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»Habe meinen Traum gelebt«
Michael Voit (ehemals Hartl) hat das »Experiment Selbstversorgung« schon vor Jahren abgebrochen.
Ganz aussteigen wollte Michael Voit auch als Selbstversorger nie. Dann ist er vom Aussteigen ausgestiegen, dem Experimentieren aber treu geblieben. Die dabei gefundene Freiheit möchte er sich bewahren.
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Am Balkon stehen ein paar Töpfe mit Gemüsepflanzen und Kräutern. »Abgesehen davon gärtnern wir derzeit nicht«, sagt Michael Voit (ehemals Hartl). Die Betonung liegt wohl auf dem derzeit. Denn beinahe ein Jahrzehnt lang lebte der heute 41-Jährige mit seiner damaligen Partnerin (siehe Interview auf den Folgeseiten) und ein paar Gleichgesinnten in der burgenländischen Einschicht – als Selbstversorger und leidenschaftlicher Gärtner. Das »Experiment Selbstversorgung« sorgte für Aufsehen. Den Höhepunkt der Aufmerksamkeit erlangte es im Frühjahr 2016: Bei der österreichischen Zentralmatura (bundesweites Abitur, Anm.) wurde in einem Impulstext ein ganzer Maturajahrgang mit dem Thema Selbstversorgung konfrontiert. Heute betreibt Voit mit PartnerInnen eine Agentur in Berlin (ACAB – All Codes Are Beautiful) und wohnt mit seiner Familie in einem Vorort von München. Vom Sinn des selbstermächtigten Handels ist er mehr denn je überzeugt. Auch wenn das im städtischen Umfeld etwas anderes bedeutet
INTERVIEW Thomas Weber
Michael Voit
war Rundfunkredakteur und Tierschutz-Campaigner, ehe er 2009 das »Experiment Selbstversorgung« startete – und nach fast zehn Jahren für sich beendete.
Der frühere Blog »Experiment Selbstversorgung« wird inzwischen von Michael Voit allein und mit neuem Namen weitergeführt unter nanu-magazin.org als früher auf dem Land: »Wir sind im Carsharing-Verein, in der Energiegenossenschaft, die Energieautarkie für die Region anstrebt, in der Genossenschaft regionaler LandwirtInnen, die einen Bioladen in der Stadt betreiben, und so weiter.« Auch im »Café Übrig«, das Lebensmittel rettet und als lokaler Vernetzungsraum fungiert, ist er engagiert. Ganz aus der Welt ist der Gedanke ans Gärtnern zur Selbstversorgung aber noch nicht. »Der Traum, wieder auf einem Hof zu leben, ist definitiv weiter wach in mir und noch nicht ausgeträumt.«
BIORAMA: Du hast das »Experiment Selbstversorgung« nach einiger Zeit abgebrochen. Warum?
MICHAEL VOIT: Das war keine Entscheidung von heute auf morgen, sondern ein Prozess. Ich habe zu keinem Zeitpunkt Autarkie an sich für das alleinig Erstrebenswerte gehalten, sondern Wandelprojekte an sich: Lernorte, an denen Menschen gemeinsam einüben, wie wir uns und die Welt verwandeln können. Somit ging es immer um mehr als Selbstversorgung. Nach drei Anläufen, dass das Ganze zu einer Gemeinschaft heranwächst, gab es den Zeitpunkt, bei dem gerade keine Energie mehr da war. Zum selben Zeitpunkt hat sich meine familiäre Situation positiv verändert (eine Trennung von seiner Partnerin, Anm.) und die Pacht für den Platz, an dem ich fast 10 Jahre gelebt hatte, wurde nicht verlängert. Also ein Punkt, an dem es sich natürlich angefühlt hat, einen Schritt der Veränderung zu gehen.
Hat sich das Aussteigen vom Aussteigen wie eine Niederlage angefühlt?
Im Großen und Ganzen nicht. Klar kenne ich als selbstkritischer Mensch Momente des Zweifels: Hätten wir das nicht auch an einem anderen Platz wieder so aufbauen können? Hätten wir nicht irgendwie das Geld aufstellen können, den Hof zu kaufen? Aber nein, ich habe ein Jahrzehnt lang meinen damaligen Traum gelebt – ziemlich intensiv und stark – und viele der Erfahrungen aus der Zeit haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich konnte dabei eine umfassende Freiheit kennenlernen. Also eigentlich viel zu viel Gewinn, um von einer Niederlage zu sprechen.
War es eine Rückkehr aus der Autarkie in die Zivilisation?
Ich war ja in vielen Punkten nie raus aus der Gesellschaft als Ganzes; was ich auch nie wollte. Aber ein paar Sachen waren schon enorm krass. Wie laut mir selbst kleine Dörfer vorkamen, weil man ab und zu NachbarInnen gehört hat oder ein Auto vorbeigefahren ist. Und wie schnell man wieder in den Alltags- und Freizeitstress hineingezogen wird. Und wie normal einem das nach einiger Zeit wieder vorkommt.
