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Wiederherstellung verlorener Fähigkeiten ..................Seite

Worauf der Inspekteur sich bezieht, ist die unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg begonnene “Ausrichtung auf den Einsatz”, die im Grunde eine Reduzierung der Bundeswehr auf das als absolutes Minimum empfundene Maß – und noch ein wenig darunter – bedeutete. “Schlanker und einsatzorienter” sollte die Bundeswehr nach den Wünschen zu Guttenbergs werden, mit schnell verlegefähigen, kleineren Verbänden. Wenn allerdings nur noch kleine Einheiten zu versorgen sind, geht die entsprechende Fähigkeit für die Großverbände verloren. Zumindest, wenn sie sich nicht in der heimischen Kaserne befinden. Darunter leidet auch der Host Nation Support (siehe hierzu den Artikel “Hürden der Verlegefähigkeit” auf Seite 56). Schleichende Steigerung der Defizite

Diese Erkenntnisse sind allerdings nichts Neues. Sie waren auch Generalleutnant Mais, der seit zwei Jahren Inspekteur Heer ist, bekannt. “Wir haben es alle kommen sehen und waren nicht in der Lage, mit unseren Argumenten durchzudringen, die Folgerungen aus der Krim-Annexion zu ziehen und umzusetzen”, schreibt Generalleutnant Mais. Noch sei das NATO-Territorium seiner Einschätzung nach nicht direkt bedroht, aber “die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitiert”. Generalleutnant Mais fordert dementsprechend: “Wann, wenn nicht jetzt ist der Zeitpunkt, den Afghanistaneinsatz strukturell und materiell hinter uns zu lassen und uns neu aufzustellen? Sonst werden wir unseren verfassungsmäßigen Auftrag und unsere Bündnisverpflichtungen nicht mit Aussicht auf Erfolg umsetzen können.” Deutschland bräuchte nun eigentlich eine starke Bundeswehr, deren Rückgrat schon immer das Heer, die “Boots on the Ground” waren. Nur stehe dieses nach viel zu vielen Sparrunden aktuell blank da. Ein Zustand, über den sich Generalleutnant Mais in Verbindung mit der mangelnden Reaktion auf die Annexion der Krim Luft machte: “Das fühlt sich nicht gut an! Ich bin angefressen!”

Die Einsatzbereitschaft des Heeres

Wiederherstellung verlorener Fähigkeiten

(BS/Dorothee Frank) “Du wachst morgens auf und stellst fest: Es herrscht Krieg in Europa”, sagte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, kurz nach der russischen Invasion der Ukraine mittels seines LinkedIn-Accounts. “Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.”

Fähigkeiten der Luftverteidigung

Diese Botschaft wurde augenscheinlich von der Bundesregierung erhört, weshalb der Bundeswehr in diesem Jahr 100 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen sollen. Dank dieser zusätzlichen Investitionen in die Bundeswehr kann der Inspekteur Heer nun Zeichen setzen. So ließe sich die Qualifizierte Fliegerabwehr realisieren, die bereits von seinem Vorgänger, General Jörg Vollmer, als priorisiertes Vorhaben bezeichnet wurde, danach in der Folge von Sparzwängen allerdings nur in einer homöopathischen Menge für die VJTF 2023 unter Vertrag ging. Die Rede ist von den Protector RS4 Waffenstationen von Kongsberg auf dem Boxer. Im Rahmen der Qualifizierten Fliegerabwehr gingen im Dezember 2019 zehn Protector RS4 Counter UAS Systeme auf Boxer-Basis unter Vertrag, die sich aktuell in der Auslieferung befinden. Im Dezember 2021 folgte ein Vertrag über zwei Nachweismuster für das deutsche Programm “Joint Fire Support Team, schwer” (JFSTsw). Parallel zur Fliegerabwehr wurde das Programm Nah- und Nächstbereichsschutz (NNbS) der Luftwaffe aufgesetzt. Mit NNbS soll die entsprechende Fähigkeitslücke in der mobilen Luftverteidigung geschlossen werden, die sich nach dem Kalten Krieg durch das Ausphasen der Systeme und Fähigkeiten vor allem aus dem Heer ergab. Das Projekt wurde in mehreren durchführbaren Phasen geplant. Innerhalb des Teilprojektes 1 “Erstbefähigung Land” stand die Beschaffung von Fahrzeugen zum Schutz vor Feuerwaffen, Lenkflugkörpern, Raketen, Marschflugkörpern und unbemannten Fluggeräten an. Vorgesehen ist ein Umfang von vier Feuereinheiten, die Ausschreibung ist für dieses Jahr vorgesehen. Das gewissermaßen designierte System ist IRIS-T SL. Mit den vier geplanten Feuereinheiten würde der Schutz von drei Brigaden und Divisionstruppen einer Division möglich, so die Einschätzung der Bundeswehr. Der Auftrag ließe sich also ausweiten, um im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung gegen hochwertige Gegner bestehen zu können.

“Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da”, sagte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, zum aktuellen Zustand seiner Teilstreitkraft. Foto: BS/Bundeswehr Ausrichtung des Heeres

Mit der Entscheidung, ob ein zweites Los Puma geordert wird oder weitere Varianten des Boxers zur Ausstattung von Mittleren Kräften unter Vertrag gehen, wird der Inspekteur Heer die Ausrichtung seiner Teilstreitkraft für die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Diese Entscheidung lässt sich dann auch nicht mehr rückgängig machen, weil je nach Entscheidung die Kapazitäten in der Industrie verlagert werden und dann in einem Jahr eben nur noch Schützenpanzer oder nur noch Boxer produziert werden können. Die Frage, ob Mittlere Kräfte tatsächlich zur Landes- und Bündnisverteidigung ausreichend sind, hat also eine Tragweite wie seinerzeit die Ausrichtung auf den Einsatz. Ebenfalls fertig aus der Schublade könnte zudem der Kampfhubschrauber Tiger mit Mk3 in die Kampfwertanpassung gehen, so denn das Heer Kampfhubschrauber im Portfolio der Multi Domain Battle halten will. Auch hier kann der Inspekteur Zeichen setzen, in welche Richtung sich die Kampfkraft der Bundeswehr entwickeln soll – und welche Industrien das Kommando Heer dabei als besonders vertrauenswürdig ansieht.

