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M. Wille, T. Bucher, K. Mairer, M. Burtscher
from Jahrbuch 2007
by bigdetail
Maria Wille, Thomas Bucher, Klemens Mairer, Martin Burtscher
Alters- und geschlechtsspezifische Inzidenz der Akuten Bergkrankheit (ABK) in den Alpen
Age and gender related incidence of acute mountain sickness (AMS) in the Alps
SUMMARY
Purpose: To assess the incidence of AMS at six different altitudes in the Eastern and Western parts of the Alps with a special focus on the incidence of AMS in relation to age and gender. Methods: Questionnaires were used to obtain information from 576 mountaineers at six different altitudes in the Alps: 2200 m, 2500 m, 2800 m, 3000 m, 3500 m and 3800 m, after having spent at least one night (except at 3000 m) at altitude. AMS was assessed using the Lake Louise Score. Subjects with a score of four or more were defined as suffering from AMS. Heart rate and oxygen saturation were measured with a pulse oxymeter. Statistical analyses were made using the open source program package R, version 2.4.0. Results: 25% of the mountaineers suffer from acute mountain sickness. The incidence of AMS rises increasingly with higher altitude: 10,1 % at 2200 m, 16,4 % at 2500 m, 26,1 % at 2800 m, 21,3 % at 3000 m, 42,5 % at 3500 m and 43,4 % at 3800 m. Women show a 1,8 higher relative chance to develop AMS than men. Older subjects have also a higher risk for AMS, e.g. the relative chance of a 52 year old person to suffer from AMS is 4 times higher than for a 9 year old. Conclusion: AMS occurs already at moderate altitudes like 2200 m and increases markedly with increasing altitudes. Women are more susceptible to develop AMS than men. The relative chance to develop AMS increases with aging. These findings are partly in contrast to prior studies. This might probably be explained by the fact that our study population, by including the Eastern Alps, rather reflect the general population as did prior studies, which mainly considered the Western Alps. Keywords: acute mountain sickness (AMS), altitude, incidence, mountaineering, susceptibility, gender, age, Eastern Alps, Western Alps.
ZUSAMMENFASSUNG
Symptome der Akuten Bergkrankheit (ABK) können bereits in moderaten Höhen auftreten, wobei die Inzidenz von ABK mit zunehmender Höhe signifi-
kant ansteigt. Hauptzielsetzung der vorliegenden Studie war es, die Inzidenz der ABK in den Ost- und Westalpen auf sechs verschiedenen Höhenstufen zu erheben und speziell in Bezug auf alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede zu untersuchen. Methode: Mithilfe von Fragebögen wurde von 576 Wanderern und Bergsteigern auf den Höhenstufen von 2200 m, 2500 m, 2800 m, 3000 m, 3500 m und 3800 m relevantes Datenmaterial erhoben. Die BergsteigerInnen mussten mindestens eine Nacht auf der jeweiligen Höhe (mit Ausnahme 3000 m) verbracht haben, um an der Studie teilzunehmen. ABK wurde anhand des Lake Louise Scores definiert. Bei einem Score von vier oder mehr wurde ABK diagnostiziert. Zusätzlich wurden die Sauerstoffsättigung und die Herzfrequenz anhand eines Pulsoximeters gemessen. Ergebnisse und Interpretation: Die Ergebnisse zeigen, dass 25 % der BergsteigerInnen in der vorliegenden Studie ABK entwickeln. Die Inzidenz von ABK steigt mit zunehmender Höhe signifikant an: 10,1 % auf 2200 m, 16,4 % auf 2500 m, 26,1 % auf 2800 m, 21,3 % auf 3000 m, 42,5 % auf 3500 m und 43,4 % auf 3800 m. Im Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen Frauen eine 1,8-fach höhere relative Chance ABK zu entwickeln als Männer. In Bezug auf das Alter zeigen ältere BergsteigerInnen ein deutlich höheres ABK-Risiko. Die Ergebnisse vorliegender Studie stehen teilweise im Gegensatz zu jenen anderer Untersuchungen. Dies dürfte auf die Einbeziehung von BergsteigerInnen in den Ostalpen zurückzuführen sein, die eher die Anfälligkeit der Gesamtbevölkerung für ABK widerspiegeln als dies in den Westalpen der Fall ist. Schlüsselwörter: Akute Höhenkrankheit, ABK, Höhe, Inzidenz, Geschlecht, Alter, Ostalpen, Westalpen.
EINLEITUNG
Die Akute Bergkrankheit (ABK) äußert sich durch verschiedene unspezifische Symptome, die in der Regel sechs bis zwölf Stunden nach akuter Höhenexposition auftreten und nach ein bis zwei Tagen, wenn kein weiterer Anstieg erfolgt, abklingen (3,7). Zu den häufigsten Symptomen zählen Kopfschmerzen, Schwindel, Müdigkeit und Schlaflosigkeit, wie auch Appetitlosigkeit, Übelkeit oder Erbrechen (16,30). Die genauen Zusammenhänge, die zur Entstehung von ABK führen, sind noch nicht vollständig geklärt. Als wichtige Einflussfaktoren auf die Entwicklung von ABK werden die Aufstiegsrate (30), die absolut erreichte Höhe (17), Geschlecht (23, 19, 20, 15), Alter (14, 17, 9, 11, 28), permanente Wohnhöhe (14, 18, 10, 2), Fettleibigkeit (14, 13, 8), körperliche Fitness (14, 12), Grad der Ermüdung (27), Vorakklimatisation (30, 11) und eine individuelle Disposition (3, 14) diskutiert.
Über 40 Millionen Schifahrer und Alpinisten sind jährlich in den Alpen unterwegs; allein in Österreich zieht es über 10 Millionen Menschen in die Berge (4). Um einen möglichst umfassenden Überblick über die Inzidenz von ABK in den Alpen zu bekommen, wurden in vorliegender Studie auf sechs unterschiedlichen Höhenstufen, von 2200 m bis auf 3800 m, Daten erhoben und diese speziell auf alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede analysiert. Bisher wurden vergleichbare Untersuchungen fast ausschließlich in den Westalpen durchgeführt (30, 17). Die Einbeziehung von BergsteigerInnen in den Ostalpen aber dürfte eher die Anfälligkeit der Gesamtbevölkerung für ABK widerspiegeln als dies für die Westalpen zutrifft.
METHODE
Die Studie wurde in den Sommermonaten 2006 auf folgenden Hütten durchgeführt: Franz-Senn-Hütte und Adamek-Hütte auf 2200 m, Martin-Busch-Hütte und Alte Prager Hütte auf 2500 m, Neue Prager Hütte und Oberetteshütte auf 2800 m, Similaunhütte auf 3000 m, Erzherzog-Johann-Hütte auf 3500 m und Gouter Hütte auf 3800 m Höhe. Die Daten wurden anhand von Fragebögen erfasst, welche am Morgen, nach mindestens einer verbrachten Nacht in der jeweiligen Höhe, an die Probanden verteilt wurden. Lediglich auf der Similaunhütte (3000 m) wurde aus organisatorischen Gründen bereits am Vorabend gemessen bzw. der Fragebogen ausgefüllt. Neben persönlichen Charakteristika wie Alter, Größe und Geschlecht wurden auch andere relevante Daten im Hinblick auf die Entwicklung von ABK erfasst. Kernstück des Fragebogens im Hinblick auf die Inzidenz von ABK stellte der Selbstbeurteilungsscore nach Lake Louise (20) dar. Nach fünf Symptomkomplexen – Kopfschmerzen, gastrointestinale Störungen, Müdigkeit, Schwindel und Schlafstörungen – mit jeweils einem Score von 0 bis 3 mussten die Probanden ihr individuelles Befinden zum Erhebungszeitpunkt subjektiv beurteilen. Pro Symptom gab es bei Abwesenheit von Beschwerden einen Score von 0, leichte Beschwerden hatten einen Score von 1, moderate Symptome einen Score von 2 und bei schwerer Ausprägung einen Score von 3. ABK wurde definiert als ein Score von 4 oder mehr. Zusätzlich zum Fragebogen wurde die Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung mithilfe eines Pulsoximeters (Pulsox-3i, Konica Minolta) gemessen. Alle BergsteigerInnen, die auf der jeweiligen Höhe übernachtet hatten, wurden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Die Teilnahme war freiwillig. Auf den Höhenstufen von 2200–3000 m lehnten es ca. 5–10 % ab, den Fragebogen auszufüllen, auf 3500 m ca. 30 % und auf 3800 m Höhe ca. 50 % der Personen, vorwiegend aufgrund von Zeitmangel (früher Aufbruch) oder psychischer
Anspannung vor der weiteren Bergtour. Eine Selektion der Probanden (ABKBetroffene vs. nicht Betroffene) kann nicht vermutet werden. Insgesamt nahmen 576 Bergsteiger an der Untersuchung teil: 426 (76 %) Männer und 138 (24 %) Frauen mit einem Durchschnittsalter von 37,6 (±12,5) Jahren.
Statistik
Die statistischen Analysen sowie Grafiken wurden mit dem Open-source-Programmpaket R, Version 2.4.0. durchgeführt (25). Für die Untersuchung der Wir-
Höhe undABK *** *
0
ABK Inzidenz
0.2
0.4
0.6
0.8
1 2200m
2 2500m
3 2800m
4 5 3000m 3500m
6 3800m 1
Höhe
Abbildung 1: Inzidenz von ABK in den sechs erhobenen Höhenstufen von 2200 m bis 3800 m. Auf der y-Achse ist die Inzidenz von ABK aufgetragen, auf der x-Achse die Höhenstufen; ABK-Betroffene (hell), nicht Betroffene (dunkel). Die Breite der Balken repräsentiert den relativen Anteil an Beobachtungen in der jeweiligen Höhenstufe. Die strichlierte Linie weist den Anteil von ABK-Fällen, die Gesamtinzidenz unter den Beobachtungen aus. Die Sterne zeigen die Signifikanz relativ zur Höhenstufe 1 auf 2200 m * < 0,05, *** < 0,001.
kung der fixen Effekte wie Höhe der Hütten und Geschlecht auf die Inzidenz von ABK wurde eine logistische Regression angepasst. Es wurden absolute und relative Risiken sowie Odds Ratio mit 95 % Konfidenzintervall berechnet. Für die kontinuierliche Variable Alter wurde der nicht parametrische Wilcoxon-Rangsummentest angewandt. Zur Analyse der Wirkung fixer sowie kontinuierlicher Einflussfaktoren auf die Inzidenz von ABK wurde eine multiple logistische Regression angepasst. Ein p-Wert von < 0,05 wird als statistisch signifikant angesehen.
ERGEBNISSE
Inzidenz von ABK 25% der Bergsteiger in vorliegender Studie entwickelten ABK. Mit zunehmender Höhe nimmt die Inzidenz von ABK signifikant zu (p < 0,05) (Abbildung 1, Tabelle 1). Prozentual beträgt die Inzidenz von ABK auf 2200 m 10,1 %,auf
Tabelle 1: Ergebnisse der multiplen logistischen Regression der fixen Einflussfaktoren Geschlecht und Höhe auf die Inzidenz von ABK. Beobachtungen (n), Fälle von ABK, absolutes Risiko (AR), relatives Risiko (RR) und Odds Ratio mit 95 % Konfidenzintervall (KI). Die Signifikanztests aus multipler logistischer Regression beziehen sich auf die Referenzniveaus a) b) der jeweiligen Effekte.
2500 m 16,4 %, auf 2800 m 26,1 %, auf 3000 m 21,3 % (schon am Abend des Ankunftstages bestimmt!), auf 3500 m 42,5 % und auf 3800 m Höhe 43,4 %.
Geschlechtsspezifische Unterschiede im Hinblick auf die Inzidenz der ABK Es sind 33,3 % der Frauen von ABK betroffen, im Vergleich dazu nur 22,7 % der Männer (p < 0,05). Im Hinblick auf das Geschlecht zeigen die Ergebnisse der multiplen logistischen Regression (MLR) eine ~1,8-fachen höhere relative Chance der Frauen, ABK zu entwickeln, im Vergleich zu Männern (Tabelle 1).
Altersspezifische Unterschiede im Hinblick auf die Inzidenz von ABK Die Differenz der Mittelwerte bezogen auf das Alter der von ABK Betroffenen im Vergleich zu nicht Betroffenen beträgt 2,29 Jahre (p < 0,05). Mit zunehmendem Alter steigt die relative Chance, ABK zu entwickeln. Die adjustierten Odds Ratios der MLR zeigen beispielsweise eine ~ 4-fach höhere relative Chance der 52-Jährigen, ABK zu entwickeln, im Vergleich zu 9-Jährigen (Abbildung 2).
Odds Ratio
8 MLR LR
6
4
2
0
9 16,1 30,3 44,5 58,7 73 23,2 37,4 51,6 65,8 Alter
Abbildung 2: Odds Ratio für ABK aus multipler logistischer Regression (MLR) und univariater logistischer Regression (LR) bezogen auf das Alter. Auf der yAchse sind die Odds Ratio aufgetragen, auf der x-Achse das Alter in Jahren. Die Odds-Ratio-Schätzwerte beziehen sich auf das Referenzniveau 9 Jahre.
DISKUSSION
Das Ergebnis einer ABK-Inzidenz von 25 % in einer Höhe von 2200–3800 m in der vorliegenden Studie ist vergleichbar mit den Ergebnissen anderer Studien (14, 20, 22, 31). Im Unterschied dazu fanden Röggla et al. (1992) in den österreichischen Alpen (2000–3000 m) eine nur 5,5 %ige ABK-Inzidenz (29). Dies ist im Vergleich zu den Ergebnissen dieser Studie, mit einer ABK-Inzidenz von 18 % auf 2000–3000 m Höhe, sehr gering. Der Grund hierfür dürfte vorwiegend in den unterschiedlichen Studiendesigns liegen. Röggla et al. (1992) untersuchten vorwiegend Tagestouristen und nur 38 von den 420 Probanden schliefen auch auf der entsprechenden Höhe. Zieht man in Betracht, dass die Symptome vorwiegend nach 6 bis 12 Stunden Höhenexposition und am stärksten nach der ersten Nacht auftreten (30, 3, 4), dürfte dies die unterschiedlichen Ergebnisse erklären. In diesem Zusammenhang sind auch die ermittelten Daten der Höhenstufe 3000 m vorliegender Studie zu interpretieren. Hier wurden die Daten am Vorabend erhoben und die relativ kurze Exposition der BergsteigerInnen auf dieser Höhe spiegelt sich auch in der vergleichbar niedrigen ABKInzidenz wider (21,3 % auf 3000 m vs. 26,1 % auf 2800 m). Ein Hauptrisikofaktor für das Entwickeln von ABK ist die absolut erreichte Höhe (7, 3, 1), was sich in den Ergebnissen mehrerer Untersuchungen zeigt (31, 17). Übereinstimmend damit zeigen sich auch die Resultate vorliegender Studie über die Verteilung der Häufigkeit von ABK in den unterschiedlichen Höhenstufen. So sind auf 2200 m 10,1 %, auf 2500 m 16,4 %, auf 2800 m 26,1 %, auf 3000 m 21,3 %, in 3500 m Höhe 42,5 % und auf 3800 m 43,4 % der BergsteigerInnen von ABK betroffen. Eine vergleichbare Studie in den Schweizer Alpen zeigt ebenfalls eine Zunahme der ABK-Inzidenz mit steigender Höhe (17), wenn auch die absoluten Zahlen der Häufigkeit von ABK mit den Ergebnissen dieser Studie nicht übereinstimmen. So tritt ABK auf 2850 m bei 9 %, auf 3050 m bei 13 % bzw. auf 3650 m bei 34 % der Personen auf. Erklärungen für die divergierenden Studienergebnisse müssen ebenfalls in der voneinander abweichenden Methodik gesehen werden. In Bezug auf geschlechtsspezifische Unterschiede der ABK-Inzidenz zeigen die Ergebnisse dieser Studie ein deutlich höheres Risiko bei Frauen im Vergleich zu Männern (p < 0,05). In der Literatur wird dies kontrovers diskutiert. Es gibt sowohl Studien, die eine höhere ABK-Inzidenz bei Frauen zeigen (19, 20, 15, 14) als auch Studien, in denen keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern vorliegen (30, 17, 11, 31, 6). Untersuchungen, in welcher Weise der Menstruationszyklus oder die Einnahme von Kontrazeptiva einen Einfluss auf die Entwicklung von ABK haben könnten, erbrachten bislang keine klaren Ergebnisse (32). Ein möglicher Erklärungsansatz für die erhöhte ABK-
Inzidenz bei Frauen kann in deren größeren Bereitschaft, Symptome im Vergleich zu Männern zuzugeben, vermutet werden. Bezüglich altersspezifischer Unterschiede der ABK-Inzidenz zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass die relative ABK-Chance mit zunehmendem Alter klar ansteigt. Im Gegensatz dazu zeigen andere Studien niedrigere ABK-Risiken bei älteren Personen (14, 28) oder keine Einflüsse des Alters (30, 5). Untersuchungen über ABK bei Kindern zeigen keine erhöhte Anfälligkeit, sondern eine ähnliche Inzidenz wie bei Erwachsenen (24). In Anbetracht der mit akuter Hypoxie einhergehenden Schwellung des Gehirns (4), die möglicherweise in der Pathophysiologie der ABK eine Rolle spielt, sollten ältere Personen im Vergleich zu jüngeren weniger anfällig für ABK sein (26, 3). In Anbetracht aber, dass mit dem Alter die physiologischen Reserven abnehmen und es zu einem allgemeinen Anstieg von Beschwerden kommt, würde dies für ein größeres ABK-Risiko bei älteren Personen sprechen (9). In diesem Zusammenhang werden auch die Ergebnisse der vorliegenden Studie, mit einer erhöhten relativen Chance für ABK bei älteren Personen, gesehen. Eine Stärke dieser Untersuchung ist ohne Zweifel der Einbezug von wenig erfahrenen BergsteigerInnen durch die Ausdehnung der Erhebungen auf Hütten in den leicht zugänglichen Ostalpen. Die Vergleichbarkeit von Studienergebnissen untereinander ist aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns (Erhebungsmethode, Messinstrumente), Untersuchungspopulation (Touristen vs. Bergsteiger) und der Definition von ABK erschwert. Die relative Unspezifität der Symptome bei ABK, Kopfschmerzen, Unwohlsein, Erbrechen, Schwindel und Schlaflosigkeit erschwert die eindeutige Diagnostizierung der ABK, da sie ihren Ursprung z.B. auch in kleinen Infekten, durch Überanstrengung, Sonnenstich, Dehydrierung oder andere Gründe haben können (3, 21, 12). Zusammenfassend sprechen unsere Ergebnisse für ein höheres ABK-Risiko von Frauen und älteren BergsteigerInnen aus der Gruppe der Normalbevölkerung. Dies ist bei der Tourenplanung und -durchführung, besonders mit wenig alpinerfahrenen Personen in den Ostalpen, zu berücksichtigen.
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Thomas Küpper, Volker Schöffl, Nikolaus Netzer
Cheyne-Stoke-Atmung in der Höhe – eine sinnvolle Reaktion des Körpers oder eher Ursache für Störungen?
Cheyne-Stokes-breathing at altitude – a helpful response or a trouble maker?
SUMMARY
Sleep disorders at high altitude are common and well-known since centuries. One symptom of this complex is periodic breathing (PB). PB occurs from a dysbalance of the negative feedback loop of ventilation control and at high altitude it is increased by a phase shift of 180°between hyperventilation and hypoxia. This paper explains the mechanisms which triggers the problem and discusses, whether PB may be of advantage or disadvantage for the person going to high altitude. Up to about 3,000–3,500 m PB may be of advantage, because it stabilizes oxygen saturation at a relatively high level. At higher altitudes disadvantages predominate because frequent arousals cause total sleep deprivation and mental and physical impairment of the victim. Correct acclimatization and “defensive” altitude profiles are gold standard to avoid these problems as much as possible. Keywords: Altitude, sleep, Cheyne-Stokes-breathing, sleep disturbances, acclimatization.
ZUSAMMENFASSUNG
Schlafstörungen in der Höhe sind häufig und ein seit Jahrhunderten wohlbekanntes Phänomen. Eines der häufigsten auftretenden Symptome ist die periodische Atmung. Diese entsteht durch eine Dysbalance zwischen der negativen Rückkopplung der Atmungssteuerung in großer Höhe und den Partialdrücken der Blutgase und ist gekennzeichnet durch eine Phasenverschiebung von 180° zwischen der Hyperventilation und der Hypoxie. In der vorliegenden Arbeit wird beschrieben, welche Mechanismen diese Vorgänge triggern. Außerdem wird diskutiert, ob es sich bei dieser Reaktion möglicherweise um einen phy-
siologischen Vorteil oder eher um einen Nachteil für Personen handelt, die große Höhen aufsuchen. Bis in etwa 3.000–3.500 m Höhe überwiegen die Vorteile des Phänomens die Nachteile, denn es gelingt so, die mittlere Sauerstoffsättigung auf einem recht hohen Niveau stabil zu halten. In noch größeren Höhen überwiegen dagegen die Nachteile, denn häufige Arousals führen zu einer mehr oder weniger kompletten Zerstörung der Schlafstruktur mit weitgehendem Wegfall der Tiefschlafphasen III und IV und damit am Folgetag zu einer signifikanten mentalen und körperlichen Beeinträchtigung. Sorgfältige Akklimatisation und „defensive“ Höhenprofile sind nach wie vor der Goldstandard, um derartige Probleme so gut wie möglich zu vermeiden. Schlüsselwörter: Höhe, Schlaf, Cheyne-Stokes-Atmung, Schlafstörungen, Akklimatisation.
EINFÜHRUNG
„Ich konnte unmöglich schlafen und verbrachte eine Nacht, die so fürchterlich war, dass ich sie meinem ärgsten Feind nicht wünschen würde!“ – Dieses Zitat von Dr. Jacottet anlässlich seiner Montblanc-Besteigung 1881, die er damals völlig unakklimatisiert unternahm, ist legendär und fasst charakteristisch die subjektiven Probleme zusammen, denen gegenüber Menschen konfrontiert sind, die in großen Höhen übernachten, insbesondere wenn sie dies unakklimatisiert tun. Schlafstörungen in der Höhe sind häufig und werden heute als eines der Symptome der akuten Höhenkrankheit (Acute Mountain Sickness, AMS) zugeordnet (1). Darüber hinaus gibt es einige Hinweise, dass höhenbedingte Schlafstörungen auch für das Höhenlungenödem (High Altitude Pulmonary Edema, HAPE) prädisponieren könnten, allerdings gibt es diesbezüglich auch Gegenargumente (2, 3). In der folgenden Arbeit soll die Fragestellung näher beleuchtet werden, ob die Veränderungen in der Schlafstruktur und des Atemrhythmus eher einen Vorteil für den Organismus in der Höhe darstellen oder möglicherweise nachteilig sind.
SCHLAF IN DER HÖHE – EIN KURZER HISTORISCHER RÜCKBLICK
Auch andere als Dr. Jacottet hatten Jahrhunderte früher ähnliche Erlebnisse, nicht nur Alexander von Humboldt auf seiner Südamerikareise, sondern auch beispielsweise Pater Acosta, dem fälschlicherweise die erste Beschreibung der AMS zugeordnet wird (4–7). Acosta hatte keinerlei Kenntnis von viel älteren
Abbildung 1: Angelo Mossos Messanordnung zur Messung der Atembewegungen im Schlaf – aus (12) Berichten aus einer Region, die wir heute Tibet nennen: Hui Jiao beschrieb im Jahre 403 v. Chr. im Detail die Höhenkrankheit seines Reisegefährten Hui King (z. B. in 8). Etwa 150 Jahre später überquerte Moul Mirza Mohammed Haidar das tibetische Plateau mit seinen Truppen und beklagte sich bitterlich über die in der Höhe auftretende Schwäche und die Höhenbeschwerden seiner Soldaten (4, 8). Bereits aus dem Jahre 50 n. Chr. liegen schriftliche Berichte vor, dass Teile des heutigen Himalaya „Kopfschmerzberge“ genannt wurden (4, 8). Diese offensichtlich wesentlich ältere Bezeichnung impliziert, dass der Zusammenhang zwischen der Höhe und den daraus resultierenden Symptomen längst bekannt war. Berichte über mehr als 1.000 Jahre beschreiben immer wieder Schlafstörungen in der Höhe, auch wenn den Autoren der Zusammenhang nicht immer bekannt war. Aber Arbeiter in Silberminen in den Anden wussten wohl, dass sie jeden Tag etwa 600 hm auf- und abends wieder absteigen mussten, um so niedrig wie möglich so gut es eben ging zu schlafen. Auf diese Weise entstand mit rein empirischem Wissen im 14. Jahrhundert Aucanquilchen, mit 5.340 m die höchste jemals dauerhaft bewohnte Siedlung der Menschheit (9). Interessanterweise entspricht diese empirisch ermittelte Höhe genau der Höhe, die wir heute als Dauerakklimatisationsgrenze betrachten (z. B. in 10).
Abbildung 2: Atemkurven, die Paul Bert in 4.559 m Höhe (Margheritahütte) aufgenommen hat – aus (11)
Die ersten Wissenschaftler, die diese Phänomene systematisch untersuchten und darüber berichteten, waren Paul Bert, Alexandro Mosso und Nathan Zuntz im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert (Abbildung 1–4; 11–13). Auch wenn sie heute nur schwer zu bekommen sind, geben ihre fantastischen Bücher einen detaillierten Einblick in die Schlafforschung in der Höhe während der „klassischen“ Ära (Beispiel in Abbildung 2). Dessen ungeachtet sind auch heute noch die Probleme für diejenigen, die Höhenlagen aufsuchen, die gleichen geblieben.
DER MECHANISMUS NORMALER ATEMSTEUERUNG IN NIEDRIGER UND MITTLERER HÖHE
Hypobare Hypoxie oder reduzierter Sauerstoffpartialdruck (pO2) aktiviert den Chemorezeptor im Glomus caroticum. Die typische Reaktion des Organismus auf diesen Reiz ist Hyperventilation, um einen möglichst konstanten pO2 im Körper zu gewährleisten (z.B. in 10). Nach einer Art Dosis-WirkungsKurve verstärkt sich die Hyperventilation mit zunehmender Höhe (abnehmendem pO2) oder mit zunehmendem CO2-Partialdruck (pCO2). Das Ausmaß dieser hypoxischen Atemantwort (Hypoxic ventilatory drive, HVR oder HVD) vari-
iert interindividuell ganz erheblich (3, 10, 14, 15, 16). Weitere Variabilität des HVR ergibt sich aus seiner Alters- und Geschlechtsabhängigkeit (17). Menschen mit hoher HVR stabilisieren ihren pO2 auf einem signifikant höheren Niveau als solche mit niedriger HVR (z. B. in 18). Unabhängig davon ist jedoch jede Reaktion des Systems durch negative Rückkopplung in ihrem Ausmaß limitiert: Durch Hyperventilation steigt der pO2 und sinkt der pCO2. Beides führt zu einer Reduktion der Aktivität des Glomus caroticum und damit zu einer Begrenzung der Hyperventilation. Diese Rückkopplung soll das System stabilisieren und tut dies in der Tat – zumindest auf Meereshöhe, nicht jedoch in großer Höhe.
SCHLAF UND ATMUNG IN GROSSER UND EXTREMER HÖHE
Zunächst einmal sollte erwähnt werden, dass nicht jede Schlafstörung, die oberhalb von 2.500 m Höhe auftritt, durch periodische Atmung (Cheyne-StokeAtmung, CSA) verursacht wird. Zahlreiche unabhängige Faktoren wie Stress (z. B. vor einer Tour, die an die persönlichen Grenzen geht), kalte Umwelttemperaturen (inadäquate Kleidung oder Schlafsack), störende Umwelteinflüsse (z. B. Windgeräusche), unkomfortable Schlafposition, „soziale Faktoren“ (schnarchende Bergkameraden, Spannungen in der Gruppe usw.), inadäquate Akklimatisation, Stimulantien und viele andere können alleine oder zusammen erholsamen Nachtschlaf erheblich beeinträchtigen. Aber auch bei ansonsten perfekten Rahmenbedingungen kann der Schlaf durch CSA massiv beeinträchtigt werden. CSA kann bei den meisten Personen beobachtet werden, die Höhenlagen aufsuchen, und zwar auch dann, wenn sie im Tiefland ein völlig unauffälliges Atem- und Schlafverhalten zeigen. Wie oben bereits angedeutet, weist dies darauf hin, dass der beschriebene Regelkreis das System oberhalb von etwa 2.500 m Höhe nicht mehr stabilisieren kann. Auch
Abbildung 3: Originalkurven von Angelo Mossos Probanden, 1899 auf der Margheritahütte (4.559 m) aufgenommen. Hier periodische Atmung einer wachen Person – aus (12)
wenn das Phänomen während des Schlafes stärker ausgeprägt ist, kann es auch am wachen Menschen gezeigt werden (Abbildung 3).
CSA ist in der Höhe durch die folgenden Eigenschaften charakterisiert:
• Sich wiederholende Oszillationen von recht einheitlicher Zykluslänge (Abbildung 4) und einer Zyklusdauer von 21,2 +/-8 Sekunden (18). • Cluster von 2 bis 5 Atemzügen mit ausgesprochen variablem Atemzugvolumen und Abstand zwischen den Atemzügen, die sich mit verlängerten exspiratorischen Pausen nach dem letzten Atemzug jeder Gruppe abwechseln (Apnoe, Abbildung 4). • Zentrale Apnoen, die etwa die Hälfte der jeweiligen Zykluslänge ausmachen (Abbildung 4). • Abnahme der Zykluslänge mit zunehmender Höhe.
Abbildung 4: Übergang von normaler Atmung zu Cheyne-Stokes-Atmung. Originalkurven von Angelo Mossos Studie 1899 auf der Margheritahütte, jedoch erst 1906 in (13) publiziert CSA wird in der Höhe durch eine Destabilisation der negativen Rückkopplung verursacht, bei der das Maximum der Korrekturvorgänge (Hyperventilation) größer als die Störgröße (Hypoxie) ist. In der Konsequenz nimmt pCO2 zu schnell und zu stark ab und unterbricht dadurch den Atemantrieb. Zwischen dem Höhepunkt der Atemaktivität und dem Maximum der Sauerstoffsättigung (SaO2) liegt physiologischerweise eine Zeitverzögerung. Diese beträgt in Meereshöhe etwa 6,8–9,4 Sekunden. Mit der Höhe steigt diese Verzögerung signifikant auf 12,0 Sekunden in 5.400 m Höhe (19).