2016 war euer Projekt Thema bei der österreichischen Zentralmatura. Danach kursierten Memes: »Scheiß auf Schule, werden wir Selbstversorger«. Weißt du, ob es jemand daraufhin mit Selbstversorgung versucht hat?
Die Memes waren teils total witzig – vieles einfach flach. Aber ich habe nichts Beleidigendes mitbekommen. Das war ein witziger Tag – mit knapp über 200.000 BesucherInnen an einem Nachmittag auf unserer Website. Es kamen auch ein paar sehr liebe und nette E-Mails – und eine Maturantin war wenige Wochen spä-
»Unsere Gesellschaft muss autarker werden. Das würde für viele Menschen mehr
Lebendigkeit bedeuten. «
— Michael Voit,
Aussteiger vom Aussteigen
ter für ein paar Tage am Hof und hat mitgearbeitet. Ob irgendwer aber konkret dadurch sein Leben geändert hat, weiß ich nicht.
Viele reagierten damals befremdet. Auch einige LehrerInnen haben sich über euch lustig gemacht.
Wenn sich Menschen über mich oder meine Lebensweise lustig machen, gibt es im Groben ja nur drei Ursachen dafür: Man fühlt sich ertappt oder ist neidisch und muss das überspielen, man versteht nicht, um was es eigentlich geht, oder man ist einfach ein unguter Mensch. Letzteres trifft sicher fast nie zu. Und Unsi-
cherheit oder Verständnisprobleme sowie das Unvermögen, damit umzugehen, sind nichts, weswegen ich Menschen böse wäre. Wer klare und gute Argumente gegen eine solche Lebensweise hat oder deren Sinnhaftigkeit für einen gesellschaftlichen Wandel oder eine klimafreundlichere Zukunft infrage stellt, der macht sich ja nicht lustig darüber, sondern diskutiert sachlich – und genau das brauchen wir: eine laufende Auseinandersetzung mit alternativen Modellen zum aktuell scheiternden Konzept der letzten Jahrzehnte. Darum ist es gut, dass diese Themen der Relokalisierung, des Selbermachens und auch des Gärtnerns eigentlich nie verschwinden. Dass sie aktuell wieder stärker im Bewusstsein sind, liegt sicher an den wirtschaftlichen und globalen Umständen.
Als Aussteiger vom Aussteigen: Welche Erfahrungen, die du als Selbstversorger gemacht hast, haben dich geprägt?
Ich kann die Erfahrungen der Zeit nicht trennen zwischen dem »Selbstversorger-Sein« und dem Lernort, den ich dabei geschaffen habe, an dem sich über die Jahre Hunderte Menschen ausgetauscht haben. Was dabei für mich stark herauskam, ist, dass ich dankbar und verantwortungsvoll annehmen sollte, was das Leben mir glücklicherweise bietet, und es mit voller Hingabe und Zuversicht leben. Denn wenn sich ein Weg doch mal als der falsche herausstellt, lässt sich das korrigieren. Doch wenn ich aus Angst davor nie einen mutigen Schritt gehe, lebe ich nichts von meinen Träumen.
Erachtest du Autarkie als Wert und als prinzipiell anstrebenswert?
Lebendigkeit ist erstrebenswert. Und ein Stück mehr Autarkie zu wagen würde für viele Menschen mehr Lebendigkeit bedeuten. Das für mich auf einer individuellen Ebene Erstrebenswerte ist, mehr zu erschaffen und weniger zu konsumieren. Das verändert die eigene Haltung von einer passiven in eine aktive. Du wirst wirkmächtiger, selbstbewusster, klarer; also die Art von Mensch, die wir für eine funktionierende Demokratie brauchen und für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Dieses »Erschaffen« kann nicht nur Brotbacken oder Gemüseanbauen sein, sondern durchaus auch, ein Computerprogramm zu schreiben, ein kaputtes Gerät zu reparieren oder zu lernen, wie man über aktives Zuhören und bewusstes Zugewandtsein anderen Menschen einen Raum gibt, sich zu öffnen.
Wenn wir uns die Abhängigkeit von Energieträgern wie Öl und Gas ansehen, ist es gerade auf gesellschaftlicher Ebene wohl überhaupt keine Frage, ob mehr Autarkie anstrebenswert ist. Klar muss unsere Gesellschaft autarker werden! Und ein Schritt dazu ist reduzierter Energiebedarf und Konsum. VOM REGISSEUR VON „BAUER UNSER“
Ein Film von ROBERT SCHABUS
DER FILM DER STUNDE
(KLEINE ZEITUNG)