Sequerciani Arte Clima_Bignia Wehrli, 2021

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LIGHT CASTING by Bignia Wehrli



I cut two reeds about 4.5 m long that grow next to the vegetable garden and attached a pinhole camera equipped with color sheet film to each of their tips. At dusk, about half an hour after sunset, I walked up a hill. I held the two reeds with the cameras attached to them vertically into the sky and had them portray each other in a long exposure in front of the evening sky. One camera looked towards the east and the other towards the west. The reeds reacted to the movements of the wind and the hands holding them, which were inscribed in the photographs.


LICHTFÄNGER (Sequerciani), 2021 Photo documentation of an action


LICHTFÄNGER (Sequerciani), east, 2021 4 x 5” colour sheet film


LICHTFÄNGER (Sequerciani), west, 2021 4 x 5” colour sheet film


On a clear moonlight night I put a pinhole camera fitted with color sheet film on a lifebuoy in the swimming pool. It photographed the moon for 93 minutes. The camera reacted to wind and was encouraged to rotate by hand. The interplay of its circular movements on the water and the movement of the moon across the sky created a photographic record in the form of a circular orbit.


MOONLINER (Sequerciani), 2021 Photo documentation of an action


MOONLINER (Sequerciani), 2021 Moonlight on 4 x 5” colour sheet film



VITE, 2021 Shadow drawings of grapevines


VITE, 2021 Excerpt of drawings


VITE, 2021 Excerpt of drawings



Notes on Sequerciani stay

12.10. Der Schatten meiner Hand verdeckt das Licht. Zypressenspitzen im Wind. Hundebellen von ferne. Der Rasenmäher-Roboter arbeitet schon um 7 Uhr früh. Nun schreibt mein Bleistift gegen den Wind, der durch die Bäume fährt. Das Rascheln der Blätter verwischt mit dem übers Papier streifenden Stift. Vom Ziegeldach her fällt der Widerschein des Morgenrots ins Zimmer.

13.10. Treffen mit dem Agronom. Er sprach vom equilibrio, dem Gleichgewicht. Die Pflanzen dürfen sich nicht zu kräftig entwickeln, erklärt er, denn sonst entwickeln sich auch die Parasiten wie Pilze. Man müsse ihr Wachstum fördern und es sogleich im Zaum halten. Am späten Nachmittag führt er uns durch die Weinreben zu den Rebsorten pugnitella und foglia tonda, erläutert uns den Schnitt und das Verzweigungsprinzip. Die hölzernen Knollen, von dem die Triebe abzweigen und ältere Schnittstellen markant abstehen, wirken skulptural. Er zeigt uns, wie man das Alter einer Rebe an ihren abgeschnittenen und neuen Trieben abliest, welcher Trieb kommendes Jahr der tragende wird und welcher das Jahr darauf. Jedes Jahr werden im Januar, Februar die alten Zweige abgeschnitten und die kommenden Triebe festgebunden und geformt. Da kreuzen und verzweigen sich die Jahre, das gegenwärtige mit vergangenen und zukünftigen, auf eindringliche Weise. Treffen mit A.G. aus Tatti. Er stellt uns ein Gerät zum Messen der Dunkelheit vor. Mit dem in Australien entwickelten Sky Quality Meter hat er die Dunkelheit verschiedener Ortschaften in der Toscana vermessen. Um auf ihre kostbare Dunkelheit aufmerksam zu machen, veranstaltete er eine Reihe von Events, bei


denen neben Dunkelheits-Messungen auch Konzerte und Lesungen stattfanden. Buiometro, den Dunkelheitsmeter, übersetzte er den Namen des Instrumentes ins Italienische. Im Jahr 2011 hat A.G. ein Netzwerk von Dunkelheits-Messpunkten in Italien geschaffen. Ein Messpunkt brauche eine Freifläche von circa der Größe eines Fußballfeldes und einen freien Blick in den Himmel. Später wurde das Projekt in Florenz übernommen. Dort arbeiten sie inzwischen mit fest installierten Messpunkten. Die Skala der Dunkelheit steige algorithmisch, d.h. kurvenförmig, an. Wie sähe diese Kurve wohl aus? Wie die Kontur einer Hügellinie aus der hiesigen Landschaft?

