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15 Punkte für den Katastrophenschutz .......................Seite

Viele Hemmnisse im Weg

Digitalisierungsprojekte müssen schneller umgesetzt werden

(BS/bk) Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neues Digitalisierungspilotprojekt vorgestellt wird. Auch der Bereich des Katastrophenschutzes macht hier keine Ausnahme. Doch bleiben die geweckten Hoffnungen auf eine baldige Umsetzung in die Praxis manchmal auf der Strecke, dabei gibt es einige vielversprechende Ansätze.

So entwickelte das Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw) ein Tool, mit dem ein Lagebild aus frei zugänglichen Daten im Internet erstellt werden kann. Mit diesem Lagebild, das mit bestimmten Kategorien arbeitet, sollen Lagen erkannt werden, bevor ein Amtshilfeantrag bei der Bundeswehr eingeht. Die Bundeswehr erhofft sich dadurch einen Zeitvorsprung und mehr Zeit zur Vorbereitung auf einen möglichen Einsatz, erklärte Nikolaus Erbach, Innovation Manager beim CIHBw, auf dem Digitalen Katastrophenschutz-Kongress. Ein anderes Beispiel ist eine Hochwasserfrühwarnsystem, bei dem ein mit Pegel- und Niederschlagssensoren verbundene Software Alarm schlägt, sobald Messwerte überschritten werden. Die Werte seien ständig über das Internet abrufbar und das System versendet selbstständig Push-Nachrichten, erläutern Martin Halbinger und Christian Eder von der ACS Control-System GmbH. Aber auch um den Leitstellen oder den Führungskräften ein Bild von der Einsatzstelle zu vermitteln, obwohl diese nicht vor Ort sind, gibt es mittlerweile Lösungen. So bietet die Corevas GmbH mit Emergency Eye Software an, mit der die Leitstelle auf Smartphones von Einsatzkräfte oder von Notrufenden zugreifen kann. So können sich die Leitstellendisponenten zum Beispiel durch die Aufnahmen der integrierten Smartphones selbst ein Bild von der Lage machen und müssen sich nicht auf Augenzeugenberichte verlassen.

Woran scheitern Digitalisierungsprojekte im Katastrophenschutz? Dazu diskutierten (im Uhrzeigersinn): Rupert Heege, Bennet Klawon (Moderation), Martin Halbinger, Christian Eder und Nikolaus Erbach. Screenshot: BS/Klawon

Goldrandlösungen sind nicht erstrebenswert

Damit sich diese Ansätze und die Digitalisierungsprojekte im Allgemeinen in der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr schneller und effektiver verbreiten, müsse an einigen Stellschrauben gedreht werden, erklärte Rupert Heege, Katastrophen- und Gefahrenschutzexperte der Corevas GmbH. Zum einen müssten bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. Ebenso müsse das “Schwarze-Peter-Spiel” zwischen Bund, Länder und den Kommunen beendet und schneller Entscheidungen getroffen werden, da sonst die Gefahr bestünde, von der technischen Entwicklung ein- und überholt zu werden, sodass die technischen Möglichkeiten beim Rollout schon veraltet sind. Anschließend an diese Forderung sollten Behörden nach bereits am Markt vorhandenen Lösungen suchen und diese ggf. weiterentwickeln. Auf keinen Fall müsse immer alles von der Pike auf neu und selbst entwickelt werden. Ebenso müssten Behörden ihre Suche nach allumfassenden Lösungen aufgeben. Goldrandlösungen seien der Digitalisierung nicht zuträglich und verhinderten diese eher, so Heege. Generell müsse ein behörden- und organisationsübergreifendes Denken Einzug halten. Erbach stimmte diesem zu, forderte aber zugleich auch, dass eine neue Fehlerkultur in der Behördenlandschaft etabliert werden müsse, damit Digitalisierungsprojekte erfolgreich werden.

Wie auf Bundes- so auch auf Landesebene

15 Punkte für den Katastrophenschutz

(BS/bk) Das Kompetenzteam Katastrophenschutz, das vom Innenministerium in Düsseldorf einberufen wurde, hat seinen Abschlussbericht vorgelegt. Der Abschlussbericht umfasst 15 Punkte für mögliche Verbesserungen im Katastrophenschutz.