Dringendster Beschaffungsbedarf

Bei all diesen Großprojekten darf allerdings nicht vergessen werden, dass am dringendsten Munition und Ersatzteile zu beschaffen sind. Die Liste ist lang, da in der Vergangenheit oft an der Munition gespart wurde, weil dies in Friedenszeiten weniger auffällt als nicht vorhandene Panzer oder Flugzeuge, vor allem wenn große Teile der Ausbildung in der Simulation stattfinden können. Der Klarstand ist bei vielen Systemen weder ausreichend noch im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung hinnehmbar. Ein Großteil der zur Verfügung stehenden 100 Milliarden müssten also in Ersatzteile, Wartungsfähigkeiten und Modernisierungen von vorhandenen Systemen fließen. So sind beispielsweise der Klarstand der vorhandenen Seefernaufklärer oder der Zustand der vorhandenen Transporthubschrauber CH-53G so ungenügend, dass kaum auf den Zulauf der neuen amerikanischen Systeme gewartet werden kann. Es gilt, die Jahre bis zur Lieferung der ersten P-8A Poseidon oder der ersten Schweren Transporthubschrauber zu überbrücken. Der Gegner wartet nicht. In die Digitalisierung der Landstreitkräfte müssten ebenfalls Milliarden investiert werden, um die Führungsfähigkeit in die moderne Zeit zu holen. Die aktuell vorhandenen, unsicheren und wenig performanten Funkgeräte genügen weder den Ansprüchen von noch den Anforderungen an die Bundeswehr. Der Reformbedarf ist also groß und für das BAAINBw wird es eine herausfordernde Aufgabe, die Flut an Anfragen in Beschaffungsprozesse und Verträge zu gießen. Durch die Steuerung der Vorhaben kann Generalleutnant Mais nun allerdings die Ausrichtung des Heeres für die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Die Politik scheint bereit, sehr viel mitzutragen.

So verkündete das BMVg bereits vier Tage nach der russischen Invasion: “Die Bundesregierung hat aufgrund der aktuellen sicherheitspolitischen Lage und in enger Abstimmung mit der slowakischen Regierung und weiteren Partnern entschieden, sich im Rahmen der NATO bei der Aufstellung einer “enhanced Vigilance Activity Battlegroup” in der Slowakei zu engagieren. Die Bundesministerin der Verteidigung hat sich hierzu am 25. Februar 2022 intensiv mit ihrem slowakischen und niederländischen Amtskollegen ausgetauscht.”

Die Slowakei war im Zuge der zweiten NATO-Osterweiterung 2004 gemeinsam mit Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien und Slowenien der NATO beigetreten und kann sich somit auf den Schutz des Bündnisses gegen den russischen Aggressor verlassen.

Der deutsche Beitrag für die neue enhanced Vigilance Activity (eVA) Battlegroup soll aus Infanteriekräften des Heeres in Kompaniestärke bestehen, die unter Beteiligung weiterer Partner bis April 2022 zu einem gemischten Kampftruppen-Bataillon verstärkt werden sollen. Hinzu kommen Luftverteidigungssysteme Patriot.

Deutsche Luftwaffe verstärkt Kontingent in Rumänien

Auch das deutsche Engagement beim Air Policing in Rumänien wird sowohl ausgeweitet als auch verlängert. Ursprünglich sollten sich drei deutsche Eurofighter vom 21. Februar bis zum 3. März am “enhanced Air Policing South” (eAPS) in Rumänien beteiligen. Bereits Mitte Februar wurde der Beginn vorgezogen, die drei Eurofighter landeten am 17. Februar am Zielflughafen. Nun

Deutsche Unterstützung der NATO

Verstärkungen der Ostflanke

(BS) Der russische Angriff auf die Ukraine hat alle umliegenden Staaten in Alarmbereitschaft versetzt. Darunter sind auch etliche NATO-Nationen, die das Bündnis um Hilfe baten, um gegen ein weiteres Vordringen russischer Truppen gewappnet zu sein. Alle NATO-Staaten reagierten schnell und schickten zusätzliche Truppen in die bedrohten Länder – darunter auch Deutschland.

verlängerte die Ministerin sowohl den Zeitraum – die Eurofighter sollen mindestens bis Ende März in Rumänien bleiben – als auch die Anzahl der Maschinen. Bis zu sechs Eurofighter werde die Luftwaffe stellen, meldete das BMVg. Das eAPS ist eine kollektiv-defensive Maßnahme der Allianz zum Schutz der Integrität des südlichen NATO-Luftraumes. Hierzu sind Kampfflugzeuge der Bündnisnationen in wechselnden Rotationen auf dem rumänischen Luftwaffenstützpunkt “Mihael Kogalniceanu” in der Nähe der Stadt Konstanza am Schwarzen Meer stationiert. Das deutsche Kontingent aus dem Taktischen Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg an der Donau wird dabei weitestgehend in das bereits vor Ort befindliche italienische Kontingent integriert. Die deutschen Soldatinnen und Soldaten unterstützen den “Quick Reaction Alert” (QRA) der NATO. Darüber hinaus sollen durch den Einsatz Verfahren und Konzepte gemeinsam mit den Verbündeten geübt und standardisiert werden. “Unser Beitrag im Rahmen des eAPS ist langfristig geplant, eine erste Teilnahme an eAPS erfolgte bereits 2021 gemeinsam mit der Royal Air Force”, berichtete ein Sprecher der Luftwaffe gegenüber dem Behörden Spiegel und ergänzte zum weiteren deutschen Engagement zum Schutz des NATO-Luftraums: “Die erneute Teilnahme am verstärkten Air Policing im Baltikum (VAPB) ist, ab August 2022, erneut für acht Monate am Stück – zweimal vier Monate als feststehender Zeitraum – geplant.”