Die Folge dieser nun erheblich größeren Verzögerung ist, dass die korrigierende Reaktion des Organismus entsprechend zeitversetzt eintritt, nämlich mit einer Phasenverschiebung von 180°oder π/2. Eine Phasenverschiebung in dieser Größenordnung ist aber nicht geeignet, um ein System zu stabilisieren, im Gegenteil: Die Reaktion setzt genau zu einem Zeitpunkt ein, an dem sie am wenigsten gebraucht wird. Als Folge wird das System nicht mehr negativ rückgekoppelt, sondern sogar verstärkt. Je größer nun die Verstärkung bei einer Phasenverschiebung von 180°ist, desto stärker wird die Ausprägung und umso kürzer die Zykluslänge der CSA sein. Der Haupttrigger der CSA in der Höhe ist das Ausmaß der Reduktion des pCO2. Hypoxämie alleine, also ohne pCO2, führt nämlich nicht zu CSA. Gleiches gilt für induzierte Hypocapnie auf Meereshöhe (20). Allerdings führt Letztere während REM-Schlafphasen doch zu CSA. Offensichtlich existiert während des Schlafes eine hochsensible CO2-Schwelle. Hierdurch wird die Steuerung des Atemrhythmus in hohem Maße von chemischen Stimuli abhängig. Auf Meereshöhe tritt CSA vor allem außerhalb der REM-Phasen auf, oberhalb von 4.300 m jedoch sowohl in REM- als auch außerhalb von REM-Phasen (18). Zwischen Schlaflosigkeit und Höhe besteht ein enger Zusammenhang: In 4.572 m Höhe waren die Probanden einer Untersuchung während 29,3 % der totalen Schlafzeit wach, in 7.620 m Höhe bereits 75,3 % (18). Man kann davon ausgehen, dass oberhalb von 8.000 m Höhe ein Schlaf im eigentlichen Wortsinn unmöglich ist. CSA-Episoden führen zu erheblichen Schwankungen der SaO2. Aufgrund der Dissoziationskurve des Oxyhämoglobins verursachen in der Höhe bereits geringe Schwankungen des pO2 erhebliche Veränderungen der SaO2. Während der CSA-Episoden ist die mittlere SaO2 weitgehend konstant und die maximale SaO2 manchmal sogar erhöht, aber dazwischen liegen längere Phasen mit kritischer Entsättigung. Allerdings stehen diese Entsättigungen nicht in direktem Zusammenhang mit schlechter Schlafqualität. Was also macht die Schlafqualität in der Höhe so schlecht? Arousals oder die Veränderung der Schlafstruktur bzw. die quantitative Verschiebung der Schlafstadien? Vermutlich die Arousals. Sie stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Veränderungen des Atemmusters. Auf Meereshöhe führen diese Arousals, soweit sie vorübergehend sind und nicht länger als 3–5 Sekunden dauern, nicht zu einer Fragmentation des Schlafes. In der Höhe tun sie dies dagegen schon. Hinzu tritt eine progressive Zunahme der Arousalhäufigkeit von 21,7/Std. auf Meereshöhe auf 161/Std. in 7.620 m (Abbildung 5) (18). In dieser Höhe treten nahezu drei Arousals pro Minute auf, was einem völligen Schlafentzug gleichkommt: Wenn gesunde junge männliche Probanden in Normoxie häufig aufgeweckt wer-
Abbildung 5: Effekt zunehmender Höhe auf die Häufigkeit von Arousals während des Schlafes (nach Daten von (18) gezeichnet) den (jede Minute, alle 2 oder alle 10 Minuten), ist ihre geistige Leistungsfähigkeit vergleichbar eingeschränkt wie bei totalem Schlafentzug (21, 22). Ein Vergleich der zahlreichen Untersuchungen zum Thema ist allerdings schwierig, denn die Verteilung der Schlafstadien differiert erheblich. Einige Autoren berichten eine Zunahme der Wachphasen und des Schlafstadiums 1, einer Abnahme der Schlafphase 2 und einer unveränderten Gesamtschlafzeit (23). Andere dagegen fanden eine Zunahme der Stadien 1 und 2, eine Abnahme der Stadien 3 und 4 und des REM-Schlafes (24). Bei der Studie „Operation Everest II“ nahmen die Wachphasen von 9,5 % auf Meereshöhe auf 45,8 % in 7.620 m Höhe zu. Parallel fiel der Anteil der REM-Phasen von 17,9 % auf 4,0 %, die Stadien 3 und 4 blieben unverändert (18). Interessanterweise unterschieden sich die Schlafstadien nicht wesentlich in 4.572 m und 7.620 m Höhe und die Schlafeffizienz blieb ebenfalls unverändert (18). Wiederum andere fanden eine nahezu unveränderte Schlafstruktur, allerdings wurde die Studie in nur 3.200 m Höhe durchgeführt (25).
IST PERIODISCHE ATMUNG IN DER HÖHE NUN VON VORTEIL ODER URSACHE FÜR STÖRUNGEN?
Vermutlich reden wir von zwei Seiten einer Münze: Zum einen stabilisiert intermittierende Hyperventilation die mittlere SaO2. Andererseits hat dies seinen Preis, denn der Schlaf wird spürbar gestört und die Betroffenen fühlen sich am
nächsten Tag entsprechend schlecht, wenn die Hyperventilation nicht innerhalb des üblichen Ausmaßes bleibt und des Öfteren Phasen mit Apnoen und Arousals auftreten. In mittlerer Höhe bis etwa 3.000 oder 3.500 m Höhe überwiegen vermutlich die Vor- die Nachteile: SaO2 ist recht konstant, während das Schlafmuster kaum gestört ist und die Zahl der Arousals nur etwas zunimmt. Dies stimmt mit Beobachtungen überein, die jeder, der in einer Berghütte entsprechender Höhe einmal geschlafen hat, bestätigen kann: Wenn es hier zu Schlafstörungen kommt, dann beklagen sich die Betroffenen über alle möglichen externen Faktoren, aber nur selten über subjektiv empfundene Atemstörungen. Mit weiter zunehmender Höhe ändert sich dies in bemerkenswertem Ausmaß. Hier muss periodische Atmung als Störgröße für erholsamen Schlaf angesehen werden, denn sie beeinträchtigt nicht nur die Schlafstruktur, sondern zerstört sie schließlich vollständig mit der Konsequenz eines völligen Schlafentzugs und dessen physische und mentale Folgen für den Bergsteiger. Der Goldstandard, diese Probleme zu vermeiden oder in extremer Höhe zumindest so weit wie möglich in Grenzen zu halten, ist adäquate Höhenakklimatisation. Einige Autoren empfehlen Acetazolamid (2x 250 mg/Tag) zur Prävention von CSA in der Höhe und zur Besserung der am nächsten Morgen resultierenden Symptome. Der Mechanismus beruht auf einer Steigerung der renalen Bikarbonatausscheidung durch Hemmung der Carboanhydrase. Die entstehende metabolische Azidose wirkt dem atemhemmenden Effekt der Hyperventilation entgegen, oder – formal gesprochen – die oben beschriebene Phasenverschiebung wird minimiert und das System der negativen Rückkopplung so stabilisiert. Allerdings muss dieser Effekt mit einigen Nebenwirkungen erkauft werden, neben weniger relevanten wie Geschmacksveränderungen vor allem der diuretischen Hauptwirkung dieser Substanz. Diese wird eine sowieso bei jedem Bergsteiger bestehende Dehydratation weiter verstärken und damit indirekt diverse alpine Risiken erhöhen, neben Erfrierungsgefahr und Thrombose-/ Embolierisiko in extremen Höhen vor allem auch die Anfälligkeit gegenüber AMS. Daneben reduziert Exsikkose die aerobe Leistungsfähigkeit und die Diurese stört primär den Nachtschlaf, denn Betroffene müssen nachts des Öfteren urinieren – in der eisigen Umgebung sicher kein Vergnügen und danach ist man sicher hellwach. Vorläufige Ergebnisse einer Studie haben gezeigt, dass der atemstimulierende Effekt von Acetazolamid auch mit geringeren Dosen (2x 125 mg/Tag) und dann deutlich geringeren Nebenwirkungen erreicht werden kann (26), aber vor dem Hintergrund, dass nahezu alle Personen, die sich großer Höhe aussetzen, exsikkiert sind, stellt sich nach wie vor die Frage, warum diese primär diuretische Substanzen einnehmen sollen.
In der Zukunft gibt es möglicherweise bessere Alternativen. Auch wenn vereinzelt gegenläufige Ergebnisse publiziert wurden – wobei im Einzelfall die Untersuchungen methodische Defizite aufwiesen –, konnte in einer doppelblinden, randomisierten und placebokontrollierten Studie gezeigt werden, dass Theophyllin einen signifikanten positiven Effekt auf die höhenbedingte CSA und die Symptome der AMS in 4.559 m Höhe hat (27, 28). Gieseler berichtete in nicht systematisierten Feldstudien an etwa 100 Bergsteigern in den Anden und im Himalaya in Höhen zwischen 5.000 und 8.000 m über gleichlautende Beobachtungen (U. Gieseler, persönliche Mitteilungen 2005–2007). Auch wenn es zu früh ist, auf der derzeitigen Datenbasis einen neuen „Goldstandard“ zu definieren, so kann doch festgestellt werden, dass es bei einer einmaligen abendlichen Einnahme von 300–400 mg Theophyllin retard zu einer erheblichen Besserung der Veränderungen, des subjektiven Empfindens und der mentalen wie physischen Belastbarkeit kommt. Wenn die Medikation bereits 2–3 Tage vor Höhenaufstieg begonnen wurde, wurden in der Höhe keine unerwünschten Wirkungen beobachtet, insbesondere keine Tachykardie. Dies begründet sich durch die in der Literatur gut belegte Tachyphylaxie des Theophyllins über etwa 72 Stunden. Im Gegensatz dazu berichtet Fischer über eine hohe Abbrecherrate in seinen Studien wegen Tachykardie und Diurese und kommt dadurch zu dem Schluss, die Anwendung von Theophyllin in der Höhe abzulehnen (29, 30). Dabei sollte aber auf die entscheidende Schwäche seines Studiendesigns aufmerksam gemacht werden: Der Beginn der Medikation nach abruptem (passivem) Höhenaufstieg auf über 3.400 m. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass weitere Untersuchungen nötig sind, bevor endgültig über die Anwendung von Theophyllin in der Höhe entschieden werden kann. Unabhängig von jeglichen Daten zur Prävention von CSA und Schlafstörungen in der Höhe stellt sich die prinzipielle Frage nach „Doping“ im erweiterten Wortsinn. Sportlich-faires Bergsteigen und die Einnahme von Medikamenten zur Prävention irgendwelcher Beschwerden schließen sich eigentlich aus. Andererseits gibt es Situationen, bei denen ein schneller Höhenaufstieg unvermeidbar ist. Als Vorschlag werden die folgenden Situationen formuliert, in denen die Anwendung von Medikamenten zur Vermeidung von höhenbedingten Beschwerden ethisch vertretbar ist: • Reproduzierbare Höhenprobleme trotz erfolgter Akklimatisation entsprechend den allgemeinen Empfehlungen (sog. „slow acclimatizer“). • Notwendiger Direktflug zu hoch gelegenen Flughäfen (z. B. La Paz). • Zwingend nötige schnelle Aufstiege, beispielsweise zu Rettungszwecken. In jedem Fall ist der Einsatz von Medikamenten also nur im Einzelfall und nach besonderer Abwägung von Nutzen und Risiken zu erwägen.
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Alfred Maier
Alpinmedizinische Aspekte des Thoraxtraumas
Thoracic trauma in mountaineering
SUMMARY
Trauma has been shown the most common cause of death in people < 40 years. Approximately 25 % of these lethal cases are directly related to thoracic trauma. The initial management in the first “golden” hour after injury is responsible for a substantial survival. Therefore, early diagnosis and treatment are the main variables on outcome. The primary diagnosis and treatment on scene depends on a fundamental understanding of anatomy and pathophysiology as well as the typical clinical signs. Injury to the chest must always be considered as multicavity affecting, if the superior or inferior extent of the thorax has been violated. The pathophysiological considerations are based on the disturbed cardiorespiratory functions as a result of the trauma. One should consider, that respiration depends on the integrity of the chest wall, the underlying membranes, a negative intrapleural pressure and an intact musculo-skeletal system. Shock and hypoxemia are always the response to major trauma. Typical clinical signs are contusions of the thorax, rip fractures, hematoma, lung contusions, flail chest due to multiple rip fractures, hemoptysis due to lung lesions or tracheo-bronchial lesions, subcutaneous and mediastinal emphysema, cyanosis, and shock symptoms. In general treatment options on scene are resuscitation, intubation and chest tube drainage. However, the decision depends on many variables and the individual situation. In general load and go is recommended in hemodynamic and respiratory stable patients with GCS > 8. In contrast, stay and play is recommended in unstable patients with shock and/or unconciousness. Keywords:Thoracic trauma, prehospital thoracostomy, chest tube thoracostomy.
ZUSAMMENFASSUNG
Ein Trauma ist die häufigste Todesursache bei den < 40-Jährigen, 25 % davon sind direkt assoziiert mit einem Thoraxtrauma. Die Verletzung des thorakalen
Skeletts (Rippen/Wirbelsäule) sowie der Viszera ist bedingt durch die pathophysiologischen Besonderheiten – Atmung, Herz-Kreislauf – in alpiner Umgebung als besonders problematisch einzustufen, da die Transportwege und -möglichkeiten schwierig sind. Die rechtzeitige Diagnose und Therapie im Falle einer Brustkorbverletzung sind für die Prognose von entscheidender Bedeutung. Verletzungen des Thorax entstehen prinzipiell durch Krafteinwirkung (mv2/2) auf den Brustkorb, wobei die enge Verbindung des cardio-respiratorischen Systems massiv beeinträchtigt wird und kleine Ursachen große Folgewirkungen haben können. Die Grundlage für rationale Entscheidungsprozesse am Unfallort ist ein fundamentales Verständnis der speziellen anatomischen und pathophysiologischen Zusammenhänge beim Thoraxtrauma. Die Kenntnis der typischen Symptome thorakaler Verletzungen und deren möglicher Ursachen und Folgewirkungen sollte eine Entscheidungshilfe für mögliche therapeutische Schritte darstellen. Im Speziellen geht es dabei immer um die Frage „load and go“ oder „stay and play“, d. h. soll vor Ort intubiert und thoraxdrainiert werden oder nicht. Zusammenfassend kann jedoch festgestellt werden, dass, basierend auf Literaturdaten, bei hämodynamischer und respiratorischer Stabilität sowie erhaltenem Bewusstsein auf die präklinische Maßnahme der Intubation verzichtet werden sollte. Es darf jedoch keinesfalls auf die notwendigen lebensrettenden therapeutischen Schritte verzichtet werden, wenn es sich um instabile schwerstverletzte Patienten handelt, insbesondere auch dann, wenn die Situation aussichtslos erscheint. Schlüsselwörter: Thoraxtrauma, Thoraxdrainage, Prähospitalphase.
EINLEITUNG
Der Massentourismus hat, wie das letzte Jahrzehnt gezeigt hat, auch nicht vor dem Alpinismus, und im Speziellen dem Hochalpinismus, Halt gemacht. Diese Tatsache führte dazu, dass immer mehr Menschen mit schlechtem Trainingszustand und ungenügender Ausrüstung in alpines Gelände aller Kontinente vorrücken. Damit ist neben vielen negativen Aspekten für die Natur auch die Gefahr von zunehmenden Alpinunfällen verbunden. Die meisten Unfälle beziehen sich dabei jedoch auf das skeleto-muskuläre System der Extremitäten. Schwerere Verletzungsmuster unter Mitbeteiligung abdomineller und thorakaler Viszera sind dabei zweifelsohne eine Seltenheit. Dennoch ist ein Trauma die häufigste Todesursache bei den < 40-Jährigen und ~ 25 % davon sind direkt assoziiert mit einem Thoraxtrauma (1, 2). Die Verletzung des thorakalen Skeletts (Rippen/Wirbelsäule) sowie der Viszera ist bedingt durch die anatomischen und pathophysiologischen Besonderhei-
ten – Atmung, Herz-Kreislauf – in alpiner Umgebung als besonders problematisch einzustufen, da die Transportwege und -möglichkeiten oftmals extrem schwierig sind. Diese Tatsache ist besonders vor dem Hintergrund zu sehen, dass die rechtzeitige Diagnose und Therapie im Falle einer Brustkorbverletzung für die Prognose von entscheidender Bedeutung ist. Die Mortalität wird dabei unter optimalen Bedingungen mit ca. 10 % angegeben. In der ersten Stunde nach der Krankenhausaufnahme ist bei einem Todesfall, die häufigste Ursache ein Thorax- oder Schädel-Hirn-Trauma (3) Entsprechend den Literaturdaten findet man eine thorakale Verletzung bei einem Polytrauma in der Hälfte der Fälle, wobei 80-90% aller Thoraxtraumen immer mit einem Polytrauma assoziiert sind (1). Im Bereich der Alpinunfälle ist ein Thoraxtrauma bei ~30% der Fälle als Begleitverletzung vorhanden (2). Schwere Verletzungen der thorakalen Viszera (Lunge, Gefäße, Herz, Zwerchfell) wurden in unserem Krankengut an 1159 nachuntersuchten Fällen in ~20% der Fälle diagnostiziert. In ~80% der Fälle handelte es sich um einen Pneumound/oder Hämatothorax mit oder ohne Instabilität des knöchernen Thoraxgerüstes.
URSACHEN DES THORAXTRAUMAS
Verletzungen des Thorax entstehen prinzipiell durch Krafteinwirkung (mv2/2) auf den Brustkorb, wobei die enge Verbindung zum cardio-respiratorischen System zu massiven Beeinträchtigungen führt. Kleine Ursachen können somit große Folgewirkungen haben. Prinzipielle Möglichkeiten der Krafteinwirkung: * Direkttrauma * Dezelerationstrauma * Akzelerationstrauma * Perforationstrauma * Thoraxkompressionssyndrom (Perthes-Syndrom), z. B. bei Lawinenunfall * Dekompressionssyndrom, z. B. bei Lawinenunfall – Druckwelle, Barotrauma, Caisson bei Einschluss in eine Luftkammer unter Überdruckbedingungen
ARTEN DES THORAXTRAUMAS
Stumpfes Thoraxtrauma Jedes stumpfe Thoraxtrauma kann durch die gebrochenen scharfkantigen Rippen zu penetrierenden Verletzungen der Viszera führen.
Perforierendes/penetrierendes Thoraxtrauma Immer verbunden mit der Gefahr von Verletzungen der Viszera und konsekutivem großem Blutverlust.
TYPISCHE KLINISCHE ZEICHEN DES THORAXTRAUMAS
Schmerzen Rippenfrakturen Atemnot Hämatopneumothorax Lungenkontusion Rippenfrakturen Zwerchfellruptur Tracheo-bronchiale Läsion Zyanose Perikardtamponade Perthessyndrom Hypoxämie Krepitationen (subkutanes Emphysem) Rippenfrakturen Lungenläsionen Tracheo-bronchiale Läsionen Ösophagusläsionen Kontusionen Rippenfrakturen Viszerale Läsionen Hämoptysen Lungenläsion Tracheo-bronchiale Läsion Hämodynamische Instabilität Schock/Blutung
PATHOPHYSIOLOGISCHE ÜBERLEGUNGEN AUF BASIS DER KLINIK
Respiratorische Insuffizienz:
Knöcherne Verletzungen
Die Atemfunktion basiert auf: • einem intakten knöchernen Brustkorb mit den darunterliegenden Membranen (Rippen- und Lungenfell)
• einem negativen intrapleuralen Druck • koordinierter Funktion des muskuloskeletalen Systems Atemwegsverletzungen • Larynx • Trachea • Bronchien Häufig assoziiert mit Pneumothorax, subkutanem und mediastinalem Emphysem Lungenverletzungen
Häufig assoziiert mit Hämoptysen • Pneumothorax • Hämatothorax • Spannungssymtomatik
Schock und Hypoxämie (4) (Tabelle 1) Blutverlust > 2.000 ml oder 40 % des Blutvolumens
Estimated blood loss based on clinical parameters
Blood loss (ml) Blood loss (% volume) Pulse rate
Blood pressure Respiratory rate Urine output (ml/hr) Mental status Fluid replacement (3:1 rule) CLASS I CLASS II CLASS III CLASS IV
< 750 150–1500 1500–2000 > 2000
< 15 % 15–30 % 30–40 % > 40 %
< 100 > 100 > 120 > 140
normal normal decreased decreased
14–20 20–30 30–40 > 35
> 30 20–30 5–15 negligible
anxious anxious confused lethargic
crystalloid crystalloid crystalloid and blood crystalloid and blood
Tabelle 1: Geschätzter Blutverlust nach klinischen Parametern
Mediastinal- oder Subkutanes Emphysem • Lungenverletzung • Atemwegsverletzung • Ösophagusverletzung
LAGERUNGSOPTIONEN BEIM THORAXTRAUMA
Der thoraxtraumatisierte Patient sollte bei erhaltenem Bewusstsein prinzipiell sitzend gelagert werden, da die Atemfunktion durch Unterstützung der auxiliären Atemmuskulatur dabei gut erhalten werden kann. Besteht eine hämodynamische und/oder respiratorische Instabilität mit der Notwendigkeit der Intubation, sollte der Patient auf der verletzten Seite gelagert werden, um eine Blutaspiration auf die gesunde Seite (inneres Ertrinken) zu verhindern. Der intubierte Patient muss des weiteren permanent abgesaugt werden. Im Idealfall sollte bei Hämotysen aber eine Doppellumenintubation durchgeführt werden. Besteht keine Möglichkeit zur notwendigen Intubation, muss der Patient auf der traumatisierten Seite und Oberkörper tief gelagert werden.
DIAGNOSTISCHE UND THERAPEUTISCHE OPTIONEN VOR ORT
Die Grundlage für rationale Entscheidungsprozesse am Unfallort ist ein fundamentales Verständnis der anatomischen und pathophysiologischen Zusammenhänge beim Thoraxtrauma. Die Kenntnis der typischen Symptome thorakaler Verletzungen und deren möglicher Ursachen und Folgewirkungen sollte eine Entscheidungshilfe für mögliche therapeutische Schritte darstellen. Es müssen dabei innerhalb kürzester Zeit lebensrettende Maßnahmen ergriffen werden, wobei am Unfallort von Notfallmedizinern prinzipiell zwei Grundprinzipien verfolgt werden: 1. „load and go“ 2. „stay and play“
Prinzipiell bleibt die Entscheidung, nach welchem Prinzip gehandelt wird, immer eine Individualentscheidung, basierend auf einer Vielfalt an Einzelfaktoren. Dennoch gibt es Entscheidungshilfen basierend auf Literaturdaten und Erfahrungen großer Zentren (Tabelle 1 und 2) (4). Im Speziellen geht es dabei immer um die Frage, soll vor Ort intubiert und thoraxdrainiert werden oder nicht. In Beantwortung der Frage nach präklinischer Intubation, eine für den betreffenden Patienten möglicherweise lebensrettende Maßnahme, wird immer wieder gerne die Studie von Ruchholtz et. al. zitiert (5). Dabei wurden aus einem Kollektiv von 3.814 Patienten mit oder ohne Intubation am Unfallort zwei vergleichbare Gruppen mit je 44 Patienten gebildet. Die Gruppen waren vergleichbar betreffend: Alter (36a), „Injury Severity Score“ (29) sowie „Trauma and Injury Severity Score“ (TRISS) 92,5. Keiner der Patienten in den beiden Gruppen war bewusstlos oder hatte eine respiratorische Insuffizienz.
Response to initial fluid resuscitation: A decision for load and go vs.stay and play based on clinical signs
Vital Signs Estimated blood loss Need for more crystalloid
Rapid response
normalize
Minimal (< 20 %)
Transient Response Transient improvement Moderate and ongoing (20–40 %) No Response
Remain abnormal
Severe (> 40 %)
low high high
Need for blood
Need for operative intervention
low Moderate to high immediate
possibly likely highly likely
Tabelle 2: Ansprechen auf Flüssigkeitssubstitution zur Entscheidungsfindung „stay and play“ oder „load and go“
Es zeigten sich signifikante Ergebnisse zugunsten der nicht intubierten Gruppe betreffend: * die Zeit zwischen Unfall und Krankenhausaufnahme * präklinischer Flüssigkeitsbedarf * Anzahl an Transfusionen und Notfalloperationen * Anzahl der Multiorganversagen, Intensivaufenthaltstage * Mortalitätsrate
Eine rezente australische Studie (6) konnte andererseits zeigen, dass bei Schwerstverletzten mit hämodynamischer und respiratorischer Instabilität die präklinische Intubation und Thoraxdrainage unerwartet vielen Patienten das Leben retten konnte. Jeder Notfallmediziner muss sich jedoch des Faktums bewusst sein, dass die Entscheidung zur präklinischen Intubation beim Thoraxtrauma immer mit der Entscheidung zur Thoraxdrainage verbunden ist (7, 8, 9, 10). Die Begründung dafür liegt in der während des Transportes durchgeführten Überdruckbeatmung und dem extrem hohen Risiko eines Spannungspneumo- und/oder Hämathothorax.
INDIKATIONEN ZUR PRÄKLINISCHEN THORAXDRAINAGE
* Respiratorische Insuffizienz und konsekutive Intubation
Immer zuerst intubieren und danach thoraxdrainieren.
Subkutanes und medistinales Emphysem bei langem Transportweg und/oder Helikoptertransport (Gefahr des Spannungspneumothorax) * Hämodynamische Insuffizienz
Drainage bei Blutverlust von > 750 ml: Klemmen bis zum Erreichen des
Zielkrankenhauses
TECHNIK DER PRÄKLINISCHEN THORAXDRAINAGE (ABBILDUNG 1A + 1B)
Abbildung 1a + 1b: Technik der Anlage einer digitalen Thoraxdrainage
Instrumentarium Skalpellklinge, Handschuhe, Tubus
Lagerung Rücken mit 90°abduziertem Arm
Hautdesinfektion und sterile Abdeckung Im Notfall nicht notwendig
Technik • Hautschnitt etwa 5 cm im Bereich der mittleren Axillarlinie auf Mamillenhöhe • Subkutis muss mit dem Skalpell durchtrennt werden • stumpfe Eröffnung des Intercostalraumes am Oberrand der Rippe • digitale Austastung des Pleuraraumes • Einbringen des Tubus in den Pleuraraum und Blocken des Cuffs • Eine Saugung oder ein Heimlichventil ist nicht notwendig, da davon auszugehen ist, dass der Patient überdruckbeatmet ist und ein externer Pneumothorax damit ausgeschlossen werden kann.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, dass basierend auf Literaturdaten bei hämodynamischer und respiratorischer Stabilität sowie erhaltenem Bewusstsein auf die präklinische Maßnahme der Intubation verzichtet werden sollte. Es darf jedoch keinesfalls auf die notwendigen lebensrettenden therapeutischen Schritte verzichtet werden, wenn es sich um instabile schwerstverletzte Patienten handelt. Wie aus der Literatur bekannt ist, kann dabei selbst in aussichtslosen Situationen Menschenleben gerettet werden. Die Indikationen und Grundtechniken der Intubation und Thoraxdrainage sollten daher jedem Notfallmediziner bewusst sein. Entsprechende Schulungen und Kurse sollten daher speziell von nicht chirurgischen Ärzten regelmäßig besucht werden.
LITERATUR
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Matthias Hohlrieder, Hermann Brugger, Heinrich Schubert, Marion Pavlic, Peter Mair
Verletzungsmuster bei Lawinenopfern
Pattern of Injury in Avalanche Victims*
SUMMARY
In avalanche accidents, the significance of major trauma as a cause of morbidity and mortality is controversial. The aim of this retrospective study is to determine the severity and pattern of injury in avalanche victims admitted to the University Hospital of Innsbruck between 1996 and 2005. A total of 49 significant injuries were found in 105 avalanche victims; the most frequent were of the extremities (n = 20), the chest (n = 18) and the spine (n = 7). In contrast, cerebral (n = 2), abdominal visceral (n = 1), and pelvic trauma (n = 1) were rare. The severity of injury was minor or moderate in most patients with only 9 (8.6 %) being severely or critically injured. 36 of 105 (34.3 %) avalanche victims died. Autopsy was performed in 30 of 36 non-survivors. The cause of death in the remaining 6 victims was concluded from clinical, radiological and electrophysiological findings. Trauma was responsible for deaths of only 2 avalanche victims (5.6 %); both had cervical spine fractures with dislocation leading to death. One death was due to hypothermia, whereas the remaining 33 fatalities (91.7 %) were due to asphyxia. The incidence of life-threatening or lethal trauma was well below 10 %. Asphyxia is by far the most important reason for death. Deaths from trauma were solely due to isolated cervical injuries, demonstrating that the cervical spine may be a region particular at risk in avalanche victims. Keywords: avalanche, autopsy, death, injury, trauma.
ZUSAMMENFASSUNG
Bei Lawinenopfern wird die Bedeutung schwerer Verletzungen für Morbidität und Mortalität kontrovers beurteilt. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Schwere und das Verletzungsmuster der zwischen 1996 und 2005 an der Medizinischen Universität Innsbruck aufgenommenen Lawinenopfer zu erheben.
* Die vorliegende Arbeit basiert auf der Originalpublikation: Hohlrieder M., Brugger H., Schubert H., Pavlic M., Ellerton J., Mair P. Pattern and Severity of Injury in Avalanche Victims. High Alt Med Biol 2007; 8(1): 56–61
Insgesamt wurden 49 Einzelverletzungen bei 105 evaluierten Patienten diagnostiziert, am häufigsten im Bereich der Extremitäten (n = 20), des Thorax (n = 18) und der Wirbelsäule (n = 7). Sowohl Schädel-Hirn-Traumen (n = 2) als auch abdomino-viszerale Traumen (n = 1) waren selten. Die meisten Opfer wiesen leichte oder moderate Verletzungsmuster auf, lediglich 9 (8.6 %) wurden schwer oder kritisch verletzt. Die Letalitätsrate lag bei 34,3 % (n = 36); 30 Lawinenopfer wurden gerichtsmedizinisch autopsiert, in den restlichen 6 Fällen wurde die Todesursache aufgrund klinischer, radiologischer und elektrophysiologischer Befunde bestimmt. In zwei Fällen (5,6 %) standen die erlittenen Traumen als Todesursache im Vordergrund, beide Patienten erlitten zervikale Luxationsfrakturen. Ein Opfer (2,8 %) starb infolge Hypothermie, alle anderen (91,7 %) infolge akuter Asphyxie. Konklusion: Die Inzidenz lebensbedrohlicher und letaler Traumen liegt bei Lawinenopfern deutlich unter 10 %. Letale Traumen traten lediglich in Form isolierter schwerer Halswirbelsäulen-Traumen auf, offensichtlich ist die Halswirbelsäule bei Lawinenopfern prinzipiell besonders gefährdet. Schlüsselwörter: Lawine, Autopsie, Tod, Trauma.
EINLEITUNG
Rund 100 bis 150 Menschen sterben jährlich im Rahmen von Lawinenunfällen in Europa und Nordamerika (1). Man geht davon aus, dass das Ersticken in den meisten Fällen die Todesursache darstellt (2–4). Allerdings sind in der Literatur auch schwere Verletzungen beschrieben worden, unter anderem stumpfe Abdominal-, Becken-, Thorax- und Schädelhirntraumen (5–7). Die Inzidenz lebensbedrohlicher oder letaler Traumen wurde zwischen 4 % (8) und 50 % (6) angegeben, deren Bedeutung für Mortalität und Morbidität wird kontrovers beurteilt. Ziel dieser retrospektiven Arbeit war es, die Inzidenz signifikanter Traumen bei Lawinenopfern zu erheben und das Verletzungsmuster zu beschreiben.
METHODEN UND PATIENTEN
Im Einzugsbereich der Medizinischen Universität Innsbruck als Level-1-Trauma-Zentrum liegen mehrere beliebte Varianten- und Tourenschigebiete. Während des 10-Jahres-Zeitraums zwischen 1996 und 2005 wurden 105 Lawinenopfer entweder über die unfallchirurgische Ambulanz bzw. den Schockraum aufgenommen oder primär ans gerichtsmedizinische Institut überstellt. Für alle Patienten wurden sämtliche medizinischen Diagnosen während des Aufenthalts sowie gegebenenfalls die autoptischen Befunde analysiert. Alle Verletzungen wurden anhand des Abbreviated Injury Scale (AIS) gradu-
iert, daraus wurde der Injury Severity Score (ISS) errechnet (9–10). ISS-Werte zwischen 1 und 7 wurden als leichtes Trauma gewertet, 8–13 als moderates, 14-20 als schweres und größer 20 als kritisches Trauma (11). Zur Analyse des Verletzungsmusters wurden lediglich Frakturen und Luxationen sowie Verletzungen mit AIS-Werten größer oder gleich 3 berücksichtigt. Außerdem wurden zu den einzelnen Unfällen die Begleitumstände anhand der Aufzeichnungen des Österreichischen Bergrettungsdienstes sowie durch persönliche Interviews der Lawinenopfer erhoben. Festgehalten wurden in jedem Fall die Art der Aktivität (Schifahrer, Snowboarder, Bergsteiger), die Art der Verschüttung (ganz, teilweise) und die Verschüttungstiefe. Als ganz verschüttet wurde ein Lawinenopfer konventionsgemäß dann bezeichnet, wenn Kopf und Thorax komplett schneebedeckt waren, unabhängig davon, ob andere Körperteile oder Ausrüstungsgegenstände an der Schneeoberfläche sichtbar waren.
Statistik
Zur Beschreibung kontinuierlicher Variablen wurden Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet, P-Werte kleiner 0,05 wurden als signifikant betrachtet.
ERGEBNISSE
Das Durchschnittsalter betrug 38 (±15) Jahre, 85 der 115 Opfer (81 %) waren männlich. Die meisten Betroffenen waren Schifahrer (76.2 %), ein kleinerer Teil Snowboarder (15.2 %) und Bergsteiger (8.6 %). Ganzverschüttet wurden 67 (63.8 %) Betroffene, die durchschnittliche Verschüttungstiefe betrug bei diesen 1.1 (±0.8) Meter. Rund die Hälfte (n = 37) aller Ganzverschütteten wurden im Kreislaufstillstand aus den Schneemassen geborgen.
