Unitopia „Offenheit mit Grenzen“ - Ex-„F“U-Vizepräsident Bongardt
Geschichten davon, was Uni ist
und was Uni sein könnte
..
Uni fur
Alle?! Eine Publikation des Bildungsprotests #4 Januar 2015
Unitopia #4
Berlin, 5.1.2015
Die Meinung einzelner Beiträge spiegelt nicht unbedingt die Meinung des Redaktionskollektivs wider. Lizenz
Liebe*r Leser*in,
in den vergangenen Ausgaben haben wir uns damit auseinandergesetzt, wie die Uni aussehen könnte, welchen Problemen wir in der Universität begegnen und wohin sie sich entwickelt. Immer wieder haben wir dabei versucht über den Subkosmos der Universität hinaus zu schauen und immer wieder fiel auf, wie abgekapselt diese UniWelt eigentlich vom Rest der Gesellschaft ist. Wer darf diesen Subkosmos eigentlich betreten - und wer nicht?
Das Titelthema „Uni für Alle?!“ kam so verschiedenen Mitgliedern unseres Redaktionskollektivs unabhängig voneinander in den Sinn und war schnell Konsens. Mit allen Artikelideen hätten wir problemlos mehrere Hefte füllen können, so vielfältig sind die Ein- und Ausschlussmechanismen, durch die die Institution Universität ihre derzeitige Form erhält. Einige dieser Ideen konnten wir auf den folgenden Seiten realisieren, andere behalten wir für zukünftige Ausgaben im Hinterkopf. Kurz vor unserem Drucktermin ist ausserdem unser Coverartist sqrl erkrankt, dem wir auch die Coverdesigns der lezten zwei Ausgaben verdanken. Daher haben wir beim Coverdesign diesesmal etwas improvisiert.
Die Unitopia ist ein Non-Profit-Projekt. Wir schalten keine Werbung gegen Geld, sondern unterstützen lediglich andere nichtkommerzielle Projekte, indem wir ihnen die Möglichkeit geben mit Anzeigen auf sich aufmerksam zu machen oder sich und ihre Arbeit in gekennzeichneten Gastbeiträgen vorzustellen.
Die Unitopia wird geschrieben, illustriert und editiert von Menschen aus dem Bildungsprotest-Umfeld, die sich kritisch mit (Hoch-)Schulen, Bildungspolitik und ihrer Bedeutung für die Gesellschaft auseinandersetzen. Wir verstehen uns als basisdemokratisch und links und setzen uns für ein sozial gerechtes Bildungssystem und eine wirklich freie (Hoch-)Schule ein, in der Menschen selbstbestimmt und solidarisch ihrem Bildungsdrang nachgehen können. Euer Redaktionskollektiv
Die Unitopia erscheint unter der CreativeCommons BY-NC-SA Lizenz. Alle Inhalte dürfen unter Nennung der Quelle für unkommerzielle Zwecke und unter den gleichen Lizenzbedingungen weiterverwendet werden. Mitstreiter*innen gesucht Wir suchen weitere interessierte Mitschreiber*innen. Wenn ihr Lust habt oder erst einmal einfach nur vorbeischnuppern wollt, schreibt uns einfach eine Mail. Genderstern
Wir nutzen den sogenannten Genderstern (z.B. Leser*innen) um Menschen aller Geschlechter anzusprechen. Credits
Das Coverdesign für diese Ausgabe wurde erstellt von Radow. Andere Illustrationen von NT und Radow. Eigentumsvorbehalt
Nach dem Eigentumsvorbehalt ist diese Zeitung solange Eigentum des*der Absender*in, bis sie der*dem Gefangenen persönlich ausgehändigt ist. „Zur-HabeNahme” ist keine persönliche Aushändigung im Sinne des Vorbehalts. Wird die Zeitschrift der*dem Gefangenen nicht persönlich ausgehändigt, ist dem*der Absender*in der Grund der Nichtaushändigung zu nennen. Kontakt/Impressum
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Inhalt 02
Editorial & Inhalt
Über uns und diese Ausgabe
Titelthema: Uni für Alle?! 10
Einführung
12 [Zu dem Ausschluss von geflüchteten Menschen]
Gastbeitrag von Studierenden aus dem Refugee-Unistreikkomitee
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The right to education for refugees
Neues aus der Hochschulpolitik 04
Aktuelles
06
Muss Dahlem sterben, damit wir lernen können?
08
Großer Run auf die Studienplätze?
Gastbeitrag von Adam Bahar (Refugee Strike Berlin)
Für Visionen statt Pragmatismus
Für Visionen statt Pragmatismus
Basics & Buntes
15
Stimmengewirr
20
Animal Uni
16
My life, my choice
22
1x1 des Widerstands
18
Stipendien
19
„Wie selbstverständlich ist/war es für dich zur Uni zu gehen?“
Einführungstext zu Trans*diskriminierung & Offener Brief von „transbashback“
...als Ein- und Ausschlussmechanismus
Interview: Obdachlosenuni „Unheimlich viel Lebenserfahrung“
Gruppe für Tierbefreiung und für ein tierversuchsfreies Studium
Aneignung von Freiräumen in der Universität
24 Auslandskorrespondenz: Türkei „Mit Augen- und Mundschutz zu Unabhängigkeit“
26
Abgeschrieben: difFUs
27
Uni(n)formiert
Exzellenzcafé öffnet seine Türen
Aus der Reihe: Warum HoPo und Lyrik nicht zusammen passen
...im Übrigen sind wir der Meinung, dass das Präsidium gestürzt werden sollte...
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Unitopia #4
Aktuelles
UNITOPIA KOMPAKT Aktuelle Berichterstattung zu hochschulpolitischen Entwicklungen in diesem Semester findet ihr ausserdem in der Anfang Januar erschienenen Unitopia kompakt. Inkl. Berichten zu uni-assist und zu den Gremienwahlen - auf Papier in studentischen Cafés und im AStA, online unter: http://www.bildungsprotestfu.net/unitopia/kompaktjanuar-2015/
Refugees in „F“UTurnhalle untergebracht Seit Dezember 2014 und zunächst bis Mitte Februar 2015 sind in einer Sporthalle der „F“U rund 200 neu in Berlin angekommene Geflüchtete untergebracht, die noch nicht die Gelegenheit erhalten haben, Asylanträge zu stellen. Die Notunterkunft wird von einer kirchlichen Wohlfahrtsorganisation betrieben. Diese Massenunterbringung auf engstem Raum ist Teil und Ausdruck der verfehlten und strukturell rassistischen deutschen Asylpolitik. Konkrete Unterstützung verschiedenster Art wird vor Ort benötigt. Studentische Initiativen haben umgehend Kontakt aufgenommen und versuchen in Absprache mit den Geflüchteten diese Unterstützung zu organisieren. Ausführliche Berichte und möglichst aktuelle Informationen auf der Website des Bildungsprotests: http://www. bildungsprotestFU.net/turnhalle/
Gegen prekäre Arbeitsbedingungen: Lehrbeauftragte organisieren sich
Lehrbeauftragte werden auch an der „F“U immer häufiger eingesetzt, um in Zeiten knapper Kassen den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten. Sie werden nur semesterweise eingestellt und pro Lehrveranstaltung bezahlt - zu Sätzen, die oft auf effektive Stundenlöhne um drei Euro hinauslaufen. Eigentlich sind Lehraufträge nur zur punktuellen Ergänzung der Lehre um externe Expertise gedacht, doch sie werden von den Unis mittlerweile flächendeckend vergeben, um reguläre Arbeitsplätze einzusparen - an der „F“U insbesondere im Sprachenzentrum. Viele Akademiker*innen stecken somit in diesen Verhältnissen fest, die von schlechter Bezahlung und permanenter Unsicherheit gekennzeichnet sind. Eine Gruppe von gewerkschaftlich organisierten Lehrbeauftragten hat sich nun zusammengetan, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und endlich eine politische Vertretung aufzubauen, die bisher kaum gegeben ist. Weder ist die Lobby der Lehrbeauftragten in den Gewerkschaften besonders stark noch genießen sie passives Wahlrecht an den Hochschulen. Im Akademischen Senat (AS) der „F“U konnte im letzten Semester bereits ein einstimmiger - aber unverbindlicher - Beschluss zur Verbesserung der Lehrbeauftragtensituation erwirkt werden. Rund um einen Aktionstag am 6. November 2014 wurde die Kampagne nun fortgesetzt. Ziel ist zunächst die konsequente Umsetzung des AS-Beschlusses. Das Präsidium verweist derweil auf eine geringe Entgelterhöhung für Sprachlehrbeauftragte, die gestaffelt über die nächsten Jahre vorgenommen wird, allerdings kaum mehr als ein verspäteter Inflationsausgleich ist. Die „F“U zahlt weiterhin die geringsten Vergütungen aller Berliner Hochschulen, wie die Lehrbeauftragteninitiative festhält. Umfassende
Infos
und
weiterführende
Links:
https://aktionstagberlinlb.wordpress.com
Quelle: https://aktionstagberlinlb.wordpress.com
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Neues aus der Hochschulpolitik
Jürgen Zöllner gegen studentische Proteste ins „F“U-Kuratorium benannt
Der ehemalige Berliner Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner wurde auf Vorschlag des „F“U-Präsidenten Alt vom Akademischen Senat (AS) der „F“U im Dezember ins Kuratorium der Universität benannt und soll dort vermutlich direkt zum neuen Vorsitzenden gewählt werden.
Studierende hatten im Vorfeld der AS-Sitzung mit einem vom Arbeitskreis Hochschulpolitik initiierten Offenen Brief 1 gegen die Berufung protestiert. Zöllner wird unter anderem vorgeworfen, in seiner Zeit als Senator für die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes mit neuen Restriktionen für Studierende verantwortlich gewesen zu sein. Er vertrete zudem in seinem aktuellen „Masterplan Wissenschaft 2020“ ein elitäres Universitätsverständnis. Dort fordert Zöllner, der wie sein Kuratoriumsvorgänger Erichsen im einflussreichen Bertelsmann-Thinktank „Centrum für Hochschulpolitik“ (CHE) die neoliberale Umstrukturierung der deutschen Universitäten vorangetrieben hat, u.a. auch Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer*innen. Die „F“U-Leitung verspricht sich offenbar von der Berufung des gut vernetzten Politprominenten einen Wettbewerbsvorteil in politischer Hinsicht.
Während der AS-Sitzung kam es zum Eklat, als Studierende sich weigerten, vor der nichtöffentlichen Befragung Zöllners den Raum zu verlassen. 2 Sie wurden von aufgebrachten Professor*innen beschimpft, konnten dann aber eine zusätzliche öffentliche Fragerunde mit Zöllner durchsetzen. Mit Zöllners Antworten zeigten die Anwesenden sich wenig zufrieden. Professor*innen der größten Fraktion „Vereinte Mitte“, die den Präsidenten stellt, verließen für den Zeitraum der Befragung demonstrativ den Raum. Anschließend wurde Zöllner hinter verschlossenen Türen ins Kuratorium benannt.
Zöllner? Der ehemalige Bildungssenator & Kultusminister mit Elitefaible, der einst Studiengebühren einführen wollte? Na toll....
Das Kuratorium ist eines der höchsten Gremien der Universität, das u.a. über den Haushalt der „F“U beschließt und den/die Kanzler*in wählt. Von den zehn Sitzen entfällt jeweils einer auf jede universitäre Statusgruppe, einer auf die Wissenschaftssenatorin und fünf auf externe Mitglieder, die die „Gesellschaft“ repräsentieren sollen. Davon stammen momentan drei aus dem Wissenschaftsbereich; dazu kommen ein Banker und der ehemalige Berufspolitiker Zöllner. 1
http://www.bildungsprotestfu.net/2014/12/offenerbrief-an-jurgen-zollner/
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http://tinyurl.com/pm-zoellner
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Unitopia #4
Muss Dahlem sterben, damit wir lernen können? Planloser Pragmatismus wird uns nicht weit bringen: Warum wir eine andere Uni brauchen und nicht bloSS mehr Geld für die jetzige André Gorz und die radikale Kritik der Universität „Die Universität kann nicht funktionieren, also muss man verhindern, dass sie funktioniert, damit diese Funktionsunfähigkeit ans Tageslicht kommt“ – so die viel zitierten Worte von André Gorz (1970). 1 Konkret bezog sich Gorz auf den Widerspruch, den die damals entstehende Institution der Massenuniversität in sich barg: Mehr und mehr Menschen konnten studieren – und genau dadurch wurde das enorme gesellschaftliche Aufstiegsversprechen, das sie mit dem Studium verbanden, für die meisten unerfüllbar. In einer hierarchischen Gesellschaftsordnung ist eben nicht plötzlich mehr Platz an der Spitze, nur weil mehr Menschen die akademische Qualifikation für die oberen Etagen erreichen.
Später erweiterte Gorz seine radikale Kritik am kapitalistisch geprägten Bildungssystem: es reproduziere diese hierarchische Gesellschaft mitsamt ihrer ebenso hierarchischen Arbeitsteilung und der daraus resultierenden sozialen Ungleichheit. Schon in der Schule gehe es um Selektion und Anpassung. Die Hochschulen schließlich produzierten dann Fachidiot*innen, deren Ausbildung marktorientiert ist – sie befähige zur Einnahme bestimmter Posten in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, aber durch die Überspezialisierung und Ausrichtung auf das bloße „Funktionieren“ nicht zu einem kollektiv selbstbestimmten Leben. Die Menschen stünden so dem institutionellen Apparat der modernen Gesellschaft recht hilflos gegenüber – wer sich in diesem Apparat aber ohne Murren ein- und überordne, könne dort zumindest vorübergehend eine recht bequeme Existenz erwarten.2 Heute gibt es dafür den schönen Begriff „Humankapitalpflege“. Das Prinzip hat sich kaum verändert, nur ist es in Zeiten sich ausweitender Prekarität auch mit der bequemen Existenz schwieriger geworden.
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Richtige Forderungen im Falschen Klar war für Gorz wie für Generationen studentischer Aktivist*innen: Wenn die „real existierende“ Universität funktioniert, dann im und für das System. Was bedeutet das für emanzipatorische studentische Bewegungen an den Hochschulen? Welcher Inhalte nehmen sich diese heute an?