Deutschland verlegte zeitnah nach dem Angriff Luftverteidigungssysteme Patriot in die Slowakei.

Foto: BS/Bundeswehr, Andreas Freude

Deutsche Verteidigung der NATO-Gewässer

Neben Land- und Luftstreitkräften hat die Bundeswehr auch mehrere Marine-Einheiten zur Sicherung der NATO-Gebiete entsandt. So unterstützen drei Schiffe die Standing NATO Maritime Group 1 (SNMG 1) und die Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG 2), hinzu kommt eine Aufklärungseinheit. Fünf Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine lief die Korvette “Erfurt” in Wilhelmshafen aus, um sich der SNMG 1 anzuschließen, dem Einsatzverband der NATO für den Nordatlantik. Zu diesem Verband gehört bereits der Einsatzgruppenversorger “Berlin”. Ursprünglich war die “Erfurt” für den UNIFIL-Einsatz im Mittelmeer vorgesehen, wurde aufgrund der aktuellen Lage allerdings zur SNMG 1 beordert. Sie wird nun vor allem die Nord- und Ostsee sichern. Das Einsatzgebiet der SNMG 2 ist das Mittelmeer, zu der die deutsche Fregatte “Lübeck” seit Anfang Februar gehört. Zudem entsandte die Bundeswehr ein Flottendienstboot zur Überwachung der russischen Aktivitäten. Bei diesen Schiffen zur Nachrichtengewinnung und Aufklärung handelt es sich um Einheiten des CIR, die von der Deutschen Marine betrieben werden. “Mit Systemen zur Detektion und Ortung von Signalen, Über- wie Unterwasser, können die drei Flottendienstboote einen wesentlichen Beitrag zur strategischen Informationsgewinnung leisten”, beschrieb die Deutsche Marine die Fähigkeiten. Allerdings wurden alle drei Boote noch zum Ende des Kalten Krieges in den Dienst gestellt, was bedeutet, dass sie den technologischen Stand der Vor-iPhone-Ära darstellen, daran können auch die zwischenzeitlich erfolgten Modernisierungen nichts ändern. Deshalb gingen im vergangenen Sommer neue Flottendienstboote unter Vertrag, von denen das erste 2027 in Dienst gestellt werden soll. Am selben Tag wie die “Erfurt” lief auch das Flottendienstboot “Alster” aus dem Marinestützpunkt Eckernförde aus, um in der Ostsee die See- und Küstengebiete elektronisch zu überwachen. Der Inspekteur Marine, Vizeadmiral Jan C. Kaack, betonte: “Die Deutsche Marine, die Bundeswehr und das gesamte Bündnis brauchen jetzt ein gesichertes Lagebild. Dazu trägt die Marine neben anderen Aktivitäten auch mit der “Alster” bei.”

Deutsches Engagement mit Truppen

Deutschland beteiligt sich also nicht nur finanziell, sondern auch mit “Boots on the Ground” an der Verteidigung der NATO. So wies das BMVg ebenfalls auf das starke Engagement der Bundesregierung hin: “Deutschland ist aktuell mit 13.700 Soldatinnen und Soldaten ein wesentlicher Truppensteller der schnellen Eingreiftruppe der NATO (NATO Response Force – NRF). Etwa 900 Frauen und Männer stärken als Enhanced Forward Presence Battlegroup in Litauen unter deutscher Führung die Ostflanke. Die Bundeswehr ist einer der wesentlichen Truppensteller der NATO.” Es ist zwar sehr deutsch, immer die Verbesserungsmöglichkeiten zu sehen, das oft vor allem durch “Sicherheitsexperten” in den (Fernseh-)Medien transportierte Bild eines mangelnden Verteidigungswillens ist allerdings falsch. Besser geht es sicherlich immer, die deutschen Leistungen und die Geschwindigkeit, in der diese geleistet wurden, sind allerdings ebenfalls zu würdigen. Und zeigen, dass Deutschland bereitsteht, wenn es darauf ankommt.

Dieses Foto zeigt den zu Beginn der Ukraine-Krise einzigen einsatzklaren deutschen Seefernaufklärer, der für einen Tag werbewirksam nach Finnland geschickt wurde, um im Zuge der Ukraine-Krise die Ostsee zu überwachen. Foto: BS/Deutsche Marine

Der letzte fliegende Seefernaufklärer

Wichtige Spezialfähigkeit in ungenügender Stückzahl

(BS/df) Die Krise in der Ukraine zeigt auf, was verschleppte Beschaffungen für die Fähigkeiten der Bundeswehr bedeuten. Besonders die Ära von der Leyen verfestigte die Lücken im Fähigkeitsprofil der Bundeswehr, die ihre Nachfolgerinnen bisher nur bedingt ausgleichen konnten. So verzögerte sich auch die Vergabe von neuen Seefernaufklärern über Jahre, was bedeutet, dass die Bundeswehr zu Beginn der Ukraine-Krise nur noch über einen einzigen verfügte.

“Zurzeit befindet sich ein einsatzklarer Marineseeaufklärer auf dem Fliegerhorst Nordholz, der durch eine elfköpfige Crew geflogen wird”, sagte ein Sprecher der Deutschen Marine am 15. Februar gegenüber dem Behörden Spiegel. Zu jener Zeit hatten sich bereits russische Truppen um die Ukraine versammelt, angeblich, um eine Übung abzuhalten. Deutschland schickte seinen Seefernaufklärer daraufhin auf den Stützpunkt Helsinki in Finnland, um einerseits den designierten Inspekteur Marine nach Finnland zu bringen und gleichzeitig von dort aus Aufklärungsflüge in der mittleren und östlichen Ostsee durchzuführen. Die Marine betonte: “Die Deutsche Marine zeigt damit verstärkte Präsenz an der Nordflanke der NATO.” Sie zeigte diese verstärkte Präsenz allerdings nur einen Tag lang, weil der Seefernaufklärer danach zum Manöver Dynamic Manta nach Sigonella auf Sizilien verlegen musste, um den Verpflichtungen gegenüber der NATO nachzukommen. Eine weitere Überwachung der Ostsee wäre mit diesem Spezialsystem also nur möglich gewesen, wenn die Bundeswehr die Maschine von der NATO-Übung abgezogen hätte. Was wiederum eine Blöße gegenüber den Verbündeten wäre.

