YASAM SASMAZER | DOPPELGÄNGER
YASAM SASMAZER DOPPELGÄNGER „Ich ist (auch) ein anderer“ Arthur Rimbaud
Mit dem Motiv des Doppelgängers oder auch der Doppelgängerin hat sich die Bildhauerin Yasam Sasmazer ein Sujet vorgenommen, das auf überraschende, bestürzende Weise modern und einem heutigen Lebensgefühl zu entsprechen scheint, obwohl es schon so lange durch Philosophie, Literatur, Kunst und Film geistert. Vielleicht begann es sogar schon vor 2000 Jahren mit der Religion. Wenn es in der Schöpfungsgeschichte heißt: ‚Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Zum Bilde Gottes schuf er ihn‘, so dämmert uns ein erstes Ahnen von der Problematik solcher Ebenbildlichkeit, von der Aufgabe nämlich, uns selbst, der (göttlichen) Idee von uns ähnlich oder gar gleich zu sein (und dadurch I h m) – ein Vorhaben, das auch den Eifrigsten zum Scheitern verurteilt, weil dem Menschen nach dem Sündenfall nur Unvollkommenes gelingen kann. Machen wir also lieber einen Sprung in die Renaissance. Descartes‘ genialer Satz: ‚Ich denke, also bin ich‘, mit dem er den Individualismus (philosophisch) in die Welt setzt, rekurriert bereits auf eine IchErfahrung, die auf der Erkenntnis von Differenz basiert, vornehmlich auf der Unterscheidung zwischen Mensch und Tier sowie zwischen Mensch und Mensch. Mithin ist es das Gefühl unserer Einzigartigkeit inmitten einer Welt von Gleichen oder doch Ähnlichen, die sich als konstitutiv für unsere Identitätsfindung herauskristallisiert hat und uns lebenslang beschäftigt. Zugleich wird uns jedoch in unserer heutigen Alltagskultur und den Medien der Eindruck vermittelt, es gebe nichts Begehrenswerteres, als uns bis zur Verwechselbarkeit dem Bild eines ‚Stars‘ anzugleichen, sei’s in der Kleidung, sei’s im Aussehen oder sogar im Verhalten. Auf solche Weise werden Selbstwertgefühle manipulierbar und die Ich-Identität wird unterwandert. Die Bildwerke Yasam Sasmazers illustrieren und vergegenständlichen nun eine noch viel tiefere, noch viel heimlicher in uns verschlossene Furcht: Die Furcht, dass wir nicht – oder nicht allein – wir selbst sind, sondern noch etwas anderes. Wenn wir beim Anblick etwa von doppelten Kindern, also Zwillingen, lächeln und sie niedlich finden, so ist darin etwas von dieser Furcht und zugleich Erleichterung enthalten; Gefährdung und Trost in einem. Man weiß ja längst, dass sich hinter diesem Spiel der Natur ganz unterschiedliche Charaktere verbergen. Aber w a s denken die Kinder, die – gemäß Lacans Spiegelgleichnis – schon ab dem 2. Lebensjahr im Spiegel sich selber zu erkennen vermögen? Schauen sie zusammen hinein, sehen sie sich selber viermal! Aber ‚erkennen‘ sie sich wirklich? Müssen sie nicht das Gefühl bekommen, ein Serienfabrikat zu sein? Wie werden sie lernen, ‚ich‘ zu sagen und ‚ich‘ zu fühlen!? Yasam Sasmazers Figuren sind erwachsen, aber doch eine Fortführung ihrer delikaten, fragilen und im Innern beschädigten Kinderfiguren. Dabei ist es nur folgerichtig, dass sie letztlich immer sich selbst zum Modell nimmt, wenngleich nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Immer sind es Paare, Doppelungen, zwei Frauen – auch androgyne Frauen oder Mann und Frau, die sich gleich und doch anders sind, verstörende Begegnungen mit sich selbst. Doppelt sein, kann heißen: überflüssig sein, nicht mehr einmalig sein, es heißt auch: am anderen gemessen werden, sich nachgeäfft fühlen – eine doppelte Herausforderung zu ‚Eigen-Sinn‘ und ‚Eigen-Art‘ und zugleich die verborgene Sehnsucht, mit diesem anderen tatsächlich eins zu sein. Da hat sich etwas von mir entfernt, hat ein Eigenleben angefangen, das ich nicht mehr kontrollieren kann, das aber doch mein Gesicht, meine Gestalt trägt, für das ich verantwortlich bin – ein Ich, das nicht Ich ist. Wir sind mit dem Fremden in uns konfrontiert, das uns in unserem eigenen Bild entlarvt. Wie bei Oscar Wildes ‚Dorian Gray‘, der in seinem sich wandelnden Portrait den eigenen moralischen Verfall bildlich beobachten kann, treten sich
