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KNAPP Service Factory

Foto: © KNAPP/Niederwieser

Elma Sadaj, Nataly Wogatai, Hugo Karre

Der sich dynamisch ändernde Markt stellt Logistikanlagenbetreiber vor neue Herausforderungen. Die Vollautomatisierung in der Logistik, die zunehmende Komplexität durch den Online-Handel und immer schneller werdende Entwicklungen zu einer papierlosen Lagerhaltung sind nur einige der Faktoren, mit denen die Logistikbranche konfrontiert ist. Um diese Herausforderungen zu adressieren, hat die Firma KNAPP die KNAPP Service Factory für ihre Kunden entwickelt. Das Ziel ist die praxisnahe Weiterbildung von Kunden, um deren Herausforderungen gemeinsam schneller und wirtschaftlicher zu meistern.

Das Unternehmen KNAPP wurde von Ing. Günter Knapp 1952 in Graz gegründet und hat sich zu einem international führenden Intralogistikkonzern mit 53 Standorten und über 5.300 Mitarbeitern entwickelt. Der Konzern hat sich auf innovative und automatisierte Lösungen für Logistik und Produktion spezialisiert. KNAPP beliefert Kunden aus den Geschäftsbereichen Healthcare, Fashion, Industry, Food, Retail und Wholesale. Kern der Unternehmensstrategie ist die kontinuierliche Forschung und Entwicklung innovativer Lösungen, um einer der führenden Anbieter im Bereich Intralogistik zu bleiben und diese Position weiter zu stärken. Als international agierendes Unternehmen mit steirischen Wurzeln konnte auch in den vergangenen Jahren ein überdurchschnittliches Wachstum verbucht werden.

Neben der Entwicklung und Produktion von Logistikanlagen sowie der Entwicklung der dazugehörigen Softwarelösungen, versteht sich das Unternehmen KNAPP als Anbieter von Services. Um die Anlagen bestmöglich zu betreiben und die Prozesse im Hintergrund optimal zu unterstützen, bieten Intralogistikunternehmen verschiedene Serviceprodukte an. Insbesondere durch den hohen Automatisierungsgrad, der durch vermehrte Schnittstellen eine neue Komplexität mit sich bringt, werden auch die Serviceprodukte immer unübersichtlicher und komplexer. Das fehlende Verständnis der Kunden für den Wert dieser Services, in Kombination mit den verbundenen Kosten, führt dazu, dass die Kunden diesen Leistungen oft ablehnend gegenüberstehen. Außerdem zeigt sich im täglichen Betrieb oftmals, dass Kunden ihre Services falsch bzw. nicht optimal nutzen. Daher ist es wichtig, den Kunden die richtigen Serviceprodukte und den richtigen Umgang mit diesen Services in verständlicher Form näher zu bringen.

Die Qualifizierung von Kunden ist ein wichtiger Faktor, um sich von Marktbegleitern erfolgreich abzuheben. Das Ziel von KNAPP ist es, den Kunden eine Schulung bzw. ein Training zum ganzheitlichen Verständnis der Prozesse in einer Logistikanlage und zur Bewusstseinsbildung hinsichtlich unterstützender Serviceprodukte anzubieten. Ein solches Schulungskonzept beinhaltet neben Lehrinhalten auch die dazugehörige Infrastruktur. Gemäß der Firmenvision „making complexity simple“ hat KNAPP in Kooperation mit dem Institut für Innovation und Industrie Management das Konzept für eine physische Lernumgebung zur Darstellung von Services entwickelt.

Praxisorientierte Trainings und Schulungen von Kunden sind der Schlüssel zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen in Logistikbetrieben. Die KNAPP Service Factory deckt diesen Bereich ab.

Abbildung 1: KNAPP Service Factory

Was ist die KNAPP Service Factory?

