Claudia Virginia Vitari | Le Città Invisibili

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CLAUDIA VIRGINIA VITARI | LE CITTÀ INVISIBILI

LE CITTÀ INVISIBILI: LA MASCHERA (DETAIL XAVI) | 2010-2011 | SIEBDRUCK AUF GLAS, GIPS, METALL | 50 x 50 x 50 cm


JUNI - JULI 2012 | SHOWPAPER #21

Wenn die Seele an Glastüren klopft Der Dialog mit der Psyche im Werk von Claudia Virginia Vitari

Wohlbekannt ist, wie der bekannte Carl Gustav Jung die ersten Gedanken zur Tiefenpsychologie ausgehend von der Analyse der schizophrenen Patienten entwickelte. Durch die psychoanalytische Beobachtung der Wahnvorstellungen von Patienten kam Jung zur Ausformulierung einiger seiner Grundtheorien; vorrangig und damals revolutionär, der Begriff der Seele. Diese Idee von der Seele, ausgehend vom Neoplatonismus, weiterentwickelt in der Renaissance und in den späten Theorien des Augustin, wurde im Laufe der Zeit ein zentrales Thema für viele Forscher der menschlichen Psyche, wie Marie Louise von Franz, Clarissa Pinkola Estès – um nur einige Persönlichkeiten zu nennen – und nicht zuletzt den vor kurzem verstorbenen James Hillman.

LE CITTÀ INVISIBILI: LA MASCHERA (oscar) | 2010-2011 | SIEBDRUCK AUF GLAS, GIPS, METALL | 50 x 50 x 50 cm

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern personalisiert Jung erstmals den Begriff der Seele: Die Seele ist jetzt Psyche, tief und wunderschön, welche die geistigen und imaginären Seiten der Menschen berücksichtigt, wie nie zuvor im Bereich der Psychoanalyse.

Man würde sagen, dass diese Auffassung der „Seele“ die Hauptrolle in Claudia Virginia Vitaris Projekt spielt. In diesen Werken, die aus einer fachlichen Beschäftigung mit dem Thema und einer intensiven Auseinansetzung vor Ort entstanden sind, wird das Thema der psychischen Erkrankung aus künstlerisch-akademischer bzw. technischer Perspektive und zugleich auf eine sehr direkte und menschliche Weise untersucht. Schweifend zwischen belesenen Zitaten von Foucault bis Goffman, sind die ausgestellten Werke gleichzeitig schön im Aussehen und tief in ihren Bedeutungen. Es gelingt ihnen, viele unterschiedliche Facetten durch ästhetisch angenehme, doch nie ausschließlich ästhetisierende Formen zu übermitteln. Genau deshalb stehen sie in perfekter Übereinstimmung mit der Natur der Psyche. Vitaris Werk ist auch deshalb so aktuell, weil Phänomene wie Depression, Panikattacken, Hypochondrie und andere Störungen heutzutage stark verbreitet sind. Beinahe scheint es, als würde durch diese Störungen die wahre Psyche einen Anspruch auf ein Zusammenleben mit uns und in unserem gesellschaftlichen Alltag erheben. Sie verweigert es, sich zu annullieren und sich an von uns passiv angenommene Sozialstrukturen, leblos wie tote und obsolete Metaphern, anzugleichen. In diesem Sinn untersucht Vitari in ihrem Werk die hauchdünne und labile Grenze zwischen psychischer Krankheit und Gesundheit, zwischen sozialer Maske und Seele.

Sie lässt die Seele zu Wort kommen. Vitari schafft einen vielschichtigen Kosmos voller Reflexionen und Zusammenhänge, Gesichter und Blicke. Eine Welt, die weit über die engen Grenzen der totalen Institutionen hinaus viel zu sagen und zu bezeugen hat. Jedes Werk ist ein kleiner offener Riss, ein Durchgang, eine Brücke oder eine Vision, die, die Persönlichkeit eines jeden Menschen hervorzuhebt, seinen individuellen, tiefen seelischen Baustein, jenseits jeder festgesetzten Form und Definition. Die Gesichter, in schweren Metallkästen gerahmt, drängen mit geschlossenen Augen aus ihren gläsernen Abgründen nach oben. Sie übermitteln die Idee, dass es sinnlos ist, die Seele einer Diagnose zu unterziehen, die lediglich der Klassifizierung und Wiedererkennung dient, die Seele selbst jedoch zum Schweigen bringt. Vielmehr lohnt sich, den Dialog aufzunehmen und sich aus der Intuition der menschlichen Psyche heraus und jenseits jedes Vorurteils zu verständigen. Dadurch können schließlich die Reichtümer der Psyche, die Wahrheit und die Schönheit, die sie seit jeher wie in einem heimlichen Schrein in sich birgt, verstanden werden.

