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Digitalisierungs-Kompetenz durch Lernfabriken
from WINGbusiness Heft 03 2021
by WING
Foto: Adobe Stock Photo
Christian Ramsauer, Maria Hulla
Die Digitalisierung ist in produzierenden KMUs nach wie vor wenig ausgeprägt. Die Entwicklung geeigneter Kompetenzen der MitarbeiterInnen ist ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Lernfabriken können Digitalisierungs-Kompetenz effizient vermitteln. Schulungen von MitarbeiterInnen in Lernfabriken sind der Anstoß für die Entwicklung einer Digitalisierungs-Roadmap im Unternehmen.
Ausgangssituation
Produzierende Unternehmen agieren in einem Umfeld, das von schnellen Veränderungen, Volatilität und Unsicherheit geprägt ist [1]. Folglich müssen diese Unternehmen ihr Produktionskonzept an die sich stark verändernden Bedingungen im Geschäftsumfeld anpassen, und agiler werden [2]. Der Einsatz digitaler Technologien bietet das Potenzial, diesen Herausforderungen zu begegnen [3, 4] und ist eine Voraussetzung für Agilität. Gleichzeitig bleibt der Mensch der zentrale, strukturbestimmende Faktor in der Produktion [5], während die digitale Transformation zu neuen Kompetenzanforderungen an die MitarbeiterInnen führt [6]. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) haben Probleme, die Potenziale der Digitalisierung zu nutzen, da ihnen die erforderlichen Kompetenzen fehlen [7]. KMUs machen 90 % der Unternehmen aus und leisten einen wichtigen Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen sowie zur globalen wirtschaftlichen Entwicklung. Hinsichtlich der Digitalisierung werden in der Literatur Unterschiede zwischen KMUs und Großunternehmen beschrieben. So fand eine Studie von Buer et al. (2020) heraus, dass größere Unternehmen einen signifikant höheren Digitalisierungsgrad am Shopfloor aufweisen als KMUs [8]. Dies wird insbesondere damit begründet, dass KMUs über weniger Ressourcen in Form von Zeit, Geld und Personal verfügen [9]. In KMUs gibt es im Gegensatz zu Großunternehmen meist weder eine/n Digitalisierungsverantwortliche/n noch eine Digitalisierungsabteilung. Darüber hinaus müssen MitarbeiterInnen in produzierenden KMUs eine höhere Aufgabenvielfalt und Flexibilität erfüllen können. [10] Hier kann die Digitalisierung eine Vielzahl von Vorteilen für produzierende Unternehmen bieten, um die Aufgabenvielfalt und -komplexität zu reduzieren und die Produktivität zu erhöhen. Mehrere Studien haben jedoch gezeigt, dass KMUs bei der Umsetzung und Nutzung des Potenzials der Digitalisierung vor besonderen Herausforderungen stehen, insbesondere aufgrund fehlender Qualifikationen in diesem Bereich [8, 11]. Um die Potenziale zukünftiger Arbeitsumgebungen voll ausschöpfen zu können, ist es notwendig, sich auf die Ausbildung der (zukünftigen) Arbeitskräfte zu konzentrieren [12].
Traditionelle Lehrmethoden zeigen nur eine begrenzte Effektivität in Bezug auf die Entwicklung von benötigten Kompetenzen von Studierenden und MitarbeiterInnen für die aktuellen, aber auch zukünftigen Produktionsumgebungen. Als einer der vielversprechendsten Ansätze für Schulungen zur realen Umsetzung solcher neuen Themen bieten Lernfabriken praxisnahe Lernumgebungen, bei welchen die Erinnerungsraten im Vergleich zu Schulungen mit ausschließlich traditionellen Methoden (z.B. Frontalvortrag) nachweislich mehr als sechsmal höher sind [13]. Seit der Entwicklung der ersten Lernfabrik an der TU Darmstadt im Jahr
2009 wurden im deutschsprachigen Umfeld zahlreiche Lernfabriken von Forschungsinstituten und Industrieunternehmen entwickelt und aufgebaut. Lernfabriken sind eine noch sehr junge Initiative und bieten eine wertvolle Möglichkeit für Digitalisierungsschulungen.
