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KOOPERATION Der ÖBRD setzt das RECCO-SAR-System bei der Suche nach Vermissten ein

Bergrettungspraxis im Wissenschafts-Check

TEXT DANIELA PFENNIG FOTOS MARKUS ISSER

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„Nach der ersten Publikation über die Rettungsdecke als Sonnenbrillenersatz ging es Schlag auf Schlag“, erinnert sich Markus Isser, Ausbildungsleiter Medizin der Bergrettung Tirol. Er ist zusammen mit Hannah Salchner und Wolfgang Lederer, Mediziner an der Innsbrucker Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin, und mit Unterstützung der Bergrettungslandesärzte Sepp Burger und Christian Hilkenmeier federführend bei den wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Die kreativen Ideen stammen meist von Markus Isser. Mittlerweile brennt der ursprüngliche Praktiker für die wissenschaftliche Untermauerung. Der Grund: „Selten setzt sich eine Rettungsorganisation wissenschaftlich mit Problemen auseinander. Meist wird nur das weitergegeben, was bisher funktioniert hat, aber manchmal gar nicht bewiesen ist. Wir haben in der Ausbildung selbst die Erfahrung gemacht, dass das den Teilnehmenden oft zu wenig ist. Das führt zu Diskussionen, weil sie etwas in der Hand haben wollen“, sagt er. Deshalb setzt die Tiroler Bergrettung auf wissenschaftliche Ergebnisse, an denen es nichts mehr zu rütteln gibt, weil diese durch standardisierte Tests belegt und von internationalen Fachleuten kritisch hinterfragt werden. Was die Tiroler Bergrettung davon hat? „Die wissenschaftliche Untermauerung in internationalen Top-Blättern ist für uns eine eindeutige Qualitätssicherung. Sie steigert den Wert unserer Rettungsorganisation, stärkt unser Auftreten und zeigt, dass wir uns auf professioneller Ebene mit Problemen auseinandersetzen. Damit entwickeln wir uns weiter und gleichzeitig tragen wir zur Weiterentwicklung der Alpin- und Höhenmedizin bei.“

Amerikanische „president page“ 2020 gelang dem Team um Markus Isser und Wolfgang Lederer etwas ganz Besonderes: Sie schafften es auf die „president page“ der American Heart Association (AHA), die für den gesamten amerikanischen Raum die Erste-Hilfe- und Reanimationsregeln festlegt. Eine einmalige Sache mit einem Riesenrenommee für die Tiroler Bergrettung. „Die Amerikaner werden wohl bei der nächsten Erstellung der Reanimationsrichtlinien unsere Idee berücksichtigen und unter Umständen könnte diese sogar Standard in der amerikanischen Versorgung werden“, freut sich der 48-Jährige. Die Idee: Bei der Reanimation wird eine dünne Folie zwischen Patient und Helfer gespannt. Der Hintergrund: Bei der Reanimation mit dem Beutel werden durch den Druck Tröpfchen in Aerosole verdünnt – ähnlich wie Dampf in der Dusche. So können sie länger in der Luft schweben und erhöhen das Risiko für die Helfenden, sich beispielsweise mit Covid-19 anzustecken, da gerade in Stresssituationen wesentliche Schutzvorkehrungen wie Masken verrutschen können.

Rettungsdecke als Universaltalent Die Rettungsdecke, die sich auch im Erste-Hilfe-Paket der Bergrettung Tirol befindet, ist ein Hilfsmittel, das sich die Tiroler Bergrettung genauer angesehen und gemeinsam mit der Abteilung für Anästhesie und Notfallmedizin der Universitätsklinik Innsbruck auf mögliche Anwendungen untersucht hat. Das Ergebnis: In mittlerweile fünf Publikationen, eine davon im Nature Science Journal, einer der weltweit am meisten zitierten interdisziplinären Fachzeitschriften, wurden folgende erstaunliche Erkenntnisse über die Rettungsdecke, die verpackt gerade einmal 7 x 10 Zentimeter groß und etwa 60 Gramm schwer ist, veröffentlicht. • Rettungsdecke als provisorische

