Behörden Spiegel März 2022

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Wehrtechnik

Behörden Spiegel / März 2022

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orauf der Inspekteur sich bezieht, ist die unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg begonnene “Ausrichtung auf den Einsatz”, die im Grunde eine Reduzierung der Bundeswehr auf das als absolutes Minimum empfundene Maß – und noch ein wenig darunter – bedeutete. “Schlanker und einsatzorienter” sollte die Bundeswehr nach den Wünschen zu Guttenbergs werden, mit schnell verlegefähigen, kleineren Verbänden. Wenn allerdings nur noch kleine Einheiten zu versorgen sind, geht die entsprechende Fähigkeit für die Großverbände verloren. Zumindest, wenn sie sich nicht in der heimischen Kaserne befinden. Darunter leidet auch der Host Nation Support (siehe hierzu den Artikel “Hürden der Verlegefähigkeit” auf Seite 56).

Schleichende Steigerung der Defizite Diese Erkenntnisse sind allerdings nichts Neues. Sie waren auch Generalleutnant Mais, der seit zwei Jahren Inspekteur Heer ist, bekannt. “Wir haben es alle kommen sehen und waren nicht in der Lage, mit unseren Argumenten durchzudringen, die Folgerungen aus der Krim-Annexion zu ziehen und umzusetzen”, schreibt Generalleutnant Mais. Noch sei das NATO-Territorium seiner Einschätzung nach nicht direkt bedroht, aber “die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitiert”. Generalleutnant Mais fordert dementsprechend: “Wann, wenn nicht jetzt ist der Zeitpunkt, den Afghanistaneinsatz strukturell und materiell hinter uns zu lassen und uns neu aufzustellen? Sonst werden wir unseren verfassungsmäßigen Auftrag und unsere Bündnisverpflichtungen nicht

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o verkündete das BMVg bereits vier Tage nach der russischen Invasion: “Die Bundesregierung hat aufgrund der aktuellen sicherheitspolitischen Lage und in enger Abstimmung mit der slowakischen Regierung und weiteren Partnern entschieden, sich im Rahmen der NATO bei der Aufstellung einer “enhanced Vigilance Activity Battlegroup” in der Slowakei zu engagieren. Die Bundesministerin der Verteidigung hat sich hierzu am 25. Februar 2022 intensiv mit ihrem slowakischen und niederländischen Amtskollegen ausgetauscht.” Die Slowakei war im Zuge der zweiten NATO-Osterweiterung 2004 gemeinsam mit Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien und Slowenien der NATO beigetreten und kann sich somit auf den Schutz des Bündnisses gegen den russischen Aggressor verlassen. Der deutsche Beitrag für die neue enhanced Vigilance Activity (eVA) Battlegroup soll aus Infanteriekräften des Heeres in Kompaniestärke bestehen, die unter Beteiligung weiterer Partner bis April 2022 zu einem gemischten Kampftruppen-Bataillon verstärkt werden sollen. Hinzu kommen Luftverteidigungssysteme Patriot.

Deutsche Luftwaffe verstärkt Kontingent in Rumänien Auch das deutsche Engagement beim Air Policing in Rumänien wird sowohl ausgeweitet als auch verlängert. Ursprünglich sollten sich drei deutsche Eurofighter vom 21. Februar bis zum 3. März am “enhanced Air Policing South” (eAPS) in Rumänien beteiligen. Bereits Mitte Februar wurde der Beginn vorgezogen, die drei Eurofighter landeten am 17. Februar am Zielflughafen. Nun

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Die Einsatzbereitschaft des Heeres Wiederherstellung verlorener Fähigkeiten (BS/Dorothee Frank) “Du wachst morgens auf und stellst fest: Es herrscht Krieg in Europa”, sagte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, kurz nach der russischen Invasion der Ukraine mittels seines LinkedIn-Accounts. “Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.” mit Aussicht auf Erfolg umsetzen können.” Deutschland bräuchte nun eigentlich eine starke Bundeswehr, deren Rückgrat schon immer das Heer, die “Boots on the Ground” waren. Nur stehe dieses nach viel zu vielen Sparrunden aktuell blank da. Ein Zustand, über den sich Generalleutnant Mais in Verbindung mit der mangelnden Reaktion auf die Annexion der Krim Luft machte: “Das fühlt sich nicht gut an! Ich bin angefressen!”