Nachfolger: fünf P-8A Poseidon

Der Sprecher der Marine äußerte sich gegenüber dem Behörden Spiegel zwar zuversichtlich, dass bald wieder mehr Seefernaufklärer zur Verfügung stehen – “Der Verfügungsbestand wird sich aber zeitnah, nach gestaffeltem Rücklauf von Maschinen aus der planmäßigen Instandsetzung, wieder erhöhen” – die Krise mit der Notwendigkeit zur Überwachung wartet allerdings nicht auf deutsche Wartungs- und Beschaffungswege. Die Nachfolger der P-3C Orion, fünf P-8A Poseidon von Boeing, gingen am 30. Juni 2021 unter Vertrag (wir berichteten). “Mit dem Bau des Nachfolgers der P-3C wird voraussichtlich im Dezember 2023 begonnen. Daraus resultiert eine erste Zuführung im Oktober 2024. Die selbstverständlich in Nordholz stationiert werden”, berichtet der Sprecher der Marine. “Die Umschulung und Qualifizierung des fliegenden Personals wird dabei rund ein Jahr dauern. Die Ausbildung hierfür wird hauptsächlich bei der US-Navy in NAS Jacksonville, Florida, USA – bei VP-30 “Patrol Squadron 30” – stattfinden. Die Zertifizierung und Ausbildung des technischen Personals nach DEMAR 66 wird circa zwei Jahre in Anspruch nehmen.”

Ab 2025 neue Systeme

Die Bundeswehr wird also erst ab 2025 wieder über genügend einsatzfähige Seefernaufklärer verfügen, um alle Aufgaben tatsächlich erfüllen zu können. Bis dahin ist sie weiterhin auf die Aufklärungsergebnisse aus den USA angewiesen. Ein deutsches Lagebild oder auch nur ein Abgleich der eingehenden Daten wird schwierig, wenn nicht genügend Systeme für alle Verpflichtungen vorhanden sind. Und die Behebung des Mangels braucht Zeit. Die Bundeswehr wird also weiterhin durch die Fehler der vergangenen Regierungen in gewissen Bereichen nur eingeschränkt handlungsfähig sein, trotz der versprochenen hundert Milliarden. Weil die Vergaben in der Vergangenheit zu zögerlich angegangen bzw. keine Entscheidungen getroffen wurden oder kein Geld zur Verfügung stand. Bis 2025 kann Deutschland also diese Spezialfähigkeit der NATO nur eingeschränkt zur Verfügung stellen. Dabei ist Aufklärung die Grundlage jeder Handlung – auch für die Politik.

Das Transportproblem der Bundeswehr

SALIS – vom Erfolgs- zum Auslaufmodell

(BS/df) Drei russische Transportflugzeuge An-124 befanden sich Anfang März auf dem Flughafen Leipzig, nachdem Deutschland den Luftraum für russische Flugzeuge sperrte. Hinzu kam eine ukrainische Maschine gleichen Typs. Der Flughafen Leipzig ist der Standort des militärischen Transportprogramms SALIS, an dem auch Deutschland beteiligt ist. Dass Deutschland für den militärischen Lufttransport auf gemietete Flugzeuge angewiesen ist, hängt mit der Auslagerung von Fähigkeiten zusammen – und mit dem Bundeswehr-Transportflugzeug A400M.

Als kurz nach dem Ende des Kalten Krieges der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe über das neue Transportflugzeug der Bundeswehr die Entscheidung fällte, standen zwei Optionen im Raum: Ein gemeinsam mit Russland zu entwickelnder AntonovNachfolger oder ein vollständig neu zu erfindendes deutschfranzösisches Transportflugzeug. Die Bundeswehr und der Verteidigungsminister entschieden sich für die Antonov-Nachfolge. Der französische Staatspräsident François Mitterrand rief den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl an und erinnerte ihn an die deutsch-französische Freundschaft. Die A400M ging unter Vertrag. Aufgrund des notwendigen Abgleichs der unterschiedlichen Anforderungen Deutschlands und Frankreichs kann die A400M allerdings nicht alle notwendigen Transporte leisten. Es musste also zusätzlich etwas Größeres bereitstehen: die Antonovs. Bei der An-124 handelt es sich schließlich um das größte jemals in Serie produzierte Transportflugzeug der Welt. Da Deutschland mit seinem Mangel an Transportflugzeugen in der NATO nicht alleine war, schlossen sich mehrere Nationen zur “Strategic Airlift Interim Solution” (SALIS) zusammen. Auftrag durch die NATO

Für SALIS schloss die NATO Support Procurement Agency (NSPA) im Namen der beteiligten Nationen – aktuell sind es Belgien, Deutschland, Frankreich, Norwegen, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn – einen Vertrag mit der Ruslan SALIS GmbH, einem Joint Venture aus dem russischen Unternehmen Volga-Dnepr Airlines und der ukrainischen Firma Antonov Airlines, sodass die Transportkapazitäten von bis zu sechs Antonovs genutzt werden konnten. SALIS galt als großer Erfolg, weil kostengünstig und zuverlässig. Die russischen und ukrainischen Maschinen flogen auch in Krisengebiete, sogar der Bundesrechnungshof lobte die Wirtschaftlichkeit. Die Situation änderte sich allerdings mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland. Das Joint Venture Ruslan SALIS GmbH zerbrach, die NSPA schloss Einzelverträge mit dem russischen und dem ukrainischen Unternehmen. Gleichzeitig wurde das “Interim” aus dem Namen des NATO-Programms entfernt, es heißt seitdem “Strategic Airlift International Solution” (SALIS). Als 2018 die Verträge mit beiden Partnern ausliefen, verkündete die russische Volga-Dnepr Airlines, dass sie aus dem Programm aussteigen werde. Sie wolle sich künftig auf zivilen Lufttransport konzentrieren.