Maria Cristina Strati

LE CITTÀ INVISIBILI: LA MASCHERA (detail dolors) | 2010-2011 | SIEBDRUCK AUF GLAS, GIPS, METALL | 50 x 50 x 50 cm

Seelen, die an Glastüren klopfen, die aus der Tiefe des Unbewussten auftauchen und zum Licht drängen, um die Klischees und gesellschaftlichen Konditionierungen, in denen sie gefangen sind, zu überwinden. Dies ist das erste Bild, das einem in den Sinn kommt, um die Werke von Claudia Virginia Vitari zu interpretieren, die mit Zärtlichkeit und großer Sorgfalt das Thema psychischen Erkrankungen untersucht.


LE CITTÀ INVISIBILI: LA MASCHERA (DETAIL almudena) | 2010-2011 | SIEBDRUCK AUF GLAS, GIPS, METALL | 50 x 50 x 50 cm


claudia vitari | statement Seit meinem Studium an der Universität Burg Giebichenstein in Halle an der Saale, liegt der Fokus meiner künstlerischen Recherche auf der Untersuchung des Verhältnisses zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Ich suche nach Lebensgeschichten von Persönlichkeiten, die am Rande unserer Gesellschaft stehen, und gebe ihnen eine Stimme. Im Laufe von Monaten, manchmal Jahren, sammle ich verschiedenartiges Material: Interviews, Zeichnungen, Mitschriften von Gesprächen, Zitate. Mein jeweiliges Thema beleuchte ich unter unterschiedlichen Gesichtspunkten, wobei an erster und zentraler Stelle der Dialog mit den Betroffenen selbst steht, ergänzt um das Hinzuziehen von Fachliteratur ebenso wie themenverwandter Filme und Belletristik. Dieses Vorgehen ist sehr wichtig für mein eigenes tiefer gehendes Verständnis sowie für das Schlagen einer Brücke zum Betrachter. Anschließend dokumentiere ich die Geschichte jedes Einzelnen. Ich interviewe die Personen, bitte sie um eine Beschreibung ihrer selbst und beschreibe sie gleichzeitig durch Porträts. Der Schaffensprozess wird zu einem Kommunikationsmittel, um Einzelheiten zum Ausdruck zu bringen.

LE CITTÀ INVISIBILI: LA MASCHERA (Gorka) | 2010-2011 | SIEBDRUCK AUF GLAS, GIPS, METALL | 50 x 50 x 50 cm

Das, woran sich die Menschen auf historischer, soziologischer und wissenschaftlicher Ebene normalerweise erinnern, ist eine bestimmte Art des Allgemeinwis-

sens. Doch mein Anliegen ist es, über das Unsichtbare zu sprechen: Individuelle Erinnerungen und persönliche Lebenserfahrungen, die ein umfassenderer Bild unserer Gesellschaft geben. Es geht dabei um Geschichten, die sich innerhalb unserer Städte verstecken. Es sind gleichzeitig Realitäten, die als Produkt der Gesellschaft, die wir selbst geschaffen haben, existieren. Seit 2008 befasse ich mich mit dem Thema der “totalen Institutionen” frei nach dem Werk „Asyle“ von Erwing Goffman. Darüber hinaus stellen Werke von Kafka, Foucault oder epische Werke wie der Gilgamesh-Epos Inspirationsquellen für mich dar. Meine ersten eigenen Arbeiten zu diesem Thema (MELANCHOLIE 2002 und PERCORSOGALERA 2007-2009) behandeln institutionelle Strukturen, wie beispielsweise das psychiatrische Krankenhaus in Halle an der Saale und die landesgerichtliche Strafanstalt “Lorusso e Cotugno” in Turin. Das Projekt “Die unsichtbaren Städte” wurde realisiert in Zusammenarbeit mit Radio Nikosia. Eine nicht-institutionelle Realität, in der jedoch das Thema der Institution und der psychiatrischen Diagnose allgegenwärtig ist. Alle Mitarbeiter von Radio Nikosia kennen das Leben in „totalen Institutionen“ aus eigener Erfahrung. Sie organisieren und gestalten den Radiosender und können durch diese Tätigkeit ihre Identität zeigen. Die Zusammenarbeit mit den “Nikosianern” war sehr spontan und bereichernd. Ich wurde vom ersten Tag an sehr herzlich und hilfsbereit empfangen. Innerhalb des Senders gibt es keine Hierarchien, was eine offenere und direktere Kommunikation ermöglichte. Es gab nie eine Selektion derer, die mit mir arbeiten sollten. Vielmehr war das Kennenlernen sehr natürlich und unkompliziert. Das