14.10. Morgens früh die Büsche, die sich vom Himmel abheben. Die blauen Hügellinien stehen wie Wellen in der Landschaft. Tragen sie Namen?

15.10. Der Morgenhimmel steht, scheinbar bewegungslos. Der Wechsel des Lichts kommt unbemerkt. Hundebellen, von ferne; eine Motorsäge, um sieben. Im Haus regen sich Schritte, eine Tür fällt ins Schloss, in der Ferne ein Schuss. Ein Jäger?

16.10. Morgengrauen. Um 6:07 Uhr schaue ich aus dem Fenster und öffne die Tür. Der große Wagen glitzert am Himmel. Ich lege mich wieder hin. 6:16 Uhr: Beim zweiten Blick aus dem Fenster berühren die Himmelsränder die Hügelketten noch immer dunkel. Einzelne Dörfer und Straßenbeleuchtungen setzen sich orangefarben vom Dunkel des Waldes ab. Ich lege mich wieder ins Dunkel des Zimmers.



16.10. 7:13 Uhr. Hügel. Linien. Ziehen. Von links nach rechts. Von rechts nach links. Ihr Gefälle, ihr Ineinandergreifen. Eine Linie steigt an, gleitet und streckt sich, greift Raum und fällt sachte ab. Wie ein (Auf-)Atmen heben und senken sie sich, schieben sich ineinander, bilden sich auseinander und zerfallen in Schichtungen aus Blauund Graustufen. Durchscheinend. Sie spannen sich, folgen sich, fügen sich, gehen ineinander über und setzen sich mit dem Wechsel des Lichtes neu zusammen. Ein Hügel verschwindet, tritt zurück, vom Licht der Sonne überstrahlt, ein anderer Hügelzug wölbt sich dunkel hervor. Ich sitze. Sie liegen. Sie breiten sich vor mir aus. Ihre Konturen, scharf umrissen, verdunkeln sich gen Himmel und lichten sie sich nach unten hin. Schwingungen.

17.10. Noch bevor die Sonne hinter dem Berg auftaucht, beginnen die Hügel zu scheinen. Auch abends, nach Sonnenuntergang, halten die Wiesen den Schein der Sonne. Wenn Licht auf eine Wiese fällt, so dringt es in ihre Zwischenräume aus versprengten Linien in Gras, Geäst und Blattwerk. Licht trifft auf, wird reflektiert, dringt in die Ritzen, Fugen, legt sich, versenkt sich, wird assimiliert, absorbiert, transformiert. Licht versickert, wird getankt, zerstreut, versplittert. Ineinander verwachsen, sich kreuzend und übereinander streckend, Licht. Die Transparenzen der Hügel im Gegenlicht, ihr Vor- und Hintereinander, ihre gestapelten Dunkelheiten.

18.10. Alles begann mit dem Blick aus diesem einen Fenster: das südliche Licht und die sich in die Luft werfenden Mauersegler.



Ein Flugzeug zieht eine leuchtende Linie über den Berg. Der stemmt sein betörendes Blau gegen den orange-rot schimmernden Morgenhimmel. In Kürze wird zwischen den beiden oberen Kurven die Sonne auftauchen und in ihrem Strahlen wird alles neu erscheinen. Alles richtet sich zu und nach ihr. Unser Fokus am sonst leeren Himmel. In der Ferne bellen die Hunde, wie immer, doch diesmal sind keine Schüsse der Jäger zu hören. Nur der Rasenmäher-Roboter saust gemächlich und ohne Pause.

I in Sequerciani, October 2021 photo by Liao Wenfeng




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