Heutige Situation

2018 wurde dementsprechend ein neues Joint Venture von Antonov mit dem Logistikdienstleister Cargo Air Solutions unter ukrainischer Führung gegründet: die Antonov Logistics SALIS GmbH. Mit diesem Unternehmen mit Sitz in Schkeuditz, einem Ort bei Leipzig, schloss

Diese Panzerhaubitze 2000 wurde für den Afghanistan-Einsatz mit einer russischen Antonov An-124-100 transportiert. Foto: BS/Bundeswehr,Schmidt

die NATO Support Procurement Agency 2018 einen neuen SALISVertrag. Die Firma verpflichtete sich zur Bereitstellung der vertraglich vereinbarten Lufttransportkapazitäten. Wie sie dies zu erfüllen gedenke, blieb ihr überlassen. Da die Antonov Logistics SALIS GmbH mit ihren rund 20 Mitarbeitern reine Vermittlungsdienste leistet, werden die Flugzeuge angemietet. Zum Redaktionsschluss standen am Flughafen Leipzig vier Antonovs: eine aus der Ukraine, drei aus Russland. Die Antonov Logistics SALIS GmbH wollte sich bisher nicht äußern. Ein Problem ist die Wartung der SALIS-Maschinen und deren Versorgung mit Ersatzteilen. Schließlich kann die Ukraine aktuell nicht liefern und die Russen werden kaum einspringen. Hinzu kommt die Nationalität der Piloten, da bisher durchaus Russen die ukrainischen Maschinen geflogen sind. Sollte Deutschland – und die weiteren SALIS-Partner – also eine schnelle Verlegung von Waffensystemen an die Ostflanke der NATO benötigen, wäre der Lufttransport wahrscheinlich zum ersten Mal in der Geschichte der Bundeswehr keine wirklich sichere Option.

MELDUNGEN Erste C130J der Bundeswehr ist gelandet

(BS/df) Ende Februar meldete das BAAINBw die erfolgreiche Landung der ersten C130J Super Hercules der deutschen Luftwaffe in Évreux. Die Beschaffung der “Super Hercules” wurde aufgrund der Ausmusterung der Transall notwendig. “Der A400M kann (Feld-)Flugplätze nicht anfliegen, wenn diese nicht über die notwendige Infrastruktur verfügen”, berichtet die Bundeswehr zum eigentlichen Transall-Nachfolger. “Mit der Außerdienststellung der in die Jahre gekommenen C-160 Transall und deren Ausmusterung Ende des Jahres 2021 ist eine Fähigkeitslücke im Bereich des geschützten taktischen Lufttransportes entstanden. Das schließt Einsätze im Rahmen des Nationalen Risiko- und Krisenmanagements und das gesamte Spektrum von Spezial-Operationen, über Land oder im maritimen Umfeld, ein.” Die Super Hercules von Lockheed Martin ist ein bewährtes, einsatzerprobtes Transportflugzeug, das seit Jahrzehnten von mehreren Streitkräften weltweit genutzt wird.Deutschland wird gemeinsam mit Frankreich eine Flotte bestehend auf fünf C130J-30 und fünf KC-130J (die Tankversion) betreiben, wobei Deutschland sechs Maschinen (drei C-130J und drei KC-130J) beisteuert. Die Bundeswehr erläutert: “Zum allerersten Mal werden hier französische und deutsche Piloten, Mechaniker, Avioniker und technische Ladungsmeister gemeinsam leben, trainieren und arbeiten. Binationale Crews fliegen die Einsätze und am Boden werden deutsche und französische Maschinen ebenfalls gemeinsam gewartet. Die Möglichkeit rein nationaler Einsätze bleibt dabei erhalten.” Nun ist also die erste deutsche Maschine der gemeinsamen Transportflotte in Évreux gelandet. Beschafft wurde die Maschine durch einen Foreign Military Sale (FMS). Wie reibungslos im Rahmen eines FMS neue Technologien zulaufen können, zeigte diese Beschaffung. Im April 2018 wurde der Letter of Request an die US-Regierung übermittelt. Im September 2018 folgte der Letter of Approval, die Grundbedingung für den Kauf. Im Dezember 2021 konnte die erste Maschine durch die U.S. Air Force geprüft und abgenommen werden.

Senkrechtstarter für die F126

(BS/df) Die neuen deutschen Fregatten F126 erhalten MK 41 Senkrechtstarter für Evolved Sea Sparrow Missile Block 2. Das MK 41 VLS (Vertical Launch System) wurde ursprünglich für den gleichzeitigen Abschuss von Flugabwehr-, Bodenabwehr-, Angriffs- und U-Boot-Abwehrraketen entwickelt. Das Besondere ist die Modularität sowie die große Zahl bereits integrierter Flugkörper. Dadurch kann jede MK 41-Zelle jeden integrierten Flugkörper abfeuern, wodurch die Flexibilität erhöht wird. Die für die deutschen Fregatten F126 vorgesehenen MK 41 werden jeweils über acht Zellen verfügen. Beim MK 41 VLS handelt es sich um ein kampferprobtes System. Es wird bereits in über 150 Schiffen weltweit eingesetzt. Die Evolved Sea Sparrow Missile (ESSM) ist eine in internationaler Zusammenarbeit entwickelte Weiterentwicklung des RIM-7 Seasparrow Lenkflugkörpers. Er wurde von der U.S. Navy und neun weiteren Mitgliedsstaaten des NATO Sea Sparrow-Konsortiums entwickelt und bietet neue Fähigkeiten zur Abwehr von Schiffsraketen. Zu den Mitgliedern des Konsortiums gehören Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Kanada, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Spanien, Türkei und die USA. Damen Naval baut die vier Fregatten der F126-Klasse zusammen mit Blohm+Voss und Thales. Damen Naval wurde nach einem mehrjährigen europäischen Ausschreibungsverfahren im Jahr 2020 als erfolgreicher Bieter ausgewählt. Das erste Schiff wird voraussichtlich im Jahr 2028 an die Deutsche Marine ausgeliefert. Alle Bauarbeiten werden in Deutschland auf Werften in Kiel, Hamburg und Wolgast durchgeführt.