Unter anderem fordern die Experten eine stärkere Koordinierung durch das Land. Diese Koordinierung soll durch die Einrichtung eines ständigen operativtaktischen Führungsstabes auf Landesebene geschehen. Dazu soll auch eine sogenannte “Crisis Response Unit” aufgebaut werden. Diese Einheit wird mit der “Informationsgewinnung und -bewertung” beauftragt und soll diese Erkenntnisse regelmäßig in ein “Lagebild Brand- und Katastrophenschutz” zusammentragen. Dieses Lagebild soll dann auch in das nationale Lagebild des Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz (GeKoB) von Bund und Ländern, welches sich im Aufbau beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) befindet, fließen. Um die Führung zu verbessern, spricht sich das Team für die Einrichtung von Stäben für außergewöhnliche Ereignisse (SAE) in kreisangehörigen Kommunen sowie Etablierung von verbindlichen Rahmenalarm- und Einsatzplänen (RAEP) aus. Dies soll verpflichtend sein. Vorhaltungen auch auf Landesebene

Eine ähnliche Spiegelung von Vorhaben, die auf Bundesebene angegangen werden, soll es auch im bevölkerungsreichsten Bundesland geben. So schlägt das Kompetenzteam die Schaffung von dezentralen Katastrophenschutzdepots vor. Diese Lager sollen Geräte und Material bereithalten. Neben Lagern in den Kreisen und den kreisfreien Städten soll es auch Landeslager geben. Auch das Dauerthema Digitalisierung findet sich in dem Papier wieder. Die Katastrophenschutzexperten fordern eine Digitalisierungsoffensive im Katastrophenschutz. Dabei soll eine landesweite kompatible Vernetzung aller verfügbaren und lagerelevanten Daten erfolgen. Ziel dieser Vernetzung ist es das schon genannte Lagebild zu erstellen. Ebenso soll die Lagemanagementsoftware vereinheitlicht sowie Redundanzen der kommunalen Leitstellen geschaffen werden. Das 13-köpfige Kompetenzteam, bestehend aus Experten aus verschiedenen Organisationen und Verbänden, wurde im September 2021 von dem nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul (CDU) im Zuge der Flutkatastrophe einberufen. Dabei sollte sich das Team nicht nur auf die Flutkatastrophe beschränken, sondern auch andere Bedrohungslagen wie Dürren, CyberAngriffe oder Stürme in den Blick nehmen.

Die Liste der Verbesserungsvorschläge des Kompetenzteam Katastrophenschutz ähnelt den Forderungen auf Bundesebene.

Foto: BS/Alex Barcley, pixabay.com

Positives Echo

Die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland NRW (AGBF NRW), welche zu den Sitzungen des Kompetenzteams und in den Sitzungen der Arbeitsgruppen eingeladen wurde, um sich einzubringen, begrüßt den Abschlussbericht. So stehe der Bericht auch nicht in einem Wiederspruch der eigenen Veröffentlichung “Katastrophenschutz in Nordrhein-Westfalen – Vorschläge für eine Weiterentwicklung”. So würden sich die beiden Publikationen gegenseitig ergänzen, sagte Thomas Lembeck, Vorsitzender der AGBF NRW. “Unsere Expertenkommission “Starkregen”, die sich mit der Aufarbeitung des Gesamteinsatzes vom Sommer vergangenen Jahres beschäftigt, setzt sich bereits intensiv mit dem Abschlussbericht des nordrheinwestfälischen Kompetenzteams Katastrophenschutz auseinander”, sagt der Präsident der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb), Dirk Aschenbrenner. “Wir haben festgestellt, dass es bei den im Fokus stehenden Themen große Übereinstimmung gibt.” Besonders positiv sei, dass es in vielen Punkten schon eine Konkretisierung gebe, die eine Umsetzung kurzfristig möglich erscheinen lasse. Durch entsprechende politische Beschlüsse und Initiativen könne etliches schnell in die Tat umgesetzt werden. Eine weitere wichtige Rolle spiele die Forschung. Der vfdbPräsident plädierte in diesem Zusammenhang für die Schaffung eines Zentrums, das Forschung, Entwicklung und Transfer in der Gefahrenabwehr bündele. Gerade die Phase des Transfers müsse dringend vorangetrieben werden. “Dazu bieten wir jederzeit gern unsere Expertise an”, so Aschenbrenner.

