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Street Talk Graz

SUV-FahrerInnen. Auch keine überkorrekten FahrradfahrerInnen, die sich dauernd echauffieren über alle anderen, die entweder die Straßenverkehrsordnung missachten oder aus ihrer Sicht ohnehin mit dem falschen Verkehrsmittel unterwegs sind.

Sie meinen eine Überhöhung der FahrradfahrerInnen als moderne, bessere Menschen?

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Ja. Wir haben natürlich Gesetze, die das Auto privilegieren und andere VerkehrsteilnehmerInnen und die Umwelt benachteiligen. Das wird mit einer Anspruchshaltung verbunden, die ohne Argumente dazu auskommt, was denn zum Nutzen aller beiträgt. All denen wie auch den unverbesserlichen WeltverbesserInnen möchten wir sagen: Durch einen Rückzug auf das eigene Im-Recht-Fühlen und die Verteidigung geltender Paragrafen werden wir die Mobilitätswende nicht hinbekommen. Denn nicht nur die Paragrafen werden sich in naher Zukunft ändern. Dazu passen ja auch alle Diskussionen um die Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen, die in Deutschland bekanntlich noch absurder sind als andernorts. Wir sollten und wir können das ideologiefreier besprechen und uns auf konkrete Lösungen konzentrieren, die attraktive Alternativen zu unserer jetzigen Alltagsmobilität sind. Dann ist die Veränderung von Ritualen einfacher.

In Ihren Publikationen geht es auch um moralisierte Mobilität – warum sollten denn ausgerechnet Mobilität und das Statussymbol Auto ideologiefrei diskutiert werden?

Seit dem Dieselskandal 2015 haben wir unser Mobilitätsverhalten radikal infrage gestellt. Da wurde plötzlich in mehr Familien zumindest leise mal gefragt: Ist das überhaupt in Ordnung, wie wir hier Mobilität praktizieren? Natürlich antworten viele: Das ist meine Freiheit, die hab ich mir erarbeitet. Aber diese moralisch aufgeladene Diskussion ist wichtig und der einzige Ausweg aus einer fossil angetriebenen, sozial ungerechten und unsere Umwelt wie uns selbst belastenden Situation.

Es ist ein bisschen wie mit dem Fleischessen und den VegetarierInnen. Es ist Leuten mitunter unangenehm, zu sagen, dass sie mit dem Auto da sind. Wenn man 20 Jahre lang im Alltag fast überallhin mit dem Auto gefahren ist, braucht es aber ein paar gute Ideen, bis man sich vorstellen kann, sich anders fortzubewegen.

Bremst die Diskussion um E-Antrieb und Wasserstoff die Mobilitätswende aus?

Ja, es gibt hier ein Produkt ohne Infrastruktur – und auch ohne Erfahrungen, wie die neue Technologie genutzt werden sollte, damit sie tatsächlich umweltfreundlich ist. Der Fokus auf die Technik abstrahiert die Diskussion auf ein Übermorgen mit vielversprechenden Antrieben und autonomen Fahrzeugen. Doch was wir mitdenken müssen, sind die Probleme oder Herausforderungen, die diese Technologien mit sich bringen können. Gleichzeitig wird von den eigentlichen städtebaulichen Herausforderungen abgelenkt. Denn die Technologie wird einen Großteil der mit Mobilität verbundenen Probleme wie den Platzmangel nicht lösen. Und wir werden es uns schlicht nicht leisten können, nur zu warten, bis E-Mobilität flächendeckend da ist, um dann erst zu beginnen, den Klimawandel anzugehen.

Das »Glücksrad der urbanen Mobilität – Ökosysteme sozialer Innovation« aus Martha Wanats Buch »Bewegt euch. Selber!«.

MOND MOBILITY NEW DESIGNS / ILLUSTRATION: ANDREA WONG, HANSER

Warum halten sich viele für ProfiteurInnen des ums Auto gebauten Systems, die es nicht sind?