Management und Outcome
Elf (10.5 %) Lawinenopfer wurden bereits vor Ort für tot erklärt und direkt ans Institut für Gerichtsmedizin in Innsbruck transportiert, die restlichen 94 (89.5 %) wurden an den Innsbrucker Universitätskliniken aufgenommen (Abbildung 1). Von den aufgenommenen Opfern wurden 11 im Schockraum nach prolongierter Reanimation entsprechend den ICAR-MEDCOM-Kriterien (12) für tot erklärt und ans gerichtsmedizinische Institut transferiert. 62 Patienten mussten stationär behandelt werden, die restlichen 21 Patienten waren leicht oder unverletzt und konnten ambulant behandelt werden. Vierzehn Patienten starben im Laufe des Klinikaufenthaltes, 8 davon wurden gerichtsmedizinisch obduziert. Von 5 mittels extrakorporaler Zirkulation (ECMO) wiedererwärmten Patienten überlebte einer.
Abbildung 1: Management und Outcome
Verletzungsmuster
Insgesamt blieben 78 (74.3 %) Lawinenopfer unverletzt oder erlitten nur leichte Verletzungen (ISS < 8), 18 (17.1 %) wurden mittelgradig (ISS 8–13), zwei (1.9 %) schwer (ISS 14–20) und 7 (6.7 %) lebensbedrohlich (ISS > 20) verletzt. Unter den 49 diagnostizierten Einzelverletzungen (Tabelle 1) waren Frakturen der Extremitäten (n = 20) am häufigsten. Thoraxtraumen traten bei 18 Patienten auf, Rippen- und Sternumfrakturen wurden in 12 von 16 Fällen als Reanimationsverletzungen interpretiert. Wirbelsäulenfrakturen wurden bei 7 Patienten (6.7 %) diagnostiziert, drei davon in der Zervikalregion. Schwere SchädelHirn-, Abdominal- und Beckentraumen waren selten.
Todesursachen
Insgesamt starben 36 der 105 Lawinenopfer (34.3 %). Ein Opfer (2.8 %) starb infolge Hypothermie, dies wurde autoptisch in erster Linie anhand zahlreicher Wischnewsky`s-Spots in der gastralen Mukosa nachgewiesen. Zwei Opfer (5.6 %) erlitten letale, isolierte Halswirbel-Luxationsfrakturen. Bei den restlichen 33 Opfern wurde Asphyxie als Todesursache eruiert, hauptsächlich basierend auf der Kombination von rechtsventrikulärer Dilatation, Hirnödem sowie kleiner pleuraler, konjunktivaler und oraler Schleimhautblutungen. 30 der 36 Todesopfer wurden obduziert. Bei den restlichen sechs konnte die Todesursache aufgrund klini-
Tabelle 1: Verletzungen der 105 Lawinenopfer
scher, radiologischer und elektrophysiologischer Untersuchungen bestimmt werden, relevante Traumen konnten bei diesen Patienten ausgeschlossen werden.
DISKUSSION
Die Inzidenz lebensbedrohlicher und letaler Traumen lag in dieser retrospektiven Untersuchung deutlich unter 10 %. Nachdem viele unverletzte oder leicht verletzte Lawinenopfer wohl nie in ärztliche Behandlung kommen und damit hier unberücksichtigt bleiben, dürfte die tatsächliche Inzidenz bedeutender Traumen noch niedriger liegen.
Unsere Ergebnisse bestätigen in Übereinstimmung mit mehreren anderen Studien (7, 8, 13–15), dass schwere Traumen beim Lawinenopfer selten sind. Nichtsdestotrotz fand Grossman (6) in Utah (USA) Multisystemtraumen mit möglichen Todesfolgen in 50 % aller mit Herzkreislauf-Stillstand im Krankenhaus aufgenommenen Patienten. Allerdings wurden im Rahmen Grossmans Untersuchung keine Autopsien durchgeführt, sodass der hohe Anteil traumatischer Todesfälle bezweifelt werden darf. Die Angaben in der Literatur zur Inzidenz des letalen Traumas beim Lawinenunfall sind insgesamt sehr unterschiedlich, weil unterschiedliche Lawinentypen, unterschiedliches Terrain, verschiedene Schneedichten und Hindernisse wie Bäume oder Felsen im Bereich der Lawinenbahn das Verletzungsmuster maßgeblich beeinflussen. Insbesondere erleiden Opfer bei Katastrophenlawinen oder Bergsteiger, die in felsigem, steilem Gelände erfasst werden, häufiger letale Traumen als Opfer klassischer Schifahrer-Lawinen. Die Tatsache, dass letale Traumen bei Lawinenopfern selten sind, ist von großer Bedeutung – ist doch die gesamte Sicherheitsausrüstung nicht auf die Vermeidung von Verletzungen, sondern allein auf die Verhinderung der Asphyxie ausgerichtet: Lawinenairbags (Airbag-System™, Mountain Safety Systems Ltd., Whistler/Canada) zur Reduktion der Verschüttungstiefe, Lawinen-Verschütteten-Suchgeräte zur Verkürzung der Verschüttungszeit oder das AvaLung-System (AvaLung-System™, Black Diamond Equipment, Salt Lake City) zur Verlängerung der Überlebenszeit unter den Schneemassen. Neben Thoraxtraumen konnten Frakturen der unteren Extremität und Schulterluxationen als häufigste Verletzungen eruiert werden. Diese Traumen kommen offensichtlich durch Kräfte der fliessenden Schneemassen zustande, die über Schier/Snowboards und Schistöcke auf den menschlichen Körper übertragen werden. Die befestigten Schier könnten darüber hinaus wie eine Art Anker wirken und zu einer tieferen Verschüttung beitragen. Deshalb wird häufig empfohlen, sich im Falle einer Lawinenerfassung nach Möglichkeit von Schiern, Snowboard und Schistöcken zu befreien. Thoraxtraumen können bei Lawinenopfern denkbar durch den hohen Schneedruck oder beim Anprall an Hindernissen entstehen. Im untersuchten Patientengut scheint jedoch die Mehrzahl der 18 thorakalen Verletzungen durch die Herzmassage im Rahmen der kardiopulmonalen Reanimation entstanden zu sein. Diese hohe Inzidenz an reanimationsbedingten Verletzungen kann unter anderem durch die Hypothermie-bedingte Steifheit des Thorax erklärt werden (16). Ferner sind viele Reanimationsverletzungen aber auch durch die schwierigen Umstände der Reanimation erklärbar, die bei hypothermen Patienten oft prolongiert durchgeführt werden muss. Thoraxtraumen haben bei kardiovaskulär instabilen
Patienten insofern eine besondere Bedeutung, als dass es durch die notwendige Antikoagulation bei Anwendung extrakorporaler Rewarming-Verfahren (Extrakorporale Membranoxygenation) zu unstillbaren Blutungen kommen kann. Zwei Lawinenopfer starben infolge der erlittenen Traumen, sie wiesen schwere isolierte Halswirbelsäulen-Verletzungen auf. Aufgrund der Umstände der beiden Unfälle kann ein Hyperflexions-/Hyperextensionsmechanismus angenommen werden. Derartige Verletzungen sind bereits vereinzelt in der Literatur beschrieben worden (14, 15). Zum Schutz vor Halswirbelsäulenverletzungen ist eine spezielle Airbag-Weste (Avagear™, Avagear INC., San Francisco/USA) entwickelt worden, die in der Lage sein soll, die beim Lawinenabgang auf die Halswirbelsäule einwirkenden Kräfte zu reduzieren (17). Sie hat allerdings bis dato keine breite Verwendung gefunden. Gerade bei bewusstlosen Lawinenopfern sollte im Rahmen der präklinischen Versorgung unbedingt auf eine adäquate Immobilisation der Halswirbelsäule geachtet und diese mittels Schanzkrawatte (z. B. Stiffneck™, Laerdal Medical Corporation, New York) stabilisiert werden. Schädel-Hirn-Traumen traten in lediglich 2 % der Fälle auf. Im Gegensatz dazu berichteten Johnson et al. (5) aus Utah (USA) von 61 % Schädel-Hirn-Traumen, rund jedes dritte davon lebensbedrohlich. Dieser markante Unterschied kommt allem Anschein nach durch die unterschiedlichen Geländeverhältnisse zwischen mitteleuropäischen Alpen und nordamerikanischen Rocky Mountains zustande. Die Kollision mit Hindernissen wie Bäumen oder Felsformationen während des Lawinenabgangs birgt eine große Gefahr für Kopfverletzungen und scheint unter den Lawinenopfern in Utah ein gängiger Unfallmechanismus zu sein. In unserem Patientengut ist die Kollision mit Hindernissen allerdings selten und die Schädel-Hirn-Trauma-Inzidenz damit auch entsprechend gering. Ein wichtiger Mechanismus für die Entstehung schwerer Traumen im Rahmen eines Lawinenabgangs dürfte auch der Sturz über steiles, felsiges Gelände sowie die Kollision mit Bäumen oder Felsen sein. Dies scheint in unserem Patientengut die führende Ursache schwerer Multisystemtraumen zu sein, welche typischerweise bei teil- oder unverschütteten Opfern nach einem Absturz in felsigem Gelände gesehen wurden. Auch Stalsberg (7) wies bereits darauf hin, dass mechanische Traumen häufiger bei Teilverschütteten zu finden waren.
Konklusion
Die Inzidenz des lebensbedrohlichen oder letalen Traumas liegt bei Lawinenopfern deutlich unter 10 %, die Asphyxie ist die bei weitem wichtigste Todesursache. Letale Traumen traten lediglich in Form isolierter, zervikaler Luxationsfrakturen auf, offensichtlich ist die Halswirbelsäule bei Lawinenopfern überhaupt besonders gefährdet.
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Volker Veitl
Was können Ernährung und Nahrungsergänzung im Alpinsport leisten? –Fakten und Vermutungen
What can nutrition and nutritional supplements achieve in alpine sports? – Facts and fiction
SUMMARY
Long-term as well as short-term nutrition is directly related to physical performance in man. For endurance exercise of more than one hour, nutritional quantity as well as quality is relevant. Energy intake requirement and meal frequency are defined by intensity and length of physical activity, need of minerals and vitamins by energy requirement and losses. Adaptation to the type of diet is essential for tolerance and utilisation of the food available. Extreme physical activities are prone to cause gastrointestinal disturbances, with reduction of physical efficiency. Athletes attempt to compensate for their uncertainty with regard to nutrition by using supposedly safe mixtures of nutrients that claim to optimize nutrition or even increase physical performance. Profiles of nutritional need in alpine sports result from physical effects of altitude and the type of sport. Reduced oxygen partial pressure influences energy metabolism, thermal load and reduced water vapour pressure influence water metabolism and the higher radiation load affects oxidative stress. Influences of altitude on the organism and metabolism change nutritional habits and impair the physical performance of alpine athletes. The primary aim of nutrition at high altitude is to maintain physical performance by maintaining body weight. There is a linear correlation between time spent at increasing altitudes and negative energy balance. The composition of macronutrients in food does not. Supplementation of nutrients would not seem to be necessary with a balanced diet that provides sufficient energy. The expected physical load will determine nutritional needs, with preference either for fat or carbohydrate metabolism. The relation of the main sources of energy from food, fat and carbohydrates, determines optimal energy supply in hypoxia. Limited glycogen stores demand frequent carbohydrate intake during
long-term physical activity. To maintain body weight under extreme conditions, everything has to be eaten that is available at high altitude. During long-term physical exertion at high altitude, a meal plan should be followed, and every effort should be made to fill up in advance during rest periods. Another factor in preventing altitude-related weight loss is sufficient fluid intake in the form of food and drinks. A daily drinking schedule based on physical activity and a drinking protocol is useful for prevention and monitoring. A well-balanced diet providing adequate energy and sensible food choices are the cornerstone for supply of all essential nutrients. Optimised nutrition providing sufficient energy to maintain body weight will supply everything the body needs. During preparation for expeditions to high altitudes, the body pool of antioxidants should be filled up as well as possible in advance on the basis of sound nutritional choices. This applies as well to the iron supply; tissue stores should be filled to provide for haemoglobin synthesis and erythropoiesis. There is as yet no scientific proof that nutritional supplements do a better job than a well-balanced diet. Keywords: Nutrition, physical efficiency, energy balance, nutrient balance, fluid need, stable body weight, nutritional behaviour, nutritional supplements.
ZUSAMMENFASSUNG
Sowohl die langfristige als auch die kurzfristige Ernährung stehen in einem direkten Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit des Menschen. Für Ausdauerbelastungen ab etwa einer Stunde ist die Nahrungsqualität und -quantität auch während der Belastung bestimmend. Erforderliche Energiezufuhr und Mahlzeitenfrequenz werden durch Intensität und Dauer der körperlichen Aktivität definiert, Wirkstoffzufuhr (Mineralstoffe und Vitamine) durch Energiebedarf und eventuelle Verluste. Für Toleranz und Verwertung ist die Adaptierung an eine Ernährungsform maßgeblich. Extreme körperliche Belastungen können gastrointestinale Störungen hervorrufen mit Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit. Es wird versucht, Unsicherheit in der Ernährung durch quasi „sichere Nährstoffmischungen“ auszugleichen, die eine Optimierung der eigenen Ernährung versprechen oder gar eine Leistungssteigerung propagieren. Das Ernährungsprofil für Bergsport ergibt sich aus den physikalischen Einflüssen in der Höhe und die Charakteristika der Sportart. Verminderter O2-Partialdruck beeinflusst Energiehaushalt und thermische Belastung, verminderter Wasserdampfdruck den Flüssigkeitshaushalt, vermehrte Strahlenbelastung den oxidativen Stress. Einflüsse der Höhe auf Organismus und Stoffwechsel verändern das Ernährungsverhalten mit Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Berg-
sportlers. Erstes Ziel der Ernährung in großer Höhe ist es, durch ein konstantes Körpergewicht die Leistungsfähigkeit zu erhalten. Aufenthalt in zunehmender Höhe steht in linearer Beziehung mit einer negativen Energiebilanz. Dagegen verändert sich die Zusammensetzung der Makronährstoffe in der Nahrungswahl im Vergleich zur Normoxie nicht. Eine Supplementierung zur Nahrungsergänzung scheint bei ausreichender Energiezufuhr mit gemischter Kost nicht erforderlich zu sein. In Abhängigkeit von der zu erwartenden Belastungsintensität ergeben sich unterschiedliche Ernährungsanforderungen mit Bevorzugung des Fettstoffwechsels oder des Kohlenhydratabbaus. Die Relation der Hauptenergielieferanten der Nahrung, Kohlenhydrate und Fette, bestimmt die optimale Energiebereitstellung unter Hypoxie. Die begrenzten Glykogenvorräte machen eine häufige Kohlenhydratzufuhr während längerer körperlicher Aktivität erforderlich. Für das Ziel eines stabilen Körpergewichtes muss schließlich alles verzehrt werden, was bei dem gestörten Ernährungsverhalten in großer Höhe möglich ist. Man sollte bei längerer Ausdauerbelastung in großer Höhe bewusst nach Plan sowie praktisch auf Vorrat essen. Zur Prävention höhenbedingter Gewichtsabnahme ist auf eine reichliche Flüssigkeitszufuhr mit Getränken und Lebensmitteln zu achten. Ein Trinkplan für jeden Tag unter Berücksichtigung der körperlichen Aktivität und ein Trinkprotokoll dienen der Prävention und Kontrolle. Die Basisernährung bei adäquater Energiezufuhr mit vielseitiger und ausgewogener Lebensmittelwahl bildet die Eckpfeiler für die Versorgung mit allen essentiellen Nährstoffen. Mit einer optimierten Ernährung und ausreichend Nahrungsenergie zur Stabilisierung des Körpergewichtes ist auch die Wirkstoffversorgung ausreichend. Bei Vorbereitung von Expeditionen in große Höhen ist der Körperpool an Antioxidantien durch eine optimierte Ernährung so weit als möglich aufzufüllen. Dies betrifft auch die Eisenversorgung als Basis zur Auffüllung von Gewebseisen und zur Hämoglobinsynthese bzw. zur Bildung von Erythrocyten. Ein besserer Effekt durch Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln ist wissenschaftlich nicht bestätigt. Schlüsselwörter: Ernährung, Leistung, große Höhe, Energiebilanz, Nährstoffgleichgewicht, Flüssigkeitsbedarf, Gewichtskonstanz, Ernährungsverhalten, Nahrungsergänzung.
EINLEITUNG
Sowohl die langfristige als auch die kurzfristige Ernährung stehen ohne Zweifel in einem direkten Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit des Menschen. Es ist zwar die Ernährung nur einer der Faktoren, die die physiologische Leis-
tungsbereitschaft beeinflussen, jedoch durch ihre Quantität und Qualität wesentlich für das Erreichen sportlicher Ziele. Während kurzzeitige Belastungen unter einer Stunde vor allem durch die langfristige Ernährungsweise beeinflusst werden, sind für die Erfolge bei Ausdauerbelastungen ab etwa einer Stunde die Qualität und Quantität der Nahrungszufuhr auch während der Belastung bestimmend. Erforderliche Energiezufuhr und Frequenz der Mahlzeiten werden durch Intensität und Dauer der körperlichen Aktivität definiert, Wirkstoffzufuhr (Mineralstoffe und Vitamine) durch Energiebedarf und eventuelle Verluste. Für eine optimale Regulation des Stoffwechsels ist je 1.000 kcal Energieverbrauch eine definierte Menge an Wirkstoffen erforderlich (s. DACH-Richtlinien). Ihre notwendige Höhe der Zufuhr ergibt sich daher aus dem Energiebedarf. Die Adaptierung an eine spezielle Ernährungsform ist maßgeblich für deren Tolerierbarkeit und Verwertbarkeit. Extreme körperliche Belastungen, die eine ebenso umfangreiche Ernährung zur Folge haben, können gastrointestinale Störungen hervorrufen, die ebenfalls eine mehr oder weniger umfangreiche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit nach sich ziehen. In dieser Situation, die vor allem extreme Ausdauersportler betrifft, wird versucht, die Unsicherheit mit der Ernährung durch quasi „sichere Nährstoffmischungen“, die zudem eine Optimierung der eigenen Ernährung versprechen oder gar eine Leistungssteigerung propagieren, auszugleichen. Daraus ergibt sich die Frage, welche Anforderungen die Alpinsportarten vor allem in großer Höhe an die Ernährung stellen und welche Präparate zur Nahrungsergänzung hilfreich, nicht effizient oder gar schädlich sein können.
ERNÄHRUNGSANFORDERUNGEN IM ALPINSPORT
Mit Alpin- oder Bergsport werden Sportarten beschrieben, die im Gebirge in verschiedenen Höhen und mit unterschiedlicher Intensität ausgeübt werden. Dazu zählen z. B. Mountainbiken, Klettern, Bergsteigen, Bergwandern, alpine Skitouren und Trekking (Fernwandern). Charakterisiert sind diese als Ausdauersportarten mit Kraftausdauer und teils kürzerer, teils höherer Intensität. Spezielle Ernährungsanforderungen ergeben sich nur für Aktivitäten mit einer dominierenden Ausdauerkomponente und dabei einer überwiegenden Langzeitausdauer, wofür eine gute Grundlagenausdauer als Voraussetzung gilt. Das Anforderungsprofil für die Ernährung beim Bergsport ergibt sich aus den physikalischen Einflüssen in der Höhe und den Charakteristika der Sportart. Verminderter O2-Partialdruck beeinflusst den Energiehaushalt, thermische Belastung und verminderter Wasserdampfdruck den Flüssigkeitshaushalt, vermehrte Strahlenbelastung den oxidativen Stress.
Ab einer Höhe von 2500 m können Symptome der Höhenkrankheit [„d’AcostaKrankheit“ – spanischer Missionar (1539 – 1599), Acute Mountain Sickness, AMS] auftreten. Unter anderem geht sie mit Appetitlosigkeit, Übelkeit, Brechneigung und schwerem Erbrechen einher. Eine infolge verminderten Luftdruckes in großer Höhe bedingte Ausdehnung der Darmgase fördert gastrointestinale Beschwerden. Verdauungsprobleme werden meist durch Kostumstellung und durch die Höhe hervorgerufen, weniger durch Infektionen. Kälte verzögert die Magenentleerung und die Darmmotilität. Die Sekretion von Magenund Pankreassaft ist ebenfalls vermindert, was zu eingeschränkter Verdauungsleistung, Dyspepsie und Blähungen führen kann. Dies schränkt bei Aufenthalt in großer Höhe den Verzehr ungewohnter und leicht blähender Speisen ein. Supplementierung von Verdauungsenzymen und Medikamente zur „Entblähung“ können hilfreich sein. Allgemein ist guter Appetit in der Höhe ein gutes Leistungs- und Akklimatisationsbarometer!
VERZEHRVERHALTEN IN DER HÖHE
Im Zusammenhang mit den Einflüssen der Höhe auf den Organismus und den Stoffwechsel ergeben sich auch Veränderungen des Ernährungsverhaltens, die nach derzeitigem Verständnis nicht kompensierend wirken, sondern die Leistungsfähigkeit des Bergsportlers einschränken. Ein Ziel der Ernährung in großer Höhe ist es, das Körpergewicht zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit konstant zu halten. Im Rahmen einer Untersuchung in einer Unterdruckkammer wurden der Aufstieg und der Aufenthalt von akklimatisierten Personen am Mount Everest simuliert. Im Zeitraum von 31 Tagen verloren die Probanden allein durch die hypobare Hypoxie, ohne körperliche Belastung, 5,0 ±2,0 kg an Körpermasse. Dieser durchschnittliche Gewichtsverlust war offensichtlich das Ergebnis einer negativen Energiebilanz. Von anfangs etwa 13.500 kJ/d unter Normoxie auf Meeresspiegel sank die freiwillige Energiezufuhr um 55 % bei Aufenthalt in 8.000 m Höhe. Die Energiezufuhr aus Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten war bei allen Höhen (5000 m, 6000 m, 7000 m, 8000 m) signifikant unterschiedlich zum Verzehr in der normoxischen Periode (p < 0,01). Es zeigt sich eine progressive lineare Beziehung zwischen Energiezufuhr und Aufenthalt in unterschiedlicher Höhe (1) sowie eine negative Energiebilanz, obwohl sich die Mahlzeitenfrequenz von 4,6/d auf 7,6/d erhöht hatte. Die Zusammensetzung der Makronährstoffe in der Nahrungswahl war im Vergleich zur Periode der Normoxie nicht verändert (2). Unter hypoxischen Bedingungen zeigten Ratten bei freiem Zugang zum Futter eine verminderte Präferenz für eiweißreiches Futter (3). Einen vorübergehenden verminderten Verzehr
von Hauptnährstoffen (EW, KH, Fett), Vitaminen (A, B1, B2, Niacin, C) und Mineralstoffen (Na, K, Ca, P) stellen Hannon J. P. et al. bei Aufenthalt in mittlerer Höhe (4300 m) mit einer minimalen Zufuhr am Tag 3 fest. Kohlenhydrate wurden auf Kosten des Fettanteiles vermehrt verzehrt. Die hypobare Hypophagie korrelierte mit der Schwere der AMS (4). Auf eine Höhe von 3.660 m akklimatisierte Probanden waren in der Lage, sowohl mit frischen Lebensmitteln als auch mit Konserven und mit Konserven zuzüglich Vitaminsupplementen ihren Versorgungszustand, gemessen an Enzymaktivitäten in Erythrocyten bzw. Leucocyten, bei einer Energiezufuhr von ca. 19,5 MJ/d in einem akzeptablen Bereich in allen Gruppen zu stabilisieren. Unter einem Ernährungsregime von 30 Tagen konnten alle Probanden ihr Körpergewicht erhalten und zeigten keinerlei Defizite in der Vitaminversorgung. Eine separate Supplementierung zur Nahrungsergänzung scheint bei ausreichender Energiezufuhr mit gemischter Kost nach dieser Untersuchung nicht erforderlich zu sein (5).
ENERGIEVERSORGUNG – KOHLENHYDRATE ODER FETT?
In Abhängigkeit von der zu erwartenden Belastungsintensität ergeben sich unterschiedliche Ernährungsanforderungen, eine extensive mit Bevorzugung des Fettstoffwechsels bei 60–70 % der maximalen Herzfrequenz (Hfmax) und eine intensive mit überwiegendem Kohlenhydratabbau bei 70–80 % Hfmax. Für die Verhältnisse in mittlerer (ab 2000–3000 m) und großer Höhe (> 3000 m) ergibt sich wegen der relativen Hypoxie eine kompensatorische Steigerung der Herzfrequenz, so dass die Energiegewinnung aus den Kohlenhydraten, entsprechend dem zur Verfügung stehenden Sauerstoff, schon bei geringerer körperlicher Belastung als auf Meereshöhe beginnt. Mit zunehmender Aufenthaltshöhe nimmt im Alpinsport die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) um etwa 7 % pro 1000 m ab und liegt in 4000 m bei etwa 75 %, bei 7000 m nur noch bei etwa 42 %. Bei akuter Höhenexposition bleibt die anaerobe Leistungsfähigkeit gleich, jedoch sinkt bei vergleichbarer Belastungsintensität (Hf) die aerobe Leistungsfähigkeit im Verhältnis zur maximalen Verfügbarkeit von Sauerstoff. In dieser Situation wirkt sich die Verfügbarkeit von Nahrungsenergie mit einem hohen Energiequotienten (Kohlenhydrate 5,0 kcal/lO2) im Vergleich zu solcher mit geringerem Energiequotienten (Fett 4,69 kcal/lO2) günstig auf den Energiestoffwechsel aus. Entsprechend ist die Relation der Hauptenergielieferanten in der Nahrung, Kohlenhydrate und Fette, bestimmend für die optimale Energiebereitstellung bei geringerer Sauerstoffkonzentration in der Atemluft. Eine erhöhte Kohlenhydratzufuhr mit der Nahrung über einen Zeitraum von 4 Tagen hat im Laborversuch keinen Einfluss auf das Auftreten von AMS (6).
Ein Zusammenhang von kohlenhydratreicher Ernährung unter Hypoxiebedingungen und Auftreten von AMS scheint nicht zu existieren. Überschreitet der Energiebedarf die Bereitstellung durch den aeroben Stoffwechsel, so wird bei hoher Belastung zusätzlich Energie durch anaerobe Glykolyse geliefert, was zum Anstieg der Laktatspiegel führt. Diese Form der Energiegewinnung ist bei sehr großen Höhen ab etwa 6000 m nicht mehr möglich, da die Muskelzelle kein Laktat mehr toleriert. Entsprechend kann schnelle Energie über energiereiche Phosphate hinaus aus eventuell vorhandenen Glykogenvorräten nicht geliefert werden. Da Glykogenvorräte bei optimaler Erholung und Wiederauffüllung nur für einen erhöhten Energiebedarf von ca. maximal einem halben Tag ausreichen, ist eine häufige Kohlenhydratzufuhr mit der Nahrung während der körperlichen Aktivität erforderlich. Das bedeutet, dass ein Bergsportler (ca. 70 kg) mit einem nicht zu hohen Energiebedarf von 4.000 kcal/d in mehreren Portionen (Zwischenmahlzeiten) etwa 8–9 g/kg Kohlenhydrate verzehren bzw. mit Getränken aufnehmen muss. Einen großen Teil davon während der körperlichen Belastung. Für eine extremere Belastung (5.000 kcal/d) erhöht sich diese Menge auf etwa 11 g/kg oder 750 g/d. Derartig hohe Mengen an Kohlenhydraten mit normalen Lebensmitteln zu verzehren ist schon bei sportlichen Belastungen auf Meereshöhe mühsam, ohne die dazukommenden logistischen Probleme zu berücksichtigen. Bei hohen mehrtägigen Ausdauerbelastungen müssen zur Erholung und zur Wiederaufladung der Kohlenhydratreserven kohlenhydratreiche Lebensmittel (z. B. Brot, Müsli, Reis, Teig- und Backwaren, Obst, Trockenobst und Kohlenhydratsupplemente) auch in den Ruhephasen vermehrt zugeführt werden, da diese schnell verfügbaren rationellen Energiereserven sonst nicht mehr ergänzt werden können. Bei einer maximal möglichen täglichen Energiezufuhr mit üblichen Lebensmitteln von 6.000 kcal/d und einem möglichen Verbrauch von 10.000 kcal/d und mehr ist es mühsam, ein Energiegleichgewicht herzustellen. Wegen des in großer Höhe abnehmenden Appetits und wegen des Geschmackverlustes wird das Risiko des Energiedefizits noch verstärkt, wodurch der Verlust an Köpergewicht und, bei zu geringer Kohlenhydratzufuhr, ungünstigerweise von magerer Körpermasse (Glukoneogenese) vorprogrammiert ist. Um das Körpergewicht stabil zu halten, muss schließlich alles verzehrt werden, was bei dem gestörten Ernährungsverhalten in großer Höhe möglich ist. Man sollte bei längerer intensiver Ausdauerbelastung in großer Höhe bewusst nach Plan, in den Ruhephasen praktisch auf Vorrat essen. Doppelt so viel Energie als kohlenhydratreiche Lebensmittel könnten fettreiche liefern!
Abbildung 1: Physiologischer Zusammenhang zwischen Höhe und Ernährung.
Allerdings mit dem Nachteil, dass in der Körperzelle nur 4,7 kcal/l verbrauchter Sauerstoff an Energie gewonnen wird, etwa 6 % weniger als bei Kohlenhydratverbrennung. Die geringere Effizienz der Energiegewinnung durch Fettverbrennung ist bei der relativen Hypoxie in großen Höhen für die Leistungsfähigkeit von Bedeutung. Fettreiche Lebensmittel, Wurst und Speck sind hochwertige Energielieferanten mit intensivem Eigengeschmack, wodurch das „Essen müssen“ erleichtert wird. Allerdings werden diese Lebensmittel nicht so gut vertragen wie auf Meereshöhe.
WASSERHAUSHALT
Für die Ernährung in großer Höhe stellt sich die Stabilisierung des Körpergewichtes als dominanter Parameter für den Erhalt der Leistungsfähigkeit heraus. Das Körpergewicht ist sowohl durch den Energiehaushalt als auch durch den Wasserhaushalt bestimmt. Luft über 5000 m ist trockener als in geringeren Höhen. Es ist nahezu kein Wasserdampf enthalten. Wegen der Kälte, der trockenen Luft und der durch Hypoxie bedingt erhöhten Atemfrequenz ist der Wasserverlust über Atmung und Schweiß sehr hoch. Dadurch macht sich eine gewisse Oligurie bemerkbar. Zur Vorbeugung für eine höhenbedingte Gewichtsabnahme beim Höhenbergsteigen muss auf eine reichliche Flüssigkeitszufuhr mit Getränken und Lebens-
mitteln geachtet werden. Unter normalen Umweltbedingungen ist eine Flüssigkeitszufuhr – Getränke und Lebensmittel – von 35–45 ml/kg mageres Körpergewicht notwendig. Das ist für einen Menschen mit 70 kg eine Flüssig-keitsmenge von 2,8 l/d. Je nach individueller Situation am Berg kann sich diese Menge ohne weiteres verdoppeln. Mit der Atmung alleine können bis 200 ml/h verloren gehen. Eine optimale Flüssigkeitszufuhr ist dann erreicht, wenn eine ausreichende bis normale Ausscheidung von hellem Harn beobachtet werden kann und das Körpergewicht nicht mehr als ±0,1 kg vom Ausgangsgewicht abweicht. Da am Berg eine standardisierte Wägung kaum realisierbar ist, muss der Harnkontrolle verstärktes Gewicht beigemessen werden. Ein Trinkplan für den ganzen Tag unter Berücksichtigung der geplanten körperlichen Aktivität und ein Trinkprotokoll sollten zur Prävention und Kontrolle vorliegen. Als Getränke sind starker schwarzer Tee oder Kaffee ungünstig, sie wirken diuretisch. Leichter schwarzer Tee und schmackhafter Früchtetee sind gut geeignet. Das Trinken kann gleichzeitig mit der Wiederauffüllung der Kohlenhydratreserven verbunden werden. Geht wenig Flüssigkeit verloren, so verwendet man Kohlenhydratgetränke mit der Standardkonzentration von 250–350 mOsmol/l. Geht viel Flüssigkeit verloren, so kann man die Standardkonzentration verlassen und mehr Wasser zum Lösen der Pulver verwenden. Ideal für die Wiederauffüllung der Zellflüssigkeit ist eine standardisierte Rehydrierungslösung (z. B. für Säuglinge) mit metabolisierbaren Glukosepolymeren (Maltodextrin, 80–350 kcal/l, 20–90 g/l), Natrium 460–1150 mg/l (ca. 1–1,3 g Kochsalz) und einer Osmolarität 200 bis 330 mOsmol/kg H2O. Andere Inhaltsstoffe oder Mineralstoffe sind für Getränke zur Rehydrierung nicht erforderlich. Sie verringern nur die Verträglichkeit (höhere Osmolarität)! Meist haben derartige Getränke in Relation zu ihrem Energiegehalt zu wenig Wirkstoffe, so dass die übrige Ernährung eine entsprechend höhere Nährstoffdichte an Mineralstoffen und Vitaminen aufweisen muss. Zur besseren Verwertung der Kohlenhydrate muss ein Mindestgehalt an Vitamin B1 von 1 mg/1.000 kcal (0,4 mg/100 g) metabolisierbare Kohlenhydrate gefordert werden. Geschmacklich müssen diese Getränke unbedingt den persönlichen Erwartungen entsprechen.