Hilfe für Helfende

Bundeskompetenzzentrum der psychosozialen Notfallversorgung

(BS/Sebastian Hartmann) Die Erfahrung vieler – ziviler wie militärischer – internationaler Einsätze und nicht zuletzt die Flüchtlingsbewegung 2015/16 haben einen Bedarf an psychosozialer Notfallversorgung ebenso wie der Einsatznachsorge erneut deutlich gemacht. Nationale wie internationale Hilfsorganisationen bilden ihre Einsatzkräfte in nahezu jeder Hinsicht optimal aus, bereiten sie auf ihre Einsätze vor; längst spielt die psychosoziale Vorbereitung und Begleitung eine große Rolle. Dies gilt auch für die Einsatznachsorge. Doch der Bedarf ist national wie international groß. Dies allein schon, um Helferinnen und Helfer nach ihrem Einsatz nicht alleine zu lassen. Sonst gehen Organisationen Helfende verloren, die im schlimmsten Fall langfristig traumatisiert sind. Hinzu kommt: Nicht in allen Staaten sind Forschungen und Betreuungsmöglichkeiten so weit wie in Deutschland.

Mehr als 2.250 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind derzeit international im Einsatz, außerdem nahezu 1.000 Fachkräfte im Entwicklungsdienst, vorwiegend von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Mehr als 7.000 Freiwillige wurden 2019, im letzten Jahr vor Corona, ins Ausland vermittelt. Zahlreiche Menschen im Dienst nationaler und internationaler Hilfsorganisationen kommen hinzu. Viele von ihnen werden bei ihren Auslandseinsätzen mit Situationen und Ereignissen konfrontiert, die potenziell traumatisch verlaufen können: neben kriegerischen Auseinandersetzungen und Attentaten auch durch Umweltkatastrophen, Auswirkungen extremer Armut oder einer allgemein als ausweglos empfundenen Lage. (Das gilt auch für Einsätze im Inland, wie wir sie beim Hochwasser im Juli 2021 erlebt haben.) Für die Auslösung eines Traumas gibt es dabei keine "objektive" Skala. Erfahrungen von extremer Angst, Kontrollverlust oder Ohnmacht sind subjektiv. Neben einer guten – auch psychosozialen – Vorbereitung und Begleitung solcher Einsatzkräfte, bedarf es daher dringend einer psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) traumatisierter ziviler wie militärischer Einsatzkräfte auf höchstem Niveau. Leider wird regelmäßig festgestellt, dass es noch erheblichen Forschungsbedarf für die Trauma-Therapie gibt, so dass eine Bündelung der vorhandenen Kompetenzen und des vorhandenen Know-hows sinnvoll erscheint. Der Aufbau eines Netzwerkes zum dauerhaften Austausch der Erkenntnisse auch international, die Schaffung ausreichender Kapazitäten und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind wichtige Schlüssel. Ich schlage daher die Einrichtung eines Bundeszentrums für die psychosoziale Notfallversorgung und zur Einsatznachsorge von Einsatzkräften im Raum Bonn vor. Im Rahmen des Bonn/Berlin Vertrages zur Regelung des zweiten Regierungssitzes Bonn, der nach Willen der AmpelParteien in dieser Wahlperiode mit den Ländern NRW und Rheinland-Pfalz zu schließen ist, kann ein solcher Ansatz organisatorisch und finanziell vereinbart werden. In Bonn haben nicht nur das Bundeverteidigungsministerium und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ihren ersten Dienstsitz, sondern auch viele nachgeordnete Behörden, vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bis zum Technischen Hilfswerk (THW), die GIZ als größte Organisation internationaler Entwicklungszusammenarbeit, viele Hilfsorganisationen – und nicht zuletzt zahlreiche Einrichtungen der Vereinten Nationen. Deren Erfahrungen und gegebenenfalls sogar BestPractice-Cases liegen unmittelbar vor Ort "auf dem Tisch". Nicht zu unterschätzen ist die Nähe zum BBK in Bonn, das für die PSNV von Helferinnen und Helfern im Katastrophenschutz seit 20 Jahren Standards definiert. Seit 2004 nimmt das BBK eine zentrale fachliche Rolle in Forschung, Ausbildung und Innovation ein. Der bedeutende BundeswehrStandort Koblenz mit seinem Bundeswehrzentralkrankenhaus ist nur 60 Kilometer entfernt. Deren Kompetenz bei der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen können wir in Bonn auch verstärkt zivil nutzbar machen und für eine Stärkung der friedlichen internationalen Kooperationen nutzen. Die Ausweitung der Erkenntnisse und Erfahrungen über den Kreis der Einsatzkräfte auf die Opfer von Katastrophen und kriegerischen Auseinandersetzungen werden der nächste, logische Schritt. Neben den wissenschaftlichen und praxisrelevanten Synergieeffekten kommt der herausragenden medizinischen Infrastruktur vor Ort eine besondere Rolle zu. Neben dem nahen Bundeswehrzentralkrankenhaus sind Bonn und der Rhein-Sieg-Kreis selbst Standort einer Uniklinik und mehrerer Krankenhäuser mit für die PSNV relevanten Spezialistinnen und Spezialisten. Bonn ist einer der medizinisch herausragend gut versorgten Orte mit überregionaler und durch die Vereinten Nationen auch internationaler Bedeutung. Die in dem neuen Zentrum gewonnen Erfahrungen, Erkenntnisse und Forschungsergebnisse müssen dann auch für die Betreuung ziviler Opfer und traumatisierter Flüchtlinge genutzt werden – international. Das gilt für UN-Hilfsorganisationen wie für die EU und unsere Bündnispartner. Die Region Bonn könnte somit entlang eines Netzwerkgedankens sämtliche vorhanden Ressourcen bündeln und zu Forschung und Betreuungskapazitätsaufbau konkret beitragen. Der Ukraine-Krieg zeigt uns, dass es nur noch geringe Unterschiede zwischen militärischen und zivilen Traumata gibt – und dass nur internationale Zusammenarbeit weiterer solcher Kriege verhindern kann. Ein Bundeszentrum für die psychosoziale Notfallversorgung ziviler Einsatzkräfte wäre weiterer friedlicher Beitrag aus Deutschland (und Bonn) für die internationale Zusammenarbeit.