in Yasam Sasmazers Doppelgänger-Figuren Gleiche gegenüber, die zum Gleichnis werden: Gestalt gewordene Ambivalenzen, Verkörperungen unserer latenten Gewaltphantasien, unserer Zerrissenheit, unserer Illusionen über uns selbst und unserer verborgenen Hoffnung, dass unsere ‚Camouflage‘ funktioniert. Fausts ‚zwei Seelen‘ in seiner Brust haben sich hier personifiziert, verselbständigt, handeln sichtbar gegensätzlich, ja gegeneinander in Feindschaft bis zum Tod. Ich kenne keine anderen bildenden Künstler, die so gnadenlos eindrücklich und ausweglos den Kampf, der in der einen oder anderen Form fast täglich in jedem von uns tobt, ins Licht gerückt, ja buchstäblich greifbar gemacht hätten wie Yasam Sasmazer, die ihre Doppelgänger-Gruppierungen mit einschlägigen Zitaten aus der Weltliteratur versieht, ohne jemals bloß ‚literarisch‘ zu bleiben. Im Gegenteil! Wie die Fleisch gewordene Ich-Spaltung, die wir eher aus der Psychiatrie (als ‚Schizophrenie‘) kennen, obwohl sie in jedem von uns existiert, liegen da zum Beispiel zwei junge Frauen nebeneinander, die eine mit offenen, die andere mit geschlossenen Augen. Wer ist das ‚Original‘, wer die Abspaltung? Wer wird von der Welt wahrgenommen? Wie lässt sich dieses ‚Entweder Sie oder ich – aber beide, das ist unmöglich‘ (Dostojewskij, Doppelgänger) überleben? Selbst im Schlaf ist noch der Körper der einen mit diesen Schriftzeichen bedeckt – unentrinnbar in Gewissen und Bewusstsein, ja in die Haut gegraben wie in Kafkas ‚Strafkolonie‘ – ‚so musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen‘ (Goethe, Urworte. Orphisch). Ob Mr. Hyde oder Caligari, ob Murnaus Film über den Januskopf oder Ernst Ludwig Kirchners Gemälde ‚Begegnung mit dem Schatten‘ (Schlemiehl), ob Otto Ranks Buch über den Doppelgänger oder Nietzsches Betrachtungen über ‚Jenseits von Gut und Böse‘, die gleichzeitig mit Stevensons Jekyll und Hyde-Geschichte herauskamen – um nur einige Beispiele zu nennen: Immer ist es die Doppelnatur des Menschen, sein heimliches oder manifestes Doppelleben und oft auch seine Doppelmoral, mit der gerungen wird. Sasmazers Figuren – bzw. jeweils eine davon – liegen verrenkt in ihrem eigenen Blut: Wer wurde hier getötet? Das Gute oder das Böse? Die Parallel-Figur blickt mit leeren Augen auf die Bescherung – innerlich selber abgestorben. Immer gibt es die eine, die ihre gewaltsamen Emotionen unterdrückt, und die andere, die sie hemmungslos auslebt. Selbst in Männliches und Weibliches lässt sich die bildnerische ‚Paarung‘ auflösen: Das Weibliche in uns unterliegt, gibt nach, wir töten es in uns ab, um mit dem männlichen Widerpart zu überleben. Die Sprache enthüllt es noch heute: wir müssen (auch als Frauen, jedenfalls aber als Menschen) ‚Manns genug sein‘, sozial unverträgliche Emotionen zu unterdrücken, unsere unsägliche Wut und Aggressivität nicht herauszuschreien oder blindlings in die Tat umzusetzen. Die Blessuren der ‚Unterwerfung‘ unter unser eigenes Diktat stehen uns mit Blut ins Gesicht geschrieben. Die unheimlichste Verfilmung des Jekyll/Hyde-Stoffes (unter ca. 100 Versionen, vor allem auch in USA) zeigt Mr. Hyde n i c h t als tierhafte, abstoßende Fratze, sondern mit demselben glatten, hübschen Gesicht wie Dr. Jekyll, ohne Verwandlung – sehr sympathisch. Allein das Spiel zeigte den Wechsel vom einen zum anderen. Auf seinem Totenbett soll Stevenson, der von seinem Jekyll/HydeStoff geradezu besessen schien, angstvoll gefragt haben: ‚Hat sich mein Gesicht verändert?‘ So rühren Yasam Sasmazers Doppelgänger-Skulpturen an das Menschlichste und Zerbrechlichste in uns.