Das Auto steht für einen bestimmten Wohlstand. Generationen vor uns haben sich das erarbeitet. Inzwischen ist milieuabhängig, ob es als Statussymbol gilt: In manchen steht das Symbol Auto für Freiheit und verstellt den nüchternen Blick auf den Nutzen, den man wirklich hat. Der Komfort, der versprochen wird, wenn man das Auto vor der eigenen Haustür hat, wird ja nicht eingehalten. Schon individuell nicht. Erstaunlich viele Menschen zahlen inzwischen sehr viel dafür, jeden Tag im Stau zu stehen und dann keinen Parkplatz zu finden. Und das wird noch teurer werden. Aber nicht alle rechnen sich das mal durch und überlegen, ob der Nutzen allein diese individuellen Kosten rechtfertigt. Von den gesellschaftlichen noch abgesehen. Ein Kilometer Autostraße kostet die Gesellschaft sehr viel. Ein Kilometer Radweg ist viel billiger und bringt dabei deutlich mehr Nutzen.

Was entgegnen Sie Leuten, die argumentieren, dass sichere Radwegeinfrastruktur auf dem Land nicht finanzierbar ist?

Sie meinen Suburbia?

Ich meine das Land jenseits der Vorstadt.

Ja, da ist es natürlich ein Problem, die Notwendigkeit auch in insgesamt infrastrukturarmen Gegenden zur Priorität zu machen. Manchmal ist der Tourismus ein gutes Argument, damit Bereitschaft zur Finanzierung entsteht. Doch wo es keine großen ArbeitgeberInnen gibt, ist allein die Politik gefragt, im Zuge der Regionalentwicklung für ein anderes Milieu zu sorgen. Aber: Der Trend New Work wird immer mehr innovative Coworking-Spaces aufs Land bringen und das wird positive Auswirkungen auf die Mobilität haben.

Macht Unternehmensgründung auf dem Land aus ökologischer Sicht noch Sinn?

Ich verstehe die Frage! Langfristig würde ich trotzdem sagen: Ja.

Für manche Geschäftsfelder brauchen die MitarbeiterInnen nämlich nur mehr Notebooks und WLAN. Doch es gibt auch andere Wirtschaftsbereiche und alle Menschen, die am Land arbeiten, und auch die, die dort leben, aber nicht arbeiten, profitieren von Unternehmensgründungen.

Sollte es eine staatliche Prämie geben, damit Kinder zum 16. Geburtstag ein E-Bike bekommen, statt sich eines zur Pensionierung zu kaufen?

Ein normales Rad reicht. Bei Jugendlichen halte ich den Umstand für besonders relevant, dass man sich um ein E-Bike auch kümmern muss – mehr als um ein normales Fahrrad.

Bei einer Prämie würde ich eher auf den Gesundheitsaspekt setzen. Ein Rad in Milieus, wo derzeit kaum eines vorhanden ist, würde dafür sorgen, dass ein anderes Mobilitätsverhalten gelernt wird. Es gibt Studien, die zeigen, dass Kinder heute nicht mehr das Gefühl für Körperbalance haben, das frühere Generationen hatten. Kinder sind mehr vor Bildschirmen und bewegen sich weniger. Weil FahrradfahrerInnen aber auch einfach VerkehrsteilnehmerInnen sind, wäre die staatliche Finanzierung eines echten Fahrradführerscheins in Kombination mit der Förderung eines Fahrradkaufs wünschenswert.

In ländlichen Gegenden werde ich dem Entgegenfiebern aufs Auto aber nicht mit dem Fahrrad beikommen, oder?

In Thüringen gibt es ein Konzept, das sich »Gesundheitskiosk« nennt, in dem Mobilitätsinfrastruktur und medizinische Versorgung zusammengedacht werden. Dort gibt es verschiedene Mikromobilitätsangebote zum Mieten an Bushaltestellen, konkret vor allem E-Bikes, die auch gewartet werden.

Was also gebraucht wird, um längere Strecken zurückzulegen, sollte kommunal zur Verfügung gestellt werden, was beispielsweise in Form von Rufbussen bereits praktiziert wird. Ich denke, der gesellschaftliche Anspruch sollte Mobilitätsgarantie lauten: das heißt, binnen 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad alle alltäglichen Grundbedürfnisse decken zu können. Das müssen wir auch auf dem Land so denken.

Kürzlich ist das Buch »BEWEGT EUCH. SELBER! – Wie wir unsere Mobilität für gesunde und klimaneutrale Städte neu erfinden können« (2022, Hanser-Verlag) erschienen, das sie mit ihrem Geschäftspartner Stephan Jansen verfasst hat.

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