Sebastian Hartmann vertritt seinen Heimatwahlkreis Rhein-Sieg seit 2013 für die SPD im Deutschen Bundestag und ist seit der Wahl 2021 deren Innenpolitischer Sprecher

Foto: BS/privat

Drohnen unterstützen

Unbemannte Systeme liefern detaillierte Informationen

(BS/mfe) Drohnen sind bei den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) immer verbreiteter im Einsatz. Das gilt auch für die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG).

So berichtet Alexander Kille, seit letztem Jahr stellvertretender Leiter Einsatz im DLRG-Präsidium, dass die unbemannten Systeme sehr viele und detaillierte Informationen liefern. So stünden zum Beispiel Lagedarstellungen und Übersichtsaufnahmen mindestens in HD-Qualität zur Verfügung. Oftmals sei die Auflösung sogar noch höher. Das helfe im Einsatzgeschehen sehr, so Kille, der von 2017 bis 2021 Projektleiter für den Bereich Drohnen in der DLRG war. Seine Hilfsorganisation nutze die Geräte, die zwingend auf eine zuverlässige Internetverbindung und das Vorhandensein von Fachpersonal zur Steuerung angewiesen seien, auch unter Wasser. Dabei handele es sich um eine sinnvolle Ergänzung bestehender Einheiten. Denn mit den Drohnen seien auch Einsätze in Wassertiefen von mehreren hundert Metern oder an Orten möglich, an denen es für Taucher zu gefährlich sei. Inzwischen gebe es auch Empfehlungen für gemeinsame Regelungen zum Einsatz von Drohnen im Bevölkerungsschutz, berichtete der studierte Soziologe, der sich zuletzt stark in einem Impfzentrum in Frankfurt am Main engagierte. Es gebe aber auch Schwierigkeiten und Probleme beim Drohneneinsatz im BOS-Bereich. Hierzu zählt laut Kille unter anderem der Umstand, dass moderne Kommunikationseinrichtungen immer komplexer werden. Dadurch nehme die Anfälligkeit für Störungen zu. Außerdem würden Fragen der Datensicherheit sowie der Schaffung von Redundanzen immer wichtiger. Zumal fortlaufend neue Schadenslagen entstünden, gab der DLRG-Vertreter zu bedenken. Hier sei es nicht immer von Vorteil, dass BOS in der Regel sehr konservativ und vorsichtig bei der Einführung neuer Technologien agierten. Auf die Relevanz von Cyberund digitaler Sicherheit macht auch Dr. Sandra Kreitner, Botschafterin der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge für Bayern, aufmerksam. Hier seien die Risikowahrnehmung und die Awareness oftmals noch sehr gering. Zudem brauche es diesbezüglich mehr Vorsorge, auch im Bereich der Kritischen Infrastrukturen (KRITIS). Gleiches gelte für den kommunalen Bereich mit Blick auf Attacken aus dem digitalen Raum. Auch hier sei die Sensibilität einiger Akteure noch nicht ausreichend hoch, warnte FinnChristopher Brüning, Referatsleiter Katastrophenschutz beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB). Hier müsse sich dringend etwas tun, denn die Kriminellen agierten sehr professionell und arbeitsteilig. Aus seiner Sicht müsse das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) weiter gestärkt werden. Außerdem brauche es eine bessere Vernetzung aller beteiligten Akteure.