Elke Liebs
YASAM SASMAZER DOPPELGÄNGER ‚I is someone else.‘ Arthur Rimbaud
Scupltor Yasam Sasmazer‘, with her ‚Doppelgänger‘ motif, reintroduces the ‚modern subject‘, mostly experienced in philosophy, literature, art and film for a long time now, to our perception, through an intriguing and startling adaptation to present conditions. It may be assumed that the apparition of this subject was 2000 years ago by means of religion. As it is said in creation myth ‚God created man in his own image. From his own image God created man‘. In this very moment, precursory suspicions of ‚image of God‘ problematic appears. And thanks to this question, we become a counterpart of the Idea (godlike) or exactly the same as original (Him) -an ambition bound to this failure, because man is sentenced to imperfectness and never to become integrated as one, after the first sin. In his renowned statement ‚Cogito ergo sum‘ (I think, therefore I am), Descartes underlines the presence of individualism on earth, in philosophical sense. He replicates a ‚self-experience‘ based on the recognition of differences; as much as the difference between man and animal, he distinguishes the differences between man and man. Thus, in the world of congeners or even twins, expressing the feeling of unicity, which is the true basis of our identity, he gives us an everpuzzling food for thought. On the other hand, culture and media in this day and age put forward an idea of alteration parallel to ‚Star‘ image in terms of clothing, appearance and manner. From this point of view, self-esteem adopts a manipulative attitude, self-identity is exposed to perturbation. Sculptures of Yasam Sasmazer materialize the deep-seated and uncanny phobias hidden inside. This is, the fear of being not only I, but someone else. We can smile at the twins thinking of them as loveable at the first glance. This behaviour includes both our fear and estrangement from our fear in the least. This is the state of threat and consolation at the same time. For a long time, under these tricks of nature, we are aware of hidden characters as a matter of fact. But what do these kids think about the same subject matter? According to Lacan‘s mirror stage, kids are pleased to see their own reflection on the mirror as from 2 years old, but is that really so? What about twins looking at the mirror together? They see four semblances of themselves! And do they really identify themselves? Don‘t they get the impression of being a mass production? How do they learn to say ‚I‘ and be ‚I‘!?
The figures of Yasam Sasmazer are adults, but at the same time child figures that kept their sensibility and fragility and that are wounded inside. Besides, even not recognizable at first glance, it is the consistency of the artist always to take herself as a model. A twin couple, two females– additionally they are androgynous, maybe a male and a female, both same and different, a discomfortable encounter with one‘s self. Being similar/twins (doppelgänger), in a sense, means being redundant, not unique; what‘s more; being compared with another, feeling duplicated – a double daring to perception and mannerism of the self, in the same time a tacit longing to become one with the other. Here lies something drifted apart from ‚I‘, a different life that ‚I‘ is not able to control. But he still possesses the face and the body of ‚I‘ and ‚I‘ is responsible for that – an ‚I‘ who is not ‚I‘. In our own image, we are face to face with the stranger inside separating us from our masks. Just like Oscar Wilde‘s Dorian Gray, being able to watch his own moral corruption in his changing portrait, Yasam Sasmazer‘s ‚doppelgänger‘ figures start to become the same against their counterparts: formation of our contradictions, embodiment of our concealed violent fantasies, our disintegration, our illusions over ourselves and hidden expectations and the camouflage we make works. Here the ‚two souls‘ dwelling inside Faust resurrect, declare independence and hostility against one another, to be continued till death, becomes more evident. This desperate conflict that infuriates us everyday one way or another and has a vicious impact, is articulated in Doppelgänger series by means of relevant quotations from world literature, -quite the contrary!- without being ‚literary‘. Identity disorder (schizophrenia), as we know from psychiatry, despite its presence in all of us, objectifies in these sculptures. For instance, two young females lying side to side, one with open eyes, the other closed. Which one is ‚original‘, which is the duplicate? Which one is perceived in the world? How can this happen, ‚either him or me, - but both of us cannot live, this is impossible‘. (Dostoevsky, The Double) Şaşmazer‘s figures, especially one of them, lies with a broken neck in its own blood: Who is the murdered one here? The Good or Evil? The figure in parallel with it stares blankly to the presented gift – it is also dead inside. Perpetually, while one suppress one‘s own brutal disposition, the other takes advantage and enjoys to the hilt. In even manliness or womanliness, pictorial pairing is dissolving: feminine inside is defeated, more precisely, we kill her inside so that the masculine opposite lives. Language reveals this even today: ‚We (as a human being as much as a woman) should become self-sufficient‘. To suppress our socially unbearable feelings, we should not express our unspoken fury and aggressivity, or blindly get into the act. Scars of our surrender under our own discourse stand against us, written on our face with blood.
Elke Liebs
2012 | wood The figure that was sitting opposite Mr. Golyadkin now was his terror, was his shame, was his nightmare of the evening before; in short, was Mr. Golyadkin himself (...) Fjodor Dostojewski, Doppelgänger
2012 | wood And now a large mirror appeared in front of me; and as I approached towards it, my own image, dabbled in blood, approached to me stumbling with weak Steps. E. A. Poe, William Wilson
2012 | wood (...) but he explained it all, about not wanting to die without any scars, (…) and wanting to know more about himself. Chuck Palahniuk, Fight Club
2012 | wood Either you or I, but both together is out of the question! Fjodor Dostojewski, Doppelgänger
2012 | wood You have conquered, and I yield. Yet henceforward art thou also dead – dead to the World, to Heaven and to Hope! In me didst thou exist – and, in my death, see by this image, which is thine own, how utterly thou hast murdered thyself. E. A. Poe, William Wilson
april 2013 | SHOWPAPER #23 WWW.BERLINARTPROJECTS.DE