Verstärkt werden Lernfabriken auch in meist größeren Unternehmen errichtet. Dennoch stellen eine überwiegende Anzahl an Lernfabriken mit Digitalisierungsfokus überwiegend entweder reine Forschungsobjekte oder Showcases dar, was die aktuelle Nutzung für die Kompetenzentwicklung im Hinblick auf die Digitalisierung in KMUs einschränkt [14].
Lernfabriken bieten effektive Lernumgebungen zum Aufbau von Digitalisierungs-Kompetenz. In Trainings ist es wichtig zu vermitteln, wie und warum Digitalisierung einen Mehrwert bringt.
Die Generierung, Analyse und Interpretation von Daten ist in KMUs die Kompetenzanforderung mit höchster Relevanz.
Forschungsprojekt „Voladigital“
Aufgrund dieser Herausforderungen, arbeitet das Institut für Innovation und Industrie Management der TU Graz seit Mai 2020 am Forschungsprojekt „Voladigital“, das vom Land Steiermark gefördert wird. Ziele des Projektes sind es, (1) aufzuzeigen, welche Herausforderungen KMUs in der heutigen digitalen, volatilen Zeit haben; (2) zu ermitteln, welche Kompetenzen von den Arbeitskräften gefordert werden; (3) zu evaluieren, wie diese Kompetenzen vermittelt werden können sowie (4) Trainings für produzierende KMUs in Lernfabriken zu entwickeln.
Im ersten Schritt des Forschungsprojektes, der Analysephase, werden mittels Literaturrecherche und Befragungen, Herausforderungen und Kompetenzanforderungen in Hinsicht auf Digitalisierung erhoben. Bei der qualitativen Studie mittels Experteninterviews wurden 40 BeraterInnen, Interessensvertretungen, KMUs aber auch größere Unternehmen der Fertigungsindustrie interviewt. Aufbauend darauf wurde ein Fragebogen erstellt, wobei Kompetenzanforderungen und Anforderungen an Trainings für KMUs ermittelt wurden. Diese Umfrage wurde mit Hilfe von deskriptiven, statistischen Methoden ausgewertet. In der Lösungsentwicklungsphase wird evaluiert, wie diese Kompetenzen vermittelt werden können. Auf Basis der vorhergehenden Schritte werden theoretische und praktische Trainingsmodule für KMUs zur Förderung der digitalen Transformation entwickelt.
Herausforderungen in KMUs
Um die aktuellen Herausforderungen von KMUs der produzierenden In-
dustrie (in Bezug auf die Digitalisierung) zu erforschen, wurden die befragten Personen gebeten, über die aktuell größten Herausforderungen zu berichten, denen sie gegenüberstehen. Zu den fünf größten allgemeinen Herausforderungen gehören:
Covid-19 und die damit verbundenen Umsatzverluste, die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit am Markt durch Steigerung der Produktivität und des
Kundennutzens, ineffiziente Produktionsprozesse, hohe Volatilität und sich ändernde Kundenbedürfnisse, die hohe Anforderungen an Flexibilität und Agilität stellen, und die Realisierung einer energieeffizienten und nachhaltigen
Produktion. Die 40 InterviewpartnerInnen wurden des Weiteren nach den größten Herausforderungen hinsichtlich der Digitalisierung in ihren Unternehmen befragt. Diese Herausforderungen sind in Tabelle 1 ersichtlich.
Tabelle 1: Herausforderungen produzierender KMUs hinsichtlich Digitalisierung
Herausforderung Erläuterung der Herausforderung
Fehlende Strategie / Roadmap
Erkennen der Potenziale der Digitalisierung
Fehlende digitale Fähigkeiten und Kompetenzen
Monetäre und personelle Ressourcen
Wissen über den Stand der Technik bei digitalen Technologien
Einstellung und Akeptanz der MitarbeiterInnen Es gibt meist weder eine Digitalisierungsstrategie im Unternehmen noch eine Roadmap zur Implementierung digitaler Technologien.
Der Nutzen der Digitalisierung im Unternehmen und die Digitalisierungspotenziale wie höhere Produktivität in der Wertschöpfungskette werden nicht erkannt.