Die 50 Geparden bei KMW

(BS/df) Aus den Gepard-Beständen, die Krauss-Maffei Wegmann (KMW) seinerzeit von der Bundeswehr zurückkaufte, um sie für den Export aufzufrischen, stehen beim Unternehmen noch rund 50 Stück bereit zum Verkauf, konnte der Behörden Spiegel von KMW erfahren. Für die Bundeswehr wäre eine Wiedereinführung des Flak-Panzers zwar nicht interessant, sie wären allerdings durchaus für den Export an die Ukraine geeignet. Aktuell nutzen unter anderem Rumänien, Brasilien und Katar die Luftverteidigungssysteme, die nach dem Ende des Kalten Krieges bis 2010 aus der Bundeswehr ausgephast wurden.

USA benötigen mehr Eisbrecher

(BS/df) Der Klimawandel sorgt zwar einerseits dafür, dass die Nordmeere mehr Monate im Jahr passierbar werden, andererseits hat dies auch zu einem erhöhten Interesse an der arktischen Region seitens Chinas und Russlands geführt. Neben Handelsrouten und dem kommerziellen Fischfang werden noch wertvolle Mineralien und bis zu 90 Milliarden Barrel nicht erschlossenes Öl in der Region vermutet. Dabei sind die Gewässer des High North keineswegs eisfrei, wer dort agieren will braucht Eisbrecher. Aktuell besitzt die U.S. Navy allerdings keinen einzigen und die U.S. Coast Guard nur zwei einsatzbereite Eisbrecher. “Strategisch gesehen bieten Eisbrecher eine dauerhafte Präsenz, die von nichts anderem in der maritimen Region erreicht wird”, sagte Randy Kee, der als geschäftsführender Direktor des Ted Stevens Center for Arctic Security Studies tätig ist. “Denken Sie daran, dass die Arktis eine maritime Region ist, und das Eisbrechen bietet Ihnen das ganze Jahr über die Möglichkeit, in die Region zu gehen.” Derzeit seien sechs neue Eisbrecher, die in der Arktis eingesetzt werden könnten, zur Verstärkung der Eisbrecherflotte der Küstenwache genehmigt, sagte Kee. Bezüglich der gestiegenen Anzahl an russischen Eisbrechern in der Region erläuterte Kee, dass diese zwar ebenfalls zur Aufrechterhaltung einer souveränen Präsenz vor Ort seien, sich gleichzeitig aber auch viele russische Gemeinden an der Küste des arktischen Ozeans befänden. Kee erläuterte: “Sie nutzen sie auch für die logistische Unterstützung ihrer nördlichen Gemeinden, weil sie keine andere Möglichkeit haben, die Produkte zu diesen Gemeinden zu bringen.”

März 2020 – Nullpatient steckt sich mit einem für viele Menschen bis dato unbekannten Virus an. Die ersten Infektionszahlen weltweit steigen, Fotos aus überlasteten Krankenhäusern haben eine erhebliche mediale Präsenz – der erste Lockdown kommt. Für viele ist diese Zeit die ungewöhnlichste überhaupt. Auch für Harun Sekman, der seit 2008 in der Pflege tätig ist. Seine erste berufliche Station führt ihn nach dem Abitur im Jahre 2008 ins evangelische Klinikum nach Duisburg. Dort fängt er mit seiner Ausbildung an. Damals noch waren es verschiedene Krankenhäuser, in denen er eingesetzt wurde. Nach der Ausbildung im Jahr 2011 wechselt der gebürtige Duisburger ins Universitätsklinikum Essen, vertieft seine Kenntnisse im Bereich der Kardiologie und beschäftigt sich zunächst mit Patienten, die unter schweren Herzerkrankungen leiden. Anschließend wechselt er in die Zentrale Notaufnahme, wo er bis heute tätig ist. In der Notaufnahme macht er täglich ambulante Versorgungen bei Patienten, die akute Beschwerden haben, oder behandelt Patienten, die an anderen Kliniken nicht mehr versorgt werden, da sie spezielle therapeutische Behandlungen benötigen.

Der Schatten des Jahres 2007

Nach dem Abitur war Sekman sich sicher, dass er eine Ausbildung machen möchte, die zukunftssicher ist. Seine Entscheidung fiel schon damals auf ein Berufsfeld, wo er viel mit Menschen arbeiten kann. “Die Physiotherapie-Ausbildung war zu Beginn ein Wunsch, den ich mir aber aufgrund zu hoher Kosten nicht hätte leisten können.” Die Art der Ausbildung sei so geformt, dass man während der Ausbildung nichts verdient und gleichzeitig dafür zahlen müsse. “Mit Anfang 20 Schulden in Höhe von knapp 18.000 Euro zu haben, daran wollte ich nicht mal denken." Damals standen ihm nur zwei Schulen zur Auswahl, die staatlich gefördert wurden, sodass er nichts für die Ausbildung hätte bezahlen müssen. Verdient hätte er aber auch in dieser Zeit kein Geld. Vieles drehte sich um die Kosten und Gebührenfrage, was auch damit zusammenhing, dass 2007, genau ein Jahr vor dem Beenden seines Abiturs, die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit begann. Zwar war die Kostenfrage im Gesundheitswesen auch vor der Krise entscheidend, da die Ausbildung zum Physiotherapeuten schon immer selbst bezahlt werden musste. Die Krise hatte die Situation aber für viele verschärft. In dieser Zeit sind viele Menschen aus seinem Umfeld in Kurzarbeit geraten. “Gerade ältere Menschen, die in den Duisburger Stahlindustrien gearbeitet hatten, und bis dato keine Geldsorgen hatten, hatten plötzlich Angst vor der Zukunft. Das macht was mit einem” sagt der Sohn türkischer Eltern. Die Krise hatte die Grundpfeiler des westlichen Finanzsystems erschüttert. Auch hier in Deutschland. Für Sekman war damals klar, dass er einen Beruf erlernen muss, der zukunftssicher ist. Gleichzeitig sollte ihm mit der Berufswahl auch die Sicherheit geboten werden, im hohen Alter nicht plötzlich in Kurzarbeit gehen oder gar eine abrupte Kündigung befürchten zu müssen. Die Physiotherapie-Ausbildung war ein Wunsch, die Umstände zur damaligen Zeit haben ihn aber letztlich in die Pflege gebracht: “Ich bin auch sehr froh darum, da es einer der schönsten Berufe ist, die man machen kann.”