Porträt ist ein wunderbares und einzigartiges Kommunikationsmittel, so dass fast jeder Mitarbeiter bereit war, am Projekt teilzunehmen. Technisch gesehen finde ich die Kombination aus Zeichnung, Bildhauerei und Installation sehr reizvoll. Sie ermöglicht eine Vielfalt von Stimmungen, Tönen sowie zwei- und dreidimensionalen Elementen. Ich verarbeite durchsichtige Materialien wie Harz oder Glas und benutze grafische Techniken wie Siebdruck, geschachtelt in Strukturen aus Eisen. Die Transparenz verleiht der Installation die Funktion einer Linse: In den kristallisierten Lebensgeschichten ist auch eine Realität zu sehen. Harz und Glas sind flüssige, durchsichtige Materialien, die sich von Eisen stark unterscheiden. Das Eisen als unbeugsames und kaltes Element ist eine Metapher für die starren Strukturen der Einrichtungen. Ein Riss oder ein Bruch im Glas oder Harz stellen eine freie Bewegung oder den Versuch eines Ausbruchs dar. Die zerfließenden und zum Teil deformierten Zeichnungen und Texte bieten die Möglichkeit, eine andere Perspektive einzunehmen. Darüber hinaus erinnern die Blasen an einen Atemzug, an etwas Lebendiges und in der Entstehung Begriffenes. Die irreführende Klassifizierung der Menschen wird durch die natürliche Zufälligkeit des künstlerischen Ausdrucks abgelöst.

CLAUDIA VITARI // *1978 in Turin, Italien // Studium Malerei/ Grafik, Textil an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein, Halle and der Saale // Diplom 2004 // Teilnahme an verschiedenen Gruppenund Einzelausstellungen u. a. in Barcelona, Turin, Berlin // lebt und arbeitet in Barcelona, Turin und Berlin // wird vertreten von der Galerie Berlin Art Projects.

LE CITTÀ INVISIBILI: LA MASCHERA (karol) | 2010-2011 | SIEBDRUCK AUF GLAS, GIPS, METALL | 50 x 50 x 50 cm

Kunst ist für mich ein Medium, Unsichtbares sichtbar zu machen. Ich arbeite an Situationen, scheinbar Randerscheinungen, die jedoch unerlässlich sind für das Verständnis der Gesellschaft, in der wir leben.


LE CITTÀ INVISIBILI: LA MASCHERA (oscar) | 2010-2011 | SIEBDRUCK AUF GLAS, GIPS, METALL | 50 x 50 x 50 cm

Zugegeben: Ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet mich, lässt mich kaum aus dem Auge; denn in der Tür ist ein Guckloch, und meines Pflegers Auge ist von jenem Braun, welches mich, den Blauäugigen, nicht durchschauen kann. Mein Pfleger kann also gar nicht mein Feind sein. Liebgewonnen habe ich ihn, erzähle dem Gucker hinter der Tür, sobald er mein Zimmer betritt, Begebenheiten aus meinem Leben, damit er mich trotz des ihn hindernden Gucklochs kennenlernt. Der Gute scheint meine Erzählungen zu schätzen, denn sobald ich ihm etwas vorgelogen habe, zeigt er mir, um sich erkenntlich zu geben, sein neuestes Knotengebilde. Ob er ein Künstler ist, bleibe dahingestellt. Eine Ausstellung seiner Kreationen würde jedoch von der Presse gut aufgenommen werden, auch einige Käufer herbeilocken. Günter Grass: Die Blechtrommel

W W W. B E R L I N A RT P R O J E CTS. D E


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