Sowohl dem Management als auch den MitarbeiterInnen von KMUs fehlt es oft an Fähigkeiten und Kompetenzen in Bezug auf die Digitalisierung. Zudem gibt es selten einen Digitalisierungsexperten, ein Digitalisierungs-Team oder eine Digitalisierungsabteilung.
KMU arbeiten oft am Limit der monetären, zeitlichen und personellen Möglichkeiten und es bleiben selten Ressourcen für die Umsetzung der Digitalisierung übrig.
Die Befragten gaben an, dass sie oft nicht wissen, was es auf dem Markt gibt und was in ihrer Branche der Stand der Technik ist.
Die positive Einstellung und Akzeptanz der MitarbeiterInnen gegenüber der Einführung und Nutzung digitaler Technologien ist essentiell. MitarbeiterInnen müssen erkennen inwieweit digitale Technologien ihre Arbeit unterstützen und erleichtern damit die Einführung erfolgreich ist.
Kompetenzanforderungen an MitarbeiterInnen von KMUs
Die Kompetenzanforderungen an die MitarbeiterInnnen der KMUs wurde zunächst in der Literatur analysiert und anschließend mittels semi-strukturierten Interviews abgefragt. Die Ergebnisse der Interviews sind in Tabelle 2 ersichtlich.
Zudem wurden von den befragten Personen Kenntnisse in Sensorik, Arbeiten mit digitalen Dashboards, vernetztes Denken und Agilität als relevante Kompetenzen genannt. Schlanke und effiziente Prozesse
Kompetenz / Qualifikation Erklärung
Datenanalyse und interpretation Die Analyse von Daten über den Wertschöpfungsprozess und deren Interpretation muss durchgeführt werden können, um den Prozess hinsichtlich Produktivität, Qualität etc. verbessern zu können.
Datensicherheit
Erstellung und Durchführung einer Digitalisierungs-Roadmap
Interdisziplinäre Kommunikation Die Fähigkeit zur Reflexion, Einhaltung und Umsetzung von Datensicherheit. Dazu gehört auch Geräte und digitale Inhalte schützen und Risiken und Bedrohungen in digitalen Umgebungen verstehen.
In diesem Zusammenhang die Bewertung und Auswahl digitaler Technologien und deren Implementierung unter Einbeziehung der Bereiche Personal, Technik und Organisation.
Kommunikation ist in diesem Zusammenhang in zwei Bereichen besonders wichtig: 1) Kommunikation mit Hardund Softwareanbietern und 2) interdisziplinäre Kommunikation innerhalb des Unternehmens.
Problemlösung Die Fähigkeit, komplexe Schwierigkeiten, Hindernisse und Probleme zunächst zu erfassen und zu analysieren und anschließend zu bewältigen oder zu beseitigen. Prozess-Know-how Um den Wertschöpfungsprozess (mit Digitalisierung) verbessern zu können, ist es von hoher Bedeutung, den Prozess und die Zusammenhänge innerhalb des Prozesses zu verstehen.
sind eine Voraussetzung für die Einführung digitaler Technologien. Die Kenntnis von Lean Management wird daher als Erfordernis angesehen.
Die Ergebnisse der Interviews wurden für die Fragebogenerstellung herangezogen und 108 gültige Antwortsets wurden erhalten. Dabei bewerteten GeschäftsführerInnen und ProduktionsleiterInnen das derzeitige Vorhandensein der Kompetenzen im Unternehmen 1 (nicht vorhanden) bis 5 (sehr hoch) und die Wichtigkeit der Kompetenzen in den nächsten 5 Jahren mit 1 (wenig wichtig) und 5 (sehr wichtig) (siehe Abbildung 1).
Anforderungen an Trainings
Im Folgenden werden die Anforderungen von KMUs an Schulungen (in Lernfabriken) auf der Grundlage der Aussagen der befragten Personen diskutiert.