Und selbst wenn Letzteres punktuell gelingen mag, greift die Forderung nach Geld zu kurz. Mit ihrem quantitativen Fokus bleibt sie in der Logik der Wachstumsgesellschaft
Zuletzt in den Aufrufen zum Bildungsstreik 2014 war eine zentrale Forderung die nach mehr Geld für die Hochschulen – angesichts immer wieder aktueller Kürzungen in vielen Bundesländern nicht überraschend.3 In Köln demonstrierten Studierende mit dem Slogan: „Mehr Geld für die Bildung – wir sind es wert!“4 Diese Art von Forderung findet zumeist rhetorische Unterstützung von ganz links bis weit ins konservative Lager. Mehr Geld für Bildung, das ist ein moralischer Imperativ, dem kaum eine*r widersprechen mag - was natürlich nicht bedeutet, dass dem von verantwortlicher Seite aus Taten folgen würden. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Prekarität im Wissenschaftsbereich sollte nicht kleingeredet werden. Doch würden unter den gegebenen politischen Verhältnissen zusätzliche Mittel eher in „Exzellenz“-Projekte als in die Aufwertung prekärer Arbeitsplätze fließen.
So oder so ähnlich könnte es aussehen: Professor Reinlich packt mit an.
verhaftet und somit harmlos: mehr wird schon irgendwie besser sein. Gegenwärtig sind unsere Universitäten auf bedingungslose Ökonomisierung gepolt, in der Forschung wie in der Lehre. Selbst in bürgerlichen Medien von „Süddeutscher“ bis hin zu „FAZ“ und „Welt“ (!) sind Klagen darüber zu lesen, wie das Hochschulsystem der Bologna-Ära systematisch eine Generation von unkritischen, gleichgültigen, angepassten Karrierist*innen heranbildet.5 Wollen wir wirklich dafür kämpfen, dass diese Institution möglichst reibungslos schlecht funktioniert? Auch die Forderung nach mehr Studienplätzen ist langfristig kaum hinreichend. Dies verbesserte zwar potentiell die Chancengleichheit auf die wenigen „Plätze an der Sonne“, die es nach dem Studium zu erheischen gilt. Wie von Gorz verdeutlicht, lösen jedoch auch zusätzliche Studienplätze weder das Problem eines beschränkten gesellschaftlichen Angebots an attraktiven Arbeitsplätzen bei gleichzeitiger allgemeiner Lohnabhängigkeit – Plätze, um die dann immer noch ein sozial irrsinniger Konkurrenzkampf entbrennt – noch das Problem der einseitigen technischen Ausbildung. „Uni für Alle“ ist das Mindeste: Qualitativ denken
Uni für Alle dagegen ist in ihrer Allgemeinheit eine potentiell emanzipatorischere Forderung. Sie ist nicht nur quantitativ formuliert, sondern weist qualitativ über das Bestehende hinaus und deutet die Idee einer Universität als einer egalitären Institution in einer egalitären Gesellschaft an. Die derzeitige hierarchische gesellschaftliche Arbeitsteilung könnte dabei überwunden und die sinnvoll zu leistende Arbeit genau so gleichmäßig und -berechtigt verteilt werden wie die Bildungsmöglichkeiten. Selbstverwaltung könnte hier gelebt werden und die Unimitglieder sich vermehrt auf Augenhöhe begegnen. Studierende könnten Lehrinhalte und Seminarpläne verstärkt selbst mit erarbeiten und Forschungsprojekte in offeneren Gruppen statt in bürokratischen, isolierten Strukturen gestaltet werden. Gleichzeitig würde es vermutlich ausreichen, wenn Studierende, gemeinsam mit Forschenden, einmal im Monat Putzdienst hätten, anstatt solche Arbeiten wie bislang bevorzugt schlecht bezahlten migrantischen Arbeitskräften zu überlassen, die wiederum in der Regel
keinen Zugang zum Bildungsangebot der Institution haben. Auch die Räumlichkeiten könnten zu großen Teilen in Eigenregie erbaut und instandgehalten werden. Das mag den Weltkonkurrenzfantasien mancher heutiger Profs zuwiderlaufen – aber würde diese Universität nicht qualitativ höherwertige, umfassendere und tatsächlich praxisnahe Bildung vermitteln, ohne Studierende dabei für bloße ökonomische Verwertung ihrer Fähigkeiten zu instrumentalisieren? Das Denken in quantitativen Kategorien („mehr Geld“) kann solch eine qualitative Veränderung kaum erfassen. Offensichtlich kann eine solche Transformation der Universität nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Realität passieren, sondern nur als Teil eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbruchs. Gleichzeitig sollte auch klar sein, dass schon in der heutigen Universität trotz allem ein emanzipatorisches Potenzial existiert – die Grundidee von Bildung als Selbstkultivierung, -entfaltung und Charakterbildung, aber auch die Infrastruktur der Bibliotheken und PC-Räume und die erkämpften studentischen Freiräume können eine positive Rolle spielen, auch nach einer von Gorz geforderten „Zerschlagung“ der Universität in ihrer heutigen Form.
Insofern ist es sinnvoll, weiter an der Universität politisch aktiv zu bleiben und nicht kampflos der Ökonomisierung dieser Institution das Feld zu überlassen. Die letzten zwei Jahrzehnte fand dort eine sozial regressive Entwicklung statt: Entdemokratisierung und hierarchischere Strukturen, immer unverhohlenere Marktorientierung in Forschung und Lehre. Studentische Gegenbewegungen konnten dies nicht verhindern, aber sie erkämpften immerhin die schnelle Abschaffung von Studiengebühren, wo auch immer diese im Bundesgebiet eingeführt wurden. Diese Kämpfe sind wichtig, doch sollte ihr Horizont nicht am Tellerrand der Tagespolitik enden – andernfalls werden sie die „produktive“ Rolle der Universität im gesellschaftlichen Gefüge nur stabilisieren. Das Ziel sollte dagegen die Destabilisierung dieses Gefüges sein, die die Verwirklichung von Utopien – und darin verorteter Uni-topien – erst ermöglicht. Es gilt, auch im tagespolitischen Geschehen Visionen zu bewahren und weiterzuentwickeln, anstatt sie in vorauseilendem Gehorsam vor lauter „Pragmatismus“ zu begraben – Pragmatismus, der uns in den letzten
Neues aus der Hochschulpolitik
Jahren wenig genützt hat, wie zuletzt durch den verpufften Bildungsstreik 2014 belegt. 1
Gorz, André: Zerschlagt die Universität. In: Les Temps Modernes, Nr. 285, April 1970 – dt. Übersetzung: Renate Sami, in: Sozialistisches Jahrbuch 3 (Rotbuch 28), Berlin, 1971 – http://www.bildungskritik.de/Texte/Unis_zerschlagen/unis_zerschlagen.htm
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siehe etwa Gorz, André: Ökologie und Politik. Reinbek: Rowohlt, 1977. Sowie Ders.: Ökologie und Freiheit. Reinbek: Rowohlt, 1980. siehe Aufruf: https://www.stura. uni-halle.de/aktionsbuendnis/ files/2014/04/resolution_bil-
dungsstreik-2014.pdf - Auch im
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Bildungsstreik 2014 wurden durchaus weitergehende Forderungen im Sinne dieser Kritik geäußert, sie standen allerdings gegenüber der Geldforderung deutlich im Hintergrund Demoaufruf: http://bildungs-
streik2014.de/de/beitrag/bildungsstreik-2014-k%C3%B6ln 5
kleine Auswahl: http://www. sueddeutsche.de/bildung/
kritik-am-uni-betrieb-wiedie-generation-gefaellt-mirdas-streiten-verlernt-1.2096968
; http://www.sueddeutsche.de/ bildung/politikinteresse-
von-studenten-kritik-an-dergeneration-der-ichlinge-istignorant-1.2196288; http://www.
faz.net/aktuell/feuilleton/
jugendstudien-die-jugend-vonheute-13241479.html; http://
www.welt.de/vermischtes/article118147140/Auf-dem-besten-Wegein-die-absolute-Verbloedung.html
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Unitopia #4
Großer Run auf die Studienplätze? Bildung als Selbstverständlichkeit und Aufklärung als Zweck der Uni
Bildungsstreikdemo 2014, Rostock CC: BY-SA by Marcus Sümnick In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Studierenden sowohl allgemein als auch an der „F“U zunächst wieder angestiegen. In diesem WiSe 2014/15 seien dies „so viele Studierende wie nie zuvor“. Bundesweit 2,69 Millionen Studierende, 171.274 in Berlin und an der „F“U etwa 35.700. [1] Dies ist durchweg zu begrüßen, nachdem die Zahl der Studienplätze im Zuge mehrfacher Kürzungswellen der vergangenen zwanzig Jahre etwa an der „F“U über einen längeren Zeitraum zunächst zum Teil erheblich gesunken war.
Die Wieder-Steigerung der Studienplätze in den letzten Jahren war ausdrückliches Ziel des Hochschulpakts von Bund und Ländern, der dies bis zu einem bestimmten Grad - dem der hierfür zusätzlich vorgesehenen und dennoch weiterhin zu geringen Finanzierung - vorsieht, sowie Ziel der Berliner Hochschulverträge seit 2010. Letztere zwingen die Berliner Hochschulen - aus Studierenden-Perspektive positiv -, so viele Studierende wie möglich aufzunehmen, um finanziell überleben zu können. [2] Gleichwohl gibt das Land bekanntlich nicht einen Cent mehr für noch mehr Stu-
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dierende oder mehr Hochschulbauten. Die Hochschulverträge deckeln sogar absurderweise die Gesamt-Finanzierung, die die Hochschulen hierfür bekommen können. Dennoch zwingen sie die Hochschulen, so oder so „vollzulaufen“ (Sprachgebrauch des „F“U-Kanzlers) bzw. per Hand „noch voller zu laufen“. Das heißt: Auch, wenn sie „randvoll“ werden und auch der letzte Studienplatz „aus“- oder „überbucht“ ist, bekommen sie immer noch nicht genug Geld. Es gibt auch deshalb genug konservative Interessen, die stetig versuchen, die Studierendenzahlen bei nächster Gelegenheit wieder zu senken. Teilweise Öffnung - NC-freie Studiengänge dennoch „unterausgelastet“
An der „F“U hat zudem, wie zum Teil auch an anderen Berliner Unis, die Anzahl zulassungsfreier Studiengänge zu diesem Wintersemester 2014/15 mit allein über 50 in BA und MA erheblich zugenommen. Dies liegt an einer verbindlichen Anweisung der Berliner Senatsverwaltung, weil viele Studiengänge ihre nominal zur Verfügung stehenden Studienplätze nicht „ausfüllen“ konnten. Zulassungsbeschränkungen („Nu-
merus clausus - Nc“) sind diesen Studiengängen daher gegenwärtig nicht erlaubt. [3]
Nach etwa zehn Jahren, in denen im Land Berlin und an der „F“U seit den letzten großen Berliner Hochschulkürzungen ein fast flächendeckender NC bestand, ist auch das eine Öffnung, die zu einer (wieder) größeren sozialen „Durchmischung“ genutzt werden sollte. Entsprechend riet die „F“U-Studierendenschaft zur Einschreibung in der diessemestrigen Zulassungs-Periode.[4]
Zudem werden viele der nun zulassungsfreien „F“U-Studiengänge auch noch im nächsten Wintersemester zulassungsfrei sein, weil sich nach einem ersten Überblick über die Einschreibe-Zahlen im jetzigen WiSe 2014/15 die Erwartung, dass diese Studiengänge auf Grund der NC-Freiheit nun wesentlich besser von Studierenden „nachgefragt“ (marktwirtschaftlich formuliert) oder „aufgefüllt“ (technokratisch formuliert) würden, scheinbar nicht erfüllt hat. Genau das „Problem“ also, das zu deren Öffnung geführt hat, trägt sich somit fort und wird diese Öffnung vermutlich zunächst verstetigen.
Mehrfach-Bewerbungen und politisch hausgemachte Probleme - nicht „zu viele“ Studierende Die „hohe Überlast“ trügen, so die „F“U-Leitung im Akademischen Senat (AS) der „F“U am 03.12.14, „[...] durchweg diejenigen Fächer, die schon in den Vor-Semestern sehr ausgelastet waren“. Hingegen wiesen die „[...] zulassungsfreien Fächer [...] mit wenigen Ausnahmen keine Verwerfungen auf. Die Last ist damit etwas in die Breite gegangen.“ Der große „Run“ besteht damit scheinbar weiterhin bei den nach wie vor zulassungsbeschränkten „F“U-Studiengängen. Diese sind scheinbar wesentlich beliebter oder „nachgefragter“. Beliebtes Stichwort hierfür in der „F“UDiskussion momentan: „Überbuchung“. Diese bedeutet schlicht: es wurden mehr Studierende zugelassen als nach errechneter Höchstzahl der Zulassungsordnung ursprünglich vorgesehen. So wurden dieses WiSe 2014/15 laut „F“U-Kanzler Peter Lange im AS am 03.12.14 „höhere Überbuchungsquoten“ als im WiSe 2013/14 angesetzt und diese „stärker“ als in den Vorjahren „nachfrageorientiert“ ausgerichtet, um insbesondere die „Minderauslastung der Studienplätze im WS 2013/14“ zu „kompensieren“. „Überbuchung“ wird daher von manchen zum Problem überhaupt stilisiert und in der politischen Bewertung gern den Studienbewerber*innen angelastet.
„Überbuchung“ kann formal überhaupt nur dort stattfinden, wo die nach fragwürdigen Parametern errechnete Größe „Studienplatz“ überhaupt „bestimmt“ und zugleich durch den NC beschränkt wird. Ohne NC auch keine „Überbuchung“. Es kann allenfalls eine - ohnehin gegebene und politisch gewollte - Unterfinanzierung relativ zur Studierendenzahl geben, die sich in fehlenden Räumen, fehlendem Personal, prekären Beschäftigungen und „überfüllten“ Veranstaltungen nieder schlägt. Die Überbewertung von „Überbuchung“ an sich problematisiert bestenfalls nicht oder verschleiert schlimmstenfalls bewusst das eigentliche Problem einer gewollten Beschränkung des Studienzugangs und die damit einher gehende Unterfinanzierung. Auch der NC ist nicht mehr als ein clever „akademisierter“ bürokratischer Begriff, unhinterfragt verstetigt auch im „natürlichen“ Sprachgebrauch - eben so verstetigt wie die Studienplatz-Klagen.
„Überbuchung“ gehört inzwischen zum Standard-Repertoire der Hochschulleitung, um das durch die Hochschulleitungen und ihre politischen Netzwerke selbst bundesweit mit hervor gerufene „Chaos“ im Bewerbungs- und Zulassungsverfahren per „Handsteuerung“ (technokratisch-neoliberal formuliert) an jeder einzelnen Hochschule irgendwie in den Griff zu bekommen - jede Zulassungsperiode aufs Neue. Reibunglos kann das nicht funktionieren: Es wird „auf gut Glück“ geschätzt, wie viele zugelassene Studierende sich tatsächlich in einen jeweiligen Studiengang einschreiben werden. Die Schätzung kann „daneben“ liegen. Die Zahl der tatsächlichen Einschreibungen ist prinzipiell unvorhersehbar. „Überbuchung“ bedeutet also letztlich, dass ein Studiengang mehr eingeschriebene Studierende hat als an Studienplätzen geplant, weil die „F“U-Verwaltung sich beim „Überbuchen“ verschätzt hat und hier trotz der überall Einzug gehaltenen „Steuerungs“Logik auch nur bedingt „steuern“ kann.