Die KNAPP Service Factory ist eine realitätsgetreue, abstrahierte Lernumgebung, um logistische Prozesse und komplexe Serviceprodukte verständlich darstellen zu können. Das bereits in der Industrie erprobte Konzept „Lernfabrik“ wurde dabei als Vorbild herangezogen. Eine Lernfabrik umfasst folgende Aspekte:1

1. Authentische Prozesse mit mehreren Arbeitsstationen und organisatorischen sowie technischen Aspekten 2. Eine realitätsnahe Abstraktion realer Wertschöpfungsketten mit einer veränderbaren Vor-Ort-Umgebung 3. Physisch verarbeitete(s) Produkt(e) 4. Ein didaktisches Konzept, um das Lernen durch eigenes Handeln der Teilnehmer in der Lernumgebung zu ermöglichen

Das Konzept einer Lernfabrik basiert auf dem Prinzip des erfahrungsbasierten Lernens. In Lernfabriken wird dies durch mindestens zwei verschiedene Lernfabrik-Setups für die angestrebten Lernziele ermöglicht. Anfangs erleben die Teilnehmer einen suboptimalen IST-Zustand mit bewusst eingebauten Optimierungspotentialen, die es zu identifizieren, zu reflektieren und zu bearbeiten gilt. Die TeilnehmerInnen erhalten anschließend die Möglichkeit zur Verbesserung des IST-Zustandes hin zu einem SOLL-Zustand. Der Lerneffekt wird durch den erlebten Unterschied zwischen IST- und erreichten SOLLZustand erzielt.2

Die KNAPP Service Factory wurde hinsichtlich der eingesetzten Technologien und Softwarelösungen bewusst einfach gestaltet, um nicht von dem eigentlichen Lerninhalt abzulenken. Wie zuvor beschrieben, sollen die Schulungen das Verständnis für die Verknüpfung der logistischen Prozesse mit den Services einerseits und für die Unterstützung der Prozesse durch Services andererseits, erzeugen. Dementsprechend ist der Fokus darauf gerichtet, dass diese Prozesse realitätsnah wiedergegeben werden. Wie in Abbildung 1 dargestellt, beinhaltet die KNAPP Service Factory die klassischen Lagerprozesse: Wareneingang, Einlagerung, Picking, Qualitätskontrolle, Verpackung und Versand. Weiters wird die Überwachung sämtlicher Prozesse und Technologien am Lagerleitstand abgebildet.

Das didaktische Konzept basiert auf dem selbständigen, aktiven Betreiben der Vorgänge in der abstrahierten Lagerumgebung.3 Dabei werden die TeilnehmerInnen von einem Trainer durch die Schulung geführt und bekommen zum Start jeder Trainingsrunde eine Aufgabenstellung, die sie mithilfe der KNAPP Service Factory erfüllen müssen. Im Zuge jeder Trainingsrunde werden typische Herausforderungen des täglichen Betriebs simuliert und situativ durch den Trainer ausgelöst. Die verschiedenen Trainingsrunden spiegeln dabei das Lernfabrikprinzip eines suboptimalen IST- und des optimalen SOLL-Zustandes wider. Nach dem aktiven Part in den Trainingsrunden erfolgt eine Reflektion. Dabei werden die unterschiedlichen Durchgänge miteinander verglichen und durch „Was-wäre-wenn“-Situationen erweitert. Um den Einfluss der gezielt eingebauten Fehler und Störungen sichtbar zu machen, werden die Leistungen der TeilnehmerInnen bewertet und in eine Kostenberechnung überführt. So wird der positive Einfluss der Serviceprodukte und der dafür notwendigen Prozesse, durch den direkten Vergleich der einzelnen Trainingsrunden nachvollziehbar.

Gerade im Servicebereich sind die meisten Produkte prozessgesteuert, nicht greifbar und laufen im Idealfall unsichtbar im Hintergrund ab. Das Lernfabrikprinzip erlaubt es, besonders durch den aktiven Betrieb einer Logistikanlage, die Service-Leistungen erlebbar zu machen und somit die Vorteile der KNAPP Serviceprodukte transparent aufzuzeigen.

Wie wurde die KNAPP Service Factory entwickelt?

Um eine funktionierende Lernfabrik zu entwickeln, bedarf es der Expertise aus dem fachlichen Bereich der Trainingsinhalte, als auch aus dem Bereich der Lernfabriken und der dabei angewandten Methodik. Mit dem Institut für Innovation und Industrie Management als Kooperationspartner war es möglich, die fachlichen Kompetenzen der Firma KNAPP optimal zu ergänzen und das Konzept erfolgreich auszuarbeiten.