Praktisch / erfahrungsorientiert:
Die Befragten sprachen sich für eine praktische Schulung aus, bei der die TeilnehmerInnen Prozessverbesserungen und die Auswirkungen der Implementierung verschiedener Technologien erleben können. Kontextspezifisch: Für KMUs ist es - vor allem wegen der begrenzten Ressourcen - wichtig, dass die
Ausbildung auf ihren "Business
Case" abgestimmt ist. Dementsprechend ist es entscheidend, dass die Anforderungen und Herausforderungen von KMUs vor der
Schulung berücksichtigt werden. (Digitaler) Reifegrad: Die Trainings-Module müssen an den aktuellen digitalen Reifegrad des
Unternehmens angepasst werden können (z. B. Basis und Fortgeschrittene). State-of-the-Art / Best Practice:
Erfolgreiche Anwendungsfälle zur
Bewältigung ähnlicher Herausforderungen (anderer Branchen) von
State-of-the-Art-Technologien sollen gezeigt und erlebt werden. Abteilungs- und hierarchieübergreifend: Damit alle im Unternehmen das gleiche Verständnis haben, empfiehlt es sich, dass mehrere Abteilungen und Hierarchieebenen an den Trainings teilnehmen.
Individualisierte Digitalisierungstrainings sind für KMUs besonders wichtig.
Das Konzept der Lernfabrik
Lernfabriken sind realistische Produktionsumgebungen für die berufliche Weiterbildung, Lehre und Forschung. In Lernfabriken stehen nicht nur einzelne Arbeitsplätze oder Maschinen, sondern wandelbare mehrgliedrige Wertschöpfungsketten zur Verfügung, die einen direkten Zugang zu verschiedenen Phasen des Produktentstehungsprozesses ermöglichen. Die TrainingsteilnemerInnen können in diesem Lernumfeld Ansätze entdecken und testen oder Experimente zu technologischen und organisatorischen Fragen der Industrie durchführen. Der Lehransatz basiert auf einem didaktischen Konzept des experimentellen und problembasierten Lernens [13].
Bei Lernfabrikstrainings werden zwei Lernprozessansätze unterschieden: (1) Informationsassimilation: Hier werden Inhalte (z.B. Methoden, Erfahrungen anderer) zunächst theoretisch erklärt, welche in der Lernfabrik dann anschließend angewendet und erprobt werden. (2) Erfahrungsorientiertes Lernen: Die theoretischen Grundlagen werden getestet, beobachtet und verstanden und sollen fortan in neuen Situationen angewendet werden können (Abbildung 2).
Das Konzept der Lernfabrik kann auf viele verschiedene Arten umgesetzt werden. Um eine effektive Kompetenzentwicklung zu erreichen, ist der Kern des Lernfabrikkonzepts ein hohes Maß an Kontextualisierung (nahe an realen Fabrikumgebungen) und eine praktische Erfahrung der TrainingsteilnehmerInnen. Im Folgenden werden verschiedene Lernfabriken zur Kompetenzentwicklung im Bereich der Digitalisierung vorgestellt.
Lernfabriken zur Kompetenzentwicklung im Bereich Digitalisierung
Es gibt je nach Anforderungen und Fokus unterschiedliche Konzepte für Lernfabriken. Alleine innerhalb des deutschen Sprachraums können zahlreiche Lernfabriken mit unterschiedlichen Schwerpunkten identifiziert werden. Im Folgenden werden verschiedene Lernfabriken im Rahmen des Produktentstehungsprozesses an der TU Graz bzw. mit Kooperationspartnern (McKinsey, Knapp AG, TU Darmstadt) vorgestellt: Das Schumpeter Labor für Innovation (Fokus Produktidee, Produktentwicklung), die LEAD Factory (Fokus Montage), die smartfactory@tugraz (Fokus Losgröße 1-Fertigung ), die Model factory in a box (Fokus Prozessindustrie), die Service Factory (Fokus digitale Services) und die Virtual Factory (Fokus virtuelles Lernen).