Während der erste Punkt noch relativ einfach ist – Deutschland lieferte nach aktuellen Informationen aus Bundeswehrbeständen 1.000 Panzerfaust 3, 500 Boden-LuftRaketen Stinger sowie weitere 18.000 Helme an die Ukraine – stellt der zweite Teil durchaus eine Herausforderung dar. “Klar ist: Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Regierungserklärung am 27. Februar. “Aber machen wir uns nichts vor: Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld. Wir werden dafür ein Sondervermögen Bundeswehr einrichten und ich bin Bundesfinanzminister Lindner sehr dankbar für seine Unterstützung dabei. Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen. Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren. Meine Damen und Herren, ich richte mich hier an alle Fraktionen des Deutschen Bundestages: Lassen Sie uns das Sondervermögen im Grundgesetz absichern.” Die Finanzierung der Bundeswehr in einer Minimalhöhe im Grundgesetz abzusichern, ist ein revolutionärer Ansatz, schließlich stünde sie damit gleichberechtigt neben der Schuldenbremse, die ab dem nächsten Jahr wieder wirksam wird (wir berichteten). Womit dann überall gespart werden dürfte, nur nicht bei der

Bundeswehr.

Der Generalinspekteur der

Bundeswehr, General Eberhard

Zorn, sagte in seinem Tagesbefehl zum 1. März: “In einem richtungsweisenden und historischen Schritt hat der Bundeskanzler am 27. Februar 2022 im Deutschen Bundestag ein umfangreiches Finanzierungspaket verkündet, bestehend aus einem Sondervermögen von einmalig 100 Milliarden

Euro sowie der Aufstockung des Verteidigungshaushalts auf kontinuierlich über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.” Diese Mittel sollten die Grundvoraussetzung dafür schaffen, dass die Bundeswehr ihren militärischen Verpflichtungen nachkommen könne. General Zorn betonte: “Rückgrat der Bundeswehr müssen wieder vollausgestattete, aus dem Stand projektionsfähige Streitkräfte sein, die zur hochintensiven Gefechtsführung im Rahmen von NATO und EU befähigt sind. Geld ist dabei aber nicht alles. Gleichzeitig müssen wir bürokratische Hürden abbauen, Strukturen modernisieren und Maßnahmen ergreifen, die die Einsatzbereitschaft der Truppe in der Fläche schnell und sichtbar erhöhen. Dazu zählt auch, die entsprechenden Führungsverfahren und -prozesse effektiv, standardisiert und national wie multinational interoperabel auszugestalten.”

Das Geld und der Krieg

Die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands

(BS/Dorothee Frank) Der Februar brachte zu seinem Ende hin noch mehrere Überraschungen vonseiten der deutschen Regierung. Zum einen die Abkehr von der Prämisse, keine Waffen in Krisen- und Kriegsregionen zu liefern. Zum anderen die Ankündigung eines unerwarteten Geldsegens für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro.