Zudem hat es bundesweit wie an der „F“U, zusammen mit insgesamt mehr StudienInteressierten, eine exorbitant zugenommene Zahl von Mehrfach-Bewerbungen bei den Hochschulen gegeben . Gründe hierfür: a) der in den vergangenen Jahren bundesweit massiv verschärfte NC, b) die zusammen mit dem bürokratischen Wahnsinn durchregularisierter BA/MA-Studiengänge ebenso zugenommenen kleinteilig(st)en Eignungs- und Zugangsregelungen in vielen Studiengängen und c) die politisch gewollte Abschaffung einer bundesweit funktionierenden (!) Koordierungsstelle - dies war früher die allseits gegeißelte bundeswei-
Neues aus der Hochschulpolitik
te Zentralvergabe-Stelle für Studienplätze (ZVS). Auch müssen d) die Gesamt-“SollZahlen“ des Landes Berlin erfüllt werden, daher lässt die „F“U in bestimmten Studiengängen „künstlich“ weit mehr Studierende zu, als es dort an rechnerischen Studienplätzen gibt. Die Zunahme von Mehrfachbewerbungen war eine von Beginn an vorhersehbare Entwicklung und zugleich das Recht aller Studien-Interessierten. Unter der eben so vorhersehbaren Unvorhersagbarkeit und „Unsteuerbarkeit“ leiden aktuell alle Seiten - was die Hochschulleitungen und ihre politischen Vertretungsorgane nicht davon abhält, diese Hochschul-Kleinstaaterei fort zu setzen, die sie selbst gefordert und mit eingeführt haben. Bildung als Selbstverständlichkeit und Aufklärung als Zweck der Uni
Keinesfalls darf dies alles zu Gunsten weiterer verwaltungstechnischer „Raffinessen“ oder der „Landeskasse“ gelöst werden. Sondern zu Gunsten der Studien-Interessierten und der prekär Beschäftigten, auf deren Rücken die prinzipielle Haushalts-Deckelung am meisten ausgetragen wird. Auch eine bloße Koordinierungs-Software, sei sie auch noch so ausgeklügelt, wird als Symptom-Behandlung das politisch gewollte Problem dahinter und seine Folgen jedenfalls nicht lösen. Eine Überbewertung des „Überbuchungsproblems“ in diesem Wintersemester liegt einerseits jenseits der Tatsachen, da es seit Jahrzehnten (zum Teil weit) „überlaufene“
Bildungsstreik 2009, Berlin CC: BY-NC by urbanartcore.eu
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Unitopia #4
Veranstaltungen an den Hochschulen gibt. Andererseits ist dies insbesondere im konservativen Interesse zur Beschränkung des Hochschulzugangs. Ein „Dienstagskreis“Mitglied von der „sozialdemokratischen“ Professor_innen-Liste im AS brachte es 2012 bereits auf den Begriff „Niveaupflege“, um damit die damals erfolgte Beschränkung der Bewerbungs-Möglichkeiten in der „F“U zu begründen. Drittens kommen die Klagen über „Überbuchung“ aktuell ausgerechnet auch von solchen „F“U-Fächern, in denen seit Jahrzehnten eine massive Senkung der Lehrkräfte und Studien-Plätze stattfindet, deren Tendenz im Gegensatz zu anderen Fächern bisher nicht umgekehrt wurde. Weder haben Studierende etwas von Diskussionen über weniger Studierende oder Studienplätze - die in anderen Bundesländern aktuell wieder und wiederholt brachial mit massiven Kürzungen aufgelöst werden.[6] Noch haben Lehrende oder Lehrbeauftragte etwas davon. Zumal aus gutem Grund an jede geschaffene Lehrkraft bzw. jeden Lehrauftrag zwingend auch eine bestimmte Zahl an Studierenden gekoppelt ist. Und Kürzungen an Hochschulen geschehen - wie in so ziemlich jeder anderen Einrichtung - in erster Linie über Stellen-Kürzungen, zumal Stellen für Personal den mit Abstand größten Haushaltsposten darstellen. Der so genannten bundesweite „Studentenberg“ sollte weder wie immer wieder irrtümlich geschehen als „vorübergehend“ angesehen noch finanziell bewusst „untertunnelt“ werden, wie dies seit Jahrzehnten bundesweit eine fortgesetzte konservative politische Grundlinie zur Beschränkung des Hochschul-Zugangs ist. Das Recht auf Bildung ist, auch aus oft genug wiederholten historischen Gründen, eine Selbstverständlichkeit und kann auch angesichts einer nie da gewesenen volkswirtschaftlichen Produktivität und eines entsprechenden Reichtums nicht mit Blick auf die „Haushaltslage“ negiert werden. Zudem sollte es nach einer Jahrhunderte währenden Periode der Aufklärung selbstverständlich sein, die gesamte Gesellschaft auf ein höheres Bildungs- und ReflexionsNiveau zu heben, mindestens allen uneingeschränkt die Möglichkeit dazu zu geben, verbunden mit der tatsächlichen Befähigung zur gleich berechtigten Teilhabe an allen Belangen der Gesellschaft - umfassend zum Wohle der (sozialen) Gleichheit und der Demokratie verstanden. In den ver-
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gangenen Jahren wurde sich jedoch besonders gern auf fragwürdige Argumente wie „Fachkräfte-Mangel“ und die betriebs- oder bestenfalls volkswirtschaftliche Bedeutung von mehr und „besser“ qualifizierten und also „verwertbareren“ Absolvent*innen in der internationalen „Konkurrenz“ berufen, weil das argumentative Mit-dem-StromSchwimmen leichter erscheint.
Das Verwertbarkeitsargument ist ein wesentlicher Grund, warum nicht alle sonst der neoliberalen Ideologie verschriebenen Politiker_innen momentan einer Beschränkung zustimmen und warum es immer noch einen großen öffentlichen Mainstream zu Gunsten einer „Angleichung“ der deutschen Studierenden-Quote „nach oben“ hin zu anderen europäischen Ländern gibt. Zugleich wird sich immer wieder deutlich auf die so genannte „Schulden-Bremse“ bezogen, deren Wirkung in den kommenden Jahren zunehmen werde. Zur notwendigen Änderung der Politik gehört daher auch ein konsequentes Nein zur „Schulden-Bremse“ - in einem der produktivsten und reichsten Länder der Welt, in dem an Stelle einer gerechten Steuer-Gesetzgebung bspw. immer wieder versucht wird, ungerechte Kopfpauschalen-Modelle (wie Studiengebühren) zur Finanzierung selbstverständlicher öffentlicher Leistungen durchzusetzen.
Alle Kapazitäten zusammen genommen, könnte allein die BRD wahrscheinlich einer Zahl an Menschen problemlos ein Leben im Wohlstand und Bildung ermöglichen, die das Mehrfache der Gesamtzahl deutscher Staatsangehöriger ausmacht. Es ist dies nicht nur „Sozialismus“, „Kommunismus“ oder welches Schlagwort auch immer der gängigen Doktrin, die behauptet, keine zu sein, hierfür zu Rate gezogen wird. Es ist das Versprechen, das „der Westen“ so hoch trabend vor sich herträgt und sich dennoch weigert, es einzulösen, wenn es darauf ankommt. Stattdessen werden große Teile der EU und auch Teile Afrikas (hier insbesondere auch deren Nahrungs-“Märkte“) nieder „konkurriert“, zum Teil deutschen Kürzungs-Diktaten unterworfen und deren Gesellschaften zum Wohle deutscher „Konkurrenzfähigkeit“ und Machtpolitik zerstört - zur Not auch wieder vermehrt mit militärischen Mitteln. Das Ergebnis „kommt“ aktuell erwartungsgemäß und zu Recht „zu uns zurück“: Wahrscheinlich könnten sogar die refugee-“Ströme“, die es zur Zeit gibt, allein unter Aufbietung der Produktivität und
Wirtschaftskraft der BRD hinreichend versorgt werden. Fußnoten: 1
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http://www.tagesspiegel.de/wissen/ rekord-bei-studierenden-in-deutschland-so-viele-wie-nie-sind-eingeschrieben/11036878.html http://www.fu-berlin.de/sites/studwv/ Aktuelles/Endergebnis-UA-Semesterticket-2014.pdf?1416570365 http://www.fu-berlin.de/studium/ studienorganisation/immatrikulation/ statistik/daten/wise_14_15_gesamt. pdf?1418030254 Über Hochschulverträge wird geregelt, wie viel Geld bspw. die „F“U, die überwiegend vom Land Berlin finanziert wird, nach welchen Kriterien vom Land bekommt: siehe Unitopia kompakt (Januar 2014) http://www.bildungsprotestfu. net/2014/01/hartz-iv-fur-unis-alles-zuden-hochschulvertragen/ http://pardok.parlament-berlin.de/ starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/ S17-14863.pdf https://www.astafu.de/content/ die-gelegenheit-ist-g%C3%BCnstigasta-%E2%80%9Ef%E2%80%9Cur%C3%A4t-zur-einschreibungf%C3%BCrs-wintersemester Die ZVS war den Hochschulleitungen lange ein Dorn im Auge, da sie im Sinne der konservativ-neoliberal gewendeten „Autonomie“-Debatte dem Willen der Hochschulleitungen, sich mit eigenen „hochschulpatriotischen“ Königreichen abzuschotten, zudem „exzellent“ werden und sich vermehrt Studierende „aussuchen“ zu können, zuwider lief. www.bildungsstreik2014.de
Neues aus der Hochschulpolitik / Uni für Alle?!
Uni für Alle?! Chancengleichheit durch Bildung ist ein Grundsatz (neo)liberaler Politik. Durch sie soll (ökonomische) Ergebnisungleichheit in der Wettbewerbsgesellschaft legitimiert werden. Doch genau in dieser Wettbewerbsgesellschaft ist Chancengleichheit an sich schon eine Illusion. Zahllose mehr oder minder subtile Ein- und Ausschlussmechanismen beeinflussen die Zugangschancen für jede*n Einzelne*n zur Universität ebenso wie die Aussichten darauf, innerhalb der Institution gleichberechtigt mitzuagieren. Zahlen an sich beweisen wenig. Doch in diesem Fall liefern manche Statistiken einen interessanten Ausgangspunkt: Während fast die Hälfte aller Studierenden in der
BRD in der Statistik als weiblich geführt wird, liegt der Frauen*anteil bei Professuren nur bei gut einem Fünftel.1 77% aller Kinder aus Akademiker*innenhaushalten schaffen es selbst an die Universität - doch nur 23% jener, deren Eltern nicht studiert haben.2 Durch welche Mechanismen kommt es zu diesen Verzerrungen? Einige Annäherungsversuche findet ihr auf den nächsten Seiten. Artikel zu Themen wie akademische Sprache, Androzentrismus3 in der Wissenschaft und Inklusion von körperlich und psychisch beeinträchtigten Studierenden mussten wir leider auf spätere Ausgaben verschieben. Doch auch unter Berücksichtigung dieser
Aspekte wäre das Mosaik von In- und Exklusionsfaktoren längst nicht vollständig. Verweise 1
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https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/Hochschulen/Tabellen/ FrauenanteileAkademischeLaufbahn. html http://www.studentenwerke.de/sites/ default/files/04_20-SE-Infobroschuere. pdf Da ist sie, die akademische Sprache: Androzentrismus ist laut Duden eine „das Männliche, den Mann ins Zentrum des Denkens stellende Anschauung“.
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Unitopia #4
1 Als Studierende befinden wir uns in einer exklusiven Situation, da ● wir die Möglichkeit haben, an Prozessen der Wissensproduktion betei-
ligt zu sein und somit im akademischen Diskurs eine Stimme haben. Wissen ist eng mit Macht verflochten: Es bedarf des Ortes der Universität, um Wissen den Anstrich einer Objektivität zu verleihen. Wissen muss in bestehenden Machtverhältnissen zu einem solchen erklärt werden. Auf der anderen Seite bedeutet über Wissen zu bestimmen, Macht für sich zu beanspruchen. Macht wirkt durch Wissen. An einer Universität zu studieren bedeutet, Privilegien zu genießen. Selten sind diese Studierenden bewusst, noch seltener, was sie mit den ausschließenden Mechanismen der Lehranstalt zu tun haben. Als Eingeschlossene können sie sich nicht erfahrbar machen, was es bedeutet, von der institutionalisierten Wissensherstellung in Form der Universität ausgeschlossen zu sein.
2 Eigenbezeichnung ● Über die Autor_innen 3 Oder wäre es passender zu schreiben „die keine rassistische Diskri● minierung erfahren“? Die obige Formulierung scheint anzudeuten, dass
wir nie mit Rassismus in Berührung gekommen sind. Es ist uns jedoch im Gegenteil wichtig, hervorzuheben, dass wir als Weiße Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft (Wir verwenden Weiß und Schwarz nicht im Sinne natürlicher Eigenschaften, sondern als konstruierte Kategorien, die reale gesellschaftliche (Macht-)Wirkungen besitzen.) Teil rassistisch diskriminierender Strukturen sind und nie wissen können, wie es ist, Rassismus zu erfahren und es uns auch nicht möglich sein wird, diese Position zu beschreiben. Wir übersehen – ob gewollt oder nicht - die rassistischen Gebilde, die wir selbst stützen, halten diese fest und tragen so zu ihrer Stabilität bei, auch wenn wir andere Menschen vermeintlich nicht aktiv rassistisch angreifen. Beispiele für strukturellen Rassismus lassen sich in vielen gesellschaftlichen Ebenen finden, unter anderem auf dem Wohnungsmarkt. Hier haben Menschen, die von dem_der Vermieter_in als „nicht deutsch“ eingeordnet werden, tendenziell weniger Chancen, die Wohnung zu bekommen.
4 Als Mitglieder dieser Gruppe wurden wir auch gefragt, ob ● wir einen Beitrag zu der Unitopia-Ausgabe „Uni für alle?!“ ver-
fassen möchten. Antwort: Ja! Daraufhin stellten wir uns die obligatorische Frage, was wir denn genau schreiben wollen. Aber wie kommen wir eigentlich dazu, uns das Recht zu nehmen als Eingeschlossene über Ausschließung zu schreiben? Und was bedeutet sich das Recht nehmen? Heißt das nicht auch jemandem ein Recht wegzunehmen? Was machen wir jetzt mit der Möglichkeit einen Beitrag zu schreiben, in welchem wir unsere eigene Rolle problematisieren wollen, aber allein das Schreiben des Beitrags durch uns schon problematisch ist? Reproduzieren wir dadurch nicht vielmehr die zu problematisierenden Strukturen anstatt sie aufzubrechen und den Diskurs zu öffnen? Bedeutet jedoch eine Nicht-Auseinandersetzung mit dem Thema nicht auch wieder das Ignorieren der eigenen Privilegien und der damit verbundenen Verantwortung für Diskriminierung?
