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E. Humpeler Benötigt der alpine bzw. generell der Gesundheitstourismus Grundlagenforschung?

Egon Humpeler

Benötigt der alpine bzw. generell der Gesundheitstourismus Grundlagenforschung?

Is Basic Medical Research Necessary for Alpine Health Tourism ?

SUMMARY

Before answering the question of the necessity of research in health tourism, a precise definition of health tourism is inevitable. Health tourism is a form of tourism that promises the guests an impact on their health when using specific tourism offers along with its climatic or geographic characteristics (such as mountain, sea, spas etc.). However, in medical tourism the tourist is brought into another country to obtain medical – therapeutical care. The criteria of quality for health care in medical tourism is provided by Evidence Based Medicine (EBM), tourism orients itself on the tourism guidelines, and the F.A.C.D. guidelines provide a basis for health tourism. F stands for fact by research (health effects have to be proved by medical research), A for actualisation and update of research as well as in education and training programs, C for cooperation with competent partners (coaches, hotels etc.), and D for documentation and data bank in order to offer transparency for the guests. One vacation product that follows those F.A.C.D. guidelines above is the Welltain® (www.welltain.at) vacation. It is for those guidelines and criterias of quality in health tourism only that a serious health vacation program can be offered rather than just being used as a marketing gag. Therefore, a definite YES can be the only answer to the necessity of current medical studies in the field of health tourism. Keywords: health tourism, medical tourism, evidence based medicine EBM, F.A.C.D. criteria, Welltain® Leisure

ZUSAMMENFASSUNG

Vor der Beantwortung der Frage, ob im alpinen Gesundheitstourismus medizinische Forschung notwendig ist, muss der Begriff Gesundheitstourismus klar definiert werden. Gesundheitstourismus ist eine Tourismusform, wo dem Menschen über ein touristisches Angebot meist unter Ausnützung besonderer klimatischer Gegebenheiten (Berg, Meer etc.) oder geografischer Besonderheit (Therme etc.) Gesundheitseffekte versprochen werden. Dies hat nichts mit Medizintourismus zu tun, wo der Tourismus dazu dient, den Menschen in ein anderes Land zu einer medizinischen – therapeutischen Maßnahme zu bringen. Die Qualitätskriterien sind für die rein medizinischen Maßnahmen die Evidence Based Medicine (EBM), für den Tourismus touristische Guidelines und für den Gesundheitstourismus die F.A.C.D. Kriterien, wo medizinische Forschung (F.) und Aktualisierung der Forschung sowie Ausbildung (A.) und Cooperation (C.) mit kompetenten Partnern und Dokumentation und Datenbank (D.) die entscheidende Rolle spielen. Ein Urlaubsprodukt nach diesen Kriterien ist z. B.: Welltain® (www.welltain.at). Nur durch diese Qualitätskriterien ist im Gesundheitstourismus gewährleistet, dass das Gesundheitsversprechen des Tourismus nicht einfach zu einem Marketinggag verkommt. Deshalb ein klares Ja zur Notwendigkeit laufender medizinischer Studien im Bereich Gesundheitstourismus. Schlüsselwörter: Gesundheitstourismus, Medizintourismus, Evidence Based Medicine EBM, F.A.C.D. Kriterien, Welltain®

Ohne vorher nicht Gesundheitstourismus zu definieren, ist die Beantwortung der im Thema gestellten Frage nicht möglich.

Was ist mit Gesundheitstourismus eigentlich gemeint ?

„Googelt“ man unter Gesundheitstourismus, so werden nahezu 90.000 Ergebnisse mit sehr unterschiedlichen Begriffserklärungen gefunden. Es sollen hier zwei Formen dieses Tourismus klar getrennt werden: Der Medizintourismus vom Gesundheitstourismus. Medizintourismus bedeutet in der Regel entweder seinen Urlaub mit einer oft preiswerten medizinischen Behandlung zu kombinieren oder aber auch ohne Urlaubsabsichten irgendwo hin zu fahren, um sich behandeln zu lassen. Medizintourismus bedeutet letztlich mit dem Flieger zum Arzt. Man fährt nach Ungarn zum Zahnarzt, ins Ausland zu einer Schönheitsoperation, oder lässt sich eine neue Hüfte oder eine neue Herzklappe implantieren. (z. B.: www.urlaub-im-web.de/gesundheitstourismus). Angeblich lassen sich jetzt schon mehr als 300.000 Deutsche im Ausland behandeln, sind also Kunden dieses Medizintourismus. Außereuropäisch, vor allem in Amerika, sind solche Behandlungen im Ausland schon längst Normalität geworden (z. B.: www.flymedic.de/behandlung-im-ausland/gesundheitstourismus-als-globaler-

wachstumsmarkt). Dies bedeutet übrigens, dass es nach der Globalisierung der Finanzmärkte und der Globalisierung der Produktion nun auch die Globalisierung der Medizin gibt. Dieser Medizintourismus, oft irreführend und fälschlich als Gesundheitstourismus bezeichnet, ist klar getrennt in Medizin und Tourismus und unterliegt daher völlig anderen Qualitätskriterien als der Gesundheitstourismus nachfolgender Definition.