Verwendung der Mittel

Eine Herausforderung wird wahrscheinlich das Ausgeben der Mittel. Weder das BAAINBw noch die Rüstungsunternehmen können schließlich von jetzt auf gleich ihre Kapazitäten so hochfahren, dass 100 Milliarden innerhalb eines Jahres ausgegeben werden könnten. Bei den Neuvorhaben lassen sich weder das neue Luftkampfsystem NGWS (Next Generation Weapon System) noch das neue Landkampfsystem MGCS (Main Ground Combat System) so beschleunigen, dass der für sie vorgesehene Betrag sich wesentlich erhöhen ließe. Auch beim Taktischen Luftverteidigungssystem (TLVS) wären weitere Versuche notwendig. Von der Stange ließen sich hingegen ein neuer schwerer Transporthubschrauber sowie die Tornado-Nachfolger beschaffen. Ansonsten blieben bei den Waffensystemen im Grunde nur weitere Lose. Das Heer hätte hier aktuell lediglich das zweite Los Puma und den Tiger Mk3 im Ak-

“Selten waren wir und unsere Partner so entschlossen und so geschlossen”, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner Regierungserklärung am 27. Februar. Foto: BS/Bundesregierung, Bergmann

tenkoffer, während die Luftwaffe und Marine sicherlich mehrere weitere Lose in der Schublade haben, von U-Booten, Korvetten und Fregatten über Seefernaufklärer bis zu Eurofightern und Transportflugzeugen. Kann Deutschland sich verteidigen?

Es bleibt dementsprechend spannend, was bis Ende des Jahres tatsächlich unter Vertrag geht. Oder ob – wie in der Vergangenheit bei plötzlichen Etaterhöhungen – ein Teil wieder an das Finanzministerium zurückfließt, weil die Beschaffungsprozesse nicht rechtzeitig fertig waren. Ebenso interessant wird sein, wie die Finanzierung der Bundeswehr im Grundgesetz verankert werden soll. Dass dies unter einer rot-grün-gelben Regierung geschieht, hätte vor diesem Wochenende wohl niemand erwartet. Vorher herrschte in der sicherheitspolitischen Community eher Katzenjammer angesichts der russischen Eroberungen in der Ukraine. Aktive und ehemalige Generalität überbietet sich weiterhin in öffentlichkeitswirksamen Auftritten, um das Ende der Bundeswehr und der Verteidigung Deutschlands zu verkünden. Besondere Höhepunkte dieses Selbstmitleids fanden kurz nach dem Beginn der Invasion statt. Allgegenwärtige Experten verkündeten, dass Deutschland weder in der Lage noch bereit sei, sich oder das Bündnis zu verteidigen. Sogar die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die bis zum 8. Dezember 2021 für die Bundeswehr verantwortlich war, meldete sich zu Wort: “Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben. Wir haben nach Georgien, Krim und Donbass nichts vorbereitet, was Putin wirklich abgeschreckt hätte. Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man militärisch so stark sein muss, dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann.”

Alleine gewinnt Deutschland nicht

All dies erweckt den Anschein eines vergangenen Paradieses, aus dem die Bundeswehr aufgrund von Sparmaßnahmen vertrieben wurde. Dabei hätte die Frage, ob Deutschland sich gegen Russland ganz alleine verteidigen könnte, zu jeder Zeit und von jeder Regierung mit “Nein” beantwortet werden müssen. Vom Kalten Krieg über zwei Weltkriege bis hin zu Friedrich dem Großen: Niemals wäre ein isoliertes Deutschland in der Lage gewesen, sich gegen Russland zu verteidigen. Nicht ohne Partner. Im Kalten Krieg war es das Ziel, lange genug durchzuhalten, um bei Versagen der konventionellen Verteidigung ggf. auch einen nuklearen Gegenschlag durchführen zu können. Sollte es bei einem konventionellen Krieg bleiben, sahen die Pläne der Alliierten eine Verstärkung und das Halten der Rhein-Grenze vor. Von Deutschland wäre in beiden Fällen nicht viel übrig geblieben. Allerdings ist bereits das Narrativ verkehrt. Deutschland muss sich schließlich nicht alleine verteidigen, da die Politik die Bundeswehr fest in der NATO verankert hat. Die Frage müsste also sein, ob die NATO gegen Russland bestehen könnte. Und ob die NATO bereit ist, ihre Mitgliedsländer mit allen Mitteln zu verteidigen. Die Antwort auf beide Fragen ist ein klares Ja. In diesem Bündnis, das sich im Fall eines Angriffs Russlands auf die NATO formieren würde, käme auch der Bundeswehr eine wichtige Rolle zu. Die sie ausfüllen könnte, da sie der Allianz hochwertige Waffensysteme zur Verfügung stellen kann. Die Bundeswehr ist aktuell unterfinanziert, der Klarstand und die Anzahl der Waffensysteme und Ausrüstung sind nicht zufriedenstellend, die Ersatzteil- und Munitionslager müssen aufgefüllt werden – aber daraus mangelnden Willen oder mangelhafte Fähigkeiten zum Bestehen gegen einen Angriff auf die NATO abzuleiten, ist falsch. Woran es tatsächlich mangelt, ist der politische Wille, eine kriegerische Auseinandersetzung als Ultima Ratio einzugehen, um die Unversehrtheit der Ukraine zu schützen. Ob dies falsch oder richtig