5 Was sind Inhalte der Hochschulveranstaltungen und wie werden diese festgelegt? ● Häufig sind nicht thematisierte Inhalte solche, die einen Anstoß für eine kritische
Auseinandersetzung mit aktuellen sowie historischen Machtverhältnissen liefern würden. Hierzu zählen beispielsweise Strukturen, innerhalb derer in der Kolonialzeit Wissen produziert wurde, welches dann Unterdrückung, Ausbeutung und Mord legitimierte. Unmöglich wird so auch die kritische Reflexion von Wissensproduktion und Machtverhältnissen, geschaffen unter anderem aus solchen historischen Strukturen, die heute nachwirken und gerade durch die Nicht-Thematisierung reproduziert werden. Beispielsweise wurde in dem Seminar „Genozid. Ursachen, Verlauf, Auswegmöglichkeiten“, angeboten in diesem Wintersemester 2014/15 am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft (ansässig in den Gebäuden des ehemaligen „Kaiser-WilhelmInstitut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“ in welchem u.a. für KZ-„Arzt“ Josef Mengele geforscht wurde), darüber abgestimmt, ob der 1904 von deutschen Außenpolitikern verübte Völkermord an den Herero und Nama (heutiges Namibia) thematisiert wird. Die Mehrheit der Teilnehmenden sprach sich dagegen aus. Auch wenn allein die Thematisierung deutscher Verbrechen wie der Kolonialherrschaft nicht ausreicht, wird durch das Ignorieren dieser schon von Vornherein jegliche (Selbst-)Reflexion unmöglich gemacht.
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Die Autor_innen dieses Textes sind Studierende1 der Freien2 Universität Berlin, die keine Erfahrung mit Flucht oder Rassismus haben3. Sie studieren im 1. und 3. Semester und engagieren sich politisch im „Refugee-Unistreikkomitee“4. Innerhalb dieser Gruppe unterstützen sie geflüchtete Menschen in ihrer Forderung nach grundlegenden sozialen und politischen Rechten, die für Menschen mit einer deutschen Staatsbürgerschaft wie selbstverständlich gelten. Die Autor_innen besuchen verschiedene Kurse5 bei promovierten bzw. habilitierten Wissenschaftler_innen6, in denen sie sich im nächsten oder weitesten Sinne mit Flucht und Migration auseinandersetzen. Im Rahmen des Themas „Uni für alle!?“ wollen sie die Strukturmechanismen7 des akademischen Diskurses8 beleuchten, möchten herausarbeiten, wer Zugang zu diesem hat9 und wie derselbe in realen gesellschaftlichen Zusammenhängen wirkt10. Außerdem geht es darum, Handlungsmöglichkeiten für Studierende aufzuzeigen.11 Camila von Hein, Casimir Hesse, David Kuhn, Klara Nagel
Das Refugee-Unistreikkomitee freut sich über Unterstützung. Ihr erreicht die Gruppe per E-Mail an offenesstreikkomiteefu@ lists.riseup.net oder unter facebook.com/refugeestreikfu
6 Wer darf eigentlich Wissen vermitteln? Kann ein Weißer deutscher ● Wissenschaftler über den Kolonialismus wie über ein historisches Ob-
jekt reden, ohne seine Position, das akademische Umfeld in dem er arbeitet, die Literaturquellen, die er benutzt, kritisch in Hinblick auf deutsche Kolonialverbrechen zu reflektieren? Diese Frage gilt selbstverständlich nicht nur für Lehrende, sondern wir als Studierende müssen sie uns auch selbst stellen. Exemplarisch dafür ist folgendes Geschehnis. Der an der FU Berlin dozierende Weiße Ulrich van der Heyden, ein selbsternannter Kolonialhistoriker, setzte sich 2006 gegen die Anstellung des Schwarzen Diplompolitologen Yonas Endrias am Otto-Suhr-Institut ein. Zwei Jahre zuvor hatte Endrias van der Heydens Behauptung, den Hofmohren am deutschen Kaiserhof sei es besser gegangen als der arbeitenden deutschen Bevölkerung, begründet mit der Tatsache, dass die Sklav_innen am Hof goldene Halsbänder trugen, als rassistisch bezeichnet. Daraufhin versuchte van der Heyden mit einer erfolglosen Klage zu antworten.
Quelle: Joshua Kwesi Aikens, Chandra-Milena Danielzik, Matti Steinitz: Wie weiß ist der Elfenbeinturm? In: HUch!, Sonderausgabe Wintersemester 2008/2009
Uni für Alle?!
9 Gäbe es noch Universitäten, wenn alle Men● schen, die möchten, darin studieren und lehren
könnten? Warum gibt es Stufen auf der Zugangsleiter, die manche Menschen faktisch nicht erklimmen können (sollen)? Beispiel einer unüberwindbaren Stufe: Uni-Assist (siehe „Unitopia kompakt“, Ausgabe Januar 2015 – Artikel online: http://www. bildungsprotestfu.net/2014/12/uni-assist-diskriminierendes-bewerbungsverfahren-demnachst-nichtmehr/)
10 „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind ● die Achtung der Menschenwürde, Freiheit,
7 Wie funktioniert der Diskurs? Auf welche Art und Weise wer● den Inhalte weitergegeben?
Im akademischen Diskurs wird eine kritische Reflexion der eigenen Rolle durch die vorgeschriebenen und ungeschriebenen (Verhaltens-)Regeln oft vermieden. Meistens ist nur eine bereits im Vorfeld angedachte Diskussion zulässig, genauso wie der Raum für Rückfragen sich hauptsächlich auf konkrete Inhalte beschränken soll, was die Infragestellung von Grundsätzlichkeiten beinahe unmöglich macht. Als in der Vorlesung am 11.11.2014 zum deutschen und europäischen Asylrecht, welche von der Refugee Law Clinic e.V. an der Humboldt-Universität veranstaltet wird, eine Person of Colour (Selbstbezeichnung) sich kritisch zu verwendeten Kategorien äußerte und darüber hinaus forderte, eine geplante „Exkursion“ (Definition lt. Duden: „Gruppenausflug zu wissenschaftlichen oder Bildungszwecken“) von Studierenden in das Erstaufnahmelager für Geflüchtete in Eisenhüttenstadt in Frage zu stellen, wurde ihr Anliegen abgewiesen. Bezugnehmend darauf schreibt der Vorsitzende der Refugee Law Clinic Berlin e.V. zur Konzeption der Vorlesung, „dass es des Bewusstseins bedarf, dass es das Recht in seiner bestehenden Form, Ordnung und System, zunächst ausnahmslos zu akzeptieren gilt, da für Reflexion und kritische Auseinandersetzung, nun einmal kein Raum bleibt“. Wenn die eigene Perspektive im wissenschaftlichen Betrieb nicht thematisiert wird, führt das zu ihrem verdeckten Wirken als Fußnote. Sibe Mbaraga und Jasmin Bagiane hatten nach der Sitzung am 11.11.2014 in einem offenen Brief gefordert, dass sich Studierende ihrer Rolle und besonders ihrer Motivationen in der Lehrveranstaltung bewusst werden, indem sie Weiße Denkmuster und ihre eventuelle Verflechtung in denselben reflektieren. Zur Vorlesung schrieben sie: „[Im westlichen Bildungssystem ist] das Blicken über den weißen Tellerrand [...] unzweckmäßig und erscheint deshalb nur als Hindernis.“ Aufgrund des Drucks der beiden Teilnehmenden gab es am 02.12.2014 bezüglich dieser Problematik eine außerplanmäßige Vorlesung, zu der zwei Referent_innen von Sibe Mbaraga und Jasmin Bagiane eingeladen wurden.
Quellen: http://rlc-berlin.org/wp-content/uploads/2014/02/Pers%C3%B6nlicheStellun gnahmeOffenerBrief.pdf http://isdonline.de/offener-brief-an-den-vorstand-der-refugee-law-clinic-berlin-e-vbezu%CC%88glich-der-geplanten-exkursion-nach-eisenhu%CC%88ttenstadt/
8 Wann gilt Meinung, Information, Erfahrung als Wissen? Wer ● entscheidet, welche Erkenntnisweise eine wissenschaftliche ist? Und welche Machtwirkung geht von Aussagen aus, die als Wissen bezeichnet werden? Warum dienen für viele asylpolitische Entscheidungen Studien von Wissenschaftler_innen ohne Fluchthintergrund als Grundlage? Wieso nicht die Erfahrungen von geflüchteten Menschen, von Menschen, deren Leben von diesen Entscheidungen direkt betroffen ist? Es heißt, „Beteiligte“ können nicht objektiv, wissenschaftlich über etwas reden. Aber wer ist denn unbeteiligt an Flucht, Migration und deren Ursachen? Wenn mensch sich Deutschlands Rolle in der Welt anschaut und bedenkt, dass Deutschland beispielsweise drittgrößter Waffenexporteur der Welt ist, scheinen diese Fragen notwendig zu werden. Wissen wird im akademischen Diskurs produziert, d.h. in Universitäten, auf Fachtagungen. Ob etwas die Bezeichnung „wissenschaftlich“ verdient, wird in denselben Institutionen festgelegt. Was passiert bzw. passiert nicht, wenn wir Rassismus oder Flucht im akademischen Diskurs als Forschungsobjekte behandeln? Findet dann eine tatsächliche Auseinandersetzung mit diesen Themen in uns statt, oder ist nicht gerade die Verwissenschaftlichung eher eine Abwehrreaktion, die es erlaubt, die eigene Rolle, das eigene Denken und Handeln nicht hinterfragen zu müssen?
Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“ (Rat der EU 2012: 22 Art. 2) Dies sind selbstformulierte Grundwerte der EU. Definition dieser Achtung der Menschenwürde ist als das Recht auf Leben, Unversehrtheit, das Verbot von Folter und Erniedrigung sowie das Verbot von Sklaverei festgehalten worden. Blickt man auf die EU-Agentur Frontex und ihre Handlungsweisen, müsste sich mensch jedoch eigentlich fragen, wie deren an EU-Richtlinien orientierten Verbrechen in Einklang mit den oben formulierten Grundwerten der EU zu bringen sind. Frontex wurde am 26.10.2004 durch den Europäischen Rat ins Leben gerufen und mit der Aufgabe des europäischen „Grenzschutzes“ betraut. Mittlerweile ist sie zu einer weitestgehend eigenständigen Agentur der EU geworden, mit eigenem, bewaffnetem Vollzugspersonal sowie der Befugnis zu „Selbstinitiativen für gemeinsame Aktionen und Pilotprojekte“, wie das Europäische Parlament und der Europäische Rat 2011 festlegten. Frontex sammelt Daten und führt verschiedene Operationen durch, beispielsweise Push-Backs an der europäischen Seegrenze. Solche Push-Backs bezeichnen das Verhindern des Einlaufens von Booten mit Geflüchteten in europäische Gewässer, dabei werden diese Boote von „Grenzschützer_innen“ abgedrängt. Menschenrechtsorganisationen stellten bei solchen Aktionen häufig Misshandlungen der Geflüchteten fest, denen zunächst persönliche Besitztümer wie Pässe und Handys aber auch Benzin für den Bootsmotor oder Nahrungsmittel abgenommen wurden. Die Vorarbeit wird von Forscher_innen geleistet, die allein schon durch ihren gesellschaftlichen Status mit ihren Studien Objektivitäts- und Wahrheitsanspruch erheben können. Diese Studien sind zu Themen, wie die angeblich starke Beteiligung von Migrant_innen an Verbrechen wie Raub, Mord oder Vergewaltigung. Es sind Studien, die behaupten, Drogenhandel gehe primär von Migrant_innen aus und Viertel, in denen sich viele Migrant_innen niederlassen seien besonders gefährlich. Gefährlich an diesen Studien ist vor Allem die Konstruktion einer vermeintlich homogenen „migrantischen Identität“, die in einem Zuge nun noch mit negativen Attributen wie Kriminalität versehen wird. Im Gegensatz zu dieser „migrantischen Identität“ ist es nun möglich eine „europäische Leitkultur“ zu erschaffen, die sich in allem das positive Gegenteil dieser bilden kann. Zusätzlich wird von einem „Ansturm“ gesprochen, von „Asylanten- und Flüchtlingsströmen“, die vorhandene Kapazitäten weitaus übersteigen würden. Da nun durch die Arbeiten dieser Forscher_innen das Bild einer physischen Bedrohung durch mehrheitlich „kriminelle Asylsuchende“ – die europäische Leitkultur gefährdend und Sozialsysteme sowie Arbeitsmarkt durch ihre schiere Masse überfordernd – konstruiert wurde, ist es der EU möglich, das Selbstbild einer geeinten und gleichzeitig überlegenen sowie bedrohten Gruppe zu erzeugen, die Maßnahmen wie Push-Backs als angemessen und notwendig zum Schutz der EU erscheinen lassen kann. Die Produktion von Wissen, wie an der Uni praktiziert, hat also konkrete Auswirkungen auf Menschen, die selbst keine Möglichkeit haben, diese zu beeinflussen.
Quelle: Tanja Gäbelein: Zwischen Grundwerten und Push BackBeschlüssen: Othering im aktuellen Legitimationsdiskurs zur Grenzschutzpolitik der Europäischen Union. Unveröffentlicht, pdf auf Anfrage.
11 „This fight needs the students in universities to ● take part and stand beside refugees in their struggle for the right to education.” Adam Bahar, siehe Artikel in diesem Heft
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Unitopia #4
Stand up for the right to education for refugees: Education not isolation
In Europe, Article 2 of the first Protocol (20 March 1952) to the European Convention on Human Rights states that the right to education is recognized as a human right and is understood to establish an entitlement to education. 3 According to the ICESCR, the right to education includes the right to free, compulsory primary education for all, an obligation to develop secondary education accessible to all in particular by the progressive introduction of free secondary education, as well as an obligation to develop equitable access to higher education in particular by the progressive introduction of free higher education. 2 The right to education also includes a responsibility to provide basic education for individuals who have not completed primary education. In addition to these provisions on access to education, the right to education also encompasses the obligation to eliminate discrimination at all levels of the educational system, to set minimum standards and to improve quality. The European Court of Human Rights in Strasbourg has applied this norm, for example, in the Belgian Linguistic Case 4. Article 10 of the European Social Charter guarantees the right to vocational education. 5 But what about the reality of life in Germany and the situation of refugees, for example? Germany does not give refugees the right to learn the basics of the German language but uses a system of isolation and thus - this is clear - acts not according to the human rights and EU law. Refugees are forced to exist under law that puts them in isolation. They don‘t have access to basic education (German language learning) while at the same time we can see that these refugees come from a political background, and that means they had
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access to education in the country they came from. There‘s the story of one refugee who studied in a university in Sudan but in Germany he can‘t get access to language courses because he does not have residency status yet after more than 2 years in the country!