MEdiZiNtoURiSMUS iSt Nicht idENt Mit GESUNdhEitStoURiSMUS

Es bestehen einige Versuche, Gesundheitstourismus zu definieren (1,2), wobei in der Literatur häufig die Definition von Kaspar (1) zitiert wird, als „Oberbegriff für einen touristischen Aufenthalt mit dem Ziel der Erhaltung, Stabilisierung und Wiederherstellung der Gesundheit, bei dem aber – um ihn von einem normalen Ferienaufenthalt zu unterscheiden – Gesundheitsdienstleistungen einen Schwerpunkt bilden“.

Gesundheitstourismus – etwas vereinfacht definiert – ist eine Tourismusform, bei der dem Menschen über ein touristisches Angebot Gesundheit versprochen wird; dies meist unter Ausnützung einer spezifisch klimatischen (Berge, Meer etc.) oder geografischen Besonderheit (Therme etc.). In Abbildung 1 ist dargestellt, dass diese Form des Tourismus eng verknüpft und vernetzt ist mit Prävention und Rehabilitation aber auch mit Wellness und Medicalwellness.

Abbildung 1

Während also beim Medizintourismus Tourismus und Medizin etwas Selbstständiges sind, bilden oder sollten im Gesundheitstourismus Medizin und Tourismus eine Einheit bilden, beide „Kulturen“ Medizin und Tourismus müssten eins werden.

Daraus ergibt sich auch eine unterschiedliche Form der Qualitätssicherung: Beim Medizintourismus gelten klare Qualitätskriterien und Regeln und zwar für den Tourismus (vom Tourismus festgelegt) und für die Medizin (von der Medizin in Form der Evidence Based Medicine EBM festgelegt).

Verspricht aber der Tourismus durch eine Maßnahme Gesundheit, z. B. über eine Wellnessmaßnahme, so darf Gesundheit nicht als Marketinggag missbraucht werden, sondern es muss inhaltlich der Gesundheitseffekt nachgewiesen werden. Leider versuchen inzwischen vor allem touristische Unternehmen und fragwürdige Interessensgruppen mit Gesundheitstourismus, Wellness und Medical Wellness ihre Geschäfte zu machen. Dabei handelt es sich nach Ansicht des Deutschen Wellnessverbandes in den meisten Fällen um eine reine Marketingmasche. Die Bandbreite der Angebote ist kaum mehr überschaubar und reicht bis hin zur Scharlatanerie (www.wellnessverband.de).

Damit Gesundheit nicht zum Marketinggag verkommt, muss ganz entschieden eine inhaltliche Qualifizierung gefordert werden, die durch die F.A.C.D. Kriterien, die in Analogie zur EBM aufgestellt wurden, gegeben ist. Auf diese F.A.C.D. Kriterien wird im zweiten Teil der Ausführungen eingegangen, zuvor aber ist es notwendig, noch generell ein Wort zum Thema Gesundheit zu sagen.

Gesundheit: Auf die Definition der Gesundheit durch die WHO soll hier nicht näher eingegangen werden, da diese Definition einer dringenden Diskussion und Neuformulierung bedarf. Sicher ist, dass die Bedeutung von Gesundheit sich in einem großen Wandel befindet. Das Gesundheitsbewusstsein der Menschen spielt eine immer größer werdende Rolle, was man u.a. daran erkennt, dass für Wellnessmaßnahmen, die letztlich doch irgendetwas mit der Gesundheit zu tun haben, dies auf jeden Fall bei den meisten Angeboten suggeriert wird, riesige Beträge ausgegeben werden. Laut einer Studie der Bank Bär in Zürich setzt der globale Wellnessmarkt jährlich ein Volumen von etwa 400 Milliarden Dollar um (4).

Dies ist deshalb verständlich, weil Gesundheit heute viel mehr als noch vor wenigen Jahren zählt. Während man früher unter Gesundheit einfach die Abwesenheit von Krankheit verstanden hat, oder wie es der Franzose Leriche einmal sagte, „Gesundheit zeigt sich als das Schweigen der Organe“, ist heute Gesundheit wesentlich mehr. Es ist zuallererst primär persönliches, aber dann auch ein gesellschaftliches Kapital, ja Gesundheit ist sogar zu einem Statussymbol geworden. Der Mensch will verständlicherweise bis ins hohe Alter gesund sein und wenn möglich, auch gesund zu Grabe getragen werden. Mit anderen Worten, der Stellenwert der Gesundheit war sicherlich noch nie so groß wie heute und steht schon längst ganz vorne in den Werteskalen bei Meinungsumfragen.

