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Fahrbericht Volvo V60 T6 eAWD Recharge: Der noble Sparfuchs aus dem hohen Norden
from Blaulicht 2/2021
by Blaulicht
Der noble Sparfuchs aus dem hohen Norden
Der Volvo V60 bietet, was Geschäftsreisende und Familien wollen: viel Platz, Komfort, Sicherheit und Variabilität. Als Plug-in-Hybrid soll er etwa 50 Kilometer rein elektrisch fahren, dank 340 PS Systemleistung schneller sein, als die Polizei erlaubt, und nach WLTP nur 1,7 bis 2,0 l/100 km verbrauchen. Kann das sein? Wir haben es ausprobiert.
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Wer Volvo lebt Understatement – auch im Volvo V60. Besonders elegant wirkt dieser im weissen Blechkleid, das 1,85 m breit ist, sich auf 1,43 m duckt und über stattliche 4,76 m streckt. «Wer braucht da noch den nur 18 cm längeren, optisch weniger sportlichen V90?», fragt man sich. Zumal der Kofferraum des Volvo V60 ordentliche 529 bis 1’441 Liter Stauraum bietet und die Beinfreiheit in der zweiten Reihe grosszügig ist. Die Antwort: lange Menschen – wegen des flachen, nach hinten abfallenden Dachs. Erwachsene bis 1,85 m Körpergrösse sitzen auch im V60 bequem – und Kinder sicher, dank Isofix-Aufnahmen. Die Musik freilich spielt in der ersten Reihe am schönsten. Dort ist man auf tadellos konturierten, vielfach und über einen weiten Bereich verstellbaren Sitzen gebettet wie in Abrahams Schoss – wenngleich ein bisschen nah am Asphalt.
Bequem, schick – und etwas kompliziert
Wohlig aufgehoben fühlt man sich trotzdem. Die Türen schliessen mit sattem «Plopp», nichts klappert, zittert oder knarzt. Das adrette Interieur ist gut verarbeitet, Augen und Hände schweifen über Leder, Holz, Aluminium und Plexiglas im typisch skandinavischen Stil. Diese Eigenständigkeit gefällt – oder nicht. Diskussionen über Geschmack sind sinnfrei. Keine Frage des persönlichen Stils ist das Urteil zum Infotainment-System: Funktionsumfang sehr gut, Bedienbarkeit mangelhaft. Da realisieren die Schweden so pfiffige Dinge wie per Knopfdruck elektrisch vom Kofferraum aus umlegbare Fondlehnen, den serienmässigen WLAN-Hotspot und einen Haken zum Offenhalten des Kofferraumbodens – und dann verbauen sie ein Bediensystem mit Touch-Display, auf dem man wie beim Smartphone nach oben, unten, links und rechts wischen muss, um sich durch unzählige Menüebenen zu arbeiten. Das ist wenig intuitiv und mühsam, die Bedienkacheln sind zu klein und die Anzeige ist je nach Lichteinfall nur schwer erkennbar. Dabei muss selbst für grundlegende Aktionen, etwa die Klimatisierungseinstellung, das TouchDisplay bedient werden, wobei oft mehrere Bedienschritte nötig sind. Allein zum Ausschalten von Lenkrad- und Sitzheizung muss man acht «Treffer» landen. «Way too much», liebe Ingenieure. Dieses System provoziert regelmässigen Blindflug – und widerspricht damit dem Sicherheitsanspruch von Volvo diametral.
«By the way»: Warum ist der Screen eigentlich hoch- statt querformatig eingebaut? Die Lüftungsdüsen würden auch in S statt XXL den Zweck erfüllen. So aber füllt der «Himmel» im 3D-Modus der Navigationsanzeige fast die Hälfte des Displays und die – eigentlich wichtige – Karte bleibt klein.
Intelligent, schnell und sparsam
Das ist umso bedauerlicher, als das Navigationssystem gerade bei der Plug-in-Hybrid-Version eine zentrale Rolle spielt: Es steuert, wie die im 11,6-kW-Akku gebunkerte elektrische Energie bestmöglich über die Gesamtstrecke verteilt genutzt wird. Das heisst: Nur wer das Routenziel im Navi eingibt, profitiert von optimaler Reichweite. Sonst kann es passieren, dass der Volvo V60 T6 eAWD Recharge an Steigungen unnötig Strom «verheizt», anstatt Berge effizienter mit Benzinpower zu erklimmen.