Hürden der Verlegefähigkeit

Von der Logistik zum Host Nation Support

(BS/df) Verlegungen von Menschen und Material stellen in der heutigen Zeit durchaus eine Herausforderung dar. Die Brückenzeichen für die Panzer wurden abmontiert, in den Kasernen sind keine Tankstellen mehr vorhanden, die Versorgung wurde flächendeckend an Dienstleister ausgelagert.

Kommentar Wehrpflicht – ein Allheilmittel?

(BS) Bei jeder sicherheitspolitischen Diskussion kommt irgendwann aus irgendeiner Ecke die Forderung nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht. Nur dadurch ließen sich Deutschland verteidigen, die Resilienz der Bevölkerung stärken und der Nachwuchs der Bundeswehr nachhaltig sichern. Die Rückkehr in die gute alte Zeit mit ihren wehrhaften Männern ist das Ziel.

Nach dieser Theorie wird jemand durch das Leisten des Wehrdienstes ein besserer Mensch, der an sich schon zur Verteidigung Deutschlands herangezogen werden könnte. Vorgetragen wird es meistens von Zivilisten, die an ausgewählten Wochenenden vereinzelt Reserveübungen machen. Diese idealisierte Fassung wird wahrscheinlich deshalb hauptsächlich durch Zivilisten getragen, weil Berufssoldaten einen etwas anderen Blick auf die Wehrpflicht haben. Zum einen konnte in den Jahren vor dem Aussetzen nicht mehr von einer Wehrgerechtigkeit gesprochen werden. Das Einziehen oder Nichteinziehen der jungen Männer geschah willkürlich anhand der vorhandenen Kapazitäten. Zum anderen war die Grundausbildung viel zu kurz, um den jungen Rekruten viel Sinnvolles beizubringen. Die Wehrpflichtigen waren selten eine Antwort, sondern vielmehr zusätzlicher Aufwand ohne wirklichen Nutzen. Der eigentliche und fast schon einzige Vorteil lag darin, dass die meisten Zeit- und Berufssoldaten aus dem Pool der Wehrpflichtigen rekrutiert wurden. Eine Personalbeschaffungsmaßnahme rechtfertigt allerdings kaum einen Eingriff in die Grundrechte, wozu ein Zwangsdienst durchaus zu zählen ist. Das Heranziehen zum Dienst für Deutschland wurde im Grundgesetz mit der Verteidigungsfähigkeit begründet. Zu dieser hat die Wehrpflicht in den Jahren vor der Abschaffung nichts mehr beigetragen. Und sie würde auch heute nichts dazu beitragen können. Zu komplex sind die Systeme geworden, zu anspruchsvoll die Anforderungen an die Soldaten. Abgesehen von der Ansicht, dass früher alle härter, zäher und besser gewesen seien, fehlt ein wissenschaftlicher Beweis, dass jene Generationen, die keinen Wehrdienst mehr geleistet haben, verteidigungsunwilliger wären. Oder weniger hart, zäh oder resilient. Von den ganzen angeblichen Vorteilen bleibt dementsprechend bis auf die vereinfachte Personalgewinnung und anekdotische Erinnerungen kaum etwas übrig. Denn Deutschland lässt sich nicht durch Wehrpflichtige schützen, sondern nur durch Zeit- und Berufssoldaten sowie Fachreservisten. Dorothee Frank