Dieses Faktum wird sicher noch zunehmen und zwar aus folgenden triftigen Gründen: Es wird einerseits eine immer älter werdende Gesellschaft immer mehr interessiert sein, ihre Gesundheit zu erhalten; andererseits muss eine immer mehr geforderte, jüngere Gesellschaft ebenfalls eminent daran interessiert sein, gesund zu bleiben, denn gerade diese jüngere Gesellschaft wird in der derzeitigen demografischen Entwicklung immer mehr deshalb gefordert werden,weil sie letztlich die Pensionen der immer größer werdenden älteren Gesellschaft sichern sollte. Dazu kommt, dass die Ressourcen des Staates mit Sicherheit nicht ausreichen werden, der immer größer werdenden älteren Gesellschaft sämtliche Kosten im Krankheitsfall oder Pflegefall zu übernehmen. Der Staat scheint jetzt schon, was die Mittel für die kurative Medizin betrifft, an seine Grenzen zu kommen, von den Mitteln für präventivmedizinische Maßnahmen ganz zu schweigen. Die öffentlichen Mittel für Präventivmedizin machen jetzt schon Bruchteile der Beträge aus, die für die kurative Medizin ausgegeben werden, was wiederum bedeutet, dass nur über den privaten Bereich, oder eben über Prävention in der Freizeit und im Urlaub etwas für die Gesundheit und deren Erhaltung getan werden kann oder muss.

Aus dem Gesagten ist abzuleiten, dass das Thema Gesundheit sowohl für Jung und Alt zu einem ganz zentralen Thema wird, und gerade in dieser eindeutigen Entwicklung liegt die enorme Chance für den Gesundheitstourismus generell, besonders natürlich auch für den alpinen Gesundheitstourismus.

Qualitätskriterien: In der ärztlichen Tätigkeit gibt es den Begriff der Evidence-BasedMedicine (EBM), ein Schlagwort der letzten Jahre, nicht selten missverstanden. EBM beansprucht nicht die medizinische Wahrheit, sie ist eher eine Denkschule, die lehren soll, kritische Fragen in der Patientenversorgung zu stellen, wobei die modernen Ergebnisse guter Studien in die tägliche Arbeit einfließen. In Abbildung 2 ist eine solche mögliche Klassifizierung der Evidenz dargestellt (4). Und genau diese Denkschule oder inhaltliche Qualitätssicherung soll auch im Gesund-

Abbildung 2

heitstourismus der Ansatz sein. Dies heißt nicht, dass Erfahrung, gesunder Menschenverstand aber auch Vorsicht nicht auch Basis für richtiges Handeln sein können. EBM steht also auch für erfahrungsbasierte Medizin und nicht alles, was nicht evidenzbasiert und durch Studien nachgewiesen ist, muss falsch sein.

Dennoch ist die Forderung nach sehr guten Studien im Gesundheitstourismus ein Gebot der Stunde, denn der Tourismus wirbt mit Gesundheit; und dieser Gesundheitseffekt muss nachgewiesen werden, ansonsten verkommt die Gesundheit zur Marketingmasche und ist letztlich Betrug am Gast. Dies besonders dann, wenn nicht erwiesene oder einfach angenommene Wirksamkeit einer Maßnahme dem Gast überteuert verkauft wird.

Nun lässt sich EBM nicht einfach 1:1 auf die geforderten Studien und deren Ergebnisse im Gesundheitstourismus übertragen, dennoch ist die Seriosität von gesundheitsorientierten Produkten zu gewährleisten, weswegen die F.A.C.D. Kriterien in Anlehnung an die Philosophie der Evidence Based Medicine aufgestellt wurden. Diese F.A.C.D. Kriterien sollen Entscheidungshilfen und nicht starres Korsett sein. Sie sollten bei allen gesundheitsorientierten touristischen Produkten Anwendung finden, um nicht nur dem Vertreiber eines solchen Produktes, sondern auch dem Gast eine Möglichkeit der Beurteilung zu geben, wie weit die von ihm absolvierte Maßnahme tatsächlich gesundheitsfördernd ist oder nicht. Nun hört man immer wieder, gerade auch von z. T. börsennotierten Firmen, dass dem Rechnung getragen wird, indem man laufend zertifiziert, was z. T. mit großen Kosten verbunden ist. Ein Wesensmerkmal vieler dieser Zertifizierungen ist, dass primär die Hardware geprüft wird, das Rundherum einer Spa-Abteilung, die Breite des Pools, die Hygiene und Wärme des Wassers und vieles andere mehr. Letztlich alles Dinge, die man leicht messen kann. Oft übersehen wird dabei die Software, die Qualität des Programms bzw. des Inhalts, aber auch die Art der Durchführung einer gesundheitsversprechenden Maßnahme. Was damit gemeint ist, soll an einem simplen und banalen Beispiel kurz erwähnt werden. Beim Kauf eines Medikaments interessiert den Käufer primär ja auch nicht das Design der Apotheke oder die Verpackung des Medikaments, sondern die Kompetenz des Apothekers und die Gewissheit, dass das von ihm gekaufte Präparat einer strengen Qualitätskontrolle und Prüfung unterworfen wurde.