Schumpeter Labor für Innovation
Das Schumpeter Labor für Innovation des Instituts für Innovation und Industrie Management der TU Graz wurde auf Basis eines umfangreichen Benchmarkings von führenden (akademischen) Makerspaces in den USA, Europa und Asien geplant und im April 2019 eröffnet. Das Labor bietet Zugang zu modernster Infrastruktur - digitale Produktionsmaschinen sowie umfangreiche Multimedia- und Kommunikationssysteme – und dient damit als Lernfabrik und Innovationslabor. Studierende und MitarbeiterInnen aus den MitgliedsUnternehmen können aus einem Angebot an Innovationsprojekten mit verschiedenen Laufzeiten wählen und ihre Fähigkeiten unter anderem in Bereichen wie Produktentwicklung, Design Thinking und Entrepreneurship stärken. Dabei wird ein projektbasierter Lehransatz gewählt, in dem die Teilnehmenden Projekte und Aufgaben selbstständig durchführen und erarbeiten. Neben Workshops und Coachings, in welchen die theoretischen Grundlagen vermittelt werden, haben Sie Zugriff auf zahlreiche digitale Produktionsmaschinen, um Ideen rasch in die Realität umzusetzen und Prototypenbau zu ermöglichen. Der Maschinenpark wird dabei laufend erweitert bzw. aktualisiert um einen niederschwelligen Zugang zu neuesten Fertigungstechnologien zu schaffen. Künftig wird mit Hilfe von Augmented und Virtual Reality Anwendungen auch virtuelles Prototyping ermöglicht.
LEAD Factory
Die LEAD Factory wird am Institut für Innovation und Industrie Management der TU Graz schon seit 2014 betrieben und ist eine der ersten Lernfabriken Österreichs. Durch die Montage des Scooters in einem nicht optimierten Ausgangszustand der Lernfabrik analysieren die TeilnehmerInnen den Montageprozess und identifizieren erste Verbesserungsmöglichkeiten. Nach kurzen, begleitenden Theorieeinheiten, in denen die Grundlagen von Lean Production, Energie Effizienz, Agilität und Digitalisierung (LEAD) vermittelt werden, kehren die Teilnehmenden in die LEAD Factory zurück und wenden das Gelernte direkt an.
Bei Digitalisierungstrainings steht dabei die Umsetzung eines Digitalisierungsprojektes im Mittelpunkt. Dabei wird auf Basis einer begleitenden Case Study die LEAD Factory analysiert, Digitalisierungspotentiale abgeleitet und evaluiert und anschließend digitale Technologien implementiert. Diese Technologien sind auf dem neuesten Stand der Technik und die Verbesserung der Produktivität ist durch deren Einsatz unmittelbar erlebbar. Die Trainingsmodule wie Sensorik, Data Analytics, Prozessanalyse, Arbeiten mit Digitalen Dashboards etc. sind dabei individuell konfigurierbar und an das Unternehmen adaptierbar. Somit ist es mit den Trainings in der LEAD Factory
möglich auf alle Anforderungen seitens der KMUs einzugehen. Die bis dato über 650 Trainingsteilnehmer umfassten Studierende und MitarbeiterInnen unterschiedlicher Industrien wie beispielsweise Automobil, Herstellung elektrischer Anlagen und Anlagenbau.
smartfactory@tugraz
Die smartfactory des Instituts für Fertigungstechnik der TU Graz ist eine Modellfabrik, in welcher modernste Anlagen der mechanischen Fertigung und Montage über fortschrittliche Produkte der Informationstechnologie zu einem Cyberphysikalischen Produktionssystem verbunden sind. Die, in 2021, eröffnete Lernfabrik dient der Forschung, der universitären Lehre und dem Wissenstransfer im Bereich der digitalisierten Fertigung.
Die Zielgruppe umfasst insbesondere Betriebe aus Gewerbe und Industrie, wobei den Bedürfnissen der KMU hohe Bedeutung zukommt. Zu den infrastrukturellen Highlights gehören zum einen mobile, autarke Arbeitsstationen, mit welche gezeigt wird, wie agile Produktionsprozesse physisch umgesetzt werden können. Mit Hilfe dieser Einheiten können flexibel neue Produktionslinien aufgebaut werden, um für sich schnell ändernde Märkte in kurzen Reaktionszeiten neue Produkte zu fertigen. Zur Aus- und Weiterbildung kann anhand dieser anschaulichen Beispiele in Form von Show Cases die digitale Transformation in der Industrie wesentlich deutlich und einprägsam vermittelt werden.