» Die Bedienung ist mühsam und lenkt zu sehr ab. Nahezu alle Einstellungen müssen über das Touch-Display vorgenommen werden. Leider ist die Menüführung zu wenig intuitiv und die Bedienkacheln sind zu klein.
» Der 11,6-kW-Akku wird via Typ2-Stecker geladen, je nach Anschlussleistung in 3 bis 8 Stunden. Mit der gebunkerten Energie fährt der V60 rein elektrisch rund 50 Kilometer weit.
So oder so funktioniert das Zusammenspiel zwischen dem von einem unter dem Mitteltunnel platzierten Lithium-IonenAkku gefütterten 65-kW-Elektromotor an der Hinterachse und dem via 8-Stufen-Automat an die Vorderachse gekoppelten 2-Liter-Vierzylindermotor mit Kompressor- und Turboaufladung (253 PS) jederzeit exzellent. Zackig geht es voran, Gangwechsel erfolgen schnell und geschmeidig – und den Benzinmotor spürt und hört man kaum. Rundlauf und Geräuschdämmung sind tadellos, der Volvo V60 ist leiser als eine Katze auf der Jagd.
Dafür ist eine Katze wendiger. Rund zwei Tonnen Leergewicht und 2,87 m Radstand provozieren eine gewisse Trägheit, die kein Fahrwerksingenieur wegzaubern kann. Das straff aber nicht zu hart abgestimmte Fahrwerk und die präzise, wenngleich in der Rückmeldung etwas indifferente Lenkung jedenfalls würden weitaus mehr Sportlichkeit zulassen. Zumal der Schwedenhybrid bei Bedarf kraftvoll voranstürmt. In weniger als sechs Sekunden sprintet er auf 100 km/h und Zwischenspurts sind dank 590 Nm Drehmoment eine Freude. Schluss mit Vortrieb ist, typisch Volvo, trotz 340 PS schon bei 180 km/h. Ob so viel selbst auferlegte Beschneidung sein muss, mögen Deutsche diskutieren. Hierzulande ist es irrelevant. Zumal jene, die den V60 als Plug-in-Hybrid wählen, nicht rasen, sondern sparen wollen. Und dabei hilft die komplexe Hybridtechnik durchaus.
Auf Kurzstrecken kamen wir mit minimal 1,2 l/100 km und maximal 2,1 l/100 km aus. Auf einer zweimal mit am Start komplett geladenem Akku absolvierten Testrunde in der Ostschweiz lag der Verbrauch mit Navigationsunterstützung bei 4,7 l/100 km und ohne bei 5,5 l/100 km. Volvo verspricht also bezüglich intelligenter Akkunutzung nicht zu viel. Mit leerem Akku am Startpunkt kletterte der Verbrauch auf knapp 10 l/100 km, im Durchschnitt über alle Testtage verbrannte der Volvo 5,4 l/100 km. Die rein elektrische Reichweite betrug – trotz frostiger Temperaturen – 40 bis 47 km. Das ist weiter, als man denkt – und im Alltag für sehr viele Pendler und Familienmütter respektive -väter ausreichend.
Sicher, Anhänger-tauglich und pflegeleicht
Der V60 verfügt – typisch Volvo – ab Werk über alle relevanten Assistenz- und Sicherheitssysteme. Unser Testwagen hatte (unter anderem) auch Head-up-Display, Rückfahrkamera mit Einparkhilfe vorn und hinten sowie Rundumsicht-Funktion, LED-Scheinwerfer mit Kurvenlicht und dynamischem Fernlichtassistenten sowie den Pilot Assist II an Bord. Letzterer ermöglicht (Hände am Lenkrad!) teilautonomes Fahren bis Tempo 130 km/h. Das funktioniert auf unseren tempolimitierten Autobahnen top, auf höherrangigen Landstrassen gut und auf Nebenstrassen zumindest vernünftig.
Das ist so erfreulich wie die Erkenntnis, dass der V60 als Hybrid bis zu zwei Tonnen ziehen kann – und ungeachtet seiner Noblesse pflegeleicht ist. Nach Durchfahren der Waschstrasse muss kaum nachgeputzt werden, die Fussmatten sind robust und dank Veloursauskleidung ist auch der Kofferraum leicht zu reinigen.


» Im Volvo V60 reist man bequem und ruhig. Die Sitze sind erstklassig konturiert und über einen weiten Bereich verstellbar.
Fazit
Nordisch nobel, vollgepackt mit Technik, geräumig, flott, leise und angesichts seiner Grösse und des gebotenen Komforts ein echtes Sparwunder, macht der Volvo V60 eAWD Recharge sehr vieles sehr gut. Etwas handlicher dürfte er aber sein und die Bedienung des Infotainmentsystems sollte Volvo überdenken. In Summe aber ist der Volvo V60 als Plug-in-Hybrid ein feines, sicheres Auto, das auch zum zügigen Reisen taugt. All das hat seinen Preis: Der V60 T6 eAWD Recharge kostet ab 68’600 Franken, 10 Jahre/150’000 km Gratisservice und 5 Jahre/150’000 km Garantie inklusive.

Info
Zehn Dinge, die Sie über Volvo wissen sollten
1. Volvo Cars startete 1927 als Autohersteller, wurde 1999 an Ford verkauft und gehört seit 2010 zur chinesischen
Zhejiang Geely Holding.
2. Der Unternehmenssitz ist in Göteborg, Fertigungsstätten, Montagewerke sowie Zentren für Forschung, Entwicklung und Design liegen in Schweden, Dänemark, Belgien, Malaysia, Indien, den USA und China.
3. Das erste von Volvo gebaute Auto trug die – hierzulande witzig anmutende – Typenbezeichnung «ÖV4» und den Spitznamen «Jakob».
4. Der erste Kombi von Volvo war der PV445 Duett (1953).
5. Der wunderschöne Volvo P1800 gelangte als Filmauto von Roger Moore in der Rolle des Simon Templar in
«The Saint» zu Weltruhm.
6. Die Markenbezeichnung «Volvo» bedeutet im Lateinischen «rollen».
7. Aktuell bietet Volvo sieben PluginHybridmodelle an – drei SUVs sowie je zwei Limousinen und Kombis.
8. Mit dem XC40 Recharge und dem kommenden C40
Recharge bietet Volvo zwei batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) an.
9. Im Behördensegment rüstet Volvo BlaulichtInstitutionen aus aller Welt aus.
10. Zwei Schweizer Polizeikorps nutzen bereits den Volvo
V60 T6 eAWD Recharge.

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