NAHRUNGSERGÄNZUNG – AKTUELL GESICHERTE FAKTEN
Die Basisernährung zur adäquaten Energieversorgung mit vielseitiger und ausgewogener Lebensmittelwahl bildet die Eckpfeiler für die Versorgung mit allen erforderlichen Wirkstoffen. Solange eine optimierte Ernährung mit frischer Kost zur Verfügung steht und ausreichend Nahrungsenergie zur Stabilisierung des Kör-
pergewichtes verzehrt wird, ist auch die Wirkstoffversorgung ausreichend. Auch bei einer Ernährung mit Konserven und ausgeglichener Energiebilanz sind keine klinisch relevanten Wirkstoffdefizite beobachtet worden. Eine zusätzliche Supplementierung von Wirkstoffen ergibt keine bessere Situation (5). Man kann davon ausgehen, dass bei einer guten Versorgung mit Wirkstoffen eine weitere Supplementierung keinen Nutzen bringt. Anders ist die Situation bei negativer Energiebilanz von etwa einer Woche und mehr, in der bei einigen BVitaminen die biologische Halbwertszeit der Präsenz im Körper überschritten wird und Unterversorgungen mit Mangelerscheinungen (z. B. Leistungsabfall) auftreten können. Multivitamintabletten sind bei stark erhöhter körperlicher Aktivität und verminderter Frischverpflegung, z. B. bei überwiegender Konservenund Trockennahrung oder während langer Expeditionen, sinnvoll. Unter extremen Umweltbedingungen mit hoher körperlicher Belastung kann ein erhöhter metabolischer Stress zu vermehrter Radikalbildung führen. Im Gebirge mit körperlicher Belastung und hohem Energieverbrauch, photobiologischer Belastung durch extremes Licht und Reflexion ist die Radikalbildung verstärkt und damit wird ein erhöhter Bedarf an Antioxidantien (Vitamin C, E und ß-Carotin) hervorgerufen. Indikator für eine erhöhte Lipidoxidation z. B. in 5100 m Höhe ist die Pentan-Abatmung. Diese beträgt in dieser Höhe mehr als 180 % des Wertes in Meereshöhe (Kontrollgruppe) und kann durch Vitamin-E-Supplementation (2x 200 mg/d) auf 100 % reduziert werden (7). Gut trainierte Bergsportler haben eine geringere Lipidperoxidation. Um maximale Serumkonzentrationen an Vitamin E zu erreichen, ist eine Supplementierung (800 mg/d) von etwa 15 Tagen erforderlich. Eine Supplementierung an Antioxidantien verringert zwar Symptome und Indikatoren der Lipidperoxidation, bleibt jedoch ohne Wirkung auf die körperliche Leistungsfähigkeit. Zur Vorbereitung von Expeditionen in große Höhen sollte in der physischen Vorbereitungszeit der Pool an Antioxidantien durch eine optimierte Ernährung so weit als möglich aufgefüllt werden. Dies betrifft auch die Eisenversorgung als Basis zur Auffüllung von Gewebseisen und zur Synthese von Hämoglobin bzw. zur Bildung von Erythrozyten. Ein besserer Effekt durch Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln ist wissenschaftlich nicht bestätigt.
NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL – EC-VERORDNUNG
Nahrungsergänzungsmittel (NEM) im Sinne der EC-Verordnung sind Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung mit Nährstoffen und/oder mit Stoffen mit ernährungsphysiologischer Wirkung zu ergänzen. Sie
werden z. B. als Kapseln, Pastillen und Tabletten in abgemessenen kleinen Mengen in den Verkehr gebracht und müssen auf der Verpackung folgende Angaben enthalten: 1.Name und Kategorie der Nährstoffe oder sonstigen Stoffe 2.empfohlene tägliche Verzehrmenge (Portion) 3.Warnhinweis, die Tagesdosis nicht zu überschreiten 4.Hinweis: „Nicht als Ersatz für abwechslungsreiche Ernährung!“ 5.Außerhalb der Reichweite von kleinen Kindern aufbewahren! Alle Aussagen zu physiologischen oder gesundheitlichen Wirkungen von NEM müssen wissenschaftlich fundiert nachgewiesen werden.
LEBENSMITTEL FÜR SPORTLER – „SCIENTIFIC COMMITTEE ON FOOD”
Als Grundlage für die EC-Verordnung hat das „Scientific Committee on Food“ einen Bericht über die Spezifizierung von Lebensmitteln für Sportler mit hoher körperlicher Belastung veröffentlicht, in dem die verfügbare wissenschaftliche Literatur zur Wirkung dieser Produkte geprüft wurde (8). Darin hat die Gruppe von Wissenschaftlern festgestellt, dass eine gut bilanzierte Ernährung die Basis zur Deckung des Nährstoffbedarfes von Athleten ist. Bei besonderer Berücksichtigung von intensiver Muskelbelastung und der einfachen Verwendung von speziellen Lebensmitteln oder Inhaltsstoffen können Einzelpersonen einen Nutzen haben. Dieser ist jedoch nicht auf Athleten beschränkt, sondern auch für andere Personen mit harter körperlicher Arbeit oder unter extremen Umweltbedingungen vorhanden. Die Hypothese eines durch körperliche Belastung bedingten zusätzlichen Bedarfes an Mikronährstoffen ist aus heutiger wissenschaftlicher Sicht abzulehnen. Im Hinblick auf eine positive Korrelation von Energiebedarf für körperliche Aktivität und Bedarf an Mikronährstoffen wird festgestellt, dass dieser ausreichend durch eine energiebilanzierte Ernährung mit ausgeglichener Nährstoffdichte gedeckt werden kann. Unter Ausdauerbelastung kann ein erhöhter Bedarf an Kohlenhydraten erforderlich sein, der mit kohlenhydratreichen Sportlergetränken oder Sportsnacks gedeckt werden kann. Diese enthalten jedoch überwiegend keine optimale Dichte an Mikronährstoffen. Für eine unzureichende Versorgung von Athleten mit Mineralstoffen (K, Mg, Ca) im Vergleich zu den Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr (z. B. DACH, RDA) gibt es keine objektiven Daten. Defizite sind unter chronisch negativer Energiebilanz zu beobachten. Der Begriff „Sportanämie“ wird im Zusammenhang mit sportlicher und körperlicher Aktivität häufig aber nicht gerechtfertigt verwendet. Die Prävalenz von Anämie, dokumentiert durch Konzentrationen an
Plasmaferritin, ist bei Athleten fast genauso groß wie bei Kontrollpersonen. Es gibt Hinweise dafür, dass die Zinkzufuhr bei Athleten grenzwertig ist. Dies erhöht das Risiko für Infektionen der oberen Atemwege. Spurenelemente wie Kupfer, Selen und Mangan sind signifikant bei der physischen Leistungsfähigkeit, im Energiestoffwechsel und der Bildung freier Radikale involviert. Anhaltendes Schwitzen während körperlicher Aktivität kann zu Verlusten dieser Spurenelemente führen. Daten zur Bilanzierung dieser Spurenelemente bei Sportlern sind nicht repräsentativ. Plasma-Vitaminspiegel und enzymatische Stimulationstests zeigten dieselbe Inzidenz für marginale oder defizitäre Spiegel, wie sie bei körperlich nicht aktiver Bevölkerung gefunden wird. Studien mit Vitaminsupplementierung weisen keine Auswirkungen auf die Verbesserung der körperlichen Leistung nach. Untersuchungen zum ergogenen Effekt von Vitaminen haben keinen Nachweis erbracht, dass über die Empfehlungen zu einer bilanzierten Ernährung hinaus eine Supplementierung erforderlich ist. Körperliche Belastung fördert die Produktion freier Radikale. Diese können zu Muskelermüdung und zu erhöhtem Risiko von Muskelverletzungen führen. Für die Supplementierung an antioxidativen Vitaminen wurde zwar eine verringerte Bildung freier Radikale, aber kein Einfluss auf die körperliche Leistungsfähigkeit nachgewiesen. Dagegen ist es auf Basis verfügbarer wissenschaftlicher Untersuchungen wahrscheinlich, dass Creatin-Supplementation die körperliche Leistungsfähigkeit bei wiederholten extremen, aber kurzen Belastungen verbessert. Creatin verbessert die isometrische Muskelkraft, jedoch nicht die Maximalkraft. Es scheint auf aerobe Aktivitäten keinen Einfluss zu haben. Für den Einfluss von Carnitin auf die körperliche Leistungsfähigkeit gibt es keine wissenschaftlich ausreichende beweisende Datenlage. Die Verwendung von MCT zur Verbesserung der Energieversorgung hatte keinen oder negativen Effekt und war häufig mit gastrointestinalen Krämpfen verbunden. Für die Verwendung von BCAA konnte der wissenschaftliche Beweis für einen ergogenen Effekt in heißem Klima erbracht werden, nicht jedoch für Ausdauerbelastung in klimatisch gemäßigter oder kühler Umgebung. Zur besonderen Situation von Supplementierung mit Nährstoffen bzw. Nahrungsergänzungsmitteln hat das SCF der EC keine Stellung bezogen.
SCHLUSSFOLGERUNG: ALPINSPORT – ERNÄHRUNG IN GROSSEN HÖHEN
• Es ist sehr schwer, den Appetit zu erhalten! • Geruch und Geschmack sind beeinträchtigt! • Lethargie, Übelkeit und leichte Höhenkrankheit verleiden das Essen.
• Die Zubereitung von Essen ist ungleich schwieriger. • „Essen und Trinken nach Plan“. • Ein optimaler Ernährungszustand vor längeren Touren in alpinem Gelände ist von großem Wert. • Eine besondere Wirksamkeit von Nahrungssupplementen bei bilanzierter
Ernährung ist nicht erwiesen.
ERNÄHRUNGSRICHTLINIEN FÜR DEN ALPINSPORTLER
• Ausgleich von häufigen Bilanzdefiziten – Wasser, Energie, Kohlenhydrate, Eiweiß • Flüssigkeit
Luft in der Höhe ist kühl und trocken! Risiko großer Flüssigkeitsverluste – Ausgleich der Verluste notwendig! • Bilanzierte Energiezufuhr: o Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit o Effizientere Energiegewinnung aus Kohlenhydraten.
Kohlenhydratreiche Ernährung – Reis, Kartoffeln, Nudelgerichte o konstantes Körpergewicht anstreben • Optimale Eiweißzufuhr – Lebensmittel mit tierischem Eiweiß (Eisenzufuhr) und pflanzlichem Eiweiß kombiniert im Verhältnis 1 : 2 • Fettreduktion – schlechtere Verträglichkeit in der Höhe • Optimales Verhältnis der Hauptnährstoffe: EW : F : KH = 18 % : 15 % : 67 % (eiweiß- und kohlenhydratreiche, aber fettarme Kost) • Wirkstoffreiche Ernährung – Auswahl von mineralstoffreichen (K, Mg, Fe) und vitaminreichen Lebensmitteln • Leichte Vollkost; leicht verdaulich, gut verträglich • Alkohol meiden! Erhöhtes Risiko für Höhenkrankheit
Ernährung nach den Richtlinien der „Gesund-Leben-Pyramide“ des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin bildet auch die Grundlage für die Basisernährung bei Aufenthalt in großen Höhen (Abb. 2). Unter Beibehaltung der vorgeschlagenen Relationen der Lebensmittelgruppen und bei Verzehr der individuell notwendigen Mengen für eine ausreichende Energiezufuhr mit Stabilisierung des Körpergewichtes ist die Zufuhr an Vitaminen und Mineralstoffen bzw. Spurenelementen bedarfsgerecht und leistungsfördernd.
Abbildung 2: Ernährungspyramide: Basis für Ernährung in großer Höhe (Österreichisches Akademisches Institut für Ernährungsmedizin).
LITERATUR
(1) Westerterp-Plantenga, M. S.: Effects of extreme environments on food intake in human subjects; Proceedings of the Nutrition Society 58, 791–798 (1999)
(2) Westerterp-Plantenga, M. S., Westerterp, K. R., Rubbens, M., Verwegen,
C. R. T., Richelet, J. P., Gardette, B.: Appetite at ‘‘high altitude’’[Operation Everest III (Comex-’97)]: a simulated ascent of Mount Everest; J.
Appl. Physiol. 87, 391–399 (1999)
(3) Morel, O. E., Aubert, R., Richalet, J. P., Chapelot, D.: Simulated high altitude selectively decreases protein intake and lean mass gain in rats; Physiology & Behavior Volume 86, Issues 1–2, 145–153 (2005)
(4) Hannon, J. P. et al.: Nutritional aspects of high altitude exposure in women.
AJClN 29, 605–613 (1976)
(5) Sridharan, K., Ranganathan, S., Mukherjee, A. K., Kumria, M. L., Vats,
P.: Vitamin Status of High Altitude (3660 m) Acclimatized Human Subjects during Consumption of Tinned Rations; Wilderness Environ. Med., 15, 95–101 (2004)
(6) Swenson, E. R., MacDonald, A., Vatheuer, M., Maks, C., Treadwell, A.,
Allen, R., Schoene, R. B.: Acute mountain sickness is not altered by a high carbohydrate diet nor associated with elevated circulating cytokines;
Aviat. Space Environ. Med. 68, 499–503 (1997)
(7) Simon-Schnass, I., Pabst, H.: Influence of vitamin E on physical performance; Int. J. Vit. Nutr. Res. 58, 49–54 (1988)
(8) Report of the Scientific Committee on Food on composition and specification of food intended to meet the expenditure of intense muscular effort, especially for sportsmen. (Adopted by the SCF on 22/6/2000, corrected on 28/2/2001, SCF/CS/NUT/SPORT/5 FINAL)
Walter Pieringer, Monika Wogrolly-Domej
Zur Psychosomatik der Grenzerfahrung
Psychosomatic medicine and the experience of borders
SUMMARY
In this psychosomatic study the phenomenon of mountain climbing is investigated as an expression of a human borderline experience. The main hypothesis is that in mountain climbing, the concept of a philosophical dualism, which has been typical for the European tradition since the antiquity, can be found. Depending on the climber’s personality, extreme mountain climbing manifests itself either more as a social or as an existential boundary experience. The social boundary experience – we regard Hermann Buhl as a typical representative – is identified as a catecholamine stress-reaction. The existential boundary experience – examined on the example of Reinhold Messner – is interpreted as a cortisol stress-reaction and is discussed with its psychosomatic results. The main conclusion is that through the boundary experience on the mountain, these in daily life mostly separated perspectives confluence to one biopsychosocial unity: The artificial separation in object and subject, respectively in body, soul and mind is reversed at the boundary. Keywords: Boundary experience, psychosomatic medicine, cortisol stress, catecholamine stress.
ZUSAMMENFASSUNG
In dieser psychosomatischen Studie wird das Phänomen Bergsteigen als Ausdruck menschlicher Grenzerfahrung untersucht. Das in der europäischen Tradition seit der Antike bekannte Konzept eines philosophischen Dualismus wird in seiner Spiegelung im Extrembergsteigen beleuchtet. Extrembergsteigen erweist sich dann, je nach Charakter des Bergsteigers, eher als soziale oder als existentielle Grenzerfahrung. Die soziale Grenzerfahrung – hier wird Hermann Buhl als Beispiel gesehen – wird als kritische Manifestation der Katecholaminstressreaktion identifiziert und wird mit ihren psychosomatischen und immunologischen Befunden skizziert. Die existentielle Grenzerfahrung – am Beispiel Reinhold Messner beleuchtet – wird als Kortisolstressreaktion interpretiert und mit ihren psychosomatischen Befunden zur Diskussion gestellt. Als Ergebnis wird gesehen, dass alpine Grenzerfahrungen die
Zusammenführung dieser im Alltag meist getrennten Perspektiven zu einer biopsychosozialen Einheit widerspiegeln: Die künstliche Trennung von Objekt und Subjekt, bzw. Körper, Seele und Geist wird dort an der Grenze wieder aufgehoben. Schlüsselwörter: Grenzerfahrung, Psychosomatik, Kortisolstress, Katecholaminstress.
BERGSTEIGEN – BEGIERDE DER VERNUNFT
Im Verständnis des sehr auf Nüchternheit bedachten großen deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) ist das Phänomen „Bergsteigen“ als „unausweichliche Begierde der Vernunft“ zu bezeichnen. Irdische Grenzen zu erkunden erkennt er als Voraussetzung dafür, die eigene Wirklichkeit und Verantwortlichkeit im Leben auszuloten. Als zentrale Implikationen dieser Begierde der Vernunft führt Kant die berühmten drei Fragen des Menschen an sich selbst an: „Was kann ich wissen?“ „Was soll ich tun?“ „Was darf ich hoffen?“ Diese drei persönlichen Fragen münden in der allgemeinen Reflexion: „Was ist der Mensch?“ Innerhalb der Medizin hat sich unter dem Begriff Psychosomatik eine Grundlagendisziplin etabliert, die nach Berücksichtigung gerade dieser Fragen ausgerichtet ist. Als gemeinsame Thesen und Grundpositionen der Psychosomatik, wie sie durch Sigmund Freud (1), Alfred Adler (2), Karl Jaspers (3), Viktor v. Weizsäcker (4) und Thure v. Uexküll (5) vertreten wurden, gelten heute folgende Leitgedanken: • Die Entwicklung des Menschen verläuft durch Krisen. • Erst in der Grenzsituation erkennt sich der Mensch selbst. • Was wir aus dem Bewusstsein verbannen, wird im Körper wirksam. • Erkrankung ist, unabhängig von ihrer unterschiedlichen Ätiopathogenese, jedenfalls immer auch persönliche Krise und schmerzliche Grenzerfahrung.
Diese phänomenologische Skizzierung menschlicher Erkrankungen kann so auch als Beschreibung für das Bergsteigen dienen. Einen „Berg“ zu erklimmen, welcher auch immer es ist, bedeutet, Höhen menschlicher Wirklichkeit zu erklimmen, Krisen zu durchwandern, das Bewusstsein zu fordern, und bedeutet ferner, die eigene Vernunft bezüglich der Frage „Was ist der Mensch?“ zu prüfen.
DER BERG UND DAS DILEMMA EUROPÄISCHER KULTURENTWICKLUNG
Seit der griechischen Antike entwickelte sich innerhalb der europäischen Philosophie eine widersprüchliche wissenschaftliche Theorie und Methodologie für die
zentralen Fragen nach dem Wesen des menschlichen Lebens. Die Polarisierung in „rechte und linke Weltsicht“ bestimmte von jeher das politische Klima Europas von der Antike bis zur Gegenwart. Die Aufspaltung in „final-orientierte Subjektdenker“, welche sich primär der phänomenologischen Methode verpflichtet, und in „kausal-linear orientierte Objektdenker“, die sich der empirisch-analytischen Methodologie primär zugehörig fühlen, erweckt das zentrale Dilemma der europäischen Kulturentwicklung. Kreativisten, von der Idee einer Schöpfung überzeugt, versus Evolutionisten, von der Annahme der durch Zufall getragenen Evolution geprägt, sind in der europäischen Geschichte maßgeblich bestimmend. Obgleich schon Platon undAristoteles, in Nachfolge von Sokrates, die Zusammenschau dieser methodologischen Ansätze als wesentliche philosophische Aufgabe betrachtet haben, gelten heute weiterhin Begriffe wie „Platoniker“ und „Aristoteliker“ als Bezeichnungen konträrer Grundhaltungen. Platoniker schauen primär nach dem inneren Gehalt und der subjektiven Struktur, Aristoteliker nach der äußeren Form und objektiven Funktion des Gegenstandes. Aus der neueren neurobiologischen Forschung erhalten wir eine Bestätigung dieser klassischen Annahmen, wonach sogenannte Platoniker eher die rechte Hirnhälfte und sogenannte Aristoteliker eher die linke Hirnhälfte bevorzugen, wogegen eine ganzheitliche Erfassung der Welt der Berücksichtigung beider Seiten bedürfte. In der Medizin von heute spielen diese beiden Traditionen weiterhin eine wichtige akzentuierende, trennende bzw. differenzierende Rolle und werden hier als so genannte humanwissenschaftliche bzw. naturwissenschaftliche Tradition bezeichnet (6, 7). Folgende Thesen sind für eine humanwissenschaftliche, subjektorientierte Krankheitstheorie von zentraler Bedeutung: • Erkrankung ist primär kreatives Ringen des Lebens um das Überleben in einer unverlässlichen oder fremden Umwelt. • In der Erkrankung zeigen sich die Grundzüge des Menschen; sein Aufgerufensein zur Freiheit, sein Verhältnis zu sich selbst, zur Umwelt und zur
Transzendenz. • Im Erkennen dieser Bedeutungsaspekte liegen die Chance zum persönlichen Neubeginn und ein soziokultureller Impuls.
Demgegenüber stehen nachfolgende Aussagen als Hauptthesen einer naturwissenschaftlichen, objektorientierten Krankheitstheorie: • Krankheit bedeutet eine verursachte Störung mit Gefahr in Verzug, die es so früh und so umfassend als möglich zu diagnostizieren und zu behandeln gilt. • Der Patient selbst ist eher ein passiv Leidender; seiner Freiheit beraubt –der Arzt aktiver Experte; durch Fortschritte der Medizin können immer mehr Krankheiten erkannt, entdeckt und erfolgreich behandelt werden.
• Durch diese kategorische Negativsetzung von Krankheit wächst aber gleichzeitig auch beständig die Angst vor Erkrankung und Tod.
Nach Auffassung des großen deutschen Pathologen Wilhelm Dörr (8) gilt es, die sich aus einer unterschiedlichen wissenschaftlichen Methodologie ergebenden konträren Positionen in der Medizin immer wieder neu aufeinander abzustimmen und zusammenzuführen. Dörr geht davon aus, dass die unterschiedlichen Krankheitstheorien, die einmal den Menschen überwiegend als kreatives, nach innen orientiertes (= sub-jacere) Subjekt und einmal als nach außen geworfenes (= ob-jacere) Objekt betrachten, einer tragischen und künstlichen Spaltung entspringen. Die Einheit des Menschen als Subjekt und Objekt definiert Dörr wie folgt: „Die Einheit der menschlichen Natur ist – trotz des Januskopfes – garantiert. Denn für den Menschen ist sein eigener Körper (Objekt) keine für sich alleine gegebene Struktur. Er ist das sich strukturierende Sein des Subjekts.“ Noch schärfer, und die Philosophie des Bergsteigens noch klarer spiegelnd, hat Karl Jaspers (9) diese für den Menschen typische, sich selbst strukturierende Lebensdynamik beschrieben: „Der Mensch findet in sich, was er nirgends in der Welt findet, etwas Unerkennbares, Unbeweisbares, niemals Gegenständliches, etwas, das sich aller forschenden Wissenschaft entzieht: die Freiheit. Die Freiheit des Menschen ist
Abbildung 1: Reinhold Messner und Monika Wogrolly-Domej im Juni 2007 in Ramsau am Dachstein
weder beweisbar noch widerlegbar. Die Freiheit zeigt sich in der Entscheidung und Tat; in der Verantwortung.“ Wie stark das „Abenteuer Berg“ Ausdruck und Sehnsucht dieser Lebensphilosophie ist, wurde von vielen Bergsteigern eindrucksvoll in eigenen Berichten beschrieben. Immer wieder spiegeln sich in diesen Schilderungen, wie etwa von den beiden konträren Denkern Hermann Buhl und Reinhold Messner, die einleitend formulierten Grundfragen von Immanuel Kant nach dem Wesen des Menschen wider. Messner bezeichnet das Bergsteigen sogar als „die Kunst, nicht umzukommen“ und betont, dass es sich beim Höhenbergsteigen um ein Eindringen des Menschen in Bereiche handle, wo er nichts mehr zu suchen habe, um eine beabsichtigte Grenzerfahrung also, aber gleichviel um Selbstüberwindung, Selbstkontrolle und zugleich Überwindung der Angst und Macht und Kontrolle gegenüber der Naturgewalt (Besteigung als Bezwingung und Unterwerfung eines Du). Er habe sich, von einem Achttausender zurückgekehrt, jedes Mal wie neugeboren gefühlt, als wäre ihm das Leben neu geschenkt worden, auch verjüngt, so Messner. Die typischen Positionen des menschlichen Seins hat Karl Jaspers mit Worten formuliert, die auch das Abenteuer des Bergsteigers charakterisieren könnten. Jaspers sieht die Grundzüge der menschlichen Natur in einer vierstufigen Existenz: • Der menschliche Geist als Teilhaber an ganzheitlichen und sinnstiftenden
Ideen, der den Zusammenhang in der Zerstreutheit des Wissbaren und
Erfahrbaren erzeugt. • Das menschliche Bewusstsein überhaupt als Medium des objektiven/subjektiven Denkens (Ichsein). • Das biologische menschliche Dasein als rücksichtsloser, vitaler Daseinswille mit Macht-, Geltungs- und Genussinteresse. • Die Existenz als das, was der Mensch sein kann, als nicht mehr empirisch erfassbare Ebene des eigentlichen Selbstseins als Möglichkeit.
Auch wenn das „Abenteuer Berg“ uns diesen menschlichen Grundpositionen annähert, führt uns die „unausweichliche Begierde der Vernunft“ (Kant) immer auch zur Grenze, zur Erfahrung der Grenze und zur Grenzsituation. In diesem Zusammenhang betont Jaspers: „Dabei könne der Mensch sich selbst letztlich nicht verstehen, er könne sich nur in seiner Grenzsituation, in der Angst erkennen. Erst in der Grenzsituation, wie Sterben, Schuld, Schicksal und Erkrankung, werde sich der Mensch seines Wesens bewusst.“ Denn erst in der Grenzerfahrung sei die Erweiterung des Horizontes im Denken und Handeln verborgen. Dass dieser Marsch nach außen auf die Spitze der Berge gleichzeitig den Auf-
bruch nach innen, mit der Expression neuer genetischer Markierungen bedeute, haben schon die beiden Nobelpreisträger Hans Spemann 1935 und Eric Kandel 2000 erkannt. Im Rahmen der Grenzerfahrung – in diesem Punkt decken sich die Befunde aus der Existenzphilosophie und der Mikrobiologie – werden für das Individuum neue, dabei spezifisch als sinnstiftend erfahrene Intentionen spürbar. Während Kandel und Spemann vor allem die biologische Sicht beschrieben, haben die Existenzphilosophen vor allem auf die geistige Dimension dieses intentionalen Entwicklungsprozesses des Menschen hingewiesen. Eine neurobiologische Verbindung der beiden Ansätze wurde nun mit der Entdeckung und Beschreibung der Spiegelneurone durch Giacomo Rizzolatti, Vittorio Gallese und Joachim Bauer (10) aktuell. Die Spiegelneurone, jene frühesten, schon in der existentiellen perinatalen Entwicklungsstufe reifenden neuronalen Strukturen, die in den ersten Lebenswochen im Rahmen der synästhetischen Mutter-Kind-Beziehung ihre spezifische persönliche Ausformung erfahren, leiten und bestimmen das, was im Tierreich mit Instinkt und für den Menschen mit intuitivem Spüren der eigenen guten Lebensrichtung bezeichnet wird. Während im geschäftigen Alltagsleben andere neuronale Strukturen das Denken und Fühlen bestimmen, werden in der Grenzsituation, der existentiellen Lebenserfahrung, die Spiegelneurone zum zentral leitenden neuronalen Netzwerk, indem sie für das intuitive Verstehen und Spüren primärer Lebensintentionen, für soziale Resonanzbildung meist im Sinn nonverbaler Kommunikation verantwortlich zeichnen. Spiegelneurone erwirken auch die spezifische Öffnung zum inneren Selbst, das heißt zum Kern der Person, und fördern damit die Entwicklung persönlicher Authentizität. Die inhaltlich gleichen Aussagen trifft Reinhold Messner bei seinem Alleingang in die existentielle Dimension der Berge. Er beschreibt dort die Überwindung der Trennung der Sinne zu einer synästhetischen ganzheitlichen Schau, die Aufhebung der Spaltung von inneren und äußeren Bildern und die Wahrnehmung einer intentionalen als authentisch erlebten Koexistenz. Koexistenz bedeutet hier Spiegelung der inneren Welt in der Natur außerhalb und ästhetische Resonanz der äußeren Grenzerfahrung am Berg in der inneren Befindlichkeit. Reinhold Messner zitiert gern Gottfried Benn mit dem Satz: „Bergsteigen, Widerstand gegen den herausgeforderten Tod.“ Er will damit ein Bewusstsein für die existenzphilosophische Deutung der Grenzerfahrung fördern. Diese Deutung lautet nach Martin Heidegger (11): Sinnerfülltes Leben entwickelt sich in der Entschlossenheit zum Tod. Reinhold Messner betrachtet Hermann Buhl als seinen geistigen wie körperlichen Vorgänger (12), vor allem mit seinem Gipfelerlebnis am Nanga Parbat. Hermann Buhl hat diese Grenzerfahrung als synästhetisches Da-Sein beschrie-
ben, als Wahrnehmung der Welt, in der Raum und Zeit eins werden. Aus heutiger Erfahrung weiß man, dass dies über die Spiegelneurone geleitet wird. Nicht zufällig beschreibt auch seine Tochter Kriemhilde Buhl dieses ihr durch den früh verstorbenen Vater dennoch mitgegebene Gespür für existentielle Zeitlosigkeit und ästhetische Wirklichkeit: „In meinen guten Stunden denke ich, er steht unsichtbar hinter mir, er war immer da, er hat mir seinen Atem gegeben. In meinen schlechten Stunden denke ich: Er hat mir gefehlt und das hat mich geprägt.“ Hermann Buhl und Reinhold Messner (13) beschreiben als „Bergsteiger“ in faszinierendem Gleichklang wie der Philosoph Karl Jaspers die Annäherung an die menschliche Grenzsituation. Für Jaspers eröffnen sich in der Grenzsituation die Radikale, die Wurzeln der menschlichen persönlichen Existenz: Tod, Kampf, Schuld und Schicksal. Für den Bergsteiger wie den Philosophen wird evident, dass das Gewahrwerden des Todes erst persönliches Sein eröffnet und dass dieses persönliche Leben Mut zum Kampf, Jaspers spricht vom „liebenden Kampf, Bekenntnis zur Schuld und Annahme von Schicksalhaftigkeit“ bedeutet. Beide Bergsteiger nähern sich aber dieser menschlichen Grenzerfahrung auf unterschiedliche Weise.
DER BERG UND DIE GRENZE DER TRENNUNG VON KÖRPER, GEIST UND SEELE
Psychosomatische Befunde der Grenzerfahrung Bergsteigen, wie auch der psychosomatischen Forschung, ist es wesenhaft und gemeinsam, nach der Überwindung der künstlichen Trennung von Körper, Geist und Seele auszuschauen. Bergsteigen – die menschliche Weite, die mögliche Höhe und die persönliche Grenze zu erkunden ist ein ganzheitlicher Prozess. Auch im Rahmen der psychosomatischen Forschung findet sich die Zusammenschau der biologischen, psychologischen, sozialen und philosophischen Befunde in ihrer einander sich treffenden Grenzlinie als zentrales Anliegen. Aus psychosomatischer Sicht der Grenzerforschung lassen sich zumindest zwei Formen menschlicher Grenzerfahrung differenzieren, denen aber eine ontogenetische Hierarchie innewohnt: Die soziale Grenzerfahrung und die existentielle Grenzerfahrung.
Der Berg als soziale Grenzerfahrung Aus psychosomatischer Sicht entspricht die soziale Grenzerfahrung weitgehend dem, was B. W. Cannon als Notfallreaktion beschrieben hat, und verkörpert hier die radikale Konfrontation des menschlichen Ich mit dem Du der Umgebung bzw. dem Du des Berges. Im Rahmen dieser von Cannon als Kampf-Fluchtre-
aktion beschriebenen Grenzerfahrung kommt es vor allem zur Erregung des Sympatikus, zum Katecholaminstress und damit zur Bahnung entzündlicher Prozesse mit Aktivierung der T-Zellen und des Interleukin 6 sowie zur Schärfung von Identität durch Akzentuierung von Aggression und Autoaggression und Triggerung natürlicher Killerzellen und Interferone. Psychologisch geht diese soziale Grenzerfahrung mit Belebung innovativer Kreativität und dialektischer Denkstile einher. Das Ziel sozialer Grenzerfahrung ist es, die eigenen sozialen Grenzen zu erkennen und die Grenzen des anderen auszuloten. Wie viel bin ich bereit zu geben, für mich und den anderen zu kämpfen, und wie viel bin ich bereit Hilfe vom anderen anzunehmen, ohne mich dabei zu entwerten? Nach einer tiefenpsychologischen Deutung war Hermann Buhl jener Bergsteiger, der den Berg, auch den höchsten, deutlich als soziale Grenzerfahrung erfuhr und beschrieb. Aus tiefenpsychologischer Sicht gelten die soziale Grenzerfahrung und ihre bewusste Beschreibung als Vorläufer und Voraussetzung, um die nächsttiefere, letztmögliche Grenzerfahrung zumindest teilbewusst zu erleben.