F.A.C.D.KRitERiEN:

F. steht für Fakten durch Forschung: Ohne Forschung können keine Aussagen über den Gesundheitseffekt einer Maßnahme im Gesundheitstourismus gemacht werden.

A. steht für Aktualisierung und Ausbildung: Bei einer relativen kurzen Halbwertszeit des medizinischen Wissens sind laufende Forschungsprojekte notwendig und es ist auch notwendig, die Ergebnisse über eine entsprechende Ausbildung der Transporteure, z. B. der Coaches, an den Gast zu bringen.

C. steht für Kooperation mit kompetenten Partnern sowohl in der Hotellerie als auch mit Coaches, die entsprechend geschult werden, aber auch Kooperation mit anderen Partnern, sei es Versicherungen, Tourismusorganisationen etc.

D. steht für Datenbank und Dokumentation: Die bei einer gesundheitsorientierten Maßnahme gemessenen Ergebnisse sollen in einer Datenbank gespeichert werden bzw. für nachträgliche Kohortenstudien zu Verfügung stehen (selbstverständlich anonym). Es soll dem Gast aber auch dokumentiert werden, dass er durch diese Maßnahme nicht nur eine subjektive Verbesserung verspürt, sondern diese auch objektiv erfassbar ist.

Als Beispiel der Anwendung dieser F.A.C.D. Kriterien für ein touristisches gesundheitsversprechendes Produkt wurde Welltain® (wellbeing in the mountain) geschaffen (www.welltain.at), welches derzeit in Lech angeboten wird und auf Basis der AMAS I und AMAS II Studien (5) und anderen Erkenntnissen basiert.

Das USP, also das Unique Selling Proposition eines gesundheitstouristischen Produktes, kann letztlich nur oder fast nur über den Inhalt und die Qualität gegeben sein und nicht nur über die immer noch größeren, noch raffinierteren und letztlich auch immer unerschwinglicher werdenden Spa-Abteilungen und Wellnesstempel.

Was Evidence Based Medicine in der Klinik und in der ärztlichen Tätigkeit ist, sind die F.A.C.D. Kriterien im Gesundheitstourismus. Das Einhalten dieser F.A.C.D. Kriterien garantiert letztlich die inhaltliche Qualität. Gesundheit wird somit nicht zu einem Marketinggag pervertiert, sondern ist tatsächlich im gesundheitsorientierten Produkt enthalten.

Daraus ableitend soll die eingangs gestellte Frage noch einmal mit einem klaren Ja beantwortet werden, denn in dem Augenblick, in dem Gesundheit versprochen wird, muss der Nachweis dieser Gesundheitsförderung vorher erbracht worden sein, ansonsten verkaufe ich eine Lüge. Gesundheitstourismus ohne medizinische Forschung ist nicht möglich.

LITERATUR

(1)

(2)

(3)

(4)

(5)

(6) Kaspar C. Gesundheitstourismus im Trend. Jahrbuch der Schweizer Tourismuswirtschaft 1995/1996, Institut für Tourismus und Verkehrswirtschaft, St. Gallen, 1996: 53-61.

Gee Ch., Fayos-Sola E. (Eds). International tourism: a global perspective. Madrid. World Tourism Organisation. 1997.

Schobersberger W, Hoffmann G, Humpeler E. The Growing Role of Health in Tourism. In: Kronenberg Ch, Müller S, Peters M, Pikkemaat B, Weiermair K.(Hrsg). Change Management in Tourism. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2008: 113-125.

Frick K, Hauser M. Gesundheitsmarkt und Gesundheitsstandort Liechtenstein. Gottlieb Duttweiler Institut. Rüschikon/Zürich 2008:37-38.

von Planta M. Evidenzbasierte Innere Medizin. Deutscher Ärzte-Verlag Köln 2005.

Schobersberger W, Leichtfried V, Mueck-Weymann M, Humpeler E. Austrian Moderate Altitude Studies (AMAS): benefits of exposure to moderate altitudes (1.500-2.500 m). Sleep Breath 2009;(in Druck).

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