Fähigkeiten der Luftverteidigung Diese Botschaft wurde augenscheinlich von der Bundesregierung erhört, weshalb der Bundeswehr in diesem Jahr 100 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen sollen. Dank dieser zusätzlichen Investitionen in die Bundeswehr kann der Inspekteur Heer nun Zeichen setzen. So ließe sich die Qualifizierte Fliegerabwehr realisieren, die bereits von seinem Vorgänger, General Jörg Vollmer, als priorisiertes Vorhaben bezeichnet wurde, danach in der Folge von Sparzwängen allerdings nur in einer homöopathischen Menge für die VJTF 2023 unter Vertrag ging. Die Rede ist von den Protector RS4 Waffenstationen von Kongsberg auf dem Boxer. Im Rahmen der Qualifizierten Fliegerabwehr gingen im Dezember 2019 zehn Protector RS4 Counter UAS Systeme auf Boxer-Basis unter Vertrag, die sich aktuell in der Auslieferung

Landes- und Bündnisverteidigung gegen hochwertige Gegner bestehen zu können.

Ausrichtung des Heeres Mit der Entscheidung, ob ein zweites Los Puma geordert wird oder weitere Varianten des Boxers zur Ausstattung von Mittleren Kräften unter Vertrag gehen, wird der Inspekteur Heer die Ausrichtung seiner Teilstreitkraft für die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Diese Entscheidung lässt sich dann auch nicht mehr rückgängig machen, weil je nach Entscheidung die Kapazitäten in der Industrie verlagert werden und dann in einem Jahr eben nur noch Schützenpanzer oder nur noch Boxer produziert werden können. Die Frage, ob Mittlere Kräfte tatsächlich zur “Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank Landes- und Bündnisverteidida”, sagte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, zum aktu- gung ausreichend sind, hat also ellen Zustand seiner Teilstreitkraft. Foto: BS/Bundeswehr eine Tragweite wie seinerzeit die Ausrichtung auf den Einsatz. Innerhalb des Teilprojektes 1 Ebenfalls fertig aus der Schubbefinden. Im Dezember 2021 folgte ein Vertrag über zwei Nach- “Erstbefähigung Land” stand lade könnte zudem der Kampfweismuster für das deutsche die Beschaffung von Fahrzeu- hubschrauber Tiger mit Mk3 in Programm “Joint Fire Support gen zum Schutz vor Feuerwaf- die Kampfwertanpassung gehen, Team, schwer” (JFSTsw). fen, Lenkflugkörpern, Rake- so denn das Heer KampfhubParallel zur Fliegerabwehr ten, Marschflugkörpern und schrauber im Portfolio der Multi wurde das Programm Nah- und unbemannten Fluggeräten an. Domain Battle halten will. Auch Nächstbereichsschutz (NNbS) Vorgesehen ist ein Umfang von hier kann der Inspekteur Zeichen der Luftwaffe aufgesetzt. Mit vier Feuereinheiten, die Aus- setzen, in welche Richtung sich NNbS soll die entsprechende schreibung ist für dieses Jahr die Kampfkraft der Bundeswehr Fähigkeitslücke in der mobilen vorgesehen. Das gewissermaßen entwickeln soll – und welche InLuftverteidigung geschlossen designierte System ist IRIS-T SL. dustrien das Kommando Heer werden, die sich nach dem Kal- Mit den vier geplanten Feuer- dabei als besonders vertrauensten Krieg durch das Ausphasen einheiten würde der Schutz von würdig ansieht. der Systeme und Fähigkeiten drei Brigaden und Divisionstrupvor allem aus dem Heer ergab. pen einer Division möglich, so Dringendster Beschaffungsbedarf Das Projekt wurde in mehre- die Einschätzung der Bundesren durchführbaren Phasen ge- wehr. Der Auftrag ließe sich also Bei all diesen Großprojekten ausweiten, um im Rahmen der darf allerdings nicht vergessen plant.