Der Berg als existentielle Grenzerfahrung Die existentielle Grenzerfahrung hat, wie bereits erwähnt, Reinhold Messner, auf Hermann Buhl aufbauend, eindrucksvoll beschrieben. Aus den psychosomatischen Untersuchungsbefunden verkörpere die existentielle Grenzerfahrung jene gar nicht mehr mit vollen Sinnen wahrnehmbare, tiefste und höchste Dimension menschlichen Seins, wo ein Blick in die Zeitlosigkeit, in die Unendlichkeit, als Kohärenzsinn möglich und wo emergentive Kreativität spürbar werde. Es kommt hier zum Verlust oder besser gesagt zur Überwindung des Ichbewusstseins, zur Aufhebung von Grenzen, körperlich wie psychisch; körperlich bis zum Einbruch der Grenzflächen zwischen ektodermaler und endodermaler Organisation. Dies bedeutet Auflösung/Umbau der Identität einer Person und damit biologisch ebenfalls einen inneren Umbau, mit Abnahme der Identität sichernden natürlichen Killerzellen und Zunahme der Identität aufweichenden Beta-Zellen, des Interleukin 10 und der antiinflammatorischen Zytokine. Im Rahmen dieser existentiellen Grenzsituation wird das Unheimliche des Lebens, das bislang unfassbare Fremde in mir draußen, alleine am extremen Berg erfahrbar, oder drinnen, wie z. B. als maligne Neubildung, als emergenetiver, radikaler Neubeginn persönlichen Lebens evident (14). Aus psychosomatischer Sicht und Zusammenschau der Befunde wird diese tiefste existentielle Grenzerfahrung durch den Parasympatikus und das endodermale Nebenrindenhormon Kortisol (Kortisolstressreaktion) primär vermittelt. Während die soziale Grenzerfahrung als Infragestellung und Prüfung des Ich und der Ichverantwortlichkeit vom Sympathikus und den Katecholaminen ver-
körpert werde, ist die existentielle Grenzerfahrung jene tiefste, hinter das Ich führende zeitlos gültiges menschliches Selbst offenbarende Lebensbewegung eben vor allem vom Parasympathikus getragen. Als zentrales Ergebnis dieser psychosomatischen Differenzierung sehen wir aber, dass beide Erlebnisweisen nur zwei Seiten derselben Einheit verkörpern. Die objektorientierte, soziale Grenzerfahrung, durch H. Buhl verkörpert, wird in der existentiellen, durch R. Messner beschriebenen Lebenserfahrung verinnerlicht und aufgehoben. Aus der Sicht der Psychosomatik und der tiefenpsychologischen Entwicklungslehre ist menschliche Entwicklung, welche die Verantwortung ethischer und ästhetischer Werte anstrebt, an die wiederkehrende soziale und existentielle Grenzerfahrung gebunden. Gesundheit und Genesung aus Erkrankung sind durch diese beiden Grenzerfahrungen bestimmt: Viktor von Weizsäcker hat den Satz formuliert, der im selben Sinne für einen mutigen guten Lebensweg wie für die Philosophie, die hinter dem Phänomen „Bergsteigen“ stehen mag, Gültigkeit hat: „Die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung des Subjektes durch Krisen hindurch ist immer Aufgabe und nie objektiver Besitz; sie muss stets erkämpft und gleichzeitig erlitten werden.“
LITERATUR
(1) Freud, S.: Gesammelte Schriften. Studienausgabe. Fischer, Frankfurt (1997)
(2) Adler, A.: Heilen und Bilden. Fischer, Frankfurt (1973)
(3) Jaspers, K.: Allgemeine Psychopathologie. Springer, Berlin (1913)
(4) Weizsäcker, V.: Der Gestaltkreis. Thieme, Leipzig (1940)
(5) Uexküll, T., Wesiack, W.: Theorie der Humanmedizin. Urban & Schwarzenberg, München (1998)
(6) Pieringer, W., Ebner F.: Zur Philosophie der Medizin. Springer, Wien (2000).
(7) Fazekas, C.: Psychosomatische Intelligenz. Spüren und Denken – ein Doppelleben. Springer, Wien (2005)
(8) Doerr, W., Schipperges, H.: Was ist theoretische Pathologie? Springer,
Berlin, Heidelberg (1979)
(9) Jaspers, K.: Philosophische Autobiographie. Piper, München (1984)
(10) Bauer, J.: Warum ich fühle, was du fühlst. Hoffmann & Campe, Hamburg (2005)
(11) Heidegger, M.: Sein und Zeit (1926). Niemeyer, Tübingen (1957)
(12) Buhl, K.: Mein Vater Hermann Buhl. Malik, München (2007)
(13) Messner, R.: Nanga Parbat – Bruder, Tod und Einsamkeit. Malik, München (2002)
(14) Balint, M.: Arzt-Patient-Krankheit. Klett, Stuttgart (1986)
Arnold Koller, Günther Sumann, Christian Haid, Wolfgang Schobersberger
Der Tirol-Speed-Marathon: Die Belastung eines Bergab-Marathons führt nur in den Beugemuskeln und in der exzentrischen Arbeitsweise zu einem verringerten Kraftvermögen
The Tyrolean Speed Marathon: Running a downhill marathon is associated with eccentric hamstring fatigue
SUMMARY
Upper-leg fatigue may increase the risk of knee and soft tissue injuries and lower the running speed during downhill running (e.g., running a downhill marathon). The objective of this study was to test the hypothesis that running a downhill marathon fatigues thigh muscles. Thirteen runners (12 male and one female) performed an isokinetic muscle test three to four days before and 18 hours after the Tyrolean Speed Marathon. Both legs were tested. The testing protocol consisted of concentric and eccentric quadriceps and hamstring contractions. There were no significant differences between peak torque before and after the race, except that eccentric peak hamstring torque (both thighs) was reduced. Interestingly, running the Tyrolean Speed Marathon is associated with eccentric hamstring fatigue. Eccentric hamstring fatigue may be a potential risk factor for knee and soft tissue injuries and may lower the running speed during downhill running. Eccentric hamstring training (e.g., “Nordic hamstring lower exercise“) should therefore be introduced as an integral part of the training programme for downhill marathoners. Keywords: concentric, isokinetic, knee injuries, soft tissue injuries, upper-leg fatigue.
ZUSAMMENFASSUNG
Die in den Oberschenkeln nur bedingt tolerable Bergabbelastung scheint einerseits dafür verantwortlich zu sein, dass die überwiegende Zahl der Läufer Berg-
abpassagen in einem langsameren Tempo als im Flachstück laufen, und dürfte andererseits, wie die wissenschaftliche Literatur zeigt, auch Ursache dafür sein, dass Beschwerden in den Gelenken der unteren Extremitäten auftreten und das Verletzungs- bzw. Unfallrisiko steigt. In der vorliegenden Studie wurde geprüft, ob es bei Teilnehmern des Tirol-Speed-Marathons, einem Bergab-Marathon, zu einer Beeinträchtigung des Kraftvermögens der Oberschenkel kommt. 13 Läufer (12 Männer und eine Frau) mussten sich drei bis vier Tage vor dem Wettbewerb und 18 Stunden nach Beendigung des Rennens isokinetischen Krafttests unterziehen. Die Streck- und Beugemuskeln beider Beine wurden sowohl in konzentrischer als auch exzentrischer Arbeitsweise getestet. Interessanterweise wurde die Bergabbelastung nur in den Beugemuskeln und nur in der exzentrischen Arbeitsweise nicht toleriert. Da die Bergabbelastung in den Beugemuskeln in der exzentrischen Arbeitsweise nicht toleriert wird, wird Teilnehmern an Bergab-Marathons empfohlen, ein exzentrisches Training der Beugemuskulatur (z. B. „Nordic hamstring lower exercise“) in das Trainingsprogramm zu integrieren. Schlüsselwörter: konzentrisch, isokinetisch, Knieverletzung, Bandverletzung, lokale Ermüdung der Oberschenkel.
EINLEITUNG
Nach einer Studie des britischen Leistungsdiagnostikers Dr. Mervyn Davies bringt jedes Prozent Steigung bergab 0,35 km/h (1). Das bedeutet für den TirolSpeed-Marathon, dass man bei knapp zwei Prozent Gefälle über die komplette Distanz (vom Start am Brenner, 1370 m, bis zum Ziel in Innsbruck, 585 m, über 42 km) 0,7 Kilometer pro Stunde schneller sein sollte (1). Bei einer Endzeit von 2:45 Stunden entspricht dies 1,92 km (0,7 mal 2:45 Stunden), die man schneller läuft (1). Das Tempo berücksichtigend (~ 3:55 min/km) spart man in diesem Leistungsbereich rein rechnerisch um die 7:30 Minuten gegenüber einer Flachstrecke (1). Tatsächlich lief aber die überwiegende Zahl der Läufer die letzten Bergabpassagen in einem langsameren Tempo als die Flachstücke (1). Die Spekulation, dass Bergablaufen einen Zeitgewinn bedeutet, hängt scheinbar eng mit der zu laufenden Distanz und dem Grad des Gefälles zusammen. Auf die Marathondistanz bringt ein Prozent Gefälle vielleicht einen kleinen Vorteil, zwei und mehr Prozent sind aber wohl des Guten zu viel (1). Alles reine Spekulation, die es wissenschaftlich zu beweisen gilt (1). Thomas Steffens, Autor von Runners World und Teilnehmer des Tirol-SpeedMarathons schildert seine persönlichen Erlebnisse während des Tirol-SpeedMarathons so: „Durchaus tolerabel war der „Sturz“ vom Brenner über Gries
Richtung Steinach. Das Gefälle lag bei über zwei Prozent, aber die Muskulatur war noch frisch. Marschtabellen bzw. Zwischenzeitenvorgaben waren auf dieser Strecke natürlich Makulatur. Man musste sich nach seinem Körpergefühl richten, und das verführt leider immer zu einem zu schnellen Beginn, und dies erst recht, wenn es bergab geht. Schon im flacheren Abschnitt nach Matrei spürte man die ungewohnte Bergabbelastung. Interessanterweise weniger in den Oberschenkeln oder Knien, sondern eher in den Unterschenkeln. Der veränderte Fußaufsatz bzw. das ungewohnte Abrollverhalten machten sich negativ bemerkbar und rechneten sich mit zunehmender Streckenlänge scheinbar gegen das Gefälle auf. Inwieweit das kalte Regen- und Spritzwasser die Muskulatur zusätzlich irritierte, sei dahingestellt. Auf jeden Fall: Je höher das Tempo und je höher das Körpergewicht, desto stärker auch die Aufprallkräfte in den Gefällpassagen, und die sind eben nur bedingt tolerabel. Wer vielleicht selbst schon einmal den Tirol-Speed-Marathon geschafft hat, kann ermessen, was ein solcher Kurs in der Beinmuskulatur eines Läufers veranstaltet. Wenn alles so einfach wäre, wie sich dies manche vorstellen, dann hätten wir schon einen Marathon-Weltrekord von unter zwei Stunden. Dass dem nicht so ist, zeigt, dass es einer differenzierten Betrachtungsweise bedarf, um einem solchen Thema gerecht zu werden“ (1). Bei dieser differenzierten Betrachtungsweise spielt die Muskulatur offensichtlich eine wichtige Rolle. Die nur bedingt tolerable Bergabbelastung in den Muskeln scheint aber nicht nur dafür verantwortlich zu sein, dass die überwiegende Zahl der Läufer des Tirol-Speed-Marathons die letzten Bergabpassagen in einem langsameren Tempo als die Flachstücke liefen, sondern, wie die wissenschaftliche Literatur (2, 3) zeigt, auch dafür, dass Beschwerden in den Gelenken der unteren Extremitäten auftreten und das Verletzungs- bzw. Unfallrisiko steigt. Deshalb bestand das Ziel der vorliegenden Studie darin, die Frage zu beantworten, wie sich die Bergabbelastung während des Tirol-Speed-Marathons in den Oberschenkeln auswirkt. Aus diesem Grund wurden Läufer vor und nach dem Marathon isokinetischen Krafttests (Streck- und Beugemuskulatur), sowohl in der exzentrischen als auch konzentrischen Arbeitsweise, unterzogen. Krafttests der Beugemuskeln wurden aus dem Grund durchgeführt, da eine eingeschränkte Funktion (Flexibilität) dieser Muskelgruppe als Risikofaktor bei Läufern bereits beschrieben wurde (4).
MATERIAL UND METHODEN
16 Läufer (14 Männer und zwei Frauen) nahmen an dieser Studie teil. Drei bzw. vier Tage vor dem Marathon mussten sich die Teilnehmer an dieser Studie einer
eingehenden medizinischen Untersuchung unterziehen und isokinetische Krafttests absolvieren. Diese Krafttests wurden bei jenen 13 Läufern (12 Männer und eine Frau), die das Rennen beendeten, 18 Stunden, nachdem sie die Ziellinie überquerten, wiederholt. Die Teilnehmer an dieser Studie trainierten etwa viermal wöchentlich mit einem wöchentlichen Trainingsumfang von ca. 6 Stunden. Das mediane (interquartiler Bereich) Alter betrug 41,0 Jahre (23,0 – 54,0 Jahre), das mediane (interquartiler Bereich) Gewicht 79,0 kg (61,1 – 89,1 kg). Alle Teilnehmer unterzeichneten eine Einverständniserklärung; das Studienprotokoll wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Universität Innsbruck genehmigt. Die Krafttests wurden mit Hilfe eines isokinetischen Dynamometers (CONTREX MJ; CMV AG; Zürich, Schweiz) durchgeführt und folgte den vom Hersteller vorgegebenen Standardprotokollen. Es wurden beide Beine getestet. Das Testprotokoll beinhaltete nach dem Aufwärmen (10 Minuten auf dem Fahrradergometer) 4 Wiederholungen der Streck- und Beugemuskulatur (Winkelgeschwindigkeit: 60°s-1) sowohl in konzentrischer als auch exzentrischer Arbeitsweise. Die maximalen Drehmomente der Streck- und Beugemuskulatur beider Beine wurden registriert und für die statistische Analyse herangezogen. Da die Gesamtpersonenstichprobe keine Normalverteilung aufwies, kamen ausschließlich nonparametrische Testverfahren zum Einsatz. Zur Überprüfung von Signifikanzen wurden der Wilcoxon-Test und der Friedman-Test durchgeführt (Signifikanzniveau: p < 0.05).
ERGEBNISSE
Von den 16 Läufern, die an dieser Studie teilnahmen, erreichten 13 (12 Männer und eine Frau) das Ziel. Die mediane (interquartiler Bereich) Laufzeit betrug 3 Stunden 43 Minuten und 50 Sekunden (3 Stunden 12 Minuten 52 Sekunden – 4 Stunden 26 Minuten 28 Sekunden). Interessanterweise wurde die Bergabbelastung (statistisch signifikant) nur in den Beugemuskeln und nur in der exzentrischen Arbeitsweise nicht toleriert. Wie Tabelle 1 zeigt, konnte eine statistisch signifikante Abnahme des maximalen Drehmomentes nur in den Beugemuskeln in der exzentrischen Arbeitsweise festgestellt werden.
DISKUSSION
Er sollte mindestens der schnellste Marathon Österreichs werden, die Veranstalter des Tirol-Speed-Marathons träumten von einer Siegerzeit von 2:06 Stun-
Maximale Drehmomente der Beugemuskeln in konzentrischer Arbeitsweise [N·m] Rechter Oberschenkel vor: 105,2 (92,2 –127,7); nach: 101,2 (80,9 – 130,7); p = 0,1016 Linker Oberschenkel vor: 111,5 (87,5 – 130,6); nach: 103,3 (83,9 –126,7); p = 0,1763 ____________________________________________________________________ Maximale Drehmomente der Beugemuskeln in exzentrischer Arbeitsweise [N·m] Rechter Oberschenkel vor: 127,7 (118,5 – 148,6); nach: 117,7 (93,7 – 144,4); p = 0,0244 Linker Oberschenkel vor: 134,5 (120,7 – 174,6); nach: 117,0 (93,7 – 136,1); p = 0,0122 ______________________________________________________________________ Maximale Drehmomente der Streckmuskeln in konzentrischer Arbeitsweise [N·m] Rechter Oberschenkel vor: 142,8 (111,0 – 177,9); nach: 128,7 (84,9 – 158,8); p = 0,0830 Linker Oberschenkel vor: 156,6 (139,5 – 165,9); nach: 137,9 (92,9 – 162,8); p = 0,0640 ____________________________________________________________________ Maximale Drehmomente der Streckmuskeln in exzentrischer Arbeitsweise [N·m] Rechter Oberschenkel vor: 196,7 (163,2 – 205,6); nach: 162,7 (144,0 – 192,0); p = 0,1475 Linker Oberschenkel vor: 189,2 (169,9 – 216,8); nach: 167,3 (135,2 – 204,7); p = 0,1240
Tabelle 1: Maximale Drehmomente der Beuge- und Streckmuskeln bei Teilnehmern des Tirol-Speed-Marathons Isokinetische Krafttests wurden bei 13 Läufern (12 Männer und eine Frau) drei bis vier Tage vor dem Marathon (vor) und 18 Stunden, nachdem sie die Ziellinie überquert hatten (nach), durchgeführt. Es wurden beide Beine getestet. Das Testprotokoll beinhaltete 4 Wiederholungen der Streck- und Beugemuskulatur, sowohl in konzentrischer als auch exzentrischer Arbeitsweise. Eine statistisch signifikante Abnahme des maximalen Drehmomentes konnte nur in den Beugemuskeln in der exzentrischen Arbeitsweise festgestellt werden. Zur Überprüfung von Signifikanzen wurde der Wilcoxon-Test verwendet (Signifikanzniveau: p ≤ 0,05). Die Messwerte werden als Mediane (interquartile Bereiche) dargestellt.
den und schneller, und dann das: keine Rekorde (1). Tatsächlich blieben die Siegerzeiten deutlich über 2:06. 2004: Imboi Micah-Kipyego 2:21:45 Stunden (3:21 min/km); 2005: Chebet Ben-Kipruto 2:12:04 Stunden (3:07 min/km)
Abbildung 1:
Chebet Ben-Kipruto, der den Tirol-Speed-Marathon 2005 in 2:12:04 Stunden, in der bis jetzt schnellsten Zeit, gewonnen hat.
(Abbildung 1); 2006: Kiptoon Eric Chepkwony 2:22:43 Stunden (3:28 min/km); 2007: Zenuccitr Emanuele 2:28:50 Stunden (3:32 min/km). Im Gegensatz dazu stellte der 34-jährige Haile Gebrselasie aus Äthiopien am 30. 09. 2007 in Berlin, einem Flachkurs, einen neuen Marathon-Weltrekord in 2:04:26 Stunden auf. Auf die Marathondistanz bringen zwei Prozent Gefälle offensichtlich keinen Vorteil. Dass Bergablaufen keinen Zeitgewinn bedeutet, ist nichts Neues. Seit Jahren wird eine Diskussion über die Bostoner Strecke (leichter oder schwerer als Flachkurse) geführt (1). Interessant mag in diesem Zusammenhang sein, dass in Boston (Nettogefälle: 3,2 Meter pro Kilometer) in der mehr als 100 Jahre langen Geschichte dieses Laufes gerade einmal drei „Weltrekorde“ aufgestellt wurden (1). Die nur bedingt tolerable Bergabbelastung in den Beinmuskeln wird häufig als Erklärungsversuch herangezogen, dass Läufer die Bergabpassagen in einem langsameren Tempo als Flachstücke zurücklegen. Alles reine Spekulation, die es zu beweisen gilt (1). In der nun vorliegenden Untersuchung wurde geprüft, ob es bei Teilnehmern des Tirol-Speed-Marathons zu einer Beeinträchtigung des Kraftvermögens der Oberschenkel kommt. Überraschenderweise wurde die (Bergab)belastung nur
Abbildung 2: Streckenprofil. Beim Tirol-Speed-Marathon beträgt der Höhenunterschied vom Start am Brenner (1370 m) bis zum Ziel in Innsbruck (585 m) 785 Meter. Das sind knapp zwei Prozent Gefälle über die komplette Distanz.
in den Beugemuskeln und nur in der exzentrischen Arbeitsweise nicht toleriert. Der Tirol-Speed-Marathon hat ein Gefälle von 18,6 Meter pro Kilometer (Abbildung 2). Das Nettogefälle der Bostoner Strecke vom Start in Hopkinton (149 m ü. M.) bis zum Ziel in Boston (3 m ü. M.) beträgt 146 Meter. Das sind 3,2 Meter pro Kilometer. Vom Start bis Kilometer 25,7 geht es bergab, danach sind auf den nächsten acht Kilometern 52 Höhenmeter zu überwinden. Dieser Streckenteil ist bekannt als Heartbreak Hill und bezeichnet in Wirklichkeit eine Serie von wellenartigen Anstiegen im Vorort Newton, bevor es auf den letzten acht Kilometern 52 Meter bergab geht (1). Solche Anstiege fehlen beim Tirol-SpeedMarathon, der daher besser geeignet sein dürfte, sich wissenschaftlich mit den (muskulären) Auswirkungen des Bergablaufens zu beschäftigen, als der traditionsreiche Bostoner Marathon. Ob die Abnahme des maximalen Drehmomentes nur in den Beugemuskeln und nur in der exzentrischen Arbeitsweise (Tabelle 1) auf das Bergablaufen (42 km; knapp zwei Prozent Gefälle über die komplette Distanz) zurückzuführen ist oder auch nach Flachkursen, wie z. B den Strecken von Rotterdam oder Berlin, auftritt, kann nicht beantwortet werden. Untersuchungen wie die vorliegende fehlen für Flachkurse. Ebenso können die Ergebnisse dieser Studie nicht ohne weiteres auf andere Kurse (mehr oder weniger Prozent Gefälle) übertragen werden. Betrachtet man die wissenschaftliche Literatur (3, 5, 6), so ist die in der vorliegenden Untersuchung festgestellte Abnahme des maximalen Drehmomentes speziell in den Beugemuskeln (nur in exzentrischer Arbeitsweise) auch insofern interessant, da diese Abnahme als mögliche Ursache für Beschwerden in den Gelenken der unteren Extremitäten und für erhöhte Verletzungs- bzw. Unfallrisiken beim Bergablaufen sehr wahrscheinlich ist (3, 6). Randomisierte, kontrollierte Studien, die verletzungsreduzierende Effekte von spezifischen Interventionen in bestimmten Sportarten nachweisen können, wur-
den bislang nur vereinzelt vorgestellt. Hervorzuheben ist eine von Olsen et al. (7) durchgeführte Untersuchung an insgesamt 120 Handballmannschaften mit mehr als 1800 Spielern über eine Spielsaison. In dieser Studie wurden signifikante Reduktionen der Verletzungsraten in der Interventionsgruppe, die ein Balance- und Krafttraining der Beugemuskulatur in exzentrischer Arbeitsweise („Nordic hamstring lower exercise“) absolvierte, nachgewiesen. Im Vergleich zur Kontrollgruppe konnten die Autoren eine Senkung der Verletzungsrate von 50 % berichten, unabhängig von der Art der Verletzung und relativ unabhängig davon, ob es sich um trainings- oder wettkampfbedingte Verletzungen handelte. Obwohl aus der Untersuchung von Olson et al. (7) nicht hervorgeht, ob primär das Balance- oder das exzentrische Krafttraining der Beugemuskeln für die Senkung der Verletzungsrate verantwortlich ist, und obwohl unsere Ergebnisse nur bedingt auf andere Kurse (mehr oder weniger Prozent Gefälle) übertragbar sind, wird Teilnehmern an Bergab-Marathons empfohlen, ein exzentrisches Training der Beugemuskulatur (z. B. „Nordic hamstring lower exercise“) in das Trainingsprogramm zu integrieren.
DANKSAGUNG
Die Autoren bedanken sich bei Mag. Michael Wanievenhaus und seinem Team für die organisatorische Unterstützung bei der Durchführung der Untersuchungen.
LITERATUR
(1) Steffens, T.: Der Weltrekord fiel ins Wasser. Die Premiere des Tirol Speed-
Marathons: Im Regen ertrunken und vom Winde verweht. Runners World 8, 59–60 (2004)
(2) Gottschall J. S., Kram, R.: Ground reaction forces during downhill and uphill running. J Biomech 38, 445–452 (2005)
(3) Hayes, P. R., Bowen, S. J., Davies, E. J.: The relationship between local muscular endurance and kinematic changes during a run to exhaustion at
VO2max. J Strength Cond Res 18(4), 898–903 (2004)
(4) Hreljac, A., Marshall, R. N., Hume, P. A.: Evaluation of lower extremity overuse injury potential in runners. Med Sci Sports Exerc 32(9), 1635–1641 (2000)
(5) Westblad, P., Svedenhag, J., Rolf, C.:The validity of isokinetic knee extensor endurance measurements with reference to treadmill running capacities. Int J Sports Med 17, 134–139 (1996)
(6) Melnyk, M., Gollhofer, A.: Submaximal fatigue of the hamstrings impairs specific reflex components and knee stability. Knee Surg Sports Traumatol Arthrose 15, 525–532 (2007)
(7) Olsen, O. E., Myklebust, G., Engebretsen, L., Holme, I., Bahr, R.: Exercise to prevent lower limb injury in youth sports: cluster randomised controlled trial. BMJ 330, 449–455 (2005)
Veronika Leichtfried, Georg Hoffmann, Daniel Basic, Wolfgang Schobersberger
Das Verhalten der Herzfrequenz und ihrer Variabilität in Hypoxie – eine Review
Characteristics of the heart rate and its variability under hypoxic conditions – a review
SUMMARY
Heart rate variability (HRV) characterizes the chronological variation of successive heartbeats. Besides the importance for clinical practice, studies with measurement of the heart rate and its variability seem to gain importance in a variety of field studies, not only because of the invention of more simplified measuring equipment and innovative display formats. A decreased partial pressure of oxygen induces modifications of the HRV course: Under resting conditions a shift towards sympathetic predominance and a contemporary decrease of the activity of the vagal-cardiac nerve traffic can be observed, which seems to be associated with the tachycardia induced by hypoxia. Modifications of the baroreflex control can be observed as well. Acclimatisation may be associated with an increased total power and an augmented activity of the parasympathetic drive towards baseline values, although intra- and interindividual differences are observed. The results of studies determining the additive effect of physical stress to hypoxia are very inconsistent. Concerning the heart rate and its variability highlanders seem to be well adapted to their habitual surroundings whereas genetic factors may play a major role. The close preoccupation with recent literature of heart rate variability and hypoxia leads to the perspective that there is a great impact for diagnostic possibilities in the measurement of HRV in high altitude medicine. However, certain extents of experience with HRV-measurement as well as strictly standardized conditions are required. Keywords: Hypoxia, heart rate variability, altitude, cardiac autonomic control, autonomic nervous system.
ZUSAMMENFASSUNG
Die Herzfrequenzvariabilität (HRV) bezeichnet die zeitliche Variation aufeinanderfolgender Herzschläge. Neben der Bedeutung für die klinische Praxis bei diversen Erkrankungen kommt die HRV-Messung, nicht zuletzt aufgrund neuer und vereinfachter Messapparaturen und innovativer Darstellungsformen, auch in Feldstudien vermehrt zum Einsatz. Ein verminderter Sauerstoffpartialdruck führt im Vergleich zur Normoxie zu Veränderungen des HRV-Verlaufes, die unter Ruhebedingungen durch einen Shift in Richtung sympathischer Dominanz bzw. durch eine Abnahme parasympathischer Aktivität gekennzeichnet sind und im Einklang mit der hypoxiebedingten Tachykardie zu stehen scheinen. Auch lassen sich Modifikationen der Baroreflexkontrolle unter hypoxischen Bedingungen feststellen. Akklimatisationsvorgänge äußern sich meist in einer Erhöhung der Gesamtvariabilität und einer Steigerung der parasympathischen Modulation der Herzfrequenz auf Ausgangswerte. Allerdings zeigen sich hier mehr oder weniger große inter- und intraindividuelle Unterschiede. Diverse Untersuchungen zu den additiven Effekten körperlicher Belastung in Hypoxie zeigen ein sehr inkonsistentes Bild. Hochlandbewohner sind bezüglich HRV optimal an ihre Umgebung angepasst, wobei hier wahrscheinlich genetische Hintergründe ausschlaggebend sind. Die eingehende Beschäftigung mit der Literatur über HRV-Messungen in Hypoxie führt zu der Ansicht, dass die HRVMessung eine Vielzahl an Möglichkeiten in sich birgt, die vor allem für die Sicherheit der fortwährend weltweit steigenden Trekkingpopulation (Früherkennung von Höhenkrankheit etc.) von Bedeutung sein können. Vorauszusetzen sind jedoch eine gewisse Erfahrung mit der HRV-Messung und streng standardisierte und normierte Untersuchungsbedingungen, ohne die gewonnene Ergebnisse nicht vergleichbar sind. Schlüsselwörter: Hypoxie, Herzfrequenzvariabilität, Höhe, kardiale autonome Kontrolle, autonomes Nervensystem.
EINLEITUNG
Die Herzfrequenzvariabilität (HRV, englisch: heart rate variability) bezeichnet die Variation im zeitlichen Abstand von Herzschlag zu Herzschlag. Aufeinanderfolgende Herzschlagintervalle (RR-Intervalle), im EKG ablesbar von RZacke bis R-Zacke, sind keineswegs gleich lang, sondern variieren intra- und interindividuell mehr oder weniger stark. Je größer diese Variation der Herzschläge, desto höher die HRV. Eine hohe HRV ist physiologisch günstig, während eine niedrige Variation der Herzfrequenz mit unterschiedlichen Krankheitsbildern assoziiert sein kann. Die Änderung der zeitlichen Abfolge der RR-Inter-
valle wird von verschiedensten exogenen und endogenen Faktoren beeinflusst. So bestimmen beispielsweise Alter und Geschlecht (1–5), Körperzusammensetzung (6, 7) und Lebensstil (7–12) die HRV bedeutend mit. Wesentlichen Einfluss auf die HRV haben außerdem Faktoren wie Atmung (13–15), Tageszeit (16, 17) und Körperposition (17–19), die – um reproduzierbare und vergleichbare Ergebnisse liefern zu können – bei der Messung der HRV berücksichtigt werden müssen. Die Kenntnis der physiologischen Grundlagen und der Modulatoren, die an der Entstehung der HRV beteiligt sind, eröffnet eine Vielzahl an Möglichkeiten im diagnostischen Bereich. Diese Möglichkeiten machten sich Forscher bereits ab Mitte der 60er Jahre zunutze (20). Nicht zuletzt aufgrund der Vereinfachung der Messung mittels benutzerfreundlicher Messgeräte und Auswertesysteme (21, 22) erfuhr die Messung der HRV als diagnostisches Mittel in den letzten Jahren einen immensen Aufschwung und kam vermehrt in Feldstudien zum Einsatz. Aufgrund der Fülle an Möglichkeiten und der Bedeutung, die in der HRVMessung liegen können, setzte sich in den 90er Jahren eine Arbeitsgruppe aus Medizinern, Mathematikern und Ingenieuren zusammen (TASK FORCE of the European Society of Cardiology and the North American Society of Pacing and Electrophysiology), um die Menge der inzwischen entstandenen Parameter der HRV zu standardisieren, zu definieren, Goldstandard-Methoden zu benennen und physiologische Hintergründe sowie etwaige pathophysiologische Zusammenhänge zu klären (23). Die Beeinflussung der Herzfrequenz und die dadurch hervorgerufene Variation der RR-Intervalllängen erfolgt unter anderem durch autonome Mechanismen, die eine sehr rasche Anpassung der Herzfrequenz auf exogene und endogene Einflüsse ermöglichen. Hier spielen unter anderem arterielle Baroreflexe und Reflexe des Vestibularapparates, die ihre Informationen aus peripheren Chemo- und Mechanorezeptoren beziehen, eine große Rolle. Von besonderem Interesse ist die autonome Steuerung der Herzfrequenz über Sympathikus und Parasympathikus. Die parasympathische Regulation der Herzfrequenz erfolgt über den Nervus vagus mittels Freisetzung von Acetylcholin, das zu einer Verlangsamung der Herzfrequenz führt (24). Die sympathische Steuerung der Herzfrequenz erfolgt mittels Noradrenalin und endet in einer Beschleunigung der Herzfrequenz (23). Im Vergleich zur sympathischen Reizung geht die vagale Stimulation um einiges rascher vor sich und ermöglicht aufgrund des schnelleren Transmittermetabolismus eine Modulation der Herzfrequenz auf Schlagzu-Schlag-Basis. Neben dem autonomen Nervensystem spielen insbesondere respiratorische, zentrale und humorale Faktoren bei der Entstehung der Herzfrequenz und ihrer Variabilität mit.
