Behörden Spiegel März 2022

Page 1

Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. III / 38. Jg / 11. Woche

Berlin und Bonn / März 2022

Keine Akzeptanz für Rechtsverstöße Joachim Herrmann über konsequente Strafverfolgung.......................................... Seite 49

Flüchtlinge in Kommunen

(BS/mj) In den Kommunen laufen die Vorbereitungen für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge auf Hochtouren, erklären die kommunalen Spitzenverbände und fordern eine schnelle und gerechte Verteilung der Geflüchteten durch Bund und Länder sowie einen engen Austausch zwischen allen Beteiligten. Zudem müsse man den Fokus auf die Unterbringung der Geflüchteten legen, so Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages (DLT), “sollten die Menschen nicht bei Freunden oder Verwandten unterkommen”. Laut Dr. Gerd Landsberg, DStGB-Hauptgeschäftsführer, muss man sich darauf einstellen, dass “dieser Prozess länger dauern wird. Diese Menschen werden nicht in wenigen Monaten zurückkönnen.” Er fordert Bund und Länder dazu auf, diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Aufnahme, die Versorgung und die Integration dieser Menschen, dauerhaft zu finanzieren.

www.behoerdenspiegel.de

Digitalisierung der Polizei

Notruf: “Bitte keinen Applaus!”

Dr. Sabine Sütterlin-Waack über Chancen in Schleswig-Holstein................................. Seite 52

Harun Sekman zu seiner Arbeit als Notfallpfleger ............................................ Seite 59

Einfach loslaufen

Neues Analysesystem in Bayern (BS/mfe) Bayerns Polizei erhält ein neues technisches System. Das Landeskriminalamt (LKA) hat den Zuschlag für das neue “Verfahrensübergreifende Recherche- und Analysesystem” (VeRA) erteilt. Vorausgegangen war eine europaweite Ausschreibung. Vor Einführung sollen aber sowohl die Software als auch der Quellcode zunächst durch ein unabhängiges deutsches Forschungsinstitut analysiert werden. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte: “Grundvoraussetzung für die Einführung der Software bei der Bayerischen Polizei ist, dass uns die Einhaltung der hohen Sicherheitsstandards zu 100 Prozent bestätigt wird.” Andernfalls werde das LKA vom Vertrag zurücktreten. Außerdem werde sich die Bayerische Polizei bei dem Projekt auch weiterhin eng mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz abstimmen.

G 1805

Auf dem Weg zu einem ermöglichenden, lernenden und digitalen Staat (BS/Jörn Fieseler) Krisen zwingen den Staat zum raschen Handeln. Das zeigt nicht nur der aktuelle Beschluss zum 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr im Zuge des Ukraine-Krieges (siehe unten und Seite 47), das zeigen auch die Herausforderungen der letzten Jahre. Doch während der Krisenmodus in seiner Kurzfristigkeit funktioniert, ist das alltägliche gesetzgeberische Agieren in der Kritik. Dabei könnte dieses mit einfachen Schritten verbessert werden. Zu Beginn der Corona-Pandemie waren sich die Vertreter von Bund und Ländern schnell einig. Ende Februar 2020 stiegen unter anderem im Landkreis Heinsberg die Infektionszahlen und weiteten sich rasant bundesweit aus. Nur drei Wochen später, am 16. März 2020, beschlossen Bundesregierung und Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) den ersten Lockdown. Doch je länger die Pandemie andauerte und je mehr der Krisenmodus zur “neuen Normalität” wurde, desto stärker geriet staatliches Handeln in die Kritik. Dabei wurde der Ruf nach bundeseinheitlichen Regelungen immer lauter. Trotzdem folgten einstimmig getroffenen Beschlüssen der MPK regionale Abweichungen durch die zweite Ebene des Staates: die Bundesländer. Und das nicht nur im Land des im letzten Jahr amtierenden Kanzlerkandidaten der CDU/CSU, Armin Laschet. Dabei wurde immer auf die regionalen Unterschiede verwiesen, die ein anderes staatliches Agieren rechtfertigen würden. Diese regionalen Unterschiede sind in anderen Bereichen per Gesetzgebungskompetenzen zementiert. Sei es im Vergaberecht, wo neben den Normen des Bundes 15 Landesvergabegesetze unterschiedlichen Inhalts existieren, sei es im Polizeibereich mit seinen 17 Polizeigesetzen oder im

Eine bessere Gesetzgebung ist schon mit wenigen Schritten, quasi über die Sprintdistanz, zu erreichen. Dafür muss man nicht auf den Startschuss warten, die Ministerialbeamten könnten jetzt schon loslaufen. Foto: BS/Petair, stock.adobe.com