Herkömmliche Lernzentren arbeiten mit den klassischen Lernmethoden des Vorführens und Nachahmens. Die KNAPP Service Factory hingegen fokussiert sich sehr stark auf die eigenständige Problemlösung und den richtigen Betrieb, in einer der Realität nachempfundenen Lernumgebung. Die Konzepterstellung bestand aus den Phasen (1) Identifikation der Lerninhalte, (2) Ideengenerierung und Konzeptentwicklung, (3) prototypische Umsetzung, (4) Inhalts- und Szenario-Entwicklung und (5) Implementierung. Es zeigte sich, dass insbesondere die prototypische Umsetzung in der LEAD Factory der Technischen Universität Graz4 und die darauffolgende Phase der Inhalts- und Lernszenario-Entwicklung, entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung des Projektes waren.

Durch die prototypische Umsetzung in der LEAD Factory wurden die entwickelten Konzepte bereits sehr früh erprobt. Der prototypische Aufbau an der TU Graz enthielt alle relevanten Komponenten eines realen Lagerprozesses und demonstrierte darüber hinaus die relevanten Funktionen eines Lagers. Dazu gehörten u.a. die eingesetzte Software für die einzelnen Arbeitsplätze, abstrahierte Technologien aus realen Lagersystemen (z.B. KiSoft Pick-to-Light), sowie eine übergeordnete Steuerung des gesamten Prozesses.5

In zwei Trainings an der TU Graz mit relevanten Stakeholdern aus verschiedenen Bereichen des Unternehmens, konnte erstes Feedback zum physischen Testaufbau eingeholt werden. Der in Abbildung 3 dargestellte prototypische Aufbau des entwickelten Lernfabrikkonzepts, konnte für die nächste Projektphase wichtige Einblicke liefern.

Für wen wurde die KNAPP Service Factory entwickelt?

Ursprünglich wurde die Umgebung speziell für (Neu-)Kunden entwickelt, weil dort der größte Bedarf gesehen wurde. Im Zuge der Umsetzung kristallisierten sich auch weitere Zielgruppen und Einsatzmöglichkeiten heraus. Die Zielgruppen der KNAPP Service Factory sind daher sehr breit gefächert – vom Kunden bis zum eigenen MitarbeiterInnen werden bereits erste TeilnehmerInnen geschult. Dies inkludiert Kunden mit kleinen, großen, einfachen und komplexen Logistikanlagen. Die entwickelte Lernumgebung und das dazugehörige Lernkonzept erlaubt es, auf Kunden individuell einzugehen und eigens abgestimmte Schulungen anzubieten. Daher ist auch die Vorbereitung ein wichtiger Bestandteil, um während des Trainings die spezifischen Geschäftsprozesse des Kunden (Was braucht er?, Wie arbeitet er?, etc.) berücksichtigen zu können. Ein Vorteil ist auch das Kennenlernen der Arbeitsweise und Herausforderungen von Endnutzern. Dies ermöglicht KNAPP, eine verbesserte Konfiguration der individuellen Servicemodule für die Kunden vorzunehmen.

Abbildung 2: Design Roadmap der KNAPP Service Factory

Die Sensibilisierung für den Umgang mit KNAPP-Serviceprodukten bietet die Chance, die Kundenzufriedenheit zu erhöhen und die Kundenbeziehungen weiter auszubauen.

Ein weiterer Nutzungsbereich ist die Entwicklung und Verbesserung von Services und Software. Es wird möglich, diese Elemente in der Lernumgebung zu testen und durch generiertes Wissen die Produkte weiterzuentwickeln. Damit trägt die KNAPP Service Factory auch zur Unternehmensstrategie bei. Bei den Trainings mit Kunden erhält das Unternehmen unmittelbar Feedback über die gelieferten Produkte und deren Verwendung in der Praxis. Fragestellungen wie „Welche Fehler machen Kunden?“ oder „Wo wird welche Unterstützung gebraucht?“, können so aus der direkten Interaktion mit dem Endnutzer beantwortet werden. Weiters ergeben sich dadurch auch neue Services und Produkte.

Unternehmensintern bietet die KNAPP Service Factory eine wertvolle Lernumgebung um neues Personal hinsichtlich der Logistikprozesse, Technologien, Serviceprodukte und Kundenanforderungen zu schulen.