PARAMETER DER HRV
Wie bereits erwähnt, gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, HRV-Daten aufzuarbeiten, darzustellen und die Variabilität der Herzschlagintervalle abzuschätzen. Am häufigsten, so auch bei den meisten Untersuchungen im Zusammenhang mit Hypoxie, wird die Variabilität der Herzfrequenz im Frequenz- oder im Zeitbereich dargestellt und analysiert. Zusätzlich gibt es noch geometrische und nichtlineare Analysemöglichkeiten (Poincaré-Plot) sowie Chaosmethoden, die laut TASK-FORCEnicht zu den Goldstandard-Methoden zählen, jedoch in der Literatur immer wieder Anwendung finden. In der untenstehenden Tabelle 1 sind die am häufigsten verwendeten Parameter der Analyse im Zeit- und Frequenzbereich aufgelistet.
ZEITBEREICH
FREQUENZBEREICH Parameter / Variable
SDNN
SDANN
rMSSD
SDNN index
SDSD
NN50 (count)
pNN50
TP VLF LF LFnu. HF HFnu LF/HF Einheit Erklärung
ms Standardabweichung aller RR-Intervalle
ms
ms
ms ms
ms 2
ms 2
ms 2
n.u.
ms 2
n.u.
ms 2 Standardabweichung der Mittelwerte der RR-Intervalle aller 5-min Segmente der Gesamtaufzeichnung Quadratwurzel des Mittelwertes der Summe der Quadrate der Differenzen zw. benachbarten Herzschlagintervallen. (Vergleich der Standardabweichung der Differenzen aufeinander folgender NN-Intervalle) Mittelwert der Standardabweichung der RR-Intervalle aller 5-min Segmente der Gesamtaufzeichnung Standardabweichung der Differenzen aufeinander folgender RR-Intervalle Anzahl der Differenzen benachbarter RR-Intervalle, die größer als 50 ms sind Prozentwert der Differenzen zwischen benachbarten Herzschlagintervallen, die größer als 50 ms sind. Total Power: Varianz der RR-Intervalle imSegment Power im VLF-Bereich (Absolutwerte) Power imLF-Bereich (Absolutwerte) LF Power in normalized units: LF/(TP-VLF) x 100 Power im HF-Bereich (Absolutwerte) HF Power in normalized units: HF/(TP-VLF) x 100 LF/HF-Ratio: LF/HF (ms2) Frequenzbereich
0,4 Hz 0,04 Hz
0,04-0,15 Hz
/ 0,15-0,4 Hz /
Tabelle 1: Parameter der Herzfrequenzvariabilität im Zeit- und im Frequenzbereich nach den Empfehlungen der TASK FORCE (23)
Bei der Zeitbereichsanalyse interessieren vor allem die Differenzen benachbarter RR-Intervalle und es stehen vermehrt kurzfristige Änderungen der HRV im Mittelpunkt des Interesses. rMSSD, NN50 und pNN50 korrelieren sehr hoch miteinander und sind die gebräuchlichsten Parameter der Analyse im Zeitbereich. Sie bezeichnen vorwiegend Änderungen, die durch den parasympathischen Anteil des autonomen Nervensystems bedingt sind, und werden in der Literatur meist dem parasympathischen Tonus gleichgesetzt (23, 25), was jedoch kritisch zu betrachten ist (26). Bei der Frequenzbereichsanalyse, die vorwiegend bei Hypoxiestudien angewandt wird, wird das Herzfrequenzsignal mittels Powerspektralanalyse in unterschiedliche Frequenzbereiche eingeteilt, die ihrerseits
wiederum physiologischen Abläufen zugeordnet werden können. Es gilt nach harmonischen und fraktalen Anteilen zu unterscheiden. Diese Zuordnung der Frequenzbereiche auf bestimmte physiologische Vorgänge ist nicht ganz einfach und wird in der Literatur stets kontroversiell diskutiert. Die Zuordnung des hochfrequenten Bereichs (0,15–0,4 Hz) gestaltet sich um einiges leichter und scheint abgesichert. Er wird vorwiegend dem N. Vagus zugeschrieben und ist mit der respiratorischen Modulation der Herzfrequenz – der „respiratorischen Sinusarrhythmie (RSA)“ – gleichzusetzen (13, 15, 23, 27, 28). In den niederfrequenten LFBereich scheinen sowohl vagale als auch sympathische Wirkungen einzufließen, wobei arterielle Barorezeptoren hier einen wesentlichen Teil abzudecken scheinen (23, 29). Der sehr niederfrequente VLF-Bereich unterliegt vor allem der peripheren vasomotorischen Regulation (29) und wird bei der Darstellung des hochund des niederfrequenten Bereichs in „normalized units“ – sozusagen dem Nettoanteil an der gesamten Power – abgezogen. Bei der Frage nach Veränderungen der autonomen Kontrolle bei diversen Interventionen bedienen sich viele Autoren der LF/HF-Ratio, die in der Literatur – kontroversiell – als so genannte „sympathovagale Balance“ bezeichnet wird (30, 31). Je größer diese Ratio, desto höher die sympathischen und/oder desto geringer die parasympathische Innervation. Auch bei Höhenstudien erfreut sich die HRV-Messung in den letzten Jahren großer Beliebtheit, meist um hypoxiebedingte Änderungen der autonomen Aktivität bei akuter und chronischer Höhenexposition festzustellen und etwaige Veränderungen bei Akklimatisation zu ergründen. Der vorliegenden Arbeit liegen die in gängigen Suchmaschinen (pubmed) zu findenden Arbeiten über den Einfluss von Hypoxie auf die HRV beim Menschen seit dem Jahr 1995 bis heute zu Grunde. Arbeiten über Tierversuche werden nicht berücksichtigt. Einige ältere Arbeiten, die für die Autoren als wichtig empfunden wurden, finden ebenfalls Beachtung. Die Methodik von Untersuchungen in Hypoxie kann grob in zwei unterschiedliche Vorgehensweisen gegliedert werden: In solche, die bei einem tatsächlichen Höhenaufenthalt durchgeführt wurden, und jene, bei denen der Aufenthalt in Hypoxie simuliert wurde. Die Simulation der Hypoxie kann einerseits mittels Atemgasmasken erfolgen, durch welche die Versuchsperson ein Luftgemisch mit einem geringeren Sauerstoffanteil (normobare Hypoxie) als auf Meereshöhe einatmet, und andererseits mittels Druckkammern, in denen der Luftdruck auf den Druck einer äquivalenten Höhe herabgesenkt wird (hypobare Hypoxie). Untersuchungen bei tatsächlichen Höhenaufenthalten finden meist im Zuge von Expeditionen oder geführten Trekkingtouren statt. Nach den Hauptfragestellungen der Originalarbeiten gliedert sich die vorliegende Arbeit in folgende Bereiche.
Eingangs wird allgemein die im Vergleich zum Meeresniveau veränderte autonome Kontrolle in Hypoxie dargestellt und die Veränderungen während des Aufstieges beschrieben. Die Unterschiede, die sich in der autonomen Aktivität –gemessen an der HRV – bei unterschiedlichen Körperpositionen bzw. in Ruhe und bei Belastung ergeben, werden ebenfalls erläutert. Die Diskussion über die Baroreflexkontrolle unter hypoxischen Bedingungen stellt eine der Hauptfragestellungen von HRV-Messungen in Höhe dar. Häufig untersucht werden auch die Veränderungen der autonomen kardialen und respiratorischen Aktivität bei Akklimatisation und diverse Anpassungsunterschiede bei auftretender Höhenkrankheit (akute mountain sickness – AMS). Beliebte Fragestellungen sind auch solche nach Unterschieden in der autonomen Steuerung zwischen Hochlandbewohnern und Bewohnern niederer Höhenstufen.
HRV IN HYPOXIE IM VERGLEICH ZU NORMOXIE – DIE AUTONOME AKTIVITÄT BEI ABNEHMENDEM SAUERSTOFFPARTIALDRUCK
Die Frage nach den Hintergründen der in Hypoxie auftretenden Tachykardie in Zusammenhang mit gesteigerter Ventilation beschäftigte zu Beginn der 90er Jahre eine amerikanische Forschergruppe, die bei elf männlichen Probanden nach aktivem Aufstieg auf 4300 m HRV-Messungen durchführte. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die zu Beginn eines Höhenaufenthaltes gesteigerte Herzfrequenz vorwiegend auf Abnahme der parasympathischen Aktivität zurückzuführen ist und sich in einer Abnahme der Gesamtpower (total power, TP) und des hochfrequenten Bereiches der HRV äußert. Gleichzeitig beschreiben sie eine Zunahme der sympathischen Aktivierung während Hypoxie. Mit zunehmender Akklimatisation steigt die Aktivität des parasympathischen Zweiges des ANS wieder auf Werte, die mit den auf Meereshöhe gemessenen zu vergleichen sind, an. Diese Reaktionen, insbesondere die abgeschwächte Aktivität des parasympathischen Nervensystems (PNS), konnten bei einer Versuchsgruppe mittels oraler Gabe von Propanolol (ßBlockern) verhindert werden (32). Perini et al. (33) bestätigen in ihren Analysen der HRV in Rückenlage diesen Shift in Richtung sympathischer Dominanz der autonomen Nervenaktivität des Herzens in Höhe mit einem starken Rückgang des hochfrequenten Spektralanteils und einer um 2,5-mal höheren LF/HF-Ratio als im Vergleich zu Baselinemessungen auf Meeresniveau. Die kardiale Antwort auf Orthostasebelastung zeigte jedoch kein alternatives Verhalten im Vergleich zu Baselinemessungen, und es kam zu keiner Verstärkung der sympathischen Dominanz aufgrund von Körperpositionsänderungen. Auch eine einmonatige Akklimatisation brachte keine Modifikationen der autonomen Kontrolle mit sich.
Eine französische Forschergruppe bestätigte die oben beschriebenen Veränderungen der autonomen Kontrolle unter Hypoxiebedingungen. Diese äußerten sich wie bei Perinis Ergebnissen vorwiegend in einer signifikanten Zunahme der LF/HF-Ratio, welche auch sie dem Rückgang der vagalen Kontrolle zuschrieben. Die Gabe von Vasodilatatoren (Sildenafil) brachte keine Änderungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit sich (34). Anders dazu fanden Lipsitz et al. (35) bei spektralanalytischen Untersuchungen auf einer Höhe von 4700 m während des Schlafes signifikante Anstiege des gesamten und des niederfrequenten Spektrums der HRV, jedoch keine Änderungen der mittleren Herzfrequenz und des HF-Bereiches im Vergleich zu Messungen auf Meereshöhe. Darüber hinaus beschreiben sie das Auftreten sehr niederfrequenter Oszillationen, die mit einem in Hypoxie veränderten Atemverhalten (ähnlich der Schlafapnoe) zusammenhängen zu scheinen: Es zeigen sich abwechselnd wiederkehrende Perioden von Apnoe und Hyperpnoe mit einer mittleren Zykluslänge von 20 Sekunden, die sich aufgrund ihrer niederen Frequenz (3-mal pro Minute) stark von jener der physiologischen RSA unterscheiden. Zusätzlich beschreiben sie eine Phasenverzögerung von Atem- und Herzfrequenzzyklen, bei denen Phasen von Hyperpnoe stets der maximalen Herzfrequenz vorausgingen. Aufgrund der Ergebnisse führen die Autoren die Zunahme des niederfrequenten Spektrums nicht ausschließlich auf einen erhöhten sympathischen Tonus, sondern vor allem auf das Auftreten markanter kardiopulmonaler Oszillationen von niederer Frequenz zurück. Es ist zu beachten, dass die Einteilung der Spektralbereiche bei Lipsitz et al. nicht mit jenen der von der TASK FORCE empfohlenen übereinstimmt. Mit einer Reihe von Reflextests (Tiefenatmung, Valsalva-Manöver, Orthostasetests) konnten Veglio at al. (36) keine Änderungen der kardiovaskulären autonomen Kontrolle (gemessen am QT-Intervall) auf einer Höhe von 2950 m feststellen. Sie begründen ihre Ergebnisse damit, dass die durchgeführten Tests nichts über den adrenergen Tonus aussagen, sondern Aufschluss über die kardiovaskuläre Reaktivität geben. Lucy et al. (37) untersuchten mittels Luftgemischen mit 12%igem Sauerstoffanteil Veränderungen des Parasympathikus und Sympathikus auf Schlag-zuSchlag-Basis, die dem Akklimatisationsvorgang vorausgehen. Die Untersuchungen ergaben eine signifikante Herzfrequenzsteigerung und eine dadurch bedingte inverse Verkürzung der RR-Intervalle unter hypoxischen Bedingungen in Rückenlage und im Sitzen im Vergleich zu Normoxie. Darüber hinaus kam es zu einer signifikanten Abnahme der vagal vermittelten Parameter der HRV (SDNN, HF und TP), der LF-Bereich hingegen blieb unverändert. Aufgrund dessen, dass die von ihnen berechneten Indikatoren von PNS
(PNS = HF/TP) bzw. SNS (SNS = LF/HF-Ratio) in Hypoxie keine Änderungen zeigten bzw. die Abnahme der vagal beeinflussten Parameter der HRV ausschließlich in Rückenlage zu beobachten war, führten die Autoren die hypoxiebedingte Tachykardie ausschließlich auf Entzug der vagalen und nicht auf eine gesteigerte sympathische Aktivität zurück. Die Autoren sprechen von einem veränderten vagalen „Outflow“ und entfernen sich von der Theorie einer abgeschwächten Modulation der vagalen Nervenentladung in Höhe (37). Saito et al. (38) beschrieben sowohl einen signifikanten Rückgang der niederfrequenten Spektralkomponente als auch eine Abnahme der TP und des HF-Bereiches. Sie sprechen von einer verringerten Sensitivität des ANS in Höhe und schreiben dieser vor allem eine organprotektive Wirkung zu, die insbesondere bei Langzeit-Höhenaufenthalten zum Tragen kommt. Neu ist die von dieser Gruppe beobachtete signifikante Korrelation des LF-Bandes mit der Sauerstoffsättigung. Unterschiedliche Leistungsniveaus scheinen sich nicht auf hypoxiebedingte Veränderungen der autonomen kardialen Kontrolle auszuwirken. Sie zeigen sich gleichermaßen bei Untrainierten (39) und bei Eliteathleten (40). Die Ursache der oben beschriebenen akuten Anpassungen auf einen verminderten Sauerstoffpartialdruck werden vorwiegend dem Schutz lebenswichtiger Organe zugeschrieben (39). Bei der neuesten Untersuchung zu HRV und Hypoxie bei 22 männlichen Probanden wurden durch einen vierwöchigen intermittierenden Aufenthalt in Höhen von 4000 bis 5500 m im Gegensatz zu den meisten oben beschriebenen Ergebnissen keine Änderungen der kardiovaskulären Regulation festgestellt (41). An dieser Stelle muss jedoch in Frage gestellt werden, ob die Vor- und insbesondere die Nachuntersuchungen zu repräsentativen Zeitpunkten durchgeführt wurden (mit einer Verzögerung von 3 Tagen). Vielleicht geben diese Ergebnisse jedoch auch einen Hinweis darauf, dass chronische Hypoxieeffekte einer längeren Anpassungsdauer als vier Wochen bedürfen.
VERÄNDERTE BAROREFLEXKONTROLLE IN HYPOXIE
Dass sich unter hypoxischen Bedingungen Modifikationen der autonomen kardiovaskulären Kontrolle einstellen, wird auch mit einer veränderten Baroreflexsensitivität (BRS) in Verbindung gebracht. Periphere Baroreflexe haben einen wesentlichen Anteil bei der Entstehung der Variabilität von Herzfrequenz und Blutdruck (42). Durch sie hervorgerufene Oszillationen des HRV-Signals spiegeln sich vorwiegend im niederfrequenten Spektralanteil wider (23). Die Feststellung der BRS erfolgt meist über diverse Testverfahren wie „neck-suction“, „cold-pressor-test“ oder Valsalva-Manöver oder indirekt über mathematische Berechnungsverfahren.
Bernardi et al. (43) stellen Ende der 90er Jahre eine Zunahme des Anteils der LF-Komponenten (HRV, Blutdruckvariabilität, Hautdurchblutung) bei Reizung der Barorezeptoren („neck suction“) fest. Sie sprechen von einer vermehrten sympathischen Aktivierung des kardiovaskulären autonomen Systems ohne Änderung der Baroreflexsensitivität (BRS). Im Gegensatz dazu finden Sevre et al. (44, 45) eine signifikant niedrigere Sensitivität der Barorezeptoren in mittleren und großen Höhen. Hier wurde die BRS indirekt mittels mathematischem Verfahren unter Einbeziehung von systolischem Blutdruck und RR-Intervallen berechnet und nur teilweise direkt mittels Tests abgesichert. Roche et al. (46) weisen ebenfalls eine prompte Abschwächung der spontanen Baroreflexe bei akuter Hypoxie in Rückenlage nach, die sich jedoch sofort nach Hypoxiebelastung sogar über Baselinewerte hinaus erhöhen. Die Messung der BRS erfolgte wiederum indirekt. Halliwill (47) spricht auf einer simulierten Höhe von 4800 m von einem erhöhten Ausgangslevel autonomer Blutdruck- und Herzfrequenzkontrolle, konnte jedoch keine Änderung der Sensitivität arterieller Baroreflexe mittels Applikation vasoaktiver Substanzen (Adrenalin bzw. Nitroprussid) nachweisen und führt die kontroversiellen Ergebnisse vorwiegend auf eine unterschiedliche Methodik zurück. Auch neueste Ergebnisse von Fu et al. (41) zeigen keine Änderungen vagaler Baroreflexfluktuationen in Höhe.
ANPASSUNGEN DES AUTONOMEN SYSTEMS IN RUHE WÄHREND STUFENWEISER HYPOXIEEXPOSITION
Um die Frage des Variabilitätsverhaltens der Herzfrequenz beim Aufstieg auf sehr große Höhen zu simulieren, führten Yamamoto et al. (48) Untersuchungen in einer Dekompressionskammer mit sechs Probanden durch. In stufenweise ansteigenden Höhen von 5000 m bis über 6000 m standen Abschnitte des Schlafes und solche kurz nach Erwachen im Mittelpunkt des Interesses. In den EKGAufzeichnungen zeigten sich ständig wiederholende 20-Sekunden-Abschnitte, denen zwei lokale Minima und Maxima gemeinsam waren. Im Vergleich zu Baselinemessungen auf Meeresniveau war im Poincaré-Plot ein deutlich verringertes stochastisches Rauschen in Höhen über 6000 m, das eine chaotische Eigenschaft zu besitzen scheint, zu erkennen. Sevre et al. (44) beschreiben bei stufenweiser Absenkung des PO2 auf Höhen bis 4500 m eine substantielle Reduktion der autonomen Aktivität mit zunehmender Höhe, gekennzeichnet von einem Tiefpunkt in der HRV am dritten (HFnu) und fünften (TP, HF, LF) Tag. In Feldversuchen, bei denen untrainierte Büroarbeiter auf bis zu 2500 m transportiert wurden, konnte lediglich eine tendenzielle Abnahme der Parameter der HRV nachgewiesen werden. Erst nach aktivem Aufstieg um weitere 1200 m
wurden diese Änderungen signifikant (39). Guger et al. (49) hingegen berichten bei passivem Aufstieg mittels Seilbahn auf eine ähnliche Höhe (2700 m) signifikante Abnahmen der parasympathisch mediierten Zeitbereichsparameter (rMSSD, pNN50 und SDNN). Darüber hinaus fanden die Autoren eine Korrelation von Alpha-Band des EEG-Signals und Zeitbereichsparametern der HRV bei Reaktionszeitanalysen. Warum bei diesen beiden Arbeiten trotz ähnlicher Vorgehensweise unterschiedliche Ergebnisse zu finden sind, kann nur vermutet werden. Es könnte mit der höheren Geschwindigkeit des Aufstieges mittels Seilbahn im Vergleich zum Auto zusammenhängen. Darüber hinaus wird angenommen, dass Höhen zwischen 2500 und 2700 m als kritische Höhen für die autonome Anpassung zu sehen sind, auf denen sich eine hypoxiebedingte Kreislaufumstellung vollzieht. In touristischen Regionen der Alpenländer, in denen zahlreiche Menschen mittels Seilbahn auf ähnliche und noch größere Höhen transportiert werden, muss diese Tatsache vermehrt Berücksichtigung finden. Es kann auch angenommen werden, dass sich ein aktiver im Vergleich zum passiven Aufstieg hier nicht zuletzt aufgrund des Zeitfaktors günstig auswirkt. Die Untersuchungen von Guger et al. (49) werfen einen weiteren wichtigen Aspekt auf: Veränderungen, die im zentralen Nervensystem durch Hypoxie verursacht werden, können zusätzlich zur Steigerung der Unfallhäufigkeit von Trekkingtouristen beitragen.
AUTONOME ANPASSUNGSERSCHEINUNGEN IN HYPOXIE BEI KÖRPERLICHER BELASTUNG
Es ist bekannt, dass körperliche Betätigung zuerst zu einer Reduktion des vagalen Einflusses (bis zu ca. 30 % der VO2max) und anschließend zu einer überwiegend sympathischen Aktivierung führt. Dabei scheint vorwiegend der vagale Entzug für die Abnahme der HRV verantwortlich zu sein (29). Die HRV-Messung ermöglicht es festzustellen, ob und inwieweit diese belastungsbedingten Anpassungsreaktionen durch zusätzliche Hypoxie verändert werden. Die Ergebnisse der bisher eher spärlich veröffentlichten Studien, die einen kombinierten Effekt von Hypoxie und körperlicher Belastung untersuchten, sind sehr inkonsistent, nicht zuletzt weil sie auf unterschiedlichen Höhenstufen und mit unterschiedlicher Methodik durchgeführt wurden (29, 39, 40, 48, 50–57). Bei Untersuchungen moderater körperlicher Belastung in Höhen zwischen 500 und 3500 m zeigte sich ein nennenswerter Anteil an fraktalen Komponenten der Kurzzeitvariabilität auf 3500 m. Die Forscher fanden heraus, dass die Ergebnisse in Höhe stark davon abhängen, ob die fraktalen Komponenten des HRV-Signals mit einbezogen werden oder nur die harmonischen Berücksichtigung fin-
den. Konform mit anderen Untersuchungen beschreiben sie die bedeutendsten Auswirkungen moderater Hypoxie in Kombination mit moderater Belastung als signifikante Zunahme von Herzfrequenz und SNS-Anteil, gekoppelt mit der Abnahme der parasympathischen Indikatoren. Im Gegensatz dazu konnten in Ruhe (Sitzen) keine Modulationen im HRV-Signal nachgewiesen werden. Da die Power der Spektralkomponenten stark von spontanen Variationen des Herzfrequenzsignals abhängt, sich diese bei Belastung jedoch gegen null minimieren, stellen die Autoren zur Diskussion, ob es sich bei der HRV-Messung um eine adäquate Methode zur Analyse der Änderungen des autonomen Systems bei Belastung handelt. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Spektralkomponenten durch hypoxiebedingte Hyperventilation an sich verändert sind und der Effekt von Hypoxie per se nur indirekt abgeschätzt werden kann (56). Anders als unter Ruhebedingungen konnten Buchheit et al. (50) bei Fahrradergometrie mit moderater Intensität (50 % VO2max) in simulierter Höhe von 4800 m keinen zusätzlichen höhenbedingten Effekt nachweisen. Sie schreiben die signifikante Abnahme der HRV im Zeit- und Frequenzbereich vorwiegend der körperlichen Aktivität zu und zweifeln ebenfalls die Sensitivität der HRV-Messung für autonome Modulationen während körperlicher Belastung in Höhe an. Der einzige Unterschied zwischen Belastung in Normoxie und Hypoxie bestand in den Werten der „normalized units“, die von einer signifikanten Zunahme von LF/(LF+HF) und einer signifikanten Abnahme von HF/(LF+HF) in Hypoxie gekennzeichnet waren. Sie führen ihre Ergebnisse u. a. auch darauf zurück, dass die von ihnen gewählte zu hohe Belastungsintensität aufgrund ihres Einflusses auf ventilatorische und humorale Faktoren als Störgröße angesehen werden muss. Im Unterschied dazu beschreiben Povea et al. (40) bei einer ähnlichen Versuchsanordnung im Vergleich zur Belastung in Normoxie zusätzlich eine Abnahme aller HRV-Parameter im Frequenzbereich in Hypoxie. Die Autoren schließen daraus, dass Hypoxie sehr wohl eine zusätzliche Bedingung für Modulationen der autonomen Kontrolle im Sinne einer Abnahme der parasympathischen und einer Zunahme der sympathischen Aktivität darstellen. Anders als Buchheit et al. (50) fanden sie zwar eine Änderung des LF-Anteiles an der TP bei Belastung in Höhe, der HF-Anteil hingegen änderte sich nicht.
ÄNDERUNG DER HRV DURCH TRAINING IN HYPOXIE
Körperliche Belastung und Hypoxie stellen beides Stressfaktoren dar, die eine Änderung der sympathovagalen Balance hervorrufen. Hypoxietraining liegt die Überlegung zugrunde, dass sich kombinierte Belastungs- und Hypoxiereize überlagern und einen kumulativen Effekt haben (29, 40, 50, 55). Besonderer
Beliebtheit scheint sich die Form des „live high - train low“-Modells zu erfreuen, bei dem Athleten unter Normoxie trainieren und sich während der Ruhephasen in Hypoxie aufhalten. Vor kurzem konnte nachgewiesen werden, dass nach einer zweiwöchigen „live high – train low“-Intervention mit wechselnder Höhenlage bereits auf mittleren Höhen die sympathische Aktivierung bei körperlicher Belastung in Höhe im Vergleich zu Normoxie gesteigert werden kann. Training ohne Höhenintervention brachte keine Änderungen der Spektralkomponenten mit sich. Die Unterschiede zwischen Kontroll- und Interventionsgruppe betrafen insbesondere den HF-Anteil an der TP und die LF/HF-Ratio, die bei der Interventionsgruppe bei körperlicher Belastung nach dem Training signifikant höher waren als bei der Kontrollgruppe (40). Beim Höhentraining muss jedoch beachtet werden, dass die autonomen und kardiovaskulären Anpassungen des Körpers an Ausdauertraining denen, die durch Hypoxie hervorgerufen werden, gegenüberstehen und sich so gegenseitig abstumpfen können. Diese negative Wechselwirkung konnte, wenn auch in limitierter Form, kürzlich bei Eliteathleten nachgewiesen werden (58). Die physiologischen Konsequenzen dieser Interaktion waren zwei Wochen nach Ende der Höhenintervention jedoch wieder verschwunden. Dass durch Training in Hypoxie positive Veränderungen der autonomen Kontrolle, gemessen an den HRV-Parametern, erreicht werden können, wird angenommen. Die Frage nach der optimalen Höhenstufe für autonome Anpassungserscheinungen scheint jedoch unbeantwortet. Schmitt et al. (54) fanden beispielsweise bei Untersuchungen auf zwei verschiedenen Höhenstufen (1200 und 1850 m) nach 17-tägiger Trainingsintervention deutliche Unterschiede in den HRV-Mustern: Die Gesamt- und die HF-Power nahmen in Rückenlage, die LF-Power im Stand nach dem Höhentraining auf 1200 m signifikant zu, blieben jedoch auf 1850 m unverändert. Darüber hinaus fanden sich auf 1200 m in Rückenlage höchst signifikante Korrelationen zwischen Herzfrequenz und dem hochfrequenten Spektrum, nicht jedoch auf 1850 m. Zusätzlich kam es nach dem Training auf 1200 m (nicht jedoch auf 1850 m) zu einer signifikanten Leistungsverbesserung. Interessant war das unterschiedliche Anpassungsverhalten der HF-Power in Rückenlage auf den beiden Höhenstufen: Auf 1200 m nahm sie zwischen ersten und fünften Tag signifikant zu, auf 1850 m hingegen signifikant ab. Diese Ergebnisse schüren die Diskussion, ab welcher Höhe nun hypoxiebedingte Effekte auf die HRV und insbesondere auf die Leistung zu erwarten sind. Die Autoren sprechen von rein bewegungsinduzierten Modulationen auf 1200 m und von „echten“ hypoxiebedingten Anpassungen auf 1850 m.
Aufgrund des nachgewiesenen Zusammenhanges zwischen Leistung und HFBereich in Rückenlage bzw. von Leistung und LF-Bereich im Stand gestehen die Autoren der HRV-Messung eine viel versprechende Bedeutung in der Leistungsdiagnostik zu (54, 55).
HRV-ANPASSUNGEN WÄHREND AKKLIMATISATION
Auch wenn in der Literatur kontroversielle Meinungen kursieren, kann dennoch gesagt werden, dass durch akute und subakute Hypoxie Änderungen, die u. a. das autonome Nervensystem und mit ihm die kardiovaskuläre Kontrolle betreffen, hervorgerufen werden. Inwieweit sich das autonome System und insbesondere die kardiale Aktivität auf chronische Hypoxie bzw. auf Hypoxie über einen längeren Zeitraum anpasst, soll in diesem Kapitel diskutiert werden. Die autonome Akklimatisation auf Höhe scheint mit einem Shift in Richtung eines höheren parasympathischen Tonus mit einer gleichzeitigen Abnahme der parasympathischen Überaktivierung einherzugehen (34). Dazu führten Farinelli et al. (59) Mitte der 90er Jahre Untersuchungen nach einmonatigem Aufenthalt auf 5050 m durch und verglichen diese mit Untersuchungen auf Meeresniveau. Von Hauptinteresse waren insbesondere Anpassungsreaktionen der autonomen kardialen Aktivität bei Orthostasebelastung. Die Werte der HRV-Parameter in Höhe unterschieden sich jedoch nicht von denen auf Meeresniveau. Beide Situationen zeichneten sich durch eine signifikant höhere LF-Power und LF/HF-Ratio im Sitzen im Vergleich zur Rückenlage aus. Auch die mittlere Herzfrequenz blieb nach einem Monat in Höhe signifikant erhöht. Die Orthostasebelastung in 5050 m bewirkte eine geringere Zunahme der LF-Power als auf 0 m, der HF-Bereich blieb jedoch unverändert. Diese Ergebnisse bestätigen die Hypothese einer abgeschwächten Sensitivität auf sympathische Vorgänge in Höhe, die auch nach einer Akklimatisationszeit von einem Monat nicht verändert war. Zudem entdeckten die Autoren mehr oder weniger große individuelle Unterschiede in der Strategie der Höhenanpassung, die mittels Spektralanalyse der HRV nachweisbar sind. Eine andere italienische Forschergruppe versuchte u. a. die Frage zu klären, ob einer der HRV-Parameter als Marker für Akklimatisation dienen kann. Beim Vergleich mit akklimatisierten Höhenbewohnern kommen sie zu dem Ergebnis, dass insbesondere ein verbesserter vagaler Tonus und ein aufrecht erhaltener Gefäßtonus mit Akklimatisationsvorgängen einherzugehen scheinen (60). Dass die Aufrechterhaltung des Gefäßtonus in Höhe eine Rolle zu spielen scheint, zeigen auch Untersuchungen mit Gefäßdilatatoren, deren Einnahme sich nicht auf den autonomen Akklimatisationsprozess auswirkte (34).
Auch scheinen gewisse Atemtechniken, die u. a. beim Yoga angewandt werden, Anpassungsvorgänge in Höhe zu begünstigen, indem sie die hypoxiebedingte sympathische Überaktivierung abstumpfen und sogar zu einer tendenziell erhöhten HRV, respektive HF-Power, in Höhe beitragen (61). Obwohl die Beeinflussbarkeit der HRV durch die Atmung aufgrund der physiologischen Hintergründe unbestritten ist (23), werden allgemeingültige Aussagen durch die große interindividuelle Variabilität geprägt und dadurch erschwert (34).