Deutsche Unterstützung der NATO Verstärkungen der Ostflanke (BS) Der russische Angriff auf die Ukraine hat alle umliegenden Staaten in Alarmbereitschaft versetzt. Darunter sind auch etliche NATO-Nationen, die das Bündnis um Hilfe baten, um gegen ein weiteres Vordringen russischer Truppen gewappnet zu sein. Alle NATO-Staaten reagierten schnell und schickten zusätzliche Truppen in die bedrohten Länder – darunter auch Deutschland. verlängerte die Ministerin sowohl den Zeitraum – die Eurofighter sollen mindestens bis Ende März in Rumänien bleiben – als auch die Anzahl der Maschinen. Bis zu sechs Eurofighter werde die Luftwaffe stellen, meldete das BMVg. Das eAPS ist eine kollektiv-defensive Maßnahme der Allianz zum Schutz der Integrität des südlichen NATO-Luftraumes. Hierzu sind Kampfflugzeuge der Bündnisnationen in wechselnden Rotationen auf dem rumänischen Luftwaffenstützpunkt “Mihael Kogalniceanu” in der Nähe der Stadt Konstanza am Schwarzen Meer stationiert. Das deutsche Kontingent aus dem Taktischen Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg an der Donau wird dabei weitestgehend in das bereits vor Ort befindliche italienische Kontingent integriert. Die deutschen Soldatinnen und Soldaten unterstützen den “Quick Reaction Alert” (QRA) der NATO. Darüber hinaus sollen durch den Einsatz Verfahren und Konzepte gemeinsam mit den Verbündeten geübt und standardisiert werden. “Unser Beitrag im Rahmen des eAPS ist langfristig geplant, eine erste Teilnahme an eAPS erfolgte bereits 2021 gemeinsam mit der Royal Air Force”, berichtete ein Sprecher der Luftwaffe gegenüber dem Behörden Spiegel und ergänzte zum weiteren deutschen Engagement zum Schutz des NATO-Luftraums: “Die erneute Teilnahme am verstärkten Air Policing im Baltikum (VAPB) ist,

werden, dass am dringendsten Munition und Ersatzteile zu beschaffen sind. Die Liste ist lang, da in der Vergangenheit oft an der Munition gespart wurde, weil dies in Friedenszeiten weniger auffällt als nicht vorhandene Panzer oder Flugzeuge, vor allem wenn große Teile der Ausbildung in der Simulation stattfinden können. Der Klarstand ist bei vielen Systemen weder ausreichend noch im Rahmen der Landesund Bündnisverteidigung hinnehmbar. Ein Großteil der zur Verfügung stehenden 100 Milliarden müssten also in Ersatzteile, Wartungsfähigkeiten und Modernisierungen von vorhandenen Systemen fließen. So sind beispielsweise der Klarstand der vorhandenen Seefernaufklärer oder der Zustand der vorhandenen Transporthubschrauber CH-53G so ungenügend, dass kaum auf den Zulauf der neuen amerikanischen Systeme gewartet werden kann. Es gilt, die Jahre bis zur Lieferung der ersten P-8A Poseidon oder der ersten Schweren Transporthubschrauber zu überbrücken. Der Gegner wartet nicht. In die Digitalisierung der Landstreitkräfte müssten ebenfalls Milliarden investiert werden, um die Führungsfähigkeit in die moderne Zeit zu holen. Die aktuell vorhandenen, unsicheren und wenig performanten Funkgeräte genügen weder den Ansprüchen von noch den Anforderungen an die Bundeswehr. Der Reformbedarf ist also groß und für das BAAINBw wird es eine herausfordernde Aufgabe, die Flut an Anfragen in Beschaffungsprozesse und Verträge zu gießen. Durch die Steuerung der Vorhaben kann Generalleutnant Mais nun allerdings die Ausrichtung des Heeres für die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Die Politik scheint bereit, sehr viel mitzutragen.

trag, von denen das erste 2027 in Dienst gestellt werden soll. Am selben Tag wie die “Erfurt” lief auch das Flottendienstboot “Alster” aus dem Marinestützpunkt Eckernförde aus, um in der Ostsee die See- und Küstengebiete elektronisch zu überwachen. Der Inspekteur Marine, Vizeadmiral Jan C. Kaack, betonte: “Die Deutsche Marine, die Bundeswehr und das gesamte Bündnis brauchen jetzt ein gesichertes Lagebild. Dazu trägt die Marine neben anderen Aktivitäten auch mit der “Alster” bei.”