„Conditions for access to vocational training are identical to the conditions for access to the labour market in general. Therefore access to vocational training is severely restricted for asylum-seekers, especially because of the „priority review“, according to which asylum-seekers are able to access training only if no applicant with a better residential status has applied for that same spot. In addition, the fact that asylum-seeker‘s residence permits are issued for a six-month-period frequently renders it impossible to enter vocational training at all. Training contracts usually have to be concluded for a duration of two or three years. Hence there is a considerable risk that a vocational training cannot be completed if the asylum application is rejected.“ 6 On that level, we are part of the refugee strike in Berlin. We have this in our demands we have been fighting for for more than 2 years: We‘ve included the right to study as one of main demands along with the end of all kinds of deportation and the abolishment of the lager system, which plays a big role regarding the isolation of refugees (away from the cities), so we can get at least the chance of education in solidarity. And we think that the university can help to
give refugees more access too, by opening more doors for them. Also all the students can show practical solidarity for refugees by organizing at least more German classes for refugees inside the universities in their free time . We have those rights by all kinds of laws and conventions, but we have to fight to get them in our hands, as well as other rights Germany does not grant us only because we are refugees! This fight needs the students in universities to take part and stand beside refugees in their struggle for the right to education. Adam Bahar Refugee activist from Oranienplatz Refugee Strike Berlin 1
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http://www.un.org/en/documents/ udhr/ http://www.ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/CESCR.aspx http://www.conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/009.htm This refers to a 1968 court case in which the education-related sections of the European Convention of Human Rights were influentially interpreted by the European Court of Human Rights: https:// en.wikipedia.org/wiki/Belgian_Linguistic_Case_%28No._2%29 http://conventions.coe.int/Treaty/en/ Treaties/Html/035.htm http://www.asylumineurope.org/ reports/country/germany/receptionconditions/employment-education/ access-education
CC: BY-SA by Montecruz Foto
The right to education is reflected in international law in Article 26 of the Universal Declaration of Human Rights 1 and Articles 13 and 14 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR) 2. It is a human right, but what about this right in the EU? We can also clearly see it in European law.
Uni für Alle?!
Stimmengewirr Nach ein paar Monaten Knechten in der Ausbildungsstätte war das mehr als selbstverständlich... - Andrei D., Promotionsstudent
Total selbstverständlich, die Frage war immer nur was. - Abiturient
Für mich als Arbeiterkind war es allles andere als selbstverständlich zu studieren, eher ungewöhnlich. Ich war ein Kind des 2. Bildungswegs und hatte das Glück als Nachhut der 68er von den Öffnungen der Bildungssysteme und der Unterstützung durch BaföG zu profitieren. - Karin
Ich war ein mal in einer Uni-Bibliothek, habe also bisher noch nie studiert. Wer es als selbstverständlich erachtet, zur Uni gehen zu dürfen, hat den Arsch offen. - Steven Mangold, Salatgenießer & Internetkoryphäe
Wie selbstverständlich ist/war es für dich zur Uni zu gehen?
War überhaupt nicht selbstverständlich. Wie ich in der neunten war, wollt ich nach der zehnten aufhören und ne Lehre machen. Und wie ich in der zehnten war, hab ich gedacht, na gut, kannst du‘s abi auch noch machen und dann die ausbildung. Und wie ich in der dreizehnten war, hab ich gedacht, na gut könnst ja auch studieren. aber auf keinen fall chemie, weil da muss man ja nen doktor machen. - Ingenieur, 52
One muss schon in einer etwas privilegierten Situation sein um das nicht zu müssen, also irgendeine andere sichere Einkommensquelle haben. Ohne Studienabschluss nen relativ guten Job zu bekommen ist nicht einfach und braucht Glück. Aber politisch wirklich aktiv sein und gleichzeitig Vollzeitstudierend sein ist eh nicht möglich. Da mich Hausaufgaben, Klausuren und Anwesenheitspflicht nerven und ich eh lieber Dinge dann lerne wenn sie mich interessieren hab ich das mit der Uni sein lassen. Bei Bedarf gucke ich mir MOOCs an... also online-Kurse, und kann dann spezifisch das lernen was mich interessiert, zb was ich in meine Programmier-Projekte einfließen lassen will“ - Plys oder Katzen-Ente
Normalerweise wäre es wegen meiner Leistungen selbstverständlich gewesen, aufgrund politischer Verfolgung in der DDR jedoch nicht. Ich habe dann an der Kirchlichen Hochschule studiert, das Studium jedoch abgebrochen, weil es mir zu theoretisch war.“ - Möbelrestaurator, 47 Jahre alt
Da ich aus einem klassischen West- Mittelstands- Akademiker- Haushalt mit ziemlich elitärer Erziehung komme, war es eher eine jugendliche Abgrenzungshandlung, nicht direkt nach dem Abi zur Uni zu gehen, sondern zur Hebammenschule. Dass ich jetzt noch Medizin studiere (mit 41 Jahren), hätte ich damals nicht gedacht. Heute ärgere ich mich darüber, dass ich damals so trotzig war. - Medizinstudentin, 41
Stand immer außer Frage. Akademikerkind - geht an die Lateinschule, macht Abi, studiert, ich habe mir nie andere Gedanken gemacht und meine Schwester, die zunächst nicht studieren wollte, nicht verstanden. Habe das erste Mal mit 26, nach 10 Semestern Studium und Sinnkrise bezüglich des gewählten Berufs, in der Situation als junge Mutter mit Aussteigerideen auf dem Land, Gedanken darüber gemacht, ob ein handwerklicher Beruf als Alternative für mich in Frage käme. Habe dann aber vielmehr ein 2. Studium und Dissertationsprojekt angeschlossen- bin wohl durch und durch ein Universitätstyp, für die es nie eine wirkliche Alternative dazu gab. - Alma Mater Idealis
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Unitopia #4
My life, my choice Trans*-Menschen in einer cis-normativen Welt Einx Berliner Professx wird von Menschen die Zurechnungsfähigkeit abgesprochen, weil x probeweise eine geschlechtsneutrale Ansprache für sich erbittet. X macht so in der Praxis am eigenen Beispiel mit der Gleichbehandlung tatsächlich Ernst - ohne dabei einen Absolutheitsanspruch zu vertreten. Ein einziger Buchstabe als minimales „Experiment“ genügt als Vorlage für einen beispiellosen Shitstorm gegen x. Berliner Hochschulleitungen sehen sich genötigt, sich zu positionieren. Ein altersmäßig voll in der Pubertät befindliches Mädchen in den USA begeht Selbstmord, weil ihr das Leben ihrer selbst gewählten Identität als Mädchen verboten wird. Viele bekunden im Internet Trauer und Anteilnahme, zeigen ihren Respekt vor dem Kind und sprechen von „ihr“. Andere Internetkommentator*innen greifen aktiv in die Debatte und auch die Beileidsbekundungen ein, beschuldigen das Kind und beharren aktiv und konsequent darauf, von dem Kind als „er“ statt „sie“ zu sprechen, da „er“ mit einem entsprechenden „Geschlecht“ auf die Welt gekommen sei - von „Gott“ so „geschaffen“ und „gewollt“. Die Eltern hätten richtig gehandelt, indem sie den Wunsch ihres Kindes nicht ernst genommen, es nicht ermutigt hätten, sondern es sozial komplett isolierten und durch „Umerziehung“ von ihrem „Irr-
weg“ und ihrer „Krankheit“ abbringen wollten. Noch im öffentlichen Nachrufen für das Kind wird sich darum gestritten, es bei seinem „männlichen“ oder „weiblichen“ Namen zu nennen.
Der Fall Alex wird 2012 in Berlin bekannt, in dem gleichfalls ein Mädchen bis kurz vor der Pubertät gemäß seinem so empfundenen Geschlecht lebt. Von seiner ganzen Klasse und Schule respektiert, doch schließlich mit der Folge eines Teils gerichtlich ausgetragenen Sorgerechts-Streits von Eltern und Jugendamt, einer auflebenden Debatte über Trans*-Menschen, medizinisch-psychologische Bewertungen sowie darüber, welche „Pubertät“ ein Kind durchleben sollte und wer dies auf welcher Grundlage entscheiden sollte.
Ein international als „androgyn“ bekanntes Model erregt große Aufmerksamkeit, als es sich 2014 schließlich für die Transition zur Frau* entscheidet, und lebt als aktives und positives Vorbild für Andere, fortan begleitet in den sozialen Medien. Doch viele Stereotypen werden auch bei ihr weiterhin angewandt. Etwa: Eine Frau ohne Brüste? Das kann keine Frau sein, „muss“ jedenfalls lächerlich wirken. Zugleich „konzedieren“ ihr sehr viele Menschen international auch auf ihrem Online-Auftritt fort laufend, min-
Offener Brief
destens so „weiblich“, mitunter gar „weiblicher“ auszusehen als viele Cis-Frauen1. Sähe sie nicht so aus, sähe die Anerkennung als „Frau“ mutmaßlich erheblich anders aus. Inzwischen wittern selbst ernannte Männerrechtlicher*innen, erzkonservative Kreise und selbst manche Uni-Gruppen Auftrieb und verbünden sich gegen „Sexualisierung der Bildung“, die „Gender-Lüge“, „Staatsfeminismus“, angebliche Unterdrückung von Männern, gegen Selbstbestimmung von Frauen* über ihren Körper und stellen erneut medienwirksam sogar das Recht auf Abtreibung plötzlich wieder zur Debatte.
Im Folgenden drucken wir mit freundlicher Genehmigung der Initiative transbashback einen Offenen Brief gegen trans*-Diskriminierung ab. Dieser Brief kann als exemplarisch für die oben angerissene Debatte gelten. Es geht darum, als selbstverständlich normal so leben zu können, wie mensch will, ohne sich dafür auch nur rechtfertigen, anstarren, bedrohen lassen zu müssen oder Schlimmeres.
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Frauen, „deren Geschlechtsidentität mit ihrem körperlichen Geschlecht übereinstimmt“: https://de.wikipedia.org/wiki/Cisgender
Gegen Trans*-Diskriminierung! Solidaritätserklärung für Lann Hornscheidt Wir leben in einer Gesellschaft, in der Geschlecht eine sehr wichtige Kategorie ist, mit der Menschen eingeteilt werden. Die Einteilung in entweder „Mann” oder „Frau” ist für viele Menschen stimmig und wird zumeist unhinterfragt als scheinbar naturgegeben hingenommen. Nicht alle Menschen finden diese Einteilung für sich stimmig. Personen, die dieser bei Geburt vorgenommenen Zuschreibung („biologisches Geschlecht”) oder den daran geknüpften Erwartungen an Mannsein und Frausein („soziales Geschlecht”/ Gender) nicht entsprechen, werden problematisiert und sind bis heute massiver Diskriminierung ausgesetzt. Die Medienhetze gegen Lann Hornscheidt verdeutlicht das Ausmaß an fehlendem Wissen, an Starrheit und Hass, mit dem in Deutschland auf Personen reagiert wird, die dem zweigeschlechtlichen Kategorisierungszwang nicht entsprechen können oder wollen.
Trans*-Diskriminierungen reichen von Angestarrtwerden, verbaler Gewalt durch Beschimpfungen und Drohungen über das Ausblenden der eigenen Lebensrealität im öffentlichen Diskurs – in Medien, in der Gesetzgebung und dem Bildungssystem – bis hin zu körperlicher/ sexualisierter Gewalt oder sogar Mord.
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Uni für Alle?!
Lann Hornscheidt forderte auf der eigenen Homepage für sich eine Ansprache ohne Geschlechtszuweisung – also beispielsweise mit der x-Form: „Profx” statt „Professor” oder „Professorin”, „x” statt „seiner” oder „ihrer”. Was darauf folgte, war eine massive Medienhetze in Zeitungen ebenso wie im Web2.0, die von neurechten bis in die sogenannten bürgerlichen Medienorgane reichte. Ein beliebtes argumentatives Muster, das medial immer wieder und so auch hier Verwendung findet, wenn es um den Umgang mit von Diskriminierung betroffenen Personengruppen geht, ist das der „Neutralisierung” oder „Umkehrung”. Wissenschaft, Schulbildung oder Sprache werden dabei als grundsätzlich neutral, objektiv und frei von Macht und Interessen dargestellt, während Emanzipationsbestrebungen in diesen Feldern als Machtanspruch übermächtiger Interessensgruppen interpretiert werden. In dieser Argumentationskette ist etwa die Rede von einem übermächtigen Staatsfeminismus, von Kadern oder von Homosexuellenlobby. Die Personengruppe, die von Zweigenderung und Heteronormativität profitiert und deren Risiko, Diskriminierung und Gewalt zu erfahren, am geringsten ist, inszeniert sich auf diese Weise als Minderheit und stellt sich als Opfer dar. Lann Hornscheidt hat bei der sprachlichen Anwendung der x-Form keine allgemeingültigen Regeln aufgestellt. Es ging Lann Hornscheidt lediglich um die Selbstdefinition, das Recht sich selbst nicht in Zweigeschlechtlichkeit einordnen zu müssen und dafür Worte und Formen zu finden.