Sonnenbrille

Die dünne Folie mit ihrer charakteristischen silber- und goldfarbenen

Oberfläche ist durchsichtig. Sie lässt etwa acht Prozent des sichtbaren

Lichts durch, filtert aber die grelle

Gletschersonne angenehm für das

Auge. Sie bietet also Schutz vor schädlicher ultravioletter Strahlung Dass Erste Hilfe keine „schwere Kost“ sein muss, zeigen Video-Tutorials, die Bergrettung und Alpenverein gemeinsam produziert haben. Sie vermitteln auf spielerische Weise und mit einem gewissen „Schmäh“, wie die Erstversorgung im Gelände unter Zeitdruck und mit wenig Material möglich ist. Am Projekt beteiligt war auch Markus Isser von der Bergrettung Tirol. Schwerpunkte der Video-Tutorials sind u.a. die Themen „Gefahrenbereich“, „Kreislaufversagen“, „Starke Blutung“, „Wärmeerhalt“, „Bodycheck“ und „Notruf/ Abtransport“. Abgerufen werden können die Videos unter www.sicheramberg. at und über den YouTube-Kanal des Alpenvereins. Auf Facebook sind sie außerdem mit englischen Untertiteln zu sehen, um auch nicht deutschsprachige Gäste, die in den heimischen Bergen unterwegs sind, zu erreichen.

und Schneeblindheit, wenn man Sonnencreme oder

Gletscherbrille vergessen hat. „Es macht keinen Unterschied, welche Seite der Folie außen getragen wird.

Aber: Solche Anwendungen sind nur behelfsmäßig, weil die Hersteller für solche Funktionen keine Garantie übernehmen“, betont Markus Isser. • Rettungsdecke zum Abbinden von Extremitäten

Mithilfe einer Rettungsdecke und mit einem Karabiner können stark blutende Extremitäten behelfsmäßig sehr gut und effektiv abgebunden werden. Eine weitere

Anwenderstudie zu diesem Thema wird gerade durchgeführt. • Rettungsdecke als Verband

Auch für die notfallmäßige Versorgung eines instabilen

Beckenbruchs, wie er zum Beispiel bei Spaltenstürzen oder beim Klettern immer wieder vorkommt, oder als

Verband bei einem Schlüsselbeinbruch kann die Rettungsdecke eingesetzt werden. Sie verringert Schmerzen wesentlich und steigert die Transportfähigkeit des

Verletzten. • Rettungsdecke als Trage

Zugtests zeigten, dass die Decken – je nach getestetem

Modell – erst bei einer Belastung von 270 bis 480 Kilogramm rissen. Das belegt die Verwendungsmöglichkeit als Tragering bzw. Tragerucksack, um Personen entweder liegend talwärts zu transportieren oder am Rücken. „Wesentlich ist dabei, dass die Decke unbeschädigt ist.

Gegenstände mit scharfen Rändern, Steine und Äste, aber auch Reißverschlüsse können die Folie zum Einreißen bringen“, gibt Markus Isser zu bedenken.

Fazit: Die Rettungsdecke sollte in keinem Erste-Hilfe-Set fehlen, weil sie viele Möglichkeiten zum Improvisieren bietet, dafür aber klein, handlich und leicht ist.

1 Tiroler Bergrettungsmitglieder bei einer Übung im Vorjahr im Jamtal.

Ihr Know-how fließt auch in Forschungsprojekte ein. 2 Patientenversorgung im Schutz des Wärmezelts.

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Wenn Social Media zum Bergunfall führt

Die Brücke über den Alelebach als Social-Media-Hotspot.

Eine Karawane illustrer Individuen schlängelt sich in Richtung Olpererhütte hinauf. Vom offensichtlichen, mit Seil und Pickel ausgerüsteten Alpinisten bis hin zu Jugendlichen, die dem Outfit nach besser an einen Strand passen würden als ins Hochgebirge, ist alles dabei. Wer es nicht weiß, wird nur den Kopf schütteln und sich wundern, wo zum Teufel diese Leute alle hinwollen.

