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Siegfried Vössner
Das 1x1 des Systems Engineering Kaum eine andere Ingenieurdisziplin hat in den letzten Jahren so stark an Bedeutung gewonnen, wie Systems Engineering. Heutzutage ist Systems Engineering die Basis moderner Systemarchitekturen und Entwicklungsprozesse. Gleichzeitig blickt diese Ingenieurdisziplin auf eine lange und erfolgreiche Tradition zurück. Dieser Beitrag soll die Grundprinzipien erläutern und damit einen einfachen Einstieg ermöglichen. Begriffsbestimmung Systems Engineering ist ein Disziplinen übergreifender, integrativer Ingenieuransatz, um erfolgreich Systeme zu realisieren, betreiben und auch wieder außer Betrieb zu nehmen. Und zwar unter Zuhilfenahme von systemischen Prinzipien und Konzepten sowie von wissenschaftlichen, technologischen und Management-Methoden. Dabei sind die in einem solchen planmäßigen Vorgehen geschaffenen Systeme so weitgefasst wie möglich zu sehen und können aus Menschen, Produkten, Dienstleistungen, Informationen, Prozessen und natürlichen Umweltelementen bestehen. So definiert es das „International Council on Systems Engineering (INCOSE)“1 , eine internationale Vereinigung, die dieses Thema sowohl in Wissenschaft als auch Praxis vertritt. Es geht hierbei also um ein Fachgebiet, welches auf einer sehr breiten Basis aus verschiedenen Ingenieurund Wirtschaftsingenieurdisziplinen steht. Moderne Studienprogramme 1 International Council on Systems Engineering (INCOSE), www.incose.org 10
im Maschinenbau, wie sie beispielsweise auch an der TU Graz gelehrt werden, vermitteln angehenden Ingenieurinnen und Ingenieuren heutzutage die notwendigen Grundkenntnisse in beiden Bereichen. Im Kern des Systems Engineering steht nicht die „ingenieurmäßige Umsetzung der Lösung eines Problems“, sondern die systemische Analyse von Anforderungen, Interessen, Nutzen sowie die Lösungsgestaltung, die eben diesen Prinzipien folgt. Diesem philosophischen Überbau sind viele bekannte, altbewährte aber auch hochmoderne Methoden und Verfahren als „Werkzeuge“ quasi hierarchisch untergeordnet und werden in einem vorher definierten Anwendungsbereich gezielt verwendet. Dazu gehören beispielsweise die Anforderungsanalyse, Entwicklungsmethoden, Arbeitsprozesse, Risikomanagement, Projektmanagement, sowie eine Reihe rein technischer Disziplinen wie Maschinenbau, Bauingenieurwesen, Elektrotechnik – um nur einige zu nennen.
Geschichtliche Entwicklung Der Name „Systems Engineering“ wurde das erste Mal in der 1940er Jahren in den Bell-Labs in den USA für die gesamtheitlichen Gestaltungsmethoden komplexer Systeme (in erster Linie für militärische Systeme) verwendet2. Die stark steigenden Anforderungen an die Technik und die daraus resultierende Komplexität der zugehörigen Lösungen machten es bald unmöglich, die bisher so bewährten linearen, evolutionären Vorgehensmodelle weiter beizubehalten. Neue Verfahren, welche die bald unbeherrschbare Komplexität meistern konnten, wurden und werden aus dieser Notwendigkeit heraus entwickelt. Das Faszinierende an Systems Engineering ist, dass dieses „sich ständige Weiterentwickeln“ ein intrinsisches Grundprinzip ist. Glaubte man in den 1990er Jahren noch fest an FMEA als „DIE Wunderwaffe“ zur analytischen und systematischen Erfassung und 2 Schlager, J. (July 1956). "Systems Engineering: key to modern development". IRE Transactions. EM-3 (3): 64–66. WINGbusiness 1/2020