Auch die Broschüre der AG feministisch SprachHandeln will lediglich Vorschläge aufbringen, und Leute zum Nachdenken einladen. Doch selbst diese leise Intervention führt zu lauten Reaktionen, zu Niederbrüllen und Hass. Diskriminierungen beginnen bereits bei der zweigeschlechtlichen Zwangszuordnung von Neugeborenen in entweder männlich oder weiblich. In diesem Zusammenhang werden in Deutschland immer noch semi-legale körperliche Zwangseingriffe inklusive Operationen zur „Geschlechtsvereindeutigung” an intersexuellen Neugeborenen durchgeführt. Die offizielle Nicht-Anerkennung, Verwerfung und Pathologisierung von Menschen, die der Zweigeschlechtlichkeit nicht entsprechen, wird insbesondere durch zweigeschlechtliche Staatsbürger/ innenschaftsnormen und ihre institutionalisierte Durchsetzung in allen Lebensbereichen und öffentlichen Diskursen (Kita, Schule, Ausbildung, Forschung, Sozial- und Gesundheitswesen, Medien etc.) ermöglicht. Diese Normen schließen Menschen jenseits der Zweigeschlechternorm strukturell aus. Diskriminierung und Gewalt gegen Trans*- und Interpersonen und auch gegen Queers, Lesben und Schwule sind Alltag. Diesbezügliche Verbesserungen mussten immer mühsam und gegen harte Widerstände erkämpft werden: Beispielsweise dass Frauen eine Hochschule besuchen dürfen und wahlberechtigt sind. Oder dass „homosexuelle Handlungen” nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Das deutsche Transsexuellengesetz ermöglicht bestimmten Trans-Menschen, ihren Vornamen oder rechtlichen Personenstand zu ändern, schließt jedoch viele, die sich nicht „gegengeschlechtlich” identifizieren oder sich nicht der geforderten psychiatrischen Zwangsbegutachtung samt Diagnose „Transsexualismus” unterwerfen wollen oder können, von Vornamens- oder Personenstandsänderung aus. Bis 2011 mussten sich Trans-Menschen für die rechtliche Personenstandsänderung in Deutschland zwangssterilisieren lassen, was eine fundamentale Menschenrechtsverletzung auf körperliche Unversehrtheit und Recht auf Familie darstellte.
Die stattfindende äußerst gewaltvolle, transfeindliche und heterosexistische Medienhetze gegen Lann Hornscheidt kann nicht losgelöst von der staatlichen, institutionellen, kulturellen und alltagsweltlichen Diskriminierung von Trans*-, genderqueeren und Inter-Menschen betrachtet werden. Diese Hetze reiht sich ein in eine Kontinuität von entmenschlichenden Darstellungen und Hasssprache gegen Trans- und gender-variante Personen. Diese Menschen werden als psychisch krank und „abnormal” in den deutschen Medien und Universitäten dargestellt.
Bei der aktuellen Diskussion geht es fraglos um mehr als um eine spezifische Sprachform: Es geht um die Anerkennung von Menschen, die jenseits, zwischen, außerhalb der normativen Cis-Zweigeschlechtlichkeit leben. Wir solidarisieren uns mit Lann Hornscheidt und allen anderen, die von struktureller Trans-Diskriminierung und Gewalt betroffen sind!
Wir schließen uns zusammen gegen Entmenschlichungen, Demütigungen, Hetze und Gewalt gegen Menschen, die sich außerhalb der (hetero)normativen Zweigeschlechtlichkeit definieren! Wir solidarisieren uns mit kritischen Wissenschaftler_innen, die gegen Trans-Diskriminierung, Heterosexismus und andere Herrschaftsverhältnisse Gesicht zeigen und die von anti-feministischer und/oder rechter Seite bedroht wurden oder werden!
Mitzeichnen
Der Offene Brief stammt von der Gruppe trans*bashback und kann auf der Hompage http://transbashback.wordpress.com mitgezeichnet werden.
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Unitopia #4
Stipendien als Ein- und Ausschlussmechanismus Wer studiert, braucht Geld. Manche*r bekommt es von den Eltern, andere arbeiten, viele beziehen Bafög. Ein weiterer Weg, das eigene Studium zu finanzieren, ist ein Begabtenstipendium. Stipendium, das klingt erstmal gut. Geld zu bekommen, das nicht zurückgezahlt werden muss - wer würde da schon nein sagen!
Aber wie bekommt mensch ein Stipendium? Wer hat eine Chance? Bei den meisten Stiftungen können sich Studierende bewerben. Wichtig sind vor allem gute Noten, aber auch vielseitige Interessen und gesellschaftliches Engagement - leider in vielen Stiftungen nur nachweisbares Engagement in Vereinen.
Die Stiftungen sollen alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen repräsentieren - ein hoch gestecktes Ziel, die Frage ist jedoch, ob sich jede*r einer solchen Gruppe zuordnen kann und möchte. Neben den parteinahen und den konfessionellen Stiftungen gibt es die „Stiftung der deutschen Wirtschaft“, die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung, die gewerkschaftsnah ist, das „Deutschlandstipendium“ und die besonders exklusive „Studienstiftung des deutschen Volkes“.1 Die Studienstiftung stellt sich selbst als neutral gegenüber allen politischen und religiösen Gesinnungen dar. Bei einer Sommerakademie 2014 wurde jedoch ein Grußwort von Angela Merkel verlesen und ein Gruppenfoto für sie gemacht. Ob dies für eine „parteiunabhängige“ Stiftung angemessen ist, sei dahingestellt. Auswahlverfahren
Die Studienstiftung nimmt auch in Bezug auf das Auswahlverfahren eine Sonderrolle ein. Bei den meisten Stiftungen ist der erste Schritt das Einsenden der Bewerbungsunterlagen. Bei der Studienstiftung muss mensch jedoch bereits vorher beweisen, dass er/sie geeignet ist. Das geschieht meist dadurch, dass Gymnasiallehrer*innen oder Universitätsprofessor*innen Studierende/ Schüler*innen mit guten Noten vorschlagen. Ein anderer Weg als Schüler*In ist ein guter Platz bei Wettbewerben wie Matheolympiaden oder dem Bundeswettbewerb
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Fremdsprachen. Seit kurzem gibt es auch einen (kostenpflichtigen) Intelligenztest für Studierende, die sich selbst für geeignet halten.
Danach geht es weiter, wie bei allen Stiftungen: Bewerbungsunterlagen einsenden, dann kommt eine Einladung zu einem oder zwei Auswahlgesprächen oder -Seminaren, und schließlich meistens eine Ablehnung oder eine Zusage. Was bekommen Stipendiat*innen?
Die finanzielle Förderung besteht aus dem nach Bafög-Richtlinien berechneten Betrag und zusätzlichen 300 Euro pro Monat. Der Vorteil von Stipendiat*Innen ist, dass sie im Gegensatz zu Bafög-Teildarlehen ihr Stipendium nicht zurückzahlen müssen. Aber das Geld ist nicht alles: alle Stiftungen bieten Beratungen zum Studium an, sie unterstützen bei Auslandsaufenthalten und sie veranstalten Seminare und Sprachkurse für Stipendiat*innen. Es gibt Monatstreffen und gemeinsame Museumsbesuche. Dies alles wird als „ideelle Förderung“ verstanden. Woher kommt das Geld?
Stipendien werden aus Steuergeldern finanziert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert die Stipendien für begabte Studierende und Promovierende. Die Begabtenförderungswerke werden als Mittlerorganisationen tätig. 1
Im Jahr 2013 erhielten 25.908 Studierende und 4.421 Promovierende ein Stipendium. Dafür standen 198.800.000 Euro zur Verfügung. Im Gegensatz dazu gab es rund 666.000 studierende BafögEmpfanger*innen.2 Bafög und Stipendien werden also beide vom BMBF finanziert. Der Unterschied liegt bei der Verteilung. Bafög muss außerdem bei entsprechendem Einkommen nach dem Studium zu 50% zurückgezahlt werden. Bewertung
Was bewirkt diese Zweiteilung der Förderung? Stipendiat*innen erhalten mehr Chancen, sie können auf Seminaren Kontakte knüpfen und zusätzliche Qualifikationen erwerben, die sie später bei Be-
werbungen mit einem Vorteil ausstatten. Stipendien sind demnach Elitenförderung aus zwei Gesichtspunkten: Sie führen zu der Entwicklung einer Bildungselite und bestärken gleichzeitig die bestehende. In einer Studie von 2008 war bei 50,2 % der Stipendiat*innen der soziale Status der Eltern „hoch“, bei nur 9,3% der Stipendiat*innen „niedrig“. 3
Statt also Chancen für alle zu schaffen, verstärken und bestärken die Stipendien die Kluft zwischen der „Bildungselite“ und anderen Studierenden. Stipendiat*innen müssen sich keine Sorgen um die künftige Rückzahlung machen. Die Stipendien wirken dem Bafög sozusagen entgegen: Bafög soll es jedem/jeder ermöglichen, ungeachtet der jeweiligen sozialen Herkunft und finanziellen Situation zu studieren. Geld, das in die Bafög-Kasse fließt, wird zumindest im Grundsatz nach dem Bedarfsprinzip verteilt. Geld, das in Stipendienkassen fließt, kann nicht für die Verbesserung des BafögPrinzips verwendet werden. Es kann nicht verwendet werden, um die Rückzahlungspflicht von Bafög zu verringern. Es kann nicht Menschen die Angst vorm Studieren nehmen, für die ein Studium nicht selbstverständlich ist.
Damit die Uni wirklich allen offensteht, sollte das Prinzip der Begabtenförderung durch Förderung für alle ersetzt werden. Jede*r sollte studieren dürfen, ohne sich dabei Sorgen um seine oder ihre Finanzen zu machen. Denn finanzielle Sorgen hindern an der Konzentration auf das Studium. Somit können viele Studierende sich nicht so der Uni widmen, wie sie es gerne würden. Bafög sollte möglichst ohne Rückzahlung funktionieren. Zusätzliche Sprachkurse, Akademien und Seminare sollte für alle Interessierten offen sein und nicht nur für die stiftungsgeförderte Elite. Nur so ist gleichberechtigtes Studieren möglich. Quellen: 1
http://www.bmbf.de/de/294.php
2
http://tinyurl.com/StudFinanz
3
http://www.dzhw.eu/pdf/21/Begabte-Bericht.pdf (Statistik über die soziale Herkunft von Studierenden, S. 159-160)
Uni für Alle?!
Obdachlosenuni: „Total viel Lebenserfahrung“
Interview mit Johannes, engagiert in der Obdachlosen-Uni und verantwortlich für den Standort Obdachlosenheim Lübecker StraSSe (Moabit). Unitopia: Du engagierst dich bei der Obdachlosen-uni. Was ist das für ein Projekt?
Johannes: Ausgangspunkt der Obdachlosen-uni ist, dass Obdachlose, die meist eine Ausbildung haben und auch total viel Lebenserfahrung, in der Öffentlichkeit eher so als „die Stinker aus der UBahn“ wahrgenommen werden, die nichts drauf haben. Das stimmt aber nicht. Sie haben oft viel Wissen und viele Fähigkeiten und wollen und können das weitergeben. Es gab aber keine Schule oder Universität für Obdachlose, zumindest nicht in Deutschland. 2012 hat Maik, der Hauptakteur, die Obdachlosenuni ins Leben gerufen. Das begann mit einer Umfrage1 : Was können Obdachlose? Was wollen sie lernen? Die Idee ist, dass Obdachlose eine Struktur bekommen; also einen Raum, wo sie nicht nur als Lernende, sondern auch als Lehrende auftreten können.
Unitopia: Wie ist die Obdachlosenuni strukturiert? Johannes: Es gibt ein kleines Team von Engagierten. Wir machen das ehrenamtlich, aus Spaß und Überzeugung. Wir sind so 4-6 Leute, die sich darum kümmern, dass etwas passiert, die Pressearbeit machen und neue Obdachlosenheime ansprechen. Wir bieten auch an, vorbeizukommen. Das Ganze ist also auch ein mobiles Konzept. Und wenn die Heimleitungen zustimmen, treffen wir uns mit den Obdachlosen und fragen: Was wollt und könnt ihr denn so? Und daraus wird dann ein Programm gemacht. Unitopia: Wer macht mit?
Johannes: Das kann ich nur aus der Perspektive des Obdachlosenheims in Moabit (Lübecker Str. 6) sagen. Wir haben uns mit den Obdachlosen getroffen und die zentrale Frage war, was sie machen wollten. Und da waren dann Spielenachmittage dabei, aber auch eine Ausstellung über die Geschichte des Hauses. Das war komplett von Betroffenen organisiert, bis auf die Initialzündung.
Es kommt aber auch vor, dass Externe spannende Angebote machen, z.B. ein Prof sagt: Ich würde gerne im Rahmen der Obdachlosenuni eine Vorlesung für Obdachlose machen.
Unitopia: Die Notwendigkeit eines solchen Projektes zeigt ja auch, dass staatliche Bildungseinrichtungen wie normale Schulen und Universitäten das Bildungsbedürfnis für Obdachlose nicht abdecken und sie ausgrenzen. Wie erlebt ihr diesen Ausschluss in eurer Arbeit?
Johannes: Man könnte fragen: Warum gehen Obdachlose nicht z.B. zu Volkshochschulen. Zumal da die Preise für sie auch erschwinglich wären. Meine Erfahrung aus dem Obdachlosenheim in der Lübecker Straße ist, dass viele Obdachlose solche öffentlichen Angebote nicht wahrnehmen, da auch Berührungsängste bestehen und die Verunsicherung ganz groß ist gegenüber solchen Institutionen. Es gibt also schon Angebote, aber vielleicht ist es Scham, in jedem Fall ist es eine große Verletztheit. Die meisten Menschen haben „normale“ Biografien und irgendwann gibt es dann einen großen Bruch und da sind so viele schlechten Erfahrungen gemacht worden, soviel Enttäuschtwerden von der Welt und der Gesellschaft, dass dann auch der Kontakt zur Gesellschaft, also in diesem Fall der Volkshochschule, schwieriger ist. Die Leute nehmen ja auch kaum Angebote innerhalb der Obdachlosenheime wahr. Man muss da erst mal etwas bewegen und auch dranbleiben. Es ist nicht so, dass die Menschen sagen: Wir wollen, wir wollen, wir wollen; auch die Obdachlosenuni hat da mit einer Zurückhaltung zu kämpfen. Unitopia: Ihr arbeitet u.a. mit Studierenden der Alice-SolomonHochschule zusammen - gelingt es hier die Mauer zwischen Akademiker*innen und Obdachlosen aufzubrechen?
Johannes: Ja, aber das geht nur mit persönlichem Engagement und auch einem Willen dahinter. An diesen Spielenachmittagen habe ich gemerkt: Ja, mich interessieren auch diese Geschichten. Es ist wichtig zu sagen: Ich möchte wissen, was die Leute umtreibt, was sie können. Da wird dann der Graben oder die Mauer individuell etwas überwindbarer. In der Gesamtgesellschaft ist der Graben einfach da, den kann auch die Obdachlosen-uni nicht so schnell überwinden. Aber wenn da Leute sind - gerade solche, die es schon in die Uni „geschafft“ haben - und die Lust haben etwas mit den Obdachlosen zu machen, dann kann das auch gelingen. Unitopia: Euer Angebot ist breit, es geht von klassischen Bildungsangeboten wie Englischkursen über soziale Bildungsveranstaltungen wie gemeinsamem Plätzchenbacken, Musik und Theatergruppen bis hin zu Bibelgesprächskreisen. Wie kommt das zusammen? Nach dem Initiativprinzip?