Die richtige Entscheidung trotz Überlastung

Trotz Überlastung der Kliniken und Krankenhäuser aufgrund fehlenden Personals war die Aus-

Notruf: “Bitte keinen Applaus!”

Harun Sekman: Notfallpfleger am Universitätsklinikum Essen

(BS/Büsra Tasdemir) Die Pandemie hat die Bedeutsamkeit vieler Berufe stark hervorgehoben. Systemrelevante Berufe, hieß es, bezogen sich gerade auf die Berufsfelder in den Kliniken und Krankenhäusern. Zwar erweisen sich die Jobs in der Pflege aufgrund des Personalmangels als krisensicher, haben jedoch seit Ausbruch der Pandemie einen erheblichen Imageschaden erlitten.

Seit elf Jahren ist Harun Sekman in der zentralen Notaufnahme tätig. Er ist Krankenpfleger mit Fachweiterbildung Notfallpflege.

Fotos: BS/Büsra Tasdemir

Im Schockraum: Mit dem mechanischen Reanimationsarm werden Kompressionen des Brustkorbs durchgeführt.

bildung in der Pflege die richtige. Man sei nah an Schicksalsschlägen, sagt der 34-Jährige. Besonders wenn man in der Notaufnahme arbeite. Wenn Patienten mit Beschwerden zur Notaufnahme kämen, erfahre man viel über die Menschen selbst und ihren (Berufs-)Alltag. Doch im Laufe der Zeit stellt er auch immer wieder fest, dass die Menschen nicht einfach nur krank sind und eine Beschwerde haben, sondern viele weitere Begleiterkrankungen mitbringen. “Wir haben oft Patienten, die aufgrund eines Herzinfarkts zur Notaufnahme kommen und zudem auch weitere schwere Grunderkrankungen haben. Das nennt man in der Medizin Multimorbidität”, erklärt Sekman. Dies sei die eigentliche Herausforderung in der modernen Zeit. Viele multimorbide Patienten, die zudem adipös seien, müssten oft durch einzelne Pflegekräfte versorgt werden. Andere Mitarbeiter um Hilfe zu bitten, bringe häufig nichts, da sie in der Notaufnahme zu jeder Zeit alle Hände voll zu tun hätten. Für Sekman sind diese Schichten häufig die anstrengendsten: “Nach der Schicht – egal zu welcher Zeit – ziehe ich mich für eine Stunde zurück, um körperlich und mental runterzukommen.” Diese Art der Belastung ist die eine Sache, die Schichtarbeit eine andere. Da bleibt nicht viel Zeit für die Familie. Für jemanden wie Sekman, der verheiratet ist und viel Zeit mit seiner Frau und seinen zwei älteren Geschwistern verbringen möchte, fällt dies nicht immer leicht.

Umstrukturierung bei Pflegeberufen notwendig

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Pflege sei grundsätzlich gegeben, aber mit vielen Abstrichen, sagt Sekman. Aufgrund fehlender Pflegekräfte sei jeder Pfleger dazu verpflichtet, einzuspringen. Die diskontinuierlichen Schichtpläne gäben noch mal die “Extra-Portion Chaos”. “Wenn es kontinuierliche Schichtpläne gäbe, würde nicht das komplette Chaos herrschen. Wenn man in einer Schicht arbeiten könnte, wäre der Beruf der Pflege unter diesem Aspekt familienfreundlich. Da es aber aktuell nicht der Fall ist, ist es nicht unbedingt vereinbar.” Notruf aus der Krankenpflege: Keinen Applaus mehr!

Seit Ausbruch der Pandemie und im ersten Lockdown haben sich viele Menschen solidarisch mit den Mitarbeitenden im Gesundheitswesen gezeigt. Es wurde viel applaudiert und Mut zugesprochen. Diese Geste von den Bürgern wurde von vielen Menschen aus der Pflege sehr geschätzt, auch von Sekman. “Diese Geste kann ich aber nur von der Bevölkerung akzeptieren. Von der Politik erwarte ich eine andere Geste. Eine monetäre Geste. Menschen, die im Öffentlichen Dienst arbeiten und systemrelevante Berufe ausüben, haben alles dafür getan, um das Gesundheitssystem in dieser schwierigen Phase aufrechtzuerhalten. Eine besondere Wertschätzung hätte ich mir gewünscht. Besondere Versicherungsmöglichkeiten und bessere Arbeitszeiten waren das, was ich von politischen Entscheidungsträgern erwarten habe”, sagt er entschlossen. Letzteres ist aufgrund des großen Personalmangels allerdings nicht möglich. “Ein Teufelskreis”, fügt Sekman hinzu.