Ausblick

KNAPP geht mit dem Ansatz der KNAPP Service Factory einen neuen Weg und bietet Kunden sehr früh die Möglichkeit sich mit dem ganzheitlichen Betrieb der Anlage zu beschäftigen. Vor allem der Fokus auf Serviceprodukte und Softwarelösungen, ermöglicht eine bis dato nicht vorhandene, transparente Darstellung der Total Cost of Ownership (TCO) einer Logistikanlage, in Verbindung mit dem Nutzen von Serviceprodukten. Weiters können die notwendigen Qualifikationen zum Betrieb eines Lagersystems realitätsnah abgebildet werden. Um die Herausforderungen der Kunden immer sehr aktuell abzubilden, liegt daher der Schwerpunkt auf der kontinuierlichen Weiterentwicklung der angebotenen Schulungskonzepte.

Die nächsten Erweiterungen in technischer Hinsicht werden sich auf die Integration von von Modulen der Softwarelösung KiSoft Analytics und die Erweiterung von Services zur Überwachung der gesamten Wertschöpfungskette fokussieren. Ziel ist es, die Auswirkungen auf den Produktions- und Lagerprozess sowie

auf die unterschiedlichen Lieferketten in das Konzept zu inkludieren.

Auch Gamification wird vermehrt in den Vordergrund rücken. Ein Ansatz wäre, die einzelnen Artikel einer abzuarbeitenden Bestellung so zusammenzusetzen, dass damit ein Lego(R)-Technik Automodell vollständig assembliert wird. Die Teilnehmer können somit zukünftig die Auswirkungen von fehlerhaften bzw. fehlerfreien Logistikprozessen hautnah erleben. Literatur: Abele, E. (2018): Learning Factory. In S. Chatti, T. Tolio (Eds.): CIRP Encyclopedia of Production Engineering. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg. Abele, E., Metternich, J. & Tisch, M. (2019). Learning Factories. Springer-Verlag. Tisch, M. (2018). Modellbasier te Methodik zur kompetenzorientierten Gestaltung von Lernfabriken für die schlanke Produktion. Dissertation, Darmstadt: Aachen: Shaker Verlag GmbH. Sadaj, E. A., Hulla, M. U. & Ramsauer, C. (2020). Design Approach for a Learning Factory to train Services. Procedia Manufacturing, 45, 60-65. https://doi. org/10.1016/j.promfg.2020.04.064 AutorInnen: Dipl.-Ing. Elma Sadaj leitet seit 2021 das Programm Micro Fulfillment Center in der KNAPP Systemintegrations GmbH. Sie startet ihre Karriere 2019 bei der Firma KNAPP als Service Innovations Managerin, wo sie unter anderem auch für die KNAPP Service Factory zuständig war. Elma Sadaj

studierte Production Science and Management an der Technischen Universität Graz. Nataly Wogatai, startete 2001 ihre Karriere bei KNAPP Systemintegration im Procurement. Zwischen 2005 und 2008 war sie als Qualitätsmanagerin für die Einführung der ISO Zertifizierung bei der KNAPP Systemintegration GmbH verantwortlich. Von 2008 bis 2010 hatte sie als DiAbbildung 4: Die KNAPP Service Factory ist für Schulungs- rector Procurement & Operations zwecke in Hart bei Graz im Einsatz die Gesamtverantwortung für die nationale und internationale Beschaffungsstrategie in der KNAPP Systemintegration GmbH. Seit 2013 ist sie als Member of the Service Board in der KNAPP AG tätig und fokussiert sich auf Service Design & Innovation. Dipl.-Ing. Dr. Hugo Karre studierte Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau mit den Schwerpunkt Produktionstechnik und promovierte im Jahr 2021 an der TU Graz. In seiner Forschungsarbeit beschäftigt sich Hugo Karre mit Agilität in der Produktion und Capability Building. Seit 2018 leitet Hugo Karre am Institut für Innovation und Industrie Management die Abteilung Industrie Management.

Dipl-Ing. Elma Sadaj

Leiterin des Programms Micro Fulfillment Center, KNAPP Systemintegrations GmbH

Dipl.-Ing. Dr. Hugo Karre

Leiter der Abteilung Industrie Management am Institut für Innovation und Industrie Management, TU Graz Nataly Wogatai

Member of the Service Board, KNAPP AG

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