Ein Zug der letzten Wehrpflichtigen unter dem Kommando von Oberleutnant Anke H. beim Antreten am 6. Januar 2011. Foto: BS/Bundeswehr, Andrea Bienert Damit das Verteidigungsministerium am 25. Februar melden konnte: “Wir haben die NATOOstflanke verstärkt. In der letzten Woche sind bereits die ersten Kräfte in Litauen eingetroffen: 100 Fahrzeuge, Artillerie-, Aufklärungs-, Sanitäts- und Feldjägerfähigkeiten, zusätzlich 350 Soldatinnen und Soldaten”, musste erst einmal die Streitkräftebasis (SKB) erneut durch die Bewältigung einer äußerst komplexen Aufgabe ihre Kaltstartfähigkeit beweisen. Schließlich ist nicht nur die Bundeswehr aktuell auf die logistischen Fähigkeiten der SKB angewiesen, auch die Anfragen im Rahmen des Host Nation Supports haben sich deutlich erhöht.

Host Nation Support

So unterstützt Deutschland im Rahmen des Host Nation Supports die US-Kräfte bei der Verstärkung der NATO-Ostflanke. Zuständig ist hierfür ebenfalls die Streitkräftebasis. Deren Inspekteur, Generalleutnant Martin Schelleis, bezeichnete Deutschland mehrfach als logistische Drehscheibe der NATO und besonders der USA – und bereitete seinen militärischen Organisationsbereich mit regelmäßigen internationalen Übungen auf genau diesen Fall vor. Deutschland liefert beim Host Nation Support als “Gastgeber” Unterstützungsleistungen an befreundete Truppen während deren Verlegung, wie beispielsweise sichere Stellplätze für militärische Systeme, Kraftstoff, Verpflegung und Unterkunft. Diese Fähigkeiten wurden früher – vor den Sparmaßnahmen unter den ehemaligen CDU-Verteidigungsministern und -ministerinnen – durch die Kasernen geleistet. Seit der Auslagerung von Dienstleistungen aus dem militärischen Betrieb ist ein Host Nation Support, wie ihn die USA und andere Verbündete aktuell eigentlich bräuchten, nicht mehr möglich. So verfügt beispielsweise kaum noch ein Bundeswehrstandort über genügend Kraftstoff, weshalb zuletzt auch amerikanische Apache Longbow beim Auftanken auf einem zivilen Flughafen bei Dresden gesehen wurden.

Veränderung der Bundeswehr

Bisher konnte die SKB zwar allen Anfragen befreundeter Streitkräfte genügen, der Aufwand ist allerdings ungleich höher als früher, wo die Einheiten sich von Kaserne zu Kaserne fortbewegen konnten. Eine gewisse Entlastung der Streitkräftebasis versprach der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, in seinem Tagesbefehl vom 1. März. “Von besonderer Bedeutung ist in dieser angespannten Lage der Grundbetrieb. Munitionsdepots, Sanitäts-, Logistik- und Führungseinrichtungen, Lagezentren und viele andere unterstützen bei der kurzfristigen Umsetzung all dieser umfassenden Maßnahmen. Deutschland als “Drehscheibe” für Marschbewegungen unserer Bündnispartner bindet insbesondere die territoriale Organisation, unsere zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie unsere Reservistinnen und Reservisten”, sagte der Generalinspekteur. “Unser Kontingent in der Amtshilfe Corona werden wir deshalb deutlich reduzieren. Diese Soldatinnen und Soldaten werden im Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung gebraucht.” Diese zusätzlichen Kräfte werden dringend gebraucht, da durch den Wegfall der Strukturen des Kalten Krieges die Sicherungsmaßnahmen der militärischen Systeme während der Verlegung wesentlich aufwendiger durchzuführen sind, was wiederum mehr Personaleinsatz bedeutet. Und dieser steht dann der bereits zum Standard gewordenen Amtshilfe nicht mehr zur Verfügung. Den neuen militärischen Anspruch betonte auch General Zorn in seinem Tagesbefehl: “Wir leben in Zeiten des weltpolitischen Umbruchs. Der rücksichtslose Angriffskrieg des russischen Präsidenten gegen die Ukraine hat eine neue Realität geschaffen, die unsere Gesellschaft und auch die Bundeswehr tiefgreifend verändern wird.”

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