Deutsches Engagement mit Truppen

Deutschland verlegte zeitnah nach dem Angriff Luftverteidigungssysteme Patriot in die Slowakei. Foto: BS/Bundeswehr, Andreas Freude

ab August 2022, erneut für acht Monate am Stück – zweimal vier Monate als feststehender Zeitraum – geplant.”

Deutsche Verteidigung der NATO-Gewässer Neben Land- und Luftstreitkräften hat die Bundeswehr auch mehrere Marine-Einheiten zur Sicherung der NATO-Gebiete entsandt. So unterstützen drei Schiffe die Standing NATO Maritime Group 1 (SNMG 1) und die Standing NATO Maritime Group 2 (SNMG 2), hinzu kommt eine Aufklärungseinheit. Fünf Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine lief die Korvette “Erfurt” in Wilhelmshafen aus, um sich der SNMG 1 an-

zuschließen, dem Einsatzverband der NATO für den Nordatlantik. Zu diesem Verband gehört bereits der Einsatzgruppenversorger “Berlin”. Ursprünglich war die “Erfurt” für den UNIFIL-Einsatz im Mittelmeer vorgesehen, wurde aufgrund der aktuellen Lage allerdings zur SNMG 1 beordert. Sie wird nun vor allem die Nordund Ostsee sichern. Das Einsatzgebiet der SNMG 2 ist das Mittelmeer, zu der die deutsche Fregatte “Lübeck” seit Anfang Februar gehört. Zudem entsandte die Bundeswehr ein Flottendienstboot zur Überwachung der russischen Aktivitäten. Bei diesen Schiffen zur Nachrichtengewinnung und Aufklärung handelt es sich um

Einheiten des CIR, die von der Deutschen Marine betrieben werden. “Mit Systemen zur Detektion und Ortung von Signalen, Über- wie Unterwasser, können die drei Flottendienstboote einen wesentlichen Beitrag zur strategischen Informationsgewinnung leisten”, beschrieb die Deutsche Marine die Fähigkeiten. Allerdings wurden alle drei Boote noch zum Ende des Kalten Krieges in den Dienst gestellt, was bedeutet, dass sie den technologischen Stand der Vor-iPhone-Ära darstellen, daran können auch die zwischenzeitlich erfolgten Modernisierungen nichts ändern. Deshalb gingen im vergangenen Sommer neue Flottendienstboote unter Ver-

Deutschland beteiligt sich also nicht nur finanziell, sondern auch mit “Boots on the Ground” an der Verteidigung der NATO. So wies das BMVg ebenfalls auf das starke Engagement der Bundesregierung hin: “Deutschland ist aktuell mit 13.700 Soldatinnen und Soldaten ein wesentlicher Truppensteller der schnellen Eingreiftruppe der NATO (NATO Response Force – NRF). Etwa 900 Frauen und Männer stärken als Enhanced Forward Presence Battlegroup in Litauen unter deutscher Führung die Ostflanke. Die Bundeswehr ist einer der wesentlichen Truppensteller der NATO.” Es ist zwar sehr deutsch, immer die Verbesserungsmöglichkeiten zu sehen, das oft vor allem durch “Sicherheitsexperten” in den (Fernseh-)Medien transportierte Bild eines mangelnden Verteidigungswillens ist allerdings falsch. Besser geht es sicherlich immer, die deutschen Leistungen und die Geschwindigkeit, in der diese geleistet wurden, sind allerdings ebenfalls zu würdigen. Und zeigen, dass Deutschland bereitsteht, wenn es darauf ankommt.


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