Model Factory in a Box
Die Model Factory in a Box (MFIB), entwickelt von McKinsey & Company, ist eine miniaturisierte Limonadenfabrik, die in acht Flugkisten zerlegt, zum Ziel geflogen und schnell wieder zusammengebaut werden kann. Die, in einem mittelgroßen Raum eingerichtete, Produktionslinie umfasste eine Reihe von Schritten, von der Vorbereitung des Rohmaterials bis zur Qualitätsprüfung. Sie bietet eine Simulations- und Lernumgebung, in der Fertigungs- und Managementverbesserungsprozesse sowohl für FabrikarbeiterInnen als auch für das Management vermittelt werden. Trainings umfassen eine Vielzahl digitaler Lernmodule, die effizient Wissen zu Themen wie Energiedurchsatz und vorausschauende Wartung, digitales Leistungsmanagement, Robotik, fortschrittliche Analytik und additive Fertigung vermitteln.
Service Factory
In den vergangenen Jahren haben vermehrt auch größere Industrieunternehmen wie beispielsweise Airbus, Schäffler oder BMW, eigene Lernfabriken für Schulungen von MitarbeiterInnen errichtet. Die Service Factory der Knapp AG wurde in einer intensiven Zusammenarbeit mit dem Institut für Innovation und Industrie Management entwickelt. Durch die fortschreitende Digitalisierung setzt die Knapp AG vermehrt auf digitale Services im Intralogistikumfeld. Diese Services werden für (potentielle) Kunden in Lernfabrikstrainings erlebbar gemacht. Neben Kunden werden auch MitarbeiterInnen der Knapp AG hinsichtlich Digitalisierung und digitalen Services in der neuen Infrastruktur in Hart bei Graz trainiert.
Virtuelle Lernfabriken
Insbesondere aufgrund der Covid-19 Pandemie und der damit einhergehenden Notwendigkeit des Distance Learnings, wurden in den letzten Monaten virtuelle Lernfabriken, wie jene der TU Darmstadt entwickelt, die meist auf Basis der Virtual Reality Technologie basieren. Diese virtuelle Lernfabrik dient als Erweiterung einer physischen Lernbfabrik mit dem Fokus auf Montage.
Durch die Erweiterung sind TeilnehmerInnen in der Lage auch einen Wertstrom der Prozessindustrie zu analysieren und zu verbessern. Die Lernumgebung und -inhalte können individuell ressourceneffizient angepasst werden und stellen somit eine große Chance in Bezug auf Trainings für KMUs dar.
Ausblick
Das noch sehr junge Konzept der Lernfabriken setzt sich in der akademischen Ausbildung aber auch in größeren Unternehmen immer mehr durch. Die jüngste Konferenz zum Thema Lernfabrik mit über 140 TeilnehmerInnen aus 27 Ländern hat dies eindrucksvoll gezeigt. Risikoloses Experimentieren und das schnelle Lernen durch gemachte (gewünschte) Fehler ermöglicht die rasche Entwicklung von Kompetenzen in einer realen Produktionsumgebung. In einer Zeit des ständigen Wandels und der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften sind Lernfabriken eine exzellente Möglichkeit MitarbeiterInnen auf die Aufgaben im Betrieb vorzubereiten und auszubilden.
Neben dem Schwerpunkt Lean Production können Lernfabriken einen wesentlichen Beitrag zur Kompetenzentwicklung für Digitalisierung insbesondere in KMUs leisten. Neue, digitale Technologien, können getestet, der (versprochene) Produktivitätsvorteil kann gemessen und die dringend notwendige Akzeptanz der MitarbeiterInnen kann überprüft werden. Damit entsteht Vertrauen und Sicherheit Digitalisierung im großen Stil im Unternehmen einzuführen. Eine Digitalisierungs-Schulung in einer Lernfabrik stellt dabei den Anstoß für die Entwicklung einer Digitalisierungs-Roadmap im Unternehmen dar.
