im Labormaßstab.
8. BigPharm: Biotechnologische Herstellung von Grundbausteinen für die nachhaltige Synthese von pharmazeutischen Cannabinoiden (TUM)
Das Projekt BigPharm hat zum Ziel, neue biokatalytische Synthesewege für die nachhaltige und skalierbare Produktion essenzieller chemischer Bausteine zur Produktion von Dronabinol (THC) zu etablieren. Aktuell werden diese Bausteine ineffizient und in nicht nachhaltigen chemischen Prozessen erzeugt, die zudem große Mengen an Abfallprodukten freisetzen. Zur biotechnologischen Produktion der Bausteine sollen neue Enzyme identifiziert beziehungsweise aus bekannten Strukturdaten generiert werden. Zudem soll Limonen, das als Nebenprodukt der Zitrusfrucht-Produktion anfällt, als Substrat der Produktion dienen. Es ist geplant, die biotechnologische Produktion der Bausteine zu skalieren und als alternative Produktionsstrategie zu etablieren.
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