AMS
Von großem Interesse im Zusammenhang mit HRV-Messungen und Akklimatisationsvorgängen in Höhe sind etwaige Vorhersagemöglichkeiten des Auftretens von akuter Höhenkrankheit (AMS). Anfang der 90er Jahre wurden in einer groß angelegten Studie 288 Personen, die einen Aufenthalt in großen Höhen planten, sowohl unter normoxischen als auch unter hypoxischen (11,5 % O2) Bedingungen in Ruhe und während submaximaler Belastung (50 % VO2max) auf die Anfälligkeit von akuter Höhenkrankheit (AMS) untersucht (53). Nach Berechnung der kardialen und ventilatorischen Reaktionen auf Hypoxie mithilfe von Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung und Ventilation war es möglich, die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von AMS zu berechnen und eine Verbindung zwischen autonomen Reaktionen auf submaximale Belastung in Normoxie und der Neigung zu AMS nachzuweisen. Nasenclips und Atemmasken, welche insbesondere Einfluss auf Atemparameter und von der Atmung mitbestimmte HRV-Parameter nehmen, könnten zu einer Verfälschung der Ergebnisse geführt haben. Neben den von Rathat et al. (53) nachgewiesenen Korrelationen autonomer Reaktionen auf körperliche Belastung und AMS konnten auch Korrelationen zwischen Katecholaminlevel bzw. LF/HF-Ratio und dem Auftreten von AMS nachgewiesen werden. Loeppky et al. (62) fand eine signifikante Zunahme von Katecholaminen und LF/HF-Ratio in Hypoxie, die bei Menschen mit AMSSymptomatik viel stärker ausgeprägt war als bei jenen ohne AMS. Zudem scheint eine Ähnlichkeit zwischen den zu AMS und der zur Orthostaseintoleranz führenden pathophysiologischen Mechanismen zu bestehen. Lafranchi et al. (63) untersuchten ebenfalls Unterschiede in der autonomen Regulation bei Probanden mit und ohne AMS. Sie fanden jedoch keinen Hinweis auf unterschiedliche Reaktionen des autonomen Systems, was die Absolutwerte der HRV-Parameter betrifft. Signifikante Unterschiede ergaben sich hingegen bei den Netto-Werten von LF und HF: LFnu war bei Probanden, die eine AMS entwickelten, signifikant niedriger, die HFnu hingegen signifikant
höher, und es ergab sich – anders als bei Loeppky et al. (62) – eine Tendenz zu niedrigeren LF/HF-Ratios bei AMS-Anfälligen. Die Autoren halten eine abnormale Reaktion des kardiovaskulären Systems auf kurzzeitige akute Hypoxie bei an AMS erkrankten Personen für ursächlich. Der direkte Vergleich von Probanden mit AMS und jenen ohne AMS zeigte signifikante Unterschiede im niederfrequenten Spektrum der Herzfrequenz- und Blutdruckvariabilität. Darüber hinaus korrelierte der Schweregrad der AMS-Symptome maßgeblich mit den LF-Bereichen von HRV und Blutdruckvariabilität. Eine Vorhersage der Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von AMS war jedoch, anders als bei Rathat et al. (53), mithilfe von Baselinemessungen der HRV nicht möglich. Lafranchi et al. (63) schreiben der hypoxiebedingten Veränderung autonomer Kontrolle in Richtung sympathischer Prädominanz eine durchaus physiologische und protektive Wirkung zu, die bei AMS abgeschwächt zu sein scheint. Es wird darüber hinaus die Ähnlichkeit zur autonomen Regulation bei Myokardinfarkt diskutiert, bei dem ebenfalls ein Sensitivitätsverlust des Sinusknotens aufgrund exzessiver und lang andauernder sympathischer und neuro-humoraler Aktivität auftritt. Die Uneinigkeit über die Unterschiede der autonomen Kontrolle bei der Entwicklung von AMS ist wohl auf eine unterschiedliche Methodik (tatsächliche versus simulierte Höhe) bei der Datengewinnung zurückzuführen. Zudem gibt es deutliche Differenzen bei der Dauer der Höhenaufenthalte (62, 63). Auch bei Akklimatisationsschwierigkeiten in Höhe kommt es zur Diskussion um die Bedeutung spezieller Atemtechniken. Diese könnten sich im Rahmen der Prävention der akuten Höhenkrankheit vorteilig auswirken, wurden jedoch bislang nicht ausreichend untersucht (61).
Akute Hypoxie impliziert also gewisse Modulationen der autonomen Kontrolle. Wie sich diese Modulationen bei lebenslanger Hypoxie verändern bzw. ob zwischen Bewohnern niedriger Höhenstufen und Hochlandbewohnern Unterschiede hinsichtlich autonomer Aktivität in Höhe bestehen, soll im folgenden Abschnitt geklärt werden. Perini et al. (33) verglichen die HRV-Werte von Sherpas und Kaukasiern zu Beginn und nach einmonatiger Akklimatisation auf 5050 m. Anfangs war die Herzfrequenz der Sherpas im Sitzen signifikant höher als jene der Kaukasier. Zudem zeigten Sherpas eine signifikant niedrigere TP als Kaukasier. Dies lässt auf einen anderen Grad autonomer Nervenaktivität bei Hochlandbewohnern in Höhe schließen. Die Anteile der Spektralkomponenten an der gesamten Power
hingegen unterschieden sich nicht in den beiden Gruppen. Andere Ergebnisse erhalten Passino et al. (60), die Hochlandbewohner mit Bewohnern niederer Höhenstufen nach einwöchiger Akklimatisation auf 4800 m und mit Bewohnern auf Meeresniveau verglichen. In Rückenlage fanden sie signifikant längere RR-Intervalle bei den Hochlandbewohnern im Vergleich zur anderen Höhengruppe nach einwöchiger Höhenexposition. Die Intervalllängen waren mit jenen der Bewohner auf Meeresniveau zu vergleichen. Ähnlich verhält es sich mit einigen Parametern der HRV: Die SDNN und der HF-Bereich bei den Hochlandbewohnern waren signifikant höher als bei der anderen Höhengruppe und ähnlich denen der Gruppe auf Meeresniveau. Sherpas zeigen also unter Hypoxiebedingungen ähnliche autonome Aktivität wie Bewohner niederer Höhenstufen in ihrer gewohnten Umgebung. Diese Ergebnisse zeigen, dass sich Hochlandbewohner also auch hinsichtlich der autonomen kardialen Kontrolle perfekt auf ihre Umgebung anzupassen scheinen. Bernardi et al. (43) finden ebenfalls einen geringeren Shift in Richtung sympathischer Dominanz unter akuten Hypoxiebedingungen bei ehemaligen Hochlandbewohnern im Vergleich zu Bewohnern auf Meeresniveau und schließen auf einen genetischen Hintergrund. Offensichtlich benötigen nichtadaptierte Personen diese vermehrte sympathische Aktivierung, um die Sauerstoffversorgung des Blutes zu gewährleisten. Die Annahme der genetischen Besonderheit von Hochlandbewohnern bezüglich autonomer Kontrolle bestätigt sich beim Vergleich von Neugeborenen auf Meeresniveau und Neugeborenen auf 4330 m (64). Neugeborene Höhenbewohner wiesen im Vergleich zu Neugeborenen auf Meeresniveau signifikant längere RR-Intervalle und eine signifikant größere HF-Power auf. Diese Ergebnisse bergen jedoch aufgrund nichtstationärer Bedingungen, die Untersuchungen bei Neugeborenen implizieren, Fehlerquellen in sich. Bei einer großen Anzahl an Kindern, die in unterschiedlich großen Höhen (1650 m – 2030 m) ansässig waren, wurde ebenfalls mit zunehmender Höhenlage eine höhere Gesamtvariabilität (TP und SDNN) und parasympathische Modulation (HFPower) beobachtet (2). Die Theorie einer bestimmten genetischen Veranlagung bestätigt sich auch bei einer Untersuchung von erwachsenen Tibetern, die sich über mehr als drei Jahre ausschließlich auf Meeresniveau aufhielten und anschließend mit akuter Hypoxie belastet wurden (25). Auf Meeresniveau wurden bei Tibetern im Vergleich zu Han-Bewohnern eine signifikant höhere HRV (gemessen an den Zeitbereichsparametern) und eine signifikant niedrigere Herzfrequenz gemessen. Die Frequenzspektren waren bei beiden Gruppen annähernd gleich verteilt. In Höhe zeigten die Tibeter eine signifikant geringere Zunahme der Herzfrequenz. Auch die HRV-Parameter zeigten keine Änderung durch akute Hypoxie bei Tibetern, nahmen im Vergleich dazu jedoch bei den Han-Bewohnern signifikant
ab. Die Autoren sprechen von einem „autonomen Gedächtnis“. Hinsichtlich autonomer Trainingswirkungen von vorwiegend aerobem Ausdauertraining scheinen sich Hochlandbewohner jedoch nicht von der übrigen Bevölkerung zu unterscheiden. Chronische Hypoxie scheint demnach das Benefit von körperlichem Training auf das autonome Nervensystem nicht zu beeinträchtigen (51).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Beiträge, die sich mit den autonomen Modulationen kardialer Kontrolle unter hypoxischen Bedingungen, gemessen anhand der Herzfrequenzvariabilität, befassen, sehr unterschiedliche, teilweise konträre Ergebnisse liefern. Die Begründung könnte u. a. in einer teilweise stark von einander abweichenden Methodik liegen. Die Richtlinien, welche die TASK FORCE (23) bereits in den 90er Jahren herausgegeben hat, scheinen sich in der Praxis nur teilweise durchzusetzen. So variieren die Frequenzbereiche der unterschiedlichen Spektralkomponenten und die Anzahl der ausgewerteten RR-Intervalle nach wie vor von Studie zu Studie. Bei spektralanalytischen Methoden ist offensichtlich auch die Einbeziehung aller Komponenten (fraktaler und harmonischer) für das Ergebnis von enormer Wichtigkeit (56). Ebenfalls können Untersuchungen, die auf unterschiedlichen Höhenstufen bzw. mit unterschiedlicher Dauer des Höhenaufenthaltes durchgeführt wurden, nur bedingt miteinander verglichen werden. Auch die unterschiedlichen Tests, die beispielsweise die Baroreflexsensitivität in Hypoxie nachweisen sollen, waren in den hier besprochenen Studien nicht einheitlich und die BRS wurde teilweise indirekt abgeschätzt. Bei Studien, die einen kombinierten Effekt von Hypoxie und körperlicher Belastung untersuchen, spielen weitere Faktoren wie Atmung, Belastungsintensität etc. eine große Rolle und bedingen eine noch standardisiertere Vorgehensweise zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Zudem findet sich in fast allen Studien eine beschränkte Fallzahl, welche eine statistische Absicherung der Ergebnisse, nicht zuletzt aufgrund großer intra- und interindividueller Unterschiede, erschwert. Nichtsdestotrotz erfreut sich die HRVMessung nach wie vor großer Beliebtheit, was insbesondere durch neue innovative Methodik der Auswertung bewiesen wird. Dennoch sollte eine größere Konformität von Methodik in Durchführung und Auswertung angestrebt werden. Darüber hinaus muss die enorme Sensitivität der Herzfrequenzvariabilität und ihrer autonomen Kontrolle beachtet werden, die eine bis ins Detail standardisierte Auswertung bedingt und andererseits das Potenial, das in der HRVMessung liegt, ausmacht. So scheint die HRV-Messung, vorausgesetzt sie findet unter standardisierten Bedingungen statt, für Untersuchungen zur Feststellung der autonomen Modulationen in Hypoxie eine gute Methode darzustellen.
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Michael Mück-Weymann, Veronika Leichtfried, Wolfgang Schobersberger, Georg Hoffmann, Sven Greie, Ignaz Reicht, Egon Humpeler
AMAS II (Austrian Moderate Altitude Study II): Auswirkungen eines einwöchigen Aktivurlaubs (1700 m) in mittleren Höhen auf bio-psychologische Parameter
AMAS II (Austrian Moderate Altitude Study II): Consequences of an active vacation at moderate altitude (1700 m) on bio-psychological parameters
SUMMARY
The Austrian Moderate Altitude Study (AMAS) 2000 could demonstrate multiple health effects of a 3 week sojourn at 1700 m in subjects suffering from the metabolic syndrome (e.g., improvements in glucose- and lipid metabolism, reduction of elevated blood pressure). The number of vacationeers visiting moderate altitudes for recreational purposes remaining only a few days is increasing. Daily stress may be compensated by leisure and vacation activities. However, the consequences of a short term sojourn at moderate altitude with focus on stress reduction were not evaluated yet. In contrast to AMAS 2000 volunteers in AMAS II were free of symptoms for the metabolic syndrome. 13 healthy persons participated (7 women, 6 men, mean age 36,5 years). The volunteers remained in a 4* hotel in Oberlech (1700 m) for six nights. The vacation program included regular outdoor activities (e.g., snow shoe hiking) accompanied by an indoor recreational program. Before, during the sojourn at moderate altitude as well as one to two weeks after return several questionnaires for stress, recreation and recuperation were filled out (WHO-5, EBF 24, and short questionnaire for bio-psycho-social health). The data clearly show that during the active vacation at moderate altitude the individual stress decreased followed by an increase in the ability to recover. During the intervention phase tiredness, time pressure, loss of energy, physical symptoms and unsolved conflicts were reduced. Quality of sleep, wellbeing and physical recovery were improved.
Several of these key parameters remained improved until the follow up 2 weeks after return of moderate altitude. Keywords: AMAS, stress, burnout, moderate altitude, hypoxia, hiking holidays.
ZUSAMMENFASSUNG
Im Rahmen des Projekts AMAS 2000 konnte nachgewiesen werden, dass ein individuell gestalteter und gecoachter Wanderurlaub mannigfaltige gesundheitliche Benefits bei Personen mit metabolischem Syndrom zur Folge hat (u.a. Verbesserung des Glukose- und Lipidstoffwechsels, Reduktion des Blutdrucks). Die Zahl der Urlaubsgäste, die in mittleren Höhenlagen auch zur psychischen Regeneration kommen und oftmals nur wenige Tage bleiben, nimmt stetig zu. Diesem im Arbeitsalltag angehäuften „Stress“ wird versucht durch diverse Aktivität in der Freizeit und im Urlaub entgegenzuwirken. Die Frage nach der optimalen Urlaubsgestaltung im Sinne des Stressabbaus bzw. dem optimalen Verhältnis zwischen aktiven und passiven Urlaubsinhalten ist jedoch nicht geklärt. Im Gegensatz zu AMAS 2000 wurden für AMAS II gesunde Teilnehmer mittleren Alters als Probanden herangezogen. Die folgende Arbeit präsentiert erstmals jene Ergebnisse von AMAS II, die speziell auf den psychologischen Bereich fokussieren. 13 gesunde Personen (7 Frauen, 6 Männer) wurden in AMAS II einbezogen (mittleres Alter 36,5 Jahre). Alle Teilnehmer wohnten für 6 Nächte in einem 4*-Wellness-Hotel in Oberlech (1700 m). Das Programm bestand aus einem regelmäßig durchgeführten Aktivprogramm (u. a. Schneeschuhwanderungen), welches von regenerativen Maßnahmen begleitet wurde. Vor, während sowie ein bis zwei Wochen nach dem Höhenurlaub wurden von den Probanden spezielle Fragebögen zur Erfassung von Belastungen, gesundheitlichen Beschwerden und Indikatoren der Regenerationsfähigkeit ausgefüllt (WHO-5, EBF 24, Kurzfragebogen zur bio-psycho-sozialen Gesundheit). Die Resultate spiegeln deutlich wider, dass im Verlauf des Höhenurlaubs die Belastungen subjektiv als geringer erlebt wurden, während zugleich die Erholungsfähigkeit zunahm. Es nahmen im Interventionsverlauf zum Tag 6 hin Übermüdung, Zeitdruck, Energielosigkeit, Unkonzentriertheit, körperliche Beschwerden, ungelöste Konflikte und Erfolglosigkeit ab. Die allgemeine, soziale und körperliche Erholung wurde – ebenso wie Schlafqualität und Wohlbefinden - infolge der Intervention als günstiger eingeschätzt. Es zeigte sich, dass einige der Kernparameter auch noch zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung im gesundheitlichen Sinne günstiger ausfielen als zu den beiden Zeitpunkten vor der Interventionswoche, was für einen gewissen Nachhaltigkeitseffekt durch den aktiven Höhenurlaub spricht. Schlüsselwörter:AMAS, Stress, Burnout, mittlere Höhe, Hypoxie, Wanderurlaub.
EINLEITUNG
In der Bevölkerung gilt durchwegs die Annahme, dass jede Form der Abwesenheit vom Beruf, sei es Urlaub oder Freizeit, erholsam oder sogar gesundheitsfördernd wäre. Diese Vermutung bestätigen viele Studien. Allerdings gibt es seitens der Wissenschaft vermehrt Ansichten, diese Aussagen relativieren zu müssen. Burnout gilt als stressassoziiertes Erschöpfungssyndrom, das auch vielfach zur Untersuchung über die Auswirkungen von Urlaub und Freizeit herangezogen wird. Offensichtlich ist der Urlaubserfolg stark abhängig von der Zufriedenheit des Kunden während des Urlaubs. Personen, die sich mit ihrer Freizeit und mit dem Urlaub zufrieden zeigten, waren im beruflichen Alltag belastungsfähiger (1) und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz nahm dementsprechend zu (2). Depressionen in der arbeitstätigen Bevölkerung sind ein wachsendes Problem, auch für den Arbeitgeber. In einer großen epidemiologischen Studie wurden umgerechnet etwa 17 % aller Arbeitstage in den Betrieben als verlorene Arbeitstage durch depressive Zustände beschrieben (3). Infolgedessen gehen alle erfolgreichen Strategien zur Verminderung der Depression mit einer Senkung der Krankenstandstage innerhalb eines Betriebes einher. Dass tatsächlich auch ein für den Gast gelungener Urlaub einen Genesungsbeitrag leisten kann, wurde bereits untersucht und bestätigt (4). Unter den vielen Gesundheitstouristen finden sich bekanntermaßen viele Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Personen mit chronischen Herzleiden haben ein stark erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt. Urlaub in regelmäßigen Abständen dürfte das Herzinfarktrisiko und das Risiko für den plötzlichen Herztod reduzieren (5). Andererseits gibt es diverse Berichte über das Auftreten von Herz-Kreislauf-Beschwerden einschließlich Herzinfarkt im Urlaub. Kop et al. (6) konnten nachweisen, dass das Risiko, einen Herzinfarkt im Urlaub zu erleiden, innerhalb der ersten 2 Urlaubstage drastisch erhöht ist. Als externer Risikofaktor wird u. a. die lange und stressgeladene Anreise zu den Destinationen genannt.
AMAS (AUSTRIAN MODERATE ALTITUDE STUDY) 2000: EVIDENZBASIERTE FORSCHUNG IM GESUNDHEITSTOURISMUS
„Wandern ist gesund!“ „Die Bergluft ist gesund!“ Mit diesen und ähnlichen Werbeargumenten versucht der alpine Tourismus seit Jahrzehnten mehr oder weniger erfolgreich Gäste zu rekrutieren. Mehrere Millionen Touristen bevölkern jährlich den Alpenraum und erwarten bzw. erhoffen sich optimale Zusatzeffekte durch das Alpenklima. Bis Mitte der 90er Jahre musste man allerdings
bei der Frage, wo es denn die wissenschaftlichen Belege für solche gesundheitstouristischen Aussagen gäbe, mit den Achseln zucken. Forschungen zum Thema „alpiner Gesundheitstourismus“ waren karg, und das bis zu diesem Zeitpunkt vorliegende Wissen wurde nicht in den Tourismus integriert. Bereits in den 70er und 80er Jahren gab es Erkenntnisse, dass ein Wanderurlaub in den Bergen den erhöhten Blutdruck von Hypertonikern über einen Zeitraum von wenigen Wochen verbessern kann (7). Diese Ausgangsstudien nahmen wir (E. H. und W. S.) vor 10 Jahren zum Anlass, mit neuen wissenschaftlichen Methoden und Verfahren eine ähnliche Fragestellung aufzurollen, auszubauen und letztendlich abzuklären.
Bei AMAS 2000 handelt es sich um eine Studie, deren generelles Ziel es war, die gesundheitlichen Aspekte eines Urlaubs in den Bergen zu untersuchen und mit ident verbrachten Urlauben in Tallage zu vergleichen. AMAS steht für „Austrian Moderate Altitude Study“ und die Zahl 2000 dafür, dass vor allem Aufenthalte bis in Höhen von etwa 2000 m untersucht wurden bzw. die Hauptstudie im Jahr 2000 abgeschlossen wurde. Organisiert und durchgeführt wurde AMAS vom IHS-Institut Humpeler-Schobersberger GmbH (www.ihs-research.at). AMAS 2000 wurde an Personen mit metabolischem Syndrom (Kernsymptome: Übergewicht, Störungen im Blutzucker- und Blutfettstoffwechsel sowie Erhöhung des Blutdrucks) durchgeführt. Im Jahre 1998 wurde in Oberlech, 1600 m, das Pilotprojekt gestartet, die AMAS-Hauptstudien wurden in Obertauern, 1700 m, und Bad Tatzmannsdorf, 200 m, durchgeführt. Insgesamt nahmen knapp 100 Probanden teil, die während eines 3-wöchigen Wanderurlaubes gecoacht wurden. Die Wanderungen wurden mit unterschiedlichen regenerativen Einheiten (u. a. Aqua-Training, mentales Entspannungstraining, Wellness-Anwendungen) kombiniert. Diverse Untersuchungen fanden vor, während und nach dem Wanderurlaub statt. Für Detailergebnisse sei auf die Literatur verwiesen (8–12). Die Hauptergebnisse von AMAS 2000 waren folgende: • Signifikanter Rückgang des systolischen Blutdrucks in der Höhe sowie unmittelbar nach Rückkehr • Verminderung der Herzfrequenz in Ruhe über 24 h • Verbesserungen im Fett- und Glukosestoffwechsel • Gewichtsreduktion ohne eigentliche Diät • Anstieg von Erythropoietin und verbesserte Sauerstoffabgabe ans Gewebe • Reduktion des oxidativen Stress • Diverse neuropsychologische Verbesserungen (u. a. Schlafqualität, Lebenseinstellung)
In vielen Bereichen fanden wir auch Verbesserungen bei der Wandergruppe in Bad Tatzmannsdorf, zudem konnten wir ausschließlich höhenspezifische Benefits nachweisen. Inspiriert von den AMAS-2000-Daten haben sich die Protagonisten von AMAS 2000 entschlossen, weitere AMAS-Folgeprojekte zu organisieren und durchzuführen. Bei AMAS 2000 wurden die o.a. Daten für Personen mit metabolischem Syndrom im Rahmen eines 3-wöchigen Wanderurlaubes erhoben. Ähnliche Untersuchungen für kürzere Urlaubsformen sind spärlich. Der Alltag und insbesondere der Arbeitsalltag sind bekanntermaßen mit stressbezogenen Einflüssen verbunden. Diesem im Arbeitsalltag angehäuften „Stress“ wird versucht durch diverse Aktivität in der Freizeit und im Urlaub entgegenzuwirken. Die Frage nach der optimalen Urlaubsgestaltung im Sinne des Stressabbaus bzw. dem optimalen Verhältnis zwischen aktiven und passiven Urlaubsinhalten ist jedoch nicht geklärt. Im Gegensatz zu AMAS wurden für AMAS II als Probanden gesunde Teilnehmer mittleren Alters herangezogen. Die folgende Arbeit präsentiert erstmals jene Ergebnisse von AMAS II, die speziell auf den psychologischen Bereich fokussieren.
MATERIAL UND METHODEN Studienteilnehmer und Design
Die Rekrutierung der Teilnehmer am AMAS-II-Projekt erfolgte über eine Internetausschreibung der Medizinischen Universität Innsbruck und der TILAK GmbH (Tiroler Landeskrankenanstalten). Sämtliche Interessenten wurden standardisiert befragt und vorab selektioniert. Nach einer ausführlichen Laboranalyse (weißes und rotes Blutbild, Retikulozyten, Leber- und Nierenfunktionswerte, Elektrolyte, Gerinnungsstatus incl. PT, aPTT, Fibrinogen, Thrombozyten, C-reaktives Protein) und einer Fahrradergometrie wurden 13 gesunde Personen (7 Frauen, 6 Männer) in das AMAS-Programm aufgenommen. Die anthropometrischen Daten der Probanden waren wie folgt (Mittelwerte ±Standardabweichung): Alter 36,4 ±5 Jahre, Größe 173 ±8 cm, Gewicht 71,3 ±13 kg, Body Mass Index 23,3 ±3. Keiner der Teilnehmer nahm während der Screeninguntersuchung oder des gesamten Untersuchungszeitraums der Studie (Höhenaufenthalt, Vor- und Nachuntersuchungen) Medikamente. Die Studienteilnehmer wurden alle aus Tirol/Österreich rekrutiert und lebten in einer Höhe unter 900 m. Die Probanden waren hinsichtlich sozialem Status und Bildungsniveau vergleichbar. AMAS II wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Universität Innsbruck für unbedenklich erklärt. Alle Teilnehmer unterschrieben eine Einverständniserklärung zur Studienteilnahme.
Untersuchungszeitraum
Sämtliche Untersuchungen wurden im Zeitraum von März bis Mai 2006 durchgeführt. Die Baseline-Analysen vor dem Höhenaufenthalt erfolgten 10–14 Tage vor der Anreise nach Oberlech. Während des Aktivurlaubs wurden täglich diverse Fragebögen von den Probanden ausgefüllt.
Intervention
Der Transport aller Teilnehmer an AMAS II erfolgte per Bus von Innsbruck nach Oberlech (1700 m, Arlberg, Österreich). Die Aufenthaltsdauer in einem renommierten 4*-Hotel (Hotel Burg Vital) betrug 7 Tage bzw. 6 Nächte. Das einwöchige Aktivprogramm beinhaltete 5 Wanderungen mit moderater Intensität sowie eine tägliche Einbeziehung verschiedener Regenerationsmaßnahmen (u.a. Sauna, Dampfbad, Aqua-Training). Das Aktivprogramm wurde durch erfahrene Sportwissenschafter gestaltet und begleitet. Die Wanderungen erfolgten in Kleingruppen (6–7 Personen) gemäß dem individuellen Leistungsprofil. Eine eigentliche Ernährungsrestriktion gab es nicht, die Ernährung war ausgewogen. Zusätzlich erlernten die Teilnehmer ein Herzratenvariabilitäts-Biofeedback als atemorientiertes Entspannungsverfahren (13), welches täglich morgens und abends im Umfang von jeweils drei Minuten mit dem STRESSBALL (Firma Biosign GmbH, Deutschland; www.stressball.de) durchgeführt wurde.
Fragebögen
Zur Analyse psychophysischer Belastungen und Beanspruchungen steht heute ein breites Methodeninventar zur Verfügung. Typischer-Weise werden dabei standardisierte und validierte Fragebögen zur Erfassung von Belastungen, gesundheitlicher Beschwerden und Indikatoren der Regenerationsfähigkeit eingesetzt. In unserer Untersuchung setzten wir den WHO-5-Fragebogen zur Erfassung des Wohlbefindens (14), den Erholungs-Belastungs-Fragebogen (15) sowie einen Kurzfragebogen zur bio-psycho-sozialen Gesundheit (16) ein.
WHO-5-Fragebogen
Mit nur fünf Fragen zum Zeitraum der zurückliegenden zwei Wochen können mittels WHO-Fragebogen zum Wohlbefinden erste Hinweise auf eine etwaige „Stresskrankheit“ oder Depression gewonnen werden (Tabelle 1). Der Fragebogen erfasst Angaben zur subjektiven Lebensqualität in den Bereichen Stimmung, Vitalität und allgemeine Interessen. Beim WHO-5-Fragebogen zählt man Punkte aus, wobei „Die ganze Zeit ….“ mit 5 Punkten belegt wird, „Meistens …“ mit 4 Punkten usw. Die „negativste
Äußerung“ („Zu keinem Zeitpunkt …“) wird mit 0 Punkten gewertet. Bei „vollständigem Wohlbefinden“ kann man 25 Punkte erreichen, im ungünstigsten Fall ergeben sich 0 Punkte. Als ein realistischer „Cut off“ für deutlich reduziertes Wohlbefinden gilt eine Summe kleiner 13 Punkte. Durch Multiplikation der Rohwerte mit dem Faktor vier ergeben sich Prozentwerte zwischen 0 und 100. Der WHO-5- Fragebogen wird häufig als Screeninginstrument in der Primärversorgung eingesetzt und steht in 26 Sprachen zur Verfügung (http://www.who5.org). Zur Verlaufsbeobachtung werden die Prozentwerte genutzt, wobei Unterschiede von mindestens 10 % als signifikante Veränderung angesehen werden können. Wir setzten den WHO-5-Fragebogen jeweils bei der Vor- und Nachuntersuchung ein, um Zweiwochenzeiträume vor und nach der Intervention vergleichen zu können.
Fragen der WHO zum Wohlbefinden 5 4 3 2 1 0
In den letzten zwei Wochen
....war ich froh und guter Laune ....habe ich mich ruhig und entspannt gefühlt ....habe ich mich energetisch und aktiv gefühlt ....habe ich mich bei Aufwachen frisch und ausgeruht gefühlt ....war mein Alltag voller Dinge, die mich interessieren
Die ganze Zeit Meistens Über die Hälfte der Zeit Weniger als die Hälfte der Zeit Ab und zu Zu keinem Tabelle 1: WHO-Fragebogen Zeitpunkt
Erholungs-Belastungs-Fragebogen (EBF)
Der Erholungs-Belastungs-Fragebogen (EBF) ist ein voll standardisiertes Selbstbeurteilungsverfahren (15). Mit dem EBF – wir setzten hier die Kurzform mit 24 Items ein (EBF 24) – lassen sich Belastungen und Beanspruchungszustände sowie Erholungsaktivitäten und Erholungszustände während dreier der Befragung vorausgegangener Tage erfassen. Anhand der 24 Items werden zwölf psychophysiologische Kategorien bestimmt (Tabelle 2). Standardisiert auf Erwachsene erlaubt der EBF eine aktuelle BeanspruchungsErholungs-Bilanz zu erstellen und eignet sich für Zustandsdiagnostik wie auch zur Verlaufs- und Erfolgskontrolle bei klinischen und insbesondere stressmedizinischen Fragestellungen. Der EBF vermag Effekte von Stressbewältigungstrainings und ähnlichen Maßnahmen sensitiv abzubilden und erlaubt Prognosen über Leistung und Gesundheit im Stressprozess. Die Kurzform des EBF
Subtests des Erholungs-Belastungs-Fragebogens Beanspruchungsphänomene Erholungsphänomene Allg. Belastung & Niedergeschlagenheit Erfolg & Leistungsfähigkeit Emotionale Belastung Erholung im sozialen Bereich Soziale Spannungen Körperliche Erholung Konflikte & Erfolglosigkeit Allg. Erholung & Wohlbefinden Übermüdung & Zeitdruck Erholsamer Schlaf Energielosigkeit & Unkonzentriertheit Körperliche Beschwerden
Tabelle 2: Im EBF 24 werden insgesamt sieben Beanspruchungs- und fünf Erholungsphänomene erfasst.
(EBF 24) ist für Probanden in vier bis fünf Minuten zu bearbeiten. Der EBF 24 wurde jeweils bei den Vor- und Nachuntersuchungen sowie am An- und Abreisetag eingesetzt.
Kurzfragebogen zur bio-psycho-sozialen Gesundheit (Mück-Weymann,2004)
Mittels visueller Analogskalen (VAS) lassen sich subjektive Stellungnahmen zu bestimmten Aussagen abmessen. VAS werden beispielsweise in der Schmerzforschung eingesetzt. Typischerweise handelt es sich um 10 cm lange Linien, deren Endpunkte extreme Zustände darstellen (z. B. total schlapp – voll fit). Die subjektive Einschätzung wird durch eine Markierung auf der Linie festgelegt und mit einem Lineal abgemessen. Dabei entspricht ein Millimeter einem Prozent, was einen Bereich von 0 bis 100 % abbildet. Der hier verwendete Kurzfragebogen fragt nach der jeweils aktuellen subjektiven Einschätzung zu den Bereichen allgemeiner Gesundheitszustand, Stressbelastung, sportliche Fitness, Entspannungsfähigkeit, soziale Geborgenheit, Schlafdauer und Schlafqualität. Dieser Fragebogen ist noch nicht im Detail evaluiert, hat sich aber in der Praxis zur Dokumentation von Behandlungserfolgen als hilfreich erwiesen. Wir setzten den Fragebogen täglich ein, um auch kurzfristige Veränderungen dokumentieren zu können.