Pflegeberuf attraktiver gestalten

Es müssten mehr junge Menschen für die Pflegearbeit mobilisiert werden. Denn die allgemeine Annahme in der Öffentlichkeit bestünde darin, dass für die besondere Leistung im Gesundheitswesen ein hoher Arbeitsaufwand für sehr wenig Geld erbracht werden müsse. Dies habe sich mittlerweile verbessert management-Fachkraft gemacht, bei der man beim Aufbau und der Pflege eines prozessorientierten Qualitätsmanagementsystems mitwirkt bzw. die Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen in medizinischen Einrichtungen zusammenfasst. Zuletzt hat er sich zum QualitätsmanagementAuditor weitergebildet und an der Hochschule für Gesundheit in Bochum “Gesundheit und Sozialraum” studiert. Für die Zulassung des Studiengangs war es nicht erforderlich, Pfleger zu sein. Aber eine abgeschlossene Ausbildung im Gesundheitswesen allgemein sei eine Voraussetzung gewesen. Abschließende Worte

Die extrakorporale Membranoxygenierung (kurz: ECMO) ist eine künstliche Lunge. Für Patienten mit schwerem Corona-Verlauf, verbunden mit einer Lungenentzündung, ist sie der letzte Ausweg.

und müsse an die Öffentlichkeit getragen werden. Dieser Eindruck wurde in der Pandemie noch weiter bestärkt, da Pflegekräfte allein gelassen und auf sich selbst gestellt waren. “Wir mussten nur funktionieren, und das geht so nicht”, sagt Sekman entschlossen. Die zu wenigen Isolierungsmöglichkeiten, Isolierungskittel, der Maskenskandal, fehlende Kommunikation und die gesonderten Arbeitsregelungen für Pflegekräfte nach einer Infektion habe er nicht verstanden. Wenn es darum gehe, die Pflegeberufe für junge Leute attraktiver zu machen, müsse man zunächst aus dem klischeehaften Glauben herauskommen, dass man den Pflegejob aus Nächstenliebe mache. Heutzutage übten die meisten Menschen den Pflegeberuf aus, weil der Berufsstand mittlerweile höchst spezialisiert sei und man nebenher auch die Möglichkeit habe, sich weiterzubilden. Die Spezialisierung kann sich auf alle medizinischen Bereiche beziehen, je nachdem, wo die Interessen liegen: Chirurgie, Kardiologie, Neurochirurgie und vieles mehr. “Damit sind Pflegekräfte nicht einfach nur Pflegekräfte. Es wird unterschieden zwischen Intensivpflege, Notfallpflege oder Pflege für die Dialyse. Heutzutage ist alles viel professioneller, spezieller und komplexer. Man lernt viel mehr als zuvor. Die Pflege, wie sie vor Jahren geformt war, ist im Kern nicht mehr so aufgestellt. Das kommt in der Öffentlichkeit nicht so an” meint Sekman. Über die Veränderung der Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung müsse nicht viel gesagt werden, das werde seit Jahren gefordert.

Weiterbildung ist wichtig

Viele Arbeitsbereiche bieten die Möglichkeit zur Weiterbildung an. So ist es auch in der Pflege, was man nutzen sollte. Auch Sekman nutzt viele Möglichkeiten der Weiterbildung an der Uniklinik Essen und auch privat aus. Bisher hat er eine Weiterbildung zur Notfallpflege und zur QualitätsSekman hat den Eindruck, dass die Enttäuschung in den letzten Monaten im gesamten Gesundheitssystem zugenommen habe. In der öffentlichen Diskussion sei immer nur die Rede von Pflegekräften, dabei würden medizinische Fachangestellte, medizinische Laborassistenten, Röntgenassistenten, Ärzte, Sekretäre und Reinigungskräfte oft vergessen. Sie alle hätten in einer Zeit, die von Ungewissheit geprägt gewesen sei, gearbeitet und das Rad am Laufen gehalten. Dabei sei es für alle Beschäftigten eine erhebliche Belastung gewesen, ständig unter diesen Kitteln zu arbeiten. Der Glaube, ständig nur funktionieren zu müssen, habe sich bei vielen während der Pandemie bestätigt. Der Pflegeberuf ist, wie erwähnt, einer der schönsten Berufe für Sekman. Die vielen Möglichkeiten einer Spezialisierung, Fortbildungen, die Tarifbeschäftigung, die besondere Nähe zu Menschen, die man im Laufe der Zeit erfahre, die Berufshighlights mit speziellen Patienten, die nicht so schnell in Vergessenheit gerieten, seien nur einige der Dinge, die den Beruf schöner gestalteten. Doch die geringe Unterstützung und das falsche Signal von politischen Entscheidungsträgern in einer Zeit der Krise hätten viele Kollegen im Dienst nicht einfach wegstecken können. Sekman auch nicht.

Auf dem Weg zum Smart Hospital

(BS/bt). Die Essener Universitätsmedizin umfasst das Universitätsklinikum Essen sowie 15 Tochterunternehmen, darunter die Ruhrlandklinik, die Herzchirurgie Huttrop und das Westdeutsche Protonentherapiezentrum Essen. Sie ist mit etwa 1.700 Betten das führende GesundheitsKompetenzzentrum des Ruhrgebiets, seit 2015 auf dem Weg zum Smart Hospital und begreift die Digitalisierung als einmalige Chance, das “Krankenhaus der Zukunft” zu gestalten. Die Idee des vernetzten “Smart Hospital” umfasst dabei sämtliche Bereiche und ist als unternehmerische Strategie Grundlage aller Entscheidungen, von Investitionen in medizinische Geräte, den Aufbau der notwendigen IT-Infrastruktur bis hin z.B.rufungen und Personalentscheidungen. Die Transformation verfolgt dabei ein klares Ziel mit zwei zentralen Grundsätzen: Dem Wohl der Patientinnen und Patienten zu dienen, ihre Heilung zu fördern, und schnellen Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen zu ermöglichen und verbesserte Arbeitsbedingungen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, besonders für die Pflegekräfte, zu schaffen. Ein erster Schritt dahin ist der Beitritt zum Medizininformatik-Verbund “SMITH”. Damit setzt sie auf eine zunehmende IT-Durchdringung und die Einführung der elektronischen Patientenakte. So sollen Ressourcen effizienter genutzt und die Behandlung von Patienten verbessert werden. Grundsätzlich geht im Gesundheitssektor der Trend verstärkt in Richtung vernetzter Strukturen und mobiler Endgeräte. IT-Infrastrukturen, IT-Sicherheit und Datenschutz gewinnen mehr an Bedeutung; deswegen steht die Einrichtung einer übergreifenden Abteilung für IT-Sicherheit auf der Agenda der Universitätsmedizin Essen. Die Digitalisierung ermöglicht die Optimierung von Interdisziplinarität und stellt die ideale Verknüpfung zentraler medizinischer Bereiche mit den Fachkliniken her.

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