Johannes: Es kommt von zwei Seiten. Zum einen sagen Obdachlose selbst: „Ich kann was, ich will was anbieten“, dann ist das eben im Programm. Zum anderen sagen - meistens - Studierende: „Ich biete das mal an und schaue, ob genügend Obdachlose zusammenkommen.“
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Unitopia #4
Auch wenn externe (nicht obdachlose) Referent_innen kommen, sind es meist trotzdem keine Veranstaltungen mit Vorlesungscharakter. Es geht auch dann darum, die Obdachlosen zu Wort kommen zu lassen, ihre Meinung zu hören, sodass sie etwas lernen können und eine Möglichkeit bekommen sich auszudrücken.
Unitopia: In den Projektzielen heißt es: „Obdachlose sollen eine neue Perspektive bekommen, z. B. auch als Dozent an der Obdachlosen-Uni. Ihnen soll ein neues Gefühl des GebrauchtWerdens vermittelt werden“, und: „Als Teilnehmer und Zuhörer wird der Obdachlose neue Erkenntnisse gewinnen und gegebenenfalls ein neues Hobby entwickeln bzw. angespornt sein,sich mit neuen Themenfeldern auseinanderzusetzen.“ Würdest du sagen, euer Projekt erfüllt diese Ziele? Johannes: Ich kann natürlich wieder vor allem für die OLU in der Lübecker Straße sprechen. Es ist schwer zu sagen. Ganz sicher bin ich mir nicht, wie nachhaltig das Ganze ist. Wo bleibt ein Interesse da, wo engagiert sich jemand genau aufgrund der Erfahrung oder dem Gelernten aus der OLU? Das Ausstellungsprojekt war wirklich am spannendsten. Es hat gezeigt, wie gut die Obdachlosen nach einer Initialzündung in der Lage waren sich selbst zu organisieren. In dem Fall gab es verschiedene Arbeitsgruppen: Die AG Ausstellung, die sich mit physischen Dingen wie Aufhängungen auseinandergesetzt hat; die AG Interviews, die Interviews mit ehemaligen Bewohnern des Hauses geführt hat, und eine Archivgruppe, die haben nach Informationen über das Haus gesucht. Da habe ich gemerkt, das macht ihnen auch Spaß und da bleiben sie dran und nehmen auch etwas mit. Insgesamt sind solche Initiativen total wichtig. Die OLU ist nur ein Modell, wie mensch sich den Obdachlosen annähern kann. Es wäre cool, wenn es noch mehr solcher Projekte gäbe, die auch nicht unbedingt mit Lernen zu tun haben und auch neben der OLU existieren können. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass viele Obdachlose einfach rumsitzen und es schwierig ist sie zu aktivieren. Ein Fußballverein wäre vielleicht eine Idee.
Tierversuche im S
Die Tierbefreiungsgruppe Anima Hochschulen Dass wir als Tierbefreiungsgruppe gegen Tierversuche sind, ist selbstredend. Die Gründe, gegen Tierversuche zu sein, sind sehr zahlreich und würden hier den Rahmen sprengen. Eine solche Diskussion heben wir uns für unsere kommenden Infostände und Filmabende auf. Stattdessen möchten wir hier kurz die Situation an den Berliner Hochschulen erläutern.
Berlin zählt zu den Städten mit dem höchsten „Tierverbrauch“ in Deutschland. So stand Berlin im Jahr 2013 noch an zweiter Stelle, direkt nach München und die Tendenz ist besorgniserregend steigend1. Hierbei lässt auch der Ausbau der beiden Labore des MaxDelbrück-Centrums (MDC) in Buch und der Charité in Steglitz keinen Anlass zur Freude. Das MDC ist bereits jetzt eines der größten Tierversuchslabore Deutschlands und arbeitet unter anderem mit der Freien Universität und der Humboldt Universität zusammen2. Bei der Einrichtung der Charité handelt es sich um den sogenannten Mäusebunker, der gemeinsam mit der FU betrieben wird. In diesem Gebäude, einer bedeutenden Zentraleinrichtung für Tierversuche an Nagetieren, Primaten und weiteren Arten, wurde der Betrieb zwar aufgrund von Asbestbelastungen vorübergehend gedrosselt, jedoch soll der geplante Neubau die bisherigen Kapazitäten deutlich erweitern. In beiden Einrichtungen, deren Baumaßnahmen mit über 60 Millionen Euro aus öffentlichen Geldern finanziert werden, sollen weit mehr als 100.000 Tiere ihr kurzes, aber qualvolles Dasein fristen3.
Unitopia: Wie können Menschen (z.B. Studierende) euch und eurem Projekt helfen? Johannes: Kontakt aufnehmen über die Website.2 Und dann muss man klären, welcher Standort da geeignet wäre. Wollen die potentiellen Teilnehmer_innen so etwas, gibt es Interesse? Und dann kann man das gemeinsam ausprobieren. Da muss noch mehr passieren! Verweise 1
2
Umfrage: http://www.berlinpiloten.com/sites/default/files/ maik-eimertenbrink-broschuere-obdachlosenuni-2011.pdf Website der OLU: http://www.berlinpiloten.com/obdachlosenuni
„Gehirnforschung“ an einem Primaten im Max-Planck-Institut (MPI) Tübingen. Bereits in der Vergangenheit stand die „Tierversuchsstadt“ Tübingen, mit seinen diversen – auch universitären – Tierversuchseinrichtungen, immer wieder in der Kritik. Neben den besonders brutalen Methoden, ist die als Grundlagenforschung getarnte Rüstungsforschung an Primatengehirnen zur Entwicklung intelligenter Kampfdrohnen ein weiterer Punkt, der für Proteste sorgte und noch immer sorgt.7 Bildquelle: SOKO-Tierschutz, http://www.sokotierschutz.org/de/news/326-soko-tierschutz-ev-fordert-aufklaerung.html
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Studium? Nicht mit uns!
Uni für Alle?! / Basics & Buntes
nimal Uni über Tier-versuche an und mit Berliner Von Tierversuchen im Studium sind in Berlin vor allem die Studierenden der Human- und Veterinärmedizin sowie der Biologie betroffen. Doch auch in einigen unscheinbaren Studiengängen werden die Studierenden mit diesem Thema konfrontiert. So zum Beispiel im Ingenieurswesen, wo in Form von Referaten die Ergebnisse von Vogelschlagtests an Flugzeugturbinen präsentiert werden. Hierfür werden vorher getötete Vögel mit mehreren Hundert Kilometer pro Stunde in die Triebwerke geschossen 4 5. Solche Versuche werden den Studierenden dann als selbstverständlich verkauft und ethische Reflexionen finden in der Regel nicht statt.
Es sind aber auch nicht immer solch offensichtlich destruktive Tierversuche, die in den typischen Laboratorien der Weißkittel stattfinden. An der FU werden beispielsweise in Dahlem auch Futtermitteltests durchgeführt6. In solchen Projekten werden Methoden und Futtermittel an sogenannten „Nutztieren“ ausprobiert, um der Fleisch- und Milchindustrie einen höheren finanziellen Profit zu verschaffen. Aus tierrechtlicher und antikapitalistischer Sicht sind auch solche Versuche absolut kritikwürdig. Tierversuche gibt es – auch in oftmals unterschätztem Maße in Berlin – in allen möglichen und teils unvorstellbaren Facetten. Vor allem die HU und FU sowie die Charité sind dabei so stark involviert wie kaum eine andere Lehreinrichtung Berlins. Alle Verstrickungen aufzulisten ist nahezu unmöglich, da sich viele derartige Zusammenhänge im Verborgenen abspielen oder über verschleiernde Kooperationen laufen. Was wir als Gruppe entgegen setzen können, ist die Aufklärung, Offenlegung und Kritik an solchen Vorfällen. Wir möchten mithilfe von Infoständen an den Hochschulen den Dialog mit den Studierenden suchen und Hilfe bei der Verweigerung von Tierversuchen im Studium bieten.
Studierende, die sich diesbezüglich an uns wenden möchten, können uns gerne eine E-Mail schreiben und uns ihre Situation schildern. Wir sind auch dankbar für Unterstützung bei unseren Informationsständen und unserer Öffentlichkeitsarbeit und nehmen auch gerne Hinweise zu dafür geeigneten Standorten sowie Tierversuchen an Hochschuleinrichtungen entgegen.
Über Animal Uni
Animal Uni ist eine studentische Hochschulgruppe, die es sich zur Aufgabe macht, den Tierbefreiungsgedanken an den Berliner Hochschulen dauerhaft zu thematisieren. Mithilfe von Aufklärungsaktionen, wie z.B. Informationsstände oder Film- und Diskussionsabende, möchten wir die Studierenden für Themen wie politischer und ethischer Veganismus oder Tierversuche sensibilisieren. Unsere Gruppe ist hierarchiefrei organisiert und alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Darüber hinaus verstehen wir uns als antirassistisch, -sexistisch, -kapitalistisch, -nationalistisch usw. und dulden in unserer Gruppe derart antiemanzipatorisches Gedankengut nicht. E-Mail: animal-uni-info@riseup.net Facebook: facebook.de/animaluni
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stellungnahmen/1529-neubau-von-tierversuchslabors-
Quellen:
4 1
Ärzte gegen Tierversuche e.V.: Tierversuchshochburgen Deutschlands. URL: http://aerzte-gegen-tierversuche.de/de/
5
infos/statistiken/957-tierversuchshochburgen2
deutschlands zuletzt abgerufen: 13.12.2014
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin Berlin-Buch: Über uns. URL: https://www.mdc-berlin.de/2941/de/about_the_ mdc zuletzt abgerufen: 13.12.2014
Ärzte gegen Tierversuche e.V.: Neubau von Tierversuchslabors in Berlin. URL: http://aerzte-gegen-tierversuche.de/de/projekte/
6 7
in-berlin zuletzt abgerufen: 13.12.2014
Informationen einer Studentin der Technischen Universität Berlin. Lufthansa Technik: Vogelschlag – Belastungsprobe für die Triebwerke. URL: http://www.lufthansa-technik.com/de/bird-strike zuletzt abgerufen: 18.12.2014 Informationen einer anonymen Quelle, durch Weitere bestätigt. Antispeziesistische Aktion Tübingen: Redebeitrag zum MPI. URL: http://asatue.blogsport.de/texte/redebeitragzum-mpi/ zuletzt abgerufen: 17.12.2014
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Unitopia #4
Aneignungsstrategie:
1x1 des W
Couchcafé
So wird‘s gemacht: Organisiert ein paar alte Sofas und Teppiche und stellt sie an einem gut sichtbaren, zentralen Ort (etwa vor der Mensa) zusammen und stellt Getränke und Snacks bereit, dazu ein kleines Veranstaltungs- und Infoprogramm. Wartet auf Besuch. Praktisch erprobt: bei den Kritischen Orientierungswochen (KorFU) im Oktober 2014 Vorteil: Treffpunkt zum Kennenlernen und Projekte vorstellen mitten im Trubel Nachteil: kurzzeitig VollzeitbeschäftiMensafoyer O ktober 2014 gung für die Organisator*innen Eskalationsfaktor: überschaubar (ab und an droht das Personal mit Räumung)
Aneigungsstrategie:
Foyerbespaßung
So wird‘s gemacht: Siehe Couchcafé, nur mit weniger sperrigem Mobiliar
Praktisch erprobt: regelmäßig in den Bildungsprotesten der letzten Jahre Vorteil: flexible Methode, mit wenig Aufwand kurzfristige Freiräume zu schaffen Nachteil: kann ungemütlich sein, über Nacht verschwinden bisweilen zurückgelassene Gegenstände Eskalationsfaktor: je nach Dauer und Aktivitäten sehr variabel
Mensafoyer
12 Februar 20
Aneignungsstrategie:
Studentische Cafés
So wird‘s gemacht: Schleicht euch mit zwanzig Menschen in einen geeigneten Raum an eurem Fachbereich (in dem sich zuvor möglichst keine Leute aufhalten). Schleppt Möbel, improvisierte Kücheninfrastruktur und eine kleine Soundanlage herbei und dekoriert die Wände. Erklärt den Raum für besetzt und ladet die Leute am Fachbereich ein, das Angebot mitzuorganisieren und zu nutzen. Praktisch erprobt: Massiv im Unimut-Streik 1987 (einige dieser Cafés gibt es heute noch!) Vorteil: dauerhafter netter Treffpunkt zum Quatschen, Ausruhen und für politische Arbeit, Nahrungsmittelversorgung, Musik etc. Nachteil: dauerhaft hohes Engagement erforderlich Rotes Café (seit 1989) Eskalationsfaktor: zunächst hoch (bei Besetzung), langfristig niedrig (wenn auch die Profs merken, dass sie jetzt um die Ecke bequem frischen Kaffee bekommen)
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I H f W t J
„ f U w g c g t
Widerstands:
In der letzten Ausgabe der Unitopia haben wir den Verlust der Hochschule als politischer Raum behandelt. An dieser Stelle folgen einige praktische Tipps zur Umkehrung dieses Trends. Wir verbleiben mit den Worten des ehemaligen „F“U-Aktivisten Peter Schneider, geäußert auf einer Vollversammlung im Jahr 1967:
„Wir haben ruhig und ordentlich eine Universitätsreform gefordert, obwohl wir herausgefunden haben, daß wir gegen die Universitätsverfassung reden können, soviel und solange wir wollen, ohne daß sich ein Aktendeckel hebt, aber daß wir nur gegen die baupolizeilichen Bestimmungen zu verstoßen brauchen, um den ganzen Universitätsaufbau ins Wanken zu bringen.“ (Peter Schneider. „Ansprachen. Reden, Notizen, Gedichte.“ Berlin: Wagenbach-Verlag, 1970)
Aneignungsstrategie:
Basics & Buntes
Aneigungsstrategie:
Unsichtbares Theater
So wird‘s gemacht: Verteilt euch bei einer Vorlesung im Hörsaal und beginnt auf einmal ein lautstarkes, sorgfältig einstudiertes (Streit-) Gespräch über ein brisantes Thema eurer Wahl. Optional mit Handgreiflichkeiten. Praktisch erprobt: Das käme auf euch an. Vorteil: Abwechslung in langweiligen Vorlesungen, politische Agitation inmitten des Studienalltags Nachteil: (dazu bisher unzureichende Datenlage) Eskalationsfaktor: je nach dramaturgischer Gestaltung potentiell enorm
Hörsaalbesetzung
So wird‘s gemacht: Am besten organisiert ihr eine Vollversammlung, bewerbt sie intensiv und bereitet gleichzeitig Infrastruktur für eine „Spontan“-Besetzung vor eine kritische Masse von Menschen mit Schlafsäcken, Kochutensilien sowie Essen und Getränke für den ersten Tag, Material für Transparente. Praktisch erprobt: Zuletzt für einige Monate im Bildungsstreik 2009/10 Vorteil: Freiraum zum Querdenken, Organisieren und für soziale Wohnexperimente - ein paar intensive Wochen, die mber 2009 Hörsaal 1A, Nove ihr nicht vergessen werdet Nachteil: ihr müsst den Rest eures täglichen Lebens irgendwie um die Dauerpräsenz im Hörsaal herum organisieren (Tipp: soziales Umfeld direkt dorthin einladen!) Eskalationsfaktor: je nach aktuellem Raumbedarf der Uni einigermaßen hoch
Aneignungsstrategie:
Gremiensprengung
So wird‘s gemacht: Trommelt Studis zusammen und bringt auf geeignete Weise eine Gremiensitzung zum Abbruch oder verhindert ihren Beginn. Siehe Detailbeschreibung in der Unitopia #2. Praktisch erprobt: Zuletzt bei Protesten gegen die RSPO 2012/13. Vorteil: bringt Schwung in das trockene GremiengeFoyer des Audi schehen, schiebt ungünstige Beschlüsse auf max, Januar 20 13 Nachteil: erhöht nicht immer die Kooperationsbereitschaft der Profs Eskalationsfaktor: beachtlich!