Statistische Analysen
Für Zeitabhängigkeiten wurde die nichtparametrische Friedman ANOVA herangezogen. Der gepaarte Wilcoxon-Test wurde für die Analyse von einzelnen Zeiteffekten (z. B. Höhe vs. Tal) verwendet. Als Signifikanzniveau wurde ein p-Wert von < 0,05 angenommen. Die Resultate in den Tabellen und Abbildungen sind als Mittelwerte ±Standardabweichung angegeben.
ERGEBNISSE
Eine statistische Auswertung der EBF-24-Daten erfolgte unter drei Gesichtspunkten. 1.Gibt es einen – wie immer auch gearteten – Effekt durch die Anreise? Hierzu wurden die gepaarten Daten der Voruntersuchung mit denen des ersten
Höhentages verglichen. Es zeigte sich, dass die Ergebnisse für beide Zeitpunkte nicht signifikant verschieden waren. 2.Gibt es einen Effekt durch die Intervention „Aktivurlaub in mittlerer Höhe“?
Hierzu wurden die gepaarten Daten der Untersuchungen des ersten und letzten Höhentages verglichen. Es zeigte sich, dass alle Belastungsphänomene signifikant ab- und alle Erholungsphänomene signifikant zunahmen. Die
Ergebnisse für beide Zeitpunkte sind in Tabelle 3 dargestellt.
Tag 1 Tag 6 Belastungsphänomene Allg. Belastung/Niedergeschlagenheit 1,0 (0,6) 0,4 (0,4) Emotionale Belastung 1,4 (0,8) 0,5 (0,5) Soziale Spannungen 1,4 (0,7) 0,4 (0,4) Konflikte/Erfolglosigkeit 2,3 (1,2) 1,2 (0,9) Übermüdung/Zeitdruck 2,3 (1,2) 0,6 (0,6) Energielosigkeit/Unkonzentriertheit 1,5 (0,8) 0,7 (0,3) Körperliche Beschwerden 1,8 (0,4) 1,0 (0,5) Erholungsphänomene Erfolg/Leistungsfähigkeit 3,1 (1,3) 1,7 (0,9) Erholung im sozialen Bereich 2,3 (0,7) 3,5 (1,5) Körperliche Erholung 2,7 (0,8) 4,3 (0,9) Allg. Erholung/Wohlbefinden 3,3 (1,1) 4,3 (1,0) Erholsamer Schlaf 3,7 (0,7) 4,6 (1,0) Tabelle 3: Ergebnisse EBF. Im Vergleich zwischen erstem und sechstem Höhentag verbesserten sich alle Kategorien des EBF 24 signifikant. Belastungsphänomene nahmen um mindestens 50 % ab, die Erholungsphänomene stiegen um mindestens 25 % an.
3.Zeigt die Intervention „Aktivurlaub in mittlerer Höhe“ einen Nachhaltigkeitseffekt? Hierzu wurden die gepaarten Daten von Vor- und Nachuntersuchung verglichen. Hierbei fanden wir hinsichtlich einiger Belastungs- und
Erholungsphänomene tendenzielle Unterschiede. Für die Kategorien „Körperliche Beschwerden“ und „Körperliche Erholung“ fielen diese Unterschiede in einem gesundheitlich positiven Sinne sogar signifikant aus. Die
Ergebnisse beider Kategorien für diese beiden Zeitpunkte sind in Abb. 1 dargestellt.
Körperliche Beschwerden/Körperliche Erholung
5 4,5 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0
VU NU VU NU
Abbildung 1: Änderungen der körperlichen Beschwerden (linke Balken) sowie der körperlichen Erholung vor (VU) und nach (NU) dem Höhenaufenthalt. * p < 0,05 WHO 5
rel. Wohlbefinden (%) 90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
VU NU
Abbildung 2: Änderung des subjektiven Wohlbefindens der Zeitpunkte Vor (VU)versus Nachuntersuchung (NU) im Vergleich. * p < 0,05
100
90
80 Stressbelastung *
70
60
50
40
F2H2 F2H3 F2H4 F2H5 F2H6
Abbildung 3: Auswertung der Frage 2 des Kurzfragebogens zur bio-psychosozialen Gesundheit: „Sind Sie großen Stressbelastungen ausgesetzt?“ (je höher der angegebene Wert, desto geringer der subjektive Stresszustand). Im Verlauf der Intervention kommt es zu einem signifikanten Anstieg (H2 = Tag 2, erste Morgenbefragung, H6 = Tag 6, fünfte und letzte Morgenbefragung).* p < 0,05; H3–H6 vs. H2
Die Auswertung des WHO-5-Fragebogens ergab folgendes Resultat: Das prozentuelle Wohlbefinden (0 % = Minimum, 100 % = Maximum) betrug in der Voruntersuchung 53,5 %. In der Nachuntersuchung kam es mit einer Angabe von 69,7 % zu einer signifikanten Verbesserung des Wohlbefindens (p = 0,009; Abb. 2).
Die statistische Analyse des Kurzfragebogens zur bio-psycho-sozialen Gesundheit zeigte in mehreren Bereichen Änderungen an. Die Auswertung von Frage 1 („Wie beurteilen Sie Ihren allgemeinen Gesundheitszustand?“) ergab eine tendenzielle Verbesserung über den gesamten Zeitraum des Höhenaufenthalts (ANOVA p = 0,086). Für die Frage 2 („Sind Sie großen Stressbelastungen ausgesetzt?“) fanden wir infolge des Höhenurlaubs eine signifikante Stressreduktion (Abb. 3). Frage 3 („Sind Sie sportlich fit?“) zeigte einen Trend zur Verbesserung während des Höhenaufenthalts (ANOVA p = 0,083). Wie aus Abb. 4 ersichtlich ist (Frage 4: „Konnten Sie sich immer wieder einmal entspannen?“)
100
95
90
85
80
75
70
65
60 Entspannungsfähigkeit
F4H2 F4H3 F4H4 F4H5 F4H6
Abbildung 4: Auswertung der Frage 4 des Kurzfragebogens zur bio-psychosozialen Gesundheit: „Konnten Sie sich immer wieder einmal entspannen?“ –Im Verlauf der Intervention kommt es zu einer signifikanten Verbesserung der Entspannungsfähigkeit (H2 = Tag 2, erste Morgenbefragung, H6 = Tag 6, fünfte und letzte Morgenbefragung).* p < 0,05; H3–H6 vs. H2
konnte zudem während des Urlaubs die Entspannungsfähigkeit der Teilnehmer deutlich verbessert werden. Bei der Frage hinsichtlich des sozialen Umfelds (Frage 5: „Fühlen Sie sich in Ihrem sozialen Umfeld, bei Lebenspartnern, Freunden etc., gut aufgehoben?“) war ebenfalls eine signifikante Änderung festzustellen (Abb. 5). Weiters wurden in diesem Fragebogen die Schlafqualität und die Schlafdauer nachgefragt. Während die Analyse der Schlafqualität keine statistisch signifikante Änderung ergab, fanden wir eine signifikante Verlängerung der Schlafdauer bis zu 30 min v. a. in der zweiten und dritten Nacht in Höhe.
DISKUSSION
Der aktive Urlaubsaufenthalt in der Höhe wurde von allen Studienteilnehmern äußerst positiv bewertet. Im Mittel nahm das subjektive Wohlbefinden signifikant zu und die Probanden erlebten sich infolge der Höhenwoche als deutlich
entspannter und zugleich vitaler als vor dem Höhenurlaub. Teilweise konnten Probanden verschiedene gesundheitlich positive Effekte auch in den Alltag mitnehmen. Mit nur fünf Fragen zur subjektiven Lebensqualität in den Bereichen Stimmung, Vitalität und allgemeine Interessen während zweier zurückliegender Wochen gilt der WHO-Fragebogen zum Wohlbefinden als psychiatrisches Screeninginstrument mit hoher Sensitivität und hoher negativer Prädiktivität (17). Insbesondere lassen sich mit diesem kurzen Fragebogen erste Hinweise auf eine „Stresskrankheit“ oder Depression gewinnen. Als realistischer „Cut off“ für ein deutlich reduziertes Wohlbefinden gilt eine Summe unter 13 Punkten, was einem Grenzwert von 52 % entspricht. Mit einem Ausgangsniveau zu Studienbeginn von 53,6 % lagen unsere Probanden also nahe dem „Cut-off“-Wert für oft schon klinisch depressive Patienten, was als Hinweis auf den hohen Belastungsgrad der Gruppe gewertet werden kann. Zur Verlaufsbeobachtung werden beim WHO-5-Fragebogen in der Regel Prozentwerte genutzt, wobei Unterschiede von mindestens 10 % als signifikante Veränderung angesehen werden. Eine mitt-
100
Soziales Umfeld 95
*
90
85
80
75
F5H2 F5H3 F5H4 F5H5 F5H6
Abbildung 5: Auswertung der Frage 5 des Kurzfragebogens zur bio-psychosozialen Gesundheit: „Fühlen Sie sich in Ihrem sozialen Umfeld gut aufgehoben?“ – Im Verlauf der Intervention kommt es zu einem signifikanten Anstieg v. a. am dritten und vierten Höhentag (H2 = Tag 2, erste Morgenbefragung, H6 = Tag 6, fünfte und letzte Morgenbefragung). * p < 0,05, H3–H6 vs. H2
lere Zunahme in unserer Gruppe um 16,2 % durch eine nur sechstägige Intervention kann somit als ausgezeichneter Effekt angesehen werden. Da der Fragebogen jeweils bei der Vor- und Nachuntersuchung eingesetzt wurde – es wurden Zweiwochenzeiträume vor und nach der Intervention und im Abstand von drei bis vier Wochen verglichen –, spricht der Anstieg auch für einen gewissen Nachhaltigkeitseffekt der Intervention „Aktivurlaub in mittlerer Höhe“. Dies wird unterstützt durch die Tatsache, dass im Erholungs-Belastungs-Fragebogen beim Vergleich der gepaarten Daten der Vor- und der Nachuntersuchung zumindest tendenzielle Unterschiede auftraten. Für die Kategorien „Körperliche Beschwerden“ und „Körperliche Erholung“ fielen die Unterschiede in einem gesundheitlich positiven Sinn sogar signifikant aus, was mit einem überdauernden Erholungseffekt oder aber dem Anstoßen eines fortdauernden regenerativen Prozesses erklärt werden könnte (Abb. 1). Der Vergleich der gepaarten Daten des Erholungs-Belastungs-Fragebogens vom ersten und letzten Höhentag ergab, dass alle Belastungsphänomene signifikant ab- sowie die Erholungsphänomene signifikant zunahmen. Lediglich die Kategorie „Erfolg/Leistungsfähigkeit“ fällt bei den Erholungsphänomenen aus der Reihe. Hier kommt es zu einer signifikanten „Einbuße“, die sich aber mit einer veränderten Leistungserwartung erklären lässt: Im Erholungsurlaub legt man –im Gegensatz zum Arbeitsalltag – wohl kein so großes Gewicht auf „Erfolg“. Da die Fragen jeweils für einen Dreitageszeitraum gestellt wurden, sprechen diese Befunde für einen unmittelbaren und aktuellen Effekt der Intervention „Aktivurlaub in mittlerer Höhe“. Dieser kurzfristige Effekt ist besonders deutlich ausgeprägt: Belastungsphänomene nahmen um mindestens 50 % ab, Erholungsphänomene stiegen um mindestens 25 % an. Im Kurzfragebogen zur bio-psycho-sozialen Gesundheit bildete sich ein – in den meisten Fragen signifikanter – positiver Effekt der Intervention ab. Hinsichtlich des „allgemeinen Gesundheitszustands“, „körperlicher Fitness“ und „Schlafqualität“ ergaben sich über den gesamten Zeitraum des Höhenaufenthalts lediglich tendenzielle Verbesserungen. Die Effekte bezüglich Stressbelastung, Erholungsfähigkeit, Geborgenheit in sozialem Kontext und Schlafdauer fielen statistisch signifikant aus. Dieser Fragebogen wurde bisher lediglich zur Beurteilung von Therapieverläufen benutzt, sodass hierzu keine verlässlichen Referenzen vorliegen. Ziel war es lediglich, dieses leicht und schnell vom Patienten bzw. Probanden zu bearbeitende Instrument als Dokumentationshilfe für mögliche tägliche Änderungen zu nutzen. Mit Hilfe dieser Dokumentation konnte gezeigt werden, dass offensichtlich um den dritten Urlaubstag regenerative Prozesse „anspringen“ und sich das subjektive Wohlbefinden signifikant verbessert.
Der Versuch, unsere bio-psychologischen Daten von AMAS II mit anderen Urlaubsstudien zu vergleichen, gestaltet sich problematisch. Nur wenige Projekte hatten bislang den Einfluss eines Gesundheitsurlaubs auf Befindlichkeitsparameter untersucht und der methodische Ansatz der Befragung von Urlaubern war sehr heterogen. In einer Wiener Studie wurden die Auswirkungen eines Urlaubs auf das individuelle „Wellbeing“ von Angestellten einer österreichischen Firma untersucht. Generell hatte Urlaub bei den Probanden positive Einflüsse auf das Wohlbefinden und körperliche Beschwerden. Strauss-Blasche et al. (19) analysierten Urlaubsfaktoren, die einen Einfluss auf das gesundheitliche Outcome des Urlaubsgastes hatten. Knapp 200 Angestellte wurden eine Woche nach dem Urlaub befragt, wobei der Fokus der Fragebögen auf Urlaubsgestaltung, soziales Verhalten, Stress im Urlaub und Erholung im Urlaub gelegt wurde. Prädiktive Einflussfaktoren auf den Erholungseffekt waren v. a. körperliche Aktivität, guter Schlaf sowie neue Bekanntschaften. Urlaubsbedingte Gesundheitsprobleme hatten gegenteilige Auswirkungen. Bereits im Jahr 1998 war bei AMAS 2000 ein Schwerpunkt der Befindlichkeit und kognitiven Leistung der Probanden mit metabolischem Syndrom gewidmet. Zur Evaluation des Verlaufs kamen die Befindlichkeitsskala von Zerssen sowie der Berner Fragebogen vor, mehrmals während des 3-wöchigen Höhenurlaubs sowie eine Woche und 6 Wochen nach Rückkehr zur Anwendung. Die Befindlichkeitsskala ergab eine kontinuierliche Besserung mit einem unklaren negativen Peak bei der Höhenuntersuchung am Tag 10 sowie eine kontinuierliche, lang anhaltende Abnahme der negativen Befindlichkeit und eine Zunahme der Zufriedenheit und der positiven Lebenseinstellung. Die körperlichen Beschwerden waren während des Untersuchungszeitraums deutlich rückläufig (20). Diese Ergebnisse der Pilotstudie wurden anlässlich der AMAS-2000-Hauptstudie bestätigt (10): Während des Wanderurlaubs konnten an beiden Urlaubsdestinationen (Obertauern, 1700 m, und Bad Tatzmannsdorf, 200 m) signifikante Verbesserungen der Fitness, der Entspannungsfähigkeit, der positiven Stimmung (mit einer Reduktion der negativen Stimmung) sowie der sozialen Aktivitäten nachgewiesen werden. Ein Aktivurlaub dürfte demnach einen subjektiv empfundenen gesundheitsfördernden Effekt haben. Allerdings traten in der AMAS-2000-Hauptstudie diese positiven Effekte bei den Teilnehmern mit metabolischem Syndrom erst nach einer Urlaubswoche auf. Die Ergebnisse von AMAS II sind deshalb bemerkenswert, zumal diverse bio-psychologische Verbesserungen bereits um die Tage 3 oder 4 des einwöchigen Aktivurlaubs in 1700 m nachweisbar waren. Möglicherweise spielen präexistierende Erkrankungen sowie die psychische Ausgangslage beim gesundheitlichen Outcome eines Höhenurlaubs eine entscheidende Rolle. Dies gilt es in weiteren Urlaubsstudien zu analysieren.
DANKSAGUNG
Das AMAS-II-Team bedankt sich für die Unterstützung bei Lech-Zürs-Tourismus, bei der Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH (TILAK) sowie bei allen Probanden für die vorbildliche Kooperation.
LITERATUR
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Riedmann, G., Waanders, R., Fries, D., Mittermayr, M., Marktl, W., Humpeler, E.: Vacation at moderate and low altitude improves perceived health in individuals with metabolic syndrome. J. Travel Medicine 11(5), 300–304 (2004)
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Hans D. Theiss, Wolfgang Schobersberger, Egon Humpeler, Wolfgang M. Franz
Die endogene Stammzellzirkulation als neuer Aspekt der Höhenmedizin – aktuelle Ergebnisse der AMAS-II-Studie
The endogenous stem cell circulation as a new aspect in alpine medicine – recent data from the AMAS II study
SUMMARY
Progenitor or stem cells circulate in the human body. When tissue gets ischemic, they are released from bone marrow and travel via peripheral blood to the organ of destination (e.g. heart). They are incorporated during the so called homing process into the organ and contribute by paracrine mechanisms to neoangiogenesis and improvement of function. The number of circulating progenitor cells is inversely correlated to cardiovascular risk. Thus, new strategies aim at improving circulation of stem cells. The AMAS-II-study intended to analyze whether hypoxic conditions of moderate altitude are sufficient to increase the number of circulating stem cells. 11 healthy individuals spent one week at moderate altitude (Lech, Austria, 1700 m). Blood draws were performed before and at the end of the sojourn: Numbers of progenitor cells (assessed by FACS) increased significantly after the sojourn in peripheral blood. However, cytokines like SDF-1 and VEGF (analyzed by ELISA), who are known to stimulate bone marrow, were not increased. Oxygen saturation decreased significantly from 97 % to 95 %. Individual physical activity was evaluated via armband (HealthWear Bodymedia, Pittsburgh, USA) and did not correlate with numbers of stem cells. Future trials will demonstrate whether increase of stem cell circulation is due to moderate altitude alone and which patients are highly responsive for hypoxic stimulation. In future, high altitude medicine may represent an attractive area for regenerative medicine and could open the door to new therapeutic strategies. Keywords: Progenitor cells, stem cells, circulation, hypoxia, moderate altitude.
ZUSAMMENFASSUNG
Im menschlichen Körper zirkulieren Progenitor- bzw. Stammzellen. Sie werden bei Gewebsischämie aus dem Knochenmark freigesetzt und gelangen über
die Blutbahn zum Zielorgan (z. B. Herz). Dort werden sie über den so genannten Homingprozess aufgenommen und tragen über parakrine Mechanismen zur Neoangiogenese und Funktionsverbesserung bei. Die Zahl der zirkulierenden Progenitorzellen ist umgekehrt proportional zum kardiovaskulären Risiko. Ziel ist es daher, die Stammzellzirkulation zu verbessern. In der AMAS-II-Studie sollte untersucht werden, ob die hypoxischen Bedingungen der mittleren Höhe ausreichend sind, um die Zahl der zirkulierenden Stammzellen zu erhöhen. 11 gesunde Probanden verbrachten eine Woche auf mittlerer Höhe (Lech, 1700 m). Vor und am Ende des Aufenthaltes erfolgten Blutentnahmen: Die Zahl der Progenitorzellen (gemessen mittels Durchflusszytometrie) im peripheren Blut stieg nach dem Aufenthalt signifikant an. Zytokine wie SDF-1 oder VEGF, die das Knochenmark stimulieren können, waren jedoch nicht erhöht (gemessen mittels ELISA). Die Sauerstoffsättigung sank signifikant von 97 % auf 95 %. Die individuelle körperliche Belastung wurde mittels eines Armbands (Health Wear Bodymedia, Pittsburgh, USA) evaluiert und korrelierte nicht mit der Zahl der Stammzellen. Folgeuntersuchungen sollen zeigen, ob die vermehrte Stammzellzirkulation allein durch einen Höhenaufenthalt bewirkt werden kann und welche Krankheitskollektive auf die hypoxische Stimulation am besten ansprechen. In Zukunft könnte die Höhenmedizin zum wissenschaftlichen Werkzeug der regenerativen Medizin werden und möglicherweise die Tür zu neuen therapeutischen Wegen öffnen. Schlüsselwörter: Progenitorzellen, Stammzellen, Zirkulation, Hypoxie, mittlere Höhe.
EINLEITUNG
Die kardiovaskulären Grunderkrankungen führen nach wie vor die Liste der häufigsten Todesursachen in den westlichen Industrienationen an (1). Medikamentöse Entwicklungen wie die Gabe von Statinen oder ACE-Hemmern und der Einsatz von Herzkathetern oder die Durchführung von Bypass-Operationen konnten die ärztliche Versorgung der Herzpatienten in den letzten Jahrzehnten zwar deutlich verbessern – dennoch entwickeln viele Patienten eine terminale Herzinsuffizienz. Einzige kausale Therapie ist hier die Herztransplantation, allerdings stehen bei weitem nicht genug Spenderorgane zur Verfügung. Daher ist es außerordentlich wichtig, neue Therapiefelder wie die Stammzelltherapie zur erschließen. Inwieweit Stammzelltherapie und Höhenmedizin in Zukunft eine Schnittmenge bilden könnten, soll im Folgenden u. a. anhand der AMASII-Studie, die auf der endogenen Mobilisation von Stammzellen ins periphere Blut basiert, demonstriert werden.
ENDOGENE STAMMZELLMOBILISATION
Im menschlichen Körper zirkulieren so genannte adulte hämatopoietische Progenitor- oder Stammzellen (2): Diese sind Zellen in einer frühen Entwicklungsstufe und sind noch nicht terminal differenziert. Das bedeutet, dass sie sich z. B. in Endothelzellen, aber auch in Blutzellen wie Leukozyten entwickeln können. Die Progenitorzellen residieren im Knochenmark und werden durch verschiedene Stimuli bzw. Zytokine (z. B. SDF-1 = stromal cell derived factor, VEGF = vascular endothelial growth factor, G-CSF = granulocyte colony stimulating factor) in die Blutbahn freigesetzt (siehe Abbildung 1A) (3, 4). So
Abbildung 1A: Bei Ischämie bzw. Hypoxie im Gewebe werden Mediatoren (Zytokine wie SDF-1, VEGF etc.) freigesetzt, die das Knochenmark stimulieren können. Von dort werden Stammzellen ins periphere Blut ausgeschüttet. Diese gelangen über den Blutweg zum Zielorgan (z. B. Herz) und werden dort über den so genannten Homingprozess inkorporiert. Im Organ können sie über parakrine Mechanismen zu Neoangiogenese und einer verbesserten Organfunktion beitragen.
gelangen sie zu verschiedenen Organen. Dort können die Progenitorzellen über den sog. Homingprozess aufgenommen werden: Hierbei interagiert der Homingrezeptor CXCR-4, der auf den Progenitorzellen exprimiert wird, mit dem myokardialen Homingfaktor SDF-1 (5). Im Herz tragen sie dann zu einer verbesserten Neoangiogenese und einer verminderten Apoptoserate bei (2), indem sie im Sinne eines parakrinen Mechanismus wichtige Zytokine freisetzen, die wiederum ortständige Zellen stimulieren können. Dieses Homing mit den gewebeprotektiven Effekten ist am Herzen mit am besten untersucht: Die Zahl der zirkulierenden Progenitorzellen korreliert negativ mit der kardiovaskulären Ereignisrate (6). Daher konzentriert sich eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten darauf, die Einflussfaktoren auf die Stammzellzirkulation besser zu verstehen, um diese für therapeutische Zwecke nutzen zu können: Je mehr kardiovaskuläre Risikofaktoren vorliegen (7) und je höher das Alter ist, desto niedriger ist die Zahl der zirkulierenden Stammzellen. Allerdings können Medikamente wie G-CSF (8, 9) oder auch Statine (10) zu einer verstärkten Freisetzung von Progenitorzellen ins periphere Blut führen. Außerdem untersuchten verschiedene Studien den Effekt von körperlicher Aktivität auf die Stammzellzirkulation. Interessanterweise wurde in fast allen Arbeiten nach sportlicher Betätigung nur bei Patienten mit ischämischen Grunderkrankungen (z. B. koronare Herzerkrankung oder periphere arterielle Verschlusskrankheit) eine Ausschüttung von Stammzellen ins periphere Blut beobachtet (11–14). Dies dürfte vermutlich daran liegen, dass bei relevanter Ischämie mit konsekutiver Hypoxie im Gewebe Zytokine wie VEGF oder SDF-1 in die Blutbahn freigesetzt werden, die wiederum das Knochenmark stimulieren und zu einer vermehrten Zirkulation von Stammzellen führen. Deshalb stellte sich für uns die Frage, ob eine höhenbedingte Hypoxie als Stimulus ausreicht, um die Zirkulation von Progenitorzellen zu stimulieren.
AMAS-II-STUDIE
In der „Austrian Moderate Altitude Study II (AMAS-II)“ wurden freiwillige Probanden (n = 11) untersucht, die einen einwöchigen Aufenthalt auf mittlerer Höhe (1700 m, Lech) verbringen sollten (15). Die Probanden hatten keine relevanten Vorerkrankungen und nahmen zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Medikation ein (siehe Abbildung 1B). Die Probanden absolvierten mehrere Bergtouren. Der tägliche Energieumsatz (ausgedrückt in „METs“ = metabolische Energieäquivalente), das Ausmaß der körperlichen Aktivität und die Schrittzahl waren hierbei individuell unterschiedlich. Die Ernährung war ausgewogen ohne spezielle Restriktion und Flüssigkeitsaufnahme war ad libitum
Abbildung 1B: Studienpopulation der AMAS-II-Studie: Die gesunden Probanden weisen normale BMI-, arterielle Blutdruck-, Cholesterin- und Blutglukosewerte auf.
zugelassen. Während des Höhenaufenthaltes wurde über die gesamte Zeit die körperliche Aktivität über ein Armband (HealthWear Bodymedia, Pittsburgh, USA) erfasst. Zudem erfolgten 10–14 Tage vor (auf 500 m Höhe) und am Ende des Höhenaufenthalts Blutentnahmen und die Messung der Sauerstoffsättigung. Unsere Hypothese war, dass die höhenbedingte Hypoxie die Stammzellzirkulation fördert. Zunächst bestimmten wir die Zahl der Progenitorzellen im peripheren Blut vor dem Höhenaufenthalt („Basis“) und am Ende des Aufenthaltes („post Höhe“; siehe Abbildung 2A). Hierbei wurden verschiedene Zellpopulationen analysiert, die sich durch ihre Oberflächenrezeptoren unterscheiden: CD34 und CD133 kennzeichnen hämatopoietische Stammzellen in verschiedenen Entwicklungsstadien. CXCR-4 ist der Homingrezeptor und CD31 ein endothelialer Marker. Die Zellpopulationen wurden mittels Durchflusszytometrie (FACS = Fluorescence activated cell sorting) bestimmt. Die CD34+CXCR-4+ Zellen waren nach dem Höhenaufenthalt signifikant um den Faktor 1,5 erhöht, die beiden anderen Populationen im Trend vermehrt. Im nächsten Schritt stellte sich die Frage, welche Faktoren für die gesteigerte Stammzellzirkulation verantwortlich sein könnten: Verschieden Zytokine wie SDF-1 , VEGF und Erythropoietin, die das Knochenmark stimulieren können, waren nach dem Höhenaufenthalt nicht erhöht. Außerdem korrelierte das Aus-
Abbildung 2A: Die CD34+CXCR-4+-Stammzellen (quantifiziert mittels Durchflusszytometrie) sind im peripheren Blut nach dem Höhenaufenthalt signifikant erhöht, die CD34+CD133+- und CD34+CD31+-Zellen nehmen im Trend zu.
Abbildung 2B: Die zirkulierenden Progenitorzellen korrelieren weder mit der individuellen körperlichen Aktivität (gemessen mittels Armband) noch mit der Schrittzahl.
maß der körperlichen Aktivität (gemessen in der Anzahl der Schritte und METs pro Tag) nicht mit der Zahl der zirkulierenden Progenitorzellen (siehe Abbildung 2B). Es konnte allerdings klar validiert werden, dass die Probanden einer relevanten Hypoxie ausgesetzt waren: Die Sauerstoffsättigung war signifikant von initial 97 % auf 95 % am Ende des Höhenaufenthaltes gesunken, während die Zahl der Retikulozyten von 0,80 % auf 1,15 % gestiegen war. In der AMAS-II-Studie konnte somit zum ersten Mal gezeigt werden, dass durch einen einwöchigen Aufenthalt auf mittlerer Höhe die Zahl der zirkulierenden Progenitorzellen signifikant gesteigert wird. Überraschenderweise blieben die Zytokine im peripheren Blut unverändert. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Mobilisation über einen noch unbekannten Mechanismus abläuft. Außerdem könnte es Personengruppen geben, die auf den Höhenstimulus nicht reagieren (wie bei Erythropoietin beim metabolischen Syndrom beschrieben) (16, 17) – eine Subgruppenanalyse erschien jedoch wegen der geringen Fallzahl nicht sinnvoll. Die Tatsache, dass die Zahl der zirkulierenden Progenitorzellen nicht mit dem Ausmaß der körperlichen Aktivität korrelierte, passt zu anderen Veröffentlichungen, die demonstrierten, dass Sport ohne ischämische Grunderkrankungen zu keiner Freisetzung von Stammzellen aus dem Knochenmark führt (11–14). Hier stellt sich natürlich die Frage, ob allein höhenbedingte Hypoxie ohne körperliche Belastung ausreichen könnte, um eine endogene Stammzellausschüttung zu provozieren. Hierfür müsste in einer nächsten Untersuchungsreihe parallel eine Kontrollgruppe analysiert werden, die sich auf mittlerer Höhe aufhält, ohne sich einer relevanten körperlichen Belastung auszusetzen. Es wäre jedoch auch denkbar, dass die arterielle Hypoxämie während der körperlichen Belastung, die in unserem Studiendesign nicht miterfasst werden konnte, der essentielle Stimulus für die Mobilisation der Progenitorzellen sein könnte. Schließlich ist bekannt, dass sowohl trainierte als auch untrainierte Personen unter Belastung eine deutlich verminderte arterielle Sauerstoffsättigung aufweisen (18, 19). Hierfür sollte in zukünftigen Untersuchungen auch während der Belastung die Minderung der Sauerstoffsättigung ermittelt werden, um dieser Frage ausführlicher auf den Grund gehen zu können. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt hinsichtlich der Stammzellmobilisation ist das myokardiale Homing: Steigt nach einem Aufenthalt auf mittlerer Höhe neben der erhöhten Zirkulation der Progenitorzellen auch die myokardiale Homingkapazität? Es ist bekannt, dass die Faktoren, die die Homingkapazität regulieren (z. B. HIF-1 = Hypoxia inducible factor), unter Gewebshypoxie vermehrt exprimiert werden und so die Aufnahme von Progenitorzellen ins Zielgewebe deutlich verbessert wird. Dieser Frage könnte in zukünftigen Tierexperimenten nachgegangen werden.
Zudem wäre es interessant zu wissen, wie lange der Effekt der vermehrten Stammzellzirkulation nach dem Höhenaufenthalt anhält. Mutmaßlich sinken die Stammzellen im weiteren Verlauf nach der Rückkehr auf die Ausgangshöhe von 500 m wieder ab. Außerdem könnte ein längerer Höhenaufenthalt bei Patienten mit ischämischen Erkrankungen oder metabolischem Syndrom (20–22) zu einer entsprechend prolongierten Erhöhung der Stammzellzirkulation führen. Dies könnte zu einer verbesserten Neovaskularisation des Gewebes führen und somit die Symptome oder sogar die Prognose der ischämischen Grunderkrankung verbessern.
AUSBLICK
Hinsichtlich der endogenen Stammzellmobilisation sind noch viele Fragen offen: Wie funktioniert das Homing im Detail? Welche Faktoren lassen sich am leichtesten medikamentös oder durch andere Methoden wie Hypoxie beeinflussen? Der therapeutische Reiz der endogenen Stammzellmobilisation liegt darin, dass sie therapeutisch ohne größere operative Eingriffe nutzbar erscheint. Es muss jedoch in der Zukunft geklärt werden, welche Zellpopulationen am effektivsten sind und wie sie sich am besten an den Zielort lotsen lassen. Die Höhenmedizin bietet hier einen reizvollen und möglicherweise zukunftsträchtigen Aspekt, da sie über die höhenbedingte Hypoxie ein wichtiges wissenschaftliches Werkzeug der regenerativen Medizin darstellt und die Tür zu neuen therapeutischen Wegen öffnen könnte.
DANKSAGUNG
Wir danken Frau Dr. M. Adam (Institut für Klinische Chemie, Klinikum der Universität München) für die Durchführung der FACS-Analyse und Frau J. Arcifa (BTA) für die exzellente technische Unterstützung. Das AMAS-II-Projekt wurde sowohl vom Ort Lech, Arlberg, Österreich als auch von der Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH (TILAK), Innsbruck, Österreich unterstützt.
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