Bildungsbereich mit 16 unterschiedlichen Bildungssystemen. Doch was folgt daraus? Alle Macht oder alle Kompetenzen dem Bund? Nein. Das lässt Artikel 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Artikel 70 GG nicht zu. Man könnte zwar überlegen, dass Grundgesetz in die Zeit zu stellen, doch haben die bisherigen Föderalismuskommissionen eines gezeigt: Solche Prozesse sind langwierig und bedürfen überwältigender Mehrheiten, so

dass am Ende Kompromisse beschlossen werden, die der Sache nicht unbedingt dienlich sind. Stattdessen braucht es ein neues System von Gesetzgebung. Ein besseres Vorgehen bei der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen, sowohl inhaltlich als auch organisatorisch. Eine Stelle muss künftig den Rahmen setzen oder Standards vorgeben. Während der Pandemie hat der Bund beispielsweise Vorgaben für einen stufenweisen Lockdown

aufgestellt. Werden verschiedene Inzidenzwerte erreicht, greift die nächste Stufe von Maßnahmen. Die Digitalisierung der Verwaltung und die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) mit dem “Einer-für-alle-Prinzip” (EfAPrinzip) sind hierfür ein weiteres positives Beispiel. Überhaupt stellt sich die Frage: Warum nicht das EfA-Prinzip auf andere Aspekte übertragen? Etwa auf das Beamtenrecht. Nach der Föderalismusreform I im Jahr

2006 haben die Länder das Beamtenrecht unterschiedlich ausgestaltet. Warum nicht das beste Landesbeamtengesetz küren und auf alle anderen oder möglichst viele Länder übertragen? Darüber hinaus ist auch die Erarbeitung eines Gesetzestextes neu zu organisieren. Anstatt einen schriftlichen Entwurf zu verfassen, der durch die Ressortabstimmung und – meist parallel durch die Verbändeanhörung – geht, wodurch schon früh um einzelne Formulierungen gerungen wird, sollte der Gesetzestext erst zu einem späteren Stadium erarbeitet werden. Zuerst sollten in Abstimmungsrunden Ziele definiert, aber Spielraum für die praktische Umsetzung belassen werden. Dabei ist der digitale Vollzug von Anfang an mitzudenken. Der zentrale Aspekt der Verwaltungsdigitalisierung “Form folgt Funktion” muss sich in jedem Gesetz wiederfinden. Für ein solches Vorgehen braucht es keine großen Änderungen. Dieser Ablauf entspricht dem Rahmen, den die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) bereits vorgibt und wie es Dr. Johannes Ludewig, ehemaliger Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates, bestätigt. Dafür braucht es nur ein bisschen Mut, auf diesem Weg voranzugehen und einfach loszulaufen.

Kommentar

Die Re-Positionierung des Zivilschutzes (BS) Was folgt auf das DopingPaket von 100 Mrd. plus zukünftig zwei Prozent des BIP für Verteidigung in Sachen Zivilschutz? Es bleibt bei vagen Forderungen und Überlegungen. Bis zur Wiedervereinigung galt der Zivilschutz als Appendix des Verteidigungsfalls. Den Ausgaben für die Bundeswehr folgten zwingend welche für den Zivilschutz. Der Friedensdividende zugunsten wurde ab Anfang der 90er-Jahre der Zivilschutz geopfert. Die Bundeswehr wurde reduziert und verkleinert, der Zivilschutz komplett aufgegeben. Stattdessen führte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily ein neues Konstrukt ein: Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Bis heute sind aber die Bereiche Verteidigung, Zivilschutz, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz (Letzteres ist Ländersache) nicht neu austariert und miteinander verknüpft

worden. Was ist also zu tun? Die Stärkung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ist sicherlich eine notwendige Maßnahme. Finanzielle Mittel sind das eine, ob jedoch die vom BBK für die mittelfristige Haushaltsplanung bis 2026 vorgeschlagenen über 1.000 Planstellen alle Probleme lösen werden, sei dahingestellt. Generell gilt für den gesamten Themenkomplex: Auf nicht resiliente und unharmonische Strukturen ein großes personelles und finanzielles Gebäude neu aufzusetzen, ist ein Risiko. Erst einmal sollten die vorhandenen Strukturen auf Basis einer womöglich auch veränderten grundgesetzlichen Zuständigkeit geregelt werden. Das bedeutet, dass für den Zivilschutz das BMI zuständig sein muss, dass aber auch das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Sachen Katastrophenschutz ge-

klärt werden muss. Schon die Flut zeigte, dass kommunale. Landes- und Kräfte des Bundes nicht ausreichend miteinander können. Von mangelnder technischer Resilienz der Ausstattung, Durchhaltefähigkeit der Kräfte und der Stäbe mal ganz zu schweigen. Im Anblick der Ukraine wird das Zivilschutz-Defizit ebenfalls klar: Keine Sirene kann eine Bevölkerung warnen, um in die nicht vorhandenen Schutzräume zu gehen. Ein Weißbuch zum Zivilschatz, besser zur zivilen Resilienz wäre wünschenswert: eine Bestandsaufnahme und ein Konzept für die Verzahnung von Heimatverteidigung (“Territorialkommunale Bundeswehr”), Zivil-, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. Das wäre der Re-Positionierung des Zivilschutzes angemessen! Uwe Proll

Sa sdorowje!


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.