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Unitopia #4
Auslandskorrespondenz: Türkei
CC: BY-NC-ND by Aschevogel
„Mit Augen- und Mundschutz zu Unabhängigkeit“
Unser Gastautor Enis erlebte ein turbulentes Erasmus-Jahr in Istanbul. Im Zuge der anhaltenden Proteste erfuhr er als aktiver Teilnehmer mehr über die politische Kultur der Türkei als es ihm die Seminarräume ermöglicht hätten. Von wegen Unabhängigkeit. Die Istanbuler Istiklal Caddesi - „Allee der Unabhängigkeit“ - ist, nahe des Taksimplatzes gelegen, nicht nur eine der belebtesten Straßen der Türkei und der Welt, sondern immer auch Zentrum politischer Auseinandersetzung. Um des türkischen Siegs im Unabhängigkeitskrieg gegen die Alliierten zu gedenken, wurde sie nach Gründung der türkischen Republik im Oktober 1923 zu Istiklal Caddesi umbenannt. „Gaz yemek“
Gegen Ende 2013 fing alles an: Twitter und Youtube wurden erstmals gesperrt - es gab Proteste. Teile der Regierung wurden wegen Korruption verklagt und verurteilt
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– es gab Proteste. Und schließlich fanden Ende März 2014 die Wahlen statt und laut vieler türkischer Freund*innen auch Wahlfälschung – es gab Proteste. Wo? Meistens auf der Istiklal. Von Unabhängigkeit jedoch keine Spur: Die Männer in Blau haben das Gas und damit den Sieg auf der Straße. „Gaz yemek“ - also Gas essen – mussten wir alle. Unabhängigkeit? Von wegen!
Wir sind vollends abhängig: abhängig von der Maßlosigkeit, der Munition und der Macht; von der Polizei, also der Politik; abhängig vom System. Wir sind vollends abhängig davon, weil diese Mechanismen es uns unmöglich machen, unsere Meinung zu manifestieren, geschweige denn sie auf einer friedlichen Demonstration zum Ausdruck zu bringen. Um in Istanbul ohne gesundheitliche Beschwerden demonstrieren zu können, brauchen wir mindestens Augen- und Mundschutz. Denn sobald die Bullen ohne Grund,
da ohne ausgehende Gefahr von den Demonstrierenden die erste Gaspatrone abgeschossen haben, ist es vorbei mit der Demokratie. Dann gehen die meisten nach Hause und erholen sich vom kratzenden Gas in der Lunge. Demokratie – im Keim erstickt; im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich bin zwar nur für ein Jahr Erasmusstudent am Bosporus, jedoch ist nicht schwer mitzubekommen: Die türkische „Demokratie“ befindet sich im freien Fall Richtung Diktatur. In Istanbul spürt man förmlich die Anspannung in der Luft und man fragt sich, wann sich alles erneut entlädt – erneut nach den Gezi Protesten vor knapp einem Jahr, die in meinen Augen unter anderem gezeigt haben: Die Türkei ist zu modern für eine Diktatur. Doch Recep Tayyip Erdoğan, türkischer Ministerpräsident seit März 2003 und Vorsitzender der islamisch-konservativen Regierungspartei Adalet ve Kalkınma Partisi
(AKP), polemisiert und provoziert. Erdoğan, Möchtegern-Atatürk („Vater der Türk_innen“), täuscht Souveränität vor, um seine Wähler_innen nicht zu verlieren. Erdoğan führt die Türkei hinters Licht und widerspricht sich selbst, indem er Internetzensur mit dem Schutz desgleichen legitimiert. Erdoğan, ein Scharlatan mit komfortabler Mehrheit? Laut den letzten Parlamentswahlen vom 30. März 2014 führt die AKP mit über 44% der Stimmen immer noch mit Abstand vor der größten Oppositionspartei CHP (~29%) das Land an. Angeblich. Denn dass an diesem Tag in Dutzenden Städten für mehrere Stunden – mancherorts den ganzen Tag – der Strom ausgefallen ist, Wahlzettel im Dunkeln ausgewertet und sogar nicht ausgewertete Wahlzettel im Müll gefunden wurden spielt offensichtlich keine Rolle. Innerhalb der Mahalle - der Nachbar_inschaft, in der die Menschen sich gegenseitig unterstützen und untereinander kennen – sind die Leute sich einig: Wahlbetrug. Im Fernsehen ist die Rede von Erdoğan als bereits neuem und altem Ministerpräsidenten, obwohl die Wahlen erst nächstes Jahr sind. Selbst in den deutschen
Mainstream-Medien wurde nicht mit einer Silbe erwähnt, dass es erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit der Wahlen geben muss.
„Wir werden Twitter ausradieren. Es ist uns egal, was die internationale Gemeinschaft sagt“, teilte Erdoğan im März der Weltöffentlichkeit mit. Twitter ausradieren? Die Meinung der internationalen Gemeinschaft ignorieren? Wohl kaum. Erdoğans Internetzensur, legitimiert durch den angeblichen Schutz des türkischen Staates, steht symbolisch für den politischen Teufelskreislauf, in dem er sich befindet: Je mehr er verbietet, desto mehr werden die Menschen sich selbst die Dinge erlauben und einen Umweg zu ihrer individuellen Freiheit finden. Einfach die DNS-Adresse des Servers verändern und schon haben wir selbst in der Türkei Zugriff auf Youtube und Twitter, so einfach kann es sein. Für die Türk_innen spielt das Internet eine immer größere Rolle spielen, schon jetzt kommen die meisten „Tweets“ weltweit immer mal wieder aus der Türkei. Und nur weil solch ein Möchtegerndiktator namens Erdoğan regierungskritische Seiten
schließt, lassen sich die Menschen noch lange nicht ihre Empörung und ihren Protest verbieten.
Basics & Buntes
Studierende auf der Straße
Im Sinne internationaler Solidarität unter protestierenden und Widerstand leistenden Studierenden muss uns eins klar sein: Die Gezi-Proteste, die auch an vielen türkischen Universitäten stattgefunden haben, sind unter anderem Ausdruck und Symbol einer großen Gruppe von Studis, die das politische System der Türkei als auch Erdoğans diktatorische Machtspiele zu hinterfragen und kritisieren wissen. Protest verändert die Unis und damit langfristig den demokratisch-politischen Diskurs über die Uni hinaus. Die türkische Luft brennt
Auch wenn gerade nicht viel Widerstand auf den Straßen zu sehen ist: Es gibt mehr und mehr gegenseitige Solidarität unter den Menschen und das ist toll. Nach den von den Cops erstickten Protesten am 1. Mai 2014 scheint im Moment nur ein Funke auszureichen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Die türkische Luft brennt, spätestens seit den Gezi-Protesten, die in meinen Augen vor allem eines gezeigt haben: Unabhängigkeit muss und kann man sich wieder erkämpfen in der Türkei – und das selbst auf der Istiklal. Nur Augen- und Mundschutz nicht vergessen!
(Ursprünglich in leicht unterschiedlicher Fassung erschienen auf Spiesser.de:
CC: BY-NC-SA by Murat Taşcı
http://www.spiesser.de/artikel/
mit-augen-und-mundschutz-zur-unabhaengigkeit)
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Unitopia #4
Abgeschrieben
Exzellenzcafé öffnet seine Türen Das Politbüro beschenkt sich selbst zum Fest: Im Henry-Ford-Bau eröffnet zum Jahresbeginn eine neue gastronomische Einrichtung, mit der die „F“U endlich auch kulinarisch ihrem Status gerecht werden will. Die Zeiten, in denen sich die Nahrungsversorgung im Prestigegebäude der „F“U in ein paar Snack- und Getränkeautomaten und dem gelegentlichen Veranstaltungsbuffet erschöpfte, sind vorbei. Im neuen „Exzellenzcafé“, einer Kooperation zwischen „F“U-Politbüro1 und Studierendenwerk Studentenwerk, die sich im Erdgeschoss im Bereich der bisherigen Automatenlandschaft ansiedelt, wird ein deutlich breiteres Angebot zur Verfügung stehen. Der designierte Küchenchef zählte auf der gestrigen Pressekonferenz auf: „Kaviarhäppchen, Foie Gras2, Trüffelpesto, Kürbissoufflé…“ All diese Köstlichkeiten lassen sich in stilvollem Ambiente auch in Kombination als Tapas-Menü bestellen. Auch das Getränkemenü lässt den Unialltag erträglicher erscheinen: von Fiji-Wasser über Bärlauch-Smoothies, ein erlesenes Weinsortiment und jahrhundertealten WhiskySpezialitäten bis zu den obligatorischen vierzehn Champagnersorten ist alles dabei.
Das von „F“U und Studentenwerk erarbeitete Preismodell weicht dabei von den anderen Einrichtungen auf dem Campus ab. Auch hier gibt es das aus den Mensen bekannte dreistufige Preismodell, allerdings in anderer Gruppenzuordnung: Mitarbeitende der Exzellenzprojekte der „F“U zahlen den ermäßigten halben Preis, gewöhnliche „F“U-Mitglieder – in der Kategorie excellence by association – dagegen 75%. Gäste zahlen wie gewohnt den vollen Preis, es sei denn, sie sind in Exzellenzprojekte anderer Universitäten involviert bzw. stammen von einer im QS-Ranking3 unter den ersten 30 Plätzen rangierenden Universität: Auch dies qualifiziert für eine Preishalbierung. „Leistung muss sich schließlich lohnen“, zeigte sich ein Politbüro-Mitglied auf der Pressekonferenz zufrieden. „Auch für hochkarätige Gastvorträge schaffen wir damit einen wichtigen Standortfaktor.“ In der günstigsten Kategorie sei demnach eine sättigende Mahlzeit samt kleinem Getränk schon für rund 18 Euro zu erwerben.
Auch aus wissenschaftlicher Sicht sei das Projekt vielversprechend, so der Verfasser einer am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften erarbeiteten Studie. „Unsere Zahlen belegen klar, dass eine solche Ca-
Mit dieser kümmerlichen Auswahl im Henry-Ford-Bau ist nun Schluss. (Bild: difFUs)
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féeinrichtung einen starken Leistungsanreiz darstellt und den wissenschaftlichen Output der Belegschaft um etwa sieben Prozent erhöht. Zudem wird das Drittmittelvolumen nach unseren Prognosen um etwa 12% steigen.“ Die Investitionen in das Mahagoni-Inventar würden sich für die Universitätsleitung nach diesen Berechnungen bereits innerhalb von 4,7 Jahren amortisieren, ergänzte ein zuversichtliches Politbüro-Mitglied. „Wir haben die Zahlen, da kann eigentlich gar nichts schiefgehen.“
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Das ehemalige Präsidium der „F“U heißt seit Sommersemester 2013 „Politbüro“ (difFUs berichtete: https://diffusberlin. wordpress.com/2013/01/28/prasidium-ab-sommersemester-politburo/) völlig unproblematische Delikatesse (http://de.wikipedia.org/wiki/Foie_ gras#Tierschutz) Rankings sind in Tabellen gegossene Wahrheit (http://www.nachdenkseiten. de/?p=18629)
Ursprünglich veröffentlicht im Dezember 2013 in difFUs - dem einzig seriösen Campusmagazin (https://diffusberlin. wordpress.com/2013/12/18/exzellenzcafe-offnet-seine-turen/). Nach-
druck mit Genehmigung.
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Uni(n)formiert An der Uni formierten uninformierte Uniformierte Unireformierer*innenblockierformationen, weil die Uni informierte, dass sie nicht interessierte, was Studierende so agitierte. Creative Commons BY-NC-ND by RADOW
radow
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„Alles muss bekämpft werden, was Menschen klein und ohnmächtig hält. Alles, was Menschen erzählt, sie seien dumm, hässlich, wertlos und selber Schuld an ihrem Schicksal. Alle Verhältnisse, die uns wertlos fühlen lässt, die uns ausbeutet, die uns zerstört und uns immer wieder unerfüllt wünschen lässt.“ Früchte des Zorns „Zahllose mehr oder minder subtile Ein- und Ausschlussmechanismen beeinflussen die Zugangschancen für jede*n Einzelne*n zur Universität ebenso wie die Aussichten darauf, innerhalb der Institution gleichberechtigt mitzuagieren.“ - „Uni für Alle?!“, S. 10 „Ein beliebtes argumentatives Muster, das medial immer wieder und so auch hier Verwendung findet, wenn es um den Umgang mit von Diskriminierung betroffenen Personengruppen geht, ist das der „Neutralisierung” oder „Umkehrung”. Wissenschaft, Schulbildung oder Sprache werden dabei als grundsätzlich neutral, objektiv und frei von Macht und Interessen dargestellt, während Emanzipationsbestrebungen in diesen Feldern als Machtanspruch übermächtiger Interessensgruppen interpretiert werden.“ - Offener Brief von transbashback, S. 16 „We have those rights by all kinds of laws and conventions, but we have to fight to get them in our hands, as well as other rights Germany does not grant us only because we are refugees! This fight needs the students in universities to take part and stand beside refugees in their struggle for the right to education.“ - Adam Bahar, S. 14 „Das Ziel sollte dagegen die Destabilisierung dieses Gefüges sein, die die Verwirklichung von Utopien – und darin verorteter Uni-topien – erst ermöglicht. Es gilt, auch im tagespolitischen Geschehen Visionen zu bewahren und weiterzuentwickeln, anstatt sie in vorauseilendem Gehorsam vor lauter „Pragmatismus“ zu begraben“ - „Muss Dahlem sterben, damit wir lernen können?“ S. 6
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