TEXT ULLI HUBER FOTOS DOMINIC EBENBICHLER/TOURISMUSVERBAND MAYRHOFEN-HIPPACH, FRIEDRICH BÖHRINGER Das alles begann schleichend und stellte auch uns Einheimische erst oft vor ein Rätsel. Plötzlich wurden immer wieder Personen angetroffen, die im Spätherbst oder auch im Winter zum Schlegeis Stausee wollten und völlig überrascht davon waren, dass die Straße dorthin zwischen Oktober und Mai wegen Lawinengefahr gesperrt ist. Nach einer Übungstour über den Olperer-Nordgrat und anschließender Abfahrt mit den Tourenkski zum Schlegeis-Speicher trafen wir Anfang April dort Leute an, als wäre es eine Flaniermeile im Tal. Sogar ein Pärchen mit Kinderwagen war dabei. Damals führten wir dies auf den schneearmen Winter und die Unwissenheit über alpine Gefahren zurück. Doch langsam kristallisierte sich die Wahrheit hinter diesen Umständen heraus. „Wo geht’s denn hier zur Brücke?“ – „Komm ich mit dem Auto bis zur Brücke hin?“ – „Zur Brücke – das ist ja eh nur ein Spaziergang, oder?“ Gemeint ist die Brücke gleich hinter der Olpererhütte in Richtung Friesenberghaus. Ein Wegabschnitt, der Teil mehrerer mittlerweile mit Namen versehener Höhenwege ist – Berliner Höhenweg, Peter-Habeler-Runde, Via Venezia Alpina – oder einfach nur AV-Weg Nr. 526. Aber nicht nur Weitwanderer, sondern auch solche, die einfach eine schöne Tagestour vom Schlegeis-Speicher über Olpererhütte, Friesenberghaus und retour (oder in umgekehrter Richtung) machen wollen, kommen hier vorbei. Es ist also ein sehr viel frequentierter Wegabschnitt.

Brücke als Social-Media-Hotspot Der Alelebach hatte bei mehreren Unwettern recht tiefe Furchen in das lose Gestein gegraben. Aus diesem Grunde, und auch, um nicht jährlich immer wieder eine neue Bachquerung errichten zu müssen, wurde schließlich eine Hängebrücke gebaut. Die Brücke ist an und für sich unspektakulär. An der höchsten Stelle liegt der Bach nicht mehr als drei Meter darunter, auch ist sie nur ca. 20 Meter lang. Betrachtet man zum Beispiel die berühmten Hängebrücken in den Dolomiten, wie die Brücke am Abschluss des Pisciadu-Klettersteigs oder die Cristallo-Brücke im Ivano-Dibona-Klettersteig, dann weiß man, was spektakulär heißt. Letztere war unter anderem Kulisse des Films „Cliffhanger“. Aber es kommt, wie so oft, auf den Betrachtungswinkel an. Vom Berg her fotografiert, ohne den Bach mit aufs Bild zu nehmen, scheint die Brücke über den 600 Höhenmeter weiter unten gelegenen Stausee zu führen. Den Hintergrund bildet der nicht weniger atemberaubende, zentrale Abschnitt der Zillertaler Alpen – Möseler, Muttennock, Breitnock, Weißzint und schließlich auch der Hochfeiler. Ja, es ist ein schönes Stück Erde, auf alle Fälle ein Erinnerungsfoto wert. Aber dass es solche Ausmaße annimmt wie dieses Jahr, damit hat niemand gerechnet. Erfahrung und Kondition gefragt Im Zillertal und auch in unserem kleinen Bergsteigerdorf Ginzling sind wir einiges an Tourismus gewöhnt. Wobei es bei uns im Dorf im Winter sehr ruhig ist. Wir haben keine Skigebiete, keine Hütten, die im Winter geöffnet hätten, und ein recht anspruchsvolles Tourengelände, das sehr viel alpine Erfahrung und Kondition voraussetzt und daher im Vergleich zu anderen Regionen wenig besucht ist. Ganz konträr zum Sommer, wo ab Anfang Juni wieder der „Wahnsinn“ losgeht. Der Schlegeis-Speicher, an die 20 Hütten, Bikerouten, Höhenwege, zig 3000er, Boulder- und Sportklettergebiete – und die Brücke. Nach dem Corona-bedingten Lockdown wurde sehr schnell klar, dass es viele Touristen mangels anderer nach wie vor nicht erreichbarer Destinationen vermehrt in die Berge zieht. Durchs Dorf floss ein unaufhörlicher Strom an Autos taleinwärts. Es dauerte nicht lange, dann waren plötzlich täglich die Parkmöglichkeiten am Schlegeis-Speicher

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