Literatur:
[1] Schuh G, Patzwald M, Cardoso MCI. Resilient Technology Strategy in Volatile Environments: Derivation of Requirements to Enable Long-Term Strategic Positioning in Times of Volatility, Uncertainty, Complexity and Ambiguity. 2019 Portland International Conference on Management of Engineering and Technology. PICMET, 2019, p. 1–15. [2] Schurig M, Rabitsch C, Ramsauer C. Agile Produktion - Ein Produktionskonzept für volatile Zeiten. ZWF 2014;109:956–9. [3] Ramsauer C, Kayser D, Schmitz C. Erfolgsfaktor Agilität, 2017:201–38. [4] Schumacher S, Bildstein A, Bauernhansl T. The Impact of the Digital Transformation on Lean Production Systems. Procedia CIRP 2020;93:783–8. [5] Lanza G, Nyhuis P, Fisel J, Jacob A, Nielsen, L, Schmidt M, Stricker N. Wandlungsfähige, menschzentrierte
Strukturen in Fabriken und Netzwerken der Industrie 4.0 München: Herbert Utz Verlage 2018. [6] Hulla M, Ramsauer C. Competencies of Production in SMEs in Assembly Industries in a Digital, Volatile Business Environment. Tehnički glasnik, 14(3), 2020, 388-395. [7] Hölzl W, Bärenthaler-Sieber S, Bock-Schappelwein S., Friesenbichler S., Kügler A., Reinstaller A., Reschenhofer P., Dachs B, Risak M. Digitalisation in Austria: State of Play and Reform Needs. WIFO, European Commission, 2019. [8] Buer S-V, Strandhagen JW, Semini M, Strandhagen JO. The digitalization of manufacturing: investigating the impact of production environment and company size. Journal of Manufacturing Technology Management, 2020. [9] Urbach N, Roeglinger M. Introduction to Digitalization Cases: How Organizations Rethink Their Business for the Digital Age, Springer, 2019. [10] Lindner D. KMU im digitalen Wandel: Ergebnisse empirischer Studien zu Arbeit, Führung und Organisation. Gabler Verlag. 2019. [11] Sonntag A, Gangl K. Digital competencies in Austrian SMEs, IHS, Vienna 2020. [12] Armstrong M., Taylor S. Armstrong’s Handbook of Human Resource Management Practice, Kogan Page Publishers, 2020. [13] Abele E, Chryssolouris G, Sihn W, Metternich J, ElMaraghy H, Seliger G, et al. Learning factories for future oriented research and education in manufacturing. CIRP Annals 2017;66:803–26. [14] Block C, Kreimeier D, Kuhlenkötter B. Holistic approach for teaching IT skills in a production environment. Procedia Manufacturing 2018;23:57–62.
Autoren:
Univ.-Prof. Dr. Christian Ramsauer
Vorstand des Instituts für Innovation und Industrie Management der TU Graz Univ.-Prof. Dr. Christian Ramsauer leitet seit 2011 das Institut für Innovation und Industrie Management der TU Graz. Er startete seine Karriere 1999 als Berater bei McKinsey&Company. Zwischen 2005 und 2011 war er als geschäftsführender Gesellschafter bei einem Industrieunternehmen in Salzburg und als Geschäftsführer bei einem Privat Equity Unternehmen in München tätig. Christian Ramsauer studierte Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau und promovierte an der TU Graz. Er forschte als Post-Doc zwei Jahre an der Harvard Business School in Boston und habilitierte danach im Fach Produktionsmanagement. Er ist als Aufsichtsrat in mehreren StartUps und etablierten Industrieunternehmen tätig. Seit 2021 ist Christian Ramsauer Präsident der International Association of Learning Factories.
Dipl.-Ing. Maria Hulla
Universitätsassistentin am Institut für Innovation und Industrie Management der TU Graz Dipl.-Ing. Maria Hulla war nach Ihrem Studium an der TU Graz bei der voestalpine Böhler Aerospace tätig und ist seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Innovation und Industrie Management. Sie war Projektleiterin der 10th und der 11th Conference on Learning Factories und leitet derzeit unter anderem das geförderte Forschungsprojekt „Voladigital“. Seit 2021 ist sie General